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" . . . und ewig grollen die Vulkane, wenn die Göttin der Südsee nach Opfern verlangt!"

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Vulkanbergsteigen in Indonesien

Eine Besteigung des Gunung Rinjani (3726 m)

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    Gunung heißt auf indonesisch Berg, wobei die meisten Berge Indonesiens feuerspeiende Berge sind, Vulkane also. Rund 300 Vulkane gibt es in Indonesien derzeit, darunter 125, die noch aktiv sind. Allein auf der Insel Java befinden sich 35 zum Teil hochagressive Killer-Vulkane. Die Gefahr eines Vulkanausbruchs ist demnach für die Bewohner Javas, die mit 110 Millionen Menschen am dichtesten besiedelte Insel des Archipels, vergleichsweise so groß, als wenn man sich zwischen München und Hamburg drei Dutzend Ätnas aufgereiht denkt. Der Indonesier kann daher sprichwörtlich sagen, er habe, wo immer er auch sein möge, stets einen Vulkan vor Augen.
    Die Insel Java liegt auf einem "Feuergürtel" (Ring of fire), der sich auf indonesischem Gebiet von den großen Sunda-Inseln Sumatra und Java über die kleinen Sunda-Inseln Bali, Lombok und Sumbawa bis nach Timor und Flores hinzieht, dann über die Molukken nach Norden abschwenkt und in den Philippinen fortsetzt. Die Serie schwerer und schwerster Ausbrüche, die stets von verheerenden Erdbeben begleitet waren, ist bis heute nicht abgerissen und liest sich wie eine Chronologie des Schreckens.
    Die schlimmste Katastrophe, die sich je durch einen Vulkanausbruch in historischer Zeit ereignet hat, ist der Ausbruch des Tambora auf Sumbawa im Jahre 1815, bei dem 90000 Menschen ums Leben kamen. Seine Sprengkraft entsprach der Wirkung von 170000 Hiroshimabomben. 150 km3 Gestein wurden dabei in die Luft geschleudert. Der Vulkan sackte von einer geschätzten Höhe von 4300 m auf seine jetzige Höhe von 2821 m zusammen und hinterließ eine riesige Einsturzcaldera von 7 km Durchmesser. Aufgrund der riesigen Aschemassen, die bis in die Stratosphäre geschleudert wurden, blieb im darauffolgenden Jahr (1816) in Europa der Sommer aus (das berühmte Jahr ohne Sommer).
    Weitaus spektakulärer als der Ausbruch des Tambora, und fälschlicherweise oft auch als größte Naturkatastrophe in der Geschichte der Menschheit bezeichnet, war der Ausbruch des Krakatau am 27. August des Jahres 1883. Es kamen dabei zwar wesentlich weniger Menschen ums Leben, doch waren immerhin noch 36000 Opfer zu beklagen. Die Sprengkraft entsprach der von ca. 100000 Hiroshimabomben. Der Ausbruch dauerte 20 Stunden, in denen der Vulkan 18 km3 Gestein und Asche in die Luft schleuderte. Ein dumpfes Grollen war noch im 2200 km entfernten Australien und auf der Insel Madagaskar zu hören. Im benachbarten Batavia (heute Jakarta) ließ man die Geschütze in Stellung bringen, weil man glaubte, der Feind greife an. Eine 40 m hohe Flutwelle raste auf die Inseln Java und Sumatra zu, wo sie erhebliche Verwüstungen anrichtete. Ein Dampfschiff, das gerade die Sunda-Straße passierte, als es geschah, wurde später 4 km landeinwärts gefunden. Dort, wo dereinst der Krakatoa, wie er in der Landessprache genannt wird, aus zumeist aufgewühlter, grünblauer See aufragte, befindet sich heute eine riesige untermeerische Einsturzcaldera, deren Ränder an einigen Stellen aus dem Meer emporsteigen (die Inseln Rakata, Sertung und Panjang). Die höchste Erhebung dieses Kraterrandes ist der 885 m hohe Inselvulkan Rakata. Im Jahre 1927 sah ein Fischer an der Stelle, wo sich einst der Krater des Krakatoa befand, Luftblasen aus dem Meer aufsteigen. Ein neuer Vulkan war geboren. Nach seinem berühmten Vorfahren erhielt er den Namen Anak Krakatau, d.h. Kind des Krakatau. Im Jahre 1930 war es dann soweit. Der Anak Krakatau tauchte aus dem Meer auf. Der Vulkan, der seit seiner Entstehung ca. 60mal ausgebrochen ist, durchschnittlich 1,2 mal im Jahr, hat heute bereits eine Höhe von mehr als 200 m erreicht. Bei seinem letzten Ausbruch im Juni 1993 kam eine amerikanische Touristin ums Leben, die von fliegenden Steinen getroffen wurde und schwere Verbrennungen durch heiße Asche erlitt. Noch auf dem Boot zurück ins Krakatau Beach Hotel erlag sie ihren Verletzungen. Vier weitere Touristen, zwei Briten und zwei Indonesier, erlitten ebenfalls Verletzungen.
