KENT
Lexikon des Mittelalters:
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Kent
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Angelsächsisches Königreich, später Grafschaft, im
äußersten Südosten Englands am Kanal gelegen.
I. Angelsächsisches Königreich:
Kent, das Stammesgebiet der keltisch-britischen Cantiaci (Cantii),
Vorort: Canterbury,
wurde 43 n. Chr. römisch erobert. Seit dem
5. Jh. drangen Angelsachsen ein (in Kent und anderen
südenglischen Gebieten wohl vornehmlich sächsische Gruppen).
Trotz angelsächsischer Herrschaft blieb weiterhin
romano-britischer Einfluß bestehen. Das Königreich Kent, das
zur sogenannten 'Heptarchie' der Angelsachsen-Reiche (England A)
zählte, gewann besondere Bedeutung unter König Æthelberht (560-616),
der in Beziehungen zum Franken-Reich stand (Heirat mit der merowingischen
Prinzessin Bertha), die Würde
des Bretwalda innehatte und das Christentum förderte. 597 nahm er
den hl. Augustinus auf
(Gründung der Bistümer Canterbury und Rochester sowie
London). Æthelberht
erließ das älteste angelsächsische Gesetz, dem im
späten 7. Jh. weitere Gesetzestexte, erlassen von Hlothhere und
Eadric,
folgten (Codex Roffensis, Angelsächsisches Recht, Gesetzgebung
C.I); sie geben Einblick in Institutionen und Gerichtsverfassung des
frühmittelalterlichen Kent. Nach Æthelberhts
Tod folgte eine Periode heidnischer Reaktion; doch blieb in Canterbury
stets die christliche Kontinuität, in engem Anschluß an das
Papsttum, gewahrt (Taufe des Königs
Eadbald,
Missionsansätze in Northumbrien durch Paulinus, im späten
7. Jh.
Weihe des Erzbischofs Theodorus von
Tarsus).
Das wirtschaftlich entwickelte (frühe Münzprägung in
Canterbury), kirchlich-kulturell dem Kontinent (Franken-Reich, Rom)
zugewandte Kent wurde im 7. und 8. Jh. politisch von seinen
mächtigen Nachbarn (Mercien, Wessex) überflügelt und war
(einer älteren Zweiteilung des Landes folgend?) zeitweilig
geteilt. Im 8. Jh. geriet Kent in zunehmende Abhängigkeit von
den Königen von Mercien (Æthelbald,
Offa).
Nach letzten Versuchen, ein unabhängiges Königtum
wiederherzustellen, wurde Kent im frühen 9. Jh. von Egbert dem
entstehenden Großreich der Könige von Wessex eingegliedert.
Als Unter-Königreich der Wessexer Dynastie kam Kent nach dem Tode Æthelwulfs (†
858) durch Reichsteilung
vorübergehend an Æthelberht
(†
bereits 866) und war danach, seit Æthelred
(866-871) und Alfred
dem Großen (871-899),
fester Bestandteil des westsächsischen Reiches, in dessen
Grafschaftsorganisation (shire)
es
einbezogen wurde. Kent hatte stark unter den Wikinger-Einfällen
(851, 1011) zu leiden. Nach 1066 wurden hier von den Normannen
mächtige Burgen (Dover, Rochester) und Kathedralen
(Canterbury,
Rochester) errichtet. Kent, ein Agrarland mit vielfältigem Acker-
und Gartenbau, profitierte seit dem Spät-Mittelsalter von dem sich
entwickelnden Absatzmarkt der Metropole London. 1450-1451 war es
Ausgangspunkt des Bauernaufstandes des
J. Cade.
U. Mattejiet
II. Earldom:
Das Earldom
wurde von Wilhelm I.
für seinen Halb-Bruder Odo,
Bischof von Bayeux († 1097), geschaffen, der zusammen
mit ihm in Hastings
gekämpft hatte. Dieser erhielt über 500
Grundbesitzungen (manors),
von denen 200 in Kent lagen. Odo
spielte bei der Niederschlagung des Aufstandes von 1075 eine bedeutende
Rolle. 1080 wurde er nach Northumberland
gesandt, um den Mörder von
Bischof Walcher von Durham zu
bestrafen. 1082 wurde er eingekerkert. Angeblich plante er, nach
Italien zu ziehen, um dort die Papstwürde zu erlangen. Odo wurde seines Earldoms für
verlustig erklärt und in der Normandie
eingekerkert. Er erlangte
jedoch die Gunst Wilhelms II. Als er
1088 zugunsten von Robert von der
Normandie rebellierte, verlor er sein Earldom erneut, das trotz
des von seinem Neffen erhobenen Anspruchs aufgehoben wurde. Unter König Stephan von Blois
beherrschte der flämische
Söldner-Kapitän Wilhelm
von Ypern den
größten Teil von Kent, doch wurde er nie zum Earl erhoben.
Der Titel wurde erst wieder 1227 von Heinrich III.
an Hubert
de Burgh († 1243) verliehen, der eine
bedeutende Rolle unter König
Johann spielte. Seit 1215
Justitiar, erhielt er dieses Amt 1228 auf Lebenszeit. Als er Constable
von Dover und 1202 warden der Cinque Ports wurde, beauftragte man
ihn
mit der Aufsicht über Kent, doch erhielt er den Rang eines Earl
erst, als König Heinrich III. für
mündig erklärt worden war. Während der ersten
Regierungsjahre Heinrichs
spielte er eine beherrschende Rolle am Hof, doch fiel er 1232 in
Ungnade und verlor seinen Earl-Titel,
vor allem weil er sich 1230
geweigert hatte, am Feldzug gegen Frankreich teilzunehmen. Auch stand
er wohl in Verbindung mit dem antipäpstlichen Aufruhr unter Robert Twenge. Sein Sturz
wurde von
dem am Hof einflußreichen Pierre
des Roches und seinem Neffen
Pierredes Rivaux
betrieben. 1234 erfolgte eine Versöhnung mit Heinrich III.,
und Hubert de Burgh
erhielt
sein Earldom zurück,
doch durfte sein einziger Sohn aus erster Ehe
keinen Erbanspruch geltend machen.
