"Glaube, Wanderer, so du hier vorbeikommst,
den Bildern nicht, dieweil sie dich belügen,
denn du wirst es niemals anders hier erleben."

Auf Neuseelands Treks

Im Land der Maori

15.12.2000 – 5.1.2001

Besucherzaehler


Inhalt

Aufenthalt in Auckland
Zur Bay of Islands
Durch den Tongariro-Nationalpark
Von Wellington über die Cook-Straße
Im Abel-Tasman-Nationalpark
Durch den Westland-Nationalpark
Queenstown
Der Fiordland-Nationalpark
Die Otago-Halbinsel
Große Binnenseen und Mount-Cook-Nationalpark
Christchurch 


Aufenthalt in Auckland

Der Flug von Frankfurt nach Auckland stellt alles in den Schatten, was man auf Erden in einem Stück bewältigen kann: einmal um die halbe Welt oder rund 20 000 km einfache Strecke. Noch gibt es sie nicht, die Passagierflugzeuge, die dieses Pensum ohne aufzutanken nonstop bewältigen könnten. Mit Air New Zealand geht es zuerst nach Los Angeles, von dort weiter zur Fidschi-Insel Nadi, und schließlich nach Auckland auf der Nordinsel Neuseelands. Denn das Land besteht aus zwei Inseln, die durch die Cook Strait, die sogenannte Cook-Straße, voneinander getrennt sind. Inklusive Anschlußflug von München bringt man rund 32 Stunden in der Luft zu, mit jeweils nur etwa einer Stunde Aufenthalt, die meiste Zeit während der Nacht. Man mochte schon meinen, die Sonne würde überhaupt nicht mehr aufgehen, als sie dann doch, während unseres Stops auf den Fidschis, über einem messerscharfen, wolkenlosen Horizont in den nachtkühlen Tropenhimmel emporsteigt. Die Flugstrecke schneidet fünf verschiedene Groß- und ausgewählte Breitenkreise: den Nullmeridian auf der Länge von Greenwich, den nördlichen Polarkreis, den Wendekreis des Krebses, den Äquator, den Wendekreis des Steinbocks und die Datumsgrenze. Es ist bereits Sonntag, als wir sie überfliegen. Den Tag bekommen wir aber auf der Rückreise zurückerstattet. Wie die Zeit während des Fluges vergangen ist, weiß ich nicht. Ich denke, ich habe mir in so kurzer Zeit noch nie so viele Spielfilme an einem Stück angesehen, und zum Lesen fehlt mir, nachdem ich gehörig übernächtigt bin, ohnehin die Lust. Der Service bei Air New Zealand kann sich sehen lassen im internationalen Vergleich, und der Flug ist ein Nichtraucherflug: völlig neu für mich auf Langstreckenflügen. Durch die zu niedrig eingestellte Air Condition hole ich mir eine Erkältung. Erst als die wärmende Sonne am Zielflughafen den Zustand andauernden Fröstelns aufhebt, nehme ich wahr, daß wir angekommen sind. Nachdem alle Nachzügler unserer Gruppe aufgesammelt worden sind, führt unser erster Ausflug sogleich auf den Mount Eden, einen erloschenen Vulkankegel, von dem sich eine großartige Aussicht auf die Stadt Auckland bietet. Auckland ist auf insgesamt sechzig Vulkankegeln gegründet. In ihrer Bauweise ähnelt die Stadt australischen Städten wie Melbourne, die einen ausgesprochenen Vorstadtcharakter besitzen, und sie bietet eine nur bescheidene Skyline. Wie die Australier legen die Neuseeländer offenbar keinen Wert auf eine feste Ziegelbauweise, die eine höhere Beständigkeit garantieren würde. Es entspricht wohl dem Wesen des skandinavischen Menschenschlags, der mehrheitlich auch den Angelsachsen eignet, daß er nichts auf Dauer hinterlassen will. Die Reichen leben dort, wo der Jachthafen liegt. In den mondänen Wohngegenden liegen die Grundstückspreise bei einer Million aufwärts, wobei der Wert der neuseeländischen Währung etwa dem der deutschen entspricht. Die Villen der Reichen unterscheiden sich allerdings, im Unterschied zu unseren Verhältnissen, nicht wesentlich vom Haus des Durchschnittsbürgers. Jeder vierte Haushalt in Neuseeland ist angeblich im Besitz einer eigenen Yacht. Kein Wunder, denn hier beginnt der America‘s Cup, die teuerste Segelregatta der Welt, und quasi vor den "Toren" der Stadt, die aufgrund ihres weitläufigen Hafens Erinnerungen an Sydney wachruft, liegt ein Inselparadies, bestehend aus ca. 50 Inseln, die sich ideal zum Ankern in freier Wildnis eignen. Unser heutiger Campingplatz heißt Puriri, welches über einen Hunderte von Metern breiten Sandstrand verfügt, und liegt ein Stück des Wegs entlang der Küstenstraße. Ein erstes Badeerlebnis im Pazifik rundet das Geschehen des heutigen Tages ab. Der Strand ist breit, flach und feinsandig. Allerdings tut die intensive Bebauung des Küstenstreifens, sofern man ein Freund von einsamen Badeplätzen ist, dem ungetrübten Badegenuß einigen Abbruch. Über ein ausgedehntes Netz von Wanderwegen verfügt das angrenzende Eaves Game Reserve, eine Art naturbelassener Landschaftspark. Ein weitläufiges Netz von Erschließungs- und Erkundungspfaden durchzieht dieses Naturschutzgebiet, welches besonders in der Dämmerung gespenstisch anmutet. Nachdem die meisten von uns noch unter dem Jet lag leiden, finden sich am Abend kaum noch welche, die bereit zu einem Gespräch sind. Für mich verläuft die Nacht störungsfrei, und am nächsten Morgen habe ich mein Schlafdefizit durch einen wenigstens 10stündigen Schaf ausgeglichen. Ich denke, daß es noch einen Tag dauern wird, ehe ich mich an den neuen Rhythmus gewöhnt habe.
Ehe wir zur Bay of Islands steuern, nehmen wir die Hauptstadt nochmals genauer unter die Lupe. Im Grunde ist die Innenstadt Aucklands nämlich klein und überschaubar. Schönstes Bauwerk der Stadt ist meines Erachtens, abgesehen von einigen Relikten des viktorianischen Baustils, das sogenannte, direkt am Hafen gelegene, Ferry Building. Besonders imposant ist das War Memorial Museum, in dem eine einzigartige Maori-Ausstellung gezeigt wird. Gewisse Vorurteile, was das Fehlen einer höheren Kultur, das den Eingeborenen immer wieder nachgesagt wird, angeht, werden abgebaut, wenn man diese Ausstellung sieht, denn auch wenn es sich vornehmlich um Erzeugnisse der Schnitzkunst handelt, so sind diese dennoch so präzise und mit einem Augenmaß ausgeführt, daß es einem Respekt abnötigt. Auch die reichhaltige Pflanzenausstellung, eine Saurierabteilung und eine Sammlung von Stücken verwandter Südseekulturen fügen sich harmonisch in das Ganze ein.
Die Lebensart der Neuseeländer unterscheidet sich nicht sehr stark von der der Australier. Anstatt ein teures Lokal aufzusuchen, ißt man preiswerter in einem der Fast-Food-Restaurants, deren es in den großen Kaufhäusern eine Menge gibt. Mein chinesisches Mittagsgericht, das eine wilde Zusammenstellung aus vielem des Angebotenen ist, würde munden, wenn ich die Grundregel befolgt hätte, mich auf einige wenige Speisen zu beschränken. Würfelt man hingegen, so wie ich es tat, alles bunt durcheinander, muß man sich nicht wundern, wenn es einem auch nach Stunden noch aufstößt.

