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- "Glaube,
Wanderer, so du hier vorbeikommst,
- den
Bildern nicht, dieweil sie dich
belügen,
- denn
du wirst es niemals anders hier
erleben."
Auf Neuseelands Treks
Im Land der Maori
15.12.2000 5.1.2001

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Inhalt
Aufenthalt in Auckland
Zur Bay of Islands
Durch den
Tongariro-Nationalpark
Von Wellington über
die Cook-Straße
Im
Abel-Tasman-Nationalpark
Durch den
Westland-Nationalpark
Queenstown
Der
Fiordland-Nationalpark
Die Otago-Halbinsel
Große Binnenseen und
Mount-Cook-Nationalpark
Christchurch
Aufenthalt in Auckland
Der Flug von Frankfurt nach
Auckland stellt alles in den Schatten, was man auf Erden in einem
Stück bewältigen kann: einmal um die halbe Welt oder rund 20
000 km einfache Strecke. Noch gibt es sie nicht, die
Passagierflugzeuge, die dieses Pensum ohne aufzutanken nonstop
bewältigen könnten. Mit Air New Zealand geht es zuerst nach Los
Angeles, von dort weiter zur Fidschi-Insel Nadi, und schließlich
nach Auckland auf der Nordinsel Neuseelands. Denn das Land
besteht aus zwei Inseln, die durch die Cook Strait, die
sogenannte Cook-Straße, voneinander getrennt sind. Inklusive
Anschlußflug von München bringt man rund 32 Stunden in der Luft
zu, mit jeweils nur etwa einer Stunde Aufenthalt, die meiste Zeit
während der Nacht. Man mochte schon meinen, die Sonne würde
überhaupt nicht mehr aufgehen, als sie dann doch, während
unseres Stops auf den Fidschis, über einem messerscharfen,
wolkenlosen Horizont in den nachtkühlen Tropenhimmel
emporsteigt. Die Flugstrecke schneidet fünf verschiedene Groß-
und ausgewählte Breitenkreise: den Nullmeridian auf der Länge
von Greenwich, den nördlichen Polarkreis, den Wendekreis des
Krebses, den Äquator, den Wendekreis des Steinbocks und die
Datumsgrenze. Es ist bereits Sonntag, als wir sie überfliegen.
Den Tag bekommen wir aber auf der Rückreise zurückerstattet.
Wie die Zeit während des Fluges vergangen ist, weiß ich nicht.
Ich denke, ich habe mir in so kurzer Zeit noch nie so viele
Spielfilme an einem Stück angesehen, und zum Lesen fehlt mir,
nachdem ich gehörig übernächtigt bin, ohnehin die Lust. Der
Service bei Air New Zealand kann sich sehen lassen im
internationalen Vergleich, und der Flug ist ein Nichtraucherflug:
völlig neu für mich auf Langstreckenflügen. Durch die zu
niedrig eingestellte Air Condition hole ich mir eine Erkältung.
Erst als die wärmende Sonne am Zielflughafen den Zustand
andauernden Fröstelns aufhebt, nehme ich wahr, daß wir
angekommen sind. Nachdem alle Nachzügler unserer Gruppe
aufgesammelt worden sind, führt unser erster Ausflug sogleich
auf den Mount Eden, einen erloschenen Vulkankegel, von dem sich
eine großartige Aussicht auf die Stadt Auckland bietet. Auckland
ist auf insgesamt sechzig Vulkankegeln gegründet. In ihrer
Bauweise ähnelt die Stadt australischen Städten wie Melbourne,
die einen ausgesprochenen Vorstadtcharakter besitzen, und sie
bietet eine nur bescheidene Skyline. Wie die Australier legen die
Neuseeländer offenbar keinen Wert auf eine feste Ziegelbauweise,
die eine höhere Beständigkeit garantieren würde. Es entspricht
wohl dem Wesen des skandinavischen Menschenschlags, der
mehrheitlich auch den Angelsachsen eignet, daß er nichts auf
Dauer hinterlassen will. Die Reichen leben dort, wo der
Jachthafen liegt. In den mondänen Wohngegenden liegen die
Grundstückspreise bei einer Million aufwärts, wobei der Wert
der neuseeländischen Währung etwa dem der deutschen entspricht.
Die Villen der Reichen unterscheiden sich allerdings, im
Unterschied zu unseren Verhältnissen, nicht wesentlich vom Haus
des Durchschnittsbürgers. Jeder vierte Haushalt in Neuseeland
ist angeblich im Besitz einer eigenen Yacht. Kein Wunder, denn
hier beginnt der Americas Cup, die teuerste Segelregatta
der Welt, und quasi vor den "Toren" der Stadt, die
aufgrund ihres weitläufigen Hafens Erinnerungen an Sydney
wachruft, liegt ein Inselparadies, bestehend aus ca. 50 Inseln,
die sich ideal zum Ankern in freier Wildnis eignen. Unser
heutiger Campingplatz heißt Puriri, welches über einen Hunderte
von Metern breiten Sandstrand verfügt, und liegt ein Stück des
Wegs entlang der Küstenstraße. Ein erstes Badeerlebnis im
Pazifik rundet das Geschehen des heutigen Tages ab. Der Strand
ist breit, flach und feinsandig. Allerdings tut die intensive
Bebauung des Küstenstreifens, sofern man ein Freund von einsamen
Badeplätzen ist, dem ungetrübten Badegenuß einigen Abbruch.
Über ein ausgedehntes Netz von Wanderwegen verfügt das
angrenzende Eaves Game Reserve, eine Art naturbelassener
Landschaftspark. Ein weitläufiges Netz von Erschließungs- und
Erkundungspfaden durchzieht dieses Naturschutzgebiet, welches
besonders in der Dämmerung gespenstisch anmutet. Nachdem die
meisten von uns noch unter dem Jet lag leiden, finden sich am
Abend kaum noch welche, die bereit zu einem Gespräch sind. Für
mich verläuft die Nacht störungsfrei, und am nächsten Morgen
habe ich mein Schlafdefizit durch einen wenigstens 10stündigen
Schaf ausgeglichen. Ich denke, daß es noch einen Tag dauern
wird, ehe ich mich an den neuen Rhythmus gewöhnt habe.
Ehe wir zur Bay of Islands steuern,
nehmen wir die Hauptstadt nochmals genauer unter die Lupe. Im
Grunde ist die Innenstadt Aucklands nämlich klein und
überschaubar. Schönstes Bauwerk der Stadt ist meines Erachtens,
abgesehen von einigen Relikten des viktorianischen Baustils, das
sogenannte, direkt am Hafen gelegene, Ferry Building. Besonders
imposant ist das War Memorial Museum, in dem eine einzigartige
Maori-Ausstellung gezeigt wird. Gewisse Vorurteile, was das
Fehlen einer höheren Kultur, das den Eingeborenen immer wieder
nachgesagt wird, angeht, werden abgebaut, wenn man diese
Ausstellung sieht, denn auch wenn es sich vornehmlich um
Erzeugnisse der Schnitzkunst handelt, so sind diese dennoch so
präzise und mit einem Augenmaß ausgeführt, daß es einem
Respekt abnötigt. Auch die reichhaltige Pflanzenausstellung,
eine Saurierabteilung und eine Sammlung von Stücken verwandter
Südseekulturen fügen sich harmonisch in das Ganze ein.
Die Lebensart der Neuseeländer
unterscheidet sich nicht sehr stark von der der Australier.
Anstatt ein teures Lokal aufzusuchen, ißt man preiswerter in
einem der Fast-Food-Restaurants, deren es in den großen
Kaufhäusern eine Menge gibt. Mein chinesisches Mittagsgericht,
das eine wilde Zusammenstellung aus vielem des Angebotenen ist,
würde munden, wenn ich die Grundregel befolgt hätte, mich auf
einige wenige Speisen zu beschränken. Würfelt man hingegen, so
wie ich es tat, alles bunt durcheinander, muß man sich nicht
wundern, wenn es einem auch nach Stunden noch aufstößt.
Zur
Bay of Islands
Am frühen Nachmittag beginnen wir
unsere dreiwöchige Rundreise mit einem Ausflug in den
nördlichsten Teil der Nordinsel, der bereits in den Tagen der
Inbesitznahme durch die Engländer und seither immer wieder eine
wichtige Rolle gespielt hat. Früher war der Norden so gut wie
nicht erschlossen, es gab keine Straßenverbindung, und man
mußte sich seinen Weg zu Schiff wählen. Wir fahren durch eine
sattgrüne, landwirtschaftlich genutzte Region, in der vor allem
Schafzucht betrieben wird. Obwohl Neuseeland auf der gleichen
geographischen Breite liegt wie Deutschland, nur eben auf der
Südseite des Globus, ist das Klima dennoch bedeutend kühler.
Mehr als 22 Grad schafft die Sonne auch im Hochsommer nicht. Dazu
weht meist ein frischer, aber stetiger Wind, der die wahren
Temperaturen noch niedriger erscheinen läßt. Dieses Klima mag
seine Ursache darin haben, daß sich nach Europa der wärmende
Golfstrom hinzieht, eine vergleichsweise warme Meeresströmung an
dieser Stelle des Südpazifiks jedoch fehlt. Dazu kommt, daß die
Sonne eine wesentlich intensivere Kraft besitzt, so daß eine
sichtbare Hautrötung eines nicht gebräunten Körpers bereits
nach zehn Minuten einsetzt. Hinzu kommt ferner, daß der
vorwiegend angelsächsische Menschenschlag mit seiner
sommersprossigen, nicht zur Bräunung neigenden Haut sich den
denkbar ungünstigsten Ort für seine Existenz ausgesucht hat,
nämlich den, wo das Ozonloch am größten ist. Daher sind die
Neuseeländer in der Hautkrebsstatistik führend, gefolgt von den
Australiern. Dies sollten vor allem junge Einwanderer
hinsichtlich ihrer Eignung in diesem Umfeld prüfen.
Beim Durchqueren dieser reizvollen
Landschaft wird mir nun auch klar, warum Abel Tasman dem Land
diesen Namen gab. Es mag ihn an die gleichnamige Insel Seeland in
Dänemark erinnert haben, denn die Landschaft kommt deren
Aussehen relativ nahe. Große Erhebungen eines auf abgetragenen
Vulkankegeln ruhenden Humusbodens hat der nördliche Teil der
Nordinsel nicht aufzuweisen, eher sanfte und wellige
Landschaftsformen, die etwas Beunruhigendes ausstrahlen. Der
Küstenverlauf ist weder wild noch zerklüftet, obwohl es
zahlreiche Buchten gibt. Ab und zu gelangt die Straße in
Küstennähe, so z.B. an der malerischen Bream Bay mit den
vorgelagerten Hen and Chickens Islands. Angesichts des Fehlens
dramatischer Geländeformen ist es um so mehr die Vegetation, die
unser Augenmerk auf sich lenkt. Die Besonderheit an den Wäldern
sind nicht nur mächtige, unserer Fichte ähnliche Bäume, deren
Namen ich nicht kenne, sondern vor allem die riesigen Farne,
welche die Erde bereits bedeckten, als noch die Saurier die
bestimmende Gattung waren, sowie Palmenarten, die die Wälder
durchsetzen. Es gibt subtropische Edelhölzer, die den Maoris den
Grundstock für ihre Schnitzereierzeugnisse liefern und deren
Holz ein rötlich-braunes Aussehen hat. Mangroven, die ansonsten
nur in den Tropen vorkommen, zählen zum festen Artenbestand auf
Neuseeland. An größeren Tieren ist die Insel weniger
artenreich. So haben denn schon die Maoris aufgrund ihres Mangels
an tierischem Eiweiß auf das Fleisch gefangener Feinde
zurückgegriffen. Den ersten europäischen Entdeckern wurde
dieses Schicksal ebenfalls zuteil, viele wurden wie Tiere
geschlachtet und gebraten, so daß sich die Inseln lange Zeit als
ein nicht erstrebenswertes Ziel in Europa darstellten. Über
solchen Gedanken erreichen wir Paihia an der sogenannten Bay of
Islands, wo wir uns zwei Tage aufhalten wollen.
Um die Bay of Islands kennenzulernen,
besteige man in Paihia eines der vielen Ausflugsschiffe, die
einen an die verschiedenen Naturschönheiten der Insel
heranbringen. Die Fahrt wird mit Schnellbooten durchgeführt und
dauert gut drei Stunden. Leider spielt das Wetter nicht ganz mit,
doch ab und zu gelangen Sonnenstrahlen durch den fast bedeckten
Himmel und beleuchten die eine oder andere der gänzlich
überwachsenen Felsinselchen mit ausreichend Licht, um damit
einen
stimmungsvollen
Eindruck zu erwecken. Was
hier fasziniert, sind die zahlreichen Badebuchten, ein Eldorado
für jeden Segler. Das Ambiente beschränkt sich allerdings auf
das Naturerlebnis, denn die mäßigen Luft- und
Wassertemperaturen lassen ein Bad nicht zu und reichen nicht an
das heran, was man als Mitteleuropäer gewohnt ist. Faszinierend
vor allem ist die relative Unberührtheit der Natur. Nur wenigen,
mehr oder minder Reichen, scheint es gelungen zu sein, einen der
begehrten Plätze als Bauland zu erwerben. Auch wurde bisweilen
nicht so blindwütig gerodet, mit allen bekannten
Karsterscheinungen als Folge, wie das beispielsweise im
Mittelmeerraum der Fall war. Nur so kann es heute noch gelingen,
wahrhaft faszinierende Ausblicke auf unberührte Natur zu
erhaschen.
Wegen der zahlreich vorkommenden
Delphine scheint es besonders für die Jüngeren zu einem
beliebten Freizeitspaß geworden zu sein, schnorchelnder Weise
sich spielerisch mit diesen Kameraden aller Seemänner zu
tummeln. Den Tieren scheint es wenig auszumachen, daß sich
Scharen von Kindern auf sie stürzen, so sehr ausgeprägt ist ihr
Spieltrieb.
