Schon seit frühester
Jugend war es mein Bestreben, auf den Spuren Alexanders
des Großen zu wandeln, jenes glorreichen Bezwingers der
Völker des Orients. In den Büchern des Herodot hatte ich
gelesen, daß es neben den alten Griechen noch ein
zweites hochstehendes Volk gab, welches aus dem Kaukasus
kam und sich auf indogermanische Vorfahren zurückführen
konnte, und daß es lange Zeit auf des Messers Schneide
stand, welches dieser Völker dereinst die Weltherrschaft
davontragen würde. Und als ich begierig die
Alexanderbiographien eines Arrianus und Curtius Rufus in
mich aufgesogen hatte, da konnte ich nicht umhin, mir
die Schauplätze jener allgewaltigen Kampfhandlungen, den
unglaublichen Siegeszug der lanzenstarrenden Phalanx
gegen die pfeilbewehrten Söhne Zarathustras, selbst
anzusehen. Also beginnt die Reise zu den Achämeniden.
Nach einem hektischen
Aufbruch heute morgen habe ich es tatsächlich geschafft,
rechtzeitig zum Einchecken am Schalter der Iran Air in
Frankfurt einzutreffen. Eigentlich war ich der Meinung,
mein Zubringerflug wäre Business Class, aber ich sehe
mich getäuscht, ich lande in der Economy: ein Geschenk
der Lufthansa.
Am Schalter der Airline
muß ich erst einmal längere Zeit warten. Entgegen dem,
was aufgrund der existierenden Kleidervorschriften zu
erwarten steht, scheint hier in Frankfurt jedenfalls
niemand über deren Einhaltung zu wachen. Weder die
Fluggäste noch das weibliche iranische Schalterpersonal
hält sich an die gemachten Auflagen. Einige Konservative
freilich halten ihr Haupt bedeckt. Wie ein Riese komme
ich mir vor unter den in der Regel etwas klein geratenen
Iranern.
Kaum, daß die Schalter
geöffnet werden, erscheint auch schon eine Gruppe
Oppositioneller zu einer Protestkundgebung. Sie glauben
auf diese Weise die Hinrichtung von vier iranischen
Studenten verhindern zu können, wie aus den
Transparenten hervorgeht. Polizisten halten den Zugang
abgeriegelt. Die Demonstranten werden bei ihrem Tun von
der Polizei gefilmt und photographiert. Hätte mir jemand
in dieser Situation ein Flugblatt überreicht, so hätte
ich mit Hinweis auf meine private Mission höflich
abgelehnt. Wenn ich ehrlich bin, kümmern mich die
politischen Verhältnisse im Iran wenig, im Gegenteil,
ich finde es sogar außerordentlich spannend, wie man mit
Repressalien wie diesen umzugehen lernt, um nicht die
Konsequenzen möglicher Übertretungen am eigenen Leibe
verspüren zu müssen.
Nachdem mein Handgepäck
bereits in München eingecheckt worden ist, brauche ich
nicht lange zu warten und werde bevorzugt abgefertigt.
Als die Schalterbeamtin ihren Kollegen hinsichtlich
dessen Äußerung betreffs des zulässigen Gesamtgewichts
korrigiert, erfahre ich sogleich etwas über die
empfindliche Seele der iranischen Männer. Diese reagiert
nämlich auf weibliche Besserwisserei und Beanstandung
sehr ungehalten. So muß sich die Frau mehrmals bei ihrem
Kollegen entschuldigen, und selbst dann noch scheint
nicht sicher, ob er ihr die erteilte Rüge auch wirklich
verziehen hat.
Die Grenze zu Allah wird
im Flugzeug gezogen. Bereits den Warteraum betreten die
meisten Frauen nicht ohne Kopftuch. Auch einige Männer
in kurzen Ärmeln halten sich dort noch auf. Im weißen
Hemd aufkreuzend, komme ich mir ganz schön mutig vor,
dennoch ist diese Farbe zumindest erlaubt. Auch Blue
Jeans, von denen ich anfangs dachte, daß sie in dem
Lande verpönt seien, scheinen durchaus gestattet. Etwas
befremdlich wirkt dieser Mummenschanz schon, aber ich
denke, man wird sich daran gewöhnen. Was mir zunächst
gar nicht einleuchten will ist, daß sich soeben ein
junger Mann im Warteraum geschminkt hat, was in diesem
Land als grobe Unhöflichkeit gilt.
Als wir mit über einer
Stunde Verspätung in Teheran ankommen, werden zunächst
die üblichen Formalitäten abgewickelt. Ich bin erstaunt,
daß wir keinerlei Schikanen über uns ergehen lassen
müssen, nicht einmal unsere Koffer werden geöffnet. Als
ich durch den Zoll hinaus in die Empfangshalle trete,
bin ich nicht wenig erstaunt. Welch ein Empfang! Er gilt
zwar nicht unbedingt uns, aber mit den Tausenden von
Blumensträußen, mit denen den Angekommenen aufgewartet
wird, läßt sich das Ungemach der langen Reise schnell
vergessen.
Teheran scheint eine
gewisse Höhenlage einzunehmen, seine nördlichen Viertel
liegen direkt an den Abhängen des Elburs-Gebirges.
Entsprechend kühl ist auch die Außentemperatur, ich
schätze, wir messen nicht einmal 20 °C.
Das Gedränge auf dem
Flughafen ist schier unerträglich, denn die Leute haben
keinerlei Berührungsängste und gehen sogleich auf
Tuchfühlung.
Frühmorgens kommen wir im
Hotel an, nach einer guten halben Stunde Fahrtzeit vom
Flughafen. Aufgrund der späten Ankunftszeit scheint man
Erbarmen mit uns zu haben, und wir dürfen im Hotel
übernachten. Es werden jeweils Doppelzimmer vergeben,
Unverheiratete dürfen nicht gemeinsam in einem Zimmer
nächtigen. Unter den drei letzten ziehe ich das große
Los und bekomme ein Einzelzimmer, d.h. ein schönes
großes Doppelzimmer für mich allein, der Urlaub fängt
gut an.
Offenbar aufgrund eines
Mißverständnisses sind wir die ersten beim Frühstück,
das sehr bescheiden ausfällt: zwei Spiegeleier, zwei
Brötchen mit Butter und Konfitüre, dazu ein Glas
Fruchtsaft und ein Kännchen Tee. Der Frühstücksraum
bietet nicht das gewohnte Ambiente eines vergleichbaren
europäischen Hotels. Außerdem mißfällt mir, daß überall
nur Männer herumsitzen, während man die Frauen vor uns
versteckt hält. Es ist geradezu paradox: Während sich
die Männer nahezu alles erlauben dürfen, befinden sich
die Frauen allesamt in einem einzigen großen Kloster. Je
strenggläubiger eine Familie, desto mehr ähnelt die
Damenbekleidung der einer Nonne. Westliche Musik darf
zwar gespielt werden, jedoch ohne den dazugehörigen
Gesang. Auf englisch zu singen, wie wir es kennen, ist
im Gottesstaat verboten.
Unsere Stadtrundfahrt
durch Teheran führt uns zunächst zum Golestanpalast, in
dem ein kunstgeschichtliches Museum eingerichtet ist,
das aber nicht weiter zurückreicht als bis in die
Kadscharenzeit. Schnell sind einem Volk seine
handwerklichen Fähigkeiten abhanden gekommen, sowie die
Erzeugnisse in Faktoreien günstiger herzustellen sind.
Das Innere des Palastes ist derzeit noch nicht der
Besichtigung zugänglich. Vor allem die bunten Trachten
sind es, die von einer filigranen Fertigkeit in der
Webkunst zeugen.
Im Anschluß an den
Golestanpalast ist das Nationalmuseum von Iran unser
Ziel. Obwohl das Gebäude groß angelegt ist, ist dennoch
erstaunlich wenig an Exponaten ausgestellt, von den
erlesensten, z.B. der Gesetzesstele des Hammurabi, sogar
nur Plagiate. Alle wesentlichen Ausgrabungen dieser Welt
wurden in den letzten hundert Jahren allein von
Europäern durchgeführt. In Persien zollt man der eigenen
Vergangenheit nur geringes Interesse. Daher werden die
Altertumswissenschaften traditionell wenig gefördert.
Aufgrund der großen Hitze
ist das Interesse allerdings auch bei uns nicht lange
wachzuhalten. Ermattet lasse ich mich nach dem
Stadtrundgang in das Couchpolster unseres Hotels sinken
und nicke mehrmals ein. Zu meiner größten Überraschung
spricht mich die junge Frau, die am Empfang sitzt, an
und fragt, ob ich einen Tee möchte. Ich nicke
zustimmend, möchte ihn auch bezahlen, aber sie winkt ab.
Durch derartige Gesten werde ich erneut in Erstaunen
versetzt.
Unser heimischer Führer,
Ali ist sein Name, kommt rechtzeitig vor Abfahrt ins
Hotel und verwickelt mich sogleich in ein Gespräch. Es
stellt sich heraus, daß der Entführungsfall zweier
Spanier, der sich Wochen vorher ereignete, in seiner
Gruppe passiert ist. An diesem Tag war sein Foto in
allen Zeitungen. Vorfälle wie dieser schrecken natürlich
Touristen auch immer wieder ab. Es wird uns daher
geraten, uns keinesfalls auf politische Diskussionen
einzulassen. Es könnte sich um eine Falle handeln, die
zuschnappt, sowie auch nur ein falsches Wort gesagt
wird, das einen sofort ins Gefängnis bringen kann. Die
deutsche Botschaft würde sich dabei nicht einmal
einschalten, heißt es. Auch, was den Kontakt zum
weiblichen Geschlecht betrifft, sollte man besser
vorsichtig sein. Wie ungerecht! denn die Perser machen
mit unseren deutschen Frauen, was sie wollen, ihre
eigenen aber schirmen sie sorgsam vor uns ab. Unsicher
im Umgang mit persischen Frauen geworden, frage ich die
Dame, die mir soeben den Tee serviert hat: „Do you speak
English?“ Sie lächelt nur verlegen und sagt leise: „A
little!“ Mehr als: „Thank you very much, I feel better
now“, wage ich jedoch kaum noch zu antworten.
Nach dem Museumsbesuch
gehen wir zum Mittagessen ins Grand Hotel. Die Tische
dort sind so hoch, daß die Teller bis fast an den Mund
reichen. Wer also geglaubt hat, hier im Grand Hotel auch
ein entsprechendes Ambiente vorzufinden, sieht sich
bitter enttäuscht; der Speisesaal und die
Selbstbedienung ähneln mehr einer Kantine.
Nach der Mittagsrast
fahren wir in den Norden Teherans hinauf, in die
Villenviertel, und nach Saadabad, dem ehemaligen
Sommerpalast des letzten Schahs. Hier wird allerorts
viel gebaut, extrem futuristische Hochhäuser schießen
wie Pilze aus dem Boden. Teheran hat zur Zeit eine
Bevölkerung von 6 Millionen, ein Bevölkerungswachstum
von 6 %; nur die Löhne sind nicht entsprechend
mitgewachsen. So müssen denn auch hier viele Leute mehr
als einen Job annehmen, um überleben zu können.