Zur Bay of Islands

Am frühen Nachmittag beginnen wir unsere dreiwöchige Rundreise mit einem Ausflug in den nördlichsten Teil der Nordinsel, der bereits in den Tagen der Inbesitznahme durch die Engländer und seither immer wieder eine wichtige Rolle gespielt hat. Früher war der Norden so gut wie nicht erschlossen, es gab keine Straßenverbindung, und man mußte sich seinen Weg zu Schiff wählen. Wir fahren durch eine sattgrüne, landwirtschaftlich genutzte Region, in der vor allem Schafzucht betrieben wird. Obwohl Neuseeland auf der gleichen geographischen Breite liegt wie Deutschland, nur eben auf der Südseite des Globus, ist das Klima dennoch bedeutend kühler. Mehr als 22 Grad schafft die Sonne auch im Hochsommer nicht. Dazu weht meist ein frischer, aber stetiger Wind, der die wahren Temperaturen noch niedriger erscheinen läßt. Dieses Klima mag seine Ursache darin haben, daß sich nach Europa der wärmende Golfstrom hinzieht, eine vergleichsweise warme Meeresströmung an dieser Stelle des Südpazifiks jedoch fehlt. Dazu kommt, daß die Sonne eine wesentlich intensivere Kraft besitzt, so daß eine sichtbare Hautrötung eines nicht gebräunten Körpers bereits nach zehn Minuten einsetzt. Hinzu kommt ferner, daß der vorwiegend angelsächsische Menschenschlag mit seiner sommersprossigen, nicht zur Bräunung neigenden Haut sich den denkbar ungünstigsten Ort für seine Existenz ausgesucht hat, nämlich den, wo das Ozonloch am größten ist. Daher sind die Neuseeländer in der Hautkrebsstatistik führend, gefolgt von den Australiern. Dies sollten vor allem junge Einwanderer hinsichtlich ihrer Eignung in diesem Umfeld prüfen.
Beim Durchqueren dieser reizvollen Landschaft wird mir nun auch klar, warum Abel Tasman dem Land diesen Namen gab. Es mag ihn an die gleichnamige Insel Seeland in Dänemark erinnert haben, denn die Landschaft kommt deren Aussehen relativ nahe. Große Erhebungen eines auf abgetragenen Vulkankegeln ruhenden Humusbodens hat der nördliche Teil der Nordinsel nicht aufzuweisen, eher sanfte und wellige Landschaftsformen, die etwas Beunruhigendes ausstrahlen. Der Küstenverlauf ist weder wild noch zerklüftet, obwohl es zahlreiche Buchten gibt. Ab und zu gelangt die Straße in Küstennähe, so z.B. an der malerischen Bream Bay mit den vorgelagerten Hen and Chickens Islands. Angesichts des Fehlens dramatischer Geländeformen ist es um so mehr die Vegetation, die unser Augenmerk auf sich lenkt. Die Besonderheit an den Wäldern sind nicht nur mächtige, unserer Fichte ähnliche Bäume, deren Namen ich nicht kenne, sondern vor allem die riesigen Farne, welche die Erde bereits bedeckten, als noch die Saurier die bestimmende Gattung waren, sowie Palmenarten, die die Wälder durchsetzen. Es gibt subtropische Edelhölzer, die den Maoris den Grundstock für ihre Schnitzereierzeugnisse liefern und deren Holz ein rötlich-braunes Aussehen hat. Mangroven, die ansonsten nur in den Tropen vorkommen, zählen zum festen Artenbestand auf Neuseeland. An größeren Tieren ist die Insel weniger artenreich. So haben denn schon die Maoris aufgrund ihres Mangels an tierischem Eiweiß auf das Fleisch gefangener Feinde zurückgegriffen. Den ersten europäischen Entdeckern wurde dieses Schicksal ebenfalls zuteil, viele wurden wie Tiere geschlachtet und gebraten, so daß sich die Inseln lange Zeit als ein nicht erstrebenswertes Ziel in Europa darstellten. Über solchen Gedanken erreichen wir Paihia an der sogenannten Bay of Islands, wo wir uns zwei Tage aufhalten wollen.
Um die Bay of Islands kennenzulernen, besteige man in Paihia eines der vielen Ausflugsschiffe, die einen an die verschiedenen Naturschönheiten der Insel heranbringen. Die Fahrt wird mit Schnellbooten durchgeführt und dauert gut drei Stunden. Leider spielt das Wetter nicht ganz mit, doch ab und zu gelangen Sonnenstrahlen durch den fast bedeckten Himmel und beleuchten die eine oder andere der gänzlich überwachsenen Felsinselchen mit ausreichend Licht, um damit einen stimmungsvollen Eindruck zu erwecken. Was hier fasziniert, sind die zahlreichen Badebuchten, ein Eldorado für jeden Segler. Das Ambiente beschränkt sich allerdings auf das Naturerlebnis, denn die mäßigen Luft- und Wassertemperaturen lassen ein Bad nicht zu und reichen nicht an das heran, was man als Mitteleuropäer gewohnt ist. Faszinierend vor allem ist die relative Unberührtheit der Natur. Nur wenigen, mehr oder minder Reichen, scheint es gelungen zu sein, einen der begehrten Plätze als Bauland zu erwerben. Auch wurde bisweilen nicht so blindwütig gerodet, mit allen bekannten Karsterscheinungen als Folge, wie das beispielsweise im Mittelmeerraum der Fall war. Nur so kann es heute noch gelingen, wahrhaft faszinierende Ausblicke auf unberührte Natur zu erhaschen.
Wegen der zahlreich vorkommenden Delphine scheint es besonders für die Jüngeren zu einem beliebten Freizeitspaß geworden zu sein, schnorchelnder Weise sich spielerisch mit diesen Kameraden aller Seemänner zu tummeln. Den Tieren scheint es wenig auszumachen, daß sich Scharen von Kindern auf sie stürzen, so sehr ausgeprägt ist ihr Spieltrieb.
An der Anlegestelle werden wir von einem weißen Neuseeländer, der sich als Maori-Krieger verkleidet hat, nach einem alten Stammesritual begrüßt, welches etwa wie folgt abläuft: Der Krieger, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, nähert sich uns vorsichtig, ganz nach Art der Maoris und nur mit einem Speer bewaffnet, wobei er ein unglaubliches Gebärdenspiel aufführt, einmal wild mit seinem Speer herumfuchtelnd, dann ihn wieder schwingend und dabei wie zum Kriegstanz zischend. Das Gegenüber soll nach diesem uralten Ritual daraufhin geprüft werden, ob es Freund oder Feind sei. Zu diesem Zweck legt der Maori-Krieger ein Blatt vor dem Fremdling nieder, wobei er, sich wiederum wild gebärdend, die Zunge so weit es geht herausstreckt. Der "Besucher" darf dabei weder Furcht noch Aggression zeigen, sondern muß, um seine friedliche Absicht zu demonstrieren, das Blatt ruhigen Blickes vom Boden aufheben und als Geste der Freundschaft dem, der es vor ihn niederlegte, überreichen. Das Zeremoniell endet damit, daß jeder Ankömmling den "Herausforderer" mit dem traditionellen Nasenkuß begrüßen muß. (Interessant ist, daß die Maori den üblichen Lippenkuß vor der Ankunft der Weißen nicht kannten.) Man kann sich jetzt lebhaft vorstellen, wie dieser Ritualtanz auf jemanden, dem dieses Zeremoniell unbekannt war, gewirkt haben mag und was passiert ist, wenn jemand dabei die Fassung verlor. In diesem Fall wären sofort sämtliche im Gebüsch lauernden Kannibalen hervorgestürzt und hätten sich auf die Eindringlinge geworfen, was auch tatsächlich vorgekommen ist, als Abel Tasman in der "Mörderbucht" an Land ging. Alle Opfer wurden ausnahmslos verzehrt, und wir könnten jetzt nur noch darüber diskutieren, ob roh oder gebraten. Noch furchterregender sehen natürlich echte Maoris aus, deren Gesichter vollständig tätowiert und dazu noch mit einer Kriegsbemalung versehen waren. Aber wir werden noch weitere Einblicke in das Leben dieser Ureinwohner erhalten.
In Russell legen wir einen Zwischenstop ein, weil sich an diesem Ort die älteste Kirche Neuseelands befindet. Noch während unserer Rückfahrt beginnt es zu regnen. Der Aufenthalt wird auch sogleich für eine Mittagspause genutzt. Im Duke of Marlborough bestellen wir Fish and Chips, preiswert aber nicht gerade reichlich. Dazu trinkt man original irisches Bier, was unserem verwöhnten Gaumen nicht gerade zu einem Geschmackserlebnis gereicht. Um den Appetit zu stillen, suche ich nach einem Café; aber ein feines Café findet sich nirgends im Ort. Überhaupt erwecken alle Geschäfte hier den Eindruck von Tante-Emma-Läden; die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Ein beständiges Nieseln hört den ganzen Tag über nicht mehr auf. So manchem steigen Schreckensvisionen auf; sie wollen gehört haben, wie Leute berichteten, daß es im letzten Jahr drei Wochen am Stück geregnet habe um diese Jahreszeit. Für das jedoch, was wir heute noch besichtigen werden, ist Regen kein Hinderungsgrund.
Zunächst geht es weiter nach Waitangi, dem historischen Ort, an dem der Vertrag zwischen den Engländern und den Maori-Häuptlingen unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag wurde zwar in die Maorisprache übersetzt, und zwar in kürzester Zeit und daher mit allen Abstrichen, die sich daraus ergeben, verstanden wurde er von den Maoris jedoch nicht, da ihre Begriffswelt Worte wie "Souverän" und "Landbesitz" nicht enthielt. Was sich nachher als brutale Wirklichkeit entpuppte, nämlich die verstärkte Besiedlung durch Weiße, führte schließlich zur Anfechtung dieses Vertrages mit der Folge von Kriegen, in deren Verlauf die Maori-Bevölkerung zahlenmäßig so stark reduziert wurde, daß man schon glaubte, sie würde aussterben. Das Gebäude, in dem der Vertragstext unterzeichnet worden ist, dient heute nur mehr der Erinnerung an die Historie. Ein sogenanntes Maori-Kriegskanu, das größte, welches jemals gebaut wurde, und für dessen Verzierung die namhaftesten Maorischnitzer zusammengeholt worden waren, liegt heute als offenes Museumsstück im Freien. Es konnte nebst Ruderern noch weitere 150 Krieger aufnehmen. Auch ein typisches Haus aus der Kolonialzeit wird den Besuchern gezeigt. Landschaftlich liegt dieser historische Ort sehr malerisch über einer nach allen Seiten hin offenen Bucht.
Unser letztes Ziel für den heutigen Tag ist Kerikeri. Dort stehen das älteste Haus Neuseelands und eine Missionsstation. Viel bemerkenswerter finde ich jedoch die archäologische Ausgrabung Korirupa, eine einstige Ansiedlung der Maori, die von hohen Palisadenzäunen mit Wall und Graben umgeben war. Die Stätte liegt malerisch auf einem steil nach allen Seiten hin abfallenden Vorsprung in einer Flußschleife des Kerikeri-Flusses. Nach dem Essen mache ich mich auf den Weg, um ein Stück des sogenannten Waitangi Trails zu erkunden. Dieser Wanderweg beginnt bei den Haruru-Wasserfällen und führt am orographisch linken Hochufer des Waitangi-Flusses in Richtung Meer. Die Neuseeländer scheinen sehr viel Sorgfalt darauf zu verwenden, wie sie Wanderwege anlegen. Diejenigen Stellen, die durch Morast führen, sind in der Regel mit Lattenrosten überbrückt. Der Trail ist gut begehbar, an Steilstellen gut gegen Hangrutsche abgesichert, und führt zum Teil wie von Lauben überdacht durch dichtes, beidseitig von Palmen begrenztes Unterholz. Immer wieder eröffnen sich Ausblicke auf den Waitangi-Fluß, der um diese Jahreszeit relativ wenig Wasser führt. Streckenweise sind die Ufer von Mangrovenwäldern bestanden, was darauf hindeutet, daß das Meerwasser weit ins Landesinnere hineinschwappt. An einem überschaubaren Mangrovensumpf mache ich halt. Auf den Bäumen haben sich bereits die Pelikane, um Nachtruhe abzuhalten, abgesetzt. Da um diese Jahreszeit der Südsommersonnenwende relativ spät einkehrt, verbleiben relativ viele Abendstunden, um zurückzuwandern. Als ich wieder am Wasserfall eintreffe, fällt auch die Dunkelheit ein, und es beginnt zu regnen.
Bei Omapere bietet sich ein imposanter Blick auf die riesigen Sanddünen am Eingang des Hokianga-Hafens, die leider durch Begrünungsversuche etwas von ihrer Majestät eingebüßt haben. Ein derart drastischer Eingriff in die Natur beraubt den Menschen der Naturschönheit und macht ihn nur ärmer. Wahrscheinlich werden für die Entscheidung, dem Wandern der Düne Einhalt zu gebieten, wirtschaftliche Gründe den Ausschlag gegeben haben.
Unsere weitere Route führt nun zu den größten noch existierenden Kauri-Bäumen Neuseelands im subtropischen Waipoua Forest. Der mit dem Namen Matahilta (Herr des Waldes) bezeichnete, älteste Kauri-Baum besitzt ein Alter von 1200 Jahren, ist also von der Natur noch vor der Zeit der zweiten Besiedlung mit den Sieben Kanus gesetzt worden. Die Kauri-Bäume zählen zu den größten Baumarten unseres Planeten. Vor Ankunft der ersten Weißen hat es angeblich noch ältere Exemplare gegeben. Selbst den Maoris flößt dieser Baum soviel Ehrfurcht ein, daß sie Mutter Natur um Vergebung bitten, ehe sie ihn fällen. Das Holz dieser Bäume, die einen Umfang von 18 m und eine Höhe von über 55 m erreichen können, ist so begehrt, daß man fast die ganze Art, die erst relativ spät unter Naturschutz gestellt wurde, ausgerottet hat. Heutzutage existiert nur mehr ein Prozent des ursprünglichen Baumbestandes, den die Menschen in ihrer unersättlichen Gier nach dem begehrten Holz bedenkenlos vernichtet hätten.
Über Dargaville, ein verschlafenes Nest an der Westküste, wo nichts wirklich überzeugt außer den Gesichtern der hier lebenden Maori, geht es weiter nach Otamatea ins Kauri-Museum. Ich persönlich glaube, daß es des Aufwands zuviel ist, sich dem Fällen von schutzbedürftigen Bäumen so intensiv zu widmen, daß man dazu gleich ein ganzes Museum einrichten müßte. Wichtiger wäre es gewesen, gar nicht erst so viele dieser Bäume zu fällen, als daß es notwendig wird, sie unter Schutz stellen zu müssen. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen ist dieses, was seine Qualität anbetrifft, einmalige Holz an schätzenswerten Eigenschaften nicht zu überbieten; es eignete sich, vor allem wegen seiner Größe, vortrefflich für den Schiffsbau, was auch schon die alten Maoris erkannt haben, sowie für die Herstellung von edlem Mobilar. Spätestens jetzt wird jedermann klar, warum ein subtropischer Regenwald, der solche Baumriesen gedeihen läßt, von Feuchtigkeit und Niederschlag geradezu verwöhnt sein muß, und warum es hier so häufig regnet. Wie es die Eingeborenen allerdings fertiggebracht haben, aus der Wärme kommend, wo sie praktisch nackt herumliefen, angesichts der nicht gerade hohen Temperaturen hier wohnen zu bleiben, bleibt weiterhin ein Rätsel. In der Nähe von Dargaville befinden sich geologisch hochinteressante Felsformationen, nämlich spitz und kegelförmig zulaufende Felsnadeln, die vereinzelt als singuläre Erhebungen aus dem Gelände herausragen. Am späten Nachmittag legen wir wieder im Puriri-Park-Hotel an. An etwas feuchteren Tagen, aber auch sonst, kann man an den ausgedehnten Stränden stundenlange Wanderungen unternehmen.