An der Anlegestelle werden wir von
einem weißen Neuseeländer, der sich als Maori-Krieger
verkleidet hat, nach einem alten Stammesritual begrüßt, welches
etwa wie folgt abläuft: Der Krieger, nur mit einem Lendenschurz
bekleidet, nähert sich uns vorsichtig, ganz nach Art der Maoris
und nur mit einem Speer bewaffnet, wobei er ein unglaubliches
Gebärdenspiel aufführt, einmal wild mit seinem Speer
herumfuchtelnd, dann ihn wieder schwingend und dabei wie zum
Kriegstanz zischend. Das Gegenüber soll nach diesem uralten
Ritual daraufhin geprüft werden, ob es Freund oder Feind sei. Zu
diesem Zweck legt der Maori-Krieger ein Blatt vor dem Fremdling
nieder, wobei er, sich wiederum wild gebärdend, die Zunge so
weit es geht herausstreckt. Der "Besucher" darf dabei
weder Furcht noch Aggression zeigen, sondern muß, um seine
friedliche Absicht zu demonstrieren, das Blatt ruhigen Blickes
vom Boden aufheben und als Geste der Freundschaft dem, der es vor
ihn niederlegte, überreichen. Das Zeremoniell endet damit, daß
jeder Ankömmling den "Herausforderer" mit dem
traditionellen Nasenkuß begrüßen muß. (Interessant ist, daß
die Maori den üblichen Lippenkuß vor der Ankunft der Weißen
nicht kannten.) Man kann sich jetzt lebhaft vorstellen, wie
dieser Ritualtanz auf jemanden, dem dieses Zeremoniell unbekannt
war, gewirkt haben mag und was passiert ist, wenn jemand dabei
die Fassung verlor. In diesem Fall wären sofort sämtliche im
Gebüsch lauernden Kannibalen hervorgestürzt und hätten sich
auf die Eindringlinge geworfen, was auch tatsächlich vorgekommen
ist, als Abel Tasman in der "Mörderbucht" an Land
ging. Alle Opfer wurden ausnahmslos verzehrt, und wir könnten
jetzt nur noch darüber diskutieren, ob roh oder gebraten. Noch
furchterregender sehen natürlich echte Maoris aus, deren
Gesichter vollständig tätowiert und dazu noch mit einer
Kriegsbemalung versehen waren. Aber wir werden noch weitere
Einblicke in das Leben dieser Ureinwohner erhalten.
In Russell legen wir einen
Zwischenstop ein, weil sich an diesem Ort die älteste Kirche
Neuseelands befindet. Noch während unserer Rückfahrt beginnt es
zu regnen. Der Aufenthalt wird auch sogleich für eine
Mittagspause genutzt. Im Duke of Marlborough bestellen wir Fish
and Chips, preiswert aber nicht gerade reichlich. Dazu trinkt man
original irisches Bier, was unserem verwöhnten Gaumen nicht
gerade zu einem Geschmackserlebnis gereicht. Um den Appetit zu
stillen, suche ich nach einem Café; aber ein feines Café findet
sich nirgends im Ort. Überhaupt erwecken alle Geschäfte hier
den Eindruck von Tante-Emma-Läden; die Zeit scheint
stehengeblieben zu sein. Ein beständiges Nieseln hört den
ganzen Tag über nicht mehr auf. So manchem steigen
Schreckensvisionen auf; sie wollen gehört haben, wie Leute
berichteten, daß es im letzten Jahr drei Wochen am Stück
geregnet habe um diese Jahreszeit. Für das jedoch, was wir heute
noch besichtigen werden, ist Regen kein Hinderungsgrund.
Zunächst geht es weiter nach
Waitangi, dem historischen Ort, an dem der Vertrag zwischen den
Engländern und den Maori-Häuptlingen unterzeichnet wurde.
Dieser Vertrag wurde zwar in die Maorisprache übersetzt, und
zwar in kürzester Zeit und daher mit allen Abstrichen, die sich
daraus ergeben, verstanden wurde er von den Maoris jedoch nicht,
da ihre Begriffswelt Worte wie "Souverän" und
"Landbesitz" nicht enthielt. Was sich nachher als
brutale Wirklichkeit entpuppte, nämlich die verstärkte
Besiedlung durch Weiße, führte schließlich zur Anfechtung
dieses Vertrages mit der Folge von Kriegen, in deren Verlauf die
Maori-Bevölkerung zahlenmäßig so stark reduziert wurde, daß
man schon glaubte, sie würde aussterben. Das Gebäude, in dem
der Vertragstext unterzeichnet worden ist, dient heute nur mehr
der Erinnerung an die Historie. Ein sogenanntes Maori-Kriegskanu, das größte, welches jemals gebaut wurde, und
für dessen Verzierung die namhaftesten Maorischnitzer
zusammengeholt worden waren, liegt heute als offenes
Museumsstück im Freien. Es konnte nebst Ruderern noch weitere
150 Krieger aufnehmen. Auch ein typisches Haus aus der
Kolonialzeit wird den Besuchern gezeigt. Landschaftlich liegt
dieser historische Ort sehr malerisch über einer nach allen
Seiten hin offenen Bucht.
Unser letztes Ziel für den heutigen
Tag ist Kerikeri. Dort stehen das älteste Haus Neuseelands und
eine Missionsstation. Viel bemerkenswerter finde ich jedoch die
archäologische Ausgrabung Korirupa, eine einstige Ansiedlung der
Maori, die von hohen Palisadenzäunen mit Wall und Graben umgeben
war. Die Stätte liegt malerisch auf einem steil nach allen
Seiten hin abfallenden Vorsprung in einer Flußschleife des
Kerikeri-Flusses. Nach dem Essen mache ich mich auf den Weg, um
ein Stück des sogenannten Waitangi Trails zu erkunden. Dieser
Wanderweg beginnt bei den Haruru-Wasserfällen und führt am
orographisch linken Hochufer des Waitangi-Flusses in Richtung
Meer. Die Neuseeländer scheinen sehr viel Sorgfalt darauf zu
verwenden, wie sie Wanderwege anlegen. Diejenigen Stellen, die
durch Morast führen, sind in der Regel mit Lattenrosten
überbrückt. Der Trail ist gut begehbar, an Steilstellen gut
gegen Hangrutsche abgesichert, und führt zum Teil wie von Lauben
überdacht durch dichtes, beidseitig von Palmen begrenztes
Unterholz. Immer wieder eröffnen sich Ausblicke auf den
Waitangi-Fluß, der um diese Jahreszeit relativ wenig Wasser
führt. Streckenweise sind die Ufer von Mangrovenwäldern
bestanden, was darauf hindeutet, daß das Meerwasser weit ins
Landesinnere hineinschwappt. An einem überschaubaren
Mangrovensumpf mache ich halt. Auf den Bäumen haben sich bereits
die Pelikane, um Nachtruhe abzuhalten, abgesetzt. Da um diese
Jahreszeit der Südsommersonnenwende relativ spät einkehrt,
verbleiben relativ viele Abendstunden, um zurückzuwandern. Als
ich wieder am Wasserfall eintreffe, fällt auch die Dunkelheit
ein, und es beginnt zu regnen.
Bei Omapere bietet sich ein
imposanter Blick auf die riesigen
Sanddünen am Eingang des Hokianga-Hafens, die leider
durch Begrünungsversuche etwas von ihrer Majestät eingebüßt
haben. Ein derart drastischer Eingriff in die Natur beraubt den
Menschen der Naturschönheit und macht ihn nur ärmer.
Wahrscheinlich werden für die Entscheidung, dem Wandern der
Düne Einhalt zu gebieten, wirtschaftliche Gründe den Ausschlag
gegeben haben.
Unsere weitere Route führt nun zu
den größten noch existierenden Kauri-Bäumen Neuseelands im
subtropischen Waipoua Forest. Der mit dem Namen Matahilta (Herr
des Waldes) bezeichnete, älteste Kauri-Baum besitzt ein Alter
von 1200 Jahren, ist also von der Natur noch vor der Zeit der
zweiten Besiedlung mit den Sieben Kanus gesetzt worden. Die
Kauri-Bäume zählen zu den größten Baumarten unseres Planeten.
Vor Ankunft der ersten Weißen hat es angeblich noch ältere
Exemplare gegeben. Selbst den Maoris flößt dieser Baum soviel
Ehrfurcht ein, daß sie Mutter Natur um Vergebung bitten, ehe sie
ihn fällen. Das Holz dieser Bäume, die einen Umfang von 18 m
und eine Höhe von über 55 m erreichen können, ist so begehrt,
daß man fast die ganze Art, die erst relativ spät unter
Naturschutz gestellt wurde, ausgerottet hat. Heutzutage existiert
nur mehr ein Prozent des ursprünglichen Baumbestandes, den die
Menschen in ihrer unersättlichen Gier nach dem begehrten Holz
bedenkenlos vernichtet hätten.
Über Dargaville, ein verschlafenes
Nest an der Westküste, wo nichts wirklich überzeugt außer den
Gesichtern der hier lebenden Maori, geht es weiter nach Otamatea
ins Kauri-Museum. Ich persönlich glaube, daß es des Aufwands
zuviel ist, sich dem Fällen von schutzbedürftigen Bäumen so
intensiv zu widmen, daß man dazu gleich ein ganzes Museum
einrichten müßte. Wichtiger wäre es gewesen, gar nicht erst so
viele dieser Bäume zu fällen, als daß es notwendig wird, sie
unter Schutz stellen zu müssen. Nichtsdestotrotz oder gerade
deswegen ist dieses, was seine Qualität anbetrifft, einmalige
Holz an schätzenswerten Eigenschaften nicht zu überbieten; es
eignete sich, vor allem wegen seiner Größe, vortrefflich für
den Schiffsbau, was auch schon die alten Maoris erkannt haben,
sowie für die Herstellung von edlem Mobilar. Spätestens jetzt
wird jedermann klar, warum ein subtropischer Regenwald, der
solche Baumriesen gedeihen läßt, von Feuchtigkeit und
Niederschlag geradezu verwöhnt sein muß, und warum es hier so
häufig regnet. Wie es die Eingeborenen allerdings fertiggebracht
haben, aus der Wärme kommend, wo sie praktisch nackt
herumliefen, angesichts der nicht gerade hohen Temperaturen hier
wohnen zu bleiben, bleibt weiterhin ein Rätsel. In der Nähe von
Dargaville befinden sich geologisch hochinteressante
Felsformationen, nämlich spitz und kegelförmig zulaufende
Felsnadeln, die vereinzelt als singuläre Erhebungen aus dem
Gelände herausragen. Am
späten Nachmittag legen wir wieder im Puriri-Park-Hotel an. An
etwas feuchteren Tagen, aber auch sonst, kann man an den
ausgedehnten Stränden stundenlange Wanderungen unternehmen.
Durch den Tongariro-Nationalpark
Heute ist der Tag der
Sommersonnenwende auf der Südhalbkugel. Bis zur nächsten
Sehenswürdigkeit, den Höhlen von Waitomo, gibt es zwischendrin
nichts Sehenswertes. Unterwegs findet sich ausschließlich
Kulturland, großflächig gerodetes, ehemaliges Regenwaldgebiet,
das sich teils über landschaftlich uninteressante Ebenen, teils
über sanft gewelltes Hügelland erstreckt. Die Glühwürmchen,
für die die Höhlen von Waitomo berühmt sind, gibt es
selbstverständlich nicht nur dort, sondern auch an vielen
anderen Stellen des Landes. Eindrucksvoll ist vielmehr das
Erlebnis als solches beim Überqueren des unterirdischen Sees in
der Grotte. Es ist, als habe man einen eindrucksvollen
Sternenhimmel über sich. Zu Tausenden und Abertausenden kleben
die eine grüne Lichterscheinung abgebenden Insektenlarven der
Arachnocampa-luminosa-Fliege an den Deckenwänden, wie Sterne am
Firmament, wobei sie Fäden ausbilden, an denen das Opfer
schließlich hängenbleibt. Mit einiger Phantasie kann man sie
silbrigen Punkte zu "Sternbildern" anordnen. Die
Tropfsteinhöhle selbst ist nicht sonderlich spektakulär; ich
habe schon weitaus großartigere gesehen.
Von den Waitomo-Höhlen fahren wir
über Kiokio und Putaruru weiter nach Rotorua, ein an
Thermalquellen reiches Gebiet. Spektakulär sind wiederum einige
Felsformationen der vorgenannten Art, welche wir vor Erreichen
unseres Tagesziels passieren.
Nach Ankunft auf unserem Campingplatz
in Rotorua machen fast alle von uns regen Gebrauch von der
Möglichkeit, in den heißen Thermalquellen ein entspannendes Bad
zu nehmen. Entgegen aller Erwartung sind die heißen Dämpfe
beinahe geruchlos. Wenngleich das heiße Bad den Kreislauf
angeregt hat, versinke ich dennoch in einen tiefen und erholsamen
Schlaf.
Nachdem sich der Sturm, der während
der Nacht aufgezogen ist, am Morgen gelegt hat, erwartet uns ein
strahlend schöner, wenn auch eisig kalter Tag. Vormittags
besichtigen wir die vulkanischen Erscheinungen im Rotorua-Dorf,
welches den Maoris gehört. Von den angelegten Wegen darf
keinesfalls abgewichen werden, da man sonst Gefahr läuft,
einzubrechen und sich im kochend-heißen Wasser zu verbrühen.
Auf dem einstündigen Rundgang lernt man alle wesentlichen
Erscheinungen erlahmender vulkanischer Tätigkeit kennen:
Fumarolen, brodelnde Schlammtümpel, aus denen unausgesetzt
Schwefelwasserstoff austritt, der an seinem nach faulen Eiern
riechenden Geruch zu erkennen ist,
Geysire und gelbe
Schwefelablagerungen. Da das gesamte Gelände den Maoris
gehört, können auch Erzeugnisse ihrer Kultur in Form von
Nachbauten besichtigt werden: Versammlungshäuser, Kriegskanus,
Totems und
Wehrdörfer, die von Palisadenzäunen umgeben sind.
Ein reichhaltiges Angebot an Schnitzhandwerk mag wohl zum Kauf
anreizen, läßt aber gleichzeitig aufgrund des hohen Preises
davor zurückschrecken. Auch die von den Maoris als Werkzeug zum
Schnitzen benötigte Jade kann man hier erstehen; bis hin zu
moderner Maori-Malerei und origineller Bekleidung kann man hier
alles kaufen. Nach der Besichtigung machen wir noch eine
Stippvisite auf einer traditionellen Schaffarm, wobei allerdings
der Boom mit der Schafwolle langsam vorüber ist und manche
Farmen bereits auf Rinderzucht umgestellt haben, womit sich
offenbar bessere Erträge erzielen lassen.
Rotorua selbst ist ein geschäftiger
Ort, wo man nahezu alles bekommt. Deutschsprachige Literatur,
insbesondere für den Touristen, findet sich allerdings kaum, um
nicht zu sagen, so gut wie nicht. Dennoch gelingt es mir, einige
Restbestände von Werken über die Legenden und die Kultur der
Maoris aufzukaufen. Wissenschaftliche Bibliotheken, wo
einigermaßen anspruchsvolle Literatur angeboten würde, finden
sich im ganzen Land nicht. Der "Kiwi" liebt
augenscheinlich die seichte Literatur, was für Menschen, die
ihre Heimat verlassen und auswandern, nichts Ungewöhnliches ist.
