Über
Norditalien lagert ein ausgeprägtes Tiefdruckgebiet, als ich
spätabends in Salivoli, dem Hafen von Piombino, zu unserer Crew
stoße, alles Leute, die ich nie zuvor gesehen habe. Darunter
befinden sich sowohl einige mit seglerischer Erfahrung als auch
Anfänger. Es ist beinahe ein ausgesprochener Männertörn, bei
dem die mittleren Jahrgänge dominieren, nur eine Frau ist
darunter. Nach einem ersten Erfahrungsaustausch wird schnell
klar, daß es sich zumeist um Studierte handelt, genau die Sorte
Mensch also, der ich das größte Mißtrauen entgegenbringe,
Besserwisser, was das Theoretische angeht, aber für das
Praktische ungeeignet, jedenfalls mit einer gehörigen Portion
Selbstbewußtsein ausgestattet. Um nun noch weitere Vorurteile
aufzuführen, wäre der vielen Vegetarier und Teetrinker an Bord
zu erwähnen, ohne rechte Affinität zu Bier und Härterem und
lauter ausgesprochene Nichtraucher. Wir werden sehen, wie weit
wir mit dieser Mannschaft kommen. In der ersten Nacht an Bord
geht ein heftiger Regen über der Marina nieder, für das Gebiet,
das wir in den nächsten Tagen besegeln wollen, den Norden
Korsikas, ist Sturmwarnung angesagt. Am Morgen desselben Tages
herrscht noch eitel Sonnenschein, eine trügerische Windstille
zwingt uns dazu, unser erstes Fahrtziel, den gut geschützten
Hafen Portoferraio auf Elba, unter Motor anzulaufen. Bei Tage
orientiert sich die Ansteuerung am vorgelagerten Felsen
Scoglietto.
Elba
ist eine herrliche Insel. Über und über mit grüner Macchia
überzogen, ragt sie aus dem Meer. Ihr vorgelagert ist die kaum
eilandgroße Insel Palmaiola mit einer Festung auf dem Gipfel.
Gegen halb vier zieht ein Gewitter über uns hinweg, so daß es
uns kaum gelingt, rechtzeitig die Segel zu reffen. Regen peitscht
uns ins Gesicht, die Krängung nimmt zu. Verzweifelte Gesichter!
Den Leuten ist ihr anfängliches Lachen vergangen: die Fock
beginnt zu killen, die Schoten rauschen aus, das Vorsegel muß
geborgen werden. Ein Teil der Mannschaft macht einen kläglichen
Eindruck. Im Nebel und peitschenden Regen der Gewitterwolke
beginnt das Wetter unsichtig zu werden, fahrlässig wurde das
Schiff in die Gewitterwolke hineinmanöveriert. Wir halten direkt
auf die Küste zu, anstatt wie die anderen Boote auf See
auszuweichen. Es wird weder befohlen, Schwimmwesten anzulegen,
noch die Fahrt der verminderten Sicht entsprechend anzupassen
noch Ausguck zu gehen, so daß die Nervosität wächst. Der
Steuermann ist völlig hilflos und will die Position wissen. So
wie der Spuk gekommen ist, ist er auch vorüber. Am Ende zeigt
sich wieder die Sonne, und als wir in den Hafen von Portoferraio
einlaufen, wirkt die felsige Küste bizarr in ihren Umrissen. Von
hoch droben grüßt eine Festung, die den ganzen Hafen
überblickt. Der Wind ist mittlerweile völlig abgeflaut. Unsere
einzige Sorge ist jetzt noch, daß der Yachthafen wegen des
angekündigten Orkans voll besetzt sein könnte, und er ist es in
der Tat. Daher ist uns vorgegeben zu ankern, leider etwas
außerhalb des Stadtzentrums, wo rosa-, creme- und ockerfarbene
Häuser sich zu Füßen der Zitadelle idyllisch um den alten
Hafen gruppieren. Im gesamten Hafenbereich herrscht reger
Fährbetrieb. Im zwanzigminütigen Takt legen diese Kolosse hier
an und ab. Das Ankermanöver verläuft keineswegs nach Lehrbuch,
was wir den lauten Protesten auf den Nachbarschiffen entnehmen
können. Nach dem Ankern wird zunächst das Abendbrot
eingenommen. Es scheint sich bei unserer Mannschaft um rechte
Asketen zu handeln: tagsüber ist Schmalhans Küchenmeister, und
abends gibt es auch wieder nur Vegetarisches zu essen. Den
hungrigen Magen müssen wir daher mit süßem Gelatti sättigen,
das man im Hafen von Portoferraio in den leckersten Variationen
bekommt. Die Überfahrt mit dem Dingi gerät aufgrund des
Wellenschlags der riesengroßen ein- und auslaufenden Fähren zum
feucht-fröhlichen Vergnügen: Schuhe und Hose werden
außerordentlich naß. Rund um das Hafenbecken promenieren
Spaziergänger, allein Urlaubsgäste aus den Ländern nördlich
der Alpen findet man kaum, es scheint, als wären die Italiener
unter sich geblieben. Viel zu dem südländischen Flair tragen
die Frauen mit ihrem cremefarbenen Teint bei: Latinerinnen,
Sabinerinnen, Etrurerinnen, in üppiger Weiblichkeit. Wir machen
noch einen Abstecher hinauf auf die Festung der Medici, wo man
einen großartigen Ausblick über die Bucht und auf die Stadt
herab genießt. Die Festung selbst ist verschlossen. Eine gewisse
Nervosität macht sich ob des angekündigten Orkans breit, was
uns dazu zwingt, Ankerwache zu gehen.
Als
wir morgens erwachen, herrscht strahlender Sonnenschein und die
See ist spiegelglatt, kein Lüftchen regt sich. Die von der
Nachtwache geschwächte Mannschaft schläft noch. Am Vorabend hat
einer vergessen, den Gashahn abzudrehen, offenbar weil es ihm
trotz Sicherheitsbelehrung nicht eindringlich genug eingeschärft
wurde. In der Tat scheint Poseidon den Orkan von uns abgewettert
zu haben, oder aber die Meergöttin Thetis hat ein gutes Wort
für uns eingelegt. Ein unter griechischer Flagge laufendes
Schiff genießt nämlich den besonderen Schutz der Götter. Die
Wind- und Wetterbedingungen legen als nächstes Ziel die Insel
Capraia ans Herz. Doch scheint die Entscheidung, die man ohne
mich getroffen hat, nicht die beste gewesen zu sein, denn alle
restlichen Schiffe, die an diesem Tag unter Segel laufen, nehmen
unter günstigerem Wind, als wir ihn haben, Kurs auf Kap Corse.
Noch während des Auslaufens aus Portoferraio frischt der Wind
auf, so daß wir ausreichend gute Verhältnisse vorfinden, um die
Segel zu heißen. Bei halbem Wind segeln wir am Monte Capanne
vorbei, dem höchsten Berg Elbas, dessen Gipfelregion sich
bereits in Wolken hüllt, und nehmen Kurs auf Capraia. Im
Verlaufe einer nichtssagenden Überfahrt kommt die Insel, über
der sich eine Wettergrenze ausgebildet hat, näher und näher.
Dunkel und düster begrüßt sie uns, schroff erhebt sich ein
Fort über der engen Hafeneinfahrt. Die Liegeplätze sind alle
besetzt, so daß uns ein umständliches Ankermanöver über Bug-
und Heckanker nicht erspart bleibt. Noch während des
Ankerausbringens reißen die Himmel auf, und die Marina zu
Füßen de Monte Castello erstrahlt im güldenen Abendlicht.
Selbst bei so einfachen Vorgängen wie dem Ausbringen eines
Ankers tritt die ganze Unsicherheit des Skippers zutage, und das
Schlimme daran ist, daß sie sich voll auf die Mannschaft
überträgt. In der Marina muß man für die sämtlichen
sanitären Einrichtungen löhnen, nichts gibt es mehr umsonst.
Mein Angebot an die Mannschaft, diesen Abend Fisch zu brutzeln,
findet keinen Anklang, diese bevorzugt, für teures Geld im Ort
essen zu gehen. Oben auf dem Kastell über der Stadt stößt man
auf prähistorische Ausgrabungen, die als Weinpressen gedeutet
werden und bis ins 18. Jahrhundert in Betrieb waren.
Als
ich in der Nacht unsanft geweckt werde, versuche ich an Deck zu
schlafen, doch ist es dort zu schmal und zu hart zum Liegen, so
daß ich mich reumütig wieder in meine Kajüte zurückziehe. Am
nächsten Morgen ist die Gasflasche leer, und es gelingt uns
nicht rechtzeitig genug, auf dem Weltempfänger den ORF zu
empfangen, um den Wetterbericht abzuhören. Vor dem Auslaufen
entbrennt unter der Crew ein Streit darüber, ob die zu Beginn
des Törns vereinbarte Route eingehalten werden soll. Es wird
fast Mittag, bis wir endlich unter Segel gehen können, ein
halber Tag ist verbummelt! Bei mäßig bewegter See und einer
leichten Brise steuern wir entlang der steilen Küste auf die
Südspitze Capraias zu, um anschließend Kurs auf Macinaggio zu
nehmen.
Da
die Wind- und Wetterverhältnisse es zulassen und die See bis
dicht unter Land steil abfällt, entsteht der Eindruck, als
würde man sich an einer Mauer oder Wand entlangtasten. Hoch
über den Klippen kommt ein alter Wachtturm in Sicht, in Höhe
der Punta Zenobita mit dem Ankerplatz Cala Rossa, der von
eindrucksvollen geologischen Formationen gesäumt ist. Während
die Länder nördlich der Alpen in Wassermassen ertrinken, hat
sich über Korsika ein stabiles Hoch ausgebreitet, das uns nicht
nur einen Tag voller Sonnenschein beschert, sondern auch
günstigen Wind, nicht über die Maßen zwar, aber nach Richtung
und Stärke zum Segeln auf jeden Fall ausreichend. Wir steuern
direkt auf den Hafen von Macinaggio zu. Im äußersten Norden
setzt sich die Insel Giraglia von der Küste ab, während wir
direkt südlich von Finocchiarola den Hafen anlaufen. Der 2622 m
hohe Monte Rotondo hüllt sich in Wolken.
Nachdem wir im Hafen festgemacht haben, gilt unser erstes
Interesse der Versorgungslage an Bord, die wieder aufgebessert
werden muß. Dabei dringt erneut der Egoismus unserer Vegetarier
und Weltverbesserer durch: an Fleisch und Wurst fehlt es völlig,
anstatt guter Butter kommt Margarine auf den Tisch. Dabei sind
diese Vegetarier und Antialkoholiker den ganzen Tag über hungrig
und ständig mit Essen und Knabbern beschäftigt, weil sie
offenbar nie richtig das Gefühl der Sättigung kennenlernen. Uns
sie alle begrüßen die Einführung des Euro, weil sie meinen,
daß ihnen damit ein Krieg erspart bliebe. Aufgrund ihrer
ständigen Unterernährung wären sie solchen Fährnissen ohnehin
nicht gewachsen, und sie wären buchstäblich die ersten, die ins
Gras beißen müßten. Ach, wie waren doch dereinst die Zeiten
schön, als an Bord noch nach Herzenslust gegessen, getrunken und
geraucht werden durfte! Aber diese jungen Leute, sie rauchen
nicht mehr, sie trinken nicht mehr, sie haben sich alles
abgewöhnt, was einen Mann zum Mann macht.