    Die Ausbrüche des Tambora und des Krakatau sind zwei extreme Beispiele für durch Vulkane verursachte Naturkatastrophen in historischer Zeit. Aber auch in jüngerer Zeit haben sich immer wieder Ausbrüche ereignet. Indonesiens derzeit gefährlichster Vulkan, der Merapi (2911 m), bricht periodisch alle zwei Jahre aus. Ein Ausbruch des Merapi führte vermutlich zum Untergang des zentraljavanischen Reiches bzw. zur Verlagerung des Machtzentrums nach Ostjava. Dies war wohl der Hauptgrund, warum die Tempelanlage der Shailendra-Dynastie, der Borobudur, das größte buddhistische Heiligtum der Welt, aufgegeben wurde. Der Merapi zählt zu den sogenannten Killervulkanen, die gänzlich unberechenbar sind und ohne jede Vorankündigung ausbrechen. Dennoch dienen sechs Meßstationen der ständigen Überwachung, um rechtzeitig Evakuierungen einleiten zu können.
    Trotz ihrer Gefährlichkeit siedeln die Menschen weiterhin am Fuße von Vulkanen, weil die zu Erde gewordene Lava äußerst fruchtbar und ertragreich ist. So gesehen sind die Vulkane Segen und Fluch zugleich.
    Eine ganze Reihe von Vulkanen auf Sumatra und Java sowie auf den kleinen Sunda-Inseln sind lohnendes Ausflugsziel, wenn man keine Mühen und Anstrengungen scheut, die teilweise unmittelbar aus Meereshöhe sich erhebenden Riesen zu erklimmen, unter denen einige bis nahezu 4000 m aufragen. Die höchsten sind der Gunung Kerinci (3800 m) auf Sumatra, der Gunung Rinjani (3726 m) auf der Insel Lombok und der Gunung Semeru (3676 m) auf Java. Sie zählen damit zu den höchsten Bergen Indonesiens überhaupt. Nur die schneebedeckten Gipfel Irian Jayas sind höher. Viele Vulkane sind unzugänglich, weil sie von dichtem tropischen Regenwald umgeben sind. Andere wiederum, wie etwa der Tangkuban Prahu (2084 m) - von echten Bergsteigern verächtlich als Drive-in-Vulkan bezeichnet, weil die Straße fast bis an den Kraterrand hinauf führt - oder der heilige Bromo (2302 m) auf dem Tengger-Massiv, werden von wahren Völkerwanderungen heimgesucht. Ich habe natürlich auch diesen Vulkan bestiegen, nur der Vollständigkeit halber, jedoch waren die Gefühle nach der Besteigung sehr gemischt, weil man den Lohn des Anstiegs mit anderen teilen muß, die sich das eigentlich nicht verdient haben. Es empfiehlt sich, nicht wie die unzähligen Pauschaltouristen, von denen einige schon am Krückstock gehen, gleich nach Erklimmen der "Hühnerleiter", die den letzten Teil des Wegs zum Gipfel bildet, stehenzubleiben, sondern sich wenigstens die Mühe zu machen, den Krater zu umrunden. Eine gespenstische Erscheinung auf dem Kratergrund nach Art eines bengalischen Feuers deutet darauf hin, daß der Schlund zur Hölle durchaus geöffnet ist. Es scheint, als ob der Drache, der dort haust, jederzeit bereit ist, den Rachen weit aufzusperren und alles zu verschlingen, was in seiner Nähe ist.