Das Bodenständige, der schnelle Reibach, liegt dieser Sorte
Mensch mehr. Es trifft sicher zu, daß ungezügeltes Eßverhalten
- und Beispiele hierfür findet man in Neuseeland reichlich - und
kulturelle Anspruchslosigkeit eng miteinander verwandt sind. So
gesehen braucht es niemand in Erstaunen zu setzen, wenn man sich
um Jungakademiker aus dem Ausland sehr stark bemüht. Interessant
ist auch das Bild, welches sich vom heutigen Maori zeichnen
läßt. Man braucht sich nicht zu wundern, daß er seine
Stammestraditionen abgelegt hat und weitgehend verwestlicht ist.
Nur in Ausnahmefällen begegnet man noch einem, der eine
Gesichtstätowierung trägt, die früher auch bei Frauen
gebräuchlich war. Ansonsten darf der Maori keinesfalls mit dem
australischen Ureinwohner verwechselt werden, was ja aufgrund der
Nachbarschaft zu Australien keine so abwegige Vermutung wäre.
Aber der Menschen fressende Maori ist polynesischen Ursprungs und
stammt irgendwo aus der Gegend von Tahiti, dem sagenhaften
"Hawaiki" aus den Legenden. Die Polynesier waren
ausgezeichnete Seefahrer und Navigatoren, und die von Generation
zu Generation mündlich überlieferte Legende will wissen, daß
sie das "Land der langen weißen Wolke" gegen Mitte des
vierzehnten Jahrhunderts auf sieben großen Kanus erreicht haben.
Die bereits seit dem achten Jahrhundert ansässigen Moa-Jäger
wurden von ihnen zurückgedrängt.
Die Maoris sind wie die übrigen
Polynesier Menschen untersetzten Typs, die wohl insgesamt stark
zur Fettleibigkeit neigen, denn schlanke Menschen findet man
unter ihnen kaum. Ihre Gesichter wirken leicht aufgedunsen, und
sie erwecken ihrer einstigen Gefährlichkeit zum Trotz heutzutage
keinen kriegerischen Eindruck mehr, sondern umgekehrt, einen eher
stark verweichlichten, aber dies mag an dem Wohlergehen liegen,
das ihnen mehrheitlich zuteil wurde. Ihre Hautfarbe ist dunkler
als die der Weißen, aber heller als die eines Schwarzen. Ihre
Gesichtszüge sind weich und fließend, starke Behaarung bei
Männern findet man kaum. Die Maori-Frau gebiert in ihrem Leben
ungefähr zweimal so häufig Kinder wie eine weiße
Neuseeländerin, und eines Tages, wenn der Trend anhält, wird
das Land wieder ganz den Maoris gehören. Die wenigen
Begegnungen, die ich mit Maoris hatte, verleiten mich zu der
Annahme, daß sie zwar scheu, aber freundlich sind.
Am Abend sind wir zu einem
traditionellen Hangi-Essen geladen, mit allem was dazugehört. Da
wäre zunächst das Begrüßungsritual, das mehr ist als nur eine
Touristenattraktion und sehr ernst genommen wird. Sogar die
Königin von England mußte sich anläßlich ihres
Neuseelandbesuchs diesem Brauch, der auch und gerade in den
höchsten Kreisen Einzug findet, unterziehen. Täuschend echt und
mit besonderer Inbrunst werden dem Besucher Äußerungen
abverlangt, die ihn als Freund oder Feind ausweisen. Dabei ist
vieles an dem Annäherungsgebaren der "Wilden" einem
Angriff oder einer Herausforderung zum Verwechseln ähnlich:
Drohgebärden, Urlaute, Stampfen und Zischen, das Rollen der
Augen und das Herausstrecken der Zunge, so weit es möglich ist,
in Verbindung mit einem Scheinangriff mittels Speer ließen wohl
in der Vergangenheit so manchen Fremden erschaudern oder
umgekehrt entsprechend aggressiv reagieren, der größte Fehler,
den man begehen konnte. Unweigerlich hätte ein Lachen oder
ebenfalls ein Herausstrecken der Zunge, das Zuwenden des Rückens
sofort einen todbringenden Angriff herbeigeführt. Nur der
"Chief" Frauen werden in dieser Rolle nicht
anerkannt -, der mit stoisch gleichgültigem Blick, ohne Hohn und
Spott sowie ohne ein Anzeichen von Furcht dem Scheinangriff
standhält, wird als Freund akzeptiert, vorausgesetzt daß er das
ihm zu Füßen gelegte Blatt aufhebt und ehrerbietig zurückgibt.
Schon die Erwiderung des Warnsignals, welches bei Annäherung von
Fremdlingen mit einer Riesenmuschel gegeben wird, hatte zu Zeiten
der Entdecker dazu geführt, daß diejenigen, die als erste mit
dem Beiboot an Land gingen, mit Keulen erschlagen wurden und im
Kochtopf landeten. Übrigens verwendet der Maori-Krieger im Kampf
keinerlei Waffen, die die Hand verlassen, sondern er benutzt
dafür ausschließlich seinen Schlagstock, der an einem Ende
spitz - zum Zustoßen - und am anderen platt - zum Schlagen -
zuläuft.
Das Hangi-Essen ist heutzutage
natürlich wesentlich reichhaltiger als die ursprüngliche
Ernährung der Maori, wird aber nach wie vor auf traditionelle
Art im erhitzten Boden zubereitet. Reichhaltig ist das Angebot an
Meeresfrüchten: Austern, Muscheln und Garnelen. Allerdings finde
ich die vielen albernen Beigaben zu amerikanisch für meinen
Geschmack, für Amerikaner, wofür man uns offenbar gehalten hat,
jedoch durchaus passend.
Der nächste Tag beginnt mit einer
Fahrt zu dem bei dem verheerenden Vulkanausbruch des
Tarawera im Jahre 1886 verschütteten Dorf
Te Wairoa, welches zum Teil wieder ausgegraben
wurde, um ein Museum daraus zu machen. Bei diesem Ausbruch des
Vulkans sind die von aller Welt als Achtes Weltwunder
bezeichneten weißen und pinkfarbenen Sinterterrassen für immer
und ewig zerstört worden und sind heute von Lavaströmen
zugedeckt. Die Fahrt führt an zahlreichen ehemaligen Kraterseen
vorbei, dem Blauen und Grünen See und dem Okareka-See, die alle
landschaftlich herrlich gelegen sind und von Wäldern gesäumt
werden. Einen längeren Aufenthalt lohnt Waiotapu, ein
Thermalgebiet, wo man alle vulkanischen Erscheinungen, wie
Fumarolen, heiße Schlammtümpel,
Sinterterrassen in klangvolle Namen gekleidet hat, z.B.
Opal-See,
Champagner-Teich,
Teufelsbad. Im strahlenden Sonnenlicht kommen die
verschiedenen Farben, die zu diesen vulkanischen Erscheinungen
gehören, voll zur Geltung, so daß es ein großartiges Erlebnis
ist, wenn man wie wir das Glück hat, daß die Sonne lacht. Gelb
ist der Schwefel, weiß der Sinter, azurblau die Seen, schwarz
und graubraun die heißen Schlammtümpel; weißer, stinkender
Rauch steigt aus allen Erdspalten, und ringsum sind üppig-grüne
Wälder. Über die
Huka-Wasserfälle, zu denen man auch mit dem Jet-Boot
gelangen kann, fahren wir weiter zum Taupo-See, einem vor
Jahrmillionen bei einer gewaltigen Eruption des Taupo-Vulkans
entstandenen Einsturzkrater, der sich mit Wasser gefüllt hat und
heute den größten neuseeländischen Binnensee bildet. Hier am
Taupo-See hat man bereits freie Sicht auf den 2797 m hohen,
ständig mit Schnee bedeckten, Vulkan
Mount Ruapehu, einem von insgesamt drei Vulkanen, die
auf dem aus Lavafeldern aufgebauten Hochplateau von Tongariro
gelegen sind, welches zu einem der ältesten Nationalparks der
Erde erklärt wurde. Hier findet man neben einer endemischen
Flora auch einige nicht endemische Arten, wie etwa den Ginster,
der gerade in voller Blüte steht. Es ist ein karges Gebiet,
wenig anheimelnd, und ohne die hier gedeihende Vegetation könnte
man sich gut auf den Mars versetzt fühlen. Die nach dem Ruapehu
nächsthöheren Vulkane Tongariro und Ngauruhoe bekommen wir kaum
für längere Zeit zu Gesicht, da sie fortwährend von einer
alles einhüllenden Wolkendecke umgeben sind. Völlig isoliert in
dieser titanischen Landschaft steht das
Grand Château, ein Hotel, welches als Sprungbett für
die Skitouristen, die hier ihre Winterfreuden genießen wollen,
dient. Vom Salon des Hotels aus bietet sich ein großartiger
Panoramablick auf den Ngauruhoe, den wegen seiner typischen
Kegelform markantesten der drei Vulkane. Während die beiden
anderen erloschen sind, kam es beim Ruapehu in den letzten Jahren
häufiger zu Eruptionen, wobei allerdings keine Menschenleben zu
beklagen waren. Vulkane üben auf den Menschen seit jeher eine
Faszination aus. Ein Vulkan ist ein sogenanntes Phallussymbol,
und die Lava und Asche, die aus ihm hervorquillt oder ausgespien
wird, spendet Fruchtbarkeit. Wohl deswegen verehrten die Maoris
ihre Vulkane abgöttisch, und in einer ihrer Legenden steigt ein
Priester mit einer gefangenen Sklavin zum Kraterrand empor, um
seinen Göttern ein Menschenopfer darzubringen. Das unschuldige
Mädchen wird kaltblütig mit der Keule erschlagen, bis dann der
leblose Körper in den Krater hineinstürzt. Dies nährte bei den
Maori die Hoffnung auf Kriegsglück.
Waiouru, wo sich unser Campingplatz
befindet, ist ein verschlafenes Nest. Es gibt zwei sich kreuzende
Hauptstraßen, einige Motels, eine Tankstelle und ein paar
Geschäfte für das Nötigste. Die Holzhäuser, die eher Hütten
ähneln, unterscheiden sich nicht sonderlich voneinander. Haus
reiht sich an Haus, und es gibt keine Stichstraßen.
Bei regnerischem und trübseligem
Wetter verlassen wir den Ort, an dem wir ein deutsches
Aussiedler-Ehepaar kennengelernt haben. Mir ist, nachdem ich nun
das Land ein wenig zu kennen glaube, völlig unverständlich, wie
man sich zu diesem Schritt, den des Auswanderns nämlich,
überhaupt entschließen kann. Die Farmer haben es schwer;
Ackerbau wird offenbar aufgrund des zu rauhen Klimas wenig oder
gar nicht betrieben, und was die Viehwirtschaft anbelangt, hege
ich auch so meine Zweifel. An Bodenschätzen ist das Land
ebenfalls nicht überreichlich gesegnet. Das
Durchschnittseinkommen der Neuseeländer ist niedriger als
unseres - vielleicht auch, weil sie demographisch jünger sind -,
die Renten, die einmal ganz aus der Holzwirtschaft finanziert
werden sollen, sind äußerst schmal, und die Krankenversorgung
hinkt um Jahrzehnte der in Europa hinterher. Dazu ist das Klima
kalt, regnerisch und windig, und an kulturellen Einrichtungen
fehlt es überall, es sei denn, daß man sich mit Maori-Kultur
begnügt. Dazu kommt noch die Gefahr von Erdbeben, in geringerem
Maße auch von Vulkanausbrüchen. So glaube ich denn, daß man
seine Heimat schon besonders hassen muß, wenn man sich zu dem
Schritt, sie zu verlassen, entschließt.
Über Taihape gelangen wir, immer am
Ufer des Rangitikei entlang, nach Hunterville, ebenfalls ein Ort
der schon beschriebenen Art. Die nächste Station ist Bulls, wo
wir in Richtung Paraparaumu bei der Lindale Farm einen
kulinarischen Stop einlegen. Hier werden nämlich dreißig
verschiedene Käsesorten angeboten, und das Speiseeis schmeckt
ebenfalls vorzüglich. Besonders empfehlen kann ich
Ingwer-Nuß-Eis.
Nun ist es nicht mehr weit bis
Wellington, wo plötzlich die Wolkendecke aufreißt und sich ein
zartblauer Himmel im schönsten Sonnenlicht zeigt. Lediglich der
Wind, der durch die Cook-Straße fegt, ist etwas lästig. Mit
beachtenswerter Geschwindigkeit jagen die Wolken über den
Himmel; diese Gegend ist berüchtigt für die Röhrenden
Vierziger. Dies sind Winde, die besonders um den vierzigsten
Breitengrad mit äußerster Heftigkeit wehen und von
außerordentlichen Niederschlagsmengen begleitet sein können.
Von Wellington über die Cook-Straße
In Wellington, endlich eine
neuseeländische Stadt, die Stadtcharakter besitzt, muß man
unbedingt auf den Mount Victoria, von wo man eine
herrliche Aussicht über die Stadt und die Cook-Straße hat.
Die Stadt selbst besticht durch ihre außergewöhnliche
Sauberkeit. Nirgends findet man die von Europa her bekannten
Graffiti-Schmierereien noch sonstigen Unrat. Nicht einmal Raucher
trifft man auf der Straße an. Zudem ist alles hypermodern,
beachtenswert die Wolkenkratzerarchitektur. Keinesfalls entgehen
lassen sollte man sich eine Fahrt mit der historischen Cable Car
auf den Kelburn Hill, denn von der Bergstation hat man ebenfalls
einen
prächtigen Blick auf die Stadt.
Im neuerbauten Nationalmuseum findet
man verschiedene Ausstellungen zu Themen des Landes, u.a. werden
täuschend echte Erlebnisse eines Vulkanausbruchs geboten, man
kann in einen Erdbebensimulator treten, und es werden
lebensgroße Attrappen von Moa-Vögeln gezeigt.
Am Abend findet, bei Punsch und
Kerzenschein, eine kleine Weihnachtsfeier statt, die aufgrund des
starken Windes aber nicht im Freien stattfinden kann.
Am Morgen des Weihnachtstages
besteigen wir in Wellington die Fähre, um auf die Südinsel
überzusetzen. Da an diesem Tag die neuseeländischen
Sommerferien beginnen, ist die Fähre, der sogenannte
Interislander, gut besetzt. Zunächst sah es nicht so aus, als
würde das Wetter mitspielen. Dann aber lichten sich die Nebel
und es wird überraschend schön. Die grünlich-blaue See ist
heute, anders als sonst, nur mäßig bewegt, so daß wir eine
außerordentlich ruhige Überfahrt erwarten dürfen. Wenn man
bedenkt, daß in der Cook-Straße zumeist Stürme toben, so meint
es der Wettergott gut mit uns. Die Überfahrt von Wellington nach
Picton dauert ziemlich genau drei Stunden. Zunächst halten wir
uns in Küstennähe zur Nordinsel, bis wir Kap Terawhiti
erreichen. Hier ist zugleich die engste Stelle der Cook-Straße,
die wir nun überqueren, um in den Königin-Charlotte-Sund
einzulaufen. Hier, im Norden der Südinsel, befindet sich das
Gebiet der sogenannten Marlborough-Sunde, einer ertrunkenen
Gebirgslandschaft ähnlich der in Skandinavien. Dieses Gebiet ist
landschaftlich außerordentlich reizvoll, viele der Inseln sind
unbewohnt, und es ist ein ideales Revier für Segler, mit
zahlreichen stillen Ankerbuchten. Vom Winde verwöhnt ist diese
Welt der Inseln und Inselchen, der Fjorde oder Sunde seit jeher.