Niemals habe ich bisher erlebt, daß unser Skipper ein riskantes
Manöver selbst gefahren hätte; wahrscheinlich würde er sich,
wie im Crewvertrag vereinbart, im Falle eines Falles, anstatt
seiner Eigenschaft als Schiffsführer gerecht zu werden, aus
jeglicher Verantwortung für Schiff und Mannschaft stehlen.
Grundsätzlich ist jedem von der Unterzeichnung dieser Art von
Verträgen abzuraten, insbesondere dann, wenn man den
Vertragstext vor Törnbeginn nicht gelesen hat, denn die
Intention dabei ist eindeutig die, daß entstandene Lasten auf
den unbedarften Mitsegler abgewälzt werden sollen. Während der
Zubereitung des Abendessens stellt unser Skipper lakonisch fest,
daß kein Frischwasser mehr an Bord sei, da beide Tanks leer
seien, und daß sich deshalb niemand mehr die Hände waschen
könne, es sei denn mit Mineralwasser. Das Geschirr bleibt diesen
Abend ungespült liegen, und die Peinlichkeit der Situation wird
von den meisten durch albernes Gekichere überspielt. Die Crew
war losgeschickt worden, wohl wissend, daß die Tanks mittendrin
leergefahren sein können. Jede Gelegenheit sie aufzufüllen
wurde bislang ausgelassen, obwohl wir nun schon im dritten Hafen
anlegen. Darüber vergißt der Coskipper den allabendlichen
Wetterbericht abzuhören, was ihm aufgetragen worden war, und
das, obwohl wir ihn schon am Morgen nicht abgehört haben. Das
nennt sich dann Sorgfaltspflicht gegenüber der Besatzung! Noch
während des vegetarischen Abendesssens, das, völlig salzlos und
geschmacklos zubereitet, lediglich dazu angetan ist, den Bauch
mit Wasser zu füllen, kommt uns ein Schiff innerhalb seines
Schwojkreises so bedrohlich nahe, daß wir unser Schiff versetzen
und ein neues Ankermanöver ausführen müssen. Der
Schiffsführer scheint noch etwas ungeübt im Bemessen des
richtigen Sicherheitsabstandes und im Einschätzen der
erforderlichen Bewegungsfreiheit, die ein Schiff benötigt, wenn
der Wind dreht.
Ohne
alle Crew-Mitglieder zu befragen und ohne Angabe von Gründen
beschließt ein Teil der Mannschaft, einen Tag im Hafen von
Macinaggio liegenzubleiben, was mit einer Crew-Entscheidung
begründet wird, gegen die sich die nicht gehörten Mitsegler,
als in der Minderzahl befindlich, nachträglich nicht wehren
können. Der Wunsch, täglich zu segeln, sofern es die Wind- und
Wetterverhältnisse zulassen, wird als "Regattabetrieb"
abgetan, und man sucht nach fadenscheinigen Argumenten, wie etwa,
daß es wenig Wind gebe und der Skipper sich schließlich auch im
Urlaub befinde. Dabei muß ein Segeltörn durchaus nicht
ausschließlich unter Segeln durchgeführt werden, sondern es
kann, abhängig vom Wetter, ein Teil der Strecke auch unter Motor
zurückgelegt werden.
Abends beim Rotwein erzählt mir ein älterer Mitsegler seine
gesamte Lebensgeschichte, die der anderen interessiert ihn
hingegen kaum, denn er redet so gut wie nur von sich und zwingt
sein Gegenüber ständig zum Zuhören. In der Nacht müssen wir
Ankerwache gehen, obwohl ich auf den Schiffen ringsum niemanden
entdecke, der das gleiche tun würde. Ist doch die See ruhig und
der Anker hat fest gegriffen! Es hätte ausgereicht, wollte man
ganz sicher gehen, alle zwei Stunden den Wecker zu stellen und
nach dem Rechten zu sehen. Die durch die einlaufende Dünung wie
Pendel schaukelnden Boote, ja die ganze Atmosphäre rundum in der
sternklaren Nacht wirken beinahe mystisch. Das periodische
Schlagen der Wanten gegen die Masten klingt wie ehernes Peitschen
im wiegenden Rhythmus des Meeres, und die Nacht ist erfüllt von
metallischen Klängen, zur dauernden Mahnung an den Wachenden.
Am
Morgen werden wir wie stets in die öffentlichen Einrichtungen
geschickt, meine Dusche bleibt jedoch kalt. Trotz meines
Protestes erhalte ich mein Geld nicht zurück, man bietet mir an,
statt dessen eine andere Dusche zu benutzen. Um den Liegetag
sinnvoll zu überbrücken, muß nach Alternativen gesucht werden,
deren es in Macinaggio nicht recht viele gibt. Man kann nach Kap
Corse wandern oder das hoch über der Stadt gelegene, malerische
Bergdorf Rogliano aufsuchen, wo das "Vieux fort", das
Chateau Da Mare, eine umfassende Aussicht über die gesamte Bucht
von Macinaggio bietet. Niemand vermag mir seinen Namen zu nennen,
und auch um seine Bedeutung weiß niemand, wen ich auch dazu
befrage, Bescheid. Ein Mann meint, die Burg reiche ins 12.
Jahrhundert zurück, wenngleich die Verbauung von Ziegeln darauf
hindeutet, daß sie noch in späterer Zeit ihren Zweck erfüllt
haben muß. In ihrer Nähe befinden sich auch der sogenannte
"Couvent", ein Karmeliter-Kloster, sowie eine Reihe von
alten Wehrtürmen, in die sich die einheimische Bevölkerung
zurückzog, um bei drohenden Piratenüberfällen darin Schutz zu
finden. Oben auf den Bergspitzen hat man eine Reihe von
Windkraftwerken errichtet, denn Korsika soll angeblich sehr
windreich sein, was wir für den heutigen Tag jedenfalls nicht
bestätigen können.
Ausreichend Wind jedoch ist vorhanden, um die Düftchen der
überall über die Insel verteilten Müllkippen zu verbreiten,
neben der Abholzung eine der auffallendsten Umweltsünden. An den
Hängen über Rogliano findet man auch spärlichen Wald und
darunter in den Tälern sogar Bambuswälder. Karg wirken die
abgeholzten Hänge auf das Auge des Betrachters, und der Dunst
über dem Meer kündigt an, daß das Wetter schön bleibt. Die
Lufttemperaturen sind im Vergleich zu den letzten Tagen wieder
beträchtlich gestiegen, der lichtdurchflutete Tag zwingt zum
Tragen einer Sonnenbrille. Die Dörfer rund um das Kloster sind
ein enges Gewirr winkeliger Gassen, die Häuserschluchten
präsentieren sich in heruntergekommenen Fassaden, und dazwischen
liegen ungepflegte Gärten. Doch beinahe jeder Bewohner nennt ein
Fahrzeug sein eigen, und geteerte Straßen führen nahezu
überall hin. In den alten Gemäuern hat sich so mancher
Künstler eingenistet, an seinen langen Haaren kann man ihn
erkennen. Man findet unter den Einheimischen den einen oder
anderen mit stechend-blauen Augen, und einige könnten der
Familie Buonapartes entstammen. So berühmte Namen wie Vivaldi
und Casanova, wie man sie den Grabinschriften zu entnehmen
vermag, sind hier zu Hause.
Blaß und weißlich geht im Westen die Sonne unter, und die
dunklen Seiten der Osthänge werfen schnell ihre Schatten über
uns, während wir noch an Bord unser Abendessen einnehmen. Dazu
wird, wie in Frankreich üblich, ein köstlicher Rotwein oder
Rosé gereicht, dem wir tüchtig zusprechen. Es wird beschlossen,
am nächsten Tag frühmorgens um vier aufzubrechen. Wind herrscht
heute nicht, so daß wir Kap Corse unter Motor umrunden. Als ich
in der Frühe starken Kaffee zubereite, springt der Skipper
plötzlich, noch sichtlich unausgeschlafen, panikartig aus der
Koje, weil er schwachen Gasgeruch vernimmt, und läßt alle Luken
öffnen. Er ist den Anforderungen an die Seefahrt augenscheinlich
nicht gewachsen und völlig überfordert. Die Insel Giraglia
liegt nun schon deutlich hinter uns. Es ist sechs Uhr morgens,
als wir Kap Corse umrunden und von da südlichen Kurs steuern,
vorbei am 1307 m hohen Monte Stello. In der Tat ist die
Westküste bei weitem steiler und erhabener als die etwas
flachere Ostküste. Wir fahren noch immer unter griechischer
Flagge. Der Skipper scheint nicht zu wissen, daß er neben der
Nationalitätsflagge auch die Flagge des Gastlandes führen muß.
Als die aufgehende Sonne alle Schatten wegnimmt, setzen wir bei
schwachem Wind die Segel. Die Wolken haben sich nun verzogen und
es beginnt ein strahlend-schöner Tag. Unsere junge, dynamische
und erfolgreiche Crew übt bei der Gelegenheit einige
Mann-über-Bord-Manöver, die allerdings einiges zu wünschen
übriglassen. Mit stockenden Worten versucht der Skipper sein
Wissen darüber zu vermitteln, das aber in einigen Punkten nicht
ganz konform mit der Theorie einhergeht. Was hier vor allem
fehlt, ist eine überzeugende Kommandosprache, wie es gute
Seemannschaft erfordert und gegen die selbst dann nichts
einzuwenden ist, wenn man sich im Urlaub befindet. Klare Kommados
werden entweder erst gar nicht gegeben oder sie werden durch
gutes Zureden ersetzt. Daher mißlingt auch nahezu jedes
Manöver, wozu sicherlich die Flaute einiges beiträgt, denn
unter solchen Verhältnissen sind derlei Manöver besonders
schwierig auszuführen. Sie sollten daher besser bei angemessenen
Windverhältnissen geübt werden, ansonsten spricht hieraus die
Furcht des Seglers vor dem Wind. So frage ich mich denn bei
jemandem, der seine Qualifikation bei der Bundeswehr erworben
hat, ob man dort mittlerweile davon abgekommen ist, Befehle zu
erteilen, und ob das Team demokratisch entscheidet, was wann
ausgeführt wird. Jungen Menschen, die heute überwiegend nichts
vom Kämpfen wissen wollen und ihrer ganzen Art nach völlig
unmilitärisch sind, scheint es ohnehin besonders schwerzufallen,
sich irgendwelchen Anordnungen zu fügen und sich unterordnen zu
müssen. Manch einer erscheint gar nicht mehr an Deck, sondern
schläft vor Erschöpfung den Schlaf des Gerechten - was mich
eigentlich wundert bei all dem Müßiggang, dem wir uns hingeben.
Somit überbrücken die meisten ihren fehlenden Mumm mit heiterem
Gelächter über Witzeleien, wie es typisch ist für
Gesellschaften, in denen keinerlei Hackordnung mehr gilt.
Kaum
daß wir bis gegen Mittag auf See waren und in die Bucht von
Saint-Florent eingelaufen sind, steht wieder dieselbe
Entscheidung an: Hierbleiben oder nach Calvi weitersegeln? Die
Mehrheit entscheidet sich dafür zu bleiben, obwohl wir im Hafen
keinen Liegeplatz bekommen und abgewiesen werden, was nichts
anderes heißt, als daß wir schon wieder ankern müssen. Mir
erschließt sich der Sinn des frühen Aufstehens nicht, denn
normalerweise tut man dies, wenn man eine größere Tagesetappe
plant, und nicht, um vorzeitig da zu sein und in der Sonne zu
verschmoren. Langsam wird mir klar, daß unter dieser Gruppe
keinerlei Sportsgeist herrscht und die Teilnehmer zudem keiner
größeren Belastung gewachsen sind, geschweige denn, sich auch
nur ein bißchen anstrengen wollen. Somit zeichnet sich bereits
jetzt ab, daß durch die Unvernunft einiger, zu Beginn der Reise
zu zögern und zu zaudern, das Ziel als Ganzes, nämlich Korsika
zu umrunden, immer mehr gefährdet wird.
