
Ein
Traumrevier an der mittleren Adria
Ein
Segeltörn zu den Kornaten könnte etwa wie folgt
aussehen: Man reist über Venedig an und segelt dann die
Adriaküste entlang, bis man bei nächstbester Gelegenheit
irgendwo in Istrien einklariert. Von München aus fliegt
Lufthansa – eigentlich Air Dolomiti – regelmäßig nach
Venedig. Nun hätte ich nicht erwartet, daß ich bereits
am Schalter zu hören bekomme, der Flug sei überbucht.
Man versucht mir einen anderen Flug über Verona
aufzuschwatzen und erklärt, für das Taxi vom dortigen
Flughafen nach Venedig müßte ich nicht eigens aufkommen.
Es sei der Fehler der Fluggesellschaft und diese würde
voll für den Schaden einstehen, und man bietet mir
darüber hinaus noch eine verlockende Kompensation an, in
einer Höhe, daß mich der Flug praktisch nichts gekostet
hätte. Flugreisen, aus denen der Passagier Kapital
schlägt! Irgendwas muß die Luftfahrtgesellschaft falsch
machen. Da wundert es einen, daß nicht noch mehr davon
pleite gehen.
Der
Flug verläuft weitgehend reibungslos. Nur das Wetter
könnte besser sein, und als uns der Skipper bei der
Begrüßung erzählt, er habe die letzten Wochen nur im
Ölzeug zugebracht, wandert die Stimmung noch ein bißchen
tiefer in den Keller. Aber laß uns mal abwarten:
irgendwann muß sich das Wetter ja wieder ändern. Schon
gibt es auch die ersten Meinungsverschiedenheiten, wie
man dem schlechten Wetter am besten ausweiche. Mein
Vorschlag lautet: so tief wie möglich in den Süden.
Wenn, ja wenn da der Wind nicht wäre. Ich merke, daß der
Skipper bereits feste Vorsätze irgendeines routinierten
Ablaufs gefaßt hat. Und dann sind da noch die zwei an
Bord, die nach einer Woche aussteigen und mit der Fähre
zurückfahren müssen. Aber das hatte man mir ja vorher
gesagt. Gleichwie, beim anschließenden gemeinsamen
Abendessen würden wir uns erstmal kennenlernen.
In
dem auf Pfählen errichteten Venedig, das aus Hunderten
kleiner Inseln besteht, ist das Boot das einzige
Verkehrsmittel, selbst wenn man nur ein Restaurant
aufsuchen will. Die Preise dort werden dem Ruf einer
Touristenstadt durchaus gerecht. Kurz bevor es zu regnen
anfängt, sind wir zurück auf dem Schiff. Die Wetterlage
ist dieser Tage völlig atypisch, verglichen mit den
aufdringlichen Schönwetterperioden vergangener Jahre.
Derart dramatisch scheint sich das Klima auch im
Mittelmeerbereich bereits zu ändern, daß die
Tourismusbranche unter den abwesenden Urlaubern bald
spürbar zu leiden haben wird. In der Nacht ergießen sich
wahre Schauer über unser Boot, welches ohnedies an
einigen Luken nicht dicht ist, womit Wasser eindringt
und ein durchgängig erquickender Schlaf nicht möglich
ist. In der Achterkajüte liegt ein alleinreisender
weiblicher Reisegast, eine Frau unter dreißig, aber
niemand von den drei Herren bringt es über sich, mit ihr
die Koje zu teilen. Lieber harren sie in der
dieselgeschwängerten Achterkajüte oder im Salon aus.
Erst wenn zwei unserer Mitsegler das Schiff nach einer
Woche verlassen haben, könnten sich die Platzprobleme
ein wenig entspannen.
Man
muß sich am nächsten Morgen schon glücklich schätzen,
wenn man trockenen Fußes unter die warme Dusche gelangt
und der erste heiße Kaffee den Schlaf aus den Augen
treibt. Im fahlen Morgenlicht, als wir vor sieben wie
geplant aufstehen, zeigt sich Venedig grau in grau.
Direkt unserer Marina gegenüber liegt der Markusplatz
mit dem Canale Grande. Wir verschieben jedoch die
Besichtigung aufgrund des schlechten Wetters auf den Tag
unserer Rückkehr. Etwa um neun Uhr wird klar Schiff
gemacht und wir laufen aus. Aufgrund der Betonnung ist
dies nicht weiter schwierig. Als störend empfindet man
bei Verlassen der Lagune lediglich die künstlichen
Dammbauten, die aufgeworfen wurden, um bei
Schlechtwetterlagen wie Scirocco oder Vollmond den
Schwell in der Stadt zu bändigen.
Sowie wir die Lagune verlassen haben, nehmen wir Kurs
auf Poreč, wo wir einklarieren wollen. Den nicht gerade
überwältigend schönen Jachthafen erreichen wir nach ca.
8stündiger Fahrt unter Maschine, wobei die Regenfälle
zunehmend nachlassen und uns beim Anlegen sogar
ausgesprochen schöner Sonnenschein beschert wird. Es
kommt zu ersten Wortgefechten. Jeder fühlt sich versucht
auszuprobieren, wie weit er gehen kann. An Bord einer
Segeljacht herrschen knallharte Auswahlkriterien. Wer
sich nicht verteidigen kann oder sich ungewollt Blößen
gibt, fällt in der Hackordnung schnell zurück. Bald
merke ich, daß ich wieder einmal nicht mit den feinsten
Menschen unterwegs bin, doch der Skipper scheint in
Ordnung zu sein: keine ungehaltenen Reaktionen, sehr
souverän, macht er eigentlich mehr, als ihm kraft seiner
Funktion zukäme. Allerdings nimmt er einiges auch ein
bißchen lässig. Trotzdem ist gekonnte Psychologie
meistens zum Vorteil des Crewverhaltens: unsere
Anlegemanöver könnten besser nicht sein, es scheint
alles perfekt zu klappen, zumal man unserem Skipper auch
keinerlei Nervosität anmerkt. Eben ein Könner! Und die
Mannschaft ist zumindest willig und läßt sich etwas
zeigen. Abends, als wir in der Marina Funtana anlegen,
hat sich die zwischenzeitliche Aufheiterung wieder
verzogen. Diesmal wird nicht essen gegangen, sondern an
Bord gekocht, und nachdem wir zwei Frauen dabei haben,
die dies zu können scheinen, brauchen wir um unser
leibliches Wohl nicht zu bangen.
Leider, wie das bei einer Seereise meistens der Fall
ist, kommt es schon am ersten gemeinsamen Abend an Bord
zu Alkoholexzessen, und die weise Erkenntnis am Ende des
Tages ist, daß auf seinem Leibe jeder soviel Fett trägt,
wie er seinem Körper in Form von Kalorien zuführt. Unter
dem Einfluß des Weines lassen die Leute sich sehr
schnell gehen und man lernt ihr wahres Gesicht kennen.
Man braucht nun nicht hinter vorgehaltener Hand darüber
zu reden, daß die typisch deutschen Untugenden dabei
klar zutage treten. Jeder ist von der Furcht bestimmt,
sich zuviel zumuten zu können, wenn es um die Verteilung
der Aufgaben geht, und wehrt sofort jeden weiteren
Versuch ab, der ihn zum Arbeitseinsatz zwingen könnte.
Die Bereitschaft unter Deutschen, etwas füreinander zu
tun, sie existiert schlichtweg nicht mehr in diesem
Lande. Dies ist als ein Zeichen fortschreitenden
Niedergangs zu werten, und nur der eigene Hunger treibt
die Menschen an, auch etwas für andere zu tun. Des
Menschen Natur besteht scheinbar darin, seiner eigenen
Unzufriedenheit durch Sticheleien Ausdruck zu verleihen,
wobei die eigene Fehleinschätzung offenbar darin liegt,
nicht begreifen zu wollen, daß Aggression stets wieder
Aggression hervorruft, und Frieden erst dann möglich
scheint, wenn die Gegner sich gegenseitig aufgerieben
haben. Eine Koexistenz von Feinden an Bord eines
Schiffes macht wenig Sinn. Es kann auch nicht das Los
einer Crew sein, daß der Matrose der Kapitän ist oder
sich im Gefühl der eigenen Überlegenheit selbst dazu
erklärt.
In
den Häfen Kroatiens ist es Usus geworden, nicht mehr
jedem Zutritt zu den sanitären Anlagen zu gewähren.
Dennoch erwarten uns dort in den Marinas Menschen in
Lauerstellung, so wie hier in Begleitung eines Hundes,
die sich ohne zu zahlen Einlaß verschaffen wollen, indem
sie einen günstigen Moment abwarten, wo einer den
Sanitärbereich verläßt, um dann die zufallende Tür, kurz
bevor sie zuschnappt, aufzufangen und schnell
hineinzuschlüpfen. Als ich den Vorfall einem aus unserer
Crew erzähle, erklärt der mir, daß er zwischen Mensch
und Tier keinen Unterschied sehe und er jedes Lebewesen
gleichermaßen respektiere, auch das Leben einer Fliege.
Er meint, um mich zu provozieren, daß Küssen etwa genau
so unhygienisch sei, wie wenn jemand seinen Hund mit
unter die Dusche nimmt. Es stört ihn auch nicht weiter,
daß der Hund ein Aasfresser ist und mit seiner Nase im
Kot herumschnüffelt, allein die Tatsache, mit so einem
Menschen die Kajüte teilen zu müssen, kann einem eine
Seereise völlig verdrießen.
Die
Marina Funtana hat zwar nicht den Vorteil, über alle
Einrichtungen zu verfügen, die Seglers Herz höher
schlagen lassen, doch eignet sie sich bestens, um längst
überfällige Reparaturen auszuführen. Daher kommen wir an
diesem Tage erst spät los. Die Wettervorhersage sagt
nordöstliche, später auf Nordwest drehende Winde voraus.