    Nachdem sich die Sonne glutrot über den Horizont erhoben hat, beginnt das Sandmeer des Tengger-Kraters goldgelb zu leuchten. Bizarr zeichnen sich die scharfkantigen Tufformationen wie Dünen über dem Meer ab. Den schönsten Sonnenaufgang erlebt man jedoch nicht auf dem Bromo selbst, sondern vom benachbarten Penanjakan (2702 m) aus, wo man die Umrisse sämtlicher Vulkankegel innerhalb oder auf dem Rand der Caldera sich gespenstisch gegen den rötlichen Morgenhimmel abheben sieht. Insgesamt sieben Vulkankegel sind zu zählen, darunter die Gipfel des Ider-Ider (2527 m), Widodaren (2614 m), Kursi, Mingal (2480 m) und des Batok (2440 m), des Nachbarvulkans des Bromo (Abb. 1). Vom hinteren Teil des Kraterrandes kann man bereits die ständig aus dem Schlot des Semeru austretenden weißen Rauchschwaden sehen. Allein um den Gipfel des Semeru selbst sehen zu können, lohnt es sich, den Gunung Ider-Ider zu besteigen. Der eigentliche Aufstieg zum Semeru beginnt in Rano Pani und dauert ca. 12 Stunden, fordert einem also ein Maximum an Ausdauer und Kondition ab, wenn man den Berg an einem Tag bezwingen will.
    Andere lohnende Gipfelziele auf Java sind der Doppelvulkan Gede (2958 m) und Pangrango (3019 m) im gleichnamigen Nationalpark südöstlich von Bogor, der G. Guntur (2249 m) nordwestlich von Garut, der G. Pangonan (2300 m) auf dem Dieng-Plateau sowie der berüchtigte Merapi nahe Yogyakarta. Keine Bergtouren im eigentlichen Sinne, aber dennoch lohnende Ziele sind ein Ausflug zum Ijen-Krater im äußersten Osten Javas, 500 m unterhalb des Merapi-Gipfels (nicht zu verwechseln mit dem Merapi in Zentraljava), sowie eine Bootsfahrt von Labuhan zu den weltberühmten Krakatau-Inseln im Ujungkulon-Nationalpark.
    Auf der Nachbarinsel Bali ist der höchste Berg, der Gunung Agung (3142 m), das lohnendste Gipfelziel. Der heilige Berg der Balinesen, und einer der vier Kardinalpunkte, brach zum letzten Mal im Jahre 1963 aus, gerade zu dem Zeitpunkt, wo die Balinesen in Besakih, dem Nationalheiligtum Balis, ihr einhundertjähriges Tempelfest feierten. Wie durch ein Wunder kamen die Lavamassen vor dem Heiligtum zum Stehen. Diejenigen unter den Gläubigen, die sich in den Tempel geflüchtet hatten, blieben unversehrt, die anderen jedoch, die nach draußen flüchteten, kamen um. Mehr als 2000 Menschenleben forderte dieser Ausbruch des G. Agung. Das hundertjährige Tempelfest der Balinesen wurde 1979 nachgeholt.