Der
Hafen von Saint-Florent ist landschaftlich herrlich gelegen,
entsprechender Andrang herrscht im Ort, wo die Leute auch
tagsüber zahlreich die Restaurents bevölkern. Saint-Florent ist
schnell besichtigt. Es besitzt ein altes Fort, eine Häuserzeile
am Kai und einige dahinter verlaufende Gassen. In fünf Minuten
kennt man den ganzen Ort, der aus einem armen Fischerdorf
hervorgegangen und erst durch den Yachttourismus groß geworden
ist. Während wir mit dem Beiboot übersetzen, kommt es zu einem
Getriebeschaden am Außenborder. Der Skipper schenkt unseren
Ausführungen zunächst keinen Glauben und setzt sich selbst ins
Beiboot, natürlich mit dem Erfolg, daß er auf halbem Weg zum
Hafen das gleiche Schicksal erleidet, welches zuerst uns
widerfahren ist. Natürlich hat er keine Paddel mitgenommen, so
daß er, nachdem es ihm passiert ist, vornübergebeugt, mit
beiden Händen rudernd, zum Schiff zurückzukommen sucht. Nicht
ohne eine gewisse Häme, weil man uns keinen Glauben schenkte,
verfolgen wir den Vorgang.
Nachdem uns unser Schiffsführer verlassen hat, dauert es eine
Ewigkeit, bis das Boot, mit Einkäufen angefüllt, zurückkehrt.
Niemand von den anderen außer uns dreien, die wir an Bord
zurückgeblieben sind, scheint sich an Vereinbarungen zu halten.
Ihnen ist nur wichtig, daß sie tagsüber in der Sonne liegen
können, was aber mit denen geschieht, die auf dem Schiff
zurückbleiben mußten, ist ihnen egal. Nach dem Abendessen
versuchen einige der Unseren, offenbar unter dem Einfluß des
Alkohols, das Schiff zu reinigen, jedoch ohne vorher die Luken zu
schließen. Mein Bett wird dabei völlig durchnäßt, das
Bettlaken muß gewechselt werden. Auch der Schlafsack bleibt
nicht trocken. Auf diesem Schiff war von Anfang an der Wurm drin.
Der Skipper, der die Anweisung dazu erteilte, überschüttet uns
anschließend, anstatt die Schuld sich selbst beizumessen, mit
Vorwürfen, warum wir die Luken nicht geschlossen hätten. Hätte
er hingegen die Augen offen gehabt, so würde er selbst gesehen
haben, daß sie nicht dicht waren, aber dennoch erteilte er das
Kommando. Total beschwipst bettet er sich zur Ruhe und vertreibt
mich vorher noch aus dem Salon, welcher sein Schlafplatz ist. Am
nächsten Morgen, wieder ausgenüchtert, entschuldigt er sich
dann aber für sein gestriges Verhalten.
Auch
der zweite Offizier an Bord hat offenbar psychische Probleme, er
leidet an Phobien und unter Platzangst. Manchmal schreckt er
nachts auf und schlägt mit dem Kopf gegen die Decke. Dann wieder
bildet er sich ein, die Koje habe keinen Ausgang, obwohl ihm
seine Vernunft sagt, daß er sich auf einem Schiff befindet. Das
sind ganz typische Probleme, wie sie bei Gebildeten manchmal
auftreten, was mich zu der Überzeugung neigen läßt, daß
rauhere Gesellen für die Seefahrt besser geeignet sind als
sensible. Ich wage mir im Augenblick kaum auszumalen, was
passieren würde, wenn wirklich schweres Wetter aufkäme, wo
Kaltblütigkeit angesagt ist anstatt Angst.
Am
nächsten Morgen herrscht nahezu kein Wind, auch die Nacht war
vollkommen windstill, so daß wir diesmal auf eine Ankerwache
verzichten konnten. Die See ist spiegelglatt, und nur wenige
Boote draußen haben die Segel aufgezogen. Die gesamte Küste ist
in Dunst getaucht, und nur geringe Stratocumulusbewölkung
bedeckt den Himmel. Die höheren Berge treten nun bald in den
Hintergrund. Ab und an sehen wir einen der halbverfallenen
Türme, die die ganze Küstenlinie umziehen. Somit laufen wir
eine ganze Weile unter Motor, und das ändert sich auch nicht,
bis wir unser heutiges Tagesziel erreicht haben, Calvi. Im Dunst
über L'Ile-Rousse ragt der 2710 m hohe Monte Cinto auf, der
höchste Berg Korsikas.
Einer meiner Mitsegler hat sich in Macinaggio ein Angel gekauft,
doch bei einer Fahrt von 8 Knoten hätten wir ihm gleich sagen
können, daß kein Fisch anbeißen wird. Tatsächlich scheint
jener eine ganze Weile zu glauben, etwas hinge an seiner ca. 100
m langen Angelleine, die er vollständig ausgebracht hat, doch
ist die Enttäuschung groß, als sich herausstellt, daß dem
nicht so ist.
Unterwegs erklärt der Skipper die Kreuzpeilung. Was er dabei
aber völlig unter den Tisch kehrt, ist die Größe des Fehlers
in Abhängigkeit vom relativen Winkel der beiden Peillinien,
wenn, wie in unserem Beispiel, die beiden Peilungen nahezu unter
demselben Winkel vorgenommen werden.
Für
das Mittagessen sind heute wieder unsere gefürchteten Vegetarier
zuständig, und da wissen wir beinahe im voraus, was auf uns
zukommt: eine wässrige, geschmacklose und kalorienarme Mahlzeit,
die nach ihrem Verzehr den Magen so richtig zum Knurren bringt.
Besonders ärgerlich daran ist, daß wir viel Geld für frisches
Gemüse ausgeben, dafür aber wenig Nährwert erhalten. An ein
schönes Stück Fleisch kann ich mich schon gar nicht mehr
erinnern, doch fühle ich mich auch nicht als der Missionar, der
diese hoffnungslosen Fälle bekehren will.
Im
gleißenden Gegenlicht, während sich vor uns eine spiegelnde
Wasseroberfläche ausbreitet, zu der in der Ferne im Dunst
verschwindende hohe Berge die Kulisse bilden, erreichen wir
Calvi, das von einer genuesischen Hafenfestung überragt wird.
Hier soll angeblich Christoph Kolumbus geboren sein, und Admiral
Nelson verlor vor der Stadt ein Auge. Weder ihm noch den Türken
gelang es, die stark befestigte Stadt einzunehmen. Noch im
zweiten Weltkrieg besaß sie eine gewisse militärische
Bedeutung. Die Hafenpromenade hat das Ambiente wie jede andere
südländische Stadt, die über eine Marina verfügt. Wie
überall in der Hochsaison sind alle Liegeplätze belegt, so daß
wir hier nur zu dem einen Zweck kurz festmachen können, um
unseren Körper zu pflegen, unser Wasser aufzufüllen und den
Außenborder zu reparieren. Da es Wasser jedoch erst ab 19 Uhr
gibt, liegen wir hier quasi nur auf Abruf, jederzeit damit
rechnen müssend, daß wir kurzfristig wieder ablegen werden.
Fast ein halber Tag vergeht, den wir, um die Zeit totzuschlagen,
abwechselnd dazu nutzen, die üblichen Angelegenheiten zu
erledigen, wie etwa Duschen, Einkaufen und Landgänge
unternehmen. Ich sehe mir in dieser Zeit die imposante Festung
an, die eine richtige kleine Stadt für sich darstellt. Man
erkennt von dort oben noch besser, daß die gesamte Bucht von
hohen Bergen eingerahmt wird, wo an sogenannten Ankerbojen
Dutzende von Yachten festgemacht haben, die gemächlich im
ruhigen Wasser schwojen. Ein Mitsegler, der vor fünfzehn Jahren
schon einmal hier war, berichtet, daß Calvi damals ein
idyllischer Fischerort gewesen sei, mit viel Flair, wovon heute
durch den zunehmenden Yachttourismus nicht mehr viel
übriggeblieben ist. Noch immer fährt die alte Bahn, die sich
heute allerdings neben all dem Straßenverkehr nur mehr
nostalgisch ausnimmt, die Bucht entlang nach Calvi. Als ich vom
Einkaufen zurück bin, verlangt ein Mitsegler, weil er mir
anscheinend mißtraut, den Kassenbeleg von mir, nachdem offenbar
keiner mehr versteht, wo das viele Geld hingekommen ist.
Als
wir nun bis fast genau neunzehn Uhr am Landesteg ausgeharrt haben
und just zu dieser Minute die Wasserversorgung zu fließen
beginnt, kehrt das Boot zurück, dessen Liegeplatz wir belegt
haben, und pocht auf sein Recht. Unser Skipper entscheidet, daß
wir ablegen und anderswo Wasser bunkern. Nun herrscht allerdings
reger Betrieb im Hafenbecken, und dem Skipper, der wie immer der
Situation nicht gewachsen ist, steigt die Röte auf, und es
stehen ihm seine kurz geschorenen, abstehenden Haare noch mehr zu
Berge. Aufgeregt hüpft er an Deck herum, teilt dem Steuermann
seine Aufgaben zu, die eigentlich er zu übernehmen hätte,
stürzt da und dort hin und läßt das Schiff von Hand verholen.
Abends wird erneut auf lächerlich demokratische Art abgestimmt,
wie der Ablauf des nächstfolgenden Tages auszusehen habe, um
wenigstens dem Schein nach jeden Gedanken an einen Vertragsbruch
ins Reich der Fabel zu verweisen, und mit einer Stimme Mehrheit
wird beschlossen, daß man, anstatt zu segeln, den Tag lieber an
Land verbringen wolle, sehr zum Unwillen der Überstimmten. Da
aber diejenigen, die sich schon vor Reiseantritt zusammengefunden
haben, stets einstimmig abstimmen, haben die anderen kaum jemals
eine Chance, etwas anderes durchzusetzen. Der Skipper, der
eigentlich als unser Dienstleister gar nicht stimmberechtigt ist,
schließt sich der Mehrheit an, indem er etwas befremdend
argumentiert, daß dieser Job, den er ausschließlich in seiner
Freizeit ausübe, nicht sein eigentlicher Beruf sei, und daß der
ganze Törn auch für ihn den Charakter einer Urlaubsreise habe,
und daß er sich noch überhaupt nicht den Ort angesehen habe.
Ich erkläre ihm dann vor versammelter Mannschaft, daß sich aus
seiner Funktion, die sich ausschließlich durch uns finanziere,
kein Anspruch auf einen bezahlten Landurlaub ableite.