Das Segelwetter ist ideal, nur können wir unser nächstes
Ziel, die Marina Veruda südlich von Pula, nur durch
Aufkreuzen erreichen. Leider beschränkt sich die
Bereitschaft unserer Crew, geistreiche Gespräche
auszutragen, auf plumpes Widersprechen und Umkrempeln
von Tatsachen wider bessern Wissens. So versucht denn
ein jeder, seiner rauhen Umwelt dadurch zu trotzen, daß
er keinem andern recht gibt, und wenn zwei merken, daß
ihre Argumente gemeinsam zu schwach sind, bilden sie
zusammen eine Gruppe, um so ihr Gewicht zu erhöhen.
Oberflächliche Späßchen bilden weitgehend den Tenor an
Bord, nach dem Motto: Hauptsache, es ist lustig. Gerade
unseren beiden Damen fehlt es – beim Versuch, nicht
übermäßig aus der Rolle zu fallen – manchmal an der
gehörigen Zurückhaltung. Langeweile wird durch sinnlose
Kalorienzufuhr überbrückt, und gerade die Gefräßigkeit
meiner Mitsegler ist es, die keinen Ersatz darstellt für
ein zärtliches Miteinanderumgehen. Beinah alle sind sie
extrem übergewichtig, und gerade ihre mit Lastern
gepaarte Freßsucht macht diese Menschen so
unausstehlich. Worauf es hier an Bord ankommt ist, diese
Mißliebigen nicht soweit an sich herankommen zu lassen,
daß sie sich beliebige Frechheiten erlauben, sie aber
auch nicht soweit von sich zu stoßen, daß man auf dem
Schiff völlig isoliert ist. Das fällt schwer, zumal wenn
einer das holländische Bier – das man eingekauft hat,
weil es kein anderes gab – als mit Käsegeschmack
behaftet abwertet, und das einer sagt, der überhaupt
kein Biertrinker ist.
Als
wir abends in Pula einlaufen, ist der weitere Ablauf
bereits vorprogrammiert. All die guten Dinge, die zu
erwarten stehen, treten ein: endloses Besäufnis – wobei
sich der eigentliche Grund nicht erschließt –,
geistloses Geschwätz und albernes Kichern: alles
zusammen Erscheinungen einer ausufernden, dekadenten
Gesellschaft, die ziellos umherirrt. Insbesondere Frau
Doktor – Gott sei Dank, daß sie das Schiff nach einer
Woche verläßt – läßt sich gehen, gibt sich ganz
ungezwungen in ihrem schlüpfrigen Gerede, daß es selbst
einem gestandenen Mannsbild noch die Schamröte auf die
Wangen treibt. Abends bittet der Skipper noch Fremde des
Nachbarschiffs an Bord, die sich daselbst häuslich
einrichten und, wie es die Art ungebetener Gäste ist,
nicht mehr zum Gehen zu bewegen sind, ihre Zigaretten
auch selbst mitbringen und in einem österreichischen
Dialekt, den auf diesem Schiff ohnehin keiner versteht,
mit uninteressanten Details aus ihrem Privatleben
aufwarten. Es ist schon eine illustre Gesellschaft, und
es befreit, die Klientel dieser Firma, welche den Törn
veranstaltet, ausgiebig kennenzulernen: „Hier wendet
sich der Gast mit Grausen.“ Ebenso barbarisch ist das
Benehmen der Crew am nächsten Morgen. Es ist zwar gut
und lobenswert, daß uns frische Pfannkuchen serviert
werden, doch beim Blick ins Marmeladenglas läßt mich der
Schimmel zurückschrecken. Das braucht aber auch
niemanden zu wundern, denn an Bord ist es Usus, mit
butterverschmiertem Messer aus dem Glas zu schöpfen.
Dazu gesellen sich dann noch die Bakterien, die
zusätzlich hineinkommen, weil jeder der Geladenen vorher
seinen Löffel tüchtig abschleckt. Man fühlt sich in
Zeiten zurückversetzt, als in Süditalien die Pest
ausbrach. Doch selbst die Überlebenden solcher
Katastrophen sind nichts gegen die, denen man die
Unsauberkeit nicht anmerkt, weil ihr barbarisches
Verhalten ausschließlich aus dem Glauben resultiert, daß
Schmutz immer von außen kommt. Ob die Fingernägel des
einen nun unbedingt geputzt waren, vermag ich nicht zu
beurteilen, doch ist das Frühstück für mich beendet, als
seine Finger tief im Obstsalat wühlen.
Es
zeichnet sich bereits ab, daß unser Aktionsradius auf
diesem Törn nicht sonderlich groß sein wird. Der Skipper
krabbelt erst um 10 Uhr aus seiner Koje, danach geht er
erstmal gemütlich zum Einkaufen, sodann führt er
Reparaturen aus, aber nicht nur am eigenen Schiff,
sondern – man höre und staune – er repariert fremde
Motoryachten, klettert auf den Mast und tauscht das
Birnchen aus, und unsere Crew muß das alles mitmachen.
Und immer mit derselben Ausrede: „Es herrscht kein
Wind.“ In der Tat regt sich kein Lüftchen, aber wozu in
der Marina weilen, wenn es anderswo bedeutend schöner
ist.
Angesichts des aufkommenden Windes, ein Ereignis, das
seit Beginn unseres Törns ohnehin höchst selten eintrat,
beschließt die Crew mehrheitlich, da wir ja ein
„demokratisch“ geführtes Schiff sind, zu baden. Nach
Aussage eines anderen haben wir scheinbaren Wind, obwohl
die Maschine längst aus ist. Mit diesen und ähnlichen
Provokationen versucht die Mehrheit, ihr infantiles und
trotziges Verhalten zur Maßregel zu erklären. Auf so
einem Segelboot wird jeder zum Segellehrer. Jeder berät
jeden über das vermeintlich vom andern nicht Gewußte.
Der Matrose oder oft auch schon die Landratte erklärt
dem Kapitän, wie was geht, und man kann sich den
gutgemeinten Ratschlägen auch gar nicht anders
entziehen, als daß man abwehrt und betont, daß einem
diese Dinge hinlänglich bekannt seien. Denn oft reicht
schon ein einziger nicht schnell genug geknüpfter
Knoten, der Anlaß gibt, daß man in der Achtung des
anderen absinkt.
Nach
einer gelungenen Überfahrt mit besten Winden, einem
ebenso gelungenen Anlegemanöver in Valun, einem rundum
sorglosen Tag liefert ein geringer Grund Anlaß zu
erheblichen Spannungen. Auslöser sind, wie meistens in
solchen Fällen, die Damen, und zwar, weil sie plötzlich
keine Lust mehr haben zu kochen. Als ich der Meinung
bin, sie müßten auch gar nicht kochen, sie hätten doch
schon am Morgen Pfannkuchen gebacken, so daß man ruhig
essen gehen könne, ist die Grenze, wo aus Spaß Ernst
wird, überschritten. Unbedacht habe ich durch die Blume
zu verstehen gegeben, daß es unverzeihlich sei, sie mit
schimmeliger Marmelade zu servieren. Dabei konnte ich
natürlich nicht wissen, daß letztere noch von der
Vorgänger-Crew hinterlassen worden war und unbefangen
weiterverwendet werden sollte. Daß diese meine Bemerkung
nun das Furienhafte in jener Frau entfesseln sollte,
erklärt sich eigentlich nur durch den kontinuierlichen
Alkoholismus, dem fast jeder hier an Bord verfallen ist,
mit Ausnahme eines „Weicheis“, das überhaupt nichts
trinkt. Doch weil die Sinne von solchen stets vernebelt
sind, ergreift auch der Skipper noch Partei für sie und
erklärt, es sei jetzt an der Zeit, daß jeder einmal
seine eigenen Wege gehe. Die Spannungen nehmen von da an
immer mehr zu. Nach dem Abendessen ist niemand mehr in
der Lage, den Essenspreis korrekt mit der Bordkasse zu
verrechnen. Es ist nämlich so, daß der Skipper einem
alten Brauch zufolge aus der Bordkasse verpflegt wird.
Unser Schiffsführer ist nun nicht einer von der Sorte,
die das ausnutzen würden. Dennoch ist er unserer
ständigen Spannungen überdrüssig und zieht sich daher
zurück. Auch morgens erscheint er nicht vor neun,
nachdem die anderen bereits gefrühstückt haben. Man
sollte nämlich wissen, daß die heutige Generation vom
Wohlstand so verdorben ist, daß ihre Vertreter kein
Verhältnis mehr zu Lebensmitteln haben, sondern diese
einfach aufbewahren, bis sie ungenießbar sind und zum
Verzehr nicht mehr geeignet. So ist es auch an Bord
dieser Jacht. Obwohl das am Vortag gekaufte Brot nicht
frischer wird und dringend gegessen werden müßte, läßt
man es einfach hart werden, um es anschließend
wegschmeißen zu müssen; lieber versorgt man sich in der
bequemeren Bar mit frischen Snacks. Mögen Zeiten kommen,
wo die Menschen es wieder schätzen lernen, wie gut es
ihnen immer noch geht!
Valun ist ein verschlafener Fischerort, an dem der
Tourismus nicht spurlos vorübergegangen ist. Der nahe
Campingplatz bietet die sanitären Einrichtungen, die in
keinem Revierführer verzeichnet sind, die aber dennoch
für einen Segler so lebenswichtig erscheinen. Während
wir nun beste Winde haben, allerdings mit
eingeschränkter Sicht, denn es ist außergewöhnlich
dunstig und der Himmel will sein reines Blau nicht so
recht zeigen, vergeht der ganze Vormittag mit Bummeln.
Vergessen sind die Worte: „Müßiggang ist aller Laster
Anfang.“ Nichts auf diesem Schiff ist klar geregelt,
alles fließt. Die einen gehen, wann und wohin sie
wollen, die anderen kommen, wie es ihnen beliebt. Der
Skipper ist der lachende Dritte, denn er ist nicht
erpicht darauf, sein Revier, das er tausendfach kennt,
das 1001te Mal zu befahren. Eine Umrundung von Cres
lehnt er rundheraus ab. Seine Begründung: die Landschaft
wäre nicht reizvoll und es gäbe nur wenige Häfen. Dabei
gibt es hinter Cres noch Porozina, Beli und auf Krk
Glavotok und noch mindestens 10 weitere Hafenorte in
erreichbarer Nähe. Man muß sagen, daß der Skipper auf
diesem Törn außerordentlich vorsichtig ist, er scheut
beinahe jedes Risiko, sieht von jedem Berg eine Bora
herunterkommen und weigert sich, die schmale Durchfahrt
zwischen Brestova und Porozina zu nehmen und um die
Insel Cres herum in den Kvarnerić einzulaufen bzw. die
Insel Krk anzusteuern. Statt dessen segeln wir auf
raumen Winden die langweilige Westküste von Cres hinab.