    Für die Besteigung des Gunung Agung ist es nötig, sich in Besakih einen Führer zu nehmen, da der Weg, besonders bei unsichtigem Wetter, leicht verfehlt werden kann. Da meist schon am späten Vormittag Wolken in der Gipfelregion aufziehen, sollte man bereits um zwei Uhr nachts aufbrechen. Auf dem Agung gibt es nirgendwo Wasser, so daß man an ausreichenden Flüssigkeitsvorrat denken sollte. Der Anstieg dauert von Besakih 7-8 Stunden. Die Mühen des Aufstiegs machen sich jedoch bezahlt, denn vom Gipfel genießt man bei klarem Wetter eine unbeschreibliche Fernsicht.
    Weitaus weniger beschwerlich als der Gunung Agung ist der Gunung Batur (1717 m) zu besteigen, der inmitten einer der größten Calderen der Welt liegt, die zu einem Drittel vom Batur-See ausgefüllt wird (Abb. 2). Wie der Agung im Osten, so zählt nach dem Glauben der Balinesen auch der Batur zu den vier Kardinalpunkten. Obwohl bergsteigerisch kaum eine Herausforderung, ist die Besteigung des Batur dennoch außerordentlich lohnend, da man vom Gipfel eine einzigartige Rundsicht genießt. Da fällt der Blick zunächst in den Krater, aus dem austretende Fumarolen von der immer noch ernst zu nehmenden Gefährlichkeit des Vulkans künden, sodann hinab auf den smaragdgrünen Batur-See, in den die Kraterwände senkrecht abfallen, so daß bis heute keine Umrundung des Sees möglich ist, nicht einmal zu Fuß. Weiter schweift der Blick auf den Gunung Abang, der sich über dem gegenüberliegenden Kraterrand erhebt und der majestätisch vom Gunung Agung im Hintergrund überragt wird. Am gegenüberliegenden Seeufer erblickt man das nur per Boot zu erreichende Bali-Aga-Dorf Trunyan, wo noch heute uralten einheimischen Kulten der Totenverehrung gehuldigt wird. Die Bali-Aga gelten Touristen gegenüber als sehr aggressiv. Man spürt dies an der ungewöhnlichen Aufdringlichkeit der Händler und der Führer, die sich einem für diese Tour anbieten. Man kann den Weg, der zwischen Pura Jati und Toya Bungkah beginnt, jedoch kaum verfehlen. Wie der Agung ist auch der Batur Ziel vieler Rucksacktouristen aus Bali, die in Scharen auf den Berg strömen und einem leicht die Freude an der Besteigung dämpfen können.
    Eine der großartigsten Touren, die man auf dem indonesischen Archipel unternehmen kann, ist die Besteigung des Rinjani (3726 m) auf Lombok, der Nachbarinsel Balis. Ausgangspunkt für dieses Unternehmen ist Batu Koq, das man von Mataram aus über Anyar und Bayan erreicht. Man muß dafür mindestens vier bis fünf Tage einplanen. Die Anreise von einem der zwei Badezentren Balis bis zum Basecamp dauert einen ganzen Tag, so daß man von der einzuplanenden Dauer der Tour insgesamt zwei Tage abziehen muß. Zudem erfordert die Besteigung des eigentlichen Rinjani-Gipfels, der den höchsten Punkt auf dem Rand einer riesigen urzeitlichen Caldera darstellt, bergsteigerische Erfahrung.
    Nach Padangbai, dem Fährhafen auf Bali in Richtung Lombok, verkehren von Kute und Sanur Beach pausenlos Colts und Minibusse, die aber meist mit Menschen vollgepfropft sind. Dafür zahlt man einen Spottpreis von umgerechnet 2 DM. Wie überall in Touristenzentren hat sich jedoch die Unsitte breit gemacht, von Touristen den doppelten bis dreifachen Preis zu verlangen.
