ENGLAND
Lexikon des Mittelalters:
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England
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A. Vom 5./6. Jh. bis 1154
I. Vom Ende der römischen Periode bis zum 7. Jahrhundert:
Das weitgehend von einer keltischen Bevölkerung (Briten; Kelten)
bewohnte Britannien wurde, nachdem bereits Caesar 55-54
v. Chr. einen Britannien-Feldzug durchgeführt hatte, seit der
frühen römischen Kaiserzeit (Claudius, 43
n. Chr.) systematisch erobert und zur Provinz ausgebaut (siehe im
einzelnen Britannia). Seit dem frühen 5. Jh. war die römische
Regierung nicht mehr in der Lage, ihre Herrschaft über diesen Teil
des Reiches aufrechtzuerhalten. Die Autorität ging zunehmend an -
mehr oder minder romanisierte - Fürsten (reges) und einheimische
Aristokraten britischer Herkunft über, von denen einige die
römische Politik der Rekrutierung von Germanen, die
gewöhnlich aus den Gebieten nördlich der Rheinmündung
stammten, fortsetzten. Schon nach kurzer Zeit streiften Teile dieser
Germanenverbände die britische Oberhoheit ab und begründeten,
unter starkem Zuzug neuer Einwanderer, eigene Herrschaftsgebiete, die
sie auf Kosten der britischen Territorien rasch erweiterten. Diese
Germanen wurden von Römern wie Briten allgemein als 'Sachsen' (Saxones) bezeichnet; besonders in
den späteren Königreichen der Ost-, West- und
Süd-Sachsen spielten sächsische Bevölkerungsteile (zum
Teil neben Friesen) eine dominierende Rolle. In Mittel- und
Nord-England dagegen siedelten vornehmlich eingewanderte Angeln,
Angehörige eines germanischen Volkes, dessen Heimat im Bereich
nördlich der Elbe lag (vgl. den heutigen Landschaftsnamen 'Angeln'
im nordöstlichen Schleswig-Holstein). Der Name 'Angeln' setzte
sich als Gesamtbezeichnung bis zum 9. Jh. durch; König Alfred der
Große, selbst ein West-Sachse, bezeichnete seine Sprache
als 'englisch', und seit dem 11. Jh. wurde das vereinigte Gesamtreich
mit dem Begriff 'Englaland'
bezeichnet. Diese
Begriffsentwicklung mag zum Teil mit der frühen Vorherrschaft von
Fürsten anglischer Herkunft zusammenhängen; ein wichtiger
Faktor war jedoch zweifellos die Verwendung der Bezeichnung 'gens Anglorum' für die
germanischen Herrscher von Britannien bei den kirchlichen Autoren, die
in der Nachfolge Papst Gregors des
Großen standen. - Zur weiteren Begriffsgeschichte und zur
Archäologie siehe Angelsachsen.
Bis zum Ende des 7. Jh. hatten die Angelsachsen den größten
Teil Britanniens südlich des Firth
of Forth unter ihre Kontrolle
gebracht, wobei die einzelnen Etappen der angelsächsischen
Landnahme und
Herrschaftsbildung, nicht zuletzt wegen der schlechten Quellenlage,
umstritten bleiben. Mehrere britische Herrschaftsbereiche konnten sich
im
Westen gegen den angelsächsischen Einfluß behaupten (Wales;
Dumnonia im heutigen Cornwall und
westlich Devon; Strathclyde
bzw.
Cumbria im Nordwesten). Die genaue Zahl der angelsächsischen
Königreiche läßt sich für das 7. Jh. nicht
bestimmen; da aber seit dem Ende des 7. Jh. sieben führende
Königreiche feststellbar sind, hat sich allgemein die Vorstellung
einer angelsächsischen »Heptarchie« durchgesetzt:
Kent, Ostsachsen (Essex), Südsachsen (Sussex), Westsachsen
(Wessex), Ostanglia (East-Anglia), Mercien (Mercia), Northumbrien
(Northumbria). Die beiden größten und mächtigsten
Reiche waren Mercien und Northumbrien, die voneinander durch den Humber
abgegrenzt waren; alle anderen Angelsachsenreiche wie auch die meisten
der noch bestehenden britischen Reiche unterstanden - in
unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen - der mercischen
oder der northumbrischen Oberherrschaft. Bis 700 expandierten die
northumbrischen Könige bis zum Firth of Forth und gliederten auch
die Nordküste des Solway Firth ihrem Herrschaftsbereich ein.
Mercien dehnte sich demgegenüber bis zur Themse aus, so daß
London, das bis dahin ein
ostsächsischer Vorort gewesen war, nun
fest unter mercische Herrschaft geriet. Die heutigen Grafschaften Kent,
Essex und Sussex
sowie die Landschaft East-Anglia mit ihren beiden
Grafschaften Norfolk und Suffolk entsprechen
territorial noch
weitgehend den vier angelsächsischen Königreichen, deren
Namen sie bewahren. Das übrige südlich der Themse gelegene
Gebiet wurde von den West-Sachsen kontrolliert; ihr Machtbereich
reichte im Westen bis Exeter.
Im Ringen um die Oberherrschaft gerieten die östl.
Angelsachsenreiche im Laufe des 7. Jh. zunehmend ins Hintertreffen:
Schon vor 700 wurde Ost-Sachsen der ständigen Oberherrschaft von
Mercien unterworfen, während die Unabhängigkeit des
Königreiches der Süd-Sachsen durch Mercien wie durch
West-Sachsen bedroht wurde. Æthelberht,
König von Kent († 616), und Rædwald,
König von Ostanglien († 616/627), waren nacheinander
Oberherren der südlichen Angelsachsen (vgl. Bretwalda); ihre
Nachfolger konnten diese Machtfülle allerdings nicht behaupten.
Die northumbrischen, mercischen und westsächsischen
Königreiche hatten den Vorteil, im Norden und Westen auf Kosten
der Briten expandieren zu können.
II. Die Angelsachsenreiche und ihr Ringen um die Vorherrschaft:
[1] Northumbrien:
Die Ausbildung und Expansion angelsächsischen Herrschaft wird in
detaillierter Weise erstmals für das 7. Jh. durch die 731
vollendete »Historia ecclesiastica« des Beda Venerabilis beleuchtet. Beda war naturgemäß
über das Königreich Northumbrien, in dem er selbst lebte, am
besten informiert. Northumbrien hatte ursprünglich aus zwei
Königreichen bestanden: Deira und Bernicia, die zwar britische
Namen trugen, im 7. Jh. aber bereits angelsächsische Fürsten
hatten. Sie umfaßten die englische Ostküste nördlich
des Humber; beider Grenzlinien wurde durch den Tees markiert. Eines der
Hauptzentren von Deira war York,
während der befestigte Vorort von
Bernicia, Bamburgh, an der Küste lag. Anhand heidnischer
germanischer Gräberfelder konnte festgestellt werden, daß
nördlich des Tees weniger eingewanderte Germanen siedelten als in
Deira. Um 600 grenzten Bernicia und Deira im Norden und Westen an
britische Königreiche, von denen drei namentlich bekannt sind:
Elmet, im Gebiet um Leeds, südwestlich von York; Rheged, um den
Solway Firth; Gododdin, am Ende des Firth of Forth, dessen Machtbereich
sich bis zum Hadrianswall, der alten römischen Reichsgrenze
(Limes), erstreckte.
Zu Beginn des 7. Jh. herrschte der
König von Bernicia, Æthelfrith,
auch über Deira, da Edwin,
der Sohn des früheren Königs
von Deira, Ælle,
ins Exil gehen mußte. Æthelfrith
schlug Áedan
mac Gabráin, den König der aus Irland stammenden
Dál
Riada, 603 bei Degsastan. Dennoch wurden später gute
Verhältnisse zwischen beiden Reichen wiederhergestellt, so
daß Æthelfriths
Sohn Oswald nach dem Tode
seines Vaters bei den Dál Riada Exil nahm. Etwa zehn Jahre
später errang Æthelfrith
einen Sieg über die Briten bei
Chester, der lange Zeit im
Gedächtnis blieb. Diese Schlachten
begründeten jedoch keine dauerhaften territorialen Eroberungen;
sie waren eher Episoden im Verlauf von Plünderungs- oder
Vergeltungs-Feldzügen.
616 tötete König Rædwald von Ostanglia,
der Beschützer des vertriebenen Edwin, Æthelfrith
in der Schlacht am Idle bei Doncaster. Danach konnte Edwin die
Herrschaft in den beiden northumbrischen Königreichen
übernehmen. Er vergrößerte Deira durch die Eroberung
von Elmet und errichtete eine - sehr extensive - Oberherrschaft
über die anderen Angelsachsen-Reiche (mit Ausnahme von Kent),
ebenso über mehrere britische Reiche, wobei er - nach Beda - selbst Anglesey und Man
beherrscht haben soll. Nach Bedas
Angaben verfügte Edwin
in
seinen einzelnen Teil-Reichen über jeweils mindestens eine Pfalz (villa regia):
Yeavering in Bernicia, nach den Ausgrabungsbefunden ein
reichgegliederter Baukomplex mit ca. 27 m langer Halle;
Campodunum in Elmet; ein weiterer Königshof bestand am Derwent in
Deira.
Wichtige Residenzen waren auch der vicus
Catterick und insbesondere York. Fraglos hat Edwins Übertritt
zum Christentum seinen Ruf als fähiger und tatkräftiger
Herrscher in der späteren Überlieferung begründen
helfen; die tatsächliche Existenz seiner Oberherrschaft unterliegt
dennoch keinem Zweifel, auch wenn ihre Dauer unbekannt bleibt. Edwin erlag
schließlich bei Hæthfeld (heutiges Hatfield Chase) 633 der
Koalition des britischen Königs
von Gwynedd, Cadwallon,
und des heidnischen Angelsachsen Penda
von Mercien.
Bereits 634 wurde Cadwallon
jedoch von Oswald,
dem aus dem Exil zurückgekehrten Sohn
Æthelfriths,
getötet; Oswald
konnte rasch die Oberherrschaft, wie sie von Edwin
aufgebaut worden war, neu konstituieren. Wieder war es König Penda von Mercien, der
Widerstand gegen dieses northumbrische imperium leistete und Oswald 642
tötete. Danach zerfiel Northumbrien wieder in seine einzelnen
Teil-Königreiche. Die Könige von Deira versuchten, ihre
Selbständigkeit gegen Oswiu
von Bernicia,
den Bruder Oswalds, mit
Hilfe von Penda zu
sichern. Bei einer Invasion Northumbriens wurde Penda 655 am
Winwæd, unweit von Leeds, besiegt und getötet. Dies
ermöglichte Oswiu,
drei
Jahre lang auch Mercien zu kontrollieren, bevor dann Pendas
Sohn Wulfhere die
alte Machtstellung seines Vaters im Gebiet südlich des Humber bald
wiederherstellen konnte. Mit dem Sieg Æthelreds von
Mercien, des Bruders und
Nachfolgers von Wulfhere,
am Trent (679) endeten schließlich die Versuche der Könige
von Northumbrien, südlich des Humber eine Oberherrschaft zu
errichten.
Der mercische Widerstand lenkte die northumbrische Expansion in
nördliche Richtung, zu den Pikten, ab. Æthelfrith
und seine Nachfolger hatten zu ihnen meist ein gutes Verhältnis
gehabt. Erst unter Oswius Sohn Ecgfrith kam es nach
670 verstärkt zu Kriegen, in deren Verlauf Ecgfrith 685
bei Nechtanesmere fiel; der Friede wurde um den Preis einiger
Gebietsabtretungen wiederhergestellt. Die Nachkommen Æthelfriths konnten
bis 717 (Ermordung Osreds)
das
northumbrische Königtum durchgängig in ihrer Familie halten,
danach wechselten sie sich mit anderen Familien ab. Zahlreiche
spätere Könige haben ihre Ansprüche auf die (angebliche)
Abstammung von Ida,
dem Begründer der Dynastie von
Bernicia, gestützt.
[2] Mercien:
Die Ursprünge des Königreiches Mercien sind weitaus weniger
gut belegt. Das Kerngebiet des Königreiches lag im mittleren Tal
des Trent; der wichtigste Königssitz (villa regia) war Tamworth, der
zentrale Bischofssitz Lichfield. Die Begründung - oder doch der
entscheidende Ausbau - des Königreiches erfolgte wohl durch den
noch heidnischen Penda (erstmals
628 belegt, † 655),
der offenbar zunächst
die West-Sachsen aus dem Gebiet von Cirencester, das diese etwa ein
halbes Jahrhundert zuvor den Briten entrissen hatten, verdrängte
und seine Macht schließlich auf große Teile des
südlichen England auszudehnen verstand. Die
Klein-Königreiche, die er eroberte, bildeten später eigene
Bistümer: Worcester
(ursprünglich Königreich der
Hwicce), Hereford (ursprünglich
Königreich der Magonsaete)
und Leicester
(ursprünglich Königreich der Mittel-Angeln).
Lindsay, später ebenfalls Diözese, wurde zunächst auch
von dem konkurrierenden Northumbrien beansprucht, stand aber nach 679
durchgängig unter mercischer Herrschaft. Penda zwang
auch die Ost-Angeln und West-Sachsen zur - temporären -
Anerkennung der mercischen Oberhoheit, die sich unter Pendas
Söhnen Wulfhere (658-675) und Æthelred
(675-704,
abgedankt) noch festigte.
Mercien blieb bis in frühe 9. Jh. die dominierende politische
Kraft in England südlich des Humber, auch wenn seine
Ansprüche auf eine Oberherrschaft in Ost-Anglia, West-Sachsen und
Kent häufig auf Widerstand stießen.