Dazu kommt eine unbeschreibliche, unberührte Natur, eines der
letzten Paradiese unseres Planeten: türkisblaue Wasser,
bewaldete, ins Meer stürzende Steilhänge, die mit einer
fremdartigen, entfernt verwandten Vegetation aufwarten, lassen
hinter jedem Kap, das man umrundet, mit einer neuen Überraschung
aufwarten. Noch ist dieses Paradies nicht vom Tourismus
heimgesucht, noch hat die Zivilisation mit all ihren negativen
Begleiterscheinungen, die vor allem auch der Tourismus mit sich
bringt, nicht überall Fuß gefaßt, und es bleibt zu hoffen,
daß dieses Weltnaturerbe noch lange Zeit unangetastet bleibt,
denn auf den Waldeshöhen des Hinterlandes haben großflächige
Rodungen unübersehbare Erosion nach sich gezogen.
Der Ort Picton, wo die Fähre anlegt,
ist beispielsweise Zentrum der Holzwirtschaft, und die
großangelegten Hafenanlagen verunstalten diesen einst reizvollen
Hafenort, in dem nur die wenigen hier ankernden Yachten noch
einen Hauch von Seemannsromantik vermitteln. Zwischen Picton und
Havelock verläuft eine atemberaubende Uferstraße, die immer
wieder
prächtige Ausblicke auf den Sund bietet. Über den Fluß, der
in diesen Sund mündet, welcher den Namen Pelorus Sound trägt,
führt eine Brücke,
Pelorus Bridge genannt, unter welcher man, bei einem
solch herrlichen Wetter wie heute, ein erfrischendes Bad in den
tiefgrünen, glasklaren Fluten nehmen kann. Das Wasser ist tief
genug, daß man sich von den Felsen herab mit einem Hechtsprung
ins kühle Naß stürzen kann. Ringsum sind zahlreiche Wanderwege
angelegt, die durch üppig-grüne Wälder führen: ein Ort, der
die Welt vergessen läßt.
Am Abend kommen wir am Eingang des
Abel-Tasman-Nationalparks an und lagern uns auf einen
Campingplatz direkt am Meer.
Im Abel-Tasman-Nationalpark
Die Bucht von Kaiteriteri ist
malerisch, wie von zwei Türpfosten, von zwei Inselchen
flankiert, die beide über Treppen leicht zugänglich sind und
eine Bilderbuchansicht vom Strand gewähren. Mehrere, immer
wieder auf die vorgenannte Art gegliederte Buchten reihen sich
aneinander und laden zu endlosen Strandspaziergängen ein. Wo
tagsüber sich zahlreich Freunde des Wassersports tummelten,
kehrt am Abend Stille ein, und es wird einsam. Wenn die Sonne
hinter den hohen Bergen, die bis an das Meer heranreichen,
versinkt und die ganze Küstenlinie der Südinsel sich im matten
Abendrot abzeichnet, wenn das Meer glatt wird und die Stürme,
die tagsüber tobten, abflauen, sind die Laute der Seevögel das
einzige, was die idyllische Ruhe unterbricht. Wenn du beschaulich
abwartest, wie zuerst nur der Abendstern aufleuchtet und dann
nach und nach die helleren Sterne am bläulichen Firmament
aufscheinen, wirst du das Kreuz des Südens über dir sehen, bis
die fahle Dämmerung allmählich in einen atemberaubend schönen
südlichen Sternenhimmel übergeht. Und wenn du dann in mondloser
Nacht zurückgehst und das Rollen der Brandung das einzige
Geräusch ist, das du hörst, mußt du dich nicht ängstigen,
denn wilde Tiere kennt diese Insel, die sich schon früh von
Gondwanaland abgetrennt hat, nicht.
Wenn du den Abel-Tasman-Nationalpark
durchwandern willst, so wähle den Küstenwanderweg, den du an
beliebiger Stelle beginnen und wo immer du willst unterbrechen
kannst. Du wirst für ihn mehrere Tage benötigen. Besteige also
in Kaiteriteri ein Wassertaxi, und "James Lee" bringt
dich an die Bucht deiner Träume. Ich habe den Weg von der
Torrent-Bucht bis nach Marahau begangen, und ich habe mit wenigen
Unterbrechungen acht Stunden für dieses Teilstück benötigt.
Zuerst wandte ich mich nach Norden in Richtung Barken-Bucht, um
wenigstens bis zur
Französischen Bucht vorzudringen und dort umzukehren. Nun bin
ich aber der Versuchung erlegen, mich auf einen Seitenpfad zu
begeben, der mich zu einem Aussichtspunkt hätte führen sollen.
Man kann den Hauptweg eigentlich nicht verfehlen, wenn man nicht,
wie ich es tat, bewußt davon abweicht. Zunächst fanden sich
noch einige Wegmarken, die dann aber immer seltener wurden oder
als umgestoßene Pfosten quer über den Weg lagen. Schon jetzt
wurde mir klar, daß dieser Pfad, den ich beschritt, nicht mehr
gepflegt wurde und nach und nach verwildert und zugewachsen war.
Auch verlief er zusehends steiler, sehr steil sogar, was mich
aber, als einen Geübten, nicht davor zurückschrecken ließ, ihn
immer weiter zu begehen, bis zur Spitze eines Berges, von dem ich
mir eine großartige Aussicht hinab auf die Französische Bucht
versprach. Doch sollte ich mich täuschen, denn dichtes Buschwerk
hinderte die Sicht nach allen Seiten, und ich fing an zu
zweifeln, ob es dort jemals einen Aussichtspunkt gegeben hat.
Zudem schien der Weg sich zu verzweigen, und auch die verzweigten
Wege verästelten sich weiter, so daß ich mich in einem
Labyrinth von Pfaden verirrt zu haben glaubte. Doch mit der mir
eigenen Verbissenheit bahnte ich mir meinen Weg zum Gipfel, den
ich auch tatsächlich erreichte; aber den Rückweg verfehlte ich.
Schon bald sah ich mich nur noch von undurchdringlichem Gestrüpp
umgeben. Distelartige Pflanzen verwehrten mir ein Durchkommen,
doch ich mußte, ich wollte zurück. Je tiefer ich stieg, desto
mehr verstrickte ich mich auf ungangbarem Boden. Ich wußte, daß
ich auf dem Kamm bleiben mußte, um nicht nach rechts oder links
ins Meer abzustürzen. Denn schwimmen konnte ich nicht mit meiner
Photoausrüstung, die mich außerordentlich behinderte. Außerdem
hatte ich eine Kamera sowie mehrere Wechselobjektive erst vor
zwei Jahren eingebüßt, als ich rücklings von einem
Schlauchboot ins Meer fiel, und so etwas durfte mir nicht schon
wieder passieren. Unvermeidlich geriet ich auf immer
abschüssigeres Gelände, wo ich mich nur noch mit dem Einsatz
der Hände von Baum zu Baum hangeln konnte. Schließlich wurde
das Gestrüpp fast undurchdringlich, ich sah den Boden nicht
mehr, auf den ich trat. Doch fallen konnte ich nicht weit, denn
Zweige und Lianen hielten mich wie in einem engmaschigen Netz
gefangen. Jeder weitere Tritt kam nun einer Befreiungsaktion
gleich, für fünf Meter Vorankommens benötigte ich die gleiche
Anzahl an Minuten. Nervös schaute ich auf die Uhr, die Zeit lief
mir davon, geschweige denn, daß ich mir mit jedem Meter, den ich
vorankam, etliche weitere Schnittwunden und Hautrisse
einhandelte. Zum Glück schützte die Sonnenbrille vor einer
Verletzung der Augen, aber vor lauter Dunkelheit sah ich nichts.
Ich blutete bereits aus mehreren Wunden, aber ich achtete nicht
auf den Schmerz, wenngleich ich, um mich selbst immer wieder
anzufeuern, mit jedem Fehltritt einen lauten Urschrei ausstieß.
Mein eigenes Keuchen war das einzige Geräusch in einer
geräuschlosen Umgebung. Da vernahm ich plötzlich das
Plätschern eines Baches, und ich ging diesem Geräusch nach, bis
ich schließlich das Bächlein tief eingeschnitten unter mir sah.
Über diesen Bach, der mir den Rückweg abschnitt, mußte ich
hinüber, um zurück auf den Wanderweg zu gelangen. Wie vom
Himmel gefällt, lag ein Baum quer über den Taleinschnitt, so
daß ich zunächst ohne Mühen hinübergelangte, aber
schließlich wurde meine Vorfreude auf Rettung durch den überaus
steilen Anstieg auf der anderen Seite jäh gedämpft. Ich konnte
mich nur mit äußerstem Kraftaufwand von Baumstamm zu Baumstamm
ziehen und verlor dabei soviel Schweiß, daß mich bereits der
Durst peinigte, abgesehen davon, daß ich immer wieder umkehren
und absteigen mußte, wenn es bergan nicht mehr weiterging.
Hätte ich nicht zuvor eine ganze Tafel Schokolade aufgezehrt,
ich hätte niemals die Kraft besessen, um in diesem Kampf gegen
die Natur zu bestehen.
Da ging ich in mich und dachte nach,
was in dieser Situation angebracht schien. Ich hatte ein
Mobiltelephon in meinem Rucksack, und auch die Rufnummern einiger
Prospekte hätten mir Hilfe bringen können, was also sollte ich
tun? Doch noch war ich nicht verzweifelt genug, um von diesem
letzten aller Hilfsmittel Gebrauch zu machen. Erst wenn ich mir
etwas gebrochen haben würde und ich nicht mehr weiter konnte,
wollte ich auf eine Fremdrettung zurückgreifen. Der zündende
Gedanke, der mir dabei kam, war folgender: Wo ein Bach fließt,
so dachte ich mir, brauchte ich doch nur die Flußrichtung
festzustellen und dem Gefälle zu folgen, denn ich wußte ja,
daß der Bach ins Meer fließen mußte, das tief unter mir war.
In der prekären Lage, in der ich mich befand, hätte ich
notfalls auch meine Photoausrüstung geopfert und mich schwimmend
gerettet. Doch auch diese, zweifellos richtige Entscheidung war
nicht ohne Hindernisse umzusetzen. Das Wasser war eiskalt, aber
wo es ging, watete ich durchs Wasser. Auf moosbedeckte Felsen
trat ich nur, wenn ich mich gleichzeitig an einem Baum oder einer
Liane festhalten konnte, und so schwang ich mich wie ein Affe von
Baum zu Baum, sprang von Fels zu Fels, stets den Abgrund vor
Augen. Das größte Hindernis dabei stellten die vielen kleinen
Wasserfälle dar, über die ich mich nur mit Hilfe von Lianen
ablassen konnte. Wo ich das Bachbett an einigen Stellen verlassen
mußte, griff ich wild um mich nach Baumstämmen, aber nicht alle
boten Halt. Viele abgestorbene Bäume habe ich dabei aus ihrer
Verankerung gerissen, aber was bedeutet schon Naturschutz, wenn
es um ein Menschenleben geht. Schnell bekam ich heraus, was einen
gesunden Baum von einem morschen unterscheidet, nämlich die
Rinde. Die Rinde gesunder Bäume, die gut Halt bieten, ist hell,
im Gegensatz zur dunklen Rinde bereits abgestorbener Bäume.
Palmstümpfe durfte ich meist überhaupt nicht anfassen, ohne
nicht von feinem Holzstaub während des Zerbröselns eingenebelt
zu werden.
Nachdem ich etwa eineinhalb Stunden
in dieser grünen Hölle zugebracht hatte, und dies nur deshalb,
weil ich einen Pfad, für den ich nicht mehr als zehn Minuten
gebraucht hätte, verfehlt hatte, stand ich plötzlich, nicht
ohne einen Anflug von Euphorie, am Meer, vom Sonnenlicht
geblendet, watete hinaus in die Bucht, in der einige Boote
vertäut und solche die vor Anker lagen und auf denen sich
Menschen befanden, denen ich zuwinken konnte. Noch immer wollte
ich mir nicht die Blöße geben, um Hilfe zu bitten, und ich
verzichtete darauf, die Leute, die mir hätten helfen können,
durch Schreien und Winken herbeizurufen. Mich am steilen
Uferbewuchs entlanghangelnd, gelang es mir schließlich, den Weg
wiederzufinden, und unvermutet stand ich unter der Hängebrücke,
die am Weg des Küstenwanderweges liegt und die Bucht
überspannt, unweit der Stelle, wo ich die Abzweigung genommen
hatte. Ich kann nicht ausdrücken, was ich über die Rettung, die
ich nur mir selbst zu verdanken hatte, empfand. Es war, glaube
ich, so ein Gefühl, als würde die Vorsehung es nicht zulassen
wollen, daß ich ein solch schmähliches Ende nehmen sollte. Und
es war ein Sieg des Geistes über die Materie.
Nachdem ich solches erlebt hatte,
verblieb mir nur wenig Zeit für einen, in Anbetracht der schon
verstrichenen Zeit, unglaublich langen Rückmarsch, der mehr als
fünf Stunden in Anspruch nehmen würde und den ich halb laufend,
halb hinkend zurücklegte, stets die Möglichkeit in Erwägung
ziehend, an den Strand hinabzugehen und eines der zahlreichen
Wassertaxis aufzuhalten, die in Ufernähe vorbeifuhren. Mein
rechtes Bein schmerzte höllisch, und ich blutete aus vielen
kleinen Schnittwunden, die wie Feuer brannten.
Der Küstenwanderweg ist
außerordentlich sorgfältig präpariert, sämtliche Hindernisse
wurden aus dem Weg geräumt, Wasser führende Stellen
überbrückt, so daß man ihn mit Ausnahme der Zeitdauer, die
seine Begehung in Anspruch nimmt, nicht als schwierig bezeichnen
kann. Er windet sich wie ein Laubengang und stets
schattenspendend von Regenwaldbäumen überdacht um zahlreiche
malerische Buchten herum, verläuft einmal fast auf Meeresniveau,
ein andermal in respektablen Höhen über dem Meer. Von der
Torrent Bay hinüber zur Anchorage Bay gelangt man je
nach Wasserstand auf dem Niedrigwasserweg in einem Drittel der
Zeit, die der Hochwasserweg in Anspruch nimmt. An zahlreichen
Stellen plätschern Bäche ins Meer hinab und münden in seine
Buchten, die sämtlich von einer üppig-grünen Flora bestanden
sind, die Lebensraum einer wundersamen Vogelwelt ist. Die
Te-Pukatea-Bucht und den
Pitt-Kopf
lasse ich links liegen. Selbst für einen
kurzen Badestop an einem der idyllischen Strände, wie etwa der
Stillwell-Bucht, der
Appletree-,
Coquille- oder
Tinline-Bucht reicht meine Zeit nicht mehr aus. Mit
Sehnsucht erhasche ich immer wieder phantastische Ausblicke auf
die
Fisherman- und
Adele-Inseln, auf die im smaragdgrünen Wasser vor
Anker liegenden Yachten, umgeben von einer subtropischen
Palmenvegetation, aber ich kenne nur einen Gedanken, und der
heißt Marahau, unser ausgemachter Treffpunkt.