    Die Überfahrt mit der Fähre nach Lembar dauert vier bis fünf Stunden. Die Anlegestelle wäre zwar schon nach vier Stunden erreicht, doch ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß eine andere Fähre im Hafen liegt und die einlaufende erst noch eine halbe Stunde auf dem Teller drehen darf, ehe jene voll beladen ist und auslaufen kann. Obwohl von einem planmäßigen Fährbetrieb nicht die Rede sein kann, laufen dennoch keine langen Wartezeiten auf, da genügend Schiffe verkehren (ca. alle zwei Stunden).
    Wenn man in Lembar von der Fähre geht, erwarten einen bereits die Schlepper. Man hüte sich, auf deren Angebote einzugehen, da man in der Regel übers Ohr gehauen wird. So wurde mir selbst die bittere Erfahrung zuteil, für die Vermittlung eines Mietautos letztendlich einen Preis von umgerechnet 65 DM bezahlen zu müssen, weil sich die Verhandlungen derart lange hinzogen, daß der letzte Bus nach Anyar bereits abgefahren war. Es stellte sich nämlich während des Gesprächs heraus, daß man hier auf Lombok zwar auf Kreditkarte Fahrzeuge mieten, darauf aber keine Fahrzeugversicherung abschließen kann. So blieb mir denn in Anbetracht der knappen Zeit nur die Möglichkeit, ein privates Bemo mit Fahrer zu mieten. Die Fahrer sprechen zudem fast ausnahmslos kein Englisch, so daß man zusätzlich einen englischsprechenden Guide mitnehmen muß. Dabei hat man Mühe zu verhindern, daß nicht auch noch all die anderen Guides mitfahren, die noch kein Opfer gefunden haben. Hat man es geschafft, die überzähligen abzuwimmeln, so kann man sicher sein, daß man vom Sieger begleitet wird, der sich im darüber entbrannten Streit durchgesetzt hat.
    In Batu Koq angekommen ist rasch eine Bleibe für die Nacht gefunden. Es ist ein einfaches Quartier, dafür aber preiswert. Eine Übernachtung mit Frühstück kostet umgerechnet etwa 7 DM. Im Preis inbegriffen ist, daß der Gastgeber seinem einzigen Gast den ganzen Abend Gesellschaft leistet. Wir plaudern über Gott und die Welt, soweit dies aufgrund meiner zur Gänze fehlenden Indonesischkenntnisse, die sich auf die wichtigsten Höflichkeitsformeln beschränken, sowie dem mangelhaften Englisch meines Gesprächspartners überhaupt möglich ist. Auch wenn die Konversation schwierig ist, das Wichtigste dabei ist, daß wir uns beide Mühe geben. So wie ich Anom - so heißt mein Gastgeber - verstanden habe, sollte die erste Tagesetappe bei Basecamp III enden und tags darauf bis Basecamp IV fortgesetzt werden. Ich habe indessen nicht die Zeit, das Ganze hinauszuzögern, wie vielleicht andere, und muß auf jeden Fall noch morgen in den Krater absteigen und den Zeltplatz erreichen, denke ich insgeheim. Auf die Frage, ob dies möglich sei, verneint mein Gastgeber. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, daß ich den 7- bis 8stündigen Marsch bis zum Campingplatz schaffen werde. Ob es auf Position IV Wasser gebe, frage ich Anom, wie man im Reiseführer lesen kann. "Ja gewiß", antwortet dieser, worauf ich mich entschließe, die Feldflasche leer mitzunehmen und erst an Ort und Stelle aufzufüllen. Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich später herausstellen sollte!
    Das Frühstück ist ebenso spartanisch wie das Nachtlager: eine aufgeschnittene Banane, mit Ananasstückchen serviert, dazu ein Glas Tee. Da ich nicht weiß, wie ich daraus Kraft für einen anstrengenden Aufstieg schöpfen soll, packe ich meine in Mataram gekauften Lebensmittel aus, um den Speisezettel etwas zu bereichern, natürlich nicht ohne meinem Gastgeber etwas von den Keksen anzubieten. Mein Appetit ist ohnehin nicht groß an diesem Morgen, und als dann auch noch die Frühstücksratte an meinem Zimmer vorbeihuscht, ist er vollends dahin. So beschließe ich denn, mich unterwegs zu stärken, wenn mich wider Erwarten angesichts des schwülheißen Klimas der Heißhunger packen sollte.