Die Bergkämme sind hier flach, keine Sporne, keine
Spitzen, kein Fels, der irgend etwas ausdrücken würde.
Die Sonne steht im Süden und der Kurs lautet: Richtung
Durst.
An Bord hat sich die gestrige Spannung wieder
etwas entkrampft, nicht etwa, daß es gar keine
Sticheleien mehr gäbe, doch man ist wesentlich
vorsichtiger geworden. Die, die das Wort führen, sind
dieselben geblieben, und an ihrer Art von Witz hat sich
auch nichts geändert. Was gleichgeblieben ist, ist die
Unerträglichkeit an sich. Der Skipper ist es diesmal,
der vermittelt, wobei es keineswegs seine Aufgabe ist,
für ein zweites Frühstück zu sorgen. Man hat als
einzelner immer einen schweren Stand, wenn man sich mit
einem anlegt, der als Pärchen reist, denn der Partner
wird stets für ihn Partei ergreifen. Wer einen von
beiden angreift, dem fällt der andere in den Rücken, und
so hat man den Kampf gegen zwei auszutragen. Taktgefühl
und Intelligenz haben nicht immer unmittelbar
miteinander zu tun, es ist sogar mehrheitlich so, daß
diejenigen, die den anderen intellektuell etwas
voraushaben, ihren Verstand dazu mißbrauchen, besonders
taktlos zu sein. Darum sind schlaue Menschen auch zu beißendstem Spotte fähig. Mein Ratschlag an diejenigen,
die dem ausweichen wollen, ist, an schrägen
Denkvorgängen solcher Art einfach keinen Anteil zu
nehmen, so daß der Witz ins Leere zielt. Man wird sich
wundern, wie schnell der einseitig vorgetragene Spaß
daneben liegt, und man sollte wissen, daß Feuer sich nur
dort ausbreitet, wo es Nahrung findet. Wenn man nicht
selbst Skipper ist, wird man seine Trümpfe niemals
ausspielen können. Man darf auch nicht darauf hoffen,
daß der „Schiedsrichter“ an Bord immer zu den eigenen
Gunsten entscheidet, denn denen, die Konflikte vermeiden
helfen sollen, ist selten daran gelegen, für
Gerechtigkeit zu sorgen. Wo Zurückhaltung geboten ist,
ist das Höchste erreicht, wenn es keiner mehr wagt,
einen unqualifiziert anzusprechen.
In
einer seltsamen Disharmonie segeln wir die Insel Cres
entlang, vorbei an der Insel Zeča, wo wir eine
Kreuzpeilung vornehmen, da das GPS wieder einmal
streikt. Während die Luft schwanger ist von
Nordlicht-Humor, der sich uns Bayern nicht immer
erschließt, rückt die Insel Lošinj näher. Wir laufen
geradewegs in den Unijski-Kanal ein, zwischen Lošinj und
der Insel Unije gelegen. Der Skipper weiß immer noch
nicht, was er machen will, doch er läßt vermuten, uns
nach Mali Lošinj zu steuern. – Falsch geraten! Am Abend
gehen wir in der Bucht von Liski vor Anker. Wir sind
unter Segel nicht besonders weit gekommen. Die Gestade
von Lošinj sind menschenleer, kilometerweit Steilküste
ohne Strände. Der Berg Televrina (589 m), den man auch
von Liski aus gut sieht, ist die alles beherrschende
Landmarke. Da kein großer Schwell in die Bucht läuft,
eignet sie sich bestens, um an Land zu schwimmen. Die
Gelegenheit nutze ich, um wenigstens für eine Weile Ruhe
zu finden, denn die lärmende Art meiner Mitsegler geht
mir zunehmend auf die Nerven: sie können wirklich über
alles und jedes lachen, ohne daß irgendein Grund dafür
vorliegt.
Am
nächsten Morgen sind die Hauptthemen natürlich wieder
Witz und Sarkasmus. Bis sich endlich jemand aufrafft,
das Frühstück zuzubereiten, vergeht wieder mindestens
eine Stunde. Es gibt keinen Plan auf diesem Schiff, der
Zweck ist das Ziel. Dabei ist die Bucht, in der wir in
den Tag hineinträumen, wahrlich nicht von einer
Beschaffenheit, daß man dort bleiben möchte. Draußen
weht der Wind, während wir die Zeit mit Geschirrspülen
zubringen. Nach dem Essen wurde nur halbe Arbeit
geleistet, der Ofen und die Gläser bleiben ungeputzt.
Dabei finden sich selbst auf dem Gespülten noch
Essensreste, weil man es mit der Gründlichkeit nicht so
genau nimmt. Aber wen muß das wundern, Akademikerinnen,
wenn sie sich überhaupt als solche bezeichnen dürfen,
haben eben ihre Defizite im häuslichen Bereich. Das
kommt daher, daß ihnen ihre berufliche Tätigkeit keinen
Spielraum für den Haushalt läßt. Daher spüle ich an Bord
lieber selbst, um nicht aus schmutzigen Tellern essen zu
müssen.
Der
Morgen verstreicht, ohne daß sich ein stärkeres Lüftchen
regt. Wir sind die einzigen, die noch in der Bucht
liegen, alle anderen Crews scheinen mehr Spaß an der
Seefahrt zu haben. Skipper müßte man sein: erst gegen
elf in der Arbeit erscheinen, nur soviel tun, daß es
nicht anstrengt, immer vor Augen, daß der Törn bezahlt
ist und die Zeit schon alles richten wird.
Seit
zwei Nächten bemerke ich, daß nachts irgendeiner meine
Kajütentür verschließt, während ich schlafe. Mein
Nachbar kann es nicht sein, denn der schläft an Deck.
Man kann in der Achterkajüte einer Bavaria 44 eigentlich
überhaupt nicht schlafen, wenn die Tür zu ist, denn der
Dieselgeruch verläßt auch nachts nicht das Schiff, auch
wenn der Motor längst ausgeschaltet ist. Darauf
angesprochen, gibt keiner zu, daß er derjenige war,
welcher die Tür nachts unaufgefordert zugemacht hat.
Nachdem ich ihnen allen Ohropax angeboten und es mir
ausdrücklich verbeten habe, daß dies erneut passiert,
bin ich gespannt, ob derjenige es erneut wagt, selbiges
zu tun.
Unsere heutige Etappe führt nicht allzuweit, lediglich
um das südlich gelegene Kap herum, bis wir schließlich
in die langgezogene Bucht von Mali Lošinj einlaufen. Der
Wind ist schwach, die See flach, die Hitze brütend. Die
Crew zieht es vor, in dem Transithafen, wo einem
höchstens eine Übernachtung zugestanden wird, zu
bleiben, um durch die Geschäfte zu bummeln und billige
Souvenirs einkaufen zu können, Tätigkeiten, die sie
jahrein, jahraus machen. Es ist bereits der fünfte Tag
auf dieser Reise, und morgen werden zwei von Bord gehen,
so daß wir insgesamt nur noch zu fünft auf dem Boot sein
werden, das Chaoten-Pärchen eingeschlossen. Mir
persönlich wäre es lieber, wenn diese beiden von Bord
gehen würden, denn mit den anderen, wenngleich ich auch
sie nicht ins Herz geschlossen habe, könnte ich zur Not
noch vorlieb nehmen.
Mali
Lošinj ist gut geeignet, um die Gesichter der Kroaten zu
studieren. Es handelt sich bei diesem Volk um einen
äußerst harten und etwas grobschlächtig wirkenden
Menschenschlag. Fast alle haben kantige Gesichtszüge,
einschließlich der Frauen, und strahlen wenig Sympathie
aus. Dicke und übergewichtige Menschen findet man nur
wenige unter ihnen, aber fast alle haben einen wilden
Blick. Derart scheint die Natur diese Menschen geprägt
zu haben, daß sich dies in ihrem Äußern ausdrückt. Die
Frauen, besonders wenn sie hübsch sind, erscheinen mir
einigermaßen leidenschaftlich. Man spürt, daß sie auch
in der Liebe hart angefaßt werden wollen. Dabei gibt es
hinreichend viele Blonde unter ihnen, doch ist schwarzes
Haar für die Mehrheit kennzeichnend.
Der
Ort selbst ist schnell erkundet. Von der Kirche aus hat
man nicht den überwältigenden Überblick über die Stadt,
wie er in den Reiseführern angepriesen wird, auch das
Fort darüber bietet kaum bessere Aussicht. Die
Sv.-Martin-Bucht auf der anderen Seite ist stärker von
Einheimischen frequentiert als von Fremden. Dennoch wird
man immer wieder überrascht sein, wie viele hier Deutsch
sprechen oder verstehen.
Am
Abend ist in Mali Lošinj einiges geboten, die
Strandpromenade wird zu einem Jugendtreff, und
angesichts der großen Hitze ist Biertrinken und Leute
beobachten das beste, womit man sich die Zeit vertreiben
kann. Als ich zum Abendbrot aufs Schiff zurückkehre,
werde ich mit einer neuen Situation konfrontiert: zwei
müssen morgen von Bord und nach Venedig zurück. Der
Skipper beschließt, nach Pula zurückzukehren, obwohl
hier, Richtung Kornaten, erst so richtig der Urlaub
beginnt. Gegen diese Entscheidung wehre ich mich, ohne
Erfolg. Obwohl ich einen 2-Wochen-Törn gebucht habe und
man mir versicherte, durch das Von-Bord-gehen der beiden
würden keine Umstände entstehen, fahren wir Richtung
Venedig zurück, dorthin, wo wir vor nicht einmal einer
Woche unsere Reise begonnen haben. Jetzt wird mir
schlagartig klar, warum wir von Tag zu Tag immer
kleinere Schläge in Richtung Süden gemacht haben und
warum der Skipper, auf das Reiseziel Kornaten
angesprochen, mehrmals sagte: „Aber dort kommen wir
nicht hin.“ Im Programm des Veranstalters stand ganz
klar geschrieben, daß die Kornaten Teil des befahrenen
Reviers sein würden. Nun aber gibt es eine mysteriöse
Crew-Entscheidung, von der niemand weiß, wie sie
zustande gekommen ist, die schon äußerlich nur durch
eine Absprache erfolgt sein kann, an der ich nicht
beteiligt war.