Mit zehnminütiger Verspätung treffe
ich dort ein, den Schmerz in meinem rechten Fuß, der schon stark
angeschwollen ist, fühlte ich längst nicht mehr, und nun muß
ich Rechenschaft ablegen und berichten, welches der Grund meiner
Verspätung ist, und erschöpft, wie ich aussehe, könnte ich
nicht leugnen, daß mir Schlimmes widerfahren ist. So ist denn
alles noch einmal gut gegangen, und es ist eine Gnade des
Himmels, daß uns zwei wunderschöne Tage im Norden der Südinsel
vergönnt waren, was beileibe nichts Selbstverständliches ist.
Bei strahlendem Sonnenschein
verlassen wir am Mittwochmorgen Kaiteriteri an der Tasman-Bucht
und fahren durch eine typische Mittelgebirgslandschaft, die so
gut wie menschenleer ist, bis wir den Owen erreichen und
schließlich den Buller, der bei Westport in die Tasman-See
mündet. Hier, am östlichen Zipfel der Karamea-Bucht, liegt Kap
Foulwind, eine abgeschiedene dramatisch-wilde
Küstenlandschaft, auf die riesige Wogen zurasen, die sich
an den Klippen unter turmhohem Aufschäumen brechen. Dieses Kap
ist zugleich Robbenkolonie, und auch viele andere Tier- und
Pflanzenarten kommen hier vor. Am höchsten Punkt der Steilküste
steht eine Gedenktafel für Abel Janszoon Tasman, der im Jahre
1642 unweit von Kap Foulwind Land sichtete und somit als
Entdecker Neuseelands gilt.
Unsere Route führt weiter längs der
Küste durch den Paparoa-Nationalpark, dessen herausragende
geologische Sehenswürdigkeit die sogenannten Pfannkuchenfelsen
bilden. Unterschiedlich und abwechselnd harte, dünne
Erosionsschichten im zugrunde liegenden Sedimentgestein erwecken
in der Tat den Eindruck, als wäre eine überdimensionale Ladung
Pfannkuchen übereinandergeschichtet worden. Hinzu kommt, daß
das Meer Auswaschungen im Fels entstehen ließ, so daß die
Brecher durch das dabei entstandene Loch hindurchbranden und
hinter dieser natürlichen Felsbrücke gegen die Steilwände
donnern. Entlang der ganzen Küste sind zahlreiche bizarre
Klippen geformt worden, die allerlei Phantasiegebilde entstehen
ließen. Im Paparoa-Nationalpark steht eine Reihe von angelegten
Wanderwegen zur Auswahl, u.a. der sogenannte
Pororari-Flußwanderweg, der sowohl mit dem Kajak als auch zu
Fuß in einer mehrtägigen Tour erschlossen werden kann.
Besonders reizvoll ist die Einfahrt vom Meer her. Unter steil
aufragenden Felswänden findet sich eine besondere Palmenart,
deren Verbreitungsgebiet genau hier endet. Wir aber haben für
eine mehrtägige Wanderung keine Zeit, denn unser nächstes Ziel
ist der Mount Cook mit seinen beiden Gletschern, dem Fox Glacier
und dem und dem Franz-Josef-Gletscher. Also nächtigen wir im
regenreichen Greymouth.
Durch den Westland-Nationalpark
In der Nacht steigern sich die
Regenfälle zu einem solchen Ausmaß, daß ich morgens in einem
nassen Bettzeug aufwache. Dies allein wäre noch nicht so
schlimm, aber der Regen setzt sich tagsüber fort, und zwar in
solchen Mengen, daß einen das nackte Entsetzen packt. Es fällt
innerhalb von vierundzwanzig Stunden die gesamte Regenmenge, die
für Christchurch als Monatsmittel angegeben wird. Somit setzt
ein gewisses Bangen ein, ob unser geplanter Helikopterflug zu den
Gletschern hinauf auch tatsächlich durchgeführt werden kann.
Nach den Prognosen der Wetterkarte liegt ein Tief, zweimal so
groß wie ganz Neuseeland, dessen Ausläufer bis nach Auckland
reichen, über der Insel. Die großen Gletscher Neuseelands sind
der Franz-Josef-Gletscher, der vom Mount Tasman herabkommt, sowie
der Fox-Gletscher, der noch einmal um einiges länger ist. Das
Besondere an diesen Gletschern ist, daß sie bis auf eine Höhe
zwischen 275 und 300 Metern über dem Meeresspiegel herabreichen,
also direkt in den Regenwald hinein. Seit 1865 ist ein stetiger
Rückgang der Gletscherzunge zu beobachten, der mit der globalen
Erwärmung seit Beginn des Industriezeitalters zusammenhängt.
Bemerkenswerterweise wächst der Gletscher seit 1970 wieder, was
jedoch als Sekundäreffekt gedeutet wird und auf die vermehrten
Niederschläge zurückzuführen ist, die aufgrund der
Temperaturzunahme an eine erhöhte Feuchtigkeitsaufnahme der Luft
gekoppelt sind. Die Fließgeschwindigkeit beider Gletscher
beträgt etwa zwei Meter pro Jahr. In der Gegend um den Mount
Cook liegen vier der höchsten Berge Neuseelands, die alle die
Dreitausendergrenze überschreiten. Darunter finden sich neben
dem Mount Cook mit 3764 m, als dem höchsten Berg Neuseelands, so
namhafte Gipfel wie der Mount Tasman (3498 m), der Mount Sefton
(3157 m), der Malte Brun (3155 m) und Elie de Beaumont (3117 m).
Nachdem der ganze Tag wolkenverhangen
war, kommen am Abend noch einige Sonnenstrahlen zum Vorschein.
Der Fels ist hier von einer karminroten Flechtenart überzogen,
die den herumliegenden Gesteinsbrocken ein Aussehen verleihen,
als ob auf ihnen ein Schlachtopfer stattgefunden hätte.
Unvermutet schießt ein goldener Strahl der untergehenden Sonne
aus den Wolken hervor und übeflutet die den Gletschern
vorgelagerten Berge, die sich blendend-weiß gegen den sich
abzeichnenden Nachthimmel abheben, mit einem weichen Abendlicht,
was der Szenerie ein gespenstisches Aussehen verleiht. Grautrüb
eingefärbt, mit weißen Schaumkronen versehen, rauschen die
Fluten wie Sturzbäche von den Gletschern herab und breiten sich
vielgliedrig über eine weite Schwemmlandebene aus.
Die Teerstraße zum Franz-Josef-Hotel
kann auch bestens als Wanderweg benutzt werden, denn nur
äußerst selten muß man einem entgegenkommenden Fahrzeug
ausweichen.
Die für heute morgen angekündigten
Helikopterrundflüge können unerwartet stattfinden, denn am
Morgen reißen die Himmel auf, und die Sonne taucht die frischen
Neuschneemassen auf den Gletschern in ein blendendes Weiß. Noch
immer ziehen einige unschlüssige Wolken über die Gipfel hin,
die bald freigegeben, bald wieder eingehüllt werden. Die Piloten
haben Erfahrung, und sie wissen, daß frühmorgens die
Sichtverhältnisse am besten sind. Wir fliegen in drei Wellen.
Ich habe mich für die letztere entschieden und wollte damit den
anderen ein Schnippchen schlagen, aber ich muß es bereuen, denn
wir als die letzten bekommen den Mount Cook nicht mehr zu sehen.
Dafür gehen wir über den Fox-Gletscher, und nicht wie die
anderen über den Franz-Josef-Gletscher, nieder, den wir auch
hinaufgeflogen sind. Es gibt in den Alpen und im Himalaja sicher
großartigere Gletscher und imposantere Berge, und der Hauptreiz
der Unternehmung liegt sicherlich darin, der zwei höchsten Berge
Neuseelands überhaupt ansichtig zu werden. Der Flug hinauf und
mehr noch hinab, durch die Nebelschwaden hindurch, ist
faszinierend. Gewaltige Eisbrüche türmen sich, wo der Gletscher
an Kanten abreißt. Hoch oben auf dem Kamm machen wir eine
Schneelandung und verlassen alle den Hubschrauber.
Zwischen den gelb-rosa zerrissenen Wolkenfetzen zeichnet sich das
Gipfelmassiv des Mount Tasman ab. Die Wolken und das sie
durchflutende Sonnenlicht erzeugen eine bedrohliche Kulisse. Kaum
zehn Minuten sind vergangen, daß ich, barfuß in Sandalen, durch
den Schnee gestapft bin, und schon winkt der Pilot zum
Weiterflug. Die Wolkendecke zieht zu, und der Abflug wirkt wie
eine Flucht, was dem Ganzen noch etwas mehr Spannung verleiht.
Über dem Gletscher haben wir einen herrlichen Blick hinaus aufs
Meer, und als wir landen, möchte man meinen, man sei auf einer
saftigen Almweide in Oberbayern. Obgleich es nur ein kurzes
Vergnügen war, dürfen wir uns dennoch glücklich schätzen,
daß es uns überhaupt vergönnt war, diesen Flug durchzuführen,
zumal wir uns nur einen einzigen Tag in Franz Josef aufgehalten
haben.
In der Nähe von Fox Glacier befindet
sich der Matheson-See, in dem sich bei günstigen Licht- und
Wetterverhältnissen Mount Tasman und Aoraki spiegeln, ein
beliebtes Postkartenmotiv. Nach diesem kurzen Abstecher setzen
wir die Fahrt fort und legen am Ship Creek, der nach einem hier
gestrandeten Schiff so benannt wurde, den nächsten längeren
Aufenthalt ein. Kaum irgendwo anders als hier ist der
Regenwald, der immergrün ist, also das ganze Jahr
über sein Laub nicht abwirft, schöner und von größerem
Artenreichtum. Anders als bei uns, wo nur die Wetterseite der
Bäume moosbedeckt ist, ist hier der Baum rundum mit Moos
überzogen, so daß er aussieht, als wäre er in einen grünen
Pelz gekleidet. Auch lebt selten eine Pflanze allein; sie ist
stets von anderen überwuchert oder überwachsen. Derart
vorteilhaft hat die Natur es eingerichtet, daß viele Arten
zugleich sich in perfektem Zusammenleben in einen in Anbetracht
der spärlichen Lichtverhältnisse äußerst knappen Lebensraum
teilen. Der Wald ist dunkel, aber licht genug, daß selbst noch
unter Wasser allerlei Schlingpflanzen ausreichend Licht für die
Photosynthese erhalten. Anders als bei uns hat die Natur hier
viel- und feingliedrige Blattformen entwickelt; besonders
kleinblättrige sind es, die dominieren. Sie folgen dem Beispiel
des Farns, der auf Neuseeland massenhaft vorkommt und neben den
verschiedenen Arten von Moosen den besonderen Reiz dieses
Regenwaldes ausmacht. Das Wurzelwerk der Bäume steht unter
Wasser, und Tröpfchen von Wasser hängen an allen Enden; wie
silbrig-glänzende Perlenschnüre aufgereiht ziehen sie die
Zweige nach unten. Aus den Baumkronen fallen ständig schwere
Tropfen in das rostfarbene, im Flachen gelblich erscheinende
Wasser, das im Schatten sich bis ins Tiefschwarze verfärbt. Es
ist ein mooriges, äußerst weiches Wasser, das aus dem Urgestein
kommt.
Viele der hier natürlich
vorkommenden Pflanzen kennen wir von Zuhause als Zimmerpflanzen,
die wenig Wärme brauchen, aber viel Wasser benötigen.
Unsere Route führt noch ein Stück
Wegs die Westküste entlang. Bei Knights Point kann man mit dem
Fernglas Robben beobachten. An der gesamten Küste tauchen immer
wieder spektakuläre Felsformationen auf. Bei Haast führt unser
Weg nunmehr landeinwärts, zur Wasser- und Wetterscheide am
Haast-Paß. Dieses Gebiet wurde, benannt nach dem höchsten Berg
der Region, zum Aspiring-Nationalpark erklärt.
Im Bereich der Südlichen Alpen sind
zahlreiche Wanderungen möglich, von denen sich einige über
mehrere Tagesetappen erstrecken. Unsere Zeit reicht nur für
etliche kleinere Wanderungen aus und für Abstecher zu einigen
Wasserfällen, z.B. den sogenannten Jetty Bills Falls. Zu den
"Blauen Teichen", wo man zur Laichzeit Forellen
beobachten kann, führt ein 30minütiger Fußweg hin, durch Wald
und über eine Hängebrücke. Riesige Silberbuchen, die wiederum
gänzlich moosbedeckt sind, vermitteln einen urwaldähnlichen
Eindruck. Ungefähr so müssen auch unsere heimischen Wälder
einmal ausgesehen haben, ehe er Mensch kam und sie rodete.
Nach Überschreitung des Haast-Passes
kommen wir in ein Gebiet, das als äußerst trocken gilt, aber
wir finden dort anstatt Trockenheit nur Feuchtigkeit, und zwar in
Form von Regen. Die Berge sind bis in die Gipfelregion hinauf
ohne Baumwuchs; nur eine Art Macchia gedeiht hier. Der Lake
Wanaka ist der erste einer Reihe großer Seen, die im Hinterland
des Fiordland-Nationalparks liegen. An der Stelle, wo sich der
Wanaka- und der Hawea-See am dichtesten annähern, hat man bei
gutem Wetter einen herrlichen Anblick, der etwas von einer
großartigen Majestät besitzt. Schließlich erreichen wir
Wanaka, wo die Unbilden der Witterung gar sehr auf unsere
Stimmung drücken.
Als wir am nächsten Morgen erwachen,
hat es wieder die ganze Nacht geregnet, so daß viele nicht aus
dem Bett wollen. Bereits im letzten Jahr hat es hier so starke
Niederschläge gegeben, daß der ganze Campingplatz von Wanaka
überflutet war. Noch während wir frühstücken, reißt der
Himmel plötzlich auf, und das Sonnenlicht taucht die
schneebedeckten Berge in ein blendendes Weiß. Der Himmel ist von
einer einzigartigen Klarheit an diesem Morgen, aber einige
hartnäckige Wolken halten sich noch in den Gipfelregionen. Unser
Campingplatz liegt direkt am See, der, spiegelglatt, in der
morgendlichen Kühle tiefblau schimmert. Wir messen 4,5° C
Lufttemperatur, und dies unmittelbar nach Sommersonnenwende, wenn
bei uns in Europa normalerweise die heißesten Tage herrschen.