[3] Ostanglia und Kent:
Trotz der herausgehobenen Stellung Rædwalds
von
Ostanglia als Bretwalda,
die auch in seinem Schiffsgrab in Sutton Hoo, dem reichsten Grabfund
aus angelsächsischer Zeit, zum Ausdruck kommt, ist Ost-Anglia
dasjenige frühe Königreich, dessen Geschichte am dunkelsten
bleibt. Vom mercischen Vordringen in die Defensive gedrängt,
konnten die Könige von Ost-Anglia sich zwar behaupten, doch kennen
wir vielfach ihre Namen nur von Münzprägungen.
Demgegenüber ist die frühe Geschichte von Kent gut bezeugt.
Es war das erste Königreich, welches das Christentum annahm; seine
Monasterien bewahrten frühe Quellenzeugnisse, darunter die erste
englische Urkunde, die im Original überkommen ist (König Hlothhere von Kent, 679).
Die ältesten englischen Gesetze (Angelsächsisches Recht)
stammen aus Kent. Sie wurden erlassen von den Königen Æthelberht, Hlothhere und
Eadric,
deren - wohl gleichzeitige - Regierung in einen Zeitraum von 673 bis
685 fiel, sowie von König Wihtred
695, im 5. Jahr
seiner Regierung. In die - komplexe und wenig erhellte - Geschichte des
südöstlichen England waren offenbar nicht nur die Herrscher
von Mercien und Kent, sondern auch diejenigen der Süd- und
West-Sachsen verstrickt. Die Süd-Sachsen konnten nur auf Kosten
ihrer Nachbarn expandieren, von denen sie durch den breiten Wald- und
Ödlandgürtel des Weald getrennt waren. Häufig in
Konflikte mit Kent wie mit den West-Sachsen verwickelt, vermochten die
Süd-Sachsen ihre Nachbarn jedoch nie ernsthaft zu bedrohen.
[4] Wessex:
An die Stelle des ursprünglichen Namens der West-Sachsen, Gewisse,
trat mit der Ausbreitung nach Westen allmählich die Bezeichnung
'West-Sachsen'. Diese expandierten auch im Norden, doch wurde ihnen
durch die Könige von Mercien hier Einhalt geboten. Im Osten
rivalisierten die West-Sachsen mit den Bewohnern Kents und den
Südsachsen, die beide den Versuchen der West-Sachsen, eine
Oberherrschaft zu errichten, Widerstand entgegensetzten. Die besten
Expansionsmöglichkeiten boten sich im (britischen) Westen
(Dumnonia). Obwohl in späteren Quellen das westsächsische
Reich als ein vereinheitlichtes Königreich dargestellt wird,
scheint es sich eher um eine Gruppe von locker verbundenen
Klein-Reichen gehandelt zu haben, über die üblicherweise ein
Ober-König herrschte. Daraus läßt sich schließen,
daß nach Cenwalh (641-672)
nur - wenn
überhaupt - wenige Könige in direkten genealogischen
Beziehungen zu ihren Vorgängern standen, obwohl sie alle auf Cerdic, einen
frühen König des 6. Jh. (bezeichnenderweise mit britischem
Namen), zurückgeführt wurden. Auch Cædwalla, König von Wessex (685/686-688), trug einen
britischen
Namen. Die lange Regierungszeit seines
Nachfolgers Ine (688-726) bewirkte eine
Stabilisierung
des westsächsischen imperium, auf ihn geht auch die erste
westsächsische Rechtssammlung zurück.
III. Die Vorherrschaft von Mercien:
Die von Penda
und seinen Söhnen begründete Vorherrschaft Merciens wurde
erst im 9. Jh. endgültig vernichtet, teils durch die
Wikinger-Invasion, teils durch konkurrierende angelsächsische
Herrscher. Das mittlere Themsetal blieb stets eine umstrittene
Pufferzone, in der sich häufig die Grenzen verschoben,
entsprechend den militärischen Erfolgen oder Mißerfolgen der
West-Sachsen, über die Mercien keine dauernde Herrschaft zu
errichten vermochte. Auch Kent und Ost-Anglia wehrten sich ständig
gegen die Machtansprüche Merciens. Dennoch gelang es einigen
Königen von Mercien, die Oberherrschaft über alle
südenglischen Königreiche erfolgreich durchzusetzen. So
berichtet Beda zu 731,
daß alle südlichen Königreiche (das heißt
südlich des Humber) von Æthelbald,
König von Mercien (716-757), abhängig waren.
Urkunden aus seiner langen Regierungszeit bestätigen, daß er
die Kontrolle über London ausübte und das Patronat über
Kirchen von Kent besaß. Nach seiner Ermordung konnte sich Offa (757-796), der allenfalls
ein entfernter Verwandter Æthelbalds
war, in
einem kurzen Bürgerkrieg als König durchsetzen. Zunächst
beherrschte er wohl nur Mercien selbst sowie Kent, das er 776 durch
einen Aufstand wieder verlor. 785 gelang es ihm, dort seine Macht
wiederzuerrichten und gleichzeitig die Vorherrschaft Merciens
südlich des Humber wiederherzustellen. Die Oberherrschaft
über Wessex erreichte er jedoch nicht, obwohl der westsächsische König Beorthric (786-802) freundschaftliche
Beziehungen
zu ihm unterhielt und seine Tochter heiratete. Der erst spätere
Zusammenbruch der mercischen Vorherrschaft hat auch Offas
große Leistungen in der Überlieferung verdunkelt. Er
gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten frühen
Königen der Angelsachsen. So ließ er »Offa's
Dyke«, einen großen Langwall zur Sicherung der Grenze gegen
Wales, errichten (Befestigung, Abschnitt A.I). Auch organisierte er die
Verteidigung gegen die wikingischen Überfälle in Kent. Er
ließ hervorragende Münzen prägen, selbst
Goldmünzen, die wohl als Geschenke für Rom bestimmt waren.
Mit großem Geschick machte er sich alle verfügbaren
Ressourcen des Königreiches zunutze.
Die Vorherrschaft Merciens überdauerte Offas
Regierung nur kurze Zeit. 825 gewann Ost-Anglia seine
Unabhängigkeit zurück, und Kent befreite sich mit
westsächsischer Hilfe von der mercischen Oberhoheit, um
schließlich die westsächsische Vormachtstellung anzuerkennen.
IV. Die Wikinger-Invasionen:
Die Überfälle der Wikinger auf Britannien begannen in den
letzten Jahren des 8. Jh., aber erst 865 schlossen einige wikingische
Anführer ihre Gefolgschaften zusammen und führten einen
gemeinsamen Eroberungszug nach Britannien durch. 871 kontrollierten die
Wikinger den größten Teil Ost-Englands von York bis London,
doch konnten sie den westsächsischen Widerstand nicht brechen. Die
Wikinger verstärkten ihren militärischen Druck, waren aber
zunächst nicht bestrebt, sich anzusiedeln oder eine regelrechte
Herrschaft zu errichten. Im südlichen Northumbrien regierten die
angelsächsischen Könige zehn Jahre lang unter wikingischer
Oberherrschaft. 876 begannen dann die vereinigten
Wikinger-Verbände, sich aufzuteilen und ständige Siedlungen
in Besitz zu nehmen, zuerst in Yorkshire, dann 877 in Mercien und 879
in Ost-Anglia. König Alfred der Große von Wessex
gewann 886 die Herrschaft über London zurück; er trat die
Stadt jedoch wieder an das mit ihm verbündete Mercien ab. 892
versuchte ein neues, großes Wikinger-Heer, das wikingische
Herrschaftsgebiet auszudehnen, scheiterte aber an den
Verteidigungsmaßnahmen Alfreds,
der
unter anderem eine Flotte und befestigte Zentren hatte errichten lassen.
Manche führenden Angelsachsen waren allerdings durchaus bereit,
mit den Wikingern zusammenzuarbeiten. Zu ihnen gehörte zum
Beispiel Æthelwold,
der Sohn von Alfreds
Bruder und Vorgänger,
der gegenüber Eduard,
dem Sohn Alfreds,
selbst Anspruch auf die westsächsische Königswürde
erhob. Nach der Erhebung Eduards
verband er sich mit den Wikingern in Northumbrien und wurde von ihnen
als König anerkannt.
V. Das westsächsische Reich:
Die Begründung der westsächsischen Machtstellung erfolgte
unter König Egbert (802-839), der durch einen Sieg
825 der
mercischen Kontrolle über den Südosten ein Ende setzte und
dieses Gebiet dauernder westsächsischer Herrschaft unterstellte.
Sein Sohn Æthelwulf (†
858) war seit dem 7. Jh. der erste
König von Wessex, der
seinem Vater in der Königswürde
nachfolgte, ein Erfolg der Regierung Egberts. Æthelwulf führte
die Expansion fort, indem er 849 Berkshire einnahm. In seinem Testament
ging er bereits von der Erbfolge seiner vier Söhne aus, die dann
nacheinander Könige wurden; der letzte von ihnen war Alfred der
Große (871-899), der als Oberherr sowohl von
Mercien als auch von den Fürsten im südwestlichen Wales
anerkannt wurde. Er unterstützte auch Eadwulf I. von
Bamburgh, der über das Gebiet im Norden, das
außerhalb des wikingischen Herrschaftsbereiches lag, herrschte.
883 wurde Mercien von dem ealdorman
Æthelred regiert, der sich selbst niemals als 'rex', sondern nur als 'dux' bezeichnete und keine
Münzen prägen ließ. Gleichwohl stellte er Urkunden aus
und besaß gleichsam königliche Autorität. Nach seinem
Tod (911) übernahm seine Witwe Æthelflæd, Tochter Alfreds des Großen,
als domina die
Regierung von Mercien. Sie verbündete sich mit ihrem Bruder Eduard des Älteren, König von Wessex 899-924, und
beteiligte sich an der gegen die Dänen gerichteten
Burgenbau-Politik (Befestigungen; burh;
Burghal Hidage). Nach dem Tod
Æthelflæds (918) folgte ihr in Mercien Eduard nach,
der die Ansprüche ihrer Tochter,
die er in Haft nahm, ausschaltete. 920 wurde er dann von Schotten,
Cumbriern und Northumbriern als Oberherr anerkannt. Sein Sohn und Erbe Æthelstan übernahm 924 diese
Oberherrschaft und 927 die Königs-Herrschaft
in Northumbrien. Nach
der Angelsächsischen Chronik brachte er am 12. Juli 927 in Eamont
»alle Könige, die auf dieser Insel waren, unter seine
Herrschaft«. Allerdings waren weder die Northumbrier noch die
Schotten bereit, die - direkte oder indirekte - Oberherrschaft eines
südenglischen Königs zu akzeptieren. Der schottische
Widerstand veranlaßte Æthelstan,
934 einen großen Feldzug nach Schottland durchzuführen. 937
fiel eine vereinigte schottisch-northumbrisch-skandinavische
Streitmacht unter der Führung von Olaf
III. Guthfrithson, König
des 919 erneut errichteten skandinavischen Königreiches von
Dublin, in Mercien ein, wurde aber in der Schlacht von
Brunanburh
entscheidend geschlagen.
Æthelstan
nannte sich in seinen Urkunden: »rex
Angulsexna«
und »Northhymbra
imperator paganorum gubernator Brittanorumque propugnator«.
Unmittelbar nach Æthelstans
Tod (939) kehrte Olaf
zurück und eroberte Northumbrien (mit York) und die fünf boroughs des dänisch
beherrschten Mercien. 942 erlangte Edmund,
Æthelstans
Halb-Bruder und Nachfolger, ganz Mercien und 944 Northumbrien
zurück. Die Northumbrier versuchten mit Hilfe der Skandinavier,
deren königliche Oberherrschaft sie anerkannten, die
Unabhängigkeit zu erlangen, doch nach der Vertreibung und dem Tod
des norwegischen Königs von
Northumbrien, Erich
Blutaxt
(† 954), wurde das
angelsächsische Königreich erneut vereinigt. 956 wählte
man Eadwig,
den Sohn Edmunds, zum
König,
aber bereits im darauffolgenden Jahr wurde sein jüngerer Bruder Edgar nach einem
Aufstand zum König von Mercien und Northumbrien erhoben. Nach dem
Tod Eadwigs
wurde dann 959 Edgar
König von England. Sein
Ruf eines äußerst erfolgreichen Herrschers beruht wohl
wesentlich auf seiner starken Unterstützung der monastischen
Reform (Benediktiner, Abschnitt B. VI; Dunstan); seine Stellung als
Herrscher in England manifestierte sich durch seine Krönung von
»imperialem« Zuschnitt, die am Pfingstsonntag 973 an
angemessener Stätte, in der alten Römerstadt Bath, erfolgte. Edgars Tod im
Jahre 975 ließ Spannungen hervortreten, die er zuvor durch seine
energische Regierung gebunden hatte; die von Edgar geförderten
Klöster und Kirchen hatten nach seinem Tod unter schweren
Angriffen und Besitzentfremdungen zu leiden. Diese Krise
verschärfte sich durch einen heftigen dynastischen Streit, in dem
sich die Anhänger der beiden
Söhne Edgars,
der Halb-Brüder Eduard
und Ethelred,
befehdeten. Eduard
der Märtyrer wurde 978 ermordet; sein Halb-Bruder Ethelred kann jedoch
für diesen Mord nicht verantwortlich gemacht werden, da er damals
erst zehn Jahre alt war. Als König war Ethelred II.
bestrebt, die väterliche Politik einer Konsolidierung der
Königsmacht fortzuführen, insbesondere in Gebieten, die erst
seit kurzem vom Königtum beherrscht wurden. Diese Politik wurde
jedoch bald durch neue Wikinger-Einfälle durchkreuzt. Seit 980
griffen skandinavische Gefolgschaften - einer ihrer Führer war der
dänische König Svend Gabelbart - die reichen englischen
Gebiete an. Zunächst waren sie nur an Plünderung oder
Tributleistung interessiert, nicht jedoch an dauernder Ansiedlung. Im
Gegenzug warben die Engländer skandinavische
Gefolgschaftsführer zur Verteidigung an. Manche von ihnen
erwiesen sich als unzuverlässig, doch einer der mächtigsten, Thorkill (Torcall),
unterstützte Ethelred von
1012 bis zum Ende seiner Regierung in loyaler Weise. Die wachsende
Machtstellung Thorkills,
der
möglicherweise auch Dänemark hätte bedrohen können,
dürfte Svend
Gabelbart veranlaßt haben, 1013 einen Eroberungs-Feldzug
gegen England durchzuführen. In rascher Folge unterwarf Svend die
meisten Gebiete des Landes. Am Ende des Jahres floh Ethelred in
die Normandie;
Svend fand Anerkennung als »König im vollen Sinne
durch das ganze Volk«. Als er bereits zwei Monate später
(1014) verstarb, huldigte das dänische Heer seinem Sohn Knut dem Großen,
der von den Engländern jedoch nicht anerkannt wurde. Ethelred
kehrte aus dem Exil zurück und sammelte Truppen gegen Knut, der
sich nach Dänemark zurückzog. 1015 erschien Knut erneut
mit einem Heer; trotz rascher Unterwerfung einiger Gebiete konnte er
insgesamt keinen durchgreifenden Erfolg verzeichnen. Nach Ethelreds Tod
im April 1016 wurde dessen Sohn,
Edmund Ironside,
zum Nachfolger gewählt. Er leistete dem Dänen heftigen
Widerstand. Bald schlossen die beiden Kontrahenten jedoch ein Abkommen:
Edmund sollte
südlich, Knut
nördlich der Themse König sein. Nach Edmunds Tod
(November 1016) blieb den Engländern kaum eine andere Wahl als die
Anerkennung Knuts
im gesamten Königreich.