    Als ich Position I erreiche, lese ich es mit eigenen Augen: 28 Stunden bis zum Gipfel. "Mein Gott", denke ich mir, "soviel Zeit habe ich doch gar nicht". Folglich entschließe ich mich, wenigstens das maximal Mögliche herauszuholen. Auf Position I muß eine Gebühr für das Betreten des Nationalparks entrichtet werden, umgerechnet 2 DM. Dafür darf man sich dann auch in eine Liste eintragen. Eine Anmeldung im eigentlichen Sinne, die im Ernstfall eine Suchaktion nach dem Verunglückten auslösen würde, ist dies jedoch nicht, allenfalls ein Erfassen von Besucherzahlen.
    Bei Position I beginnt ein schmaler Pfad, der zunächst über landwirschaftlich genutze Flächen führt, bis sich die Spuren der Zivilisation allmählich verwischen. Urwald tritt nun anstelle der Gärten und Felder, saftiger, turmhoher, immergrüner tropischer Regenwald vom Feinsten! Der Weg ist immer noch gut zu erkennen, einen Führer braucht man wirklich nicht. Dennoch wird man als Einzelgänger hier nicht gern gesehen. Die mir entgegenkommenden Einheimischen, allesamt entweder Träger oder Guides, grüßen entweder überhaupt nicht, oder aber sie erwidern den Gruß nur widerwillig. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, daß die Einheimischen es als ihr Privileg ansehen, das Gepäck oder die Verpflegung von Touristen tragen zu dürfen oder sie zumindest zu führen, und jeder, der dieses Angebot ausschlägt, macht sich unbeliebt, weil er dem Geschäft schadet. Ich bin vom Basislager nicht allein weggegangen, sondern zusammen mit einigen jungen Leuten, die mich jedoch bald überholten. Getreu meinem Prinzip, gleichmäßigen Schrittes und ohne Stehenbleiben Fuß um Fuß voranzusetzen, zeigte sich schon bald, daß ich die offenbar Unerfahrenen wieder einholen sollte, als sie müde und abgekämpft in Basislager II (1550 m hoch) ausruhen mußten. Ich kann daher nur jedem raten, anfangs nicht allzu viel aus sich herausholen zu wollen, um unterwegs keine längeren Verschnaufpausen einlegen zu müssen.
    Bin ich morgens bei noch klarem Himmel und strahlendem Sonnenschein losgegangen, so ziehen schon bald im Laufe des Vormittags Wolken auf, die den Dschungel gegen Mittag in einen alles einhüllenden tropischen Nebelwald verwandeln. Daß es plötzlich nicht mehr so heiß ist, macht die Last des Rucksacks leichter, das Gehen wird erträglicher. Da ich mit allen Eventualitäten rechnen mußte und weder die örtlichen Gegebenheiten noch die klimatischen Verhältnisse richtig einschätzen konnte, habe ich alles mitgenommen, was im Führer stand, u.a. auch ein Leichtzelt, einen Anorak und darüber hinaus Photoapparat und Videokamera. Ich bezweifle aber aus heutiger Sicht, ob man ein Zelt wirklich braucht, denn viele, die mir entgegenkamen, gaben an, daß sie am Kraterrand allein im Schlafsack übernachtet hätten, um am nächsten Morgen dort den Sonnenaufgang erleben zu können. Ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, daß dies sonderlich bequem gewesen sein dürfte, denn ebene Liegeflächen habe ich nicht entdecken können.