Die Sommerresidenz des
Schahs, die sich eng an die Steilabfälle des
Tochālgebirges schmiegt, zu Füßen einer majestätischen
Landschaft, gleicht einem gepflegten Platanenhain. Es
grenzt fast an ein Wunder, daß man die Exponate nach dem
Sturz des Schah-Regimes an Ort und Stelle belassen und
die Anlage der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
Während die Masse notleidend war, hat die Schah-Familie
eine glänzende Hofhaltung betrieben, worüber allein die
Einrichtung Bände spricht: erlesenes Mobiliar, wertvolle
riesige Teppiche, Kronleuchter aus französischem Glas,
Geschirr aus deutschem Porzellan und wertvolle
Kunstgegenstände aus aller Welt, die die Schahs
seinerzeit als Geschenke erhielten. Gemälde, die ihre
Vorfahren auf der Jagd oder als erfolgreiche
Kriegshelden darstellen, schmücken die Wände. All dies
paßt eigentlich nicht zum schlichten Äußeren des
Gebäudes. Weitläufige Parkanlagen mit zahlreichen
Teichen garantierten der königlichen Familie die
notwendige Bewegung an der frischen Luft.
Früher konnte man über
dieses Gebirge in wenigen Stunden hinüber zum Baden im
Kaspischen Meer fahren. Aber die Zeiten der
Freizügigkeit sind leider vorbei. Mit den benachbarten
russisch-islamischen Teilrepubliken liebäugelt Teheran
schon lange. Daher ist sein Blick vornehmlich nach Osten
gerichtet, während man den Westen verachtet, obwohl man
ohne ihn nicht auskommt.
Nach frühem Wecken
verlassen wir Teheran noch im Morgengrauen. Als wir am
modernen Wahrzeichen der Stadt, dem Shahyad-Denkmal,
anlangen, geht gerade die Sonne auf. Dem von einem
jungen Architekten vorgelegten Entwurf dichtet man
heutzutage Überlegungen an, die dieser sich
wahrscheinlich niemals gemacht hat. Unten hat es die
Form eines Nomadenzeltes, als der Wurzel jeder
iranischen Bevölkerung, nach oben läuft es in Form eines
quadratischen Turmes aus, dem Symbol der Seßhaftwerdung.
Das Ganze ist noch mit arabischen Spitzbögen verziert,
womit auch der Islam seine tragende Rolle zum Ausdruck
bringt.
Nachdem wir die
industriellen Vororte Teherans verlassen haben, nimmt
die Landschaft schlagartig Wüstencharakter an. Der Boden
ist zwar mineralreich und würde eine Bewirtschaftung
durchaus ermöglichen, aber nur mit dem ungeheuren
Aufwand einer künstlichen Bewässerung.
Über Sevah zieht sich die
gut ausgebaute Straße hinauf ins Zagrosgebirge. Obwohl
der Himmel absolut wolkenlos ist, liegt eine in Staub
gehüllte Dunstglocke über uns, so daß sich die Umrisse
nicht wie sonst in plastischen Formen abzeichnen. Es
scheinen dies aber noch immer die gleichen Landschaften
zu sein, durch die sich einst die Alexanderheere
bewegten, auf ihrem Zug durch Gedrosien. Der Boden unter
den Füßen ist fest, nur spärlich von ausgedörrtem Gras
bewachsen, ein ideales riesiges Schlachtfeld, geeignet
für das Aufmarschieren gewaltiger Heere.
Auf der Hochebene von
Hamadan, dem antiken Ekbatana, wo Alexander die Schätze
aus Persepolis und Susa sammeln ließ, treffen wir wieder
auf Kulturland mit Anbauflächen. Schlagartig hat sich
auch das Landschaftsbild geändert: endlose Schuttberge,
Erosionsablagerungen ehemaliger Meeresböden, die ihre
Sand- und Geröllmassen hinab zum Meere wälzen, im ewigen
Kreislauf des Werdens und Vergehens.
In der größten
Mittagshitze erreichen wir Hamadan. Dort befindet sich
die einzige erhaltene Rundplastik aus hellenistischer
Zeit, ein steinerner Löwe, der einst ein Eingangsportal
zu einem Palast flankiert haben mag. Die Legende weiß
zu berichten, daß diejenigen Frauen, die diesen Löwen
vor ihrer Niederkunft berühren, Söhne gebären werden und
die Kraft des Löwen auf diese übergehen wird. Jedenfalls
scheint dieser steinerne Löwe schon so oft berührt
worden zu sein, daß er völlig abgegriffen ist.
Das Grabmahl des
Avicenna, des größten Universalgelehrten des
Mittelalters, ist eigentlich keinen Besuch wert. Es wäre
angesagter, sich mit den Lehren dieses Mannes zu
befassen, anstatt bloß seine Grabplatte zu inspizieren.
In Hamadan gibt es kein
Wasser zu kaufen, der Flüssigkeitsbedarf kann daher nur
durch große Cola-Mengen gedeckt werden. Überhaupt
trinken die Orientalen gerne sehr süß, alle Arten von
Limonaden, Fruchtsäften und gesüßter Tee sind die
beliebtesten Getränke.
Weiter geht es auf der
alten Heerstraße, die gen Bagdad läuft. Alle Heere, alle
Eroberer hat diese Straße gesehen. Ihren einstigen
Verlauf könnte man allenfalls noch auf Satellitenbildern
erkennen. Nach Norden würde uns der Weg nach Kurdistan
und zur türkischen Grenze bringen.
Vom 2150 m hohen Shan-Paß
hat man eine weitreichende Aussicht; da aber alles in
Dunst getaucht ist, ist die Fernsicht ziemlich
eingeschränkt. Unten im Tal liegt die Stadt Asadabad,
von 3000ern umrahmt.
Noch bei Tageslicht
kommen wir in Behistan an, dem Ort des Felsreliefs,
welches Darius meißeln ließ. Leider ist das Relief
eingerüstet, da es bereits unausweichlich der Zerstörung
anheimgefallen ist. Unterhalb des Reliefs liegt eine
heilige Quelle. Alle Heerführer, die hier vorbeikamen,
waren gezwungen, zu Füßen der tausend Meter hohen
Felswand vorüberzugehen. Die Darstellung verherrlicht
die Siege des Darius über die sogenannten Lügenkönige.
Allen Widrigkeiten trotzt
aufs bizarrste die wilde Berglandschaft, die diesen
heiligen Ort umgibt, und erst im warmen Abendlicht
fangen die Konturen an, sich schattenwerfend aufs
plastischste abzuzeichnen. Man muß nicht viel Fantasie
aufbringen, um den Boden unter den Füßen von des Darius’
Heerscharen erzittern zu hören.
Im Gegensatz zu den
persischen Herrschern hat der spätere Sieger Alexander
keinerlei sichtbare Zeichen seiner Macht hinterlassen.
Als wir im Hotel in
Kermānschāh ankommen, werden wir von elenden Gaffern
umringt, das ganze Volk scheint sich gegen uns
zusammenzurotten. Leider sind wir gezwungen, uns wegen
möglicher Übergriffe ins Hotel zurückzuziehen. Am Abend
geht dort das Wasser aus, gerade, als ich eingeseift
unter der Dusche stehe. Nur mit Mühe gelingt es mir mit
einem schwachen Strahl, das Wasser aus den Haaren zu
spülen. Auch solche Erlebnisse gehören zu einer
Persienrundreise.
Die Bevölkerung, die hier
lebt, überwiegend Kurden, ist noch ziemlich ursprünglich
und wild. Kleinere Geschenke werden einem ohne
Dankeschön förmlich aus der Hand gerissen. Beim Kauf von
Badesandalen zerrt mir der Ladenbesitzer einen
Zehntausend-Rial-Schein geradezu aus dem Portemonnaie.
In Tāq-e Bostān bei
Kermānschāh findet man noch bewundernswerte parthische
Felsreliefs. Eine Besichtigung ist aber wegen der dann
ungünstigen Lichtverhältnisse nicht vor Mittag zu
empfehlen. Der Erhaltungszustand der Reliefs gereicht
auch nicht gerade zum Besten, da den Figuren nach dem
Machtwechsel die Augen ausgeschlagen und die Gliedmaßen
zertrümmert wurden. Zu sehr haben die letzten
prunkliebenden Partherkönige das Volk ausgebeutet. Die
Rüstung Josraus, des letzten Partherkönigs, diente als
Vorbild für unsere mittelalterlichen Ritterrüstungen.
Die Stadt selbst ist ein
Pulverfaß. Beim geringsten Anlaß können hier Revolten
ausbrechen. Eine Gruppe Kurden durchbricht just in dem
Moment die Absperrungen und klettert behende die Felsen
hinauf. Erst mittels polizeilicher Gewalt gelingt es,
den Übermut der Leute, unter denen mir selbst die Alten
wie Kinder vorkommen, zu bändigen. Als ich nach der
Besichtigung Kugelschreiber an die Kinder verteile,
verbietet mir der Reiseleiter selbiges. Die Kinder
liefen Gefahr, unter die Räder zu kommen, meint er, wie
ihm dies einmal in Pakistan passiert sei. Der
Betreffende könne sodann sein Einfamilienhaus
verpfänden, führt er weiter aus, andernfalls sei die
Reise für ihn beendet.
Als ich nach dem Besuch
des Basars zum Fahrzeug zurückkomme, werde ich von den
kleinen Buben einige Male mit „Heil Hitler!“ begrüßt,
wobei einige noch zum Hitlergruß ausholen. Die
Ahnungslosen ahnen freilich nicht, daß sie selbst nicht
gerade den Rassenvorstellungen der Nazis entsprochen
hätten. Vielleicht mag es an unserer besonderen
Vergangenheit liegen, daß mir solches widerfahren ist,
vielleicht auch an meinem olivgrünen Aufzug, aber es
werden auch gänzlich zivil Gekleidete unter meinen
Mitreisenden in gleicher Manier provoziert. Die Kinder
drücken allerdings nur das aus, was die Alten denken.
Wir verlassen Kermānschāh
gegen 10 Uhr. Sobald die Sonne wieder etwas
hochgeklettert ist, ist schlagartig die ganze Landschaft
in gleißendes Licht getaucht. Es gibt nichts, weder Baum
noch Strauch, was die Strahlung absorbieren könnte.
Dumpf brütet die Mittagshitze über den Feldern, es hat
schon lange nicht mehr geregnet. Nach zwei Stunden Fahrt
erreichen wir bewaldete Höhenzüge. Es ist jedoch nicht
erkennbar, ob es sich um natürlichen Wald oder um
Aufforstungen handelt.
Am Rande der Straße steht
Kriegsgerät, das man zum Zwecke eines Veteranenfestes
eigens dafür eingesammelt hat. In der Öffentlichkeit
sind die ca. 250000 Männer, die als Blinde, Krüppel oder
Rollstuhlfahrer den Rest ihres Lebens fristen müssen,
nicht zu sehen. Sie werden bewußt den Blicken entzogen,
weil man es aus uraltem Aberglauben immer noch für etwas
Schändliches hält, die Folgen des Krieges vorzuzeigen.
Rudimentär vorhanden sind
auch immer noch die Nachwehen des Mithraskults, z.B. bei
der noch heute ausgeübten Beschneidung. Während man dem
Mann durch die Beschneidung die Lustgefühle bei der
geschlechtlichen Vereinigung erhöht, werden sie der Frau
umgekehrt entzogen. Nur vor dem Hintergrund überkommener
Vorstellungen sind diese für uns irrationalen
Verhaltensweisen und Gebräuche nachvollziehbar.
Die Klimazone, die wir soeben durchquert haben, ist
mittlerweile durch eine andere abgelöst worden. Die vom
Meer herangeführte Luft enthält genügend Feuchtigkeit,
um wenigstens das Gedeihen von Hartlaubgewächsen zu
ermöglichen. Dann ist es Zeit für eine Mittagsrast.