Durch Heirat mit Ethelreds Witwe
Emma verringerte Knut die
Gefahr einer Intervention von seiten
ihres Bruders, Richard II. von
der Normandie, zugunsten ihrer Kinder. 1018 trat Knut - als
Nachfolger seines Bruders - auch die Herrschaft über Dänemark
an. Obwohl Knut
die reichen Ressourcen Englands für seine machtpolitischen Ziele
in Skandinavien einsetzte, blieb England stets das Herzstück
seines »imperiums«. Er regierte das Land durchgängig
in angelsächsischer Tradition; lediglich in der obersten
Aristokratie nahm er einige institutionelle und personelle
Änderungen vor. Mehrere seiner Earls
stammten aus Skandinavien,
aber der mächtigste Earl
in den späten Regierungsjahren des
Königs war ein Angelsachse,
Godwin von Wessex.
Knut starb
im November 1035; ihm folgte in Dänemark Hardeknut
(Harthacnut), Knuts
Sohn aus der Ehe mit Emma.
Eine
einflußreiche Adelsgruppierung, der unter anderem Earl Godwin von Wessex
angehörte,
wollte Hardeknut
auch in England zum König erheben, doch setzte sich Harald, der Sohn aus Knuts 1. Ehe mit Ælfgifu von Northampton,
durch. Harald stützte
sich auf eine Adelsgruppierung, deren
Hauptbasis in Mittel- und Nord-England lag, wo seine Mutter Ælfgifu über
bedeutenden Anhang verfügte. Hardeknut
kam
selbst nicht nach England, wodurch er seine Position weiter
schwächte. 1037 wurde Harald
gekrönt, Emma
mußte ins Exil gehen. Nach
Haralds Tod
(1040) riefen die Engländer jedoch Hardeknut ins
Land, mußten aber ihre Wahl bald bereuen, da Hardeknut
zwecks Verstärkung seiner Flotte drastisch die Steuern
erhöhte. Nach seinem Tod (1042) wurde Ethelreds
einziger überlebender Sohn, Eduard
der Bekenner,
zum König erhoben.
Eduards Handlungsfreiheit
wurde durch die dominierende Stellung Godwins,
der sich einen riesigen Landbesitz geschaffen hatte, stark eingeengt.
1045 wurde Godwins Tochter
Edith mit dem König
vermählt; zwei Söhne Godwins,
Svend (Swein) und Harald (Harold), trugen die
Earlwürde. 1051 drängte Eduard
jedoch
die Godwin-Familie aus
ihrer
Machtstellung und schickte sie ins Exil. Die skandinavische Flotte, die
auch nach Eduards
Thronbesteigung weiter fortbestand, wurde nun aufgelöst. Eduard, der
25 Jahre im normannischen Exil gelebt hatte, protegierte die Normannen
weit stärker als die Skandinavier; normannische Adlige kamen ins
Land und errichteten Burgen. Die Translation Roberts von Jumièges vom
Londoner Bischofssitz
auf den Erzbischofsstuhl von
Canterbury war
gleichfalls eine wichtige Maßnahme im Zuge dieser Umorientierung.
1052 kehrte Godwin
jedoch aus
dem Exil zurück und zwang den König, ihn und seine Familie
wieder in ihre alte Machtstellung einzusetzen; die meisten
normannischen Gefolgsleute, unter ihnen Robert von Jumièges,
mußten das Land verlassen. Nach Godwins
Tod (1053) ererbte Harald
die
beherrschende Machtposition seines Vaters. Da Eduard kinderlos
war, stellte die Nachfolgefrage ein zentrales Problem seiner Regierung
dar: 1054 reiste eine englische Gesandtschaft unter Leitung Ealdreds, Bischofs von Winchester, an den
deutschen Kaiserhof, wo sie über die Rückkehr Eduards 'the Exile' verhandelte,
des einzigen
überlebenden Enkels von Ethelred
II., der sich im
ungarischen Exil (und damit im weiteren Machtbereich des Imperiums)
aufhielt. Eduard
starb jedoch bald nach seiner Rückkehr in England (1057) und
hinterließ zwei Töchter
und einen Sohn, Edgar 'the
Ætheling' (höchstens fünf
Jahre alt). Später hat Wilhelm, Herzog von der Normandie,
behauptet, er sei von Eduard als
Erbe eingesetzt worden, und Harald
Godwinson
habe dies durch Eid bekräftigt (vgl. die - propagandistische -
Szene auf dem Bildteppich von Bayeux). Ein solches Versprechen
könnte gegeben worden sein, ist allerdings nicht sicher zu
belegen. Am 6. Januar 1066, ein Tag nach dem Tod Eduards des Bekenners,
wurde Harald zum
Nachfolger gewählt.
Wenige Monate nach seiner Thronbesteigung mußte Harald einer
Invasion des Königs von Norwegen, Harald
Hardrádi, entgegentreten. Harald Godwinson
konnte seinen Gegner bei
Stamford Bridge am 25. September 1066 besiegen
und töten. Dieser Erfolg blieb jedoch nicht von Dauer, da Herzog Wilhelm
von der Normandie in England landete. Harald
unterlag ihm und fiel am 14. Oktober 1066 in der Schlacht von Hastings.
(Zur politisch-militärischen Vorbereitung und zum Verlauf der
normannischen Invasion vgl. im einzelnen: Wilhelm
der Eroberer,
Normandie.) Nach einigem Zögern
erkannten die Engländer Wilhelm
als
König an; er wurde am 25. Dezember 1066 gekrönt. Mancherorts
gab es Widerstand gegen die neue Herrschaft, insbesondere im Norden und
Südwesten, doch wurden diese Aufstände bis etwa 1070
niedergeschlagen. Auch danach erfolgten noch mehrere Revolten, und 1085
drohte eine dänische Invasion. Doch vermochten diese Ereignisse, Wilhelms
Stellung als König von England
und Herzog der Normandie
nicht
ernstlich zu gefährden.
VI. Das anglonormannische Reich:
Nach der Eroberung traten an die Stelle der alten englischen
Aristokratie vielfach neue führende Leute, die - wie ihr
König-Herzog - enge Verbindungen über den Kanal hinweg zu
ihren Herkunftsgebieten, der Normandie oder angrenzenden nord- und
westfranzösischen Regionen, unterhielten. Aus dem Kreis dieses
»anglonormannischen« Adels, der von Wilhelm mit
reichen Lehen bedacht wurde, entwickelte sich im wesentlichen die
einflußreiche Schicht der Barone. Entsprechend wurden auch die
wichtigsten Regierungs- und Verwaltungsposten mit Normannen oder
anderen Fremden neubesetzt. Im übrigen erfolgten dagegen nur
geringe Wandlungen. Wilhelm
betrachtete sich als
rechtmäßiger Nachfolger
Eduards, er hatte
daher wenig Anlaß, größere Veränderungen in der
Gesetzgebung oder im Gerichtswesen vorzunehmen. Der Regierungs- und
Verwaltungsapparat arbeitete im wesentlichen in der bisherigen Weise
weiter; lediglich im Münzwesen wurde die Grundeinheit, das Pfund,
standardisiert; damit entstand das Pfund Sterling. Das bestehende
Steuersystem wurde vollständig übernommen und effektiv
genutzt, auf der Basis der bisherigen Besteuerungsgrundlagen
(Hufen/hides und carucatae/carucates), die - wie schon in früheren
Zeiten - in bestimmten Abständen den veränderten
Gegebenheiten angepaßt wurden (zur Anlage des Domesday
Book ab
1086 siehe auch England, Abschnitt H). Auf den unteren Stufen der
Verwaltung waren auch nach der Eroberung Engländer tätig, und
zahlreiche englische Familien konnten unter der normannischen
Herrschaft ihre Position bewahren; sie sollten im Leben der
örtlichen Gemeinschaften, in den Dörfern und in den lokalen
Gerichtshöfen, so denjenigen der shires,
auch weiterhin eine bedeutende Rolle spielen.
Auf dem Totenbett bekräftigte Wilhelm
die
Nachfolge seines ältesten Sohnes, Robert Courteheuse (Kurzhose),
als Herzog von der Normandie,
während er seinen 2. Sohn,
Wilhelm (II.) Rufus,
als König von England
designierte;
der 3. Sohn, Heinrich
(I.), wurde mit
Einkünften abgefunden (1087). Diese Erbfolge ging zunächst
ohne Schwierigkeiten vonstatten. Bereits 1088 kam es jedoch in England
zu einem Aufstand gegen Wilhelm,
mit
dem Ziel einer Königserhebung
Herzog Roberts. Diese Rebellion
wurde niedergeschlagen. Im Gegenzug landete Wilhelm 1091
in der Normandie, wo er mit seinem
Bruder ein Abkommen traf, das eine
gemeinsame Regierung der Normandie vorsah. Drei Jahre später fiel Wilhelm
erneut in die Normandie ein. Als Robert
1096
zum 1. Kreuzzug aufbrach, gab er die Normandie als Pfandschaft an Wilhelm, der
zwar die Regierung des Herzogtums und den Nießbrauch der
Einkünfte übernahm, nicht jedoch den Herzogstitel
führte. Im August 1100 wurde Wilhelm
auf
der Jagd im New Forest getötet.
Der jüngste Sohn des
Eroberers, Heinrich (I.),
der sich zu diesem Zeitpunkt
in England aufhielt, bemächtigte sich des englischen Thrones noch
vor der Rückkehr Roberts
vom
Kreuzzug; doch gelang es Robert,
seine
Herrschaft in der Normandie zu bewahren. 1101 landete er sogar in
England, konnte sich aber nicht durchsetzen und verzichtete gegen eine
Geldzahlung auf seine Ansprüche (Vertrag von Alton). 1104 brach Heinrich I.
zur Eroberung der Normandie auf; in der Schlacht von Tinchebrai
(28.
September 1106) nahm er Robert
gefangen und hielt ihn bis zum Tode in Haft. Heinrich
übernahm Regierung und Einkünfte des Herzogtums, später
auch den Herzogstitel. Die Sukzessionsfrage wurde prekär, als Wilhelm, Heinrichs
einziger legitimer Sohn, designierter Nachfolger in England und
seit 1120 Lehnsmann des französischen
Königs Ludwig VI.
für die Normandie, im November 1120 mit der Blanche-nef ertrank.
Da eine 2. Ehe Heinrichs
I. mit Adela
von Löwen ohne den erwünschten Nachwuchs blieb, kehrte
Heinrichs
Tochter aus 1. Ehe, Mathilde,
die
Witwe Kaiser HEINRICHS V., aus
Deutschland zurück, um als Erb-Tochter
die Nachfolge anzutreten. Sie heiratete 1128 den Grafen Geoffroy (Gottfried) von Anjou
(Angers/Anjou).
VII. Der Kampf zwischen den Häusern Blois und Anjou um das
englische Königtum:
Nachdem Heinrich
I. 1135 in der Normandie verstorben war, gelang es Stephan aus
dem Hause BLOIS (CHAMPAGNE), den
englischen Thron zu erobern. Stephan,
der
die Regierung der Champagne seinem
älteren Bruder Tedbald II.
überlassen mußte,
war - durch Heirat - Graf von
Boulogne.
Dank der starken Förderung durch Heinrich I.
hatte er die normannische Grafschaft
Mortain sowie reiche
Besitzungen in England gewonnen. Auch in
der Normandie setzte er sich nach Heinrichs
Tod
durch; eine dortige Baronenversammlung, die zunächst Stephans
Bruder Tedbald
favorisiert
hatte, wandte sich - angesichts der Erfolge Stephans in
England - diesem zu.