Durch den Tongariro-Nationalpark

Heute ist der Tag der Sommersonnenwende auf der Südhalbkugel. Bis zur nächsten Sehenswürdigkeit, den Höhlen von Waitomo, gibt es zwischendrin nichts Sehenswertes. Unterwegs findet sich ausschließlich Kulturland, großflächig gerodetes, ehemaliges Regenwaldgebiet, das sich teils über landschaftlich uninteressante Ebenen, teils über sanft gewelltes Hügelland erstreckt. Die Glühwürmchen, für die die Höhlen von Waitomo berühmt sind, gibt es selbstverständlich nicht nur dort, sondern auch an vielen anderen Stellen des Landes. Eindrucksvoll ist vielmehr das Erlebnis als solches beim Überqueren des unterirdischen Sees in der Grotte. Es ist, als habe man einen eindrucksvollen Sternenhimmel über sich. Zu Tausenden und Abertausenden kleben die eine grüne Lichterscheinung abgebenden Insektenlarven der Arachnocampa-luminosa-Fliege an den Deckenwänden, wie Sterne am Firmament, wobei sie Fäden ausbilden, an denen das Opfer schließlich hängenbleibt. Mit einiger Phantasie kann man sie silbrigen Punkte zu "Sternbildern" anordnen. Die Tropfsteinhöhle selbst ist nicht sonderlich spektakulär; ich habe schon weitaus großartigere gesehen.
Von den Waitomo-Höhlen fahren wir über Kiokio und Putaruru weiter nach Rotorua, ein an Thermalquellen reiches Gebiet. Spektakulär sind wiederum einige Felsformationen der vorgenannten Art, welche wir vor Erreichen unseres Tagesziels passieren.
Nach Ankunft auf unserem Campingplatz in Rotorua machen fast alle von uns regen Gebrauch von der Möglichkeit, in den heißen Thermalquellen ein entspannendes Bad zu nehmen. Entgegen aller Erwartung sind die heißen Dämpfe beinahe geruchlos. Wenngleich das heiße Bad den Kreislauf angeregt hat, versinke ich dennoch in einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Nachdem sich der Sturm, der während der Nacht aufgezogen ist, am Morgen gelegt hat, erwartet uns ein strahlend schöner, wenn auch eisig kalter Tag. Vormittags besichtigen wir die vulkanischen Erscheinungen im Rotorua-Dorf, welches den Maoris gehört. Von den angelegten Wegen darf keinesfalls abgewichen werden, da man sonst Gefahr läuft, einzubrechen und sich im kochend-heißen Wasser zu verbrühen. Auf dem einstündigen Rundgang lernt man alle wesentlichen Erscheinungen erlahmender vulkanischer Tätigkeit kennen: Fumarolen, brodelnde Schlammtümpel, aus denen unausgesetzt Schwefelwasserstoff austritt, der an seinem nach faulen Eiern riechenden Geruch zu erkennen ist, Geysire und gelbe Schwefelablagerungen. Da das gesamte Gelände den Maoris gehört, können auch Erzeugnisse ihrer Kultur in Form von Nachbauten besichtigt werden: Versammlungshäuser, Kriegskanus, Totems und Wehrdörfer, die von Palisadenzäunen umgeben sind. Ein reichhaltiges Angebot an Schnitzhandwerk mag wohl zum Kauf anreizen, läßt aber gleichzeitig aufgrund des hohen Preises davor zurückschrecken. Auch die von den Maoris als Werkzeug zum Schnitzen benötigte Jade kann man hier erstehen; bis hin zu moderner Maori-Malerei und origineller Bekleidung kann man hier alles kaufen. Nach der Besichtigung machen wir noch eine Stippvisite auf einer traditionellen Schaffarm, wobei allerdings der Boom mit der Schafwolle langsam vorüber ist und manche Farmen bereits auf Rinderzucht umgestellt haben, womit sich offenbar bessere Erträge erzielen lassen.
Rotorua selbst ist ein geschäftiger Ort, wo man nahezu alles bekommt. Deutschsprachige Literatur, insbesondere für den Touristen, findet sich allerdings kaum, um nicht zu sagen, so gut wie nicht. Dennoch gelingt es mir, einige Restbestände von Werken über die Legenden und die Kultur der Maoris aufzukaufen. Wissenschaftliche Bibliotheken, wo einigermaßen anspruchsvolle Literatur angeboten würde, finden sich im ganzen Land nicht. Der "Kiwi" liebt augenscheinlich die seichte Literatur, was für Menschen, die ihre Heimat verlassen und auswandern, nichts Ungewöhnliches ist. Das Bodenständige, der schnelle Reibach, liegt dieser Sorte Mensch mehr. Es trifft sicher zu, daß ungezügeltes Eßverhalten - und Beispiele hierfür findet man in Neuseeland reichlich - und kulturelle Anspruchslosigkeit eng miteinander verwandt sind. So gesehen braucht es niemand in Erstaunen zu setzen, wenn man sich um Jungakademiker aus dem Ausland sehr stark bemüht. Interessant ist auch das Bild, welches sich vom heutigen Maori zeichnen läßt. Man braucht sich nicht zu wundern, daß er seine Stammestraditionen abgelegt hat und weitgehend verwestlicht ist. Nur in Ausnahmefällen begegnet man noch einem, der eine Gesichtstätowierung trägt, die früher auch bei Frauen gebräuchlich war. Ansonsten darf der Maori keinesfalls mit dem australischen Ureinwohner verwechselt werden, was ja aufgrund der Nachbarschaft zu Australien keine so abwegige Vermutung wäre. Aber der Menschen fressende Maori ist polynesischen Ursprungs und stammt irgendwo aus der Gegend von Tahiti, dem sagenhaften "Hawaiki" aus den Legenden. Die Polynesier waren ausgezeichnete Seefahrer und Navigatoren, und die von Generation zu Generation mündlich überlieferte Legende will wissen, daß sie das "Land der langen weißen Wolke" gegen Mitte des vierzehnten Jahrhunderts auf sieben großen Kanus erreicht haben. Die bereits seit dem achten Jahrhundert ansässigen Moa-Jäger wurden von ihnen zurückgedrängt.
Die Maoris sind wie die übrigen Polynesier Menschen untersetzten Typs, die wohl insgesamt stark zur Fettleibigkeit neigen, denn schlanke Menschen findet man unter ihnen kaum. Ihre Gesichter wirken leicht aufgedunsen, und sie erwecken ihrer einstigen Gefährlichkeit zum Trotz heutzutage keinen kriegerischen Eindruck mehr, sondern umgekehrt, einen eher stark verweichlichten, aber dies mag an dem Wohlergehen liegen, das ihnen mehrheitlich zuteil wurde. Ihre Hautfarbe ist dunkler als die der Weißen, aber heller als die eines Schwarzen. Ihre Gesichtszüge sind weich und fließend, starke Behaarung bei Männern findet man kaum. Die Maori-Frau gebiert in ihrem Leben ungefähr zweimal so häufig Kinder wie eine weiße Neuseeländerin, und eines Tages, wenn der Trend anhält, wird das Land wieder ganz den Maoris gehören. Die wenigen Begegnungen, die ich mit Maoris hatte, verleiten mich zu der Annahme, daß sie zwar scheu, aber freundlich sind.
Am Abend sind wir zu einem traditionellen Hangi-Essen geladen, mit allem was dazugehört. Da wäre zunächst das Begrüßungsritual, das mehr ist als nur eine Touristenattraktion und sehr ernst genommen wird. Sogar die Königin von England mußte sich anläßlich ihres Neuseelandbesuchs diesem Brauch, der auch und gerade in den höchsten Kreisen Einzug findet, unterziehen. Täuschend echt und mit besonderer Inbrunst werden dem Besucher Äußerungen abverlangt, die ihn als Freund oder Feind ausweisen. Dabei ist vieles an dem Annäherungsgebaren der "Wilden" einem Angriff oder einer Herausforderung zum Verwechseln ähnlich: Drohgebärden, Urlaute, Stampfen und Zischen, das Rollen der Augen und das Herausstrecken der Zunge, so weit es möglich ist, in Verbindung mit einem Scheinangriff mittels Speer ließen wohl in der Vergangenheit so manchen Fremden erschaudern oder umgekehrt entsprechend aggressiv reagieren, der größte Fehler, den man begehen konnte. Unweigerlich hätte ein Lachen oder ebenfalls ein Herausstrecken der Zunge, das Zuwenden des Rückens sofort einen todbringenden Angriff herbeigeführt. Nur der "Chief" – Frauen werden in dieser Rolle nicht anerkannt -, der mit stoisch gleichgültigem Blick, ohne Hohn und Spott sowie ohne ein Anzeichen von Furcht dem Scheinangriff standhält, wird als Freund akzeptiert, vorausgesetzt daß er das ihm zu Füßen gelegte Blatt aufhebt und ehrerbietig zurückgibt. Schon die Erwiderung des Warnsignals, welches bei Annäherung von Fremdlingen mit einer Riesenmuschel gegeben wird, hatte zu Zeiten der Entdecker dazu geführt, daß diejenigen, die als erste mit dem Beiboot an Land gingen, mit Keulen erschlagen wurden und im Kochtopf landeten. Übrigens verwendet der Maori-Krieger im Kampf keinerlei Waffen, die die Hand verlassen, sondern er benutzt dafür ausschließlich seinen Schlagstock, der an einem Ende spitz - zum Zustoßen - und am anderen platt - zum Schlagen - zuläuft.
Das Hangi-Essen ist heutzutage natürlich wesentlich reichhaltiger als die ursprüngliche Ernährung der Maori, wird aber nach wie vor auf traditionelle Art im erhitzten Boden zubereitet. Reichhaltig ist das Angebot an Meeresfrüchten: Austern, Muscheln und Garnelen. Allerdings finde ich die vielen albernen Beigaben zu amerikanisch für meinen Geschmack, für Amerikaner, wofür man uns offenbar gehalten hat, jedoch durchaus passend.
Der nächste Tag beginnt mit einer Fahrt zu dem bei dem verheerenden Vulkanausbruch des Tarawera im Jahre 1886 verschütteten Dorf Te Wairoa, welches zum Teil wieder ausgegraben wurde, um ein Museum daraus zu machen. Bei diesem Ausbruch des Vulkans sind die von aller Welt als Achtes Weltwunder bezeichneten weißen und pinkfarbenen Sinterterrassen für immer und ewig zerstört worden und sind heute von Lavaströmen zugedeckt. Die Fahrt führt an zahlreichen ehemaligen Kraterseen vorbei, dem Blauen und Grünen See und dem Okareka-See, die alle landschaftlich herrlich gelegen sind und von Wäldern gesäumt werden. Einen längeren Aufenthalt lohnt Waiotapu, ein Thermalgebiet, wo man alle vulkanischen Erscheinungen, wie Fumarolen, heiße Schlammtümpel, Sinterterrassen in klangvolle Namen gekleidet hat, z.B. Opal-See, Champagner-Teich, Teufelsbad. Im strahlenden Sonnenlicht kommen die verschiedenen Farben, die zu diesen vulkanischen Erscheinungen gehören, voll zur Geltung, so daß es ein großartiges Erlebnis ist, wenn man wie wir das Glück hat, daß die Sonne lacht. Gelb ist der Schwefel, weiß der Sinter, azurblau die Seen, schwarz und graubraun die heißen Schlammtümpel; weißer, stinkender Rauch steigt aus allen Erdspalten, und ringsum sind üppig-grüne Wälder. Über die Huka-Wasserfälle, zu denen man auch mit dem Jet-Boot gelangen kann, fahren wir weiter zum Taupo-See, einem vor Jahrmillionen bei einer gewaltigen Eruption des Taupo-Vulkans entstandenen Einsturzkrater, der sich mit Wasser gefüllt hat und heute den größten neuseeländischen Binnensee bildet. Hier am Taupo-See hat man bereits freie Sicht auf den 2797 m hohen, ständig mit Schnee bedeckten, Vulkan Mount Ruapehu, einem von insgesamt drei Vulkanen, die auf dem aus Lavafeldern aufgebauten Hochplateau von Tongariro gelegen sind, welches zu einem der ältesten Nationalparks der Erde erklärt wurde. Hier findet man neben einer endemischen Flora auch einige nicht endemische Arten, wie etwa den Ginster, der gerade in voller Blüte steht. Es ist ein karges Gebiet, wenig anheimelnd, und ohne die hier gedeihende Vegetation könnte man sich gut auf den Mars versetzt fühlen. Die nach dem Ruapehu nächsthöheren Vulkane Tongariro und Ngauruhoe bekommen wir kaum für längere Zeit zu Gesicht, da sie fortwährend von einer alles einhüllenden Wolkendecke umgeben sind. Völlig isoliert in dieser titanischen Landschaft steht das Grand Château, ein Hotel, welches als Sprungbett für die Skitouristen, die hier ihre Winterfreuden genießen wollen, dient. Vom Salon des Hotels aus bietet sich ein großartiger Panoramablick auf den Ngauruhoe, den wegen seiner typischen Kegelform markantesten der drei Vulkane. Während die beiden anderen erloschen sind, kam es beim Ruapehu in den letzten Jahren häufiger zu Eruptionen, wobei allerdings keine Menschenleben zu beklagen waren. Vulkane üben auf den Menschen seit jeher eine Faszination aus. Ein Vulkan ist ein sogenanntes Phallussymbol, und die Lava und Asche, die aus ihm hervorquillt oder ausgespien wird, spendet Fruchtbarkeit. Wohl deswegen verehrten die Maoris ihre Vulkane abgöttisch, und in einer ihrer Legenden steigt ein Priester mit einer gefangenen Sklavin zum Kraterrand empor, um seinen Göttern ein Menschenopfer darzubringen. Das unschuldige Mädchen wird kaltblütig mit der Keule erschlagen, bis dann der leblose Körper in den Krater hineinstürzt. Dies nährte bei den Maori die Hoffnung auf Kriegsglück.
Waiouru, wo sich unser Campingplatz befindet, ist ein verschlafenes Nest. Es gibt zwei sich kreuzende Hauptstraßen, einige Motels, eine Tankstelle und ein paar Geschäfte für das Nötigste. Die Holzhäuser, die eher Hütten ähneln, unterscheiden sich nicht sonderlich voneinander. Haus reiht sich an Haus, und es gibt keine Stichstraßen.
Bei regnerischem und trübseligem Wetter verlassen wir den Ort, an dem wir ein deutsches Aussiedler-Ehepaar kennengelernt haben. Mir ist, nachdem ich nun das Land ein wenig zu kennen glaube, völlig unverständlich, wie man sich zu diesem Schritt, den des Auswanderns nämlich, überhaupt entschließen kann. Die Farmer haben es schwer; Ackerbau wird offenbar aufgrund des zu rauhen Klimas wenig oder gar nicht betrieben, und was die Viehwirtschaft anbelangt, hege ich auch so meine Zweifel. An Bodenschätzen ist das Land ebenfalls nicht überreichlich gesegnet. Das Durchschnittseinkommen der Neuseeländer ist niedriger als unseres - vielleicht auch, weil sie demographisch jünger sind -, die Renten, die einmal ganz aus der Holzwirtschaft finanziert werden sollen, sind äußerst schmal, und die Krankenversorgung hinkt um Jahrzehnte der in Europa hinterher. Dazu ist das Klima kalt, regnerisch und windig, und an kulturellen Einrichtungen fehlt es überall, es sei denn, daß man sich mit Maori-Kultur begnügt. Dazu kommt noch die Gefahr von Erdbeben, in geringerem Maße auch von Vulkanausbrüchen. So glaube ich denn, daß man seine Heimat schon besonders hassen muß, wenn man sich zu dem Schritt, sie zu verlassen, entschließt.
Über Taihape gelangen wir, immer am Ufer des Rangitikei entlang, nach Hunterville, ebenfalls ein Ort der schon beschriebenen Art. Die nächste Station ist Bulls, wo wir in Richtung Paraparaumu bei der Lindale Farm einen kulinarischen Stop einlegen. Hier werden nämlich dreißig verschiedene Käsesorten angeboten, und das Speiseeis schmeckt ebenfalls vorzüglich. Besonders empfehlen kann ich Ingwer-Nuß-Eis.
Nun ist es nicht mehr weit bis Wellington, wo plötzlich die Wolkendecke aufreißt und sich ein zartblauer Himmel im schönsten Sonnenlicht zeigt. Lediglich der Wind, der durch die Cook-Straße fegt, ist etwas lästig. Mit beachtenswerter Geschwindigkeit jagen die Wolken über den Himmel; diese Gegend ist berüchtigt für die Röhrenden Vierziger. Dies sind Winde, die besonders um den vierzigsten Breitengrad mit äußerster Heftigkeit wehen und von außerordentlichen Niederschlagsmengen begleitet sein können.