Die Auswahl an Gerichten auf der persischen Speisekarte
ist äußerst bescheiden. Grundnahrungsmittel ist immer
wieder der Reis. Dazu gibt es entweder Kebab oder Huhn.
Als Getränk wird schwarzer Tee gereicht. So geht es
tagein, tagaus, eine fantasielosere Küche ist mir noch
nirgendwo untergekommen.
Wie der Vormittag, so auch der Nachmittag. − Im Moment
rollen wir über ein ehemaliges Flugfeld, das während des
Krieges gegen den Irak angelegt worden ist. Kurze Zeit
später treffen wir etwas abseits der Straße auf
Nomadenzelte. Da die Männer meist abwesend sind, ist
das Betreten des Camps nicht gestattet. In diesem weiten
Nomadengebiet um uns ziehen sich die Felder bis an die
Hänge der Berge hinauf. Immer häufiger tritt nun auch
die fruchtbare Humusschicht zutage. Ein von der Sonne
gesegnetes Land! Wir messen Außentemperaturen von 33,5
°C, und das bei extremer Trockenheit, so daß man die
Wärme gut ertragen kann. Im April ist es in dieser
Höhenlage von ca. 1300 m noch ziemlich kalt, so daß man
einen Anorak braucht.
Nahe der Straße findet man einige Heldengedenksteine,
die wie Menhire gesetzt sind, nur zusätzlich beschriftet
und mit Skulpturen verziert. Oberhalb eines Kurdendorfes
machen wir einen kurzen Fotostop, kurz, weil in der
Regel die Kinder sehr schnell angelaufen kommen und
Steine hinter uns her werfen.
Die nun folgende Strecke führt durch ein geologisch
außerordentlich interessantes Gebiet von Lockergestein,
das sich aus ehemaligem Meeresboden gebildet und zu
Falten aufgeworfen hat.
Während der Schilderung des Kurdenkonflikts durch
unseren Reiseleiter erhebt einer meiner Mitreisenden,
ein deutschsprechender Spanier oder ein
spanischsprechender Deutscher, der in Begleitung einer
Mittelamerikanerin reist, lautstarken Protest, als harte
Worte über die Kurden in Europa und den durch sie
verursachten Konflikt fallen. Sogleich wird dem
Reiseleiter Rassismus zum Vorwurf gemacht, obwohl ihm
die Mehrheit der Mitreisenden stillschweigend zuhört und
innerlich recht gibt. Es ist wieder einmal bezeichnend,
wie duckmäuserisch Deutsche mittlerweile geworden sind,
die sich durch Einengung ihrer Meinungsfreiheit beinahe
nichts mehr zu sagen trauen. Der Kurdenkonflikt ist
derzeit unlösbar, weil das traditionelle Siedlungsgebiet
der Kurden in einem Dreiländereck liegt und dort ein
Staat entstünde, der sämtliche wichtigen
Durchgangsstraßen blockieren könnte. Im übrigen wäre ein
solcher Staat, der rings von Feinden umschlossen ist,
überhaupt nicht lebensfähig. Die Kurden selbst scheinen
dies jedoch nicht begreifen zu wollen. Im übrigen ordnen
sich ja die im Iran lebenden Kurden bis auf weiteres den
Territorialansprüchen des Landes unter.
Über drei Steilabfälle
führt die Paßstraße hinab ins Zweistromland. Malerisch
ist der Abschnitt längs des längsten Flusses Irans, des
Dez, über dessen grüne Fluten eine in sassanidischer
Zeit von römischen Kriegsgefangenen erbaute Steinbrücke
führt. Von den einstmals acht Pfeilern sind mehr als die
Hälfte eingestürzt. Dennoch dürfte diese Brücke eine
Meisterleistung römischer Baukunst gewesen sein. Die
hierzu versklavten Römer zählten zu den Legionen des von
Ardaschir I. gefangengenommenen römischen Kaisers
Julian.
Erneut schwingt sich die
Straße hinauf auf einem Paß und anschließend wieder
hinunter ins Tal. Dichter Schwerverkehr behindert ein
rasches Vorankommen. Einen gewissen Trost stellt dar,
daß die Paßhöhe einen atemberaubenden Blick auf den
Steilabfall des iranischen Hochlandes bietet. In der
abendlichen Sonne geht es auf romantischen Steilufern,
welche aus brüchigem Konglomeratgestein bestehen,
entlang des Dez.
Im Flußbett sehen wir
eine Ansammlung von Fahrzeugen, wo Menschen in den
Fluten baden. Wie man sieht, ist auch das im Lande
möglich.
Aus rotbraunen
sonnenverbrannten Schutthalden steigen aus den
Überschwemmungstälern zahlreiche Inselberge auf, mit
bizarren Felsformationen. Über dem Flußbett ragt eine
alte sassanidische Festung empor, die einst die
Zufahrtswege sicherte. Gespenstisch zeichnen sich die
wilden, kammartigen Klötze über den Hochufern vor den
Schatten der untergehenden Sonne ab. Ein einzigartiges
Canyonsystem schneidet tiefe Furchen aus dem Gestein,
ein wildes Labyrinth aus aufgesetzten Steinkronen. Die
Flüsse, die diese Schluchten einst ausgewaschen haben,
sind heute zu Rinnsalen verarmt.
Als die Sonne ihre
letzten Strahlen über den Horizont schickt, öffnet sich
der Blick urplötzlich auf die mesopotamische Tiefebene:
kaum erkennbare Weiten, in abendlichen Dunst getaucht.
Hier steht die Wiege der Zivilisation, und mit den Augen
des reichen Elam geht mit Tausenden von Exemplaren
zerschossenen Kriegsgeräts, traurigen Überresten aus dem
Golfkrieg, ein erlebnisreicher Tag zu Ende:
„Mesopotamische Sonne, dein Glanz ist lange versunken!
Nie sah ich dich so dicht auf dem Haupte des Ahura Mazda
aufsitzen.“
Als ich nachts aufwache,
riecht es in meiner Umgebung ziemlich streng. Als sich
der Geruch auch nach einiger Zeit nicht verflüchtigt
hat, entschließe ich mich, eine andere Schlafstätte
aufzusuchen, um wenigstens den Rest der Nacht nicht
draußen im Freien verbringen zu müssen.
Auch in Dezful gibt es
wieder Reste einer alten, von Römern erbauten Brücke,
die allerdings stark modernisiert wurde. Die Altstadt
von Dezful wurde im iranisch-irakischen Krieg fast
völlig zerstört. In der Stadt befand sich in
sassanidischer Zeit auch eine große Festung, von der
allerdings keine Spuren mehr erhalten sind.
In Schuschtar liegt noch
eine gesamte Stadt nicht ausgegraben unter der Erde.
Eine ganze Generation von Archäologen könnte hier
beschäftigt werden. Die deutsch-iranische archäologische
Gesellschaft wurde jedoch mit der Machtübernahme der
Ayatollahs geschlossen.
Auf dem Weg nach Tschoga
Zanbil kommen wir an dem von französischen Archäologen
erbauten Château de Suse vorbei. Das etwas bombastisch
wirkende Schloß wurde ausschließlich aus hier
vorgefundenem Baumaterial errichtet. Es liegt auf dem
Ausgrabungshügel und diente der Selbstverteidigung gegen
räuberische Beduinen.
Vorbei am Hügel von Haft
Tepe gelangen wir nach Tschoga Zanbil, der
besterhaltenen Zikkurat von insgesamt 24 aufgefundenen
in ganz Mesopotamien. Tschoga Zanbil liegt in eine
unwirkliche Lößdünenlandschaft eingebettet. Einen
überwältigenden Eindruck gewinnt man sogleich bei
Ankunft an der in einer völlig abgeschiedenen Gegend
gelegenen Tempelanlage. Die aus gebrannten Ziegeln
hergestellte Stufenpyramide bestand aus ehemals sieben
Etagen, von denen die untersten von den Archäologen
restauriert wurden. Insgesamt 50 m hoch war der Tempel
einst, von dem heute noch bis zu 30 m seiner Gesamthöhe
erhalten sind. Majestätisch schweift der Blick von der
Spitze der Zikkurat herab auf die längs einer
Flußschleife des Dez sich hinziehende, von einer 9 km
langen Umfassungsmauer eingegrenzte und einen Tempel-
und Palastbezirk umgebende Stadt. Ganz oben auf dem
höchsten Punkt war das eigentliche Heiligtum
untergebracht, von dem heute freilich nichts mehr auf
unsere Zeit gekommen ist. Die Technik des Rundbogenbaus,
die damals bereits bekannt war, ist an einigen Stellen
noch gut zu erkennen. Wir sind die einzigen Touristen,
die jenen „Turm zu Babel“ heute besichtigen, ein fast
unbeschreibliches Gefühl von Freiheit beschleicht mich,
der ich das Glück habe, an diesem herrlichen Tag den
Himmel zu stürmen, mutterseelenallein, ohne Anwesenheit
auch nur irgendeiner Menschenseele, jenes
Monumentalbauwerk bewundern zu können.
Die Grabkammern einer
etwas abseits gelegenen Anlage wären zwar auch noch in
gutem Zustand, jedoch kann man sie aufgrund des
stickigen Geruchs, der von den darin lebenden
Fledermäusen ausgeht, nicht betreten.
Starke Regenfälle haben
die Ausgrabungsstätte bereits wieder zerstört. Es wäre
daher besser, die Anlage vollständig zu restaurieren und
verwitterungsbeständig zu schützen, anstatt sie
halbherzig wieder verfallen zu lassen. Hier in Tschoga
Zanbil hat man auch den Stier gefunden, der im
iranischen Nationalmuseum besichtigt werden kann.
Sodann brechen wir auf
nach Susa, einer Residenz der Achämeniden. Die Susiana
ist die Kornkammer Irans: endlose Felder, die
siebenfältige Ähren hervorbringen!
Susa selbst enttäuscht
ein wenig; vom weltberühmten Apadana, der Empfangshalle
der Könige, haben sich nur mehr spärliche Ruinen
erhalten. Zwar lassen die kümmerlichen Überreste die
einstige Pracht noch erahnen, aber einen wirklichen
Eindruck vom ursprünglichen Aussehen vermag man sich
ohne eine vernünftige Rekonstruktion nicht zu machen.
Im fernen Libanon ließ
Kyros Zedern fällen, aus Äthiopien Gold und Elfenbein
herbeiholen, und die Kalksteinsäulen wurden im
Zagrosgebirge gehauen. Alle Provinzialen und Statthalter
wetteiferten miteinander darin, dem König ein möglichst
noch gewaltigeres Geschenk zu machen als andere. Wer
seinen Nebenbuhler im Geben übertraf, dessen Aufstieg
und Einfluß beim Großkönig waren gesichert. Alexander
ließ das Apadana in Susa zerstören, um kundzutun, daß
die Herrschaft jetzt auf einen andern übergegangen sei.
Die Nachwelt fand darin einen günstigen Steinbruch vor,
so daß vom Glanz vergangener Tage nur mehr ein schwacher
Hauch zu spüren ist. Für die Freilegung der tieferen
Schichten sind bisher keinerlei Gelder freigegeben
worden; so harren denn die Funde vergangener Zeiten,
insbesondere der elamischen Kultur, erst noch ihrer
Enthüllung.