Die Schneefallgrenze ist auf etwa 800 m abgesunken, so daß die
umliegenden, gänzlich unbewaldeten Berge wie überzuckert
aussehen. Alles deutet auf den Durchzug einer Kaltfront hin, denn
bald danach wölkt der Himmel erneut zu, und es fängt an zu
regnen.
Immer der Nationalstraße Nr. 6
folgend, erreichen wir, von Wanaka aus, alsbald das Kawarau-Tal
und gelangen zur berühmten Suspension Bridge, der ersten
Brücke, von der jemals ein Bungy Jumper herabgesprungen ist. Es
war ein Neuseeländer namens A.J. Hackett, der das Bungy Jumping
erfand, das nun seine weltweite Verbreitung gefunden hat. Dieser
hat sich übrigens noch dadurch einen Namen gemacht, daß er sich
als erster vom Eiffelturm herabstürzte.
Natürlich werden wir von unserem
Guide gefragt, ob einer von uns einen Sprung wagen möchte. Mein
Geldbeutel schreckt jedoch vor dem Preis zurück, denn ein
Sprung, der nur ganze zwei Sekunden dauert, kostet 180
Neuseeland-Dollar oder umgerechnet 200 DM, und das ist mir die
Sache nicht wert. Außerdem habe ich die gute Ausrede, daß mein
Bein noch immer stark angeschwollen ist und bei jedem Tritt
schmerzt (und Bungy Jumper werden nun einmal am Bein angebunden).
Ich hoffe freilich, daß mich deswegen niemand für einen
Feigling hält, denn wenn mir das jemand gesagt hätte oder auch
nur eine abschätzige Bemerkung gemacht hätte, wäre ich
selbstverständlich gesprungen, daran gibt es gar keinen Zweifel.
Übrigens haben sich angeblich schon Neunzigjährige von dieser
Brücke heruntergestürzt, aus welchem Grund auch immer
(vielleicht aus Lebensmüdigkeit in der Hoffnung, daß das Seil
reißt). Gleichwie, das Ganze ist ausschließlich aufs
kommerzielle ausgerichtet, und was zählt, ist nicht der Mut -
denn Bungy Jumping ist sicher -, sondern die Hebung des
Selbstwertgefühls, und dies, glaube ich, habe ich nicht nötig.
Einer aus unseren Reihen will den Sprung dennoch wagen, und als
er anschließend auch noch zwei Kinder vor dem Ertrinken rettet
und sich ins eiskalte Wasser stürzt, wird er zum gefeierten
Helden des Tages. Hinterher über seinen Sprung befragt, gibt er
sich bescheiden: er braucht offensichtlich die Akzeptanz der
Gruppe. Ich persönlich hätte mich zutiefst geschämt, wenn ich
wie Tarzan mit geschwellter Brust auf dem Vorsprung stehen und
mich mit einem ästhetischen Hechtsprung hätte hinabstürzen
müssen, von einer Videokamera gefilmt und von allen im Bungy
Center auf dem Monitor beobachtet, und das alles nur, um Applaus
zu ernten. Man erhält in Anerkennung seiner Leistung ein
Zertifikat, ein T-Shirt und den Videoclip: ein schönes Andenken!
Im Bungy Jumping Center genießen wir
abschließend noch einen Cappucino zu den stereotypen Rhythmen
der Techno-Musik, ehe wir uns fröstelnden Fußes wieder auf den
Weg machen. Unser nächstes Ziel ist Arrowtown, eine alte
Goldgräberstadt im Otago, wo gerade ein Flohmarkt stattfindet.
Ich wundere mich sehr über einen Harnischmacher bzw.
Schwertschmied, der hier am anderen Ende der Welt Streitäxte,
Turnierhelme und Morgensterne zum Verkauf anbietet. Was dieses
Spektakel allerdings in Neuseeland zu suchen hat, wird mir auf
ewig ein Rätsel bleiben. Der Ort ist zwar beschaulich, besitzt
aber außer vielen schmucken Geschäften und einem kleinen Museum
nichts, was einen längeren Aufenthalt lohnt. Also zieht es und
von hier fort, denn das prächtige Wetter und die umgebende
Bergwelt verheißen Gutes für unser nächstes Ziel Queenstown.
Queenstown
Q-Town, wie die Kiwis es nennen,
ist ein Ort, der vor allem junge Leute anzieht, Tramps aus aller
Welt, die von hier aus ihre Trekking-Touren beginnen. Obwohl die
Stadt nur dreitausend Einwohner hat, gibt es etwa 20 000
Übernachtungsplätze, was beweist, daß Tourismus eine ihrer
Haupteinnahmequellen ist. Die Stadt liegt zu Füßen der
sogenannten
Remarkables, der "Außergewöhnlichen", denn
so nennt man die Hausberge der Stadt, von denen sie majestätisch
überragt wird. Unten im Hafen legt täglich eine altes
Dampfschiff an, das angeblich im Jahre 1912 gebaut
wurde. Wer ein Alter besitzt, welches das Baujahr diese Schiffes
übertrifft, darf kostenlos mitfahren. Auf der sogenannten Mall,
die Einkaufsstraße der Stadt, spielt sich geschäftiges Treiben
ab; es sind eindeutig die Rucksacktouristen, die hier dominieren.
Die ganze Stadt ist bis zum Überlaufen voll mit Menschen, die
sich in Scharen durch die zahlreichen Geschäfte drängen. Auch
der Zeltplatz ist so gut wie ausgebucht. Die besondere Attraktion
ist die Fahrt mit der Gondel auf
Bobs Peak, von dem sich eine wahrlich traumhafte
Aussicht auf den Ort, die umliegende Bergwelt und den
Wakatipu-See bietet. Viele der Jüngeren bevorzugen es wie ich,
den Berg zu Fuß zu bewältigen. Der Anstieg ist nicht sonderlich
mühsam, wobei einige mit besonders guter Kondition sich den Berg
offenbar als Jogging-Objekt ausgesucht haben. Auf der
Dachterrasse herrscht große Regsamkeit. Auch der berüchtigte
angelsächsische Kitsch darf nicht fehlen, man kann hier oben
nämlich Go-Kart fahren, Bungy Jumping treiben, Paragliden und
Sahnetörtchen essen. Nach ungeduldigem Warten auf die Sonne - um
dem überwältigenden Ausblick noch etwas mehr abzugewinnen -
mache ich mich wieder auf den Rückweg, komme pünktlich vor dem
einsetzenden Regen im Camp an, um mich, im Freien sitzend und am
ganzen Körper fröstelnd, an Frikadellen und Kartoffelpüree zu
laben.
Neuseelands größtes Problem ist
heute die unkontrollierte Ausbreitung eingeführter Tier- und
Pflanzenarten. Darunter fallen Kaninchen, Opossums, Ratten, Wild
und Ginster. Alle diese nicht endemischen Arten haben keine
natürlichen Feinde und können sich daher uneingeschränkt
ausbreiten, zu Lasten einheimischer Arten, die den Kampf ums
Überleben dadurch zu verlieren drohen. Die ersten Siedler, die
den Fehler, sie einzuführen, begangen haben, wußten noch nichts
von ökologischem Gleichgewicht, und ihnen kann daher kein
Vorwurf gemacht werden. Andere Arten wiederum teilen nicht das
Schicksal, Feind der natürlichen Arten zu sein. Dazu gehört die
Regenbogenforelle, die in den neuseeländischen Gewässern
bestens gedeiht und gar zu einem Fischerei-Boom geführt hat.
Auch Wild wurde angesiedelt und lockt Jäger aus der ganzen Welt
zum Abschuß. Die ersten Menschen, die die Landschaft Neuseelands
wirklich grundlegend veränderten, waren die sogenannten
Moa-Jäger, welche, um dem Vogel nachstellen zu können, die
Wälder abbrannten und damit das Aussehen der Südinsel
grundlegend veränderten. Wie wir bereits wissen, sind alle
vorkommenden Arten des Moa ausgerottet worden, denn die gesamte
Südinsel war einst von dichten, immergrünen Regenwäldern
überzogen, an deren Stelle heute das bereits unter Naturschutz
stehende Rote Tussock-Gras getreten ist. Obwohl dieses Gras sehr
weich aussieht, wenn es sich im Winde wiegt, ist es dennoch sehr
hart. Nachdem wir solchermaßen veränderte Landschaften
durchquert haben, gelangen wir schließlich an den Te-Anau-See am
gleichnamigen Ort. Hier beginnt der Fiordland-Nationalpark, und
von hier führt eine Gebirgsstraße zum "Achten
Weltwunder", dem Milford Sound.
Der Fiordland-Nationalpark
Aufgrund der zwölfstündigen
Zeitverschiebung zwischen Neuseeland und Deutschland fällt das
Neue Jahr auf den Weihnachtstag zwölf Uhr mittags. Von der
feierlichen Stimmung, die bei uns im tief verschneiten
Voralpenland zum Jahreswechsel herrscht, merkt man in Te Anau,
einem kleinen Ort, natürlich nichts. Zwar spielt eine Liveband
zum Auftakt Open Air, aber auch bei dem auf Sommer Eingestellten
lassen die frostigen Temperaturen keine rechte Gemütlichkeit
aufkommen. In den Pubs und Restaurants der Stadt ist ein
gemischtes Publikum aus aller Welt zusammengekommen, und jede
Gruppe will unter sich bleiben. Daher halten wir es für das
Beste, unsere Kräfte für den kommenden anstrengenden Tag zu
schonen und das Feiern des Jahreswechsels, oder wenn man so will,
des Jahrtausendwechsels, auf unser morgiges Ausflugsboot, wenn
wir gerade auf dem Milford Sound liegen, zu verlagern. Dort sind
wir dann jedoch so gut wie von der Außenwelt abgeschnitten, denn
die Mobiltelephone funktionieren im Nationalparkgebiet nicht.
Eine Viertelstunde früher als
gewöhnlich brechen wir am Neujahrstag des Jahres 2001, welcher
eigentlich der erste Tag eines neuen Jahrtausends ist, auf in
Richtung Milford Sound, der in Neuseelands größtem und
ältestem Nationalpark gelegen ist, dem Fiordland National Park.
Die Straße, welche in den Nationalpark führt, heißt im
Volksmund Via Mala. Bereits James Cook verzeichnete in seinem
Bordbuch, daß die Berge hier so dicht an dicht stehen, als
würden sie keine Täler zwischen sich dulden. Da es in den
vergangenen Tagen heftig geregnet hat, sind alle Gipfel und
Gletscher bis auf eine Höhe unterhalb von 800 m mit frischem
Neuschnee bedeckt, was das Imposante und Majestätische dieser
Landschaft ins Unglaubliche steigert. Der Milford-Sund reicht bis
auf 17 km ins Landesinnere, aber er ist damit nicht der längste
Fjord des Fiordland-Nationalparks, und er liegt so versteckt,
daß selbst James Cook dreimal daran vorbeisegelte, ohne die
Einfahrt zu entdecken. Cook ankerte im benachbarten Dusky Sound.
Dabei ist der Name Sound oder übersetzt Sund durchaus nicht
zutreffend, denn ein Sund ist ein von Flüssen geschaffener
Meeresarm. Waren hingegen Gletscher die Ursache seiner
Entstehung, so spricht man von einem Fjord. Dies wußten jedoch
diejenigen, die die Namen vergeben haben, noch nicht, und so
blieb es bei der alten Bezeichnung. Ehe wir jedoch an den
Milford-"Fjord" gelangen, müssen wir, gerechnet ab dem
Te-Anau-See, zuerst noch eine Strecke von über hundert
Kilometern zurücklegen und dabei sogar eine Paßhöhe von
ungefähr 900 m überwinden, den sogenannten Homer Pass, benannt
nach dem gleichnamigen Forscher, von dem der Vorschlag, einen
Tunnel zu bohren, um den Milford-Sund auch auf dem Landweg
erreichen zu können, stammt. Vorbei an etlichen Seen, darunter
dem Lake Gunn, kommen wir hinauf zur Paßhöhe, die zugleich
Wasser- und Wetterscheide ist. Die Tunnelröhre ist stark
gekrümmt, und was das Besondere daran ist, sie erstreckt sich
innerhalb des Berges über einen Höhenunterschied von etwa 200
m, mit dem Gefälle in Richtung Meer hin. Es ist nicht leicht,
größeren entgegenkommenden Fahrzeugen in der Röhre
auszuweichen. Nachdem man den Tunnel am anderen Ende wieder
verlassen hat, muß man in vielen Kehren hinab auf Meereshöhe,
eine sowohl landschaftlich als auch verkehrstechnisch große
Herausforderung, denn auf der anderen Seite findet sich das
regenreichste Niederschlagsgebiet der Erde. 8000 mm Niederschlag
pro Jahr lassen überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen, daß
wir im Fjord auf schlechtes Wetter treffen. In der Tat verläuft
die gesamte anschließende Bootsfahrt auf dem Sund in einer
düsteren und bedrohlichen Stimmung. Von überallher rinnen
Sturzbäche herab, die an Heftigkeit zunehmen, sowie es regnet.
Der als "Achtes Weltwunder" bezeichnete Fjord ist von
einer einmaligen majestätischen Schönheit, mit der es nicht
einmal der Geiranger-Fjord Norwegens aufnehmen kann. Im
Unterschied zu unseren Fjorden reicht die Vegetation bis auf die
Wasseroberfläche herab; alle Steilwände, und seien sie noch so
senkrecht, sind über und über mit Moos bewachsen, was zu dem
schwärzlichen, bisweilen metallisch glänzenden Trachyt einen
archaischen, urwüchsigen Kontrast darstellt. Der schwarze Fels
kontrastiert doppelt zu den schneebedeckten, wie mit Puderzucker
bestäubten Gipfeln, unter denen der auf sämtlichen Postkarten
als Hauptmotiv zu findende
Mitre Peak als dominierende Berggestalt vorherrscht.