Von Wellington über die Cook-Straße

In Wellington, endlich eine neuseeländische Stadt, die Stadtcharakter besitzt, muß man unbedingt auf den Mount Victoria, von wo man eine herrliche Aussicht über die Stadt und die Cook-Straße hat. Die Stadt selbst besticht durch ihre außergewöhnliche Sauberkeit. Nirgends findet man die von Europa her bekannten Graffiti-Schmierereien noch sonstigen Unrat. Nicht einmal Raucher trifft man auf der Straße an. Zudem ist alles hypermodern, beachtenswert die Wolkenkratzerarchitektur. Keinesfalls entgehen lassen sollte man sich eine Fahrt mit der historischen Cable Car auf den Kelburn Hill, denn von der Bergstation hat man ebenfalls einen prächtigen Blick auf die Stadt.
Im neuerbauten Nationalmuseum findet man verschiedene Ausstellungen zu Themen des Landes, u.a. werden täuschend echte Erlebnisse eines Vulkanausbruchs geboten, man kann in einen Erdbebensimulator treten, und es werden lebensgroße Attrappen von Moa-Vögeln gezeigt.
Am Abend findet, bei Punsch und Kerzenschein, eine kleine Weihnachtsfeier statt, die aufgrund des starken Windes aber nicht im Freien stattfinden kann.
Am Morgen des Weihnachtstages besteigen wir in Wellington die Fähre, um auf die Südinsel überzusetzen. Da an diesem Tag die neuseeländischen Sommerferien beginnen, ist die Fähre, der sogenannte Interislander, gut besetzt. Zunächst sah es nicht so aus, als würde das Wetter mitspielen. Dann aber lichten sich die Nebel und es wird überraschend schön. Die grünlich-blaue See ist heute, anders als sonst, nur mäßig bewegt, so daß wir eine außerordentlich ruhige Überfahrt erwarten dürfen. Wenn man bedenkt, daß in der Cook-Straße zumeist Stürme toben, so meint es der Wettergott gut mit uns. Die Überfahrt von Wellington nach Picton dauert ziemlich genau drei Stunden. Zunächst halten wir uns in Küstennähe zur Nordinsel, bis wir Kap Terawhiti erreichen. Hier ist zugleich die engste Stelle der Cook-Straße, die wir nun überqueren, um in den Königin-Charlotte-Sund einzulaufen. Hier, im Norden der Südinsel, befindet sich das Gebiet der sogenannten Marlborough-Sunde, einer ertrunkenen Gebirgslandschaft ähnlich der in Skandinavien. Dieses Gebiet ist landschaftlich außerordentlich reizvoll, viele der Inseln sind unbewohnt, und es ist ein ideales Revier für Segler, mit zahlreichen stillen Ankerbuchten. Vom Winde verwöhnt ist diese Welt der Inseln und Inselchen, der Fjorde oder Sunde seit jeher. Dazu kommt eine unbeschreibliche, unberührte Natur, eines der letzten Paradiese unseres Planeten: türkisblaue Wasser, bewaldete, ins Meer stürzende Steilhänge, die mit einer fremdartigen, entfernt verwandten Vegetation aufwarten, lassen hinter jedem Kap, das man umrundet, mit einer neuen Überraschung aufwarten. Noch ist dieses Paradies nicht vom Tourismus heimgesucht, noch hat die Zivilisation mit all ihren negativen Begleiterscheinungen, die vor allem auch der Tourismus mit sich bringt, nicht überall Fuß gefaßt, und es bleibt zu hoffen, daß dieses Weltnaturerbe noch lange Zeit unangetastet bleibt, denn auf den Waldeshöhen des Hinterlandes haben großflächige Rodungen unübersehbare Erosion nach sich gezogen.
Der Ort Picton, wo die Fähre anlegt, ist beispielsweise Zentrum der Holzwirtschaft, und die großangelegten Hafenanlagen verunstalten diesen einst reizvollen Hafenort, in dem nur die wenigen hier ankernden Yachten noch einen Hauch von Seemannsromantik vermitteln. Zwischen Picton und Havelock verläuft eine atemberaubende Uferstraße, die immer wieder prächtige Ausblicke auf den Sund bietet. Über den Fluß, der in diesen Sund mündet, welcher den Namen Pelorus Sound trägt, führt eine Brücke, Pelorus Bridge genannt, unter welcher man, bei einem solch herrlichen Wetter wie heute, ein erfrischendes Bad in den tiefgrünen, glasklaren Fluten nehmen kann. Das Wasser ist tief genug, daß man sich von den Felsen herab mit einem Hechtsprung ins kühle Naß stürzen kann. Ringsum sind zahlreiche Wanderwege angelegt, die durch üppig-grüne Wälder führen: ein Ort, der die Welt vergessen läßt.
Am Abend kommen wir am Eingang des Abel-Tasman-Nationalparks an und lagern uns auf einen Campingplatz direkt am Meer.

Im Abel-Tasman-Nationalpark

Die Bucht von Kaiteriteri ist malerisch, wie von zwei Türpfosten, von zwei Inselchen flankiert, die beide über Treppen leicht zugänglich sind und eine Bilderbuchansicht vom Strand gewähren. Mehrere, immer wieder auf die vorgenannte Art gegliederte Buchten reihen sich aneinander und laden zu endlosen Strandspaziergängen ein. Wo tagsüber sich zahlreich Freunde des Wassersports tummelten, kehrt am Abend Stille ein, und es wird einsam. Wenn die Sonne hinter den hohen Bergen, die bis an das Meer heranreichen, versinkt und die ganze Küstenlinie der Südinsel sich im matten Abendrot abzeichnet, wenn das Meer glatt wird und die Stürme, die tagsüber tobten, abflauen, sind die Laute der Seevögel das einzige, was die idyllische Ruhe unterbricht. Wenn du beschaulich abwartest, wie zuerst nur der Abendstern aufleuchtet und dann nach und nach die helleren Sterne am bläulichen Firmament aufscheinen, wirst du das Kreuz des Südens über dir sehen, bis die fahle Dämmerung allmählich in einen atemberaubend schönen südlichen Sternenhimmel übergeht. Und wenn du dann in mondloser Nacht zurückgehst und das Rollen der Brandung das einzige Geräusch ist, das du hörst, mußt du dich nicht ängstigen, denn wilde Tiere kennt diese Insel, die sich schon früh von Gondwanaland abgetrennt hat, nicht.
Wenn du den Abel-Tasman-Nationalpark durchwandern willst, so wähle den Küstenwanderweg, den du an beliebiger Stelle beginnen und wo immer du willst unterbrechen kannst. Du wirst für ihn mehrere Tage benötigen. Besteige also in Kaiteriteri ein Wassertaxi, und "James Lee" bringt dich an die Bucht deiner Träume. Ich habe den Weg von der Torrent-Bucht bis nach Marahau begangen, und ich habe mit wenigen Unterbrechungen acht Stunden für dieses Teilstück benötigt. Zuerst wandte ich mich nach Norden in Richtung Barken-Bucht, um wenigstens bis zur Französischen Bucht vorzudringen und dort umzukehren. Nun bin ich aber der Versuchung erlegen, mich auf einen Seitenpfad zu begeben, der mich zu einem Aussichtspunkt hätte führen sollen. Man kann den Hauptweg eigentlich nicht verfehlen, wenn man nicht, wie ich es tat, bewußt davon abweicht. Zunächst fanden sich noch einige Wegmarken, die dann aber immer seltener wurden oder als umgestoßene Pfosten quer über den Weg lagen. Schon jetzt wurde mir klar, daß dieser Pfad, den ich beschritt, nicht mehr gepflegt wurde und nach und nach verwildert und zugewachsen war. Auch verlief er zusehends steiler, sehr steil sogar, was mich aber, als einen Geübten, nicht davor zurückschrecken ließ, ihn immer weiter zu begehen, bis zur Spitze eines Berges, von dem ich mir eine großartige Aussicht hinab auf die Französische Bucht versprach. Doch sollte ich mich täuschen, denn dichtes Buschwerk hinderte die Sicht nach allen Seiten, und ich fing an zu zweifeln, ob es dort jemals einen Aussichtspunkt gegeben hat. Zudem schien der Weg sich zu verzweigen, und auch die verzweigten Wege verästelten sich weiter, so daß ich mich in einem Labyrinth von Pfaden verirrt zu haben glaubte. Doch mit der mir eigenen Verbissenheit bahnte ich mir meinen Weg zum Gipfel, den ich auch tatsächlich erreichte; aber den Rückweg verfehlte ich. Schon bald sah ich mich nur noch von undurchdringlichem Gestrüpp umgeben. Distelartige Pflanzen verwehrten mir ein Durchkommen, doch ich mußte, ich wollte zurück. Je tiefer ich stieg, desto mehr verstrickte ich mich auf ungangbarem Boden. Ich wußte, daß ich auf dem Kamm bleiben mußte, um nicht nach rechts oder links ins Meer abzustürzen. Denn schwimmen konnte ich nicht mit meiner Photoausrüstung, die mich außerordentlich behinderte. Außerdem hatte ich eine Kamera sowie mehrere Wechselobjektive erst vor zwei Jahren eingebüßt, als ich rücklings von einem Schlauchboot ins Meer fiel, und so etwas durfte mir nicht schon wieder passieren. Unvermeidlich geriet ich auf immer abschüssigeres Gelände, wo ich mich nur noch mit dem Einsatz der Hände von Baum zu Baum hangeln konnte. Schließlich wurde das Gestrüpp fast undurchdringlich, ich sah den Boden nicht mehr, auf den ich trat. Doch fallen konnte ich nicht weit, denn Zweige und Lianen hielten mich wie in einem engmaschigen Netz gefangen. Jeder weitere Tritt kam nun einer Befreiungsaktion gleich, für fünf Meter Vorankommens benötigte ich die gleiche Anzahl an Minuten. Nervös schaute ich auf die Uhr, die Zeit lief mir davon, geschweige denn, daß ich mir mit jedem Meter, den ich vorankam, etliche weitere Schnittwunden und Hautrisse einhandelte. Zum Glück schützte die Sonnenbrille vor einer Verletzung der Augen, aber vor lauter Dunkelheit sah ich nichts. Ich blutete bereits aus mehreren Wunden, aber ich achtete nicht auf den Schmerz, wenngleich ich, um mich selbst immer wieder anzufeuern, mit jedem Fehltritt einen lauten Urschrei ausstieß. Mein eigenes Keuchen war das einzige Geräusch in einer geräuschlosen Umgebung. Da vernahm ich plötzlich das Plätschern eines Baches, und ich ging diesem Geräusch nach, bis ich schließlich das Bächlein tief eingeschnitten unter mir sah. Über diesen Bach, der mir den Rückweg abschnitt, mußte ich hinüber, um zurück auf den Wanderweg zu gelangen. Wie vom Himmel gefällt, lag ein Baum quer über den Taleinschnitt, so daß ich zunächst ohne Mühen hinübergelangte, aber schließlich wurde meine Vorfreude auf Rettung durch den überaus steilen Anstieg auf der anderen Seite jäh gedämpft. Ich konnte mich nur mit äußerstem Kraftaufwand von Baumstamm zu Baumstamm ziehen und verlor dabei soviel Schweiß, daß mich bereits der Durst peinigte, abgesehen davon, daß ich immer wieder umkehren und absteigen mußte, wenn es bergan nicht mehr weiterging. Hätte ich nicht zuvor eine ganze Tafel Schokolade aufgezehrt, ich hätte niemals die Kraft besessen, um in diesem Kampf gegen die Natur zu bestehen.
Da ging ich in mich und dachte nach, was in dieser Situation angebracht schien. Ich hatte ein Mobiltelephon in meinem Rucksack, und auch die Rufnummern einiger Prospekte hätten mir Hilfe bringen können, was also sollte ich tun? Doch noch war ich nicht verzweifelt genug, um von diesem letzten aller Hilfsmittel Gebrauch zu machen. Erst wenn ich mir etwas gebrochen haben würde und ich nicht mehr weiter konnte, wollte ich auf eine Fremdrettung zurückgreifen. Der zündende Gedanke, der mir dabei kam, war folgender: Wo ein Bach fließt, so dachte ich mir, brauchte ich doch nur die Flußrichtung festzustellen und dem Gefälle zu folgen, denn ich wußte ja, daß der Bach ins Meer fließen mußte, das tief unter mir war. In der prekären Lage, in der ich mich befand, hätte ich notfalls auch meine Photoausrüstung geopfert und mich schwimmend gerettet. Doch auch diese, zweifellos richtige Entscheidung war nicht ohne Hindernisse umzusetzen. Das Wasser war eiskalt, aber wo es ging, watete ich durchs Wasser. Auf moosbedeckte Felsen trat ich nur, wenn ich mich gleichzeitig an einem Baum oder einer Liane festhalten konnte, und so schwang ich mich wie ein Affe von Baum zu Baum, sprang von Fels zu Fels, stets den Abgrund vor Augen. Das größte Hindernis dabei stellten die vielen kleinen Wasserfälle dar, über die ich mich nur mit Hilfe von Lianen ablassen konnte. Wo ich das Bachbett an einigen Stellen verlassen mußte, griff ich wild um mich nach Baumstämmen, aber nicht alle boten Halt. Viele abgestorbene Bäume habe ich dabei aus ihrer Verankerung gerissen, aber was bedeutet schon Naturschutz, wenn es um ein Menschenleben geht. Schnell bekam ich heraus, was einen gesunden Baum von einem morschen unterscheidet, nämlich die Rinde. Die Rinde gesunder Bäume, die gut Halt bieten, ist hell, im Gegensatz zur dunklen Rinde bereits abgestorbener Bäume. Palmstümpfe durfte ich meist überhaupt nicht anfassen, ohne nicht von feinem Holzstaub während des Zerbröselns eingenebelt zu werden.
Nachdem ich etwa eineinhalb Stunden in dieser grünen Hölle zugebracht hatte, und dies nur deshalb, weil ich einen Pfad, für den ich nicht mehr als zehn Minuten gebraucht hätte, verfehlt hatte, stand ich plötzlich, nicht ohne einen Anflug von Euphorie, am Meer, vom Sonnenlicht geblendet, watete hinaus in die Bucht, in der einige Boote vertäut und solche die vor Anker lagen und auf denen sich Menschen befanden, denen ich zuwinken konnte. Noch immer wollte ich mir nicht die Blöße geben, um Hilfe zu bitten, und ich verzichtete darauf, die Leute, die mir hätten helfen können, durch Schreien und Winken herbeizurufen. Mich am steilen Uferbewuchs entlanghangelnd, gelang es mir schließlich, den Weg wiederzufinden, und unvermutet stand ich unter der Hängebrücke, die am Weg des Küstenwanderweges liegt und die Bucht überspannt, unweit der Stelle, wo ich die Abzweigung genommen hatte. Ich kann nicht ausdrücken, was ich über die Rettung, die ich nur mir selbst zu verdanken hatte, empfand. Es war, glaube ich, so ein Gefühl, als würde die Vorsehung es nicht zulassen wollen, daß ich ein solch schmähliches Ende nehmen sollte. Und es war ein Sieg des Geistes über die Materie.
Nachdem ich solches erlebt hatte, verblieb mir nur wenig Zeit für einen, in Anbetracht der schon verstrichenen Zeit, unglaublich langen Rückmarsch, der mehr als fünf Stunden in Anspruch nehmen würde und den ich halb laufend, halb hinkend zurücklegte, stets die Möglichkeit in Erwägung ziehend, an den Strand hinabzugehen und eines der zahlreichen Wassertaxis aufzuhalten, die in Ufernähe vorbeifuhren. Mein rechtes Bein schmerzte höllisch, und ich blutete aus vielen kleinen Schnittwunden, die wie Feuer brannten.
Der Küstenwanderweg ist außerordentlich sorgfältig präpariert, sämtliche Hindernisse wurden aus dem Weg geräumt, Wasser führende Stellen überbrückt, so daß man ihn mit Ausnahme der Zeitdauer, die seine Begehung in Anspruch nimmt, nicht als schwierig bezeichnen kann. Er windet sich wie ein Laubengang und stets schattenspendend von Regenwaldbäumen überdacht um zahlreiche malerische Buchten herum, verläuft einmal fast auf Meeresniveau, ein andermal in respektablen Höhen über dem Meer. Von der Torrent Bay hinüber zur Anchorage Bay gelangt man je nach Wasserstand auf dem Niedrigwasserweg in einem Drittel der Zeit, die der Hochwasserweg in Anspruch nimmt. An zahlreichen Stellen plätschern Bäche ins Meer hinab und münden in seine Buchten, die sämtlich von einer üppig-grünen Flora bestanden sind, die Lebensraum einer wundersamen Vogelwelt ist. Die Te-Pukatea-Bucht und den Pitt-Kopf lasse ich links liegen. Selbst für einen kurzen Badestop an einem der idyllischen Strände, wie etwa der Stillwell-Bucht, der Appletree-, Coquille- oder Tinline-Bucht reicht meine Zeit nicht mehr aus. Mit Sehnsucht erhasche ich immer wieder phantastische Ausblicke auf die Fisherman- und Adele-Inseln, auf die im smaragdgrünen Wasser vor Anker liegenden Yachten, umgeben von einer subtropischen Palmenvegetation, aber ich kenne nur einen Gedanken, und der heißt Marahau, unser ausgemachter Treffpunkt.
Mit zehnminütiger Verspätung treffe ich dort ein, den Schmerz in meinem rechten Fuß, der schon stark angeschwollen ist, fühlte ich längst nicht mehr, und nun muß ich Rechenschaft ablegen und berichten, welches der Grund meiner Verspätung ist, und erschöpft, wie ich aussehe, könnte ich nicht leugnen, daß mir Schlimmes widerfahren ist. So ist denn alles noch einmal gut gegangen, und es ist eine Gnade des Himmels, daß uns zwei wunderschöne Tage im Norden der Südinsel vergönnt waren, was beileibe nichts Selbstverständliches ist.
Bei strahlendem Sonnenschein verlassen wir am Mittwochmorgen Kaiteriteri an der Tasman-Bucht und fahren durch eine typische Mittelgebirgslandschaft, die so gut wie menschenleer ist, bis wir den Owen erreichen und schließlich den Buller, der bei Westport in die Tasman-See mündet. Hier, am östlichen Zipfel der Karamea-Bucht, liegt Kap Foulwind, eine abgeschiedene dramatisch-wilde Küstenlandschaft, auf die riesige Wogen zurasen, die sich an den Klippen unter turmhohem Aufschäumen brechen. Dieses Kap ist zugleich Robbenkolonie, und auch viele andere Tier- und Pflanzenarten kommen hier vor. Am höchsten Punkt der Steilküste steht eine Gedenktafel für Abel Janszoon Tasman, der im Jahre 1642 unweit von Kap Foulwind Land sichtete und somit als Entdecker Neuseelands gilt.
Unsere Route führt weiter längs der Küste durch den Paparoa-Nationalpark, dessen herausragende geologische Sehenswürdigkeit die sogenannten Pfannkuchenfelsen bilden. Unterschiedlich und abwechselnd harte, dünne Erosionsschichten im zugrunde liegenden Sedimentgestein erwecken in der Tat den Eindruck, als wäre eine überdimensionale Ladung Pfannkuchen übereinandergeschichtet worden. Hinzu kommt, daß das Meer Auswaschungen im Fels entstehen ließ, so daß die Brecher durch das dabei entstandene Loch hindurchbranden und hinter dieser natürlichen Felsbrücke gegen die Steilwände donnern. Entlang der ganzen Küste sind zahlreiche bizarre Klippen geformt worden, die allerlei Phantasiegebilde entstehen ließen. Im Paparoa-Nationalpark steht eine Reihe von angelegten Wanderwegen zur Auswahl, u.a. der sogenannte Pororari-Flußwanderweg, der sowohl mit dem Kajak als auch zu Fuß in einer mehrtägigen Tour erschlossen werden kann. Besonders reizvoll ist die Einfahrt vom Meer her. Unter steil aufragenden Felswänden findet sich eine besondere Palmenart, deren Verbreitungsgebiet genau hier endet. Wir aber haben für eine mehrtägige Wanderung keine Zeit, denn unser nächstes Ziel ist der Mount Cook mit seinen beiden Gletschern, dem Fox Glacier und dem und dem Franz-Josef-Gletscher. Also nächtigen wir im regenreichen Greymouth.