Vom sogenannten Grab des
Daniel ist eher die damit verknüpfte Legende von
Bedeutung als die eigentliche Sehenswürdigkeit, die noch
dazu von einer Moschee überbaut ist. Lediglich die Form
des Minaretts setzt die Tradition elamitischer Bauweise
fort.
Hinter Susa, in Richtung
Ahvaz, wird das Land zusehends wüstenhaft, weil einfach
Wasser fehlt; so ist dem Boden nur mit Mühe etwas
abzugewinnen. Die mittäglichen Temperaturen sind
mörderisch und liegen um die 40 °C. Um die
Schweißverluste auszugleichen, müssen große Mengen an
Flüssigkeit zugeführt werden. Die extreme Hitze scheint
zudem die Sinne der Menschen verwirrt zu haben, wie
Habichte stürzen sie sich auf die Melonenverkäufer. Am
eifrigsten zeichnen sich darin meine Reisefreunde aus.
Die Einheimischen sind nebenbei bemerkt ausgesprochen
freundlich. Nachdem ich als einziger keine Melone
gekauft habe, bekomme ich eine geschenkt.
Nach knapp zweistündiger
Fahrt, immer schnurgeradeaus auf unendlich ebener
Strecke, erreichen wir Ahvaz, ein Zentrum der
petrochemischen Industrie. Schon von weitem sichtbar
erkennt man die Abfackelungsanlagen. Und immer wieder
ausrangiertes Kriegsgerät! Bin ich noch gestern als
„Hitler“ begrüßt worden, werde ich heute, vermutlich
wegen meiner legeren Kleidung, als „Michael Jackson“
bespöttelt. Man kann es diesen Menschen offenbar nicht
recht machen.
Da wir heute einen etwas
längeren Fahrtag vor uns haben, brechen wir sehr zeitig
auf. Zunächst geht es über die ausgedehnten Erdölfelder
südöstlich von Ahvaz. Gespenstisch lodern die Brände der
Abfackelungsanlagen in den noch nächtlichen Himmel; es
sieht aus, als ob sich in der Nähe eine Reihe aktiver
Vulkane befände, aus denen Magma herausgeschleudert
wird. Die unendlichen Weiten der Susiana müssen ideal
gewesen sein für den Kampf auf dem Streitwagen, kein
Fels, kein Strauch, der die Fahrt behindert.
Teufelszungen gleich, ähnlich dem Hauch eines Drachen,
steigen die Stichflammen empor, über sich eine
pilzartige Dunstglocke unserer Zivilisation ausbreitend.
Als wir uns den Bergen nähern, steigt mit Macht die
Sonne hinter den Bergen hervor, um alsbald unsere im
Fahrtwind fröstelnden Glieder zu wärmen.
Die flachen
Schwemmlandebenen sind mittlerweile von
Lößhügellandschaften abgelöst worden, das Grün an den
Flußläufen wird allmählich dichter. Die
lehmhüttengleichen Behausungen der Bevölkerung
Khuzestans sehen sehr unordentlich aus: Jahrtausende des
Nomadentums lassen sich nicht so einfach wegstecken.
Wie von einem Erdbeben
aufgerissen ziehen sich natürliche Gräben über die
Lößböden, von dünenartigen Abhängen abgelöster Staub.
Khuzestan besitzt nicht nur große Erdölreserven, sondern
ist auf dem Weg zu einem Agrarland. Mithilfe
großangelegter Bewässerungsprojekte soll dem Boden
zunehmend Anbaufläche abgerungen werden, nach dem
Vorbild des vielgescholtenen Israel. Ein großes Problem
bei der Gewinnung von Agrarland ist dabei der
wohldosierte Einsatz des Wassers. Wird dem Boden zuviel
Wasser zugeführt, droht dieser zu versalzen. Durch
tiefer liegende Abflußgräben muß daher das überschüssige
Wasser wieder abgeführt werden, damit durch die
Verdunstung in der großen Hitze dem Boden nur genau
diejenige Menge zugeführt wird, die er auch tatsächlich
benötigt. Indem man das Bewässern auf die Nachtstunden
beschränkt, kann ebenfalls sichergestellt werden, daß
keine Versalzung eintritt.
Das Gebiet, welches wir
soeben durchqueren, ist mit oberirdischen Ölpipelines
überzogen, ein unwirkliches Gewirr von Rohrleitungen
überspannt das gesamte Tal, die Luft ist
petroleumgeschwängert. Zu unserer Linken türmt sich eine
berauschend schöne Bergwelt auf, fast senkrecht fallen
die Steilwände zur Schwemmlandebene ab. Während es im
Fahrzeug durch den Fahrtwind noch halbwegs auszuhalten
ist, ist die Hitze im Freien schier unerträglich, wir
messen 35 °C.
Um die Mittagszeit
erreichen wir nach einer Halbtagsfahrt durch das
Bachtiargebirge Bi-shapur, eine im typischen Baustil der
Sassaniden kreisrund angelegte Stadt. Bemerkenswert ist
dort ein sogenannter Tiefentempel, der von den römischen
Kriegsgefangenen, die Schapur mitgebracht und in die
Sklaverei geführt hat, erbaut worden ist. Der Innenraum,
ein von Mauern umgebener quadratischer Hof, ist aus
fugenrein aneinandergrenzenden, sorgfältig behauenen
Steinquadern errichtet. Die übrigen Gebäude wurden aus
Bruchsteinen gemauert. Hoch über der durch eine
angrenzende Schlucht führenden Paßstraße kann man noch
die Reste einer sassanidischen Festung erkennen. In die
steil abfallenden Felswände beiderseits des Flußbettes
wurden sassanidische Felsreliefs gemeißelt, die den Sieg
Schahpurs über Kaiser Julian verherrlichen. Des Königs
Pferd zertritt einen am Boden liegenden römischen
Legionär. Kulturfrevler haben mitten durch die Reliefs
eine Wasserleitung aus dem Stein gemeißelt und sie somit
auf ewig der Zerstörung preisgegeben. Die alte Stadt lag
in der Nähe eines Dattelpalmhains, wurde aber zugunsten
Kāzerūns aufgegeben.
Weiter geht die Fahrt bei
schier unerträglicher Hitze durch die immer gleiche
verkarstete Berglandschaft, die dadurch jedoch nichts
von ihrer Großartigkeit einbüßt. Zusehends wird die
Flora − wobei es eine Fauna nicht zu geben scheint − von
der Dattelpalme dominiert. Das einzige dem Menschen
vertraute Tier ist dabei das Schaf.
Mittags kann in der
Hitze kein großer Appetit aufkommen, eine Honigmelone
bietet hinreichend Nahrung und Flüssigkeit zugleich. Um
nach Firuzābād zu gelangen, müssen wir zunächst noch
eine Paßhöhe überschreiten. Hier leben die
türkischsprechenden Kaschgais als Halbnomaden. Sie
bilden insofern eine Minderheit, als alle
türkischsprechenden Völker im Norden leben und auf gar
keinen Fall im Süden Persiens anzutreffen sind.
Nachdem wir auf der
anderen Seite des Gebirges wieder abgestiegen sind,
taucht im abendlichen Dunst die Ebene von Firuzābād auf,
umrahmt von hohen Bergen. Auch in Firuzābād mußten die
Archäologen 1969 ihre Arbeiten einstellen. Es lohnt sich
für einen jungen Europäer heute kaum noch, Archäologie
zu studieren, da die Länder ihre Ausgrabungen inzwischen
weitgehend selbst durchführen.
Als wir zur Palastanlage
hinabfahren, werden wir erneut mit Steinen beworfen,
auch diesmal wieder von Kindern.
Im weichen Abendlicht
steht unvermutet die wie eine Festung wirkende
Ruinenstätte vor uns. Der ehemalige Prachtbau ist ein
eindrucksvolles Beispiel sassanidischer Baukunst, mit
Tonnen- und Kuppelgewölben und Rundbögen. Auch das
Mauerwerk ist höchst fugenrein gearbeitet. An einigen
Stellen ist noch Verputz erhalten geblieben, der
wiederum mit diesen ägyptischen Mustern verziert ist.
Vor dem Palast, der als Kult-, und nicht als Wohnstätte
diente, befindet sich ein kleiner Teich, an dem der
Herrscher ans Licht trat. Die Fachleute streiten noch
darüber, ob es sich um ein Feuerheiligtum oder den
Palast Ardaschirs I. handelt. Die Stadt selbst ist von
kreisrunden, kilometerlangen Wällen umgeben, um der Welt
zu signalisieren: Hier ist der Nabel der Welt.
Vorbei am Feuerpalast,
den wir am gestrigen Abend noch kurz besichtigt haben,
verlassen wir Firuzābād in Richtung Schirāz, durch eine
Schlucht, vorbei am Schlachtenrelief Ardaschirs. Nach
einigen Kehren taucht hoch über der Engstelle die
Trutzburg Ghal’e-Dokhtar auf. Ungeheuer plastisch
zeichnen sich die vom Morgenlicht beleuchteten Felswände
ab.
Von keinem der
Sassanidenkönige ist bisher das Grab aufgefunden worden.
Nach der Lehre Zarathustras wurden sie vermutlich
luftbestattet, d.h. das Fleisch der Toten wurde von den
Geiern abgenagt, ehe man die Knochen schließlich
verbrannte.
Linkerhand zieht gerade
ein von Maultieren getragener, farbenfroh gekleideter
Zug von Kaschgais vorüber, die eine Schafherde vor sich
her treiben.
Von Firuzābād erreichen
wir nach nur 65 km Fahrt das tiefer gelegene Schirāz,
das eingehüllt unter einer undurchsichtigen Wolke aus
Smog liegt. Immer, wenn der reinigende Wind ausbleibt,
versinkt diese Stadt ebenso wie Isfahan und Teheran
unter dieser Glocke. Schirāz erlebt wie alle großen
Städte Persiens gegenwärtig eine Bevölkerungsexplosion.
So ist die Einwohnerschaft von ehemals 270000 im Jahre
1969 auf heute über eine Million angewachsen.
Dementsprechend viel fruchtbares Ackerland geht für
Zweckbauten verloren.
Schirāz stand immer im
Schatten Isfahans, mit dem es stets wetteiferte, das es
jedoch nie überflügeln konnte. Schon die Vororte lassen
die Unsauberkeit erkennen, so daß die Stadt auf den
Besucher keinen guten Eindruck macht. Alles sieht noch
aus wie nach dem Mongolensturm.
Auf dem Flughafen von
Schirāz wurden während des Golfkriegs die irakischen
Kampfflugzeuge geparkt, um sie vor der Zerstörung zu
schützen, und dies, obwohl der Irak den Iran damit
angegriffen hatte. Plötzlich war der ehemals verhaßte
Feind nun doch wieder der arabische Bruder, woran man
erkennt, wer im Zweifelsfall zu wem gehört.
Ein neu errichteter
Hochhauskomplex überrascht durch die bunten Farben, in
denen die Fassaden gestrichen sind. Auch hier wieder ein
Beispiel, wie die strengen Regeln allmählich
durchbrochen werden!
Ein Karton deutsches Bier
kostet in Teheran auf dem Schwarzmarkt 250 DM. Wein aus
Schirāz wurde früher von den Engländern selbst noch in
Birma getrunken. Früher betete man zu Hause und trank in
der Öffentlichkeit, heutzutage betet man in der
Öffentlichkeit und trinkt zu Hause.