Erst 1321 wurde der Titel erneut verliehen. Eduard II.
übertrug ihn seinem Halb-Bruder Edmund von Woodstock (* 1301, † 1330), der sich nur kurz in
Kent
aufhielt. 1322 kämpfte er gegen Thomas, Earl of Lancaster,
und nahm auch an
dem schottischen Feldzug im selben Jahr teil. 1325 in die Gascogne
entsandt,
begleitete er Königin Isabella zu den
Friedensverhandlungen mit Philipp
V. von
Frankreich. Ein Gegner Eduards
II., blieb er mit
der Königin im Exil und nahm 1326 an ihrer Invasion in England
teil. 1327 erhielt er honour und
Burg von Arundel. Wahrscheinlich
wurde sein Sturz von Roger
Mortimer betrieben.
Im März 1330 gefangengenommen, wurde er des Verrats angeklagt und
hingerichtet. Sein Sohn Edmund (* 1326, † 1331) erhielt von Eduard III.
alle Ländereien und Titel seines Vaters. Als er früh
verstarb, folgte sein Bruder
John (* 1330, † 1352), der, obwohl erst
sechzehnjährig, beauftragt wurde, sich den Truppen in Calais 1346
anzuschließen. 1347 erhielt er die Ländereien seines Vaters
und erbte 1351 die seiner Mutter. Seine Ehe mit der Tochter des Markgrafen von Jülich
(1348) blieb kinderlos.
Der Earl-Titel ging nun an
seine Schwester Johanna von Kent (* ca. 1328, † 1385) über, die Thomas
Holland († 1360) geheiratet
hatte. Doch als
dieser an einer Preußen-Reise teilnahm, mußte sie sich auf
Wunsch ihrer Familie mit William
Montague, dem Erben des
Earldoms von Salisbury,
vermählen. Nach seiner
Rückkehr appellierte Holland
1347 an den Papst. Die Entscheidung fiel - gemäß dem Wunsch Johannas
- zugunsten von Holland aus,
und 1349 wurde die Ehe mit dem Earl
of Salisbury annulliert. Holland
schlug eine bedeutende militärische Laufbahn bei den
Feldzügen gegen Frankreich ein. 1360 wurde er kurz vor seinem Tod
jure uxoris zum Earl of Kent erhoben. Seine
Witwe heiratete 1361 Eduard den Schwarzen Prinzen
in
einer heimlichen Zeremonie.
1380 erhielt Thomas
Holland (*
ca. 1350, † 1397), der Sohn von Thomas und Johanna,
den Earl-Titel.
Er beschritt die militärische Laufbahn und spielte keine Rolle bei
den politischen Auseinandersetzungen während der Regierung Richards
II. Ihm
wurde 1384 der Schutz von Cherbourg übertragen, 1385
beaufsichtigte er die Verteidigung von Calais.
Am schottischen Feldzug Richards
II.
nahm er 1385 teil und begleitete 1394 den König nach Irland.
Nach
seinem Tod 1397 folgte sein
gleichnamiger Sohn Thomas
(* 1371,
† 1400), der Richard II.
unterstützte. Neben dem Titel eines Duke
of Surrey erhielt er das
Amt des Marshals von England
und wurde 1398 zum Lieutenant
von Irland
ernannt. Als Heinrich
IV. den Thron bestieg, wurde er seines Herzogtums für
verlustig erklärt und wegen seiner Beteiligung an einer
Verschwörung gegen den neuen König von einer aufgebrachten
Volksmenge 1400 enthauptet.
Sein Nachfolger wurde sein Bruder Edmund
(* 1383, † 1408), der in der Schlacht von
Shrewsbury 1403 kämpfte und an der Seeschlacht von 1405 gegen
die
Franzosen teilnahm. 1407 diente er als Admiral und wurde 1408 bei einem
Gefecht in der Bretagne getötet.
Da er kinderlos war, erlosch das
Earldom of Kent erneut.
1461 erhielt William
Neville, Lord Fauconberge
(† 1463), der 8. Sohn des Earl of Westmorland,
den Titel. Er hatte die Vorhut der York-Partei in den
Schlachten von
Northampton und Towton
befehligt. 1462 wurde er Admiral
von England. Er starb wahrscheinlich bei der Belagerung von Alnwick und
hinterließ keinen männlichen Erben.
Das Earldom erlosch
erneut. Den Earl-Titel
erhielt 1465 Edmund
Grey of Ruthin (* 1416,
† 1490), der einen
wesentlichen
Anteil an dem Ausgang der Schlacht von Northampton von 1460 gehabt
hatte. Er verließ Heinrich
VI. und
wechselte zu dem Duke of York
über. Eduard
IV. ernannte ihn 1463 zum Lord
High Treasurer, doch machte er
anschließend keine große Karriere. Bis zum 18. Jh. verblieb
das Earldom in der Familie der GREY.
M.C. Prestwich