Durch den Westland-Nationalpark

In der Nacht steigern sich die Regenfälle zu einem solchen Ausmaß, daß ich morgens in einem nassen Bettzeug aufwache. Dies allein wäre noch nicht so schlimm, aber der Regen setzt sich tagsüber fort, und zwar in solchen Mengen, daß einen das nackte Entsetzen packt. Es fällt innerhalb von vierundzwanzig Stunden die gesamte Regenmenge, die für Christchurch als Monatsmittel angegeben wird. Somit setzt ein gewisses Bangen ein, ob unser geplanter Helikopterflug zu den Gletschern hinauf auch tatsächlich durchgeführt werden kann. Nach den Prognosen der Wetterkarte liegt ein Tief, zweimal so groß wie ganz Neuseeland, dessen Ausläufer bis nach Auckland reichen, über der Insel. Die großen Gletscher Neuseelands sind der Franz-Josef-Gletscher, der vom Mount Tasman herabkommt, sowie der Fox-Gletscher, der noch einmal um einiges länger ist. Das Besondere an diesen Gletschern ist, daß sie bis auf eine Höhe zwischen 275 und 300 Metern über dem Meeresspiegel herabreichen, also direkt in den Regenwald hinein. Seit 1865 ist ein stetiger Rückgang der Gletscherzunge zu beobachten, der mit der globalen Erwärmung seit Beginn des Industriezeitalters zusammenhängt. Bemerkenswerterweise wächst der Gletscher seit 1970 wieder, was jedoch als Sekundäreffekt gedeutet wird und auf die vermehrten Niederschläge zurückzuführen ist, die aufgrund der Temperaturzunahme an eine erhöhte Feuchtigkeitsaufnahme der Luft gekoppelt sind. Die Fließgeschwindigkeit beider Gletscher beträgt etwa zwei Meter pro Jahr. In der Gegend um den Mount Cook liegen vier der höchsten Berge Neuseelands, die alle die Dreitausendergrenze überschreiten. Darunter finden sich neben dem Mount Cook mit 3764 m, als dem höchsten Berg Neuseelands, so namhafte Gipfel wie der Mount Tasman (3498 m), der Mount Sefton (3157 m), der Malte Brun (3155 m) und Elie de Beaumont (3117 m).
Nachdem der ganze Tag wolkenverhangen war, kommen am Abend noch einige Sonnenstrahlen zum Vorschein. Der Fels ist hier von einer karminroten Flechtenart überzogen, die den herumliegenden Gesteinsbrocken ein Aussehen verleihen, als ob auf ihnen ein Schlachtopfer stattgefunden hätte. Unvermutet schießt ein goldener Strahl der untergehenden Sonne aus den Wolken hervor und übeflutet die den Gletschern vorgelagerten Berge, die sich blendend-weiß gegen den sich abzeichnenden Nachthimmel abheben, mit einem weichen Abendlicht, was der Szenerie ein gespenstisches Aussehen verleiht. Grautrüb eingefärbt, mit weißen Schaumkronen versehen, rauschen die Fluten wie Sturzbäche von den Gletschern herab und breiten sich vielgliedrig über eine weite Schwemmlandebene aus.
Die Teerstraße zum Franz-Josef-Hotel kann auch bestens als Wanderweg benutzt werden, denn nur äußerst selten muß man einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen.
Die für heute morgen angekündigten Helikopterrundflüge können unerwartet stattfinden, denn am Morgen reißen die Himmel auf, und die Sonne taucht die frischen Neuschneemassen auf den Gletschern in ein blendendes Weiß. Noch immer ziehen einige unschlüssige Wolken über die Gipfel hin, die bald freigegeben, bald wieder eingehüllt werden. Die Piloten haben Erfahrung, und sie wissen, daß frühmorgens die Sichtverhältnisse am besten sind. Wir fliegen in drei Wellen. Ich habe mich für die letztere entschieden und wollte damit den anderen ein Schnippchen schlagen, aber ich muß es bereuen, denn wir als die letzten bekommen den Mount Cook nicht mehr zu sehen. Dafür gehen wir über den Fox-Gletscher, und nicht wie die anderen über den Franz-Josef-Gletscher, nieder, den wir auch hinaufgeflogen sind. Es gibt in den Alpen und im Himalaja sicher großartigere Gletscher und imposantere Berge, und der Hauptreiz der Unternehmung liegt sicherlich darin, der zwei höchsten Berge Neuseelands überhaupt ansichtig zu werden. Der Flug hinauf und mehr noch hinab, durch die Nebelschwaden hindurch, ist faszinierend. Gewaltige Eisbrüche türmen sich, wo der Gletscher an Kanten abreißt. Hoch oben auf dem Kamm machen wir eine Schneelandung und verlassen alle den Hubschrauber. Zwischen den gelb-rosa zerrissenen Wolkenfetzen zeichnet sich das Gipfelmassiv des Mount Tasman ab. Die Wolken und das sie durchflutende Sonnenlicht erzeugen eine bedrohliche Kulisse. Kaum zehn Minuten sind vergangen, daß ich, barfuß in Sandalen, durch den Schnee gestapft bin, und schon winkt der Pilot zum Weiterflug. Die Wolkendecke zieht zu, und der Abflug wirkt wie eine Flucht, was dem Ganzen noch etwas mehr Spannung verleiht. Über dem Gletscher haben wir einen herrlichen Blick hinaus aufs Meer, und als wir landen, möchte man meinen, man sei auf einer saftigen Almweide in Oberbayern. Obgleich es nur ein kurzes Vergnügen war, dürfen wir uns dennoch glücklich schätzen, daß es uns überhaupt vergönnt war, diesen Flug durchzuführen, zumal wir uns nur einen einzigen Tag in Franz Josef aufgehalten haben.
In der Nähe von Fox Glacier befindet sich der Matheson-See, in dem sich bei günstigen Licht- und Wetterverhältnissen Mount Tasman und Aoraki spiegeln, ein beliebtes Postkartenmotiv. Nach diesem kurzen Abstecher setzen wir die Fahrt fort und legen am Ship Creek, der nach einem hier gestrandeten Schiff so benannt wurde, den nächsten längeren Aufenthalt ein. Kaum irgendwo anders als hier ist der Regenwald, der immergrün ist, also das ganze Jahr über sein Laub nicht abwirft, schöner und von größerem Artenreichtum. Anders als bei uns, wo nur die Wetterseite der Bäume moosbedeckt ist, ist hier der Baum rundum mit Moos überzogen, so daß er aussieht, als wäre er in einen grünen Pelz gekleidet. Auch lebt selten eine Pflanze allein; sie ist stets von anderen überwuchert oder überwachsen. Derart vorteilhaft hat die Natur es eingerichtet, daß viele Arten zugleich sich in perfektem Zusammenleben in einen in Anbetracht der spärlichen Lichtverhältnisse äußerst knappen Lebensraum teilen. Der Wald ist dunkel, aber licht genug, daß selbst noch unter Wasser allerlei Schlingpflanzen ausreichend Licht für die Photosynthese erhalten. Anders als bei uns hat die Natur hier viel- und feingliedrige Blattformen entwickelt; besonders kleinblättrige sind es, die dominieren. Sie folgen dem Beispiel des Farns, der auf Neuseeland massenhaft vorkommt und neben den verschiedenen Arten von Moosen den besonderen Reiz dieses Regenwaldes ausmacht. Das Wurzelwerk der Bäume steht unter Wasser, und Tröpfchen von Wasser hängen an allen Enden; wie silbrig-glänzende Perlenschnüre aufgereiht ziehen sie die Zweige nach unten. Aus den Baumkronen fallen ständig schwere Tropfen in das rostfarbene, im Flachen gelblich erscheinende Wasser, das im Schatten sich bis ins Tiefschwarze verfärbt. Es ist ein mooriges, äußerst weiches Wasser, das aus dem Urgestein kommt.
Viele der hier natürlich vorkommenden Pflanzen kennen wir von Zuhause als Zimmerpflanzen, die wenig Wärme brauchen, aber viel Wasser benötigen.
Unsere Route führt noch ein Stück Wegs die Westküste entlang. Bei Knights Point kann man mit dem Fernglas Robben beobachten. An der gesamten Küste tauchen immer wieder spektakuläre Felsformationen auf. Bei Haast führt unser Weg nunmehr landeinwärts, zur Wasser- und Wetterscheide am Haast-Paß. Dieses Gebiet wurde, benannt nach dem höchsten Berg der Region, zum Aspiring-Nationalpark erklärt.
Im Bereich der Südlichen Alpen sind zahlreiche Wanderungen möglich, von denen sich einige über mehrere Tagesetappen erstrecken. Unsere Zeit reicht nur für etliche kleinere Wanderungen aus und für Abstecher zu einigen Wasserfällen, z.B. den sogenannten Jetty Bills Falls. Zu den "Blauen Teichen", wo man zur Laichzeit Forellen beobachten kann, führt ein 30minütiger Fußweg hin, durch Wald und über eine Hängebrücke. Riesige Silberbuchen, die wiederum gänzlich moosbedeckt sind, vermitteln einen urwaldähnlichen Eindruck. Ungefähr so müssen auch unsere heimischen Wälder einmal ausgesehen haben, ehe er Mensch kam und sie rodete.
Nach Überschreitung des Haast-Passes kommen wir in ein Gebiet, das als äußerst trocken gilt, aber wir finden dort anstatt Trockenheit nur Feuchtigkeit, und zwar in Form von Regen. Die Berge sind bis in die Gipfelregion hinauf ohne Baumwuchs; nur eine Art Macchia gedeiht hier. Der Lake Wanaka ist der erste einer Reihe großer Seen, die im Hinterland des Fiordland-Nationalparks liegen. An der Stelle, wo sich der Wanaka- und der Hawea-See am dichtesten annähern, hat man bei gutem Wetter einen herrlichen Anblick, der etwas von einer großartigen Majestät besitzt. Schließlich erreichen wir Wanaka, wo die Unbilden der Witterung gar sehr auf unsere Stimmung drücken.
Als wir am nächsten Morgen erwachen, hat es wieder die ganze Nacht geregnet, so daß viele nicht aus dem Bett wollen. Bereits im letzten Jahr hat es hier so starke Niederschläge gegeben, daß der ganze Campingplatz von Wanaka überflutet war. Noch während wir frühstücken, reißt der Himmel plötzlich auf, und das Sonnenlicht taucht die schneebedeckten Berge in ein blendendes Weiß. Der Himmel ist von einer einzigartigen Klarheit an diesem Morgen, aber einige hartnäckige Wolken halten sich noch in den Gipfelregionen. Unser Campingplatz liegt direkt am See, der, spiegelglatt, in der morgendlichen Kühle tiefblau schimmert. Wir messen 4,5° C Lufttemperatur, und dies unmittelbar nach Sommersonnenwende, wenn bei uns in Europa normalerweise die heißesten Tage herrschen. Die Schneefallgrenze ist auf etwa 800 m abgesunken, so daß die umliegenden, gänzlich unbewaldeten Berge wie überzuckert aussehen. Alles deutet auf den Durchzug einer Kaltfront hin, denn bald danach wölkt der Himmel erneut zu, und es fängt an zu regnen.
Immer der Nationalstraße Nr. 6 folgend, erreichen wir, von Wanaka aus, alsbald das Kawarau-Tal und gelangen zur berühmten Suspension Bridge, der ersten Brücke, von der jemals ein Bungy Jumper herabgesprungen ist. Es war ein Neuseeländer namens A.J. Hackett, der das Bungy Jumping erfand, das nun seine weltweite Verbreitung gefunden hat. Dieser hat sich übrigens noch dadurch einen Namen gemacht, daß er sich als erster vom Eiffelturm herabstürzte.
Natürlich werden wir von unserem Guide gefragt, ob einer von uns einen Sprung wagen möchte. Mein Geldbeutel schreckt jedoch vor dem Preis zurück, denn ein Sprung, der nur ganze zwei Sekunden dauert, kostet 180 Neuseeland-Dollar oder umgerechnet 200 DM, und das ist mir die Sache nicht wert. Außerdem habe ich die gute Ausrede, daß mein Bein noch immer stark angeschwollen ist und bei jedem Tritt schmerzt (und Bungy Jumper werden nun einmal am Bein angebunden). Ich hoffe freilich, daß mich deswegen niemand für einen Feigling hält, denn wenn mir das jemand gesagt hätte oder auch nur eine abschätzige Bemerkung gemacht hätte, wäre ich selbstverständlich gesprungen, daran gibt es gar keinen Zweifel. Übrigens haben sich angeblich schon Neunzigjährige von dieser Brücke heruntergestürzt, aus welchem Grund auch immer (vielleicht aus Lebensmüdigkeit in der Hoffnung, daß das Seil reißt). Gleichwie, das Ganze ist ausschließlich aufs kommerzielle ausgerichtet, und was zählt, ist nicht der Mut - denn Bungy Jumping ist sicher -, sondern die Hebung des Selbstwertgefühls, und dies, glaube ich, habe ich nicht nötig. Einer aus unseren Reihen will den Sprung dennoch wagen, und als er anschließend auch noch zwei Kinder vor dem Ertrinken rettet und sich ins eiskalte Wasser stürzt, wird er zum gefeierten Helden des Tages. Hinterher über seinen Sprung befragt, gibt er sich bescheiden: er braucht offensichtlich die Akzeptanz der Gruppe. Ich persönlich hätte mich zutiefst geschämt, wenn ich wie Tarzan mit geschwellter Brust auf dem Vorsprung stehen und mich mit einem ästhetischen Hechtsprung hätte hinabstürzen müssen, von einer Videokamera gefilmt und von allen im Bungy Center auf dem Monitor beobachtet, und das alles nur, um Applaus zu ernten. Man erhält in Anerkennung seiner Leistung ein Zertifikat, ein T-Shirt und den Videoclip: ein schönes Andenken!
Im Bungy Jumping Center genießen wir abschließend noch einen Cappucino zu den stereotypen Rhythmen der Techno-Musik, ehe wir uns fröstelnden Fußes wieder auf den Weg machen. Unser nächstes Ziel ist Arrowtown, eine alte Goldgräberstadt im Otago, wo gerade ein Flohmarkt stattfindet. Ich wundere mich sehr über einen Harnischmacher bzw. Schwertschmied, der hier am anderen Ende der Welt Streitäxte, Turnierhelme und Morgensterne zum Verkauf anbietet. Was dieses Spektakel allerdings in Neuseeland zu suchen hat, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Der Ort ist zwar beschaulich, besitzt aber außer vielen schmucken Geschäften und einem kleinen Museum nichts, was einen längeren Aufenthalt lohnt. Also zieht es und von hier fort, denn das prächtige Wetter und die umgebende Bergwelt verheißen Gutes für unser nächstes Ziel Queenstown.