Man gibt mir die Möglichkeit, eine e-Mail
an den Veranstalter zu schreiben, und es heißt, bis
morgen hätte ich garantiert eine Antwort. Und die kommt
prompt. Der Herr, der vorher so freundlich war, entpuppt
sich nun als der, der er wirklich ist: ein eiskalter
Geschäftsmann. Weder, meint er, würde er mir die Kosten
zurückerstatten noch auch den Flug umbuchen, und weil
recht haben und recht kriegen in Deutschland nicht immer
ein und dasselbe ist, bisweilen allein von der Laune des
jeweiligen Richters abhängt, weiß ich nun nicht, wie ich
mit dieser Situation umgehen muß. Ich gestehe, daß ich
nicht einmal die Geschäftsbedingungen richtig gelesen
habe, sondern mich rein auf das verlassen habe, was in
einer Zusatzabsprache zwischen dem Veranstalter und mir
vereinbart worden war, und demnach bin ich ganz klar
hereingelegt worden, zuerst geködert und dann vor
vollendete Tatsachen gestellt. Genau das aber ist der
Grund, diese Rechtsunsicherheit, die mich letztlich
bewogen haben dürfte, an Bord zu bleiben. Zu umständlich
wäre es, jetzt abzuspringen und mir selbst eine
Rückreisemöglichkeit zu suchen. Von den andern erwarte
ich allerdings auch keinerlei Zugeständnisse, weil
Menschen allgemein nur selten zu dem stehen, was sie
zugesagt haben. Zu welcher Bosheit sie fähig sind,
offenbart sich mitunter auf einem Segeltörn, einem
Dissidenten, Abtrünnigen gegenüber. Er wird übergangen,
ausgegrenzt, nicht mehr gegrüßt. Am liebsten würde man
ihn über Bord gehen sehen, dann wäre man das Bedrückende
an der Situation los. So aber ist er ein ständiges
Mahnmal, eine ewige Erinnerung an die eigene
Unmenschlichkeit. Dabei sind es gerade jene aus dem
Pöbel – der tagtäglich so laut schreit, daß man am
liebsten davonliefe –, die den Urinstinkt der
Gemeinschaft am innigsten in sich fühlen: die
Massenmenschen, die Herdentiere. Wie vertiert fressen
sie sich gegenseitig von den Löffeln, ohne Ekel, wie
Hunde, die sich abwechselnd das Fleisch aus dem Munde
reißen.
Das
monotone Knattern einer unsinnig laufenden Maschine, die
nur den einen Zweck verfolgt: möglichst schnell zum Ziel
zu kommen, reißt mich aus meinen Gedanken. Die
Kommunikation findet nur noch zwischen den andern statt,
ich habe mich aus dem unwürdigen Geschehen längst
ausgekoppelt. Schon seit Tagen dürfte ihnen aufgefallen
sein, daß ich häufig am Salontisch sitze, so wie jetzt,
und die Ereignisse des Tages zu Papier bringe. Bei ihnen
mag dieses Schreiben eine innere Unruhe auslösen, ein
Vorgang, mit dem sie nicht umzugehen wissen. Da ist der
eine mit seinen zwei Töchtern, der von seiner Frau
niemals spricht, aber immer zu tief ins Glas schaut,
einer, wie Tacitus ihn beschreibt, der allabendlich
torkelnd seine Geistesblitze herausläßt, sich tagsüber
aber als „Riesen-Gschaftlhuber“ gebärdet, so als könne
er als Legastheniker anderen das Schreiben beibringen.
Nachträglich tut er mir leid, aber er steht auf der
falschen Seite, und mir gilt das Sprichwort: „Sage mir,
mit wem du umgehst, dann sage ich dir, wer du bist.“ Die
andere, die immer so stolz ihre Doktorarbeit
herauskehrt, spricht nun nicht mehr davon, gemessen an
dem Ärger, den ihr Grönlandaufenthalt ihr an Bord
eingebracht hat. Daß das Niveau von heutigen Akademikern
keines mehr ist, wird allein dadurch bestätigt, daß ihre
Intelligenz und ihr Verhalten längst nicht mehr dem
entsprechen, was sie einmal waren. Derbheit ist angesagt
im bäuerlichen Akademikerproletariat. Die beiden, die
ich zuletzt geschildert habe, um derentwillen wir diesen
unerwünschten Abstecher einlegen müssen, werden uns
morgen früh verlassen, um mit ihren Problemen dort
weiterzuleben, wo sie hergekommen sind. „Dann waren's
nur noch fünf“, wäre man versucht zu sagen. Wie sich
aber der weitere Fortgang mit den Verbliebenen gestalten
soll, bleibt eine offene Frage.
Aus
Langeweile wühle ich im Bücherschapp und krame
irgendeinen Science Fiction hervor: Isaac Asimov, Der
Aufbruch zu den Sternen. Mein Gott, denke ich mir,
so dumm kann doch kein Mensch mehr sein, an eine Welt zu
glauben, in der die Arbeit von Robotern erledigt wird.
Es müßte doch hinlänglich bekannt sein, daß es ein
Perpetuum mobile erster und zweiter Art nicht gibt, es
also unmöglich ist, eine Maschine zu konstruieren, die
sonst nichts tut als Arbeit verrichten.
Als
die Sonne ihre letzten Strahlen übers Meer schickt und
die gesamte Wasseroberfläche in ein fahles Licht taucht,
erreichen wir den ehemals österreichischen Kriegshafen
Pula, das schon in römischer Zeit eine gewisse Blüte
erreicht hatte. Erste Tiefausläufer sind aufgezogen und
bedecken fast den ganzen Himmel mit einer bleichen
Dunstglocke. Nach dem Anlegen, bei welcher Gelegenheit
üblicherweise zuerst ein Anlegerbier oder ähnliches
getrunken wird, ist die Crew rasch verschwunden und läßt
mich mit einem Berg Geschirr zurück, das ich aber
bereitwillig abspüle, weil ich Sauberkeit über alles
liebe. Die anderen sind groß, wo es ums Herräumen und
Liegenlassen geht, doch beim Beseitigen des Hergeräumten
ist alles andere wichtiger. Unser Legastheniker ist
darin der Größte, er scheint nicht nur zu vergessen, wie
man schreibt, sondern auch, was er von dem Seinigen noch
irgendwo herumliegen hat.
Bei
der Suche nach einem Lokal in der Altstadt von Pula ist
es zunächst schwierig, irgendein anderes Restaurant zu
finden als eine Pizzeria, ja man gewinnt fast den
Eindruck, als gäbe es in dieser Stadt keine anderen
Essensmöglichkeiten als Pasta oder Big Mac, die
köstliche Alternative! Verwunderlich bleibt nur, daß die
Menschen, die hier leben, nicht diese Leibesfülle
aufweisen wie die unsrigen, aber das könnte generell
auch daran liegen, daß ihr Geldbeutel ganz einfach
schmäler ist. Als ich im Restaurant auf mein Wechselgeld
warte, tut der Ober so, als habe er vergessen, es mir zu
bringen. Erst nachdem ich ihn auffordere und er merkt,
daß ich nicht aufstehe und gehe, sondern der Dinge
harrend sitzenbleibe, bequemt er sich, mir die
einbehaltenen 20 % Rückgeld auszubezahlen, wobei er sich
noch kleinlaut entschuldigt. Um ein Exempel zu
statuieren, lasse ich ihm genau die 10 % zurück, die er
von mir korrekterweise bekommen hätte, doch eigentlich
hatte er gar nichts verdient. Denn auch wenn die
Menschen hier arm sind, müssen sie uns, die vermeintlich
Reichen, nicht auch noch ausplündern. Ich frage mich,
wie er es überhaupt wagen konnte, sich Erfolgsaussichten
auszurechnen, wo er mir doch hätte ansehen müssen, daß
er mit seiner diebischen Tour bei mir nicht durchkommt.
Oder er scheint bemerkt zu haben, daß mein Kroatisch
nicht so gut ist. Vermutlich hatte ich auch keine
Lederjacke an oder es fehlte die Tätowierung auf dem
Unterarm.
Am
nächsten Morgen zeigt sich die Sonne wieder, der Himmel
ist mit einem Schleier versprengter Wölkchen überzogen.
Die erste verläßt frühmorgens das Boot, nicht ohne sich
höflich von mir zu verabschieden, vom zweiten weiß ich
nur, daß seine Sachen noch überall herumliegen und er
offenbar überhaupt noch nicht daran denkt, das Schiff zu
räumen. Diejenigen, die zwei Wochen gebucht haben,
müssen sich nun in Geduld fassen, bis sie hier aus
diesem schmutzigen Hafen wegkommen, und den Tag mit
Zeittotschlagen verbringen.
Stückchenweise rückt der Skipper nun mit der Wahrheit
heraus. Auf meine Frage, wann wir denn ausliefen,
antwortet er schnöde: „Heute gar nicht mehr.“ Dabei
stellt sich heraus, daß noch zwei Personen zusteigen
werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gedacht oder
gehofft, daß nun endlich Luft würde auf diesem Schiff,
doch nunmehr ist offensichtlich, daß wir den Weg zurück
nach Pula nur deswegen nehmen mußten, weil für die zwei
von Bord Gegangenen zwei neue Leute zusteigen werden. Es
ist also wahr, daß die gebuchte Reise nichts anderes ist
als ein verdeckter Einwochentörn, der mit zwei
zusätzlichen Reisetagen vertaner Zeit angefüllt werden
muß.