    Oberhalb der Wolkengrenze, die man bei etwa 2000 - 2200 m durchbricht, herrscht in der Trockenzeit meist eitel Sonnenschein, so daß die Farben voll zur Geltung kommen: das tiefe Himmelblau, das satte Grün einer nunmehr alpinen Flora, das leuchtende Weiß der unter mir liegenden geschlossenen Wolkendecke und das knallige Gelb des nackt zutage tretenden Lavagesteins. In der Ferne ragt hoch über den Wolken der Gunung Agung heraus. Beide Vulkane, den Rinjani und den Agung, kann man praktisch aus der Vogelperspektive betrachten, wenn man, etwa auf dem Flug von Bali nach Sulawesi, die Lombok-Straße überquert, durch die jene imaginäre Linie verläuft, die, nach dem britischen Botaniker Wallache benannt, die westliche asiatische von der östlichen australischen Flora trennt. Zugegeben, für mich Laien sieht die Pflanzenwelt hüben wie drüben ziemlich gleich aus.
    In jenen glühenden Höhen fließt der Schweiß reichlich von der Stirn. Meine 1,5-Liter-Wasserflasche, die meinen gesamten Vorrat an Trinkbarem darstellt, ist, noch ehe ich den Kraterrand erreiche, leergetrunken; frisches Quellwasser gibt es nirgends, weder auf Position III noch auf Position IV, wie ich von Entgegenkommenden erfahren muß. So treffe ich denn jene einzig sinnvolle Entscheidung in solcher Lage, die mir zugegebenermaßen ziemlich schwergefallen ist, nämlich - umzukehren. So wie es aussah, würde ich wohl auf den Gipfel des Rinjani verzichten müssen. Noch nicht einmal mehr der Abstieg in den Krater sollte mir vergönnt sein. Dafür jedoch werde ich entschädigt mit einem Blick auf eine archaische Landschaft, wie ich sie selten irgendwo auf der Welt gesehen habe, vergleichbar höchstens mit dem Monument Valley in Arizona oder dem Blick vom Assekrem auf das Hoggar-Massiv in der algerischen Sahara. Nicht die Photos und nicht die Filme, die ich mir hinterher ansah, vermögen mehr das Gefühl auszudrücken, das mich völlig Erschöpften, halb Verdursteten befiel, als ich nach unendlich scheinender Zeit mit letzter Kraft den Kraterrand erreichte, wie vom Blitz getroffen dastand, von der Schönheit überwältigt, das Auge hinabschweifen ließ in einen von schroffen, steilabfallenden Kraterwänden idyllisch in eine vielfarbige Landschaft eingebetteten See - Segara Anak - inmitten einer riesigen Caldera, jäh überragt von der zackigen Spitze des 3726 m hohen Rinjani-Gipfels. Einem Spaziergang gleich scheint mir das letzte Wegstück auf den lang ersehnten, in so greifbare Nähe gerückten Gipfel, der dennoch so unendlich fern liegt. Hätte ich bloß noch etwas Wasser gehabt, ich hätte keine Anstrengungen und Mühen gescheut, mein Ziel zu erreichen. Wo sich noch Sekunden vorher eine heiße Hölle auftat, war plötzlich ein Garten Eden, auch wenn der inmitten des verästelten Kratersees gelegene, neu entstandene Vulkan Baru (Abb. 4), der wie ein Zwerg wirkt, leichtes Kribbeln verursacht. Der Baru hat nämlich noch keine Höhe erreicht, die ihn über den Rand der Caldera hinausragen ließe, wie etwa der Batur-Vulkan, sondern liegt so weit unter uns, daß man von oben in seinen Krater hineinschauen kann. In die Caldera kann man nur an einer einzigen Stelle absteigen. Nur wenige Schritte rechts von der Stelle, wo der Weg den Kraterrand erreicht, führt ein steiler Pfad die mehrere hundert Meter hohen, senkrecht in den See abfallenden Wände hinab. Der Abstieg dauert zwei bis drei Stunden. Unten angelangt, führt ein Weg links am Seeufer entlang zu dem oben erwähnten Zeltplatz mit Unterstandshütte (Pos. IV). Von hier aus starten die Besteigungen des Rinjani-Gipfels. Der Aufstieg vom Seeufer und zurück dauert etwa 10 Stunden.