Dieser Machtzuwachs des Hauses
BLOIS rief seine alten
westfranzösischen Konkurrenten, die ANJOU, auf
den Plan, die zunächst auf dem Festland, dann in England die
neugewonnene Position der BLOIS-CHAMPAGNE
zu zerschlagen suchten: 1136
marschierte Graf Geoffroy, Gemahl der Mathilde, in die
Normandie ein. Während Stephan
seine
dortigen Interessen zu verteidigen suchte, brachen in England
Aufstände aus, die sich bald zu einer weitverbreiteten Opposition
auswuchsen. Wichtigster Führer
war Robert, Earl of
Gloucester, ein illegitimer
Sohn Heinrichs I. Ziel
der Rebellen war die Durchsetzung der Ansprüche
Mathildes und ihres Sohnes Heinrich (II.). Seit 1139 beteiligte sich
Mathilde persönlich
am Bürgerkrieg. Stephan
unterlag bei Lincoln
(1141) und geriet zeitweise in die Gefangenschaft
seiner Konkurrentin. Später gewann er zwar allmählich die
Oberhand, konnte aber nicht alle angevinischen
Bastionen erobern. Earl Robert
starb 1143, und Mathilde verließ
England 1148. Auf dem Festland eroberte Geoffroy
zwischen 1141 und 1145 systematisch die Normandie und wurde vom
Lehnsherrn, König Ludwig VII. von Frankreich,
als Herzog anerkannt.
Der König von Schottland,
David I.,
nutzte die Thronkämpfe in England, um - bei wechselnden
Bündnissen mit den englischen Thron-Prätendenten - seine
Herrschaft bis zum Ribble im Südwesten und zum Tees im
Südosten auszudehnen. In Wales
erhob sich »nationaler«
Widerstand gegen die anglonormannischen Barone
in den Walisischen
Marken (»Lords of the
Marches«),
die auf militärischem
Wege und durch Landesausbau ihre Expansion in Wales voranzutreiben
suchten.
Heinrich,
Geoffroys
Sohn und Nachfolger in der Normandie, Anjou, Touraine und
Maine, landete 1153 in England und führte einen erfolgreichen
Feldzug gegen Stephan,
dessen ältester Sohn, Eustachius
IV.,
im August 1153 starb. Gegen Ende des Jahres erkannte Stephan im
Vertrag von Winchester Heinrich als
seinen Nachfolger an. Nach Stephans
Tod
(25. Oktober 1154) konnte Heinrich
II.
ohne Opposition die Herrschaft antreten.
P.H. Sawyer
B. Das angevinische Königtum (1154-1216)
I. Von Heinrich II. Plantagenêt bis zur Magna Carta:
[1] Heinrich II.:
Mit der Thronbesteigung von Heinrich
II. (1154-1189)
wurde England zum Bestandteil
eines weiträumigen Territorialgefüges, das von neueren
Historikern als Angevinisches
Reich
('Angevin Empire')
bezeichnet wird. Heinrich
war
König in England ausschließlich aufgrund seines Erbrechts
und seiner Krönung. Er war feudaler Oberherr (overlord) der Herren in den Marken
von Wales; eine entsprechende Position konnte er seit ca. 1171 auch
gegenüber den anglonormannischen Adligen, die Irland eroberten,
erringen. Die einheimischen walisischen Fürsten mußten ihm
wiederholt huldigen (ab 1157), ebenso die Könige von Schottland
(1163,1175). In Frankreich war er dagegen in der Nachfolge seines
Vaters Geoffroy, des
Grafen von Anjou und Herzogs der Normandie, Vasall des
französischen Königs. Heinrich
wurde 1150 als Herzog
investiert und folgte 1151 in Anjou und Maine
seinem verstorbenen Vater nach. Durch seine Heirat (1152) mit Eleonore,
der
Erb-Tochter Herzog Wilhelms X. von
Aquitanien, wurde Heinrich
dann
zum Herrn West-Frankreichs, dessen Machtbereich den breiten
Küstensaum des Atlantik vom Poitou bis in den Pyrenäen-Raum
hinein sowie östlich angrenzende Gebiete bis in die Auvergne
umfaßte. 1158 gewann er auch die Oberhoheit über die
Bretagne, deren Beherrschung stets ein
politisches Ziel der
Normannen-Herzöge gewesen war. Dieses angevinische »Reich«
war in der Person des
Herrschers begründet. Bezeichnend ist, daß Heinrich sich
weit längere Zeit in Frankreich als in England aufhielt. Er schuf
für seine Territorien keine zentralen Institutionen, außer
der ihn begleitenden Kanzlei (Chancery).
Abgesehen von einem gewissen Austausch von höheren
Amtsträgern zwischen England und der Normandie, spielten in den
einzelnen Gebieten einheimische Beamte und Magnaten die führende
Rolle in den diversen Regierungs- und Verwaltungsinstitutionen. Heinrich
bemühte sich um eine Sicherung seiner Herrschaft durch
verstärkten Ausbau von Burgen (Abschnitt X,2) an strategisch
wichtigen Punkten und durch die Verwendung von Söldnern, die -
etwa bei Aufständen illoyaler Vasallen - rasch bewegt und
zuverlässig eingesetzt werden konnten. Seine Politik war weniger
durch Expansionsdrang als durch aggressiv defensiven Charakter
gekennzeichnet. Heinrichs
Gleichgültigkeit gegenüber einer stärkeren Verflechtung
und Verdichtung seines Machtbereiches wird deutlich an den -
fehlgeschlagenen - Plänen einer Teilung zwischen seinen
Söhnen (1169,1174).
[2] Richard Löwenherz und Johann Ohneland:
Trotz mehrerer Revolten seiner Söhne überlebte das
»Reich« die Ära Heinrichs
II.,
da wegen des frühen Todes der beiden
älteren Söhne des Königs,
Heinrich der
Jüngere († 1183) und Geoffrey von Bretagne (†
1186), der drittälteste Sohn, Richard I.,
genannt Löwenherz (1189-1199), die gesamte
Erbschaft
antreten konnte. Nach Richards
erbenlosem Tod vermochte der letzte
überlebende Sohn Heinrichs
II., Johann, genannt Ohneland (1199-1216),
von England und zunächst auch von der Normandie Besitz zu
ergreifen;
der französische König
Philipp II. August
erkannte ihn 1200 als Richards
Erben an. Eine Bewegung zugunsten Arthurs
von Bretagne,
des Sohnes von
Geoffrey, endete mit
Arthurs Ermordung (wohl
1202). Doch lieferte
ein
lehnsrechtlicher Prozeß Philipp
II.
den willkommenen Anlaß zur
Konfiskation der angevinischen
Länder:
Johann
war auf die Appellation
des Grafen von Lusignan hin
nicht vor dem Gericht des Königs von
Frankreich
erschienen. Ohne größere Schwierigkeiten unterwarf der
französische
König 1204 die Normandie und weitere Gebiete nördlich von
Poitou.
Dennoch verblieb den englischen Königen - neben den Kanalinseln -
ein
ausgedehnter Festlandbesitz in Südwest-Frankreich, der - ohne
genaue Definition - weiterhin mit dem alten Begriff 'Aquitanien'
gleichgesetzt, später dann als 'Guyenne'
oder 'Gascogne'
bezeichnet wurde.
II. Regierung und Verwaltung unter den angevinischen Herrschern:
Die Bezeichnung 'angevinisch'
ist auch im Hinblick auf die Regierung und
Verwaltung Heinrichs
II. und seiner Söhne angewendet worden. Hier
stellte Heinrich
zunächst die Tradition einer zentralen monarchischen
Lenkung wieder her. Sein Hauptziel war die Wiedergewinnung der alten
Rechte und Besitzungen der Krone, wie sie - zumindest dem Anspruch nach
- unter seinem Großvater,
Heinrich I.,
bestanden hatten; so
schaffte er den von Stephan von
Blois und Mathilde
konzedierten erblichen
Ämterbesitz wieder ab und ließ Burgen, die ohne
königliche
Erlaubnis errichtet worden waren, schleifen. Statt der Barone, die mehr
ihre eigenen Interessen vertreten hatten, zog er als örtliche
Kronbeamte (so als Sheriffs
und Kastellane) vor allen Dingen
Männer aus seinem Hofhalt heran. Leute aus der königlichen
Umgebung
wurden möglicherweise in mehr als einem shire eingesetzt,
fungierten wohl auch als Reiserichter (eyre
Abwesenheit die )
und nahmen somit eine
königsnahe Position ein, die sich vor allem in Sondermissionen
(Militärwesen, Diplomatie) niederschlug. Die Professionalität
der englischen Amtsträger der angevinischen
Zeit wird
durch zwei
berühmte Werke deutlich, den »Dialogus de Scaccario«
(Exchequer)
des Richard von Ely
und »De Legibus et
Consuetudinibus
Anglie«, eine Abhandlung, die dem führenden Juristen
Heinrichs II., Ranulf Glanville,
zugeschrieben
wird, oft aber auch
Hubert Walter, dessen
Laufbahn
das Musterbeispiel eines Karrierebeamten
und Richters der angevinischen
Zeit
darstellt. So übte Walter
als
Justitiar in König Richards Regentschaft aus
(1194-1198)
und bekleidete unter dem Nachfolger Johann bis zu seinem Tod
(1205) das
Kanzleramt. Die
ranghöchsten Amtsträger standen für
verschiedene Funktionen zur Verfügung. Heinrichs
Vertrauen in
seine Helfer war durch die Niederwerfung des großen Aufstandes
von 1173-1174 gestärkt worden; während der König in
Frankreich
weilte, wurde England vom Justitiar
Richard de Luci († 1178)
regiert, und
dieser hohe Beamte fungierte fortan bei auswärtigen Aufenthalten
des Königs als dessen Regent.
Die Regierung Englands ist seit der angevinischen Periode
besser dokumentiert als
für die frühere Zeit. Durch die Förderung Heinrichs II.
und seines Hofes erlebte die Geschichtsschreibung eine neue Blüte.
In Ergänzung der monastischen Chronistik verfaßten drei
weltliche
Kleriker, Radulf von Diceto,
Roger von Howden und der
sogenannte Benedict von
Peterborough, Geschichtswerke, die ihren Akzent durch ein
Interesse der
Verfasser an öffentlicher Verwaltung erfahren (Aufnahme von
andernorts
nicht überlieferten offiziellen Rechts- und Verwaltungsquellen in
den Text!). Die Verwaltung selbst wandte sich nun der Registrierung und
Archivierung ihres Schriftverkehrs zu: Die Exchequer's Series der
jährlichen Pipe Rolls setzt
- nach einem Unikat für 1130 -
mit
dem 2. Regierungsjahr Heinrichs
II.
ein; sie ist - mit nur geringen
Verlusten - im Public Record Office
erhalten geblieben. Weitere Serien
gehen wohl auf die Initiative Hubert
Walters zurück. 1194, als die
Coroners zur Verhandlung der pleas of
the crown eingesetzt wurden,
begann auch die jährliche Eintragung der Prozesse der Curia regis und
ebenso die Sammlung der beim königlichen Gerichtshof verbliebenen
Teile der
dreiteiligen indentures
(Chirograph), einer Urkundengattung, die zur
abschließenden Beurkundung von Verträgen diente (feet of
fines). Unter Huberts
Kanzlerschaft begann die Chancery mit der
Archivierung von Abschriften der unter Großem Siegel erlassenen
Briefe in jährlichen Serien.
Die vielfach einseitige Betrachtungsweise von W. Stubbs
(1825-1901) in seinem einflußreichen, jedoch
rückwärtsgewandten Werk »The Constitutional History of
England
... to 1485« (1874-1878) ist aus der Forschungslage des
späten
19. Jh. zu erklären (der größte Teil der Public Records
war noch nicht ediert), insbesondere die Hypothese eines
althergebrachten
»Konstitutionalismus«. Tatsächlich hat die angevinische
Regierung die Verbreitung des Urkundenwesens insofern
gefördert,
als die königlichen Richter dem schriftlichen Beweis bei
strittigen Eigentums- und
Besitzverhältnissen den Vorzug gaben (in diesem Zusammenhang
traten auch in England monastische Fälschungen von Besitz-Urkunden
auf).
Darüber hinaus besaß das angevinische Königtum
eine bemerkenswerte
Fähigkeit zu Innovationen, wie sich vor allem anhand der
Entwicklung
des Englischen Rechtes zeigt. In diesem Bereich konnten F.W. Maitland
(1850-1906) und seine Nachfolger durch eingehende Untersuchung der
älteren Rechtsurkunden und Serien von writs, in Verbindung mit der
Interpretation von zeitgenössischen juristischen Autoren wie dem
sogenannten
»Glanville« und Henricus de Bracton, die These eines
althergebrachten englischen Konstitutionalismus, wie er von Stubbs
gerühmt worden war, in wesentlichen Punkten widerlegen. Die von
Maitland ins Leben gerufene Selden Society hat seit 1888 durch die
Edition der »Select Pleas« zu unserer Kenntnis von der
tatsächlichen Funktionsweise der Rechtsinstitutionen des
englischen Mittelalers
maßgeblich beigetragen. So wird heute allgemein die Auffassung
vertreten, daß im Verlauf der Regierung
Heinrichs II. ein
juristisch fundiertes Verwaltungs- und Regierungssystem etabliert
wurde, mit beachtlichen politischen Konsequenzen. Zwar bleibt
unbeweisbar,
daß die angevinischen Herrscher
in
planvoller Weise die feudalen
Gewalten zurückdrängen wollten, indem sie die zivile
Gerichtsbarkeit von den baronialen Gerichten weg und hin zu den
königlichen
Gerichtshöfen verlagerten, doch hatte ihr Vorgehen faktisch diese
Wirkung. Die tenants
('Lehnsmänner') der Barone konnten von den
Vorzügen der königlichen Gerichtsbarkeit profitieren; die
Krone erlaubte
den feudalen Gerichtshöfen dagegen nicht, selber
Geschworenengerichte zu bilden. Die Tatsache, daß Untertanen im
gesamten Königreich sich der gleichen, standardisierten Rechts-
und
Verfahrensnormen bedienen konnten, dürfte mit zur Bildung eines
nationalen Identitätsbewußtseins geführt haben. Die
angevinische
Regierung war auf die Mitwirkung freier Untertanen angewiesen,
die als Geschworene oder Vertreter örtlicher Gemeinden wirkten;
diese
konnten sowohl zur Verteidigung der Interessen der Krone eingesetzt
werden wie zum Schutz eigener Interessen gegenüber der
Mißwirtschaft königlicher Beamter (so in der »Inquest
of
Sheriffs«, 1170). Die freeholders
('freie Pächter') der
shires, die sich regelmäßig in County Courts
('Grafschaftsgerichten') zur Anhörung und Ausführung der
königlichen
Anordnungen versammelten, waren durchaus zu gemeinsamer Aktion
fähig, wie dies aus Urkunden König
Johanns,
der einigen shires die
Wahl eigener sheriffs zugestand, hervorgeht. Günstige Positionen,
an die sich die englische Gesellschaft mittlerweile gewöhnt hatte,
wurden nun als Recht verstanden und fixiert. Die Klausel der Magna
Carta, die das Geschworenengericht (trial
by jury) garantiert, ist das
berühmteste Beispiel für diese rechtlich-soziale Entwicklung,
aber auch andere Bestimmungen offenbaren eine weitverbreitete
Wertschätzung günstiger juristischen Verhältnisse und
Einrichtungen, so die Bestimmung, daß der Court of Common Pleas
an einem bestimmten Ort zu tagen hatte.