Es ist dies ein sich durch seine außerordentliche
Ebenmäßigkeit auszeichnender, pyramidenförmiger Berg, der an
Berühmtheit hinter dem Matterhorn nicht zurücksteht. Einige
Maori-Legenden ranken sich um seine Entstehung. Wir würden uns,
befänden wir uns auf der Nordhalbkugel, in eine Welt der Feen,
Elfen und Kobolde zurückversetzt fühlen, denn alles ist knorrig
und zart verwoben. Zauberwäldern gleich, in denen der Druide des
Südens seinen Trank aus fremdartigen Pflanzen braut, in denen
der Anti-Siegfried sein Schwert schmiedet, um damit den Drachen
zu töten, dessen Blut auf das Gestein tropft, um es knallrot
einzufärben, sind die unvergleichlichen Regenwälder zum
Kulturerbe der Menschheit geworden. Niemals mehr möge sich
jemand daran vergreifen. Ich kenne die vielfältigen Pflanzen
nicht, die mich umgeben, als ich mich Schritt um Schritt in den
Wald hineinwage; es ist eine fremdartige Welt, die sich da vor
meinen Augen auftut, naß und nebelhaft; aus dem gierigen Schlund
der Urmutter triefend, fließen die Wasser in Strömen, und
niemals herrscht hier vollkommene Trockenheit. Glaube, Wanderer,
so du hier vorbeikommst, den Bildern nicht, dieweil sie dich
belügen, denn du wirst es niemals anders hier erleben.
Draußen vor der Anita-Bucht, wo
normalerweise die Wogen turmhoch aufgewühlt sind, ist die
Tasman-See spiegelglatt, so daß niemand an Deck befürchten
muß, naßgespritzt zu werden. Wir fahren daher weiter als sonst
hinaus aufs Meer, wo Cook dereinst vorbeisegelte, weil er den
Einlaß nicht fand, und sind mitten unter die Delphine geraten,
die sich dort im Verein mit Scharen von Seevögeln zum
Nahrungserwerb tummeln. In der Tat möchte man, wüßte man es
nicht besser, hinter dieser Kulisse keine Einfahrt vermuten.
Gegen zwölf Uhr mittags legen wir in
einer stillen Bucht zu Füßen des Mitre Peaks an, um auf das
Neue Jahr zu anzustoßen, in unseren Gedanken bei denen daheim,
die jetzt gerade den Wiener Walzer zu tanzen sich anschicken. Als
wir dann zu Fuß zum
Bowen-Wasserfall wandern, reißt für einen Moment der
Himmel auf und läßt ein wenig Blau durchscheinen, was uns wie
ein unbeschreibliches Erlebnis vorkommt. Doch das Gunst der
Stunde währt nicht lange, und das Malheur, welches schon von
Anbeginn an die ganze Reise überschattet hatte, Regen und
Kälte, erfährt noch einmal eine Steigerung. Alsbald brausen
wieder wahre Sturzbäche hernieder, und dichte Nebel hüllen die
Welt in ein undurchdringliches Weiß. Lediglich den Keas, einer
Papageienart, scheint dies alles recht wenig auszumachen. Diese
scherzhaften Freunde setzen sich frech auf die Straße hin, ein
gutes Dutzend. Sollen doch die Fahrzeuge ausweichen! "Die
Eindringlinge seid schließlich ihr," werden sie sich
gedacht haben. Alle wildlebenden Tiere dürfen nach dem Gesetz
nicht gefüttert werden, doch manche Touristen kümmert dies
recht wenig. Die Keas sind so zutraulich, daß sie dem Menschen
das Brot aus der Hand fressen. Sie verbeißen sich in alles, was
ringförmig ist und glänzt oder schreiend bunt ist. Auf dem
Nach-Hause-Weg reicht die Zeit noch aus für erbauliche
Spaziergänge am Ufer der Seen, an denen wir vorüberkommen und
die von einer phantastischen Flora umgeben sind. Ganze Felder
wilder Lupinen sind am Blühen, in höheren Lagen ist es die
Mount-Cook-Lilie, die, was Wunder, so spät in der Jahreszeit
noch blüht. Von den berüchtigten Sandfliegen, deren es am
Milford-Sund Myriaden geben soll, habe ich während der gesamten
Dauer unseres dortigen Aufenthalts kaum etwas gemerkt.
Die
Otago-Halbinsel
Fröstelnd und klamm verlassen wir
frühmorgens den Te-Anau-See Richtung Ostküste. Unser Tagesziel
ist Dunedin, eine in jeder Hinsicht schottisch anmutende Stadt an
der Ostküste. Die Fahrt führt durch Kulturland, welches man der
Natur durch Trockenlegung der vormaligen Sümpfe in zäher Arbeit
abgerungen hat. Das Land hatte man den Maoris zum Spottpreis
abgekauft. Die Landschaft bietet dem Neuseeland-Reisenden heute
so gut wie nichts mehr an Sehenswertem, es sei denn, man
interessiert sich für die Zucht von Schafen, denn von dieser
Gattung gibt es hier unzählige. Insgesamt sollen es im ganzen
Land 50 Millionen sein. Die Städte Gore und Balclutha sind
verschlafene Provinznester, von ständig niedergehenden Regen
rund ums Jahr geprägt, was nicht zuletzt ein Grund für die
starke Abwanderung vom Land in die Großstädte ist. Es gibt
sogar Regierungsprogramme, um die Menschen in dieser Gegend zu
halten, u.a. besitzt Dunedin, das den gälischen Namen für
Edinburgh trägt, einen ausgezeichneten Ruf als
Universitätsstadt. Die Stadt wurde von presbyterianischen
Einwanderern gebaut, als Gegenpol zu dem von Anglikanern
gegründeten Christchurch. Obwohl Neuseeland in seiner Verfassung
das Recht auf Religionsfreiheit ausdrücklich verankert hat,
haben sich die religiösen Gegensätze auch auf die Kolonien
übertragen. Trotzdem sind es heute nur etwa 20 % der
Neuseeländer, die regelmäßig in die Kirche gehen, im
Unterschied zu 65 % der Amerikaner.
In Dunedin ist an Bauwerken aus der
Kolonialzeit nur weniges erhalten, etwa der Gerichtshof, das
Gefängnis und das im georgianischen Stil erbaute
Bahnhofsgebäude, ein äußerst reizvolles und in seiner
Art einzigartiges Gebäude. Von hier aus kann man mit dem Zug bis
Christchurch und darüber hinaus fahren, wenn man die
Cook-Straße überquert, sogar bis Wellington. Die Züge, welche
hier verkehren, fahren relativ selten und sind im übrigen
Relikte längst vergangener Zeiten. Ansonsten findet in der Stadt
nur noch das sogenannte Oktagon Beachtung; dies ist ein, wie der
Name schon sagt, in Form eines Achtecks angelegter zentraler
Platz, an dem sich repräsentative Bauwerke befinden. Ansonsten
lockt nur noch die Mall, die Einkaufsstraße, zum Bummeln.
Mehr als die städtische Architektur
verdient ein der Stadt vorgelagertes Naturreservat Beachtung,
nämlich die Otago-Halbinsel, genauer gesagt, die Tairaoa-Spitze.
Sie ist Brutkolonie der Albatrosse, die auf ihrem Weg rund um die
Antarktis hier, auf der Peninsula, seit 1920 ihren Nachwuchs
aufziehen. Albatrosse sind in jeder Hinsicht ungewöhnliche
Vögel. Nicht nur, daß sie eine Flügelspannweite von fast 3 m
haben und im Laufe ihres Lebens eine Flugstrecke von 190 000 km
zurücklegen, sie verbringen 80 % ihres Daseins im Fluge. Sie
werden im Schnitt dreißig Jahre alt, können in Ausnahmefällen
aber auch ein Alter von über 60 Jahren erreichen. Ihrem Partner
bleiben sie ein Leben lang treu. Die Eier werden gemeinsam
ausgebrütet, wobei das jeweils andere Elternteil der
Nahrungssuche nachgeht. Der Albatros ist ein außerordentlich
guter Flieger, der nur kurz zum Schlafen und um Fische zu fangen
im Meer wassert und seine Zeit hauptsächlich im Flug verbringt.
Er ist nur dort zu finden, wo ständig starke Winde wehen, und
könnte ohne Bodenwind auch gar nicht starten. Zuhause ist er
z.B. auf den Falkland-Inseln, wo er im Gleitflug majestätisch
durch die Lüfte seine Kreise zieht.
Unser Campingplatz liegt in
Portobello, im großen Hafen von Otago, der schwer anzusteuern
und nicht für Schiffe mit beliebigem Tiefgang geeignet ist. Dort
wo die Albatrosse anzutreffen sind, befand sich dereinst die
Festung Taiaroa, die zum Schutz gegen die drohende Invasion des
zaristischen Rußland angelegt wurde, mit der berühmten
versenkbaren Kanone, der einzigen ihrer Art, die heute noch
existiert. Entlang der Otago-Halbinsel kann man wunderbare
Spaziergänge unternehmen. Mich erinnert diese Landschaft, so wie
sie sich heutzutage präsentiert, mit ihren sanft gewellten
Hügeln, ein bißchen an Dänemark. Hätten wir doch nur etwas
mehr Zeit! Aber wir müssen weiter, um unser Programm
abzuarbeiten: eine unsinnige Art und Weise, seinen Urlaub zu
verbringen. Für Neuseeland braucht man sehr viel Zeit und
Geduld, vielleicht mehr als für jedes andere Land, und dies,
weil die tägliche Sonnenscheindauer sehr niedrig liegt und im
Regen alles etwas blaß aussieht.
Bei Moeraki wartet eine geologische
Sehenswürdigkeit auf uns, die sogenannten
Boulders. Dies sind riesige, von der Natur geformte
Steinkugeln, die einfach am Strand herumliegen. Ihre
Entstehungsgeschichte ist noch nicht vollständig geklärt; man
nimmt an, daß sie sich unter dem gleichmäßigen Druck, der von
allen Seiten eingewirkt haben muß, wie Perlen einer Muschel um
einen Kern im Sedimentgestein gebildet haben. Später, als das
Meer die weicheren umgebenden Schichten abgetragen hatte, wurden
sie freigelegt. So manche Maori-Legende rankt sich um ihre
Entstehung. Im Besucherzentrum ist eines der großen Maori-Kanus
abgebildet, von denen man, selbst in Büchern, nur selten eines
zu Gesicht bekommt.
Große Binnenseen und
Mount-Cook-Nationalpark
In Oamaru verlassen wir nun die
Ostküste und biegen ins Landesinnere ab, stets den Waitaki
flußaufwärts. Bei Duntroon erwarten uns einige
vorgeschichtliche Felszeichnungen, welche die Moa-Jäger in dem
weichen Kalkgestein hinterlassen haben. Es handelt sich, wie
meistens bei Felsbildern, um Jagdszenen. Einige Verwunderung
rufen allerdings die Reittiere hervor, welche auf den Felswänden
dargestellt sind, denn Neuseeland war doch, soviel wir wissen,
vor der Besiedlung durch die Weißen ein Land, in dem es außer
der Fledermaus keine Säugetiere gab.
Der Waitaki-See ist der erste einer
Reihe von Seen, deren Wasserkraft für die Stromerzeugung genutzt
wird. Auch der Aviemore- und der Benmore-See sind künstlich
angelegte Seen, welche die Besonderheit aufweisen, daß ihre
Farbe um so grüner aussieht, je näher sie ihrem Ursprung, den
Gletschern, sind. Es ist wahrhaftig ein einzigartiges Schauspiel,
welches die Natur hier bietet, denn in der kargen, baumlosen
Landschaft wirken diese riesigen Wasserreservoire ein bißchen
grotesk. Zudem wird der Strom auf Vorrat gehortet, das Land kann
seine Energie selbst gar nicht verbrauchen. Die Trockenheit hat
jetzt den Himmel von Wolken ganz befreit, so daß sich schon aus
großer Ferne majestätisch der Mount Cook abzeichnet. Die
Südalpen verdienen ihren Namen zurecht; zahlreiche Gipfel sind
ganzjährig mit Schnee bedeckt, und in der Region um den Mount
Cook zählt man 27 Dreitausender und unzählige Gletscher, die
der Mount-Cook-Nationalpark umfaßt, eine gigantische Schnee- und
Eiswelt, der wir uns gerade nähern. Wie ein Riese überragt der
Mount Cook, an dem der namhafte Sir Edward Hilary sich auf die
Bezwingung des Mount Everest vorbereitete, alle anderen Berge der
Umgebung um mehrere hundert Meter. Wenngleich die Baumlosigkeit
dieser herben, schutt- und schlammbedeckten Berge an die
Lieblichkeit der Alpen nicht heranreicht, so könnte man sich
dennoch die höchsten Erhebungen in unsere Alpen versetzt denken
und würde keinen Unterschied merken.
Am Pukaki-See liegt ein weiteres
staatliches Hotel der oberen Kategorie, mit einem traumhaften
Panoramablick ausgestattet, wo man, hinter getönten Scheiben am
warmen Ofen sitzend, einen prächtigen Anblick der Eisfälle und
Gletscherbrüche des
Hooker-Gletschers genießen kann, und hinter allem thront
der Mount Cook. Es herrscht eine wunderbare, ganz einzigartige
Atmosphäre, und der Wettergott meint es gut mit uns, denn die in
der Gipfelregion drohenden Wolken, die von der Westküste her
aufsteigen, besitzen nicht die Kraft, die Berge einzuhüllen. Es
herrscht zudem ausgezeichnetes Flugwetter, so daß wir uns
entschließen, einen Rundflug über diese majestätische Berg-
und Eisriesenwelt zu unternehmen. Unser Flugzeug ist eine Nomad
N24A. Der Pilot, ein vollblütiger junger Mann, begrüßt uns
herzlich auf eine recht legere Art mit einem "Hello
Folks".
Unsere Nomad bietet Platz für 14
Passagiere, und sie ist bis auf den letzten Platz ausgebucht. Mit
röhrenden Motoren rollt die zweimotorige Turbo-Prop zur
Landeschwelle hinaus. Dort führt der Pilot einen letzten Run-up
Check durch und wartet auf die Startfreigabe durch den Tower.
Langsam schiebt er den Gashebel nach vorne, und unter
aufheulenden Motoren drehen sich die Propeller schneller und
schneller, so schnell, bis man sie nicht mehr sieht. Jetzt
dürfte es kein Problem mehr sein, durch den Propeller hindurch
zu photographieren; auch die Abgase ziehen störungsfrei nach
hinten ab und bringen die Wärmeschlieren zum Verschwinden. Wenn
man die Passagiere so ansieht, so glaubt man es kaum, daß die
Maschine trotz so vielen "Übergewichts" tatsächlich
vom Boden abhebt, und ehe wir es uns versehen, ist der Lake
Tekapo unter uns. Wie ein Meer so blau sind seine Wasser, und
seine vegetationslosen Ufer gleichen einer Steppenlandschaft. Ich
habe die rechte Sitzplatzreihe gewählt, weil ich glaubte, wir
würden in umgekehrter Richtung fliegen, so daß ich eine bessere
Sicht auf den Mount Cook hätte; aber ich habe mich getäuscht
und bin entsetzt, als ich feststellen muß, daß die Maschine den
Tekapo-See hinauffliegt. Nun steht die Sonne am Abend zwar im
Westen, und die Berge rechts von mir präsentieren sich im
weichesten Licht, aber auf dem Rückweg würde dies genau
umgekehrt sein und ich sähe der Sonne direkt ins Gesicht. Aber
trotz dieses Fehlers sollte ich am Ende keinen Grund haben, den
Flug zu bereuen, außerdem sind mir in meiner Kamera ohnehin nur
mehr sieben Bilder verblieben. Am oberen Ende des Sees liegt
unter uns das Mündungsdelta des
Godley-Flusses, und unter den ersten schneebedeckten
Bergen taucht bald der 2800 m hohe
Mount Sibbald vor uns auf. Wir fliegen nicht viel höher
als dieser Berg ist, aber hoch genug, um in sicherem Abstand
über alle Gletschersättel hinweg zu kommen. Dies kann der Pilot
aufgrund der ruhigen Wetterlage wohl riskieren. In Höhe des
Godley-Gletschers, der zum Pazifik hinabfließt, fliegen wir in
das Gebiet des Mount-Cook-Nationalparks ein. Zu unserer Linken
haben wir auch schon den Murchison-Gletscher. Über ihm, auf dem
Tasman-Sattel, liegt die Tasman-Hütte, Ausgangspunkt aller
Bergtouren der Umgebung. Dort beginnt auch der Tasman-Gletscher,
der mit 29 km längste Gletscher der Südlichen Alpen und
überhaupt einer der längsten Gletscher in den gemäßigten
Breiten. Nach rechts gelingt mir ein wunderschönes Photo von
Elie de Beaumont, einem der oben erwähnten Dreitausender.