In einer Nacht- und
Nebelaktion gelingt es mir, von Pula aus mit dem
Schnellbus nach München zurückzukehren. Den Flug bekomme
ich nicht erstattet: um die entstandenen Zusatzkosten
einzuklagen, bediene ich mich des Rechtswegs. Das
Gericht sieht die Klage zwar als zulässig an, aber nicht
als begründet. Ein Mangel in der Reiseleitung habe nach
seiner Auffassung nicht bestanden, es treffe außerdem
nicht zu, daß das Schiff überbucht gewesen sei. Wenn die
Reisenden sich nicht einigen könnten, so sei dies nicht
Sache des Gerichts. Stand der deutschen Rechtsprechung
ist somit, daß auch ein Schlafplatz im Salon zugemutet
werden kann und demnach kein Anspruch auf eine
ordentliche Koje besteht. Das ist ungefähr so, als wenn
Ihnen ein Hotel, auch wenn Sie ein Zimmer gebucht haben,
alternativ die Besenkammer anweisen darf. Das Gericht
ist außerdem der Auffassung, daß es einen
vierzehntägigen Törn gegeben habe, der nicht
zwischenzeitlich nach Venedig zurückführte. Ein
bestimmter Aktionsradius sei nicht zugesichert gewesen.
Daß der Veranstalter die Kornaten in seiner
Reisebeschreibung ausgewiesen habe, müsse nicht
unbedingt heißen, daß es einen Anspruch gebe, die
Kornaten auch zu besuchen. Schließlich seien die
penetranten Dieselgerüche kein Grund zu einer
Reisekostenminderung, da der Veranstalter ja in seiner
Reisebeschreibung angegeben habe, daß mit einer Bavaria
44 gesegelt werde. Daß dieses Modell bauartbedingt
Dieseldämpfe über die Plicht ableite, habe der Kläger
wissen können. So jedenfalls sieht es ein deutsches
Gericht. Was wir nun daraus für die Zukunft lernen
können ist, daß mündliche Zusagen keinen Bestand vor
Gericht haben, womit schrägen Vögeln in diesem Gewerbe
von Rechts wegen Tür und Tor für Betrügereien
offenstehen. Es trifft also zu, wie von vielen immer
wieder behauptet wird, daß die Gerichte das Unrecht
verteidigen, indem sie Beweise des Klägers nicht
anerkennen.
Im Jahr darauf,
nachdem die Wut über die Prellerei verraucht ist, starte
ich erneut einen Versuch, die entgangenen Kornaten
nachzuholen. Bereits der Landeanflug auf Split bietet
dafür eine nicht geringe Entschädigung. Malerisch
schmiegt sich Eiland an Eiland, als wir im Tiefflug über
dem mit azurblauen Buchten gesegneten Archipel
niedergehen. Der Himmel könnte in Bayern nicht
sprichwörtlicher sein, es herrscht Kaiserwetter in
Dalmatien, dem Vorhof Venedigs, bei angenehmen 20 °C,
und am strahlend-blauen Himmel nicht ein einziges
Wölkchen, welches sich zeigt.
Was sich gut
anläßt, wird sogleich wieder getrübt, denn der Transfer
vom Flughafen zur Marina verzögert sich um eine Stunde,
da noch ein weiterer Mitsegler, der mit einer anderen
Maschine kommt, fehlt. Also heißt es erstmal auf dem
Flughafen ausharren und die Zeit totschlagen, aber für
ein kühles Bier ist es noch reichlich früh. Als endlich
alle aufgesammelt sind, geht es mit dem Shuttle bus zum
Hafen. Nur der Skipper fehlt noch, also bleibt für uns
nichts zu tun, als uns der Besichtigung Splits zu
widmen. Die Stadt weist römische Bausubstanz auf,
bekannt durch den Palast Diokletians. Viele Mauern und
Säulen künden noch immer von vergangener Pracht. Äußerst
reizvoll in der Stadt sind die engen Gassen und
Häuserschluchten, in denen stets geschäftiges Treiben
herrscht. Zur Abwehr der Türkengefahr wurde die Altstadt
im 16. Jahrhundert von einem sternförmigen Fort im
Vaubinschen Festungsbaustil umgeben.
Am Abend lernen wir
unseren Skipper kennen: er kennt weder den Schiffstyp
noch war er je in diesem Revier, aber er hat eine
Flasche schottischen Whiskey dabei, den er sogleich
herumgehen läßt. Bis zum Auslaufen verläuft alles
weitgehend reibungslos. In der Nacht hat der Wind böig
aufgefrischt. Als ich gegen Morgen einmal kurz das
Schiff verlasse, hat sich, im Cockpit schlafend, der
letzte Mitsegler eingefunden: weiblichen Geschlechts.
Nun muß einer der Herren an Bord sich mit der Dame in
eine Kajüte teilen. Laut deutscher Rechtsprechung ist
dies, wie wir oben gesehen haben, zumutbar. Mein Fall
wäre sie nicht, aber der von uns, dem sie nach der
Kojenverteilung zugesprochen wird, scheint nichts
dagegen zu haben, sich mit ihr arrangieren zu müssen.
Wie man als Frau in vorgerückten Jahren allerdings auf
die Idee kommen kann, sich zum Behufe gemeinsamen
Urlaubs durchweg jüngeren Männern anzuschließen, läßt
nur den Schluß zu, daß hier wohl der Mutterinstinkt
überwogen haben muß.
Es wird Mittag, bis
wir ablegen und in achterlicher Fahrt das Hafenbecken
verlassen. Von keinem meiner Mitsegler könnte man nun
sagen, er sei ausgesprochen ungeübt, immerhin reichen
unsere Fähigkeiten aus, das Schiff zu manövrieren. Das
Wetter zeigt sich sogleich von seiner besten Seite:
brillante Fernsicht, glasklarer Himmel, guter Wind. Zum
Greifen nah zeichnen sich die Berge in aller Plastizität
ab. Die Stimmung ist gut, die Zusammenarbeit der
Mannschaft perfekt.
Irgendwann am
Nachmittag, nachdem wir uns entschlossen haben, als
nächsten Hafen Trogir anzulaufen, ertönt aus dem Funk
ein MAYDAY. Eine weibliche Stimme meldet sich und bittet
um Seenotrettung. Da wir nur etwa zwei Seemeilen vom Ort
des Geschehens entfernt sind, sind wir zur Hilfeleistung
verpflichtet und nehmen Kurs auf das in Seenot geratene
Schiff. Nachdem auch Radio Split sich gemeldet hat und
den Havaristen auffordert, seine Position zu
übermitteln, ist die Funkerin nicht in der Lage, den
genauen Standort zu benennen. „There is no position“,
tönt es aus dem Lautsprecher. Weder den Namen der
Segeljacht noch die Art des Notfalls ist sie in der Lage
kundtun. Das einzige, was zu verstehen ist, lautet: „Killing,
killing!“ Auf die wiederholte Anfrage von Radio Split
nach dem Standort antwortet die Funkerin, ihr Schiff
treibe bei U. Stinjlva nahe der Insel Šolta. Nachdem wir
uns dem Schiff schon bis auf Sichtweite genähert haben,
kommt unerwartet Entwarnung über Funk: „We have solved
our problem. Thank you.“
Für uns war es ein
Schreck in der Abendstunde, der uns eine halbe Stunde
Zeit gekostet hat. Trotz dieser unerwünschten
Verzögerung erreichen wir nach endlosem Aufkreuzen noch
vor Sonnenuntergang im Abendlicht die Stadt Trogir, wo
wir über Mooringleine anlegen. Trogir liegt auf einer
Insel an der engsten Stelle des Trogirski-Kanals und ist
durch eine Brücke, die Durchfahrt für kleinere Jachten
ohne Mast gewährt, mit der Insel Čiovo verbunden. Vom
Festland ist die Stadt durch einen engen Kanal getrennt,
über den eine Steinbrücke führt. Die Stadt besitzt noch
gut erhaltene Stadtmauern aus dem 13. bis 15.
Jahrhundert, deren sichtbarstes Wahrzeichen der runde
Wehrturm des heiligen Markus von Schloß Kamerlengo ist.
Nach Erholung des
Wetterberichts wird entschieden, als nächstes einen
größeren Schlag bis zu den Kornaten zu unternehmen.
Leider sind wir für ein solches Unterfangen schon
reichlich spät aufgebrochen, aber wie das mit Urlaubern
so ist: Verweichlichung und Bequemlichkeit sind unter
uns Zivilisierten schon soweit fortgeschritten, daß ein
koordiniertes, zielgerichtetes Handeln beinahe nicht
mehr möglich ist. Somit steht zu bezweifeln, daß wir
unser heutiges Tagesziel erreichen werden. Zudem
vergeudet die Crew durch den kindlich-infantilen
Spieltrieb einiger zuviel Zeit. Waren wir noch am
Vorabend durch endloses Aufkreuzen nicht in den Hafen
hineingekommen, so kommen wir am hiesigen Morgen auch
nur nach endlosem Umherkreuzen wieder aus dem
Trogirski-Kanal heraus. Als wir endlich den Kanal
verlassen haben, können wir den angesagten nordöstlichen
Wind voll ausnutzen und Amwindkurs aufnehmen. Durch den
Drvenik-Kanal segeln wir bis zur geschützten Bucht von
Rogoznica, wo wir längsseits anlegen.
Irgendein böser
Dämon scheint verhindern zu wollen, daß ich jemals im
Leben die Kornaten zu sehen bekomme, denn aufgrund
unserer verspäteten Abreise haben wir kaum die Hälfte
der Strecke gutgemacht, und der Skipper scheint keine
rechte Lust zu einer Nachtfahrt zu haben. Eigenmächtig
interpretiert er die Stimmung an Bord dahingehend, daß
unter der Crew angeblich keine rechte Neigung mehr
vorhanden sei, sich den Strapazen einer solchen
Unternehmung zu unterziehen. Dabei hat eigentlich jeder
damit rechnen müssen, daß genau dies das erklärte Ziel
des heutigen Tages gewesen wäre. Am Ende müssen wir uns
dann doch den Vorwurf gefallen lassen, daß unser
Anlegemanöver angeblich nicht schulmäßig genug gewesen
sei. Gute Seemannschaft hätte allerdings erfordert, die
Segel rechtzeitig vor dem Anlegen zu bergen und zur
Sicherheit die Maschine mitlaufen zu lassen, falls man
denn gezwungen gewesen wäre, aufzustoppen. Wenn ein
Skipper sich aber von einem Außenstehenden, der sich
zwar hilfsbereit zeigt, wenngleich er keinerlei
Entscheidungsbefugnisse hat, das Anlegen aus der Hand
nehmen läßt und dafür seine Mitsegler schilt, so kann er
seine mangelnde Autorität nicht der Crew zur Last legen.