Die Magna Carta von 1215
wirft ein Schlaglicht auf die Anomalie der
angevinischen
Regierung: Der König, der seinen Untertanen angemessene
Rechts-
und Verfahrensnormen verlieh, war doch frei, seinen Willen auch gegen
diese Normen durchzusetzen. Der Aufstand gegen Johann, der
zur
Durchsetzung der Magna Carta
geführt hat, ist als baroniale
Reaktion gegen den Regierungsstil der angevinischen Könige
interpretiert
worden. Dabei gab es spezifische Gründe für die Tatsache,
daß eine erfolgreiche Revolte dieser Größenordnung
nicht schon vor 1215 stattfand. Zwar hatte es bereits längere Zeit
zuvor einen Aufstand der Barone, die im Bunde mit der Londoner
Bürgerschaft standen, gegen Richards
Justitiar Wilhelm
Longchamps
gegeben, doch hatte Richard
diese
Krise meistern können, indem er
den unbeliebten Fremden 1191 abberief. Richards Bruder und Nachfolger
Johann, dem
militärische Fehlschläge zur Last gelegt wurden,
hatte dagegen keineswegs die Popularität des sprunghaften, aber
als Held verehrten Richard
Löwenherz. Johanns
»schlechter
Presse« bei den monastischen Chronisten der Zeit steht heute ein
gerechteres Urteil über die administrativen und juristischen
Reformen,
die unter seiner Regierung durchgeführt wurden, gegenüber,
während die beispiellose Höhe seiner finanziellen Forderungen
auf die Preissteigerung während seiner Regierung
zurückgeführt wird. Der Krieg mit Frankreich zur
Rückgewinnung der 1204 verlorengegangenen Gebiete ging bis zum
entscheidenden französischen Sieg bei Bouvines (1214)
weiter. Die
Auseinandersetzung mit Papst Innozenz
III. um die Wahl des
Erzbischofs
Stephen Langton (1207)
hatte zur Verhängung des Interdikts
über England geführt. Die Sorge um eine mögliche
französische Invasion
veranlaßte
Johann, den päpstlichen Bedingungen für eine
Beendigung des Interdikts nachzugeben und den Papst damit freiwillig
als Lehnsherrn mit Lehnseid und Jahrestribut anzuerkennen (1213).
Konsequenterweise hat der Papst die Magna
Carta als Schädigung der
Rechte seines königlichen Vasallen annulliert.
C. Das Königtum und die sich ausprägenden
Verfassungsinstitutionen (1216-1307)
I. Königliche Administration und Steuerwesen unter Heinrich III.;
anglo-französische Beziehungen; baroniale Opposition
[1] Verwaltung und Regierungsform:
Obwohl als Friedensvertrag proklamiert, wurde die Magna Carta zum
festen Bestandteil des englischen Rechtslebens. Durch zahlreiche ihrer
Bestimmungen wurde der Feudal-Adel begünstigt, andere
schützten jedoch die Interessen aller freien Untertanen; die Carta
erkannte wohl bereits eine communitas
des Reiches (community of the
realm) als Adressat und Nutznießer ihrer Bestimmungen an. Johann
starb während des Kampfes gegen eine neue baroniale
Oppositions-Bewegung, die mit französischer Waffenhilfe
(Anerkennung des französischen
Prinzen Ludwig [VIII.] als neugewählter
englischer König) agierte. Nach
Johanns
Tod ließen William the
Marshal
und die übrigen königlichen
Testamentsvollstrecker den minderjährigen
Sohn Johanns, Heinrich
III. (1216-1272),
in Gloucester krönen und
publizierten eine
modifizierte Fassung der Magna Carta,
für die sie die Zustimmung
des päpstlichen Legaten erlangt hatten (1216). Nachdem Ludwig von
Frankreich aufgrund seiner Niederlage die englische
Thronkandidatur
aufgegeben hatte, wurde eine abermals revidierte Version der Carta
(1217) verkündet, der auch die Bestimmungen über die Forste
(Charter of the Forest)
beigefügt wurden. Den früheren
Rebellen gewährte man Frieden zu maßvollen Bedingungen, und
die königlichen Richter nahmen mit einem allgemeinen eyre 1218 ihre
Reisetätigkeit wieder auf.
Der Übergang von Heinrichs
III. Minderjährigkeit
zur
persönlichen Regierung vollzog sich in mehreren Phasen: Nachdem
der
Regent William, der Earl Marshal,
1219 gestorben war,
wurde Heinrich 1221
erneut, diesmal in Westminster,
gekrönt. Bald darauf
verließ der päpstliche
Legat Pandulf, der
Repräsentant der
päpstlichen Lehnsherrschaft, das Reich. Papst Honorius III.
erklärte Heinrich
als im regierungsfähigen Alter stehend,
obwohl der königliche Rat (Council,
King's) die Rechte des Königs noch bis 1227
beschnitt. Sein Weg zu eigener Herrschaft, verbunden mit der
Übernahme wichtiger Burgen, wurde von Erzbischof Stephen Langton und
seinen Suffraganen nachhaltig gefördert; die einzige echte
Opposition ging 1224 von Fawkes
de
Breauté aus. Die
Machtstellung Huberts de Burgh,
den König Johann auf Lebenszeit zum
Justitiar
eingesetzt hatte, wurde von seinen Gegnern, an deren Spitze
Peter des Roches, der
poitevinische Bischof von Winchester,
stand,
gestürzt; der »Neffe«
des Bischofs, Peter des Rivaux,
erhielt 1232 die oberste Kontrolle über den Exchequer und
ebenso
Leitungsbefugnisse über wichtige Bereiche der Lokalverwaltung.
Diese Monopolisierung der Finanzverwaltung fand ihr Ende 1234 mit dem
(zeitweiligen) Sturz Peters des
Rivaux,
ein Ergebnis des baronialen
Bürgerkriegs, der durch die Ermordung von Richard Marshal, Earl of
Pembroke, in Irland
ausgelöst worden war. Wieder waren es
englische
Bischöfe unter Führung des neuen Erzbischofs von Canterbury, Edmund Rich, die
maßgeblichen Anteil an einer friedlichen Beilegung des Konflikts
hatten.
Der Reorganisationsprozeß des englischen Staates und seiner
Institutionen wurde fortgesetzt. Peter
des Rivaux nahm
Reformmaßnahmen wieder auf, deren Anfang in die Zeit Johanns
zurückreichten: Bei den häufigen Reisen Johanns im
Regnum war
es für den ortsfest etablierten zunehmend unmöglich
geworden, den wachsenden Geldbedarf von König und Hof zu
befriedigen;
daher entwickelte sich die Exchequer
Chamber
(Kammer) als Schatzamt für den
reisenden Hof. Um den Quittungen und Anweisungen dieser neuen
Institution Rechtskraft zu verleihen, wurde das secretum, das kleine
Geheimsiegel, geschaffen, der Ursprung des Privy Seal. Diese
Ansätze verfielen während Heinrichs
III. Minderjährigkeit, wurden aber während
seiner
persönlichen Herrschaft wiederaufgenommen: Als mobile Behörde
für des königlichen Finanzwesen wurde die organisiert, die
für die Versorgung des Königs und seines Gefolges, für
die
Besoldung der Dienerschaft etc. zuständig war und bei
Feldzügen als eine Art militärische Zentrale des Königs
fungierte.
Das Wardrobe Privy Seal der Wardrobe wurde zusätzlich bei
der königlichen
Korrespondenz benutzt, wo immer sich der König befand. Das
Große
Siegel, das sich in der Obhut des Chancellor
(Kanzlers) befand, war ja
bei den Reisen des Königs nicht durchweg greifbar, da die Chancery - wie
bereits der Exchequer - mehr
und mehr an ihren Standort Westminster
gebunden wurde. Die wachsenden Archivbestände der beiden
ältesten Regierungsinstitutionen des englischen Staates machten
eine
solche feste Etablierung erforderlich; sie entsprach auch den
Bedürfnissen der Untertanen. Heinrichs
Neubau der Westminster
Abbey unterstrich deren Bedeutung als politischen Mittelpunkt
Englands.
Das
eigentliche Regierungszentrum war jedoch der Hofhalt, von wo aus der
König
durch seine Direktiven unter dem Privy
Seal die Tätigkeit von
Chancery und Exchequer
lenkte.
Relativ gut unterrichtet sind wir über die Methoden, mit denen
unter Heinrich
III. die Herrschaftstechniken der königlichen Regierung
ausgebaut wurden. In welchem Umfang die baronialen Kritiker der
Kronpolitik mit den Einzelheiten der Organisation des königlichen
Hofhalts
vertraut waren, bleibt unklar; für die finanzielle Situation der
Krone zeigten sie offensichtlich nur wenig Verständnis. Der
Umstand,
daß die finanziellen Ressourcen, die durch die hohen
königlichen
Abgabenforderungen stark beansprucht wurden, begrenzt waren, bildete
einen Ansatzpunkt für strukturelle Wandlungen, die eine Straffung
der Einkünfte zum Ziel hatten. Die Magna Carta hatte die
Möglichkeiten des königlichen Zugriffs auf feudale
Besitztümer und
Rechte stark reduziert. Die verbleibenden feudalen Einnahmequellen
wurden daher mit der Einrichtung des Escheator-Amtes
einer strengeren
Überwachung unterworfen. In der Krondomäne (demesne)
übernahmen seit 1240 besondere Rechnungsbeamte die Rolle der Sheriffs.
Ein Netz von Steuereinnehmern verstärkte in der täglichen
Verwaltungspraxis die Unabhängigkeit des Königs vom Baronagium;
entsprechendes gilt für die Funktion der königlichen Richter.
Diese
Entwicklungen leiteten eine bemerkenswerte Phase bei der Herausbildung
gerichtlicher Verfahrensweisen zur Regelung von Streitfällen
zwischen
Untertanen, ja sogar zum Schutz von Vasallen vor ihren Lehnsherren ein.
Reiserichter (eyre)
führten dort Untersuchungen durch, wo königliche
Einnahmequellen in verdächtiger Weise verlorengegangen waren und
gerieten bei den Untertanen selbst in Verdacht, daß sie die
königlichen
Einkünfte durch Bußen von Prozeßparteien, die formale
Fehler gemacht hatten, vermehrten. Durch das Quo-warranto-Verfahren
konnten Herren vor Gericht gefordert werden, um ihre Rechtstitel auf
Jurisdiktionsausübung und -vollzug zu beweisen, wobei die
Rechtsberater des Königs offenbar davon ausgingen, daß alle
derartigen Rechte im Regelfall der Krone gebührten. Die
größere Differenzierung der Regierungstätigkeit
nötigte den König, sich mit einem Stab von Beratern zu
umgeben,
wobei Heinrich
III. neben altbewährten Verwaltungsfachleuten vor allem
auch Verwandte heranzog. Seine Heirat mit Eleonore von Provence
brachte
Savoyarden nach England:
Wilhelm,
Elekt von
Valence († 1239)
Peter, Earl of
Richmond († 1268)
Bonifatius († 1270), Erzbischof von Canterbury.
Die
Schwester
des Königs heiratete 1238 Simon
de Montfort; ab 1247 kamen
verstärkt Poitevinen an den Hof, so die Halb-Brüder des
Königs
aus der 2. Ehe seiner
Mutter mit Hugo
von Lusignan, unter ihnen Wilhelm
von Valence, Earl of Pembroke
(† 1296), und Aymer, Bischof von Winchester (†
1260).
[2] Auseinandersetzung mit Frankreich:
Die Heiratspolitik Heinrichs III.
läßt seine territorialen
Interessen in Frankreich deutlich werden. Er war nicht bereit, die
französischen
Eroberungen als unwiderruflich hinzunehmen, und erhielt die
Ansprüche auf Normandie, Anjou usw. aufrecht. Heinrich III.
bediente sich zur Durchsetzung seiner Politik französischer
Rebellen, die einen
erfolglosen Bretagne-Feldzug (1230) und einen katastrophalen Zug ins
Poitou (1242) provozierten. Der englische Hochadel lehnte es ab, im
Poitou
Militärdienst zu leisten, da er infolge der Aufgliederung des
normannischen Hochadels in einen englischen und französischen
Zweig nach 1204 keine
Besitzungen mehr in Frankreich hatte. Dagegen beteiligte er sich aktiv
an den Abwehrkämpfen gegen die Fürsten
von Wales, Llywelyn ap
Iorwerth (1238,1231), Dafydd ap Llywelyn
(1241) und Llywelyn
ap
Gruffudd (1259,1262,1267; siehe auch Gwynedd). Entsprechende
Aktivität war gegenüber Schottland nicht erforderlich; die
Grenze war festgelegt seit dem Vertrag von York, in dem der schottische König
Alexander II. 1237 auf Ansprüche in Nord-England
verzichtet hatte.