Unser erstes Ziel in
Schirāz ist der sogenannte Rosengarten, jene berühmte
Palastanlage der Kadscharen-Herrscher. Inmitten eines
Parks liegt dieses nach Art unserer Lustschlösser
erbaute, mit lange Zeit verdeckten Kachelmalereien
ausgeschmückte, kleine Palais, umgeben von
Springbrunnen.
Anschließend geht es zum
Mausoleum des Hafiz, des größten persischen Dichters im
13. Jahrhundert, der sich aufgrund seiner spitzen Zunge
gegenüber der Geistlichkeit, die er als heuchlerisch
anprangerte, mehrmals die Finger verbrannte. Prachtvoll
ist auch hier die Parkanlage mit Blick auf die
umliegenden Berge. Wenig reichhaltig hingegen ist der
Inhalt des Pars-Museums, das eigentlich keinen Besuch
lohnt.
Die alte Freitagsmoschee
befindet sich derzeit im Umbau. Das Beeindruckendste ist
wirklich die religiöse Inbrunst, mit der die Gläubigen
zu Gott hingewandt sind.
Die Festungsanlage ist
ein schlichter Ziegelbau mit vier runden Ecktürmen, der
im Innern keine besonderen Sehenswürdigkeiten enthält.
Im Basar bekommt man nur
maschinell gefertigtes Geschirr zu kaufen, und für die
teuren, handgewebten Perserteppiche ist unser Geldbeutel
wiederum zu schmal.
Auf der Fahrt durch die
Stadt jubeln uns immer wieder die Kinder zu. Auch wird
man häufig auf der Straße angesprochen, zumeist von
Jugendlichen, und in Small talk verwickelt. „Where are
you from?“ fragt ein Junge. „From Germany“, lautet die
Antwort. „O, the best country in the world“, müssen wir
uns daraufhin anhören. „Wenn der bloß wüßte“, denke ich
mir im stillen, „als ob Geld alles ist! Vielleicht haben
wir uns einfach mehr angestrengt als ihr, die ihr nur
auf eurem Öl sitzt und nichts daraus macht.“
Das Grabmal des Saadi ist
nichts besonders Aufregendes, schlicht in seiner Art und
eingerüstet, wiewohl der darin sich ergießende
Besucherandrang recht groß ist.
Nachdem ich gerade Kekse
gekauft habe, kommt ein Mann auf mich zu, um mir
ebenfalls einen Keks anzubieten. Als ich ihm erkläre,
ich hätte schon welche, bietet er sie mir trotzdem
weiterhin zum Kauf an, einfach nur, damit ich einen
Vergleich hätte. Orientalische Logik! Auch auf dem Basar
bietet mir ein Mann seine Dienste an, egal welche. Er
ist ein bißchen aufdringlich, so daß es nicht einfach
ist, ihn abzuwimmeln.
Von unserem
Übernachtungsort, einem Campingplatz, geht es von
Schirāz in einstündiger Fahrt hinauf nach Persepolis,
der gewaltigsten Ausgrabungsstätte Persiens. Wir
verlassen die Oase durch das Korantor, das einst den
Zugang durch eine enge Schlucht sicherte.
In den letzten Jahren hat
man um Persepolis petrochemische Industrie angesiedelt.
Der dadurch bedingte saure Regen frißt die noch
erhaltenen Reliefs buchstäblich auf. Die Palastanlage
ist auf einem Podest aus riesigen behauenen Quadern
errichtet. Über die Art und Weise, wie diese Blöcke zu
dieser gigantischen Höhe aufgeschichtet worden sind,
vermag man nur zu staunen. Von den ehemals zahlreichen
Säulen wurden einige wiederaufgerichtet. Die riesigen
Plastiken, zumeist Löwen- oder Stierskulpturen, zählen
zu dem Gewaltigsten, was ich in dieser Form je gesehen
habe; die bis zu 20 m hohen Säulen lassen die einstige
Pracht nur erahnen. Der gesamte Komplex schmiegt sich
eng an die Abhänge eines Gebirges. Von diesem hat man
einen überwältigenden Blick herab auf die
Ausgrabungsstätte. Hoch über dem Ganzen thront die in
den Felsen gehauene Grabkammer Artaxerxes III.
Die zahlreichen berühmten
Felsreliefs haben unter den Abgasen der in der Nähe
gelegenen Petrochemie ziemlich gelitten. Das ehemalige
Schwarz des Steins ist durch die Verwitterung zu einem
blassen Grau geworden. Die Unsterbliche Garde der
Völkerschaften ist dem unaufhaltsamen Verfall
preisgegeben. Jammerschade, daß diese Kulturdenkmäler
nicht in der gebührenden Weise erhalten werden!
Von oberhalb des Grabes
von Artaxerxes III. hat man den wohl umfassendsten Blick
auf das Ruinengelände. Vom Palast selbst, den Alexander
zerstören ließ, ist nicht mehr viel erhalten. Somit
fällt es schwer, in der Vorstellung die Vergangenheit
zum Leben zu erwecken. Wenn man in Geschichte bewandert
ist, so weiß man um die Erhabenheit des Ortes, weiß
seine Aura gebührend zu würdigen. Hier hielten nicht nur
alle persischen Großkönige seit Darius Hof, hier war
zugleich Sammelplatz erlauchter Würdenträger, die einmal
jährlich aus ihren fernen Satrapien hierhereilten, um
dem Großkönig Geschenke zu unterbreiten. Es muß genauso
gewesen sein, wie es auf der Treppe der Völkerschaften
dargestellt ist. Hier waren es die Äthiopier und Libyer,
die Gold, Elfenbein und wilde Tiere mitbrachten, dort
die Lyder, Syrer, Babylonier und Inder, welche ihre
Gaben ausbreiteten, und am Ende die Erlauchtesten von
allen, die Meder und Araber, mit den meistgeachteten
Geschenken: edlen Pferden. Sie alle mußten sich der
Proskynese unterwerfen, ihrem Großkönig durch Kniefall
huldigen.
Und dennoch war diese
gewaltige Macht dem Ansturm eines unscheinbaren
Häufchens von Griechen nicht gewachsen und zerbrach
unter der Gewalt der Phalanx, die die militärische Macht
der Makedonen begründete. In lanzenstarrender Reihe, zu
mehreren Linien hintereinander gestaffelt, dabei den
Paian anstimmend, stürmten die helmbewehrten Hopliten in
die Reihen der leichtbewaffneten Perser und rissen sie
regelrecht auf, bis ihr Widerstand gebrochen war und die
Feinde ihr Heil nur noch in wilder Flucht suchen
konnten. So sank schließlich nach dem Sieg der Hellenen
das Morgenland zur Bedeutungslosigkeit herab, wovon es
sich erst in parthischer Zeit allmählich wieder erholte.
Ob Alexander nun gut daran tat, die griechische mit der
persischen Kultur zu verschmelzen, bleibt eine offene
Frage, da ihm die Ausführung seines Vorhabens wegen
seines frühen Todes nicht mehr glückte. Zu verschieden
waren diese beiden Welten, was sich denn im raschen
Zerfall des Seleukidenreiches, welches lange vor der
arabischen Eroberung Persiens unterging, auch
bewahrheitete. Somit bleibt Persepolis ein Pseudonym für
das wechselseitige Ringen der Kulturen um Vorherrschaft.
Unweit von Persepolis
liegt in einzigartiger Felslandschaft Naqsh-i Rustam,
jener grandiose Ort, an dem aus Felsnischen geschlagene
Achämenidengräber mit darunter liegenden, aus Stein
gehauenen parthischen Reliefs der Menschheit ewiglich
Zeugnis von der einstigen Macht der Herrscher Persiens
ablegen sollten. Hoch und unzugänglich, unerreichbar vom
Erdboden aus, wurden diese monumentalen Höhlengräber
aus dem Stein gemeißelt, um weithin sichtbar und vor
Zerstörung geschützt eine letzte Ruhestätte für die
Könige zu sein, deren Gebeine hier bestattet wurden,
nachdem das Fleisch von den Geiern abgenagt worden war.
Die atemberaubende Kulisse dieser Wiege der persischen
Hochkultur, in Verbindung mit der lichtdurchfluteten
Aura, welche diese Ruhmesstätte umgibt und das Gestein
noch pastellfarbener gegen den tiefblauen Himmel sich
abzeichnen läßt, kann nur ein Vergleich mit der roten
Nabatäerstadt Petra in Jordanien aushalten.
Leider wird unsere
Hochstimmung an diesem Ort von einem jungen Deutschen
wieder getrübt, der stellvertretend für viele, die heute
am Niedergang unserer Kultur arbeiten, sein Unwesen
treibt; zuerst, als er trotz Verbots Soldaten filmt und
sich dann auch noch als Fluchthelfer betätigt, indem er
Ratschläge erteilt, wie junge Iraner in Deutschland am
besten Fuß fassen können. Es genügen dazu schon die
einschlägigen Literaturhinweise. Ich habe für solche
Renegaten, Menschen, die alles Eigene in Frage stellen
und sich am meisten dadurch auszeichnen, daß sie
keinerlei Selbstwertgefühl besitzen – was bitter nötig
wäre, um dem eigenen Untergang entgegenzuwirken –,
keinerlei Verständnis. Diskussionen mit solchen Leuten
sind absolut fruchtlos, ihre subversive Haltung scheinen
sie bereits mit der Muttermilch eingesogen zu haben:
Männer ohne Ehre, die sich, Sklavenseelen gleich, jedem
noch so Verfolgten sofort knechtisch andienen!
Wiederum durch eine
Schlucht erreichen wir nach nochmals einstündiger Fahrt
Pasargadae, die Grabstätte Kyros' des Großen und frühere
Residenzstadt der Achämeniden. Von fern sieht man
bereits Teile der Festung, die nur zu dem einen Zweck
ausgegraben wurde, um sie besser datieren zu können.
Auch hier hätte man mit der Freilegung eine
Lebensaufgabe. Tatsächlich steht das Grab des Kyros
völlig isoliert auf weiter Flur. Hierher kam Alexander
geritten, nachdem er Persepolis eingenommen hatte,
öffnete das Grab des Kyros, legte seinen Mantel darum,
um aller Welt anzudeuten, daß die Herrschaft über ganz
Asien nunmehr auf ihn übergegangen sei; anschließend
ließ er es wieder schließen. Nachdem er zurückgekehrt
war und das Grab geplündert vorfand, ließ er die
Grabschänder – es waren Griechen – mit dem Tode
bestrafen.
Pasargadae ist noch gar
nicht richtig ausgegraben, nur spärliche Palastreste
wurden freigelegt. Was hier auffällt, ist die fugenreine
Art, in der die Quader geschnitten sind, und die
Hochglanzpolitur, mit der man die Bodenplatten verlegt
hat.
Die Burg zeigt zum Teil
noch guterhaltene Festungsmauern dreier Bauperioden. Man
kann leider nicht sagen, ob sie von Alexander zerstört
wurde oder von anderen. Sie wurde von Kyros begonnen und
von Darius weitergebaut. Vom Burghügel hat man einen
fantastischen Blick auf die die Ebene einrahmenden
Berge. Die Größe der ehemaligen Stadt muß ein Vielfaches
derjenigen von Persepolis betragen haben.
Mit dem Verlassen von
Pasargadae verlassen wir auch gleichzeitig den
Kulturkreis der Antike und wenden uns dem Islam zu.