Nach einigen Klarstellungen haben die Wogen sich wieder
geglättet, und eine Flasche selbstgebrannter Sliwowitz
besänftigt die Gemüter. Worüber die Mannschaft sich
wiederum einig ist, das ist die durch „demokratische“
Abstimmung herbeigeführte Entscheidung, heute
ausnahmsweise einmal an Bord zu essen, was ja auch keine
so schlechte Idee ist. Rogoznica verfügt zwar über eine
neu erbaute Marina, hat aber keinen historischen
Ortskern, so daß der Aufenthalt auch wegen nicht
überzeugender landschaftlicher Schönheiten zweifelhaft
bleibt.
Da es sich gerade
anbietet, einiges zu den Befehlsstrukturen auf diesem
Schiff zu sagen, wollen wir dies nachfolgend tun. Außer
seemännischen Belangen werden sämtliche Entscheidungen
an Bord demokratisch gefällt, wovon nun eigentlich gar
nichts zu halten ist, da der Skipper damit lediglich
seine fehlenden Revierkenntnisse entschuldigt und der
Crew, wenn irgend etwas nicht zur Zufriedenheit
ausfällt, automatisch vorhalten kann, die Mannschaft
habe das mehrheitlich so gewollt. Nun ist natürlich auch
nicht jeder „Matrose“, der gerade angeheuert hat,
reviererfahren genug, um überhaupt etwas Brauchbares
beitragen zu können. Die Erfahrenen sollten den
Unerfahrenen daher die Entscheidungen weitgehend
abnehmen. Hätte man sich daran gehalten, wäre es denn
auch kaum möglich gewesen, daß wir uns direkt an einen
Fischerkai legen, wo abends bei laufenden Motoren bis
Mitternacht gearbeitet wird und am Morgen noch vor
Sonnenaufgang schon wieder die ersten Trawler auslaufen.
Allerdings scheint sich insbesondere unsere Crew an den
in den Kajüten sich hartnäckig haltenden Dieselschwaden
überhaupt nicht zu stören, und selbst der Aufenthalt an
Deck, der nur unter ständigem Husten möglich ist,
scheint ihr nichts auszumachen. Auch sanitäre
Einrichtungen gibt es in der Regel in solchen
Fischerhäfen nicht, ein WC muß daher für sieben Leute
reichen. Dabei wäre genau gegenüber die Marina; doch
weil denen, die einen teuren Segeltörn sich zu leisten
können glaubten, offenbar die Einsicht gekommen ist, daß
man die erhöhten Lebenshaltungskosten wieder einsparen
muß, wird plötzlich gegeizt. Der Skipper, selbst
Besitzer von zwei Booten, „umschifft“ das Problem
dadurch, daß er sich jeden Morgen, wo es sich gerade
anbietet, ins nächste Café setzt und bei der
„Gelegenheit“ seine Verrichtungen durchführt. Dies
bewahrt ihn vor der unangenehmen Verpflichtung, die
Bürste selbst in die Hand nehmen zu müssen. Die
Körperpflege kann auf einem solchen Segeltörn ein
vorübergehendes Problem werden. Daher sollte man jede
Gelegenheit, die sich bietet, dazu nutzen, für sein
körperliches Wohlbefinden zu sorgen. Trotz allem kann es
passieren, wie es mir auf diesem Schiff ergangen ist,
daß man sich schelten lassen, ja beinah rechtfertigen
muß, weil man schon wieder unter die Dusche geht, was
für manch einen ein rotes Tuch ist. Besonders
unappetitlich klingt eine solche Schelte, wenn sie aus
dem Munde eines weiblichen Wesens kommt, wie es hier der
Fall ist. Nicht jeder bringt es nämlich fertig, anderen
ins Gesicht zu sagen, daß er selbst mit einer
ungepflegten Erscheinung, seien es nun unrasierte
Gesichter oder ungewaschene Haare, schon ein Problem
hat. Zu dieser Art von Toleranz wird man sich aber um
des friedlichen Zusammenlebens willen durchringen
müssen.
Was hat sich nun
zwischenzeitlich auf unserem Törn ereignet? Da der Wind
heute nicht hinreicht, motoren wir nach dem Auslaufen
aus Rogoznica mit einem Kurs von 290 Grad und einer
Fahrt von sieben Knoten in Richtung Kurba Vela, vorbei
an der Insel Žirje, lassen den Leuchtturm von Blitvenica
an Backbord liegen, bis wir das Inselgebiet der Kornaten
betreten. Hier setzen wir wieder Segel, um die
„eintausend“ Inseln langsam an uns vorüberziehen zu
lassen. Zwischen diesen hindurch, gelangen wir in eine
Landschaft, die ob ihrer Trostlosigkeit stark an den
Kopaissee in Böotien erinnert: baumlos, unwirtlich,
menschenfeindlich. Es kostet mich meine ganze
Überzeugungskraft, meine Mitsegler dazu zu bringen, daß
wir besser in den Kornatski-Kanal einlaufen, denn sie
scheinen aufgrund ihrer mangelnden Ortskenntnisse
außerhalb von diesem vorbeilaufen zu wollen. Jener zieht
sich nämlich, einem gefluteten Urstromtale gleich,
zwischen der Insel Kornat im Osten und einigen kleineren
Inseln im Westen in nordwestlicher Richtung über zwanzig
Seemeilen hin und hat nur einen einzigen Durchlaß zum
Festland, die Vela Proversa zwischen Kornat und der
Insel Katina. Der Kornatski-Kanal ist zwar ausreichend
tief, so daß man dicht unter Land segeln kann, aber er
läßt sich selten ohne aufzukreuzen durchqueren. Die
felsigen Erhebungen zu beiden Seiten mit ihren markanten
pyramidenartigen Spitzen erwecken den Eindruck einer
Vulkanlandschaft, obwohl das ganze Gebiet nichts weiter
ist als ein elendes Karstgebiet. Am späten Nachmittag
beschließen wir, in der Bucht von Lavsa zu ankern.
Noch früh am Tage,
bleibt reichlich Zeit für die Besteigung der höchsten
Erhebung der Insel. Von dort hat man einen
phantastischen Tiefblick auf die in der Bucht ankernden
Jachten auf der einen und die den Sund durchquerenden
Schiffe auf der anderen Seite. Wie eine Schlange so
schmal, zieht sich die Insel Kornat vor der
dalmatinischen Küste hin, als wir von ganz droben auf
die Wasserstraße hernieder blicken. Nur leider ist den
Crewmitgliedern mehrheitlich nicht an romantischen
Stimmungen gelegen, sie ziehen es vor, und hier zeigt
sich ihre wahre Gesinnung, tüchtig dem Wohlleben
zuzusprechen, um die Härten des Alltags vergessen zu
machen. Nachts sehen sie nicht den tausendfach
funkelnden Sternenhimmel über sich, der ihnen andeutet,
daß es noch etwas Größeres gibt, als sich nur dem
übermäßigen Genusse des Rotweins hinzugeben und mit
vernebelten Sinnen seichte Späßchen von sich zu geben,
über die nur jemand lachen kann, der ebenso trunken ist
wie sie. Wenn der Großteil der Mannschaft nur noch
lallt, aus welch unerfindlichen Gründen auch immer –
vielleicht, weil die Liebesabstinenz nun schon einige
Tage anhält –, empfiehlt sich der kontrollierte Rückzug.
Ohrstöpsel leisten gegen unerwünschtes Schnarchen ihr
Bestmögliches.
Nachdem nun unser
Törn zur Hälfte um ist, ist man sich an Bord über den zu
nehmenden Rückweg nicht einig: erneut steht eine
„demokratische“ Entscheidung an. Dabei geht es im
wesentlichen um den günstigsten Zeitpunkt für die
Nachtfahrt und die zu erwartende Dauer derselben, wobei
einige eine gravierende Fehleinschätzung bezüglich der
Bemessung der in einer Nacht zurückzulegenden Distanz
erkennen lassen. Der wahre Grund aber dürfte sein, daß
sie Angst haben, ihren Rückflug zu verpassen, als daß
die drei noch verbleibenden Tage ein tatsächliches
Problem aufwerfen würden. Die überwiegende Mehrheit
spricht sich für die sofortige Rückkehr in der kommenden
Nacht aus. Mein Vortrag, daß es im Hinblick auf die
Großwetterlage und den angesagten Wind überhaupt keine
Bedenken zu geben brauche, daß wir nicht rechtzeitig
wieder in Split sein werden, und daß wir angesichts der
Schönheit des befahrenen Reviers besser noch einen Tag
länger auf den Kornaten verweilen sollten, schlägt nicht
durch, dafür sitzen bei einigen, die innerlich nach
ihrer Mutter schreien, die Ängste zu tief. Somit wird
entschieden, den ganzen nächsten Tag nicht segelnd zu
verbringen, sondern weitgehend in Badebuchten zu
verbummeln und die Zeit mit unergiebigen Landgängen zu
vertun, wobei sich einige regelrechte Bergtouren
erträumen. Der unausgegorene Vorschlag, die Gebühren für
das Betreten des Nationalparks einzusparen und dafür
lieber noch das südlich von Split gelegene Revier um die
Insel Brač aufzusuchen, setzt sich durch: einmal, weil
ein Törnteilnehmer die Kornaten schon kennt und von
Anfang an lieber andere Ziele ins Auge gefaßt hätte –
und das, obwohl er wußte, daß es laut Reiseprogramm
ausdrücklich zu den Kornaten gehen sollte –, zum andern,
weil wir dann unserem Heimathafen ein Stück näher wären
und die Rückkehr gesichert ist. Mein Argument, daß man
sich die Nachtfahrt ohne zwingenden Grund auch gut
schenken könne, zumal man nach durchwachter Nacht nicht
eben in Bestform sei und den ganzen nächsten Tag eher
lustlos herumhänge, zählt nicht. Es wird eingewendet,
daß es zu gefährlich sei, nachts zwischen den Inseln
durchzusegeln, und man daher hinaus aufs offene Meer
müsse. Nur so könne man sich eine Nachtfahrt vorstellen:
langweilig eben. Auch der Hinweis, daß man keinerlei
Nutzen daraus ziehe, weit draußen auf dem Meer
herumzuschippern, wo sich ohnehin kaum irgendwelche
Lichter zeigten außer denen der Sterne, und dies auch
keinerlei sportliche Herausforderung darstelle, kann die
Mehrheit nicht umstimmen. Nachdem hier keine noch so
große Überzeugungsarbeit hilft, sollen die Leute ihre
Erfahrungen eben selber machen; ob sie denen daheim
damit imponieren können, ist eine andere Frage. Der
Disput artet in kindische Rechthabereien aus, aber so
ist das nun einmal auf einem Segeltörn: entweder
betrinken Männer sich sinnlos oder sie erschöpfen sich
in weibischem Gezänk. Noch vor kurzem glaubte ich einen
Kompromiß eingegangen zu sein, sehe mich jetzt aber auch
hierin getäuscht, denn nicht einmal sich daran zu halten
ist die Mehrheit noch gewillt, von den Nachwehen des
gestrigen Zechens und der Völlerei zu völliger
Tatenlosigkeit herabgesunken.