Bei der Verteidigung der Gascogne durch Heinrich
gegen Alfons
X. von
Kastilien erkannten englische Lords
1254 die Verpflichtung zum
Aufgebotsdienst an, doch verweigerten sie zornig Waffenhilfe bei dem
sizilischen Vorhaben Heinrichs
mit
dem,
der seinen Sohn Edmund Crouchback
päpstlichen Lehnsreich Sizilien
hatte belehnen lassen. Dieses Projekt
nötigte Heinrich
III., rasch eine dauerhafte Verständigung
mit Ludwig IX.
von Frankreich zu suchen. Durch den Vertrag von Paris
(1259) wurde das Herzogtum Gascogne, das England bis dahin in formloser
Weise
besetzt hielt, zu einer Territorial-Herrschaft, die von Frankreich zu
Lehen ging; der König von England erklärte andererseits
seinen Verzicht
auf die verlorenen normannischen und angevinischen Gebiete,
dafür wurden ihm
nicht näher definierte Besitzungen an der Grenze der Gascogne
sowie französische Waffenhilfe in Sizilien versprochen. Der
Vertrag von Paris
bildete die Grundlage der anglo-französischen Beziehungen bis
1337. - Ohne
größere Wirkung blieb der Erwerb
der deutschen Krone durch Richard
von Cornwall (Doppelwahl von 1257), den Bruder Heinrichs.
[3] Finanzierung der auswärtigen Kriegführung:
Die üblichen königlichen Einkünfte waren für eine
auswärtige Kriegführung unzureichend. Die Erhebung von
scutage (Schildgeld) anstelle
des Heeresdienstes, die im 12. Jh.
begann, wurde in großem Umfang erstmals von Johann
durchgeführt. Daher beschnitt die Magna Carta dem König das
Recht
auf scutage und feudale
Subsidien; beide Abgabenarten erbrachten jedoch
nur begrenzte Gewinne, da sie auf die Kronvasallen (tenants-in-chief)
begrenzt waren. Versammlungen der Kronvasallen stimmten fallweise
derartigen Subsidienleistungen zu, zum Beispiel für die
Feldzüge
gegen Bretagne und Wales. Nachdem es 1194-1217
verschiedentlich zu
einer außerordentlichen Besteuerung der gesamten Untertanenschaft
gekommen war, setzte sich der Dreißigste auf die Fahrhabe, der
erstmals 1207 erhoben worden war, im 13. Jh. als vorherrschende
Steuerart durch. Es wurde insgesamt anerkannt, daß der König
in
allgemeinen Krisenzeiten eine außerordentlichean Steuer von
seinen
Untertanen erheben konnte, doch vor der Festsetzung und Erhebung der
Steuer mußte bei den Untertanen ein Konsens über das
Vorliegen eines solchen Notstandes bestehen. So rechtfertigten die
französischen
Eroberung des Poitou und die Bedrohung Aquitaniens 1225 die Erhebung
eines Fünfzehnten. Die Zustimmung wurde erteilt von einer
Ratsversammlung der tenants-in-chief,
die davon ausgingen, daß
ihre Untervasallen zahlen würden. Als Gegenleistung für diese
außerordentliche Steuerbewilligung setzte Heinrich III.
die Magna
Carta wieder in Kraft, in einer endgültigen Fassung, die allen
nachfolgenden Sammlungen der »Reichsstatuten« (statutes of
the realm) vorangestellt wurde.
Dieser letzte Neuerlaß der Magna Carta als Zeichen
königlicher
Dankbarkeit sollte ein Präzedenzfall für die Lösung
politischer Schwierigkeiten werden.
Heinrich III.
machte 1237 und 1253
erneut feierliche Versprechungen als Gegenleistungen für
finanzielle
Zugeständnisse auf Versammlungen der Barone,
die ursprünglich
seinen
Plänen widersprochen hatten. Dieser Widerspruch richtete sich
dabei nicht nur gegen die Verwendungszwecke der Steuergelder, sondern
auch gegen die Form der königlichen Regierung, wobei der
Zentralregierung
Mißwirtschaft, der lokalen Beamtenschaft Erpressung vorgeworfen
wurde. Dieser letztere Klagepunkt fand offenbar breite
Unterstützung; die Kronvasallen dürften in den baronialen
Versammlungen wahrscheinlich zum Teil Klagen ihrer eigenen Vasallen
über Verletzungen der Carta
aufgegriffen haben. Die feierlichen
Zusagen des Königs waren somit ein frühes Beispiel für
das
Versprechen von Besserung und Reformen als Preis für finanzielle
Hilfe. Eine andere Zielscheibe der baronialen Kritik war Heinrichs
III. Hang zu kostspieligen
politischen Verpflichtungen, die er nur
unter Mitwirkung seines engen Ratgeberkreises, aber ohne baronialen
Konsens einzugehen pflegte. Daher wurden in einigen Fällen
(1237,1244) Vorschläge gemacht, Vertreter des Baronagiums in den
königlichen
Rat zu entsenden.
Die umfassendste Quelle für die politischen Debatten dieser Zeit
sind
die »Chronica Majora«
des Matthaeus
Paris, Mönchs von
St. Albans († 1258).
Wie andere Autoren, unter ihnen auch Kleriker
der Chancery, bezieht sich Matthaeus
auf Versammlungen der geistlichen und
weltlichen Herren (lords spiritual
and temporal), die vom König zum
Parliament
geladen wurden, ebenso aber auch zu
consilia, colloquia
usw.
Das Wort 'parliamentum' wurde
oftmals verwendet, wenn der königliche Rat
durch Richter, Gerichtsbeamte und - wenige - adlige Herren
verstärkt wurde; das Hauptgeschäft dieser
»weiten« Ratsversammlungen war jurisdiktioneller Natur. In
ihrem Charakter als oberster Gerichtshof entsprechen diese Parliaments
im wesentlichen den Parlements der Könige von Frankreich.
Quelle: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM-Ausgabe. Verlag
J. B. Metzler 2000. LexMA 3, 1940-1941
[4] Der Konflikt zwischen Heinrich III. und der baronialen Opposition:
Die Drohung mit Exkommunikation und Interdikt durch Papst Alexander IV.
wegen der Nichterfüllung der in Zusammenhang mit der
sizilischen
Belehnung getroffenen Zusagen zwang Heinrich III.,
einen großen
Rat der Lords zu versammeln,
um ihre Hilfe für das sizilische
Unternehmen zu gewinnen (1258). Eine Schwureinung von sieben Herren
stellte sich an die Spitze der Opposition. Sie bewog den König,
den Papst
um Milderung seiner Bedingungen zu ersuchen, und versprach im Gegenzug
Hilfe von der »Gesamtheit des Königreiches« (community of the
realm). Eine weitere Bedingung für diese Hilfe war die
Reform der
Regierung; zu diesem Zweck gestand Heinrich
III.
die Bildung eines
Ausschusses aus zwölf seiner Räte und zwölf Beauftragten
der Barone zu. Diese Körperschaft übernahm die
Regierungsgeschäfte. Durch die »Provisions of Oxford«
errichtete sie das Amt des Justitiars
neu und ernannte einen Rat von 15
Mitgliedern, der Chancery und Exchequer zu kontrollieren hatte.
Die
poitevinischen Halb-Brüder des Königs wurden abgesetzt. Zur
Entwicklung
von Reformplänen sollten regelmäßige Parliaments der
Großen stattfinden. Die Grafschaftsgerichte wurden ersucht,
jeweils vier Ritter zu wählen, die in jedem shire die Klagen gegen
sheriffs und andere Amtsleute
sammeln sollten; diese Beschwerden
sollten dann vor ein Parliament
gelangen. Schließlich wurde -
aufgrund der Forderungen der bachelors,
der unteren Vasallen - in den
»Provisions of Westminster«
(1259) eine Reihe von Reformen
der Rechtspraxis dekretiert; sie sollten die Vasallen vor der
Willkür ihrer Lehnsherren, aber auch der königlichen Beamten
schützen.
Heinrich III.
konnte jedoch seine Kontrollgewalt wieder
zurückgewinnen, sobald die Einigkeit der Herren nachließ.
Der Papst löste ihn 1261 von seinem Eid, die Provisionen zu
halten. Mit Hilfe von Söldnertruppen ging der König
militärisch
gegen den adligen Widerstand vor. 1263 kehrte Simon de Montfort aus
Frankreich zurück und bemühte sich als Führer einer
neuen baronialen Partei, den König zur Befolgung der Provisionen
zu
veranlassen. Ein Bürgerkrieg wurde zunächst abgewendet durch
Anrufung König Ludwigs IX.
von Frankreich
als Schiedsrichter, durch dessen
Mise d' Amiens die
»Provisions of Oxford«
1264 für
unwirksam erklärt wurden. Ein daraufhin ausgebrochener kurzer
offener Krieg endete mit De Montforts Sieg über Heinrich III.
und
dessen Gefangennahme bei
Lewes (siehe auch Barone,
Krieg der;
Widerstandsrecht). Ein autorisierte die Errichtung einer
neuen 'Form der Regierung' durch einen Dreierausschuß,
dem neben
Simon de Montfort, Earl of Leicester,
auch der Earl of
Gloucester,
Gilbert
de Clare, und der Bischof von
Chichester, Stephen
Berksted,
angehörten; sie sollten als Dreiergremium den König beraten,
übten tatsächlich jedoch die Regierungsgewalt aus. Doch
konnten sie die königstreu gebliebenen Prälaten und Herren
nicht für ihre Sache gewinnen. Daher kann das am 20. Januar 1265
abgehaltene Parliament als
Versuch De Montforts
gelten,
seine politische
Basis zu erweitern; neben den Herren (lords)
wurden erstmals zwei in
jedem shire gewählte
Ritter (knights)
sowie zwei Bürger aus
jeder der ca. 150 Städte zum Parliament geladen. Trotz eines mit
dem Thronfolger Eduard (I.) bei diesem Parliament getroffenen Abkommens
wuchs De Montforts
Unbeliebtheit
beim Hochadel. An der Spitze einer
royalistischen Reaktion vernichtete Eduard in der
Schlacht von Evesham
(1265)
seinen Gegner De Montfort.
Im
Zuge privater Repressionsmaßnahmen
verloren zahlreiche seiner Anhänger ihre Güter ('the
Disinherited'). Zentren des baronialen Widerstandes waren Kenilworth
sowie die Fenland-Inseln Axholme und Ely. Für eine Befriedung
setzte sich insbesondere der päpstliche
Legat Ottobuono
(der spätere
Hadrian V.) ein, der durch
Ausarbeitung einer Reihe von Klauseln
eine
ehrenvolle Kapitulation der Rebellen ermöglichte. Die Wiederkehr
stabiler Verhältnisse wurde begünstigt durch das
»Statute of Marlborough«
(1267), das gleichsam eine
Erneuerung der »Provisions of
Westminster« mit ihrer
Gesetzgebung zugunsten der unteren Vasallen darstellte.
II. Gesetzgebung und militärische Auseinandersetzungen
während der Regierungszeit Eduards I.:
[1] Gesetzgebung:
Die lange Regierung Heinrichs III.
endete mit der zurückgewonnenen
Handlungsfreiheit des Königtums, das Räte und Amtsträger
wieder
nach eigenem Gutdünken einsetzen konnte. Die Tatsache, daß
Heinrichs
Sohn Eduard sich
1270 dem letzten Kreuzzug Ludwigs
des Heiligen
anschließen konnte, zeigt ein konsolidiertes
Vertrauensverhältnis zum Adel. Vier Tage vor Heinrichs
III. Tod (1272) wurde Eduard
I. (1272-1307) zum König proklamiert
(sein Regierungsbeginn wird erstmals mit diesem Tag datiert, nicht wie
bei den früheren Königen mit der Krönung). Er kehrte aus
dem
Hl. Land zurück und wurde 1274 gekrönt. Die erste Phase
seiner Regierung trug ihm den Ruf eines großen Gesetzgebers und
eines Schöpfers des konstitutionellen Fortschritts ein.
Während Stubbs und seine Schule Eduard I. als
einen patriotischen König
und »englischen Justinian«
hochschätzten, beurteilt die
neuere Forschung die Ziele seiner Gesetzgebung und seine angeblichen
konstitutionellen Versuche weitaus kritischer. Diese Revision ist ein
Ergebnis der intensiven Erforschung der reichen Archivbestände
seiner Regierung, die Verwaltungs- und Gerichtswesen dokumentieren.
Stubbs sah den Gipfelpunkt in Eduards
gesetzgeberischer Tätigkeit in
der Versammlung von 1295, die er als das »Musterparlament«
bezeichnete. An diesem Parliament
nahmen neben den Lords auch
gewählte Ritter aus den shires
und Stadtbürger teil. Stubbs'
Auffassung wurde durch die 1922 gemachte Entdeckung, daß ein
Parliament mit ähnlicher
Zusammensetzung bereits 1275
stattgefunden hatte, erschüttert. Darüber hinaus ließ
sich zeigen, daß auch nach 1295 an der Hälfte seiner
Parliaments keine
gewählten Vertreter teilnahmen. Die Ansicht,
Eduard
habe solange experimentiert, bis er ein »perfektes
Modell« gefunden habe, ist somit nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Die große Zahl (70?) seiner kurzen Parliaments deutet eher darauf
hin, daß der König in pragmatischer Weise zu jedem Parliament diejenigen
Männer lud, die er nach Art der zu behandelnden Geschäfte
benötigte. Maitlands Auffassung, daß diese Parliaments in
starkem Maße den Charakter von Gerichtstagen trugen, bleibt
demgegenüber nach wie vor gültig. Daß diese Rolle sich
verstärkte, zeigt die stark wachsende Anzahl von Petitionen, die
von Repräsentanten der Commons
während der Tagungszeit dieser
Parliaments an den König
oder an König und Rat gerichtet wurden.