Wir
verbringen nun notgedrungen bereits einen weiteren Tag in der
Stadt der Schönen und Reichen, die sich hier besonders
wohlzufühlen scheinen. Den ganzen Tag über scheint die Sonne
prall vom Himmel, und im Ort gibt es nach nur zwei Stunden nichts
mehr, was noch einmal anzusehen sich lohnen würde. Die kleinste
Kleinigkeit ist sündhaft überteuert, was einem den Aufenthalt
ein wenig verleidet, noch dazu, weil die meisten doch immer über
die zu hohen Preise jammern. Ihnen scheint zu gelten: dabei sein
ist alles. Obwohl wir alle keinen Landurlaub gebucht haben,
nehmen etliche die Gelegenheit wahr, sich für einen Landausflug
abzusetzen und dem Segeln fürs erste Lebewohl zu sagen. Dabei
ist die gesamte Umgebung der Stadt kahl, und außer in der Sonne
zu verbrennen ist die einzige Alternative, im Schatten der
Häuserzeilen Bier zu trinken oder Eis zu essen oder einfach nur
am Strand zu liegen.
Als
der Tag sinnlos vergeudet ist, begebe ich mich gegen Abend in den
Supermarkt, um die übernommenen Einkäufe zu tätigen. Mit
Tüten vollbepackt, schaffe ich den Weg gerade noch zum Hafen,
ehe die Plastiktüten reißen. Als ich mit "verlorener
Ladung" am Steg auf Unterstützung warte, sind die übrigen
gerade beim Wasserauffüllen im Fischereihafen zugange. Außer
Skipper und zweitem Offizier befindet sich der ganze Rest der
Mannschaft bereits an Land und sieht den beiden gespannt beim
Ablegen zu. Wenigstens einer an Bord, wird mir später berichtet,
scheint im vorhinein bemerkt zu haben, daß sich ein Tampen in
der Schiffsschraube oder im Ruderblatt verfangen hat.
Nachkontrolliert habe man die Freigängigkeit des Ruders aber
nicht, wird mir gesagt. Somit stellt sich unmittelbar beim ersten
Gasgeben heraus, daß die Vermutung berechtigt war und sich
tatsächlich etwas verheddert hat, was uns nunmehr, wie jeder
sehen kann, am Ablegen hindert. Durch die Kraft voraus wird die
Leine, mit der die Boje, die sich im Ruder vertörnt hat, an der
Kaimauer befestigt ist, gespannt und reißt unter dem Zug. Bis
jetzt kümmern sich weder Schiffsführer noch sein zweiter
Offizier, obwohl sie beide am Ruder stehen und alles direkt aus
nächster Nähe miterleben, um den Schaden, den sie angerichtet
haben, noch um den möglicherweise am eigenen Schiff entstandenen
Schaden. Offenbar scheut jeder der beiden sich, in dem mit einem
Hauch von Ölfilm überzogenen Hafenbecken unter die
Schiffsschraube zu tauchen und das Ruderblatt von dem
Fremdkörper zu befreien. Nachdem nun das Steuer nicht mehr
freigängig bewegt werden kann, ist auch die Manövrierfähigkeit
des Fahrzeugs nicht mehr gegeben oder doch zumindest stark
eingeschränkt und es treibt hilflos im äußerst engen
Hafenbecken. An Bord läuft der Skipper konfus, ohne recht zu
wissen, was zu tun sei, von einem Ende des Bootes zum andern,
während sich am Kai eine Menge Schaulustiger versammelt hat, die
das Theater, das sich vor ihren Augen abspielt, Beifall
klatschend verfolgt oder mit Hohn bedenkt. Wir, die restliche
Crew, stehen, ebenso Maulaffen feilhaltend wie beschämt, im Bad
der Menge und können nichts tun, was die Situation retten
würde. Unser Schiff, für das wir gemeinsam die Verantwortung
tragen, treibt nun gänzlich hilflos und manövrierunfähig im
Hafenbecken zwischen den anderen Yachten und Fischerbooten, bis
der Skipper schließlich auf die glorreiche Idee kommt, seinen
Stellvertreter abtauchen und nachsehen zu lassen, wie es guter
Seemannsbrauch schon längst erfordert hätte. Nachdem das
Hindernis am Unterwasserschiff nach einer guten halben Stunde der
Ratlosigkeit und Entschlußlosigkeit endlich beseitigt ist,
gelingt es unserer Restcrew schließlich, daß Boot in
Rückwärtsfahrt aus dem Hafenbecken hinauszumanövrieren und den
Blicken der Gaffer zu entziehen. Die Unseren legen ab, ohne sich
um die Festmacherleine zu kümmern, die sie an Land
zurückgelassen haben. Meine Aufgabe während des gesamten
Manövers bestand darin, denn zu nichts anderem wurde ich
eingeteilt, die abgerissene Leine mit einem doppelten Schotstek
wieder an der Mooringleine zu befestigen. Nachdem der Knoten
schon richtig gelegt war, läßt mich der Skipper, vom Boot aus
zusehend, vor den Augen der Zuschauer diesen wieder lösen und
anders stecken, woraufhin er aufgeht und uns gemeinsam der
Lächerlichkeit preisgibt. Seine Entscheidung widerrufend, läßt
er mich den Knoten wieder wie vorher stecken, woraufhin er sich
denn auch tatsächlich zuzieht. Während mir persönlich das
Vorgefallene, wessen uns die Schiffsführung preisgegeben hat,
äußerst peinlich ist, scheinen die zwei Vorderen eher noch
stolz auf sich zu sein, weil sie die Situation so trefflich
gemeistert haben. Jedenfalls scheint das Vorgefallene mit ihrem
Selbstgefühl vereinbar, oder aber sie kennen keine Scham,
jedenfalls freuen sie sich wie glückliche Kinder, noch einmal
mit dem Schrecken davongekommen zu sein.
Am
vereinbarten Ort des Abendessens treffen wir dort, wo wir uns
verabredet haben, unsere drei Verbliebenen nicht an, obwohl ich
dem Skipper laut und unmißverständlich gesagt zu haben glaube,
welches Restaurant wir aufsuchen wollten, und daß wir dort auf
sie warten würden. Über die glücklichen Umstände des Tages
wird nun reichlich Wein vergossen, und es dauert im Anschluß an
die Sperrstunde eine Ewigkeit, bis das Beiboot, dessen Tank wir
leergefahren haben (offenbar weil keiner sich vorstellen konnte,
daß jeder Treibstoff einmal zur Neige geht) mit Ruderkraft
zurückkommt. Es gehört meiner Meinung nach zur sorgfältigen
Schiffsführung, sich nicht nur um die Belange der Yacht zu
kümmern, sondern sich ebenso gewissenhaft des Beibootes
anzunehmen. Aber um Treibstoff betteln will natürlich auch
keiner von uns, so daß wir, unschlüssig an der Kaimauer
stehend, lieber zuwarten, ehe wir uns spät in der Nacht
übersetzen lassen. Der Skipper schlägt sich in einer der
Hafenkneipen die Nacht um die Ohren und läßt sich erst
frühmorgens, nach durchwachter Nacht, mit dem Dingi abholen, um
sich erst einmal richtig auszuschlafen, denn zur Schiffsführung
ist er wohl nicht in der Lage, während die übrigen, sehr zur
allgemeinen Unzufriedenheit, in dieser Zeit ausharren müssen.
Dieser Umstand gibt offenbar einem Teil der Crew den Rest, sie
kann dem Skipper nicht weiterhin das Vertrauen aussprechen und
beschließt, abzuheuern und das Boot zu verlassen. Nun entzünden
sich nicht enden wollende Diskussionen um die Verantwortung eines
Schiffsführers. Diesem wirft man vor, die Yacht in ein Gewitter
hineingesteuert zu haben, ohne die Crew Schwimmwesten anlegen zu
lassen. Zweitens habe er ein Hafenmanöver durchführen lassen,
bei dem angeblich die Sicherheit des Schiffes nicht mehr gegeben
gewesen sei, und drittens habe er übernächtigt und unter
Alkoholeinfluß ablegen wollen. Ausgerechnet der Teil der
Mannschaft, auf dessen Seite er sich in den letzten Tagen
geschlagen hatte und um dessen Gunst er entsprechend gebuhlt
hatte, hat ihn nun verraten und gedenkt, rechtliche Schritte
gegen ihn zu unternehmen. Unter den von Bord Gehenden befindet
sich auch das Pärchen, das sich bereits von Anbeginn an unter
einem Segeltörn etwas ganz anderes vorgestellt hatte, als er
eigentlich ist. Der Dritte im Bunde ist der Bruder des einen, der
zwar aus eigenem Antrieb nicht abgeheuert hätte, sich aber unter
dem verwandtschaftlichen Druck seiner Loyalität ihm gegenüber
nicht entziehen kann. Letzerer gibt aber ein gar klägliches Bild
ab, beruft sich auf seine Mutter, die ein reiner Gefühlsmensch
sei und die seinem Bruder ewige Vorwürfe machen würde, wenn ihm
tatsächlich etwas zustoßen sollte. Ich meine dazu, daß er
seine Eltern nicht zu beunruhigen brauche und durchaus eine
Notlüge gebrauchen dürfe, damit die Mutter sich nicht unnötig
ängstige. Aber jener besitzt nicht einmal dazu die Kraft, fast
weinenden Auges gibt er zu verstehen, daß er noch nie gelogen
habe und dies auch nicht fertigbrächte, sondern immer nur, damit
nicht das Vertrauen in ihn verlorenginge, die volle Wahrheit
sagen würde. Einige von uns sind sichtlich froh, als die drei
nach längerem Herumprobieren, wie sie einen passenden Eintrag
fürs Logbuch formulieren könnten, endlich von Bord gehen. Sie
wären allesamt in ihrer weinerlichen Art zu einer Belastung für
uns alle geworden, zu einer noch größeren, als es der Skipper
ist.
Und
wie es in solchen Situationen meistens geht, vollzieht letzterer
nun innerhalb der Mannschaft eine Kehrtwende und sucht bei denen
Zuflucht, gegen die er zuvor Partei ergriffen hatte. Er ersucht
uns gnädig darum, wir möchten ihm doch bitte unser weiteres
Vertrauen aussprechen, was wir ihm ohne weiteres und mit Recht
verweigern könnten. Dabei stößt er noch die Drohung gegen uns
aus, er würde eine Mannschaft, die Sicherheitsbedenken gegen ihn
trage, verlassen, und er droht sogar damit, die Reise andersherum
fortzusetzen zu wollen, wogegen ich mich von Anbeginn an
gesträubt habe. An dieser Stelle ist die ganze Kunst der
Diplomatie gegen ihn aufzubieten. Die ausdrücklich von ihm
geforderte schriftliche Bestätigung, wonach wir uns mit seiner
ganzen Art der Schiffsführung einverstanden erklärten, wird uns
förmlich aufgezwungen, womit sich denn auch die unter Zwang
geleistete Unterschrift als vollkommen wertlos erweist. Obwohl
wir durchaus um die Sicherheit des Schiffes besorgt sind, wagt
keiner es, sich offen gegen ihn auszusprechen, und mit
tiefgestapelten Verharmlosungen und an den Haaren herbeigezogenen
Argumenten sprechen wir ihm gemeinschaftlich mehr oder weniger
doch unser aller Vertrauen aus, wohl weil die meisten von uns
soviel Zutrauen in sich selbst besitzen, daß sie glauben, im
Ernstfall auch ohne ihn zurechtzukommen. Noch weiß keiner von
uns, ob er diesen Schritt nicht in nächstem wieder zu bereuen
hätte. Auf jeden Fall lassen ihm alle noch an Bord Verbliebenen
eine gehörige Portion Mitleid zuteil werden, die in meinen Augen
eigentlich als nicht gerechtfertigt erscheint. Wie darf jemand,
der anderen ein absolutes Alkoholverbot auferlegt, bei sich
selbst eine andere Meßlatte anlegen und vorsätzlich dagegen
verstoßen?