Queenstown

Q-Town, wie die Kiwis es nennen, ist ein Ort, der vor allem junge Leute anzieht, Tramps aus aller Welt, die von hier aus ihre Trekking-Touren beginnen. Obwohl die Stadt nur dreitausend Einwohner hat, gibt es etwa 20 000 Übernachtungsplätze, was beweist, daß Tourismus eine ihrer Haupteinnahmequellen ist. Die Stadt liegt zu Füßen der sogenannten Remarkables, der "Außergewöhnlichen", denn so nennt man die Hausberge der Stadt, von denen sie majestätisch überragt wird. Unten im Hafen legt täglich eine altes Dampfschiff an, das angeblich im Jahre 1912 gebaut wurde. Wer ein Alter besitzt, welches das Baujahr diese Schiffes übertrifft, darf kostenlos mitfahren. Auf der sogenannten Mall, die Einkaufsstraße der Stadt, spielt sich geschäftiges Treiben ab; es sind eindeutig die Rucksacktouristen, die hier dominieren. Die ganze Stadt ist bis zum Überlaufen voll mit Menschen, die sich in Scharen durch die zahlreichen Geschäfte drängen. Auch der Zeltplatz ist so gut wie ausgebucht. Die besondere Attraktion ist die Fahrt mit der Gondel auf Bob‘s Peak, von dem sich eine wahrlich traumhafte Aussicht auf den Ort, die umliegende Bergwelt und den Wakatipu-See bietet. Viele der Jüngeren bevorzugen es wie ich, den Berg zu Fuß zu bewältigen. Der Anstieg ist nicht sonderlich mühsam, wobei einige mit besonders guter Kondition sich den Berg offenbar als Jogging-Objekt ausgesucht haben. Auf der Dachterrasse herrscht große Regsamkeit. Auch der berüchtigte angelsächsische Kitsch darf nicht fehlen, man kann hier oben nämlich Go-Kart fahren, Bungy Jumping treiben, Paragliden und Sahnetörtchen essen. Nach ungeduldigem Warten auf die Sonne - um dem überwältigenden Ausblick noch etwas mehr abzugewinnen - mache ich mich wieder auf den Rückweg, komme pünktlich vor dem einsetzenden Regen im Camp an, um mich, im Freien sitzend und am ganzen Körper fröstelnd, an Frikadellen und Kartoffelpüree zu laben.
Neuseelands größtes Problem ist heute die unkontrollierte Ausbreitung eingeführter Tier- und Pflanzenarten. Darunter fallen Kaninchen, Opossums, Ratten, Wild und Ginster. Alle diese nicht endemischen Arten haben keine natürlichen Feinde und können sich daher uneingeschränkt ausbreiten, zu Lasten einheimischer Arten, die den Kampf ums Überleben dadurch zu verlieren drohen. Die ersten Siedler, die den Fehler, sie einzuführen, begangen haben, wußten noch nichts von ökologischem Gleichgewicht, und ihnen kann daher kein Vorwurf gemacht werden. Andere Arten wiederum teilen nicht das Schicksal, Feind der natürlichen Arten zu sein. Dazu gehört die Regenbogenforelle, die in den neuseeländischen Gewässern bestens gedeiht und gar zu einem Fischerei-Boom geführt hat. Auch Wild wurde angesiedelt und lockt Jäger aus der ganzen Welt zum Abschuß. Die ersten Menschen, die die Landschaft Neuseelands wirklich grundlegend veränderten, waren die sogenannten Moa-Jäger, welche, um dem Vogel nachstellen zu können, die Wälder abbrannten und damit das Aussehen der Südinsel grundlegend veränderten. Wie wir bereits wissen, sind alle vorkommenden Arten des Moa ausgerottet worden, denn die gesamte Südinsel war einst von dichten, immergrünen Regenwäldern überzogen, an deren Stelle heute das bereits unter Naturschutz stehende Rote Tussock-Gras getreten ist. Obwohl dieses Gras sehr weich aussieht, wenn es sich im Winde wiegt, ist es dennoch sehr hart. Nachdem wir solchermaßen veränderte Landschaften durchquert haben, gelangen wir schließlich an den Te-Anau-See am gleichnamigen Ort. Hier beginnt der Fiordland-Nationalpark, und von hier führt eine Gebirgsstraße zum "Achten Weltwunder", dem Milford Sound.

Der Fiordland-Nationalpark

Aufgrund der zwölfstündigen Zeitverschiebung zwischen Neuseeland und Deutschland fällt das Neue Jahr auf den Weihnachtstag zwölf Uhr mittags. Von der feierlichen Stimmung, die bei uns im tief verschneiten Voralpenland zum Jahreswechsel herrscht, merkt man in Te Anau, einem kleinen Ort, natürlich nichts. Zwar spielt eine Liveband zum Auftakt Open Air, aber auch bei dem auf Sommer Eingestellten lassen die frostigen Temperaturen keine rechte Gemütlichkeit aufkommen. In den Pubs und Restaurants der Stadt ist ein gemischtes Publikum aus aller Welt zusammengekommen, und jede Gruppe will unter sich bleiben. Daher halten wir es für das Beste, unsere Kräfte für den kommenden anstrengenden Tag zu schonen und das Feiern des Jahreswechsels, oder wenn man so will, des Jahrtausendwechsels, auf unser morgiges Ausflugsboot, wenn wir gerade auf dem Milford Sound liegen, zu verlagern. Dort sind wir dann jedoch so gut wie von der Außenwelt abgeschnitten, denn die Mobiltelephone funktionieren im Nationalparkgebiet nicht.
Eine Viertelstunde früher als gewöhnlich brechen wir am Neujahrstag des Jahres 2001, welcher eigentlich der erste Tag eines neuen Jahrtausends ist, auf in Richtung Milford Sound, der in Neuseelands größtem und ältestem Nationalpark gelegen ist, dem Fiordland National Park. Die Straße, welche in den Nationalpark führt, heißt im Volksmund Via Mala. Bereits James Cook verzeichnete in seinem Bordbuch, daß die Berge hier so dicht an dicht stehen, als würden sie keine Täler zwischen sich dulden. Da es in den vergangenen Tagen heftig geregnet hat, sind alle Gipfel und Gletscher bis auf eine Höhe unterhalb von 800 m mit frischem Neuschnee bedeckt, was das Imposante und Majestätische dieser Landschaft ins Unglaubliche steigert. Der Milford-Sund reicht bis auf 17 km ins Landesinnere, aber er ist damit nicht der längste Fjord des Fiordland-Nationalparks, und er liegt so versteckt, daß selbst James Cook dreimal daran vorbeisegelte, ohne die Einfahrt zu entdecken. Cook ankerte im benachbarten Dusky Sound. Dabei ist der Name Sound oder übersetzt Sund durchaus nicht zutreffend, denn ein Sund ist ein von Flüssen geschaffener Meeresarm. Waren hingegen Gletscher die Ursache seiner Entstehung, so spricht man von einem Fjord. Dies wußten jedoch diejenigen, die die Namen vergeben haben, noch nicht, und so blieb es bei der alten Bezeichnung. Ehe wir jedoch an den Milford-"Fjord" gelangen, müssen wir, gerechnet ab dem Te-Anau-See, zuerst noch eine Strecke von über hundert Kilometern zurücklegen und dabei sogar eine Paßhöhe von ungefähr 900 m überwinden, den sogenannten Homer Pass, benannt nach dem gleichnamigen Forscher, von dem der Vorschlag, einen Tunnel zu bohren, um den Milford-Sund auch auf dem Landweg erreichen zu können, stammt. Vorbei an etlichen Seen, darunter dem Lake Gunn, kommen wir hinauf zur Paßhöhe, die zugleich Wasser- und Wetterscheide ist. Die Tunnelröhre ist stark gekrümmt, und was das Besondere daran ist, sie erstreckt sich innerhalb des Berges über einen Höhenunterschied von etwa 200 m, mit dem Gefälle in Richtung Meer hin. Es ist nicht leicht, größeren entgegenkommenden Fahrzeugen in der Röhre auszuweichen. Nachdem man den Tunnel am anderen Ende wieder verlassen hat, muß man in vielen Kehren hinab auf Meereshöhe, eine sowohl landschaftlich als auch verkehrstechnisch große Herausforderung, denn auf der anderen Seite findet sich das regenreichste Niederschlagsgebiet der Erde. 8000 mm Niederschlag pro Jahr lassen überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen, daß wir im Fjord auf schlechtes Wetter treffen. In der Tat verläuft die gesamte anschließende Bootsfahrt auf dem Sund in einer düsteren und bedrohlichen Stimmung. Von überallher rinnen Sturzbäche herab, die an Heftigkeit zunehmen, sowie es regnet. Der als "Achtes Weltwunder" bezeichnete Fjord ist von einer einmaligen majestätischen Schönheit, mit der es nicht einmal der Geiranger-Fjord Norwegens aufnehmen kann. Im Unterschied zu unseren Fjorden reicht die Vegetation bis auf die Wasseroberfläche herab; alle Steilwände, und seien sie noch so senkrecht, sind über und über mit Moos bewachsen, was zu dem schwärzlichen, bisweilen metallisch glänzenden Trachyt einen archaischen, urwüchsigen Kontrast darstellt. Der schwarze Fels kontrastiert doppelt zu den schneebedeckten, wie mit Puderzucker bestäubten Gipfeln, unter denen der auf sämtlichen Postkarten als Hauptmotiv zu findende Mitre Peak als dominierende Berggestalt vorherrscht. Es ist dies ein sich durch seine außerordentliche Ebenmäßigkeit auszeichnender, pyramidenförmiger Berg, der an Berühmtheit hinter dem Matterhorn nicht zurücksteht. Einige Maori-Legenden ranken sich um seine Entstehung. Wir würden uns, befänden wir uns auf der Nordhalbkugel, in eine Welt der Feen, Elfen und Kobolde zurückversetzt fühlen, denn alles ist knorrig und zart verwoben. Zauberwäldern gleich, in denen der Druide des Südens seinen Trank aus fremdartigen Pflanzen braut, in denen der Anti-Siegfried sein Schwert schmiedet, um damit den Drachen zu töten, dessen Blut auf das Gestein tropft, um es knallrot einzufärben, sind die unvergleichlichen Regenwälder zum Kulturerbe der Menschheit geworden. Niemals mehr möge sich jemand daran vergreifen. Ich kenne die vielfältigen Pflanzen nicht, die mich umgeben, als ich mich Schritt um Schritt in den Wald hineinwage; es ist eine fremdartige Welt, die sich da vor meinen Augen auftut, naß und nebelhaft; aus dem gierigen Schlund der Urmutter triefend, fließen die Wasser in Strömen, und niemals herrscht hier vollkommene Trockenheit. Glaube, Wanderer, so du hier vorbeikommst, den Bildern nicht, dieweil sie dich belügen, denn du wirst es niemals anders hier erleben.
Draußen vor der Anita-Bucht, wo normalerweise die Wogen turmhoch aufgewühlt sind, ist die Tasman-See spiegelglatt, so daß niemand an Deck befürchten muß, naßgespritzt zu werden. Wir fahren daher weiter als sonst hinaus aufs Meer, wo Cook dereinst vorbeisegelte, weil er den Einlaß nicht fand, und sind mitten unter die Delphine geraten, die sich dort im Verein mit Scharen von Seevögeln zum Nahrungserwerb tummeln. In der Tat möchte man, wüßte man es nicht besser, hinter dieser Kulisse keine Einfahrt vermuten.
Gegen zwölf Uhr mittags legen wir in einer stillen Bucht zu Füßen des Mitre Peaks an, um auf das Neue Jahr zu anzustoßen, in unseren Gedanken bei denen daheim, die jetzt gerade den Wiener Walzer zu tanzen sich anschicken. Als wir dann zu Fuß zum Bowen-Wasserfall wandern, reißt für einen Moment der Himmel auf und läßt ein wenig Blau durchscheinen, was uns wie ein unbeschreibliches Erlebnis vorkommt. Doch das Gunst der Stunde währt nicht lange, und das Malheur, welches schon von Anbeginn an die ganze Reise überschattet hatte, Regen und Kälte, erfährt noch einmal eine Steigerung. Alsbald brausen wieder wahre Sturzbäche hernieder, und dichte Nebel hüllen die Welt in ein undurchdringliches Weiß. Lediglich den Keas, einer Papageienart, scheint dies alles recht wenig auszumachen. Diese scherzhaften Freunde setzen sich frech auf die Straße hin, ein gutes Dutzend. Sollen doch die Fahrzeuge ausweichen! "Die Eindringlinge seid schließlich ihr," werden sie sich gedacht haben. Alle wildlebenden Tiere dürfen nach dem Gesetz nicht gefüttert werden, doch manche Touristen kümmert dies recht wenig. Die Keas sind so zutraulich, daß sie dem Menschen das Brot aus der Hand fressen. Sie verbeißen sich in alles, was ringförmig ist und glänzt oder schreiend bunt ist. Auf dem Nach-Hause-Weg reicht die Zeit noch aus für erbauliche Spaziergänge am Ufer der Seen, an denen wir vorüberkommen und die von einer phantastischen Flora umgeben sind. Ganze Felder wilder Lupinen sind am Blühen, in höheren Lagen ist es die Mount-Cook-Lilie, die, was Wunder, so spät in der Jahreszeit noch blüht. Von den berüchtigten Sandfliegen, deren es am Milford-Sund Myriaden geben soll, habe ich während der gesamten Dauer unseres dortigen Aufenthalts kaum etwas gemerkt.