    Der Rückweg verläuft nicht ganz reibungslos. Mehr als tausend Male wollte man mir schon Wasser verkaufen, jedoch jetzt, wo ich es so dringend benötigte, war niemand, der da rief: "Hello Sir ... water ... fresh ... one thousand Rupiah!" Ich glaube, ich hätte in dem Moment auch 20 DM für die Flasche gezahlt. Keiner von denen, die mir begegnen, will mir etwas verkaufen. Allein ein hilfsbereiter Indonesier tritt mir auf dem Rückweg eine viertel Flasche frischen, reinen Quellwassers ab und will noch nicht einmal etwas dafür nehmen. Was für einen erschöpften Eindruck mag ich wohl auf ihn gemacht haben?
    Noch vor Einbruch der Nacht will ich den Urwald verlassen haben. Gegen halb sieben setzt die Dämmerung ein. Die Nacht fällt schlagartig ein in äquatorialen Breiten. Kaum ist es dunkel, erwacht der Urwald zum Leben. Überall auf den Bäumen beginnt es zu rascheln, und die Laute der Wildnis werden nun eindringlicher. Irgendwo ganz in der Nähe kreischt es, Geflatter! Ein wildes Tier mag ein Opfer gefunden haben. Die Affen in den Baumwipfeln beginnen unruhig zu werden. Furchtsame Gedanken umfangen mich. Wäre es nicht denkbar, daß noch irgendwo ein wildlebender Sumatra-Tiger in diesen entlegenen Bergregionen sein Unwesen treibt? Werde ich womöglich auf eine der zahlreichen Schlangen treten, von einer giftigen Spinne gebissen? Obwohl ich stundenlang mutterseelenallein meines Weges gehe, kommen mir ab und zu, wenngleich immer seltener, Leute entgegen, die das Gröbste noch vor sich haben. Auch die Minen der Einheimischen werden zusehends bedrohlicher. Aber jede Qual hat einmal ein Ende, und so komme auch ich, als die Sonne glutrot am Himmel versinkt, heraus aus dem dunklen Wald. Wie angenehm sind doch plötzlich wieder die Reisfelder! Auch einen Stand mit Wasser gibt es. Den ersten Liter trinke ich in einem Zuge. Noch köstlicher schmeckt anschließend das Bier in meiner Unterkunft, auch wenn es eigentlich zu warm ist.
    Spät abends gegen zehn Uhr erreichte ich wieder die Losme, in der ich auf dem Hinweg übernachtet habe. Mein staunender Gastwirt will mir zunächst gar nicht glauben, was ich an diesem einen Tag alles geleistet habe, der einzige übrigens, der diese Leistung voll zu würdigen wußte: 2200 Höhenmeter in 6-7 Stunden allein für den Aufstieg, und zurück an einem Tag!
    Auf der Rückfahrt am nächsten Morgen verarbeite ich das Erlebnis noch einmal vor meinem geistigen Auge. Alles andere lasse ich über mich ergehen. Ich werde nur noch weitergereicht, vom Losmenbesitzer zum Becakfahrer, vom Becakfahrer zum Bemofahrer, Hafen- und Zollgebühren müssen entrichtet werden, und unversehens bin ich wieder auf meiner Fähre nach Bali.
    Es war ein großartiges Erlebnis, ein Ausflug ins Tertiär, als jenes dumpfe Grollen eines Berges, welchen wir heute den Rinjani nennen, ankündigte, daß er in den nächsten Stunden in die Luft fliegen würde. Wie viele Jahrtausende mögen seitdem vergangen sein, welche Katastrophe mag sich wohl damals ereignet haben? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, daß die Erde seither noch immer nicht zur Ruhe gekommen ist.

" . . . und ewig grollen die Vulkane, wenn die Göttin der Südsee nach Opfern verlangt!"

 

 

 

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