Wir sind jetzt direkt an der Wasserscheide, und wie gewöhnlich
prallen an der Westseite riesige Wolkenmassen auf die Berge, wo
sie sich stauen, um an der Ostseite in warmen Fallwinden,
ähnlich unserem Föhn, zu Tale zu stürzen. Der gesamte
Westland-Nationalpark liegt wieder einmal unter einer dichten
Wolkendecke begraben, und vom Franz-Josef-Gletscher, der jetzt
direkt unter uns ist, sehen wir nicht viel. Nun tauchen drei
weitere gewaltige Gletscher auf, der Fox Glacier, der Balfour-
und der La-Perouse-Gletscher, vom Mount La Perouse (3080 m)
herkommend, während sich zu unserer Linken der zweithöchste
Berg Neuseelands, der
Mount Tasman, bis fast zum Gipfel hin in dichte Wolken
hüllt. Aufs neue überqueren wir die Hauptwasserscheide, diesmal
von West nach Ost. Der Hooker-Gletscher, der sich zur oft
wolkenlosen Ostseite hin erstreckt, ist stark im Rückzug
begriffen. Linker Hand fliegen wir nun an der Westwand des Mount
Cook vorbei, doch alles geschieht viel zu schnell, als daß man
es fassen könnte. Danach macht der Pilot eine 60-Grad-Kehre, so
daß auch die auf der rechten Seite Sitzenden in den Genuß
kommen, aus dem Fenster zu photographieren. Doch wir sind zu
dicht am Berg, und das Flugzeug ist zu stark geneigt, und wir
sind zu schnell vorbei, als daß man die für eine
Bildeinstellung notwendige Zeit aufbrächte, um das Photo
wirklich schießen zu können. Über den über eine unglaubliche
Breite mäandernden Tasman River fliegen wir zurück zum Lake
Tekapo Airport, längs der Westseite des Mt. Stephenson. Die
sinkende Abendsonne wirft bereits lange Schatten über die Berge,
und das rauhe Bergland wechselt sich mit einer während der
Eiszeit von Gletschern abgeschliffenen Moränenlandschaft ab, in
der noch einzelne Gletscherseen überlebt haben, als wir nach
fast einer Stunde Flugzeit in der Ferne die Landebahn erkennen
können. Unter uns haben sich die Spuren der Allradfahrzeuge tief
in die Erdoberfläche eingegraben. Der Mensch hat in kurzer Zeit
mehr zerstört als die Natur im Laufe von Jahrmillionen. Darum
muß es unser aller Anliegen sein, daß diese letzten Paradiese
der Menschheit vor dem Zugriff der Zerstörer geschützt werden.
An unserem letzten Tag in Neuseeland
bleibt naturgemäß nicht viel zu besichtigen übrig. Was soll
ich noch erzählen? Daß es ein strahlend schöner Tag mit viel
Sonne war, als wir an der "Kirche zum guten Hirten"
einen letzten Blick auf die majestätische Bergwelt der
Südlichen Alpen werfen, die hinter dem, noch herrlicher als
gestern, in einem milchigen Blau leuchtenden Tekapo-See sich
abzeichnet. So spiegelglatt wie am Vortag, als sich kein Hauch
Windes regte und die ganze herrliche Szenerie sich in perfekter
Symmetrie in den Wassern spiegelte, ist der See heute nicht.
Unvergeßlich bleibt ein Spaziergang in den Abendstunden hinauf
den Mount Saint-John, wo sich ein Observatorium befindet, zumal
hier die Zahl der Sonnenstunden besonders hoch ist und die Luft
einzigartig klar. Der Saint-Johns-Wanderweg zieht sich zunächst
am Seeufer entlang, wendet sich dann um eine halbe Drehung und
verläuft mäßig steil in zweieinhalb Stunden auf den Gipfel, wo
man eine phantastische Aussicht genießt. Wenn die Sonne tief
steht, leuchtet die gegenüberliegende Uferseite goldgelb in der
untergehenden Sonne, während sich das intensive Blau des Wassers
noch so lange abzeichnet, bis die einbrechende Nacht dem
Farbenschauspiel ein jähes Ende bereitet. Von den Anhöhen
gegenüber stürzen wie von einem Wasserfall die Wolken in den
See hinab, doch ehe sie ihn erreichen können, lösen sie sich
auf. Nirgends auf der Welt kann man es so hautnah erleben wie
hier, wie zwei Welten, eine undurchdringlich regnerische und eine
steppenhaft trockene, auf Bergkämmen aufeinanderprallen, und
wenn man das Glück hat, ein Abendrot zu erleben, so mag man fast
dabei erschrecken, wie das glühende Himmelsrot auch den See in
ein flammendes Feuerbecken taucht.
Christchurch
In Christchurch liegt unser
Campingplatz direkt am Meer. Die unendlichen Sandstrände dürfen
sogar mit Allradfahrzeugen befahren werden. Fast unheimlich ist
ein nächtlicher Spaziergang am Strand. Die Menschenleere und die
Einsamkeit steigern alle Gedanken ins Euphorische. Die hohen
anrollenden Wellen werden bereits weit draußen gebrochen, so
daß nur sanfte Wogen den flachen Strand erreichen. Hinter dem
Strand ragen hohe Dünen auf. Die Fußstapfen sind trotz der
Dunkelheit noch gut zu erkennen. Wenn ich daran denke, daß in
den gleichen Tritten einst die Fußabdrücke von Kannibalen zu
finden waren, läuft es mir kalt über den Rücken. Ein
eigenartiges Vogelgeschrei kommt rasch näher; irgend etwas
fliegt von hinten auf mich zu; aber Vögel greifen keine Menschen
an. In der Ferne leuchtet der Himmel über Christchurch.
Am Nachmittag unserer Ankunft begebe
ich mich zuerst ins Museum. Hier wird im Erdgeschoß eine
Moa-Jäger-Ausstellung gezeigt, aus der vieles über diese
früheste Kultur auf der Insel in Erfahrung gebracht werden kann.
Wer waren de Moa-Jäger? Es waren Maori, die vor der großen
Einwanderungswelle des 14. Jahrhunderts hier ankamen, aber auf
einer niedrigeren Kulturstufe standen, nämlich der des Jägers
und Sammlers. Einzelne Familienclans haben ganz in der Nähe von
Christchurch am Meer in Höhlen und unter Felsüberhängen
gelebt, lange bevor die ersten befestigten Dörfer errichtet
wurden. Woher die Moa-Jäger kamen, ist unklar, wohl irgendwoher
aus dem polynesischen Raum, aber darüber gibt es weder Zeugnisse
noch ist etwas überliefert. Den Moa, der nicht an Feinde
gewöhnt und daher Menschen gegenüber wahrscheinlich ohne Scheu
war, erlegten sie mit Hilfe eines Speers, an dem eine Fangleine
befestigt war, und sie rasteten nicht eher, bis daß sie ihn
ausgerottet hatten. Er lieferte ihnen neben dem, was sie dem Meer
entnahmen, fast alles, was sie zum täglichen Überleben
brauchten: Fleisch, Eier, Federn und Knochen, aus welch letzteren
sie Harpunenspitzen und Widerhaken zum Angeln fertigten. Die
Federn dienten hauptsächlich als Schmuck und als Bekleidung für
die kälteren Tage. Auch das Feuer wußten die Moa-Jäger zu
gebrauchen, und ihnen ist es zu danken, daß sich das Aussehen
der Südinsel durch Brandrodung grundlegend gewandelt hat.
Neben dieser Moa-Ausstellung birgt
das Museum auch noch andere Schätze, etwa aus der Zeit der
ersten Besiedelung, darunter die Schiffsmodelle der
Endeavour und der Resolution. Auch eine geologische
und eine meereskundliche Abteilung sind von Interesse, über die
Seefahrt der Polynesier wird ausführlich informiert. Selbst ein
ganzes Maoridorf mit Palisadenzaun ist zu besichtigen. Dabei
fehlte offenbar die Kenntnis von Pfeil und Bogen gänzlich, denn
die Palisaden standen nicht dicht an dicht, sondern hatten
größere Lücken zwischen den einzelnen Pflöcken, gerade so
eng, daß niemand einfach hindurchschlüpfen konnte. Die
berühmten Streitäxte aus Nephrit (Jade) entstammen späteren
Zeiten.
Neben dem Museum ist in Christchurch
noch das Kunsthandwerkszentrum von Bedeutung. Hier finden
zahlreiche Ausstellungen zum Thema Kunst statt, und entsprechend
werden kunstgewerbliche Erzeugnisse zum Verkauf angeboten. Sogar
ein Planetarium ist in den Räumlichkeiten untergebracht. Mehrere
Gebäude gruppieren sich um einige zentrale Innenhöfe. Das
sogenannte Arts Craft Center ist architektonisch besonders
reizvoll. Es wurde im neugotischen Stil errichtet. Hinter dem
Museum beginnt der Botanische Garten, der durch eine
außerordentliche Vielfalt an Baumriesen besticht. Die Sequoia
aus den Redwoods und die Araukarie aus Chile sind darunter ebenso
vertreten wie namhafte Vertreter europäischer Baumarten. Am Ende
des Botanischen Gartens findet man den Rosengarten, der
unzählige hier zusammengetragene Züchtungen aufweist. Erbaulich
ist auch eine Bootsfahrt auf dem Avon, wie überhaupt sämtliche
geographische Namen des südlichen Englands, sei es aus Einfalt
oder aus Mangel an Phantasie, sich in Fluß- und Ortsnamen, die
die frühen Siedler aus ihrer Heimat mitbrachten, wiederfinden.
Mit der alten Cable Car kann man von hier aus ins Stadtzentrum
fahren. Die Stadt besitzt ein ausgesprochenes Ambiente; in den
zahlreichen Restaurants am Avon kann man gut und anspruchsvoll
essen. Wie in jeder größeren Stadt Neuseelands darf auch hier
die Mall nicht fehlen, die mondäne Einkaufsstraße. Der
städtische Charakter verflüchtigt sich rasch außerhalb des
Zentrums, alles ist großzügig und geräumig angelegt, und in
der Tat erinnert vieles an die Partnerstadt Adelaide in
Australien.
In der Bucht von Christchurch liegt
auch der größte Hafen auf Neuseelands Südinsel, Lyttelton. Er
ist auch für tiefgehende Schiffe bestens geeignet und gegen
Versandung gefeit.
An diesem herrlichen letzten Tag
unseres Neuseelandaufenthalts ist es ungewohnt heiß, und das
Wetter lädt zum Baden ein; allein an den ausgedehnten Stränden
rings um die Stadt wird wohl niemals das Gefühl aufkommen, man
liege hier dicht an dicht. Alles befindet sich in einem ewigen
Frühling und steht in voller Blüte; an den Steilufern der
Küste nisten Tauben, Möwen und andere Seevögel. Wie überall
auf der Welt finden sich dort, wo es schön ist, die Villen der
Schönen und Reichen, und die Grundstücks- und Immobilienpreise
können mit denen in Europas Hauptstädten durchaus konkurrieren.
Abschließend möchte ich noch ein
Wort über die Einwanderung nach Neuseeland verlieren. Wie in den
Pionierzeiten werden in erster Linie Menschen gebraucht, die ihr
Geschick in ihren Händen haben, Leute also, die anpacken können
oder eine besondere handwerkliche Fähigkeit besitzen. Menschen,
die ihr Wissen ausschließlich im Kopf herumtragen, reine
Akademiker also, werden weniger geschätzt, auch wenn sie einen
Titel führen. Noch immer ist dieser alte Pioniergeist in den
Gehirnen fest verankert. Neuseeland ist in erster Linie
Agrarland, aber alles Land in die Hände von Farmern zu geben,
dafür darf das Land nicht zu dicht besiedelt werden. Daher wird
eine äußerst restriktive Einwanderungspolitik betrieben. Man
wollte aus den Schattenseiten der frühindustriellen
Gesellschaft, wie man sie in Europa im ausgehenden letzten
Jahrhundert leidvoll erfahren hat, seine Lehren ziehen und von
Anbeginn an ähnliche Verhältnisse vermeiden. Neuseeland sollte
Agrarland bleiben. Mittlerweile hat man aber erkannt, daß aus
Viehzucht langfristig kein Nutzen gezogen werden kann, da die
Märkte ständig neue Verhaltensweisen und eine entsprechende
Anpassung an neue Verhältnisse erfordern. Erst allmählich setzt
sich die Erkenntnis durch, daß das Land auch einen Beitrag zur
Industrialisierung wird leisten müssen, und der Anfang dazu ist
gemacht. Folglich werden als Einwanderer mehr und mehr Menschen
gesucht, die einen akademischen Abschluß besitzen und auch
außerhalb der Landwirtschaft tätig werden können. Auch die
Ausbildungskapazitäten innerhalb des eigenen Landes sind
hierfür mehr als geeignet, und nicht wenige ausländische
Studenten verbringen das eine oder andere Semester in Neuseeland.
Mich persönlich würden aber keine
zehn Pferde hierherbringen, auch dann nicht, wenn ich
entsprechend jung wäre und die Voraussetzungen erfüllen würde
(Skandinavier, Engländer und Deutsche werden ethnisch
bevorzugt). So schön das Land landschaftlich auch sein mag, mir
persönlich ist es zu verregnet, zu kühl, zu arm an Kontrasten
wie an Kultur. Und was schwerer wiegt: mir gebricht es an
bäuerlicher Gesinnung wie an Hirtenmentalität!
Copyright ã 2001
Manfred Hiebl. Alle Rechte vorbehalten.
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