Die Otago-Halbinsel

Fröstelnd und klamm verlassen wir frühmorgens den Te-Anau-See Richtung Ostküste. Unser Tagesziel ist Dunedin, eine in jeder Hinsicht schottisch anmutende Stadt an der Ostküste. Die Fahrt führt durch Kulturland, welches man der Natur durch Trockenlegung der vormaligen Sümpfe in zäher Arbeit abgerungen hat. Das Land hatte man den Maoris zum Spottpreis abgekauft. Die Landschaft bietet dem Neuseeland-Reisenden heute so gut wie nichts mehr an Sehenswertem, es sei denn, man interessiert sich für die Zucht von Schafen, denn von dieser Gattung gibt es hier unzählige. Insgesamt sollen es im ganzen Land 50 Millionen sein. Die Städte Gore und Balclutha sind verschlafene Provinznester, von ständig niedergehenden Regen rund ums Jahr geprägt, was nicht zuletzt ein Grund für die starke Abwanderung vom Land in die Großstädte ist. Es gibt sogar Regierungsprogramme, um die Menschen in dieser Gegend zu halten, u.a. besitzt Dunedin, das den gälischen Namen für Edinburgh trägt, einen ausgezeichneten Ruf als Universitätsstadt. Die Stadt wurde von presbyterianischen Einwanderern gebaut, als Gegenpol zu dem von Anglikanern gegründeten Christchurch. Obwohl Neuseeland in seiner Verfassung das Recht auf Religionsfreiheit ausdrücklich verankert hat, haben sich die religiösen Gegensätze auch auf die Kolonien übertragen. Trotzdem sind es heute nur etwa 20 % der Neuseeländer, die regelmäßig in die Kirche gehen, im Unterschied zu 65 % der Amerikaner.
In Dunedin ist an Bauwerken aus der Kolonialzeit nur weniges erhalten, etwa der Gerichtshof, das Gefängnis und das im georgianischen Stil erbaute Bahnhofsgebäude, ein äußerst reizvolles und in seiner Art einzigartiges Gebäude. Von hier aus kann man mit dem Zug bis Christchurch und darüber hinaus fahren, wenn man die Cook-Straße überquert, sogar bis Wellington. Die Züge, welche hier verkehren, fahren relativ selten und sind im übrigen Relikte längst vergangener Zeiten. Ansonsten findet in der Stadt nur noch das sogenannte Oktagon Beachtung; dies ist ein, wie der Name schon sagt, in Form eines Achtecks angelegter zentraler Platz, an dem sich repräsentative Bauwerke befinden. Ansonsten lockt nur noch die Mall, die Einkaufsstraße, zum Bummeln.
Mehr als die städtische Architektur verdient ein der Stadt vorgelagertes Naturreservat Beachtung, nämlich die Otago-Halbinsel, genauer gesagt, die Tairaoa-Spitze. Sie ist Brutkolonie der Albatrosse, die auf ihrem Weg rund um die Antarktis hier, auf der Peninsula, seit 1920 ihren Nachwuchs aufziehen. Albatrosse sind in jeder Hinsicht ungewöhnliche Vögel. Nicht nur, daß sie eine Flügelspannweite von fast 3 m haben und im Laufe ihres Lebens eine Flugstrecke von 190 000 km zurücklegen, sie verbringen 80 % ihres Daseins im Fluge. Sie werden im Schnitt dreißig Jahre alt, können in Ausnahmefällen aber auch ein Alter von über 60 Jahren erreichen. Ihrem Partner bleiben sie ein Leben lang treu. Die Eier werden gemeinsam ausgebrütet, wobei das jeweils andere Elternteil der Nahrungssuche nachgeht. Der Albatros ist ein außerordentlich guter Flieger, der nur kurz zum Schlafen und um Fische zu fangen im Meer wassert und seine Zeit hauptsächlich im Flug verbringt. Er ist nur dort zu finden, wo ständig starke Winde wehen, und könnte ohne Bodenwind auch gar nicht starten. Zuhause ist er z.B. auf den Falkland-Inseln, wo er im Gleitflug majestätisch durch die Lüfte seine Kreise zieht.
Unser Campingplatz liegt in Portobello, im großen Hafen von Otago, der schwer anzusteuern und nicht für Schiffe mit beliebigem Tiefgang geeignet ist. Dort wo die Albatrosse anzutreffen sind, befand sich dereinst die Festung Taiaroa, die zum Schutz gegen die drohende Invasion des zaristischen Rußland angelegt wurde, mit der berühmten versenkbaren Kanone, der einzigen ihrer Art, die heute noch existiert. Entlang der Otago-Halbinsel kann man wunderbare Spaziergänge unternehmen. Mich erinnert diese Landschaft, so wie sie sich heutzutage präsentiert, mit ihren sanft gewellten Hügeln, ein bißchen an Dänemark. Hätten wir doch nur etwas mehr Zeit! Aber wir müssen weiter, um unser Programm abzuarbeiten: eine unsinnige Art und Weise, seinen Urlaub zu verbringen. Für Neuseeland braucht man sehr viel Zeit und Geduld, vielleicht mehr als für jedes andere Land, und dies, weil die tägliche Sonnenscheindauer sehr niedrig liegt und im Regen alles etwas blaß aussieht.
Bei Moeraki wartet eine geologische Sehenswürdigkeit auf uns, die sogenannten Boulders. Dies sind riesige, von der Natur geformte Steinkugeln, die einfach am Strand herumliegen. Ihre Entstehungsgeschichte ist noch nicht vollständig geklärt; man nimmt an, daß sie sich unter dem gleichmäßigen Druck, der von allen Seiten eingewirkt haben muß, wie Perlen einer Muschel um einen Kern im Sedimentgestein gebildet haben. Später, als das Meer die weicheren umgebenden Schichten abgetragen hatte, wurden sie freigelegt. So manche Maori-Legende rankt sich um ihre Entstehung. Im Besucherzentrum ist eines der großen Maori-Kanus abgebildet, von denen man, selbst in Büchern, nur selten eines zu Gesicht bekommt.