Da wir heute wieder ein
größeres Pensum zu bewältigen haben, müssen wir unser
Fahrzeug vorher auftanken. Tankstellen sind im Iran
allgemeine Begegnungsstätten, hier kann man aber auch
schnell aneinander geraten. Einfaches Hupen reicht in
der Regel aus, damit einer aussteigt und dem anderen
gegen das Fahrzeug tritt. Der Schwächere muß klein
beigeben. Aus solchen Händeln kann schnell eine
Schlägerei entstehen. Besagter Reiseteilnehmer hat die
Szene gefilmt. Sofort wird er bedroht, muß anschließend
die Szene löschen.
Abends treten die Berge
plastischer und bizarrer hervor als tagsüber unter der
großen Hitze. Da die Gebirgsrücken weitgehend
vegetationslos sind, werden die Täler mit Schutt
aufgefüllt und vom Winde eingeebnet. Bei hinreichender
Bewässerung ergibt dieser Boden aber eine gute
Ackererde.
Nach Verlassen von
Schirāz in Richtung Kerman gelangen wir bald in ein
Gebiet abflußloser Salzbecken. Die Schwemmlandberge
weichen allmählich zurück, das Ackerland weicht ödem
Brachland. Während der monotonen Fahrt erfahren wir
einiges über die religiöse Zusammensetzung des Landes.
Wie jedes wüstenhafte Land war auch der Iran ein
ertragreicher Nährboden für monotheistische Religionen.
Staatsreligion ist zwar offiziell der Islam, aber
daneben gibt es auch eine Reihe religiöser
Splittergruppen.
So war denn Iran Ursprung
eines neuen Glaubens, der Bahai-Sekte, die ihre Lehre
auf die Wiederkehr des zwölften Imams zurückführt.
Insgesamt 0,1 % der Weltbevölkerung gehören dieser Sekte
an. In vielen Ländern wird diese Glaubensrichtung heute
stark verfolgt. Vielen, die angaben, dieser Bewegung
anzugehören und verfolgt zu werden, gelang es, in
Deutschland Asyl zu bekommen. Mittlerweile prüft man
dies aber nach, z.B. in Form einer Befragung durch echte
Bahais, und dabei fallen die meisten durch. Das
kulturelle Zentrum der Sekte befindet sich im heutigen
Israel, in der Hafenstadt Chaifa.
Die grundlegende Idee
ihrer Lehre ist die Globalisierung aller Religionen.
Religion muß mit der Wissenschaft und ihren Aussagen
übereinstimmen. Was die Bahais in die Nähe der
Scientology-Sekte rückt ist das Bestreben, ein
internationales Netzwerk zu errichten. Die grundlegende
Frage einer Religion muß heute sein, welchen Standpunkt
sie in bezug auf die Bevölkerungsexplosion vertritt. Daß
das Christentum vor dieser Frage sofort kapituliert,
kann man an seiner Haltung gegenüber Abtreibung und
Geburtenkontrolle ersehen. Man gelangt zu der
Überzeugung, daß eine Menschheit, die sich zur
christlichen Religion und ihren Dogmen bekennt, sich
trotz allen technischen Fortschritts unweigerlich selbst
auslöschen wird. Auch jene Religionen, die an die
Wiedergeburt glauben und die daher argumentieren, es
müsse Geburten geben, in die die Seelen der Verstorbenen
einziehen könnten, würden niemals einem Geburtenrückgang
zustimmen. Derart sind also die Lehren der Bahaisekte.
Noch immer befinden wir
uns im Gebirge, wenngleich die Bergketten nicht mehr so
hoch sind wie im westlichen Zagrosgebirge. In dieser
Region werden vor allem Feigen angebaut. Als wir an
einem der vielen Stände halten, wo sowohl getrocknete
als auch frische Feigen verkauft werden, schlagen einige
unbarmherzig zu, ungeachtet aller hygienischen Bedenken.
Hierzu sagt ein persisches Sprichwort: „Wenn Mädchen
sieben frische Feigen essen, werden sie ganz wild.“ Die
Feige, dem Dionysos heilig, zählt zu den
Maulbeergewächsen.
Nach Überschreiten einer
Gebirgsgruppe tut sich unvermutet ein grandioser
Tiefblick auf, ein riesiger Salzsee liegt vor uns: eine
majestätische, unwirkliche Landschaft, eine
blendend-weiße Fläche, aus der etliche Felskämme
aufragen, von schroffen Hängen umrahmt! Bei diesem
Anblick fallen mir die biblischen Worte ein: „Darauf
führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg
und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre
Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir
geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“
Über kaum merklich
ansteigende Gebirgsstraßen erreichen wir wieder das
Hochland. Nach einem uralten Bewässerungsprinzip, den
sogenannten Kanaten, werden hier die Felder mit dem
erforderlichen Naß versorgt. Die Belüftungsschächte
sehen aus wie künstlich geschaffene Bombentrichter.
Offenbar unter dem Einfluß der ewig währenden Sonne
steigert sich unsere Stimmung derart, daß einige zu
singen anfangen. Die Gesänge sind allerdings nicht so
wohlklingend, daß ich in den Kanon mit einstimmen
möchte.
Über eine nicht enden
wollende Dunstebene, die nur spärlich mit Büschelgras
bewachsen ist, führt die schnurgerade Straße, scheinbar
ins Unendliche, als sich erstmals während dieser Reise
über den weißlich-blauen Bergsilhouetten in der Ferne
Quellwolken auftürmen. Unerreichbar weit scheinen nun
die Gebirge von uns abgerückt, ein Wüstenszenario
ankündigend. Erneut werden wir durch die atemberaubende
Berglandschaft ergriffen, wilde, wüstenartige
Erosionsgestalten bilden nun rechterhand die Kulisse,
als ob überall auf den Gipfeln Festungen aufragen.
Begreiflich, daß ein Bergsteigerherz bei diesem Anblick
höher schlägt. Während wir bisher nämlich hauptsächlich
Kalkgestein vor Augen hatten, haben wir es jetzt mit
plutonischem Tiefengestein zu tun. Wundersame Geologie!
Als wir das Gebirge verlassen, tut sich übergangslos
eine Salztonebene vor uns auf, ein völlig
vegetationsloses Nichts.
Die Kanate stellten durch
dieses unterirdische System, das sich oft über mehrere
Kilometer hinzieht, die Trinkwasserversorgung sicher.
Der Zufluß läßt sich jedoch nicht unterbinden, das
Wasser muß verbraucht werden; daher führt die
unkontrollierte Wasserzufuhr aufgrund der hohen
Verdunstung häufig zu Versalzung des Bodens. Bei
Versorgungsengpässen waren diese Bewässerungssysteme
häufig auch Ursache für Streitigkeiten, und während der
Afghanenkriege waren sie meist umkämpft. Grub man die
Wasserzufuhr ab, mußte die belagerte Stadt sich alsbald
ergeben.
Auf einer 2300 m hohen
Paßhöhe vor Bandeshir türmen sich wilde Felszacken auf,
einige dieser Bergspitzen erreichen Höhen von über 4000
m. Leider erscheint aufgrund der fehlenden Bewölkung ein
Foto im Moment nicht sehr lohnend. Da tauchen vor uns
auf der Straße die sogenannten Solitärfelsen auf,
geologische Gebilde, deren Entstehung im Buch der
Erdgeschichte nachzublättern ist: Es handelt sich
hierbei um über wesentlich flachere Bergrücken
hinausragende Bergkegel, ähnlich wie wir das von den
Monolithen kennen. Als die Sonne wieder goldene Strahlen
schickt, erreichen wir die Ebene von Kerman. Im
Hintergrund türmt sich die letzte Gebirgswand auf, ehe
die Wüste Lut beginnt. Die ganze Ebene bis hinauf nach
Isfahan ist fruchtbares Ackerland. Durch diese Ebene
marschierte das Heer Alexanders nach Indien, auf einer
der ältesten Handelsrouten des Landes.
Abends dürfen wir das
Hotel nicht verlassen, denn ausgerechnet in dieser Stadt
hat sich jüngst der letzte Entführungsfall ereignet.
Aus berufenem Munde
erfahre ich am nächsten Tag, daß der Iran nicht nur ein
kunsthistorisch interessantes Land ist, sondern auch
ausgezeichnete Möglichkeiten für einen Jagdurlaub
bietet. Im Land wurde seit dem Umsturz keine Jagd mehr
ausgeübt. Die Gebirge sind reich an Mufflons, die
prächtige Trophäen aufweisen.
Unter chaotischen Verkehrsverhältnissen verlassen wir
Kerman in Richtung Bam. Führerscheinprüfungen kennt das
Land nicht. Dementsprechend setzt sich im Verkehr immer
der Stärkere durch.
In Māhān besichtigen wir eine alte Sufi-Moschee, die der
Anhängerschaft einer Glaubensrichtung gehört, die
mittlerweile im Iran verboten ist. Nachdem sich hier
keine Gläubigen mehr aufhalten dürfen, kann das Minarett
bestiegen werden. Von dort besitzt man einen
faszinierenden Ausblick auf die den Ort umgebenden 4000
m hohen Berge und die fruchtbare Umgebung.
Eine Besonderheit stellt der traditionelle Weinbau dar.
Die Reben ranken sich dabei an einem Lehmhügel empor,
der Schatten bei zuviel Sonne bietet. Dutzende solcher
Stalakmiten bilden ein richtiggehendes „Gräberfeld“.
Es stellt ganz gewiß eine bergsteigerische
Herausforderung ersten Ranges dar, diese Viertausender
zu erklimmen, doch sollte man dies tunlichst
unterlassen, wenn man nicht riskieren will zu
verdursten. Eine unserem Alpenverein vergleichbare
Infrastruktur gibt es im Land nicht.
In der Ferne tauchen nun „Überriesen“ auf, gegen die
sich die ohnehin schon hohen Vorberge wie Zwerge
ausnehmen. In Bam beginnt die eigentliche Wüste, ein
wahrhaft einzigartiges Panoramabild wilder Gebirgszüge
öffnet sich vor unseren Augen. Kamm für Kamm reihen sich
abwechselnd schwarze und rote Berge aneinander,
dazwischen sind grüne Oasen eingebettet und ebene
Sandflächen. Inmitten dieser traumhaften Landschaft
liegt Bam, Durchzugsgebiet aller früheren Heere. Es galt
damals als uneinnehmbare Festung, welche unter den
Seldschuken die Kontrolle über den Warenverkehr ausübte.
Bam ist nicht die einzige Burg in dieser Gegend, wohl
aber die einzige, die besucht werden kann. Früher, d.h.
vor zehn Jahren, konnte man bei diesen Festungen noch
übernachten, inmitten fantastischer Felsformationen,
damals, als die Grenze zu Afghanistan noch offen war.
Längs dieser von Burgen bewachten Route führte die alte
Karawanenstraße.
Bam wurde durch den
Begründer des Kadscharenreiches erobert. Die als
angebliche Geisterstadt ausgewiesene, heute gänzlich
verfallene Stadt bietet dem Besucher einen Anblick wie
nach einem Bombenangriff. Die Ruinen der
Lehmziegelhäuser vermitteln ein eher gespenstisches
Bild, was dem Glanz vergangener Tage jedoch keinen
Abbruch tut. Teilweise wird sogar schon wieder
beträchtlich restauriert, um dieses Weltkulturerbe der
Nachwelt zu erhalten. Am besten wiederhergestellt wurde
die Festung, die von drei Umwallungsmauern umgeben ist.