So setzen wir denn
Segel und lassen uns bei nicht einmal einem Knoten Fahrt
in völliger Selbstvergessenheit auf dem Kornatski-Kanal
dahintreiben. Am meisten zeichnen meine Mitsegler sich
aus, wenn es sich um Speis' und Trank und irgendwelche
Leckereien handelt. Wann immer es ums Geldausgeben geht,
tun sie sich maßlos hervor, im Maßhalten hingegen sind
sie völlige Versager. Während der eine mit dem
Frühstücken schon fertig ist, fängt der andere in
völliger Disziplinlosigkeit gerade erst damit an.
Niemand hat ein konkretes Ziel vor Augen. Als ich den
Vorschlag mache, die Maschine anzuwerfen, um nicht als
einziges verbleibendes Hindernis mitten im Fahrwasser zu
liegen, lautet die Antwort: „Wo willst du denn hin? Wir
haben doch ohnehin kein Ziel.“ Da denke ich mir im
stillen: „Des Schmerbauchs einzig' Ziel ist, wie er sich
seinen Wanst erhalten oder möglichst noch vergrößern
kann.“
Der Skipper ist
krank und hat nahezu seine Stimme verloren. Hustend, hat
auch er keinen großen Ehrgeiz, sondern läßt sich ganz
von der Mannschaft bestimmen, weil diese, wie eingangs
gesagt, für Schäden gemeinschaftlich einsteht. Auf diese
Weise sichert sich das Unternehmen dagegen ab, daß der
Skipper im Schadensfalle allein haften muß. Andernfalls
müßte der Veranstalter mangels risikobereiter
Schiffsführer wohl bald Konkurs anmelden. Doch
strafrechtlich ist es bislang immer noch so, daß
Konsequenzen im Falle eines Seeunfalls der Skipper
persönlich fürchten muß, sofern nicht ein Crewmitglied
vorsätzlich oder grobfahrlässig handelt.
Zurück zu unserem
Törn! Kaum ausgelaufen, schickt sich die Crew zum Bade
an. Erklärte der Skipper noch vor kurzem, er würde
demokratisch entscheiden lassen, so räumt er nunmehr
ein, er handle aus Eigennutz, zumal er selbst ein
begeisterter Taucher sei. Für manch einen, der keinen
Schnorchelurlaub gebucht hat, eine unerwünschte
Zwangspause, in der es die Zeit totzuschlagen gilt.
Wurde auf diesem Törn doch alles bestens so eingefädelt,
daß jeder mindestens einmal zu seinem Recht kommt,
derweil die anderen zu pausieren haben. Anstatt sich
nämlich auf etwas zu einigen, was alle gemeinsam wollen,
darf jetzt jeder, wie zuhause auch, seinen
Lieblingsbeschäftigungen nachgehen, auf die er gar nicht
eingestellt war. Genausogut hätte man nämlich auch einen
Pauschalurlaub buchen können, mit Strand und Hotel. Wer
in dieser Zeit nichts mit sich anzufangen weiß, hat bei
dieser Regelung das Nachsehen. Da nichts wirklich nach
Plan verläuft, stellen sich völlig neue
Herausforderungen. Wenn es nicht gelingt, aus
verschiedenen Individuen mit unterschiedlichen Regungen
eine Gruppe zu schmieden, ist der Zweck einer solchen
Unternehmung nicht erreicht. Müßiggang ist dann, wie es
im Sprichwort so schön heißt, aller Laster Anfang. Kein
Segeltörn ist zwar wie der andere, die Spielregeln sind
allerdings immer die gleichen. Damit nichts aus dem
Ruder läuft, heißt es eben gegensteuern. Man darf nicht
erwarten, daß gewisse Dinge sich von selbst
organisieren.
Nachdem wir nunmehr
einen vollen Tag durch reines Nichtstun in einer
Ankerbucht liegend hergeschenkt haben, lichten wir am
späten Nachmittag den Anker, um uns in Richtung offene
See aufzumachen. Wind hat es zwar den ganzen Tag noch
nicht gegeben, aber die Illusion, die ganze Nacht
durchzusegeln, bleibt. Wie gesagt, war unser zweiter Tag
auf den Kornaten so gut wie für die Katz', denn wir sind
nicht weiter gekommen als einmal um die Nachbarinsel
Pişkera herum, um uns schließlich dort in die Marina zu
legen und der Dinge zu harren, die da kommen. Die Zeit
wird bestenfalls dazu genutzt, die Nachtwachen
einzuteilen. Jede dieser Wachen dauert zwei Stunden, und
während einer Nacht fallen ganze zwei Schichten an. Hart
werden wird für uns die Schicht zwischen 4 Uhr und 6 Uhr
morgens, weil sie gerade in die kältesten Nachtstunden
fällt und den besten Schlaf raubt.
Als wir Punkt 18
Uhr unsere sogenannte Nachtfahrt antreten, liegt unser
Kartenkurs noch nicht an, gibt uns aber bei raumem Wind
Gelegenheit, noch an Bord zu kochen. Als wir dann auf
Kurs gehen, ist der Wind zunächst mäßig, und er wird
richtig heftig, als ich um 22 Uhr ans Ruder gehe. Mit
voll ausgebrachten Segeln laufen wir bis zu acht Knoten,
und das bleibt auch so, bis unsere Schicht um
Mitternacht endet. Die restliche Crew schläft den Schlaf
des Gerechten, wir an Deck indes sind schweigsam. Der
noch fast volle Mond erleuchtet alles taghell, am
wolkenlosen Himmel kann man bereits das Wintersternbild
Orion erkennen. Kurz vor Wachübergabe ziehen wir noch
schnell das erste Reff ein, dann lege ich mich schlafen.
Die Wachen wurden
so zusammengestellt, daß immer einer allein in der
Kajüte liegt, während sich der andere auf Wache
befindet. Kaum ein Licht außer dem eines Leuchtturms
haben wir zu sehen bekommen, es hat den Anschein, als
wären wir ganz allein auf Hoher See. Gegen vier Uhr
klopft jemand an meiner Tür: „Aufstehen!“ Die zweite
Schicht ist die unangenehmere der beiden, weil
dazwischen nur vier Stunden Schlaf liegen, zuwenig, um
auszuschlafen, zuviel, um dazwischen wach zu bleiben.
Der Wind ist jetzt ganz zum Erliegen gekommen. Wir haben
derart wenig Luftbewegung, nämlich beinahe gar keine,
daß ich mich fast schäme, ein Segel aufgezogen zu haben.
Aber unser Skipper ist einer von denen, die der Meinung
sind, daß wir ein Segelboot seien, und die niemals auch
nur auf den Gedanken kämen, die Maschine anzuwerfen.
Irgendwo glaube ich bei ihm herausgehört zu haben, daß
er ein Anlegemanöver bei Nacht scheut und daher lieber
draußen auf Hoher See bleibt. Auch habe ich bei ihm noch
nie ein schulmäßiges seemännisches Manöver gesehen. Er
drückt beispielsweise das Boot einfach von der Kaimauer
weg, ohne ein sauberes Ablegemanöver zu fahren und die
Mannschaft hierfür einzuteilen. Und das, obwohl er
selbst Schiffseigner ist! Aber so ist das eben in der
Seefahrt: Sind die erforderlichen Scheine erst einmal
gemacht, ist das Schulwissen bald verflogen, und
Schlampigkeit kehrt ein.
Als wir das Schiff
übergeben, sind wir immer noch nicht von der Stelle
gekommen, obwohl es nicht schwierig gewesen wäre, eine
Ankerbucht anzulaufen und dort eine ruhige Nacht zu
verbringen. Statt dessen schlagen wir uns die Nacht
nutzlos um die Ohren und haben noch nicht einmal Spaß
daran. Ich wehre mich innerlich immer gegen planloses
Vorgehen. Mein Vorschlag, den ich der Crew gemacht habe,
wäre ohne weiteres umzusetzen gewesen, aber die
Mitsegler hatten Angst, nicht heimzukommen und haben
dagegen gestimmt. Alle möglichen Einwände haben sie
vorgebracht, und jetzt sind wir dort angelangt, wo
keiner weiß, wie es weitergehen soll. Steuerlos treiben
wir mit schlaffen Segeln auf dem Meer und warten auf den
Sonnenaufgang, bis endlich eine Entscheidung getroffen
werden kann. Meine Vorhersagen, die ich gemacht habe,
sehe ich jetzt eingetreten: der neue Tag wird mit
unnützen Aktionen vertrödelt, denn der Mannschaft ist
plötzlich nach Duschen zumute. Nur zu diesem Zweck
müssen wir schon am frühen Morgen eine Marina anlaufen
und Liegegebühren entrichten, die man normalerweise erst
am Abend bestreitet. Dabei gibt es an Bord eine
Duschmöglichkeit, und selbst das Meer wäre für eine
erste Grundreinigung gut.