Mit
der neuen Situation ändert sich schlagartig einiges an Bord,
vorrangig die Mehrheitsverhältnisse, die nun nicht mehr auf
seiten der Schwachen liegen, sondern bei den Starken, die
höheren Belastungen gewachsen sind als unsere Hungerleider. Mit
nur fünf Mann an Bord läßt eine Yacht sich wesentlich
schwieriger bedienen als mit acht, es fehlen plötzlich sechs
freie Hände, die nicht in allem hinderlich waren. Die Freiräume
schrumpfen hingegen zusammen, jeder von uns wird rund um die Uhr
für irgend etwas gebraucht. Ich, der ich bisher nur ungern am
Ruder gesehen war, darf plötzlich Anker- und Anlegemanöver
fahren. Allein daran kann man erkennen, wie sehr manche Menschen
sich doch selbst überschätzen und ein Selbstbewußtsein zur
Schau tragen, das ihnen gar nicht ziemt. Die Restmannschaft hält
nun auch besser zusammen, weil man mehr aufeinander angewiesen
ist als vorher, wo man sich demjenigen am meisten zugesellen
konnte, der einem geistig am nächsten stand. Viele Lösungen
werden nun gemeinsam erarbeitet und auch von allen mitgetragen.
Wieder einmal hat es sich bewahrheitet, daß eine Frau an Bord
für viel Verstimmung unter der Crew sorgen kann, denn letztlich
gingen die meisten Querelen eindeutig von ihr aus. Wir sind nun
ein reiner Männertörn geworden, und vieles geschieht jetzt nur
noch den Gesetzen der Logik unterworfen.
Abends, nach dem Abendessen, diskutieren wir auf Wunsch des
Skippers noch einmal ausführlich die drei Ereignisse, die unsere
Kameraden veranlaßt haben abzuheuern. Letztendlich erkennt die
Crew an, daß dem Skipper kein grobfährlässiges schuldhaftes
Verhalten angelastet werden kann, und wir erklären
einvernehmlich, daß unsererseits keine Sicherheitsbedenken
bezüglich der Führung des Schiffes bestehen. Ich für meinen
Teil schließe mich der Eintragung ins Logbuch nur halbherzig an,
weil meinerseits zwar weniger Bedenken wegen einer tatsächlichen
Gefahr für Leib und Leben der Besatzung bestanden, wohl aber
Zweifel daran, ob dem Skipper, falls wir einmal einer wirklich
kritischen Situation ausgesetzt sein sollten, nicht eine
wesentliche Eigenschaft fehlt, die zur sicheren Führung eines
Schiffes befähigt. Ich denke, der Mann hat insgesamt viel zu
wenig Erfahrung für die von ihm wahrgenommene Aufgabe und ist
noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Da wir aber,
zumindest für die nächsten drei Tage, vielleicht sogar bis zum
Ende der Reise, weder starken Wind noch schlechtes Wetter zu
befürchten haben, sehe ich keine akute Gefahr im Verzug.
Mit
Verlassen Calvis treten wir nun die Fahrt längs des schönsten
Teils der Westküste an. Da nur ein sehr schwacher Wind weht,
wird auch an diesem Tag der größte Teil des Wegs unter Motor
zurückgelegt. Wir könnten wegen der schwachen Windverhältnisse
leicht noch wesentlich dichter unter die Küste gehen, die bis
Porto, unserem heutigen Tagesziel, fantastische Formen annimmt,
und uns entlang den Klippen vorantasten. Bizarre rote
Felsgebilde, einmal scharfkantig, dann wieder rund, nehmen nun
die Ufer ein. Das Gestein enthält wohl reichlich
Eisenverbindungen, die ihm seine rote Farbe verleihen. Ausnehmend
schön nimmt sich der der Bucht von Porto vorgelagerte Golf von
Girolata aus. Dieser, als eine der schönsten Ankerbuchten
Korsikas geltende, geschützte Hafen wird von einem alten
genuesischen Fort bewacht, hinter das sich das alte Fischerorf
duckt, das in seiner Ursprünglichkeit erhalten werden soll. Es
liegt zu Füßen eines Naturschutzgebiets. Bis zu fünfzig
Yachten finden hier einen Liegeplatz, den man nur dann wieder
verlassen sollte, wenn der Wind direkt hineinsteht, da ansonsten
leicht "Ankersalat" entsteht.
Spät wie immer nehmen wir unser Abendbrot ein, welches in
Anbetracht der fehlenden Kochkünste zumeist aus einem
Nudelgericht mit Tomatensoße besteht. Ein einlaufender Schwell
sorgt an diesem Abend dafür, daß mir die noch halbgefüllten
Teller entgegenrutschen und sich über meinen Beinen entleeren.
Die mit Rotwein vollgefüllten Gläser kippen um, so daß der
ganze verschüttete Wein bis über beide Waden perlt. Somit
bleibt mir an diesem Tag eine zweite unfreiwillige
Ganzkörperreinigung mit Meerwasser - denn die Süßwasserduschen
dürfen wegen des notorischen Wassermangels nicht benutzt werden
- nicht erspart. Überhaupt ist an diesem Schiff nahezu alles
defekt und marode. Der Anker läßt sich wegen eines
Wackelkontakts nur noch mit der Winsch einholen. Beim Ansaugen
des Wassers mit dem Brausenschlauch geht dem Skipper die Dichtung
verloren, so daß das Waschbecken ab jetzt nicht mehr zum
Händewaschen benutzt werden kann. Zudem täuscht die
Füllstandsanzeige eine erhöhte Tankfüllung vor, was eigentlich
nicht sein kann, da wir bei dem ständigen Motoren nicht so wenig
Treibstoff verbraucht haben können. Dazu gesellen sich
Versäumnisse beim Einkaufen. Wir haben keine Küchentücher und
keine Servietten mehr, so daß wir zum Abwischen Toilettenpapier
verwenden müssen. Die Undiszipliniertheit der Mannschaft im
Umgang mit Reserven hat zur Folge, daß den Stauraum an Deck acht
angebrochene Wasserflaschen aufbrauchen und wir an diesem Tag nur
schales und abgestandenes Wasser zu trinken bekommen.
Trotz spiegelglatter Wasseroberfläche müssen wir wegen der Enge
des Ankerraumes Ankerwache gehen. Die Nächte kühlen auch schon
wieder merklich ab. Am wolkenlosen Himmel leuchtet der zunehmende
Mond in sternklarer Nacht. Gegen vier Uhr versinkt er blutrot
über dem Meer. Ein hell erleuchtetes Fenster oben auf dem Fort
erweckt den Eindruck, als ob dieses bewohnt sei, was sich aber
als Illusion erweist. Als der Morgen graut, ist der Spuk
vorüber. Lautlos baumeln die Masten im Wind, und einzig die
Ankerlichter verbleiben am verblassenden Sternenhimmel wie helle
Wandelsterne. Fahl und grau wirkt das Szenario des aufkeimenden
Tages, und als die Sonne dem zerklüfteten Fels das erste Rot
abgewinnt, legen wir nach Einholen des Ankers ab und gewinnen
rasch an Fahrt in Richtung Porto. Die gesamte Bucht zeigt sich
bei glitzerndem Gegenlicht in ihrem morgendlichen Nebelgewand.
Tief sitzt der Dunst auf dem Wasser, und draußen über dem Meer
tauchen die Wolken einer sich ankündigenden Kaltfront auf. Den
pisanischen Wehrturm über dem Fischerort sehen wir nur
schemenhaft, als Schatten gegen den sich abzeichnenden
Hintergrund, und auch die reizvollen Gipfelformationen wirken
eher wie ein Schattenspiel an einem langweiligen Sonntagmorgen.
In bezug auf ein beeindruckendes Landschaftserlebnis, welches man
hier generell nur für die Abendstunden erwarten darf, wenn die
Sonne im Westen steht und die Bucht voll ausleuchtet, bringt uns
die Ansteuerung des Hafens von Porto wegen des ungünstigen
Sonnenstandes nicht viel. Somit halten wir uns hier nicht länger
auf und nehmen Kurs Richtung Ajaccio.
Als
ich während der Fahrt die Navigation nachprüfe, stelle ich
fest, daß sich der Steuermann an die Einhaltung vorgegebener
Kurse wenig gebunden fühlt und weitgehend eigenmächtig steuert.
Der Skipper ruft nach nunmehr einer Woche auf See den einen oder
anderen noch immer beim falschen Namen an, etwas peinlich auch,
wenn die vermeintliche Person schon längst von Bord gegangen
ist, im Gehirn aber immer noch festsitzt. Überhaupt gilt es
festzustellen, daß Studierte häufig keinen Bezug zu ihren
Mitmenschen haben, weil sie ihnen offenbar gleichgültig
gegenüberstehen, was die Betreffenden, etwas perfide zwar,
häufig mit ihrem schlechten Namensgedächtnis zu entschuldigen
suchen.
Das
Teilstück, welches wir nun bis nach Ajaccio zurücklegen, ist
landschaftlich nicht gerade als absoluter Höhepunkt zu
bezeichnen, da die Berge zurücktreten und weniger majestätisch
sind, doch gibt es immer noch steile Ankerbuchten genug, die wir
aus Zeitgründen allerdings an Backbord liegenlassen. Das Wetter
ist zwar schön, wenngleich dunstig, aber das Meer ist flach und
der Wind schwach. Als wir in den Golf von Ajaccio einlaufen,
fahren wir auf Amwindkurs. Über dem Ort liegt ein Fort, das gut
die Hafeneinfahrt einsehen kann. Der eigentliche Hafen ist ebenso
durch ein Fort geschützt. Beim Anlegen in Ajaccio entspannt sich
wieder dieselbe Unsicherheit des Schiffsführers, da dieser nicht
zu wissen scheint, wie man mit Achterleine und Achterspring
festmacht. Unschlüssig stehen wir mit Fendern in Händen über
eine halbe Stunde an Deck herum und nehmen seine wechselnden
Anweisungen entgegen, während er das Schiff mit irgendwelchen
Leinen seitlich verholt und diese auf den Klampen zu wahren
Knäueln belegt, für welche letztere gar keinen Platz bieten.
Dabei gelingt es ihm eine Ewigkeit lang nicht, achtern soviel
Abstand zu geben, daß zum Schutz des Hecks ein Fender
ausgebracht werden könnte, der das Boot davor schützt, auf den
Steg zu laufen. Man kann es drehen und wenden, wie man will, es
ließe sich beliebig hinterfragen, ob nicht doch eine Eigenschaft
fehlt, die zur Führung eines Schiffes erforderlich ist. Erneut
nämlich wird unser Anlegemanöver von den Umstehenden mit
Skepsis und Häme begleitet.