Die Stadtmauer kann man noch vollständig umschreiten,
wobei sich immer wieder neue reizvolle Perspektiven auf
die Burg eröffnen. Vom obersten Burghügel, den ein
Bergfried krönt, hat man einen überwältigenden Blick auf
das Ruinengelände und die Oase einerseits, auf die
fernen Berge und die Wüste Lut andererseits.
In der Gluthitze mache
ich mich auf den Weg, die westliche Stadtmauer
abzuschreiten, bis ich an einer abschüssigen Stelle mein
Glück nicht noch weiter herausfordern will und umkehre.
Zu brüchig erscheinen mir einige Überhänge bereits.
Bam war auch
Durchzugspunkt des Alexanderheeres, einerseits auf dem
Weg nach Afghanistan, andererseits nach der Durchquerung
Gedrosiens, wo große Teile des Heeres vor Durst umkamen.
Sie ließen jeden liegen, der nicht mehr weiter konnte,
denn das Heer mußte weiterziehen.
Am Ortsrand von Māhān
liegt Shahzadeh, wo in zahlreichen Kaskaden das aus den
Bergen herabgeleitete Wasser für die Bewässerung der
Parkanlage genutzt wird. Jene späteren Herrscher, die
ihrem Eintritt ins Paradies vorgreifen wollten, haben
den Koran wohl allzu wörtlich genommen und die in den
Bergen entspringenden Quellen genutzt, um Gästen
anzuzeigen: „durcheilt von Bächen“.
Als wir am frühen Abend
wieder in Kerman anlangen, hat die von den Wolken
mitgeführte Luft auch den Staub mitgenommen, so daß die
hohen Berge unter einem zarten Himmelsblau, das
durchsetzt ist von weißen Quellwolken, rötlich bis
golden zu leuchten beginnen.
Nachdem hier in Kerman
mein Filmmaterial ausgegangen ist, muß ich mir neues
besorgen. Wegen des oben erwähnten Überfalls auf
Touristen ist es unerläßlich, sich zum Verlassen des
Hotels eine Genehmigung einzuholen. Zunächst wird mir
von meinem Vorhaben abgeraten, und als ich mit einiger
Hartnäckigkeit darauf bestehe, heißt es: „Nur auf eigene
Gefahr!“ Es gibt in der Nähe einige Fotogeschäfte, die
alle nur dieselbe Marke führen: Konica. Auch wenn das
Verfallsdatum noch nicht abgelaufen ist, habe ich
bezüglich der Qualität dennoch gewisse Bedenken aufgrund
einer möglichen unsachgemäßen Lagerung. Aber man wird
sehen.
Als wir am Nachmittag
nach Kerman zurückkommen, besuchen wir den dortigen
Basar, ein Hamam, also ein ehemaliges Bad, und
abschließend ein Teehaus, natürlich nicht ohne uns einen
süßen Tee servieren zu lassen.
Ehe wir uns an die
Fortsetzung unserer Reise machen, haben wir noch zwei
Moscheen in der Stadt zu besichtigen: die
Freitagsmoschee und noch eine weitere, die Sufi-Moschee,
als Kontrast zur vorherigen Bauweise. Bedauerlicherweise
kann ich von der Festung hoch über der Stadt keine
Bilder machen, weil sich einfach keine Gelegenheit mehr
dazu ergibt. Noch gestern wäre mir dies ohne weiteres
möglich gewesen.
Gleich nach Abfahrt
ereilt uns die erste Polizeikontrolle, leider, denn
bisher sind wir ganz gut ohne eine solche durchgekommen.
Wir sollen nach Kerman zurück, zum Road Office, und uns
eine Bestätigung geben lassen, daß alles in Ordnung ist.
Erst wenn dort das Einverständnis erteilt wird, dürfen
wir weiterfahren. Als wir das Road Office endlich
gefunden haben, beginnt erneut eine harte Geduldsprobe.
Während wir noch im Schatten unseres Fahrzeuges stehen,
hält plötzlich ein Iraner neben uns an, steigt aus und
stellt uns viele Fragen. Wie sich herausstellt, plant
der Mann nach Kanada auszuwandern, um sich dort eine
neue Existenz aufzubauen. Auf die Frage, wie uns denn
der Iran gefalle, antworte ich, mißtrauisch geworden,
betont kurz angebunden: „Gut!“ um nicht in eine Falle zu
tappen. Ob der Mann, der erstaunlich gut englisch
spricht, die Wahrheit gesagt hat oder nur ein Spitzel
war, werden wir wohl niemals herausfinden.
Die heutige Route ist
landschaftlich die bisher am wenigsten reizvolle. Die
Ebene scheint sich immer weiter auszudehnen, die Berge
treten dahinter immer mehr zurück.
Wir fahren soeben durch
ein Gebiet, in dem Pistazien angebaut werden. Das Wetter
ist zwar schön, aber Wolkenfelder in der Ferne
verschlechtern jäh die Sicht. Aufgrund der Kontrollen
und der damit einhergehenden Verspätungen muß unsere
heutige Mittagspause leider ausfallen, denn man darf
nachts auf Irans Straßen nicht verkehren.
Die Randgebirge zu beiden
Seiten beginnen sich nun langsam abzubauen; immer mehr
Tafelberge tauchen in der Ebene auf, eingestreut wie
steile Felsinseln ins weite Meer. Dann ragen wie aus
einem Bodennebel, im Gegenlicht der hinter Wolken sich
verbergenden Sonne, gespenstisch wilde Zacken empor.
Solcherart gelangen wir ins Land Zarathustras. Nirgends
wird dieser Religionsgründer in Worten oder Inschriften
erwähnt. Eine eigenartige, von unzähligen Falten
durchfurchte Berglandschaft tut sich auf, aus einer
ansteigenden Schutthalde emporwachsend, eine riesige,
steppenartige Sandebene, die an vielen Stellen wie eine
Lehmburg vom Regen ausgewaschen wurde. Durch zahlreiche
Nebelschleier verdeckt, versinkt die Sonne hinter sich
nur noch schemenhaft abzeichnenden hohen Bergzügen, die
wie durchsichtig wirken: ein Feuerheiligtum aus Wolken,
in mystischem Glanz.
Wie ich erfahre, stammen
die arabischen Zahlen gar nicht von den Arabern, sondern
sie wurden von den Indern übernommen und gelangten von
dort nach Persien.
Bis wir in Yazd anlangen,
müssen wir noch insgesamt fünf Verkehrskontrollen über
uns ergehen lassen.
In der Nacht gibt es ein
Gewitter, aber am Morgen ist die Welt wieder in Ordnung;
ein neuer heiterer Tag beginnt. Die beiden „Türme des
Schweigens“ finden wir in ebenso eindrucksvoller wie
abgeschiedener Berglandschaft an der Grenze zu Yazd. Die
Lichtverhältnisse hätten gestern nicht besser sein
können. Da uns nur zwanzig Minuten Zeit vergönnt sind,
müssen wir den Anstieg beschleunigen und den Rückweg im
Laufschritt zurücklegen. Ich für meinen Teil habe mich
für die Besteigung des höheren der beiden entschieden,
der durch eine kleine Öffnung Zutritt gewährt. Von
seiner Spitze hat man einen fantastischen Blick auf den
kleineren, westlich gelegenen Turm sowie auf die
wildzerklüfteten Berge ringsum. Knochenreste entdecken
wir heute allerdings keine mehr, dabei handelt es sich
wohl nur um eine schaurig-schöne Legende. Im Innern des
Turms befindet sich ein mit Schutt aufgefüllter
Trichter. Wir wissen zuwenig über die einstmals hier
ausgeübten religiösen Rituale der Zoroastrier. Es grenzt
ohnehin an ein Wunder, daß in dieser Stadt ein
Feuerheiligtum jener Religion überlebt hat. Der Tempel
selbst wurde erst 1937 errichtet und ist daher
kunsthistorisch uninteressant, aber die Freitagsmoschee
und das Mausoleum eines der Söhne des achten Imams Reza
lohnen einen Besuch. Interessant ist der
architektonische Übergang vom quadratischen Grundriß zum
runden Kuppelbau. Über dem Quadrat folgten Oktogonbögen,
darüber Hexagone. Darauf erst sitzt die kreisrunde
Kuppel.
Besonders lästig, und das
wohl in jeder Reisegruppe, ist immer wieder der Ansturm
auf die besten Bilder. Ich denke mir: „Wenn die Leute
die Kirchen ihrer eigenen Religion ebenso kunstbesessen
besichtigen würden wie hier die Moscheen, so würden
unsere Gotteshäuser überquellen.“ Leider ist aber die
fremde Kultur immer besser, schöner, interessanter, mit
dem Unterschied, daß Mohammedaner dies nicht so sehen.
Das alte System, Waren
und Güter auf dem Basar zu handeln, wird wohl noch auf
absehbare Zeit unumstößlich bleiben. Supermärkte, wie
wir sie kennen, wären hier unvorstellbar.
Der Abschnitt zwischen Yazd und Isfahan unterscheidet
sich landschaftlich nicht wesentlich vom gestrigen:
immer wieder bezaubernde Bergmassive, Wüste in aller
Ursprünglichkeit außerhalb der bewirtschafteten Flächen
und Sonne, Hitze, Trockenheit, was das Wetter anbelangt.
Seit zwei Tagen ist das Reisen durch das Hochland etwas
eintönig geworden, da wir ständig mit denselben
Eindrücken konfrontiert werden: immer wieder Moscheen,
bis man sie nicht mehr sehen kann, die Monotonie des
Islam, immer wieder Basare, immer wieder das gleiche
Essen, all das langweilt zutiefst. Vorbei sind die Tage,
wo wir uns alten Kulturen gegenüber sahen, der
archäologischen Wunder und der geschichtsträchtigen
Erzählungen. Auf mich wirkt diese übersteigerte
Religiosität, die einen immer wieder beengt, erdrückend,
grotesk und unnötig, man bedarf ihrer nicht, sie stört
das Glück. Man hat sogar noch den Eindruck, es entstehen
immer mehr dieser religiösen Zentren. Zwar erlebt man im
Lande keine deprimierende Armut mehr, aber in Euphorie
versetzt trifft man gleichwohl keinen an. Jetzt wird
klar, warum hier im Hochland keine Hochkulturen
entstehen konnten: Das Land eignet sich ausschließlich
für nomadische Bewirtschaftung, wenn man von einer
Bewirtschaftung überhaupt reden will. Einziges Relikt
vergangener Tage scheint eine alte Karawanserei zu sein,
die noch erhalten geblieben ist.
Kurz vor Nain machen wir Mittagspause. In der Nähe
befindet sich eine kleine Festung. In Nain selbst finden
wir noch eine zweite Festung, die, aus der Entfernung
jedenfalls, wesentlich größer zu sein scheint. Sie ist
malerisch gelegen, zwischen Felskegeln eingebettet, auf
einer Anhöhe. Auch in Nain sind Altstadt, Palast,
Moschee und Burg unaufhaltsam der Zerstörung und dem
Verfall preisgegeben. Schonungslos wird Altes durch
Neues überdeckt.
Um nach Isfahan zu gelangen, unserem heutigen Tagesziel,
müssen wir noch ein weiteres Gebirge überschreiten.
−
Durch öde, ausgedehnte Vororte gelangen wir schließlich
nach Isfahan, der letzten größeren Stätte unserer
Rundreise. Die Stadt liegt in der größten Oase des
Landes. Hier wollen wir noch zwei volle Tage verweilen.
Reizvoll sehen die zahlreichen Taubentürme aus, die
früher zur Erzeugung von Kunstdünger dienten.