Die fundamentale Neubewertung der Gesetzgebung Eduards
erfolgte durch
T.F.T. Plucknett (1897-1965), der damit Maitlands Forschungen in
wesentl. Weise ergänzte. E.s Maßnahmen werden als Statuten
bezeichnet, da sie in Dokumentensammlungen über Grundlagen und
Praxis des englischen Rechtswesens, von der Magna Carta an, enthalten
sind;
derartige Kompilationen wurden zum Gebrauch der professionellen engl.
Rechtsgelehrten, der common lawyers,
angelegt. Deren Ausbildung wurde
auf Weisung Eduards
I. (1292) der Kontrolle durch die königlichen Richter
unterstellt. Die Statuten Eduards
I. wurden
nicht durch ein besonderes
parlamentarisches Verfahren in Kraft gesetzt, wie das später der
Fall
war, sondern durch königliche Autorität. In ihrer Form
variierten sie je
nach den Umständen. So gab es etwa königliche Weisungen durch
(zum
Beispiel »Circumspecte agatis«), aber auch im writ Parliament
verkündete articuli, die
dadurch Publizität erhalten sollten;
gelegentlich wurde auf das Gesuch oder die Zustimmung der im Parliament
Anwesenden Bezug genommen. Das erste »Statute of
Westminster« war das Resultat von auf breiter Basis
durchgeführten Enquêtes, die zahlreiche
Mißbräuche der Lokalverwaltung enthüllten und in den
Hundred Rolls aufgezeichnet
wurden; seine Publikation erfolgte 1275 in
Eduards erstem allgemeinen Parliament.
Dagegen wird im »Statute
of Winchester« (»De
pace«) von 1285, das bis in die
Neuzeit die Grundlage für Rechtsvollzug und -durchsetzung bildete,
kein
Parliament erwähnt.
Die Annahme einer grundsätzlich »antifeudalen« Politik
Eduards ist durch
eine nähere Erforschung derjenigen Prozesse,
deren Ausgang durch die kgl. Gesetzgebung beeinflußt wurde,
widerlegt worden. Eine weitere allgemeine Inquisitio untersuchte 1278
die Rechtstitel, mit der feudale Lehnsträger Gerichtsbarkeit oder
sonstige Verwaltungstätigkeit ausübten. Diese
»Quo-warranto«-Untersuchungen
führten dazu, daß
einige Große die bis dahin ausgeübten Gerichts- und
Herrschaftsrechte abgeben mußten oder sie erst nach einer
Bußzahlung wiedererlangten. Doch wurde diese Aktion nicht
konsequent weiterverfolgt. Schließlich erlaubte das
»Statute of Quo Warranto«
(1290) allen Herren, die eine
kontinuierliche Ausübung von Rechten seit 1189 nachweisen konnten,
die ungestörte Fortsetzung. Andere Statuten schützen Herren
gegen einen Verlust von feudalen Dienstleistungen, wenn der betreffende
Vasall sein Land verkauft hatte (»Quia emptores«, 1290)
oder es einer kirchlichen Institution übereignet hatte
(»Mortmain«,
1279). Das »Statute of
Westminster
II« (1285) restituierte sogar die im »Statute of
Marlborough« abgeschafften Jurisdiktionsrechte der
Herrengerichte
über die Vasallen. Die königlichen Rechtsgelehrten
lösten diese
Unzuträglichkeit allerdings zugunsten der Untervasallen auf.
Eduards
Richter hatten wichtigen Anteil am Entwurf seiner Statuten; es
ist unwahrscheinlich, daß der König sich selbst mit allen
Detailfragen befaßte.
[2] Politik gegenüber Wales und Schottland:
Eduards
Bestreben, die feudale Sozialstruktur zu erhalten, ist
verständlich, denn als aktiver Heerführer war er auf die
militärischen Dienste des Baronagiums
angewiesen. Nachdem Eduard
bereits im Krieg der Barone
militärisch hervorgetreten war, erwies
er
sich vor allem in den Kriegen gegen den walisischen Fürsten von Gwynedd,
Llywelyn
ap Gruffudd, als erfolgreicher Stratege. Nachdem dieser 1277
den
Lehnseid verweigert hatte, mußte er sich im Zuge des gegen ihn
geführten ersten Krieges unterwerfen, den Lehnseid leisten und
Land abtreten (Vertrag von Conwy); im zweiten walisischen Krieg wurde
der
walisische Widerstand erneut gebrochen (1282-1283); Llywelyn
fiel, sein
Bruder Dafydd wurde
hingerichtet, ihre Kinder verschwanden hinter Burg-
und Klostermauern. Damit war das Fürsten-Haus
von Gwynedd
ausgelöscht; seine Territorien wurden mit dem
»Statute of
Wales« (1284) der englischen Krone ein verleibt. Die
englische
Herrschaft
wurde durch die Errichtung von Burgen (Conwy, Caernarfon und anderen)
und die
Gründung englischer Siedlungen gefestigt. Der Titel des Prince of Wales
wurde für Eduards I.
Thronerben
1301 erneuert; mit ihm war
später das Earldom of Chester als
Apanage des männlichen
Thron-Erben von England fest verbunden.
Mit Schottland schien sich eine Vereinigung auf friedlichem Wege
anzubahnen, als im Vertrag von Brigham (1290) die Heirat zwischen Eduards
Erben, Eduard (II.), und der Erbin von Schottland, Margarete, Enkelin
des schottischen Königs
Alexander III. († 1286),
vereinbart wurde. Ihr
früher Tod ließ Schottland jedoch ohne anerkannten
Thronerben. Die schottischen guardians
(Regentschaftsräte) luden
Eduard
I. ein, als Schiedsrichter in der Great Cause, der
Sukzessionsfrage, zu
fungieren. In Norham (Northumberland) forderte Eduard 1291
die
Anerkennung als Oberlehnsherr von Schottland, was von den schottischen
Thronbewerbern akzeptiert wurde. Eduard
entschied, daß der von England
unterstützte Prätendent
John Balliol zu Recht
König von
Schottland sei (1292), woraufhin dieser erneut den Lehnseid leistete.
Aufgrund seiner superioritas
erließ Eduard
procedures für
schottischen Prozeßparteien, damit sie an sein Hofgericht in der
gleichen Weise appellierten, wie er selbst die Obergerichtsbarkeit des
französischen Königs über Aquitanien anerkannte.
[3] Verhältnis zu Frankreich:
Eduards
Verhältnis zu Frankreich war gekennzeichnet durch die
Lehnseide an Philipp
III. (1273) und Philipp
IV.
(1286) für seine
Besitzungen in Frankreich. Die persönlichen Beziehungen zu seinen
französischen
Oberlehnsherren waren lange Zeit freundlich; die Verträge von
Amiens (1279) und Paris (1286) sollten territoriale Fragen, die aus dem
Vertrag von 1259 herrührten, einvernehmlich beilegen. Eduard hielt
sich 1273-1274 und 1286-1289 in der Gascogne auf und traf dort
Anordnungen
für die Verwaltung und Verteidigung des Landes; die Einkünfte
aus der Gascogne machten etwa ein Drittel seiner Gesamteinkünfte
aus, ein wichtiger Grund also, dort die Intervention französischer
Kronbeamter
zu dulden. Als anglogascognische Piraten 1293 La Rochelle
plünderten,
entsandte Eduard
eine Gesandtschaft an den französischen Hof, an deren Spitze
sein Bruder Edmund Crouchback
stand.
Trotzdem verhängte Frankreich
die Aberkennung (forfeiture)
des Herzogtums wegen Nichterscheinen
(1294). Dieser rüstete nun für einen Krieg gegen Frankreich,
konnte aber wegen seiner Auseinandersetzungen mit Walisern und Schotten
erst 1297 den Feldzug beginnen. Seine Operationen in Flandern endeten
mit einem Waffenstillstand, der bis zur Zuerkennung der Gascogne im
Vertrag von Paris (1303) erneuert wurde. Eduards
militärische
Pläne in Frankreich waren zunächst durch einen walisischen
Aufstand (1294-1295) durchkreuzt worden. Die Schotten, die sich seiner
feudalen Oberhoheit widersetzten, zwangen ihren König 1295 zum
Bündnis (Auld Alliance)
mit Frankreich (War of Independence).
Dies
beantwortete Eduard
mit einer großangelegten Invasion, in deren
Verlauf Berwick-upon-Tweed gestürmt, das schottische Heer bei
Dunbar
geschlagen und Schottland bis Elgin überrannt wurde. John Balliol
mußte abdanken, seine Regalien wurden eingezogen. Eduard
gründete 1297 eine englische Siedlung in Berwick, dem Zentrum der
englischen Herrschaft und Verwaltung in Schottland. Doch war er nicht
in der
Lage, den schottischen Widerstand zu zerschlagen; während seines
siebenten Schottland-Feldzuges starb Eduard im
Grenzgebiet (1307).
[4] Steuerpolitik:
Der Krieg erforderte eine nationale Besteuerung. Subsidien auf die
Fahrhabe waren bereits für die walisischen Feldzüge
erforderlich,
da ihre lange Dauer die übliche Dienstzeit des feudalen Aufgebotes
von 40 Tagen weit überschritt und den Truppen daher Sold gezahlt
werden mußte. Ein von Rittern besuchtes Parliament bewilligte
einen Fünfzehnten zur Tilgung der Schulden des Königs in der
Gascogne (1290). Nach der französischen Besetzung von Aquitanien
erhöhte
Eduard
willkürlich die Abgaben auf Wollexporte (1275), erlegte dem
Klerus eine hohe Subsidie auf und erhob einen parlamentarisch
bewilligten
Zehnten (1294). Vollbesuchte
Parliaments stimmten weiteren Subsidien
für den Schottland-Krieg zu (1295, 1296). Eine derart häufige
und rücksichtslose Steuererhebung war bis dahin beispiellos; sie
umfaßte Prisen und maltoltes
('ungerechte Zölle') auf
Handelsgüter, Requisitionen (purveyance)
für die Soldaten des
Königs und die Mitglieder seines militärischen Hofhaltes,
Frondienste
für den Burgenbau usw. Die Steuerlasten stiegen drastisch. Ein Rat
von Baronen lehnte es ab, in der Gascogne zu kämpfen, während
der König in Flandern Krieg führte (1297). Eine andere
Subsidienleistung, die auch die Geistlichkeit traf, wurde in einem
Schein-Parliament angeordnet. Während der Abwesenheit des
Königs
besetzten mehrere Große nun London. In einem Parliament
erklärte sich der Stellvertreter des Königs bereit, Urkunden
und
Erlasse zu bestätigen, die eine ungerechte Besteuerung verboten.
Einer Ratifikation dieser Zugeständnisse durch den König
wurde
mißtraut; fortdauernder Druck von seiten der Barone
veranlaßte Eduard,
eine
weitere Bestätigung und die
»Articuli super cartas«
(1300) zu erlassen. Eine dritte
Bestätigung war der Preis für eine weitere Subsidie (1301).
Das Mißtrauen der Untertanen war berechtigt: Der neue, aus der
Gascogne stammende Papst, Clemens V.,
löste 1305 den König von allen
erzwungenen Eiden seit 1297. Dieser Versuch des Königs, seine
Zugeständnisse zurückzunehmen, erklärt wohl die
Bestimmung, die 1308 dem Krönungseid
Eduards II.
hinzugefügt
wurde: der König hatte sich zu verpflichten, die Gesetze zu
halten,
»die von Deinem Volk gewählt werden«.
D. Das Königtum im Konflikt mit Adelsgruppierungen. Der
Hundertjährige Krieg
I. Die Krise des Königtums unter Eduard II.
[1] Der Einfluß Gavestons und der Despenser:
Der schottische Unabhängigkeitskrieg (War
of Independence) gewann
schnell an Stoßkraft. Zwei kurze Feldzüge (1307,1310)
blieben wirkungslos, der dritte (1314) war katastrophal (Bannockburn).
Die Beziehungen Eduards
II. (1307-1327) zu seinen Großen
verschlechterten sich, insbesondere wegen der Begünstigung seines
Favoriten Peter
Gaveston. Die adlige Opposition gipfelte in der
Einsetzung von Ordainers,
deren Reform-Ordinances der König in einem
vollbesuchten Parliament 1311
akzeptierte. Eine durchgreifende
Neuordnung war notwendig geworden wegen der von Eduard I.
hinterlassenen Verschuldung und wegen der Praxis des Hofhalts, sich
Einkünfte ohne Absprache mit dem aushändigen zu
lassen. Die königlichen Machtmittel wurden drastisch beschnitten:
Wichtige
politische und personalpolitische Entscheidungen sollten im Exchequer Parliament
mit
baronialer Zustimmung gefällt werden. Trotz ihres Reformprogramms
setzten die adligen Opponenten - anders als ihre Vorgänger von
1258 - keinen Ausschuß zur Durchführung der Ordinances ein.
Erst als Gaveston - wie
schon
früher - seiner Verbannung Trotz
bot, übernahmen drei Earls
diese politische Rolle; der
Günstling
wurde 1312 ohne Gerichtsverfahren hingerichtet.
über
einen langen Zeitraum war Das nächste Jahrzehnt war eine Periode
des »kalten«
Bürgerkrieges. Die von T.F. Tout und J.C. Davies (1891-1971)
angenommene Hypothese einer organisierten »baronialen
Oppositionspartei« hält der neueren Forschung nicht stand.
Stärker als auf die Zentralregierung konzentriert sich das
Interesse mittlerweile auf individuelle Adlige, deren Aktivitäten
und Interessen besser belegt sind. Der einzige gefährliche
Opponent
Eduards, sein Vetter
Thomas, Earl of
Lancaster. Er stand an der Spitze
der Mörder Gavestons
und
bemühte sich - allerdings mit disparaten Aktivitäten -, den
König zur Einhaltung der
Ordinances zu veranlassen. Eine isolierte Figur,
kämpfte Thomas
fanatisch gegen andere Große und behandelte
auch seine Gefolgsleute mit Härte. Genausowenig war Eduard in
der
Lage, Loyalität zu wecken oder die Adligen in seinem Gefolge im
Zaum zu halten. Hungersnöte und Wirtschaftskrisen (1315-1322)
sowie
der schottische Krieg führten zum Zusammenbruch der
öffentlichen
Ordnung.