Ajaccio läßt uns noch einen Tag in einem Hafen liegen, wir
können ausschlafen und die Spuren der letzten Ankerwachen, die
wir, da wir jetzt nur mehr einige wenige sind, häufiger gehen
müssen, beseitigen, bevor wir dann nach einem letzten
Ankermanöver bei Bonifacio in einem Schlag nach Elba übersetzen
wollen. Die Restmannschaft ist jetzt insgesamt harmonischer
geworden. Männer können viel vernünftiger miteinander umgehen,
als wenn Frauen dabei sind, die folgerichtigen Abläufen weit
weniger Gehör schenken und sich auch oft nicht in der
gebührenden Zurückhaltung üben. All das hat die bisherige
Törnerfahrung wieder bestens bestätigt. Freilich erleben wir
nun kaum noch Bewegung. Dies ist der Preis, den man dafür zahlt,
denn es gibt entsprechend weniger zu berichten. Auf jeden Fall
hat jetzt jeder von uns seine Einzelkabine und könnte sich
dorthin auch jederzeit zurückziehen, falls er Abstand braucht,
denn die Gereiztheit der verbliebenen Crew-Mitglieder nimmt von
Tag zu Tag zu. Man glaubt es nicht, über welchen Themen sich
Streitigkeiten und Rechthabereien entfachen können. Da stört
den einen das stündliche Piepsen meiner Uhr, weil es ihm wie ein
Alarmsignal vorkommt. Der zweite belehrt mich, was heute
eigentlich jedes Kind weiß, daß man die Zähne nach dem Essen
putzt, und nicht davor, wenngleich er sich selbst auch nicht
immer an diese Regel hält. Dem einen schmeckt das Essen nicht,
der andere will Mineralwasser nur ohne Kohlensäure. Ein dritter
achtet streng darauf, daß jeder seinen Teil und keiner ein
Stück zuviel abbekommt. Wieder ein anderer glaubt, daß der
Tisch viel zu früh abgeräumt wurde, und versteht den Wink mit
dem Zaunpfahl nicht, daß er sich nämlich beeilen möge, weil
uns ein langer Fahrttag bevorsteht. Der einzige noch verbliebene
Vegetarier an Bord nötigt uns beständig dazu, für ihn eine
Extrawurst zu braten, und so lebt jeder dieser Singles in seiner
eigenen Welt, voll des egoistischen Glücks, ohne Rücksicht auf
andere und nicht fähig, sich in die Gemeinschaft einzufügen,
dabei aber so von sich eingenommen und in dem Bewußtsein lebend,
daß sein Weg der allein seligmachende sei. Die Reinlichkeit an
Bord hat abgenommen, Gerüche machen sich breit. Einer
beobachtet, daß ein anderer sich zuwenig engagiere, der dritte
möchte die Hafengebühren einsparen und lieber Nachtwache
schieben. Wieder ein anderer hält es für zwingend, die Tanks
erst dann aufzufüllen, wenn wirklich alles Wasser verbraucht
ist, denn es könnte ja noch ein weiterer Liter mitgenommen
werden, geradezu, als ginge die Reise über den Atlantik.
Am
Morgen wollen wir vor der Abfahrt noch Diesel aufnehmen, obwohl
der Teibstofftank noch mehr als zur Hälfte voll ist. Es
herrschen ideale Bedingungen für einen Schönwetteranleger. Das
Steuer darf nun ich übernehmen. Nach völlig überflüssigen
Rundfahrten im Hafenbecken bekomme ich irgendwann gesagt, daß
ich in langsamer Rückwärtsfahrt an der Tankstelle anzulegen
hätte. Das Anlegemanöver, wie es auszusehen habe, wurde vorher
bereits besprochen. Obwohl nichts dagegen spräche, längsseits
an den Steg zu gehen, entscheidet der Skipper, über Heck
anzulegen. Weder rechts noch links von uns liegen jedoch Boote,
an denen wir uns abfendern könnten. Während ich achteraus
fahre, faßt mir der Skipper in einem Anflug von Nervenschäche
unvermutet ins Ruder und korrigiert die Fahrt entsprechend seinen
Vorstellungen, so daß eigentlich er das Anlegemanöver gefahren
ist, während ich achselzuckend daneben stehen und seinen
Ausführungen lauschen darf. Ein solches Erlebnis hinterläßt
bei einem Segelanfänger das Gefühl des Versagens, bei einem
fortgeschrittenen Segler, der sich sicher war, daß er das
Anlegemanöver auch ohne fremden Eingriff zustande gebracht
hätte, bloß eben dem eigenen Temperament entsprechend (so wie
auch zwei Motorradfahrer sich unterschiedlich stark in die Kurve
legen), ein Gefühl der Ohnmacht, weil man, ohne eine faire
Chance gehabt zu haben, seine Sache gut zu machen, vor den
anderen bloßgestellt worden ist vermeidbar. Nachdem wir
senkrecht zur Kaimauer zu liegen gekommen und die beiden
Achterleinen ausgebracht worden sind, driftet das Schiff über
Bug weg und legt sich längsseits, so daß einerseits das Heck
der ständigen Gefahr ausgesetzt ist, mit der Kaimauer in
Berührung zu geraten, und andererseits der Bug in gefährliche
Nähe zu einem Nachbarschiff kommt, so daß dieses nur noch mit
dem Bootshaken auf Distanz gehalten werden kann. Wieder war eine
Situation herbeigeführt worden, die den Gesetzen guter
Seemannschaft zuwiderläuft. Bei der anschließenden Besprechung
des Anlegemanövers stellt unser Skipper den Ablauf als
weitgehend gelungen dar, obwohl es in meinen und wohl auch den
Augen einiger anderer als ein voller Mißerfolg gewertet werden
muß.
Unsere Weiterfahrt führt nun, aufgrund des schwachen Windes
unter Motor, entlang der korsischen Südwestküste Richtung
Bonifacio. Die Berge werden dort zusehends flacher,
landschaftliche Reize fehlen beinahe völlig, denn die Küste ist
einerseits nicht so steil, daß sie für eine Klippenküste
gelten könnte, andererseits nicht flach genug, daß man sie als
Strandküste ansprechen könnte. Die Berge sind unbewaldet und
weisen keine markanten Erhebungen oder spektakulären Formen mehr
auf wie weiter nördlich. Mit mäßigen Winden, die meist aus
Nordwest wehen, segeln wir die korsische Küste südwärts, wo
wir kurz vor Bonifacio die Bucht von Figari anlaufen, die
schwierig anzusteuern ist und für ihre Untiefen berüchtigt,
dafür aber ausgezeichneten Schutz bietet. Zunächst müssen wir
unter 8° rechtweisend zwischen den beiden Fahrwassertonnen
hindurch, den genuesischen Wachturm ansteuern und dann unter
223° rechtweisend den Felsen St. Jean über den Magnetkompaß
peilen. Die gefährlichste Stelle ist eine Untiefe von nur 0,7 m.
Dramatisch gestaltet sich das Einlaufen. Wir haben an der
seichtesten Stelle nur noch 20 cm Wassertiefe unter dem Kiel. Es
gibt in dieser Bucht, die sich fjordartig ungefähr eine Seemeile
landein erstreckt, das Inselchen Ilot du Port, hinter der die
geschütztesten Ankerplätze liegen, die allerdings für
höchstens fünf mittelgroße Yachten ausreichen. Als der Wind
einmal gedreht hat, berührt das Ruder den Boden. So etwas hätte
nicht passieren dürfen! Wir verholen das Boot etwas weiter weg
vom Land in tieferes Wasser, so daß es ausreichend Schwojraum
hat.
Die
Bucht von Figari ist einzigartig unter den Buchten im Süden
Korsikas. Rundherum ziehen sich flache felsige Ufer hin, die
gegen das Land in Sumpfgebiete münden. Die Gestade am Meer sind
von grüner Macchia überwuchert, während sich dahinter die
Berge nochmals in Höhen von bis zu 1300 Metern aufschwingen,
gleichsam eine Barriere bildend, über die abends Landwinde
herabstürzen. Die Bucht ist voll mit Masten, und als das
Abendrot auf der unbewegten Wasseroberfläche liegt und das Meer
glutrot färbt, leuchten die ersten Ankerlichter auf. Noch landen
über unsere Köpfe hinweg die Flugzeuge, denn die langgestreckte
Bucht ist zugleich Einflugschneise für den nahegelegenen
Landeplatz. Es gibt keine Restaurants am Ufer, die die Idylle
stören könnten, so daß auf allen benachbarten Yachten reges
Leben herrscht. Das Wasser in der seichten Bucht hat
Badewannentemperatur, und im Schlick der Untiefen ringsum stehen
die Fischer und bringen ihre Gerten aus. Als der Abendstern in
der lauschigen Nacht sich unter die anderen Sterne mischt, sind
die weißen Rümpfe der vor Anker liegenden Yachten das erste,
was im hellen Mondschein aufleuchtet.
In
dieser Nacht habe ich folgenden Traum: Mir träumte, unser Schiff
sei eine vollgelaufene, im Meer treibende Badewanne. Als ich mich
seitlich auf deren Rand setze, auf dem auch die anderen sitzen,
wird dieses Gefährt, dadurch daß mein Gewicht hinzugekommen
ist, plötzlich instabil und kippt seitlich weg. Wir alle werden
fortgespült, einzig ich, der ich eine Schwimmweste trage, bleibe
über Wasser. Von den anderen sehe ich weit und breit keinen
mehr. Nachdem ich kurz vor Antritt meiner Ankerwache unsanft aus
dem Schlaf gerissen worden bin, sehe ich beim ersten Blick durch
die Luke das Sternbild der Cassiopeia über mir. An Deck schlägt
mir eine frische Brise entgegen, und noch steht das Sternbild
Orion über dem Horizont. Im Westen geht gerade der Mond unter,
während er seine letzten orange leuchtenden Strahlen auf die
Bucht wirft. Ganz ruhig, beinahe ohne jedes Schaukeln, liegt
unser Boot vor Anker. Als er untergegangen ist, verschwinden die
hellen Bootsrümpfe wie Schatten im Nebel, und der Sternenhimmel
entfaltet noch einmal kurz seine ganze Pracht, bis beim ersten
Hahnenschrei der Morgen zu grauen beginnt. Erstmals sind nun
Wolken aufgezogen, und zu den Stimmen der Bucht gesellt sich das
Plätschern der Wellen am Heck, das Schreien der Möwen und das
Motorengeräusch der ersten auslaufenden Boote. Vogelschwärme
ziehen über uns hinweg, und das rhythmische Schlagen der Wanten
verklingt unter dem Gezwitscher der Vögel beim Erwachen des
Tages. Nur kurz leuchtet das Morgenrot auf und macht schnell der
aufsteigenden Sonne Platz. Auf den Nachbarbooten kehrt bereits
geschäftiges Treiben ein. Nur die Unseren liegen noch trunken in
bleiernem Schlaf, den selbst das Kreischen der Möwen nicht zu
stören vermag. Erst das Pfeifen des aufgesetzten Wassers, der
Duft frischen Kaffees, der in die Nasen dringt, vermag die
Müdigkeit zu bannen, den Schlaf zu vertreiben.