Als wir unseren Übernachtungsplatz erreichen, versinkt
gerade die rotglühende Sonne über der Oase, einer Stadt,
die mit unzähligen islamischen Bauten einst in
Konkurrenz zum Mogulreich in Indien stand. Sogleich bei
Ankunft spürt man die Kraft und den Puls einer modernen
Metropole, die in einem Chaos von Autos versinkt. Die
vielen Kontrollen unseres Fahrzeugs wären völlig
überflüssig, da wir wahrscheinlich das einzige Gefährt
sind, das technisch in Ordnung ist.
Unsere Stadtrundfahrt beginnt mit einer Besichtigung der
Armeniervorstadt Julfa, wo die aus der Türkei
vertriebenen Armenier in einer Art Ghetto leben durften.
Die äußerlich schlichte Armenierkirche ist in ihrem
Innern über und über mit Malereien ausgeschmückt, die
vorwiegend Szenen aus der Bibel und dem Leben der
Märtyrer enthalten. Hier offenbart sich die ganze
mittelalterliche Grausamkeit in bildlicher Darstellung:
detailgetreue Szenen von qualvollen Höllenstrafen,
Feuerteufel, Ungeheuer, die Verbrennung von Sündern, das
Herausreißen der Gedärme und das Augenausstechen, die
Zerfleischung von Leib und Seele gewähren dem Betrachter
Einblick in die groteske, wenig zartbesaitete
mittelalterliche Vorstellungswelt. Auch der Turmbau zu
Babel ist kunstvoll ausgeschmückt. All das erinnert
stark an westliche Vorbilder, an die skurrilen
Darstellungen eines Hieronymus Bosch. Während wir den
reichhaltigen Innenraum noch bestaunen, setzen plötzlich
feierliche Choräle ein, die unseren weiteren Aufenthalt
begleiten. Das Schicksal der Armenier war ähnlich dem
der deutschen Juden: 1,5 Millionen Menschen wurden von
türkischen Kurden, denen man die freiwerdenden
Lebensräume versprach, hingemordet.
Isfahan besitzt noch
zahlreiche alte Brücken aus dem 17. Jahrhundert, z.B.
die Khaju-Brücke und die 33-Bogen-Brücke. Die gesamte
Uferpromenade mußte aufgrund einer
Bürgermeisterentscheidung frei von Gebäuden bleiben. Als
Lohn für diese Tat, die den Interessen der
Geschäftsleute zuwiderlief, wurde diesem Mann ein
Gerichtsverfahren angehängt, das noch heute läuft.
Der Einhundertsäulensaal
vermag einen Eindruck zu vermitteln, wie die
Palastanlagen von Persepolis einst ausgesehen haben.
Fresken, die noch bis vor kurzem verdeckt gewesen waren,
werden heute wieder offen gezeigt.
Nach einem Besuch beim
Teppichhändler, wo wir um einen Perserteppich feilschen,
gehen wir zum Basar. Leider findet man hier kaum
ansprechende Souvenirs. Man kann Kupfer- oder
Messinggeschirr erstehen, vielleicht auch eine
Miniaturmalerei.
Nach dem Frühstück geht
es zur 900 Jahre alten Freitagsmoschee. In ihrem Innern
befinden sich Kreuzrippengewölbe, die stark an
romanische Kirchenbauten erinnern. In der Tat ist die
naturbelassene Ziegelbauweise wesentlich reizvoller als
die verputzten Mauern. Kunstvolle Säulen tragen
Spitzbögen, Ziermuster aus Ziegel verschönen die glatten
Wände. Spätere Herrscher haben diese dem neuen Geschmack
entsprechend zugedeckt. Die Gumbad-e Khaki zählt mit zum
Schönsten, was es an Moscheen im Iran zu sehen gibt.
Als wir vor zehn Jahren
in Ägypten waren, waren die Verkehrsverhältnisse ähnlich
chaotisch wie heute hier, es hat sich seitdem nichts
geändert. Es scheint auch gar nicht möglich, die konfuse
arabische Welt je zu disziplinieren.
Die Imam-Moschee ist der
gewaltigste Bau seiner Art, den ich je gesehen habe. Die
Herrscher Isfahans lagen mit ihrer Bauwut und ihrer
Sucht, andere zu übertreffen, in ständigem Wetteifer mit
den Mogul-Herrschern Indiens. Die Hohe Pforte, ein
Prunkpalast, quillt über von Stukkaturen, die allerdings
alle schon recht verblaßt aussehen. Selbst restaurierte
Kacheln sind bereits wieder Opfer von Wandalismus
geworden.
Die
Scheich-Lotfollāh-Moschee ist ebenso üppig ausgestattet
wie die Imam-Moschee. Ihr Inneres hat eine
unvergleichliche Akustik. Unser iranischer Begleiter Ali
packt die Gelegenheit beim Schopf, um uns Verse aus dem
Koran vorzusingen, in eben jener beschwörenden Art, wie
wir sie vom Ruf des Muezzins her kennen. Auch in der
hintersten Ecke des Raumes ist die Stimme immer noch
sehr gut zu hören, ein erhebendes feierliches Gefühl
erfaßt einen jeden von uns. Dabei könnten Gregorianische
Choräle durchaus noch erhebender und inbrünstiger
wirken, nur leider sind dem Christentum solch feierliche
Stimmungen abhanden gekommen.
Auch mein Vorsatz, mir
hier im Iran die Haare schneiden zu lassen, gelangt zu
Ausführung. Als ich auf dem Frisörsessel Platz genommen
habe, bricht einer der Wartenden einen politischen
Streit vom Zaun. Man hält mir eine Tageszeitung mit dem
Bild jenes Deutschen namens Hofer unter die Nase, der
vor Monaten wegen eines Verhältnisses mit einer Muslimin
von einem iranischen Gericht zum Tode verurteilt und am
heutigen Tage freigesprochen worden ist. Ich entnehme
der erhitzten Debatte, daß einige mit dem Urteil nicht
ganz einverstanden sind. Eigentlich erstaunlich, diese
Intoleranz, wo sich doch iranische Studenten in
Deutschland mit ihren katholischen Freundinnen alles
erlauben können.
Als die Abendsonne über
der 33-Bogen-Brücke hinter den Bergen versinkt, ist
Isfahan für uns bereits Geschichte, da unsere Gedanken
schon um die Rückreisevorbereitungen kreisen. Obwohl ich
körperlich ausgeruht wirke, macht sich dennoch eine
gewisse Art von Erschöpfung in mir breit, und das an
Fatimas Geburtstag, für viele die Gelegenheit, sich
zusammen mit ihrer Familie an der Uferpromenade
einzufinden und dort, auf Teppichen sitzend, dem Genuß
der Wasserpfeife hinzugeben. Man kommt nicht umhin, die
zahlreichen freundlichen Einladungen, sich
dazuzugesellen, auszuschlagen.
Am Abend ist eine
Hochzeitsgesellschaft im Hotel zu Gast, jedoch sind wir
dabei als Zuschauer unerwünscht.
Frühmorgens, beim ersten
durchdringenden Sonnenstrahl, sehen wir von unserem
Hotel aus einer Pilgerprozession zu, die sich langsam
und mühsam den Berg hinaufquält, um das dortige
Heiligtum zu besuchen. Bereits vom Fuße des Berges
bietet sich eine herrliche Fernsicht, obwohl Schwaden
verschmutzter Luft über der Stadt hängen.
Unser heutiges Ziel ist
Ghom, die heilige Stadt der Schiiten. Bis vor kurzem war
es für Ungläubige noch verboten, diese Stadt überhaupt
zu betreten, sie mußte sogar großräumig umfahren werden.
Es grenzt daher fast an ein Wunder, daß die
Restriktionen mittlerweile wieder gelockert wurden und
wir diese Stadt betreten dürfen. Nochmals ein letzter
Blick zurück auf den Fluß von Isfahan, wo man die
Tretboote liegen sieht, mit denen die Hochzeitspaare
gern ihre Flitterwochen beginnen.
Seit nunmehr einer Woche
hat die Landschaft ihren Grundtypus nicht mehr
gewechselt, herrliche Bergformationen begleiten uns auf
dem Weg nach Ghom. Fantastisch bunte Erosionsformen aus
abwechselnd grünem, rotem, gelbem und blauem Gestein
bilden erneut eine bizarre Kulisse in einer noch
weitgehend unberührten, nur von Schafherden
durchstreiften Landschaft. Was völlig fehlt sind größere
Flüsse. Wie ein bunter Fleckenteppich sehen nun die
Abhänge aus, zu deren Füßen vereinzelt ein wenig Grün
eingestreut ist. Auch auf diesem Abschnitt begleiten uns
wieder zahlreiche Polizeikontrollen. Aus der
Zeitdifferenz und der bekannten Entfernung zwischen zwei
Streckenposten kann die gefahrene
Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt werden.
Übertrifft sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit, sind
hohe Strafen fällig. Ehe wir uns durch diese Art von
Behinderung unseren Weg nach Ghom bahnen, passieren wir
noch zahlreiche Raffinerien und Kraftwerke, was uns auf
beeindruckende Weise vor Augen führt, welche
Kraftreserven in dem Land noch schlummern.
Wer seinen Fuß über die
Schwelle des Hauptheiligtums von Ghom setzt, hat diese
Stätte bereits entehrt und muß schlimmste Konsequenzen
befürchten. Da wir indes vorgewarnt wurden, kann uns
solches natürlich nicht blühen. Einer von uns wurde
sogar vom iranischen Rundfunk interviewt. Er hat
natürlich nur die Dinge gesagt, die auch gerne gehört
werden. Die meisten Landesbewohner werden wahrscheinlich
nie die volle Wahrheit über sich und ihr Land erfahren,
da überall Zensur herrscht und die Pressefreiheit stark
eingeschränkt ist. Schade, daß ein solches Lügengebilde
errichtet werden muß und man noch weit von einer
weltoffenen Sinnesart entfernt ist. Mein abschließendes
Urteil über den Iran und seine Menschen lautet: So sehr
sich hier einst Kulturen erhoben, sich mischten und
gegenseitig befruchteten, so viel das Land an
Schönheiten, historischen Stätten und Natur zu bieten
hat, so bleibt doch der nachhaltige Eindruck haften, daß
hier der Ungeist des frühen Mittelalters, das
Althergebrachte, jeden Fortschritt Lähmende sich
nachteiliger und hemmender auswirkt, als man glauben
möchte. Der Iran wird es schwer haben, diese Defizite
aufzuholen.
Auf der Schnellstraße,
die Ghom mit Teheran verbindet, und die für den
Lkw-Verkehr gesperrt ist, kommen wir am Nachmittag
wieder in Teheran an. Noch ein letztes Abendmahl, ein
kurzes Schläfchen, und das Flugzeug bringt uns in
fünfeinhalb Stunden zurück in die Freiheit. Noch können
wir nicht ermessen, welche bleibenden Eindrücke diese
nur vierzehntägige Reise zu den Achämeniden und ins
Alexanderreich hinterlassen hat, sobald die Türen des
Flugzeugs sich einmal hinter uns geschlossen haben,
vielleicht auch ein wenig Verständnis für eine
feindselig gestimmte, fremde Kultur. Fest steht in jedem
Falle schon jetzt, daß uns die brennenden Feuer
Zarathustras und die Gemeinsamkeiten unserer „arischen
Abstammung“ mehr beeindruckt haben als die bildlosen
Gesichter des Islam.