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Im Land der Maharadschas

    Nach kurzer Fahrt Richtung Bundi, wo wir den dortigen Palast mit sehr schönen Wandmalereien besichtigen, setzen wir die Fahrt nach Sewai Madhopur fort, das wir infolge einer Reifenpanne um eine Stunde verspätet erreichen. In Sewai Madhopur werden wir auf Jeeps umgeladen und in den Nationalpark gebracht, der zu Füßen von Fort Rhantambor liegt. Eine dreistündige Safari führt uns den dortigen Tierreichtum vor Augen, der haupsächlich in Dam- und Schwarzwild besteht, aber auch in Gazellen. In den Gewässern leben Krokodile, an größeren Vogelarten findet man vor allem Reiher. Das Großartigste aber ist das Aufspüren des Königstigers. Lange Zeit liegen wir gegen Abend bei ausgeschaltetem Motor an einer Wasserstelle auf der Lauer, doch nichts tut sich. Das Warten scheint vergeblich, so daß wir bereits im Begriff sind, den Park zu verlassen. Am Eingang angelangt, gibt es einen Schluck Tee, natürlich mit etwas Kardamon, Milch und Zucker, „quite English“. Ein heißer Schluck in der Kälte tut gut. Noch während des Verlassens des Nationalparks versuchen wir, die Fährte des Tigers wiederaufzunehmen. Es mehren sich die Anzeichen, daß er in der Nähe ist. Wir, die wir auf dem Jeep sitzen, verstummen plötzlich. Der Fahrer wendet. An seinem Gesichtsausdruck kann man erkennen, daß er irgend etwas wahrgenommen hat. Inder, die seit altersher mit den Gefahren durch den Tiger vertraut sind, haben ein untrügliches Gespür für seine Nähe. Woran sie merken, daß er da ist, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht hat unser Mann es an dem Kreischen, das aus den Bäumen dringt, die plötzlich in Bewegung geraten, gespürt, daß die Äffchen wie wild geworden von Ast zu Ast hüpfen und ihr Heil in wilder Flucht suchen. Wir beobachten eine Herde Gazellen. Auch sie scheinen die Nähe des Tigers zu fühlen. Eine Art verrät seine Anwesenheit der anderen. Alles ist in wildem Aufruhr. Auch wir Menschen merken an der Natur, wenn Gefahr im Verzug ist. Wie von einem unbekannten Instinkt getrieben, verläßt unser Fahrer die befestigte Piste und wagt sich mitsamt dem Fahrzeug ins Dickicht, stets bereit zu bremsen und, falls nötig, den Rückwärtsgang einzulegen. Ich stehe hinten auf der Ladefläche und halte Ausschau, ob sich irgendwo etwas bewegt. Dann macht unser Fahrer unversehens eine wortlose Andeutung und zeigt auf eine Lichtung, einen Steinwurf weit entfernt. Plötzlich entdecke ich den Tiger und stoße dabei einen unterdrückten Schrei aus. Deutlich erkenne ich seine weiße Unterseite und sein gestreiftes Fell. Es ist ein Weibchen, auf der Jagd. Ganz nach Katzenart streift es, unaufhaltsam näherkommend, durch das mannshohe Gras, direkt auf uns zu, wobei es immer wieder geschickt Deckung sucht und dabei für geraume Zeit verschwindet. Es liegt eine beklemmende Unruhe in der Luft. Offenbar durch uns gestört und um seine Beute gebracht, wird der Tiger sehr zornig, tippelt nun schneller, so daß wir gut daran tun, den Rückwärtsgang einzulegen und den kontrollierten Rückzug anzutreten. Noch zwei weitere Male bekommen wir ihn zu sehen, einmal sogar aus nächster Nähe: Auge in Auge mit dem Tiger! Schließlich sucht er dann, ärgerlich fauchend, doch das Weite. Mittlerweile sind auch die anderen Fahrzeuge, die sich auf die Pirsch begeben haben, herangekommen, doch vom Tiger sehen sie nichts mehr. Insgesamt dreimal haben wir ihn gesehen, in der kürzesten Entfernung auf eine Distanz von weniger als 20 m, und uns während des gesamten Geschehens auf der offenen Ladefläche aufgehalten, gänzlich ungeschützt, und dabei prickelnden Angstschweiß vergossen. Ein Wahnsinnsunternehmen, wenn man bedenkt, was gewesen wäre, wenn plötzlich der Motor abgestorben wäre! Der Tiger hätte nur einige Sätze gebraucht, und ein leckerer Festschmaus wäre ihm sicher gewesen. Unser Fahrer strahlt ob des gelungenen Nervenkitzels, und ein gutes Trinkgeld ist ihm sicher. Noch lange danach herrscht in unserer kleinen Gruppe eine freudig erregte Stimmung ob des Erlebten. Wir berichten das Geschehen den anderen, die neiderfüllt unseren Schilderungen lauschen, denn die meisten haben den Tiger von Sewai Madhopur nicht zu Gesicht bekommen.