Frühmorgens, kurz vor dem geplanten Ablegen, zeigt das Log nur
mehr eine Wassertiefe von etwa einem Meter, der Grund wird
sichtbar, und das heißt, daß wir das Ablegen nicht ohne Not
weiter hinauszögern dürfen, weil uns der Wind sonst gegen das
Land treiben würde. Die Mannschaft wird also in Eile
zusammengetrommelt, wie immer in Hektik versetzt, und ein
hastiges und nervöses Ablegemanöver durchgeführt. Das
Rudergehen bleibt mir überlassen, ob allerdings als Ausdruck des
Vertrauens, sei dahingestellt. Während der Anker eingeholt wird,
geraten wir in gefährliche Nähe zu einem Nachbarschiff. Skipper
und Coskipper geben dabei entgegengesetzt lautende
Ruderkommandos, und die des Schiffsführers befolgend, fällt mir
diesmal der Coskipper ins Ruder, so daß sich mir die Frage
stellt, wer hier eigentlich das Schiff führt. Seit Tagen schon
beobachte ich, daß sich die beiden nicht immer einig sind,
worunter natürlich massiv die Schiffsführung leidet. Warum am
Ende ich das Lob erhalte, daß ich uns so souverän aus den
Untiefen herausgesteuert habe, entzieht sich meiner
Nachvollziehbarkeit. Offenbar, weil ich einen Kompromiß aus den
gegenläufigen Richtungsweisungen eingegangen bin, ohne weder den
einen noch den andern zu sehr zu mißachten. Interessant wäre in
dieser Situation, wie ein solches Verhalten im Schadensfall vor
einem Seegericht ausgelegt würde. Ich denke, daß man nur dann
von jeder Schuld freigesprochen werden kann, wenn man in jedem
Fall den Anweisungen des Schiffsführers Folge geleistet hat,
mögen diese auch noch so verkehrt gewesen sein. Erstmalig erlebe
ich, was wohl auch einmalig sein dürfte, daß es zwei erklärte
Schiffsführer auf einem Boot gibt, was völlig den
Rechtsvorschriften auf See zuwiderläuft. Im Gesetz heißt es,
daß die Crewmitglieder vor Antritt der Reise zu bestimmen haben,
wer verantwortlicher Schiffsführer ist. Auch wenn ein
stellvertretender Schiffsführer benannt worden ist, trägt die
Verantwortung für das Schiff sowie für die Sicherheit von Leib
und Leben aller an Bord befindlichen Personen stets nur der
verantwortliche Schiffsführer. Das eine aber ist gewiß: Im
Schadensfalle würden die beiden sich gemäß unserem Crewvertrag
gegen den Mitsegler verschwören.
Da
wir gestern dem Schutzheiligen der Seefahrer, namens Rasmus,
geopfert und ihn um gute Winde angefleht haben, ließ er uns in
der Tat nicht im Stich, denn heute herrschen die besten Winde
seit Anbeginn des Törns. Wir messen bis zu 25 Knoten
Windgeschwindigkeit und machen damit etwa 9 Knoten Fahrt über
Grund. Die Wellen erreichen stellenweise ein Höhe von über 1 m.
Es ist schwer, bei halbem Wind und quer einlaufender Dünung den
Kurs zu halten, zumindest erfordert es körperliche Anstrengung,
da das Ruder einen gewaltigen Druck verspürt. Nach einigem
Halbwindsegeln kreuzen wir vor Bonifacio auf, welches an der
gleichnamigen Meerenge zwischen Korsika und Sardinien liegt.
Dieses Bonifacio ist ein ganz außergewöhnlicher Ort. Es liegt
steil wie ein Schwalbennest hoch über der von Grotten
ausgehöhlten Küste. Selbst Schiffe dürfen sich bei wenig
Wellenschlag in diese Grotten hineinwagen. An der schmalen
Hafeneinfahrt von Bonifacio, die sich wie ein Fjord hinzieht,
herrscht reger Ein- und Ausgangsverkehr, so daß höchste
Aufmerksamkeit geboten ist. Auch Fähren fahren in diesem Schlund
ein und aus, und an seinem Ende liegt der Yachthafen. Wir staunen
nicht schlecht ob der Besonderheit dieses Ortes, blicken hinauf
zu der hoch über uns liegenden Festung, die einer Trutzburg
gleicht. In dem ganzen Hafenbereich wimmelt es nur so von
Urlauberschiffen, so daß sich ein Gefühl des Entspanntseins
nicht einstellen will. Wir drehen am Ende und fahren langsam im
Kielwasser anderer Schiffe wieder aufs offene Meer hinaus.
Nun
laufen wir bei auffrischenden Winden in die Straße von Bonifacio
ein, darin sich einige Inselchen befinden, die der Schiffahrt nur
begrenzt Durchfahrtsmöglichkeiten bieten. Die Untiefen
umschiffend und die Küste Sardiniens stets zum Greifen nahe,
kreuzen wir auf, gehen hinter einem Großsegler her, bis wir die
Meerenge verlassen haben. Das Sonnensegel müssen wir wegen der
starken Winde wegnehmen, so daß wir voll der Sonne ausgesetzt
sind. Gnadenlos brennt das Zentralgestirn auf uns hernieder. Doch
wir an Bord sind guter Dinge, und unser großartiges Erlebnis
führen wir weitgehend auf Rasmus' Einfluß zurück, dessen Gunst
wir Wind und Wetter zu verdanken haben. Nachdem wir die Straße
von Bonifacio durchquert haben, nehmen wir nördlichen Kurs auf
Porto-Vecchio, eine gut geschützte, jedoch sehr seichte
Ankerbucht, deren Ansteuerung ebensowenig trivial ist wie die der
vorherigen. Das flache Fahrwasser zwingt uns dazu, mit höchster
Wachsamkeit das Echolot zu verfolgen. Nachdem wir die Marina, die
voll belegt ist, wieder verlassen haben, versuchen wir es den
anderen Yachten gleichzutun und legen uns vor die Hafeneinfahrt.
Doch währt unsere Freude dort nicht lange, denn der Wind beginnt
aufzufrischen, wir treiben auf ein benachbartes Boot zu, dem wir
gefährlich nahekommen. Also beschließen wir, uns an anderer
Stelle in der weitläufigen Bucht einen besser geschützten Platz
zum Ankern zu suchen. Aber auch dort sind Untiefen, so daß uns
auch diesmal die Ankerwachen nicht erspart bleiben. Großartig
ist die Bergwelt ringsum. Über zweitausend Meter hohe Berge und
die angenehm milde Abendstimmung lassen die Bergketten um uns im
weichesten Licht erstrahlen. Es ist die Idylle schlechthin, und
als bei Einbruch der Dunkelheit der Vollmond aufgeht, ist wieder
ein Tag voller Erlebnisse zu Ende gegangen.
Die
Nacht verläuft insgesamt ruhig, wenngleich der Wind mehrmals
dreht, uns dabei auch aus dem Untiefenbereich heraustreibt. Als
ich morgens um vier Uhr meine Ankerwache antrete, leuchtet der
volle Mond vom wolkenlosen Himmel herab und verwandelt die ganze
Bucht in einen silbern glitzernden Spiegel, auf dem sich die
nahezu unbewegt vor Anker liegenden Yachten als einzige Schatten
vor dem dahinterliegenden Porto-Vecchio abzeichnen. Die Festung
über der Stadt ist hell erleuchtet, und hoch im Gebirge
flackert, wie Hunderte brennender Fackeln, das Lichtermeer eines
am Hang klebenden Bergdorfs. Ruhig und still liegt der Hafen,
fast beklemmendes Schweigen herrscht auf den Ankerliegern
ringsum. Welch ein Gegensatz zu den noch gestern bis tief in die
Nacht hinein zu schriller Musik lautstark tobenden Gästen auf
einem benachbarten Boot! Bis zum Erwachen des Morgens kämpfe ich
gegen den Schlaf an, und pünktlich um 6 Uhr wecke die gesamte
Mannschaft, damit wir frühzeitig aufbrechen können, denn heute
steht uns ein größerer Schlag bis Elba bevor, welches wir noch
vor Einbruch der Nacht erreichen wollen. Da wir den Göttern
gestern nicht opferten, dürfen wir heute auch kaum mit
günstigen Winden rechnen. Wer zur See fährt, möge wissen, daß
der Meergott Neptun Wert darauf legt, daß man seiner stets
gedenkt. Sind wir ihm doch gänzlich ausgeliefert! und es kann
nie schaden, ihn sich gewogen zu machen und gnädig zu stimmen.
Im
fahlen Morgenlicht, als die Umrisse der Berge sich noch zart
abzeichnen, laufen wir aus und nehmen Kurs auf Montecristo. Zwei
markante Wehrtürme fallen noch auf, dann entschwindet die Insel
im Dunst zunehmend den Blicken. Der Wetterbericht sagt nördliche
Winde mit einer Stärke von zwei Beaufort voraus. Die vor uns
liegende Strecke von Porto-Vecchio bis zur Südküste Elbas
beträgt 100 Seemeilen. Bei der Geschwindigkeit, die wir
gutmachen können, von 8 Knoten brauchen wir dafür 12-13
Stunden. Nachdem wir erst um 7.30 Uhr aufgebrochen sind, ließe
sich Elba gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen.
Gleichzeitig war nämlich unsere Zielvorgabe, noch bei Helligkeit
zu ankern. Mein Vorschlag, gar nicht erst nach Elba zu gehen,
sondern die Nacht durchzusegeln und im Laufe des nächsten
Morgens in Piombino, unserem Ausgangshafen, einzutreffen, kommt
bei meinen Mitseglern nicht sehr gut an. Die meiste Zeit des
Tages verbringen sie abgeschlafft in ihren Kojen, und ihre
Ausdauer und Belastbarkeit hält sich in Grenzen. Die
Möglichkeit einer Nachtfahrt wird gar nicht erst in Erwägung
gezogen, lieber wird Tag für Tag Ankerwache geschoben. Das Log
der Yacht zeigt stets eine um etwa 2 kn niedrigere
Geschwindigkeit an, als wir sie laut GPS fahren, übrigens einer
der vielen Mängel auf dieser Yacht, die bisher nicht behoben
wurden, trotzdem daß sie bekannt waren. Obwohl wir also knapp
mit der Zeit sind, sind die "beiden" Skipper offenbar
der Meinung, daß wir an diesem Tag, der eigentlich nur dazu
dient, Meilen gutzuschreiben, es uns leisten können, weitere
Zeit zu verlieren, dadurch daß wir bei schwachem Wind von
höchstens 2 Beaufort einen Teil der Strecke unter Segel
zurücklegen. Lange Zeit bekommen wir die Insel Montecristo
überhaupt nicht zu Gesicht, sie verbirgt sich hinter
undurchdringlichem Dunst, der nur eine Sichtweite von weniger als
15 Seemeilen zuläßt. Da ist nun der Wunsch, daß sie schon aus
17 Seemeilen zu sehen sei, Vater des Gedanken, denn niemand,
seien seine Augen auch noch so gut, sähe sich in der Lage,
denen, die sie bereits gesehen haben wollen, zu widersprechen,
weil diese wohl wissen, daß ihre Umrisse ohnehin demnächst aus
dem Dunst auftauchen müssen. Rechthabern ist eben durch nichts
der Wind aus den Segeln zu nehmen, ihre falschen Behauptungen
können nur zugegeben werden. Somit erreichen wir die Insel
Montecristo, die wir zunächst ansteuern, erst gegen 18 Uhr, also
relativ spät. Des weiteren fahren wir nicht an der von der Sonne
beschienenen Westseite der Insel entlang, wo im weichen
Abendlicht die besseren Aufnahmen zu machen wären, sondern
stecken unseren Kurs längs der dunklen, im Gegenlicht liegenden
Ostseite ab.