Große Binnenseen und Mount-Cook-Nationalpark

In Oamaru verlassen wir nun die Ostküste und biegen ins Landesinnere ab, stets den Waitaki flußaufwärts. Bei Duntroon erwarten uns einige vorgeschichtliche Felszeichnungen, welche die Moa-Jäger in dem weichen Kalkgestein hinterlassen haben. Es handelt sich, wie meistens bei Felsbildern, um Jagdszenen. Einige Verwunderung rufen allerdings die Reittiere hervor, welche auf den Felswänden dargestellt sind, denn Neuseeland war doch, soviel wir wissen, vor der Besiedlung durch die Weißen ein Land, in dem es außer der Fledermaus keine Säugetiere gab.
Der Waitaki-See ist der erste einer Reihe von Seen, deren Wasserkraft für die Stromerzeugung genutzt wird. Auch der Aviemore- und der Benmore-See sind künstlich angelegte Seen, welche die Besonderheit aufweisen, daß ihre Farbe um so grüner aussieht, je näher sie ihrem Ursprung, den Gletschern, sind. Es ist wahrhaftig ein einzigartiges Schauspiel, welches die Natur hier bietet, denn in der kargen, baumlosen Landschaft wirken diese riesigen Wasserreservoire ein bißchen grotesk. Zudem wird der Strom auf Vorrat gehortet, das Land kann seine Energie selbst gar nicht verbrauchen. Die Trockenheit hat jetzt den Himmel von Wolken ganz befreit, so daß sich schon aus großer Ferne majestätisch der Mount Cook abzeichnet. Die Südalpen verdienen ihren Namen zurecht; zahlreiche Gipfel sind ganzjährig mit Schnee bedeckt, und in der Region um den Mount Cook zählt man 27 Dreitausender und unzählige Gletscher, die der Mount-Cook-Nationalpark umfaßt, eine gigantische Schnee- und Eiswelt, der wir uns gerade nähern. Wie ein Riese überragt der Mount Cook, an dem der namhafte Sir Edward Hilary sich auf die Bezwingung des Mount Everest vorbereitete, alle anderen Berge der Umgebung um mehrere hundert Meter. Wenngleich die Baumlosigkeit dieser herben, schutt- und schlammbedeckten Berge an die Lieblichkeit der Alpen nicht heranreicht, so könnte man sich dennoch die höchsten Erhebungen in unsere Alpen versetzt denken und würde keinen Unterschied merken.
Am Pukaki-See liegt ein weiteres staatliches Hotel der oberen Kategorie, mit einem traumhaften Panoramablick ausgestattet, wo man, hinter getönten Scheiben am warmen Ofen sitzend, einen prächtigen Anblick der Eisfälle und Gletscherbrüche des Hooker-Gletschers genießen kann, und hinter allem thront der Mount Cook. Es herrscht eine wunderbare, ganz einzigartige Atmosphäre, und der Wettergott meint es gut mit uns, denn die in der Gipfelregion drohenden Wolken, die von der Westküste her aufsteigen, besitzen nicht die Kraft, die Berge einzuhüllen. Es herrscht zudem ausgezeichnetes Flugwetter, so daß wir uns entschließen, einen Rundflug über diese majestätische Berg- und Eisriesenwelt zu unternehmen. Unser Flugzeug ist eine Nomad N24A. Der Pilot, ein vollblütiger junger Mann, begrüßt uns herzlich auf eine recht legere Art mit einem "Hello Folks".
Unsere Nomad bietet Platz für 14 Passagiere, und sie ist bis auf den letzten Platz ausgebucht. Mit röhrenden Motoren rollt die zweimotorige Turbo-Prop zur Landeschwelle hinaus. Dort führt der Pilot einen letzten Run-up Check durch und wartet auf die Startfreigabe durch den Tower. Langsam schiebt er den Gashebel nach vorne, und unter aufheulenden Motoren drehen sich die Propeller schneller und schneller, so schnell, bis man sie nicht mehr sieht. Jetzt dürfte es kein Problem mehr sein, durch den Propeller hindurch zu photographieren; auch die Abgase ziehen störungsfrei nach hinten ab und bringen die Wärmeschlieren zum Verschwinden. Wenn man die Passagiere so ansieht, so glaubt man es kaum, daß die Maschine trotz so vielen "Übergewichts" tatsächlich vom Boden abhebt, und ehe wir es uns versehen, ist der Lake Tekapo unter uns. Wie ein Meer so blau sind seine Wasser, und seine vegetationslosen Ufer gleichen einer Steppenlandschaft. Ich habe die rechte Sitzplatzreihe gewählt, weil ich glaubte, wir würden in umgekehrter Richtung fliegen, so daß ich eine bessere Sicht auf den Mount Cook hätte; aber ich habe mich getäuscht und bin entsetzt, als ich feststellen muß, daß die Maschine den Tekapo-See hinauffliegt. Nun steht die Sonne am Abend zwar im Westen, und die Berge rechts von mir präsentieren sich im weichesten Licht, aber auf dem Rückweg würde dies genau umgekehrt sein und ich sähe der Sonne direkt ins Gesicht. Aber trotz dieses Fehlers sollte ich am Ende keinen Grund haben, den Flug zu bereuen, außerdem sind mir in meiner Kamera ohnehin nur mehr sieben Bilder verblieben. Am oberen Ende des Sees liegt unter uns das Mündungsdelta des Godley-Flusses, und unter den ersten schneebedeckten Bergen taucht bald der 2800 m hohe Mount Sibbald vor uns auf. Wir fliegen nicht viel höher als dieser Berg ist, aber hoch genug, um in sicherem Abstand über alle Gletschersättel hinweg zu kommen. Dies kann der Pilot aufgrund der ruhigen Wetterlage wohl riskieren. In Höhe des Godley-Gletschers, der zum Pazifik hinabfließt, fliegen wir in das Gebiet des Mount-Cook-Nationalparks ein. Zu unserer Linken haben wir auch schon den Murchison-Gletscher. Über ihm, auf dem Tasman-Sattel, liegt die Tasman-Hütte, Ausgangspunkt aller Bergtouren der Umgebung. Dort beginnt auch der Tasman-Gletscher, der mit 29 km längste Gletscher der Südlichen Alpen und überhaupt einer der längsten Gletscher in den gemäßigten Breiten. Nach rechts gelingt mir ein wunderschönes Photo von Elie de Beaumont, einem der oben erwähnten Dreitausender. Wir sind jetzt direkt an der Wasserscheide, und wie gewöhnlich prallen an der Westseite riesige Wolkenmassen auf die Berge, wo sie sich stauen, um an der Ostseite in warmen Fallwinden, ähnlich unserem Föhn, zu Tale zu stürzen. Der gesamte Westland-Nationalpark liegt wieder einmal unter einer dichten Wolkendecke begraben, und vom Franz-Josef-Gletscher, der jetzt direkt unter uns ist, sehen wir nicht viel. Nun tauchen drei weitere gewaltige Gletscher auf, der Fox Glacier, der Balfour- und der La-Perouse-Gletscher, vom Mount La Perouse (3080 m) herkommend, während sich zu unserer Linken der zweithöchste Berg Neuseelands, der Mount Tasman, bis fast zum Gipfel hin in dichte Wolken hüllt. Aufs neue überqueren wir die Hauptwasserscheide, diesmal von West nach Ost. Der Hooker-Gletscher, der sich zur oft wolkenlosen Ostseite hin erstreckt, ist stark im Rückzug begriffen. Linker Hand fliegen wir nun an der Westwand des Mount Cook vorbei, doch alles geschieht viel zu schnell, als daß man es fassen könnte. Danach macht der Pilot eine 60-Grad-Kehre, so daß auch die auf der rechten Seite Sitzenden in den Genuß kommen, aus dem Fenster zu photographieren. Doch wir sind zu dicht am Berg, und das Flugzeug ist zu stark geneigt, und wir sind zu schnell vorbei, als daß man die für eine Bildeinstellung notwendige Zeit aufbrächte, um das Photo wirklich schießen zu können. Über den über eine unglaubliche Breite mäandernden Tasman River fliegen wir zurück zum Lake Tekapo Airport, längs der Westseite des Mt. Stephenson. Die sinkende Abendsonne wirft bereits lange Schatten über die Berge, und das rauhe Bergland wechselt sich mit einer während der Eiszeit von Gletschern abgeschliffenen Moränenlandschaft ab, in der noch einzelne Gletscherseen überlebt haben, als wir nach fast einer Stunde Flugzeit in der Ferne die Landebahn erkennen können. Unter uns haben sich die Spuren der Allradfahrzeuge tief in die Erdoberfläche eingegraben. Der Mensch hat in kurzer Zeit mehr zerstört als die Natur im Laufe von Jahrmillionen. Darum muß es unser aller Anliegen sein, daß diese letzten Paradiese der Menschheit vor dem Zugriff der Zerstörer geschützt werden.
An unserem letzten Tag in Neuseeland bleibt naturgemäß nicht viel zu besichtigen übrig. Was soll ich noch erzählen? Daß es ein strahlend schöner Tag mit viel Sonne war, als wir an der "Kirche zum guten Hirten" einen letzten Blick auf die majestätische Bergwelt der Südlichen Alpen werfen, die hinter dem, noch herrlicher als gestern, in einem milchigen Blau leuchtenden Tekapo-See sich abzeichnet. So spiegelglatt wie am Vortag, als sich kein Hauch Windes regte und die ganze herrliche Szenerie sich in perfekter Symmetrie in den Wassern spiegelte, ist der See heute nicht. Unvergeßlich bleibt ein Spaziergang in den Abendstunden hinauf den Mount Saint-John, wo sich ein Observatorium befindet, zumal hier die Zahl der Sonnenstunden besonders hoch ist und die Luft einzigartig klar. Der Saint-Johns-Wanderweg zieht sich zunächst am Seeufer entlang, wendet sich dann um eine halbe Drehung und verläuft mäßig steil in zweieinhalb Stunden auf den Gipfel, wo man eine phantastische Aussicht genießt. Wenn die Sonne tief steht, leuchtet die gegenüberliegende Uferseite goldgelb in der untergehenden Sonne, während sich das intensive Blau des Wassers noch so lange abzeichnet, bis die einbrechende Nacht dem Farbenschauspiel ein jähes Ende bereitet. Von den Anhöhen gegenüber stürzen wie von einem Wasserfall die Wolken in den See hinab, doch ehe sie ihn erreichen können, lösen sie sich auf. Nirgends auf der Welt kann man es so hautnah erleben wie hier, wie zwei Welten, eine undurchdringlich regnerische und eine steppenhaft trockene, auf Bergkämmen aufeinanderprallen, und wenn man das Glück hat, ein Abendrot zu erleben, so mag man fast dabei erschrecken, wie das glühende Himmelsrot auch den See in ein flammendes Feuerbecken taucht.

Christchurch

In Christchurch liegt unser Campingplatz direkt am Meer. Die unendlichen Sandstrände dürfen sogar mit Allradfahrzeugen befahren werden. Fast unheimlich ist ein nächtlicher Spaziergang am Strand. Die Menschenleere und die Einsamkeit steigern alle Gedanken ins Euphorische. Die hohen anrollenden Wellen werden bereits weit draußen gebrochen, so daß nur sanfte Wogen den flachen Strand erreichen. Hinter dem Strand ragen hohe Dünen auf. Die Fußstapfen sind trotz der Dunkelheit noch gut zu erkennen. Wenn ich daran denke, daß in den gleichen Tritten einst die Fußabdrücke von Kannibalen zu finden waren, läuft es mir kalt über den Rücken. Ein eigenartiges Vogelgeschrei kommt rasch näher; irgend etwas fliegt von hinten auf mich zu; aber Vögel greifen keine Menschen an. In der Ferne leuchtet der Himmel über Christchurch.
Am Nachmittag unserer Ankunft begebe ich mich zuerst ins Museum. Hier wird im Erdgeschoß eine Moa-Jäger-Ausstellung gezeigt, aus der vieles über diese früheste Kultur auf der Insel in Erfahrung gebracht werden kann. Wer waren de Moa-Jäger? Es waren Maori, die vor der großen Einwanderungswelle des 14. Jahrhunderts hier ankamen, aber auf einer niedrigeren Kulturstufe standen, nämlich der des Jägers und Sammlers. Einzelne Familienclans haben ganz in der Nähe von Christchurch am Meer in Höhlen und unter Felsüberhängen gelebt, lange bevor die ersten befestigten Dörfer errichtet wurden. Woher die Moa-Jäger kamen, ist unklar, wohl irgendwoher aus dem polynesischen Raum, aber darüber gibt es weder Zeugnisse noch ist etwas überliefert. Den Moa, der nicht an Feinde gewöhnt und daher Menschen gegenüber wahrscheinlich ohne Scheu war, erlegten sie mit Hilfe eines Speers, an dem eine Fangleine befestigt war, und sie rasteten nicht eher, bis daß sie ihn ausgerottet hatten. Er lieferte ihnen neben dem, was sie dem Meer entnahmen, fast alles, was sie zum täglichen Überleben brauchten: Fleisch, Eier, Federn und Knochen, aus welch letzteren sie Harpunenspitzen und Widerhaken zum Angeln fertigten. Die Federn dienten hauptsächlich als Schmuck und als Bekleidung für die kälteren Tage. Auch das Feuer wußten die Moa-Jäger zu gebrauchen, und ihnen ist es zu danken, daß sich das Aussehen der Südinsel durch Brandrodung grundlegend gewandelt hat.
Neben dieser Moa-Ausstellung birgt das Museum auch noch andere Schätze, etwa aus der Zeit der ersten Besiedelung, darunter die Schiffsmodelle der Endeavour und der Resolution. Auch eine geologische und eine meereskundliche Abteilung sind von Interesse, über die Seefahrt der Polynesier wird ausführlich informiert. Selbst ein ganzes Maoridorf mit Palisadenzaun ist zu besichtigen. Dabei fehlte offenbar die Kenntnis von Pfeil und Bogen gänzlich, denn die Palisaden standen nicht dicht an dicht, sondern hatten größere Lücken zwischen den einzelnen Pflöcken, gerade so eng, daß niemand einfach hindurchschlüpfen konnte. Die berühmten Streitäxte aus Nephrit (Jade) entstammen späteren Zeiten.
Neben dem Museum ist in Christchurch noch das Kunsthandwerkszentrum von Bedeutung. Hier finden zahlreiche Ausstellungen zum Thema Kunst statt, und entsprechend werden kunstgewerbliche Erzeugnisse zum Verkauf angeboten. Sogar ein Planetarium ist in den Räumlichkeiten untergebracht. Mehrere Gebäude gruppieren sich um einige zentrale Innenhöfe. Das sogenannte Arts Craft Center ist architektonisch besonders reizvoll. Es wurde im neugotischen Stil errichtet. Hinter dem Museum beginnt der Botanische Garten, der durch eine außerordentliche Vielfalt an Baumriesen besticht. Die Sequoia aus den Redwoods und die Araukarie aus Chile sind darunter ebenso vertreten wie namhafte Vertreter europäischer Baumarten. Am Ende des Botanischen Gartens findet man den Rosengarten, der unzählige hier zusammengetragene Züchtungen aufweist. Erbaulich ist auch eine Bootsfahrt auf dem Avon, wie überhaupt sämtliche geographische Namen des südlichen Englands, sei es aus Einfalt oder aus Mangel an Phantasie, sich in Fluß- und Ortsnamen, die die frühen Siedler aus ihrer Heimat mitbrachten, wiederfinden. Mit der alten Cable Car kann man von hier aus ins Stadtzentrum fahren. Die Stadt besitzt ein ausgesprochenes Ambiente; in den zahlreichen Restaurants am Avon kann man gut und anspruchsvoll essen. Wie in jeder größeren Stadt Neuseelands darf auch hier die Mall nicht fehlen, die mondäne Einkaufsstraße. Der städtische Charakter verflüchtigt sich rasch außerhalb des Zentrums, alles ist großzügig und geräumig angelegt, und in der Tat erinnert vieles an die Partnerstadt Adelaide in Australien.
In der Bucht von Christchurch liegt auch der größte Hafen auf Neuseelands Südinsel, Lyttelton. Er ist auch für tiefgehende Schiffe bestens geeignet und gegen Versandung gefeit.
An diesem herrlichen letzten Tag unseres Neuseelandaufenthalts ist es ungewohnt heiß, und das Wetter lädt zum Baden ein; allein an den ausgedehnten Stränden rings um die Stadt wird wohl niemals das Gefühl aufkommen, man liege hier dicht an dicht. Alles befindet sich in einem ewigen Frühling und steht in voller Blüte; an den Steilufern der Küste nisten Tauben, Möwen und andere Seevögel. Wie überall auf der Welt finden sich dort, wo es schön ist, die Villen der Schönen und Reichen, und die Grundstücks- und Immobilienpreise können mit denen in Europas Hauptstädten durchaus konkurrieren.
Abschließend möchte ich noch ein Wort über die Einwanderung nach Neuseeland verlieren. Wie in den Pionierzeiten werden in erster Linie Menschen gebraucht, die ihr Geschick in ihren Händen haben, Leute also, die anpacken können oder eine besondere handwerkliche Fähigkeit besitzen. Menschen, die ihr Wissen ausschließlich im Kopf herumtragen, reine Akademiker also, werden weniger geschätzt, auch wenn sie einen Titel führen. Noch immer ist dieser alte Pioniergeist in den Gehirnen fest verankert. Neuseeland ist in erster Linie Agrarland, aber alles Land in die Hände von Farmern zu geben, dafür darf das Land nicht zu dicht besiedelt werden. Daher wird eine äußerst restriktive Einwanderungspolitik betrieben. Man wollte aus den Schattenseiten der frühindustriellen Gesellschaft, wie man sie in Europa im ausgehenden letzten Jahrhundert leidvoll erfahren hat, seine Lehren ziehen und von Anbeginn an ähnliche Verhältnisse vermeiden. Neuseeland sollte Agrarland bleiben. Mittlerweile hat man aber erkannt, daß aus Viehzucht langfristig kein Nutzen gezogen werden kann, da die Märkte ständig neue Verhaltensweisen und eine entsprechende Anpassung an neue Verhältnisse erfordern. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, daß das Land auch einen Beitrag zur Industrialisierung wird leisten müssen, und der Anfang dazu ist gemacht. Folglich werden als Einwanderer mehr und mehr Menschen gesucht, die einen akademischen Abschluß besitzen und auch außerhalb der Landwirtschaft tätig werden können. Auch die Ausbildungskapazitäten innerhalb des eigenen Landes sind hierfür mehr als geeignet, und nicht wenige ausländische Studenten verbringen das eine oder andere Semester in Neuseeland.
Mich persönlich würden aber keine zehn Pferde hierherbringen, auch dann nicht, wenn ich entsprechend jung wäre und die Voraussetzungen erfüllen würde (Skandinavier, Engländer und Deutsche werden ethnisch bevorzugt). So schön das Land landschaftlich auch sein mag, mir persönlich ist es zu verregnet, zu kühl, zu arm an Kontrasten wie an Kultur. Und was schwerer wiegt: mir gebricht es an bäuerlicher Gesinnung wie an Hirtenmentalität!

 

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