Am meisten aber
stört mich die generelle Lebensart meiner Mitsegler. Der
Skipper meint lakonisch: „Es wird da drüben schon irgend
etwas geben.“ Mein Ziel hingegen waren von Anfang an die
Kornaten gewesen, und gern wäre ich dort noch einen Tag
länger geblieben. Von den anderen jedoch weiß eigentlich
keiner so recht, was er will. Keiner hatte sich zu Hause
auf den Törn vorbereitet, alle waren sie mit
unbestimmten Erwartungen gekommen, so als würde ihnen
ohne eigenes Zutun irgendwann die große Liebe über den
Weg laufen. Auf den Kornaten noch einen weiteren Tag
bleiben, das wollten sie nicht, statt dessen befinden
wir uns an landschaftlich wenig herausragenden Orten, wo
wir auch vor drei Tagen schon waren. In Drvenik, das
einen geschützten Hafen besitzt, gehen wir längsseits an
die Pier, vorgeschrieben allerdings wäre das Anlegen
unter Buganker. Der Ort selbst ist nicht ausgesprochen
schön, ein ehemaliges Fischerdorf eben, in dem es gerade
keinen Strom gibt. Die Crew braucht, nach einer solchen
Nachtfahrt verständlich, ihren Alibi-Kaffee, allerdings
sind gewisse Örtchen in dem Café dunkel wie die Nacht
finster, so daß aus dem Alibi nichts wird. Also machen
wir uns denn auf, um nach weiteren Gelegenheiten
Ausschau zu halten, die sich allerdings nicht auftun.
Somit bleibt der Weg zurück aufs Schiff die einzige
Möglichkeit, unser Problem zu lösen. Auf unserem
Spaziergang kommen wir zufällig an drei äußerst
gutgebauten Badenixen vorbei, die sich, vor unseren
Augen hingestreckt, sonnenhungrig dem süßen Leben
hingeben, doch keiner der Herren der Schöpfung zeigt ein
größeres Interesse an ihnen, sei es aus Schüchternheit
oder aus welchen Gründen auch immer. Ja, sie halten es
noch nicht einmal der Erwähnung für wert, sich
gegenseitig darauf aufmerksam zu machen. Schließlich
müßte sich doch nach beinah einer Woche Enthaltsamkeit
auch bei der lahmsten Ente etwas regen: Männer in den
besten Jahren, die mit dem Leben bereits abgeschlossen
haben! Dafür sprechen sie desto mehr irgendwelchen
Ersatzbefriedigungen zu, vornehmlich denen des Gaumens.
Es ist unter
Seglern, die zu lange der Sonne ausgesetzt waren, nichts
Ungewöhnliches, wenn sie plötzlich Halluzinationen
bekommen. So auch auf diesem Schiff, denn plötzlich
vermeldet einer, er sehe einen Hai an Backbord. Nachdem
man sich darauf verständigt hat, daß es sich um keinen
Hai handelt, setzt ein großes Rätselraten ein, in dessen
Verlauf man sich auf einen Thunfisch einigt. Darauf
werden plötzlich mehrere „Thunfische“ gesichtet, die,
Delphinen gleich, vor unserem Bug herschwimmen und uns
auf dem Fuße folgen.
Die Fahrt führt nun
zunächst auf raumen Winden, später dann mit halbem Wind,
an der Insel Šolta entlang, ohne daß sich außer
Zwischenmahlzeiten, mehr um die Langeweile zu
überbrücken denn aus Hunger, irgend etwas ereignet.
Nachdem wir in Milna auf Brač, einem malerischen, von
der Marina dominierten Hafen, erfolgreich angelegt
haben, schütten wir uns als erstes die Reste des noch
verbliebenen schottischen Whiskeys in die durstigen
Kehlen, denn nach jedem gelungenen Anleger gilt das
ungeschriebene Gesetz, gemeinsam ein Getränk zu sich zu
nehmen. Im Anschluß daran werde ich von unserer
Alibi-Frau sogleich wieder mit spitzen Bemerkungen
bedacht, weil ich mich schon wieder anschicke, als
erster unter die Dusche zu gehen. Dabei sind es gerade
die ungewaschenen Männer, denen die Frauen ihre
zweithäufigste Todesursache verdanken, und leider kann
ich auch auf einem Segeltörn nicht von meinen bewährten
Angewohnheiten lassen, selbst dann nicht, wenn man, wie
es hier der Fall war, vom weiblichen Geschlecht nicht
gerade verwöhnt wurde.
Der letzte Tag auf
diesem Segeltörn, ein Freitag der Dreizehnte, ist
geprägt von Langeweile. Einige der Unseren machen
vormittags noch einen Motorrollerausflug über die Insel
Brač, kehren allerdings auch nicht voller Begeisterung
von ihrem Trip zurück; andere bleiben ganz einfach auf
dem Boot, und ich für meinen Teil versuche dem
Hafenambiente noch einige schöne Photomotive
abzugewinnen. Vom Hunger gepackt, schlingen wir in Milna
schnell noch einige belegte Brötchen hinunter – mit
alemannischer Sparsamkeit muß auch wirklich alles
aufgegessen werden –, ehe wir dann bei Schwachwind ein
letztes Mal ablegen. Daran, daß kein Wind weht, kann
eigentlich nur dieser Freitag der Dreizehnte schuld
sein. Wohl denen, die Freude am Skatspielen haben! Auch
so kann Segeln aussehen, man schlägt die Zeit irgendwie
tot, genau wie zuhause. Waren es beim Auslaufen noch
neun Seemeilen bis zu unserem Bestimmungshafen, sind es
nach jetzt vier Stunden immer noch mehr als sieben,
womit wir weniger als eine halbe Seemeile pro Stunde
zurückgelegt haben. Niemand auf diesem Schiff, am
wenigsten der Skipper, scheint auf die Idee zu kommen,
daß man bei Ausbleiben des Windes auch unter Maschine
laufen kann, um wenigstens irgendein Ziel zu erreichen
und die Stunden anstatt der zeitraubenden
Überführungsfahrt besser zu nutzen. Doch unser
Schiffsführer liegt nur auf der faulen Haut und löst
irgendwelche japanischen Kreuzworträtsel. Wohl dem, der
niedrige Ansprüche hat und immer etwas mit sich
anzufangen weiß. Ich gehöre in solchen Fällen meistens
zu den Gelackmeierten, denn Lesen, was die Zeit am
ehesten vertreiben würde, ist bei dem ständigen Schwojen
nicht jedermanns Sache. Mir graut schon jetzt vor der
Rückkehr in den Alltag, der sich mit abschließenden
Tätigkeiten wie dem Reinigen des Schiffs – die sich am
Ende eines Segeltörns nie ganz vermeiden lassen
–ankündigt.
Ziehe ich nunmehr
einen Schlußstrich unter diese Reise und verbinde die
beiden Teilreisen zu einer einzigen oder wäge die beiden
gegeneinander ab, so komme ich zu dem ernüchternden
Ergebnis, daß ihr Wert nicht etwa darin liegt, wie das
Revier nun im einzelnen beschaffen war, ob es en masse
Überraschungen bereithielt oder ob der Wind gut war oder
schlecht, nein, diese Dinge verblassen geschlossen
hinter dem Gemeinschaftserlebnis, denn am wichtigsten
ist, ob man ein Herz und eine Seele ist. Konflikte und
Spannungen werden sich nie ganz vermeiden lassen, denn
selbst noch so übereinstimmende Menschen werden sich
immer in irgendeiner Kleinigkeit unterscheiden, und es
wird nie gelingen, sie alle unter einen Hut zu bringen.
Seglerisch hat alles weitgehend geklappt, aber das
Menschliche ist wie immer auf der Strecke geblieben.
Vielmehr war dem einen oder anderen Neid oder Rivalität
anzumerken, das gegenseitige Interesse oft nur blanke
Neugierde. Alle Teilnehmer hätten mehr geben können,
statt dessen verhielten sie sich fast wie im Beruf, was
die Frage aufwirft, wozu man eigentlich Urlaub macht,
wenn die Verkrampfungen sich am Ende immer noch nicht
entspannt haben. Die Sonne, das Meer, der Wind, all das
hat uns ausgelaugt, die hohen Erwartungen konnten nicht
erfüllt werden. Würde man es in Prozenten ausdrücken, so
fehlte es uns zu etwa 30 % an wahren Inhalten.
Vielleicht liegt es auch daran, daß auf diesem zweiten
Törn keine Frauen dabei waren oder jedenfalls nicht
solche im passenden Alter. Männer unter sich wissen bald
nichts mehr mit sich anzufangen, wenn sie sich nicht
gerade bekriegen. Einen regelrechten Krieg hat es in
dieser letzten Woche aber nicht gegeben, somit fehlte
jeder Anreiz, sich in irgend etwas zu messen. Die
Fähigkeiten zur Ausübung des Handwerks waren beinahe bei
allen gleich. Unsere Manöver sind – wahrscheinlich
aufgrund der überwiegend glatten See – weitgehend
reibungslos verlaufen, bis auf den Tankanleger, bei dem
der Skipper ein anderes Boot in arge Bedrängnis brachte
und sich mit Vorstellungen, warum er nicht warten könne,
bis die Tankstelle frei sei, dafür rügen lassen mußte.
Bald werden die Spuren oder auch Tritte, die keinen
sichtbaren Abdruck hinterlassen haben, verwischt sein,
was aber in Erinnerung bleiben wird, ist die
Rückbesinnung auf eine Anstrengung, die sich allein an
der Maßgabe orientierte, die Kornaten zu erreichen, ein
Traumrevier an der mittleren Adria nahe der
dalmatinischen Küste. Zwei Versuche mußten unternommen
werden, damit einer erfolgreich war. Es klingt wie die
Geschichte einer außergewöhnlichen Liebe, zu der es nie
gekommen ist, außer in unserem Innern, an den Quellen
der Kraft.