Montecristo ist eine nach allen Seiten schroff ins Meer
stürzende Insel, die schon in der Antike als Verbannungsort
galt, später dann als Sträflingsinsel herhalten mußte. Heute
ist es bis auf wenige Naturschützer, die hier ab und zu
vorbeikommen, unbewohnt, und man darf sich ihr höchstens auf 500
m nähern. Die Möglichkeit anzulegen besteht mangels Buchten gar
nicht erst. Montecristo hat eine annähernd runde Form, ihre
höchste Erhebung erreicht 645 m. Sie würde gute Möglichkeiten
zum Klettern bieten, und ihr Anlick reizt zur Besteigung. Doch
sind dies nichts als Träume. Was es allerdings mit dem
berühmten Grafen von Monte Cristo auf sich hat, habe ich nie
herausfinden können, denn der Schauplatz der Handlung in
Alexandre Dumas' berühmten Roman ist Elba, und nicht
Montecristo, und das Chateau d'If, in dem Dantès eingekerkert
war, liegt bei Marseille. Schwarz und abweisend ist die
Ostküste. Doch weil Verbotenes stets den größten Reiz auf den
Menschen ausübt, können meine Mitsegler trotz Androhung von
Strafe nicht darauf verzichten, sie sich aus geringerer
Entfernung anzusehen. Wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn sie
wüßten, daß es ihnen wie Lots Frau erginge und sie bei ihrem
Anblick zu einer Salzsäule erstarren müßten.
Als
die Sonne nur mehr eine Handbreit über dem Horizont steht,
zeichnet sich im Dunst bereits die Insel Elba ab. Kaum daß sie
untergegangen ist, taucht auch schon der Mond am Horizont auf.
Wir steuern direkten Nordkurs und laufen auf den Golf von Stella
zu, wo wir in der Punta Pareti vor Anker gehen wollen. Die
Ansteuerung ist gänzlich unschwierig, doch scheinen unser
Navigator und sein Schiffsführer Schwierigkeiten bei der
Ortsbestimmung zu haben. Erstens laufen wir bei viel zu stark
verringerter Fahrt in die Bucht ein, wobei zunächst vergessen
wird, daß nachts ein Mann im Bugkorb Ausguck gehen und mit der
Leuchte nach Hindernissen Ausschau halten muß, zweitens steigt
die Wassertiefe nur ganz allmählich an, doch bereits bei 60
Metern Tiefe und einer Fahrt von lediglich 4 Knoten ist allein
aus der Karte zu ersehen, daß die nächste kritische
Tiefenmarke, 50 m, sich in frühestens 20 Minuten ergeben kann.
Ich werde zur Ablesung der Wassertiefen eingeteilt, aber man
scheint mir, obwohl ich durchaus des Lesens und Schreibens
mächtig bin, vielleicht auch aus Angst, daß ich insgeheim den
Untergang des Schiffes herbeisehnen könnte, nicht zuzutrauen,
auf die Dezimalstelle genau ablesen zu können. Obwohl ich den
Schiffsführer darauf hinweise, daß die nächste aufzusagende
Wassertiefe noch weit entfernt liegt, ändert dieser an seinem
Konzept nichts. Zuerst glauben wir, daß er die 60-Meter-Marke
erreichen will, doch schließlich stellt sich heraus, daß eine
geringere Tiefe im interessierenden Bereich gar nicht vorkommen
kann. Schulmäßig trägt man in der Karte erst seinen Standort
ein und trägt danach den zu steuernden Kurs ab, den man dann
auch beibehält. Ich darf nun alle Meter die Wassertiefe laut
aufsagen, bis meine deutliche Ansage schließlich doch als zu
laut empfunden wird und der Skipper mir gebietet, doch bitte
leiser zu sprechen. Doch woher soll einer wissen, ob die
Informationen vom Heck bis in die Kajüte dringen, wo doch das
Echolot direkt neben dem Ruder angebracht ist? Bei 10 Metern
Tiefe bringen wir den Anker aus, wobei uns der Landwind von der
Küste wegtreibt. Eine Ankerwache ist wieder einmal
unumgänglich. Manchmal frage ich mich, welches Vertrauen die
Eigner der umliegenden Boote in den Ankergrund haben müssen,
daß sie ihre Gefährte unbeaufsichtigt das ganze Jahr über hier
liegen lassen.
Seit
Ajaccio haben wir nicht ein einziges Mal mehr angelegt, um an
Land des Körpers zu pflegen, und ich bin sicher, daß, wenn
Frauen an Bord wären, wir spätestens jeden zweiten Tag irgendwo
am Kai lägen. Mit dem überzeugenden Argument, daß wir uns die
Hafengebühren sparen, wird jeder Wunsch nach mehr Reinlichkeit
von der Mehrheit zurückgewiesen. Doch die sanitären
Einrichtungen riechen bereits, und den Schweißgeruch von den
Füßen empfindet man als äußerst unangenehm. Wieder ist ein
Tag so knapp kalkuliert, daß für Körperpflege kaum Zeit
bleibt. Meine derzeit größte Sorge ist daher, daß ich wie
Ungeziefer in meinen Zug steigen muß, vom Hinterlassen der
Kaution ganz zu schweigen.
Als
ich zur Frühschicht pünktlich geweckt werde, gegen 6 Uhr, steht
der Mond noch voll am Himmel. In der Bucht herrscht bereits
Leben. Gegenüber, am felsigen Ufer, haben die Angler ihre Leinen
ausgeworfen und warten geduldig darauf, daß ein Fisch anbeißt.
Wir haben in den vierzehn Tagen, die wir unterwegs sind, nicht
einen Fisch gefangen. Das Wetter am letzten Tag der Reise ist
genauso wie am ersten Tag, als wir an Bord gingen, trüb und nach
Regen aussehend. Der Barometerdruck, der zwei Wochen lang stabil
blieb, fällt seit gestern. Die Stationsmeldungen sagen aber
keine starken Winde voraus. Mit Blick auf den Felsen Corbelli,
der uns gestern Nacht so große Sorgen bereitet hat, stechen wir
in See. Die Windrichtung ist günstig, so daß wir so gut wie die
gesamte Distanz bis Piombino unter Segel zurücklegen können.
Nördlichen Kurs steuernd, geht es an der Ostküste Elbas
entlang, vorbei am Hafen von Porto Azurro, dessen Einfahrt von
dem sternförmigen Fort Forte di Longone überragt wird, zwischen
den Inseln Bataila und Centosa hindurch, bis wir auf dem Festland
die häßlichen Schornsteine der Industrieanlagen sichten, wo
früher die Erze aus Elba verhüttet wurden. Mit Windstärken von
10-12 Knoten machen wir eine Fahrt von über 4 Knoten, so daß
wir bereits am frühen Nachmittag in der Marina von Salivoli an
Land gehen können.
Während mir an einer schnellen Rückkehr gelegen ist, wollen die
anderen, die erst morgen heimreisen, den Tag noch einmal richtig
dazu nutzen, um Segelmeilen gutzumachen, deren wir tags zuvor
nicht so viele, als es hätten sein können, erworben haben, und
das, obwohl sie wissen, wie dringend ich zum Zug muß. Dabei ist
es ausgesprochen unklug, sich zu guter Letzt noch unter
zeitlichen Druck zu bringen und sich, anstatt die Seereise
entspannend ausklingen zu lassen, zum Schluß noch irgendwelche
Fehler zu erlauben. Und in der Tat tritt, wie befürchtet, genau
das ein, denn das Anlegemanöver gerät zu einem mittleren
Desaster. Zunächst verfehlen wir die uns zugewiesene Box,
treffen schräg und viel zu dicht auf den Landesteg auf, so daß
abgefendert werden muß, um nicht dagegenzuschlagen. Die
Leinenbelegung an den Pollern verläuft derart unkoordiniert,
daß das Schiff eine Schräglage einnimmt und längsseits, nicht
mehr manövrierbar, auf den Kai zutreibt, wo normalerweise drei
Yachten Platz finden sollten. Nur der tatkräftigen
Unterstützung des Nachbarliegers haben wir es zu verdanken, daß
wir von seinem Schiff ferngehalten werden. Nicht auszudenken, was
passiert wäre, wenn niemand dort an Bord gewesen wäre, der uns
herumgezogen hätte. Vorn am Bugkorb stehend, werden mir die
widersprüchlichsten Kommandos erteilt, und nur meiner eigenen
Denkleistung ist es zu verdanken, daß ich mich spontan für das
richtige entscheide. Im Bugkorb hängend, stemme ich mich nach
Kräften gegen das vorausliegende Schiff und versuche uns
wegzudrücken, wobei ich mir einige Seitenhiebe ob der kopflosen
Kommandos nicht verkneifen kann. In der Tat, wenn dieses unser
Schiff ein Kriegsschiff wäre, so wäre es wahrscheinlich das
erste, welches versenkt würde. Irgendwann in diesem Stadium der
äußersten Hilflosigkeit erwischt der Vorschoter mit seinem
Bootshaken die Mooringleine, an der wir uns schließlich wieder
ausrichten. Bis zu diesem Zeitpunkt vergehen Minuten des Bangens,
die uns wie Stunden vorkommen. Bei alldem wundert mich, wie die
Mannschaft ihre eigene Unzulänglichkeit durch groteskes
Lustigsein und heiteres Scherzen übertüncht. Doch ist dies ein
ganz typisches Verhalten, welches ich mehrfach schon in brisanten
Situationen erlebt habe. Menschen, denen der Tod vor Augen
schwebt, schütten in diesem Bewußtseinsstadium sogar noch
Glückshormone aus, die ihnen ihr bevorstehendes Schicksal
erleichtern helfen. Zur Schau gestelltes Selbstbewußtsein hilft
denen, die von Selbstzweifeln zernagt werden, über ihre Blamage
hinweg. Im klugen Sprücheklopfen waren sie alle immer groß,
wenn es aber darauf ankam, haben sie kläglich versagt. Nicht
einmal habe ich erlebt, daß der Skipper einen Anleger selbst
ausgeführt hätte, wie es gute Seemannschaft erfordert. Stets
stand er nur an Deck und gab seinen Leuten Befehle wie Colonel
Custer in der Schlacht am Little Bighorn, ohne daß er jemals
selbst eingesprungen wäre. Auch die Schlußszene aus dem Film
"Das Boot" würde gut zu unserer Situation passen.
"Weil aber der Herr die Seinen stets beschützt, hat er sie
zwar gezüchtigt, aber nicht vollends der Verdammnis
preisgegeben." Somit geht ein Segeltörn zu Ende, der unter
extremeren Bedingungen leicht zu einem Fiasko hätte werden
können. Nur dem Gott des Windes, Äolos, haben wir es zu
verdanken, daß die Winde meist schwach waren oder gänzlich
fehlten. So wie wir uns verhielten, verhalten sich Männer, die
ein zu ausgeprägtes Gefahrenbewußtsein besitzen, gewissermaßen
durch das systematisch erlernte Wissen darum, was theoretisch
alles passieren könnte. Die besten Piloten sind aber diejenigen,
die sich in ein Flugzeug setzen, ohne daß sie sich permanent
vorstellen, was beim Fliegen alles passieren kann, und die seit
jeher bei einem Luftkampf am erfolgreichsten waren. Wir indes,
wir würden gar nichts mehr riskieren, weil uns der Glaube an uns
selbst gänzlich abhanden gekommen ist. Nicht erst, als ich die
zerfetzte Fahne sehe, während wir unseren Heimathafen anlaufen,
habe ich für mich die Entscheidung getroffen, mit diesem
Reiseveranstalter nicht ein einziges weiteres Mal ein Risiko
einzugehen, und ich kann es beinahe nicht glauben, als ich aus
der Hülle des Skippers meine Kaution zurückerhalte, die ich
insgeheim schon abgeschrieben hatte. Der Zettel, den ich zum
Schluß der Reise ausfülle, enthält lauter Bewertungen, die um
mindestens eine Note zu gut ausgefallen sind. Vielleicht ist es
ein Akt der Gnade, den Menschen nicht immer die volle Wahrheit zu
sagen, eine gute Portion Mitleid, weil man an den anderen auch
positive Züge entdeckt haben mag.