Die politische Unfähigkeit des
Königs wurde von seinen führenden
Günstlingen, Vater und Sohn
Despenser, zu eigenem
Aufstieg
ausgenutzt. Die skrupellosen Bereicherungsmethoden Hugh Despensers des
Jüngeren, gerichtet auf das Earldom Gloucester,
dessen Mit-Erbin seine Frau
war (Clare),
lösten einen
Krieg im südlichen Wales aus; ein
Parliament verbannte 1321 die DESPENSER.
Nach diesem Erfolg
zerfiel
jedoch die gegen die DESPENSER
gerichtete Koalition (sie umfaßte
Thomas of
Lancaster, verschiedene oppositionelle Höflinge sowie
Lords der walisischen Marken). Mit unerwarteter Energie ging der
König gegen
seine Gegner vor und rief die DESPENSER
zurück. Die Rebellen
unterlagen bei
Boroughbridge; Thomas of
Lancaster und
zahlreiche seiner
Anhänger wurden nach der Schlacht hingerichtet (1322). Ein
derartiges Blutbad war beispiellos; die »contrariants«
wurden aufgrund der Anklage des Königs, lediglich wegen Erhebung
des
Aufstandsbanners und bewaffneter Opposition, zum Tode verurteilt.
[2] Der Sturz des Königs:
Ein parlamentarisches Statut, erlassen zu
York, hob nun die Ordinances
auf. Neue Ordinances wurden
1323-1326
erlassen, ihr Initiator war der Schatzmeister
Walter Stapledon, Bischof von
Exeter; sie sahen drückende Abgaben zur Sicherung der
Funktionsfähigkeit der Finanzbehörden vor. Die Verbesserung
der Einkünfte sicherte Eduard
einen
Haushaltsüberschuß.
Doch war die politische Stabilität nicht wiederhergestellt worden;
die
Unzufriedenheit wurde gewaltsam niedergehalten. In seiner Gier nach
Land mißachtete Hugh
Despenser
der Jüngere permanent das Recht und
erlaubte seinen Gefolgsleuten jegliche Form von Willkür. Gedeckt
von Eduard,
beraubte und demütigte er auch die Königin Isabella.
Diese wurde - wegen des Konfliktes um St-Sardos (1324-1325) - mit einer
Gesandtschaft zu ihrem Bruder
König Karl IV.
nach Paris entsandt. Mit
ihrem Geliebten, dem verbannten
Marken-Baron Roger
Mortimer,
kehrte sie
nach England zurück; Truppen stellte Graf Wilhelm von Hennegau, der
künftige Schwieger-Vater ihres
Sohnes Eduard (III.). Diese Invasion
war der Auftakt zu einem allgemeinen Aufstand. Eduard II.
wurde
für regierungsunfähig
erklärt. Diese erste formelle
Absetzung eines englischen Königs wurde durch ein Parliament mit Vertretern
aller freien Untertanen, einschließlich des Klerus, vorgenommen
(1327). Die
Thronfolge wurde dem Erben zuerkannt, der jedoch bis 1330 unter der
Kontrolle Isabellas und
Mortimers
stand.
II. Konsolidierung der innenpolitischen Verhältnisse und Beginn
des
Hundertjährigen Krieges unter Eduard III.
[1] Schottlandfeldzüge:
Der Krieg mit Schottland zog sich bis 1328 hin. Eduard II.
hatte Robert
Bruce (Carrick, Earls of)
die Anerkennung als König von Schottland
verweigert, war jedoch bei seinen sporadischen
Schottland-Feldzügen
erfolglos geblieben, während Bruce
seinerseits verheerende
Plünderungszüge im nördlichen England durchführen
konnte,
wobei er Grafschaften dann verschonte, wenn sie unter
Kontributionsleistungen
Waffenstillstand mit ihm schlossen und ihn somit als König von
Schottland
anerkannten.
Thomas of Lancaster verhandelte offenbar mit ihm, ebenso
auch Andrew Harcla, Earl of Carlisle,
der daher 1323 wegen Verrats
hingerichtet wurde. Weitere Erfolge der Schotten veranlaßten die
Regierung des neuen Königs 1328 zum Abschluß des Vertrags
von
Edinburgh, ratifiziert in Northampton. Bruce war nun
als
unabhängiger Souverän anerkannt. Sein Tod (1329) bot jedoch
dem Sohn von John Balliol,
Eduard, die
Gelegenheit, den jungen König
von
Schottland, David
II. Bruce,
zu entthronen. Englische und schottische
Adlige, die als Gegner von Bruce
ihre
schottischen Güter verloren
hatten ('the Disinherited'),
erhielten die Erlaubnis, in England ein Heer
anzuwerben. Ihr Sieg über die zahlenmäßig stärkere
schottische Streitmacht bei Dupplin Moor (1332) zeigte die taktische
Überlegenheit der englischen Bogenschützen, der archers.
Eduard
III. (1327-1377) erkannte Balliol
als
König von Schottland an,
nachdem dieser den Lehnseid geleistet hatte; die bald erfolgte
Vertreibung
Balliols aus Schottland beantwortete er mit einer
großen Invasion. Nach dem ebenfalls der neuen englischen Taktik
zu
verdankenden Sieg von
Halidon Hill konnte Balliol
sich
wieder des
Throns bemächtigen; große Teile des südlichen
Schottland
mußte er seinem englischen Oberherrn abtreten (1334). Trotz
mehrerer
englischer Feldzüge (1335,1336) war Balliol
jedoch nicht zu halten;
David II.
kehrte nach französischen Exiljahren 1341 auf den schottischen
Thron
zurück.
[2] Die erste Phase des Hundertjährigen Krieges:
Eduards
III. Aufnahme des
abgefallenen französischen
Hochadligen Robert von
Artois
(1336) wurde von der Regierung Philipps VI.
als Akt der Rebellion
betrachtet und mit der Konfiskation der Gascogne geahndet. Dies
löste 1337 den Hundertjährigen
Krieg aus. Schon seit Eduards
III. Regierungsantritt hatten sich die
anglo-französischen Beziehungen
verschlechtert, trotz der Lehnseidleistung Eduards zu
Amiens (1329) und
einer - den Quellenberichten nach - freundlich verlaufenen Begegnung
mit Philipp
(1331). Der Grenzverlauf wurde trotz langer Verhandlungen
nicht zur Zufriedenheit des englischen Königs geregelt, wie Eduard 1336
einem
Parliament, das wegen der
Kriegskosten zusammengetreten war,
erklärte. Nach der vorherrschenden Auffassung der modernen
Geschichtsschreibung war die juristische Unterstellung der Gascogne
unter
Frankreich die eigentliche Ursache des Krieges; Philipps
Protektion
gegenüber David
von Schottland sorgte für weiteren
Konfliktstoff. Diese Auffassung betont, daß das englische
Nationalinteresse - wie immer seine Beschaffenheit war - sich durch die
formal abhängige Stellung des Königs als Herzog von
Aquitanien
beeinträchtigt sah. Eduards
diplomatische Ratgeber nötigten ihn,
den Anspruch zu erheben, daß die Gascogne ein Allod sei, frei von
fremder Souveränität. Diese Forderung war die englische
Vorbedingung bei den späteren Friedensverhandlungen in Avignon
(1344), Guînes (1354) und Brétigny (1360). Eduard nahm
den
Titel eines Königs von
Frankreich (als Erbe seiner Mutter, Tochter
Philipps IV.) erst
1340 an, und er bekundete, daß er ihn als
Gegenleistung für die Unabhängigkeit der Gascogne von
Frankreich wieder aufgeben werde.
Eduard
führte Krieg, wo sich die Gelegenheit dazu bot. In Flandern
konnte er keine Territorialgewinne verzeichnen, doch sicherte der
Seesieg bei Sluis
(1340) die englische Kontrolle über den Kanal.
Gewinnträchtiger war das 1342-1343 erfolgte Eingreifen in den
bretonischen
Erbfolgekrieg (Bretagne, Abschnitt
B.III). Revolten in der Normandie
ermutigten Eduard
zur Invasion; der große Sieg von Crécy
(1346) ermöglichte nach langer Belagerung die Besetzung von Calais
(1347), der dauerhaftesten englischen Eroberung des
Hundertjährigen
Krieges. In Abwesenheit des Königs griffen die Schotten als
Verbündete Frankreichs England an; sie unterlagen nordenglischen
Lords bei
Neville's Cross (nahe Durham), und König
David blieb bis
1357 in englischer
Gefangenschaft. Die englische Kriegführung in Frankreich war
gekennzeichnet durch weiträumige verheerende Reiterzüge
(chevauchées).
Während einer solchen von der Gascogne aus
geführten Operation errang Eduard, Prince
of Wales ('der Schwarze
Prinz'), 1356 den Sieg
von Poitiers (Maupertuis), wobei er den französischen König
Johann II.
gefangennahm. Nach erfolgloser englischer Belagerung von Reims
und Paris (1359-1360) wurde
der Friede von
Brétigny
geschlossen
(1360). Eduard
III. erhielt die Abtretung umfangreicher französische
Gebiete in
voller Souveränität, führte aber fortan nicht mehr den
Titel eines Königs von
Frankreich.
Die militärischen Erfolge Englands in dieser frühen
Kriegsphase sind
bemerkenswert. Es stellt sich die Frage, warum Frankreich mit seinen
größeren wirtschaftlichen Ressourcen den englischen
Invasoren nicht
standhielt. Als primärer Grund ist die nationale
Unterstützung anzuführen, die Eduard III.
genoß, wobei
allerdings eingewandt werden kann, daß die Einigkeit der
Untertanen nur solange andauerte, wie der Krieg gewinnbringend war. Mit
den Siegen über Frankreich war der Nationalstolz
wiederhergestellt. Die englische Sprache trat in den königlichen
und adligen
Hofhalten nun an die Stelle des Französischen. Das Fehlen
jeglicher Nachrichten über Konflikte zwischen König und Nobility
ist ein
Novum der Regierung Eduards
III. Sein
martialisches Auftreten und seine
Förderung des Ritterideals (Hosenbandorden)
wie auch seine
generöse Sympathie für einzelne Adlige weckten
Loyalität. Rückblickend ist Eduard
kritisiert worden, weil er
die Langzeitinteressen der Krone vernachlässigte, indem er eine
Bereicherung und politische Stärkung der hohen Aristokratie
duldete;
dies gilt insbesondere für die reiche Besitzausstattung seiner
jüngeren Söhne (Edmund of Langley, †
1402; John
of Gaunt, †
1399; Lionel,
Herzog von Clarence, † 1368; Thomas von Woodstock, †
1397).
Eduards
Hauptinteresse galt Augenblicksaufgaben, der Bewahrung des
inneren Friedens und der militärischen Schlagkraft E.s.
[3] Wandlungen im Heerwesen und die Finanzierung des Krieges:
Für den auswärtigen Krieg konnte der König seine Armee
nicht
mehr auf dem feudalen Aufgebot aufbauen. Eduards
Streitkräfte
wurden weiterhin in England angeworben, und zahlreiche seiner
Lehnsträger wie auch sonstige Landbesitzer, darunter viele
abenteuerlustige Elemente, dienten dem König gegen Sold und in der
Hoffnung auf Beute. Die Anwerbung erfolgte durch Vertrag zwischen dem
König
und Lords oder anderen
Kriegsteilnehmern zur Zusammenstellung von
Kompagnien. Die erhaltenen indentures
of war (Soldverträge)
überliefern - gemeinsam mit Abrechnungen und Zahlungsanweisungen
des Exchequer
- viele Details
dieses frühen Söldnerwesens.
Die englischen Söldnerkompagnien waren kleiner als die feudalen
Aufgebote der französischen Monarchie, aber besser geschult und
organisiert; der
Langbogen (Bogen) sicherte die taktische Überlegenheit der
englischen
Bogenschützen (archers)
auf dem Schlachtfeld.
Die Rekrutierung der englischen Heere war von politischen
Vorbedingungen
abhängig. Zunächst mußte sich der König der
Zustimmung
der Lords versichern, so informierte und konsultierte Eduard III. sie
in zahlreichen Versammlungen während der Verhandlungen mit
Frankreich vor 1337. Die Entscheidungen für Verhandlungen und
schließlich für den Krieg fielen also in Parliaments oder
großen Ratssitzungen. Durch diese Zusammenarbeit mit dem
König
sicherten sich die Lords ihre
Positionen als Führer von
Kompagnien. Eine weitere Implikation dieses politischen Zusammenwirkens
war
die Anerkennung der Berechtigung der königlichen Kriegssteuern von
seiten der
Lords. Für die Eröffnung des Krieges wurden ungeheure Summen
benötigt, zumal Eduard
1337-1338 auch ausländische Verbündete,
unter ihnen Kaiser LUDWIG DEN BAYERN durch
Subsidienzahlung an sich band.
Mit den Walton Ordinances
(1338) plante Eduard,
alle finanziellen
Reserven Englands für seinen Krieg zu mobilisieren. Eine alle drei
Jahre zu erhebende parlamentarische Subsidie und die Errichtung eines
Monopols im Wollexport sollten ihm Kredit verschaffen; doch brach der
Wollmarkt zusammen, und die königlichen Räte überwiesen
längst
nicht alle Einnahmen an das königliche Hauptquartier in Flandern,
was
Zahlungsunfähigkeit des Königs zur Folge hatte. Die
Requirierungen
und andere Abgabenforderungen machten - gemeinsam mit der Furcht vor
einer französischen oder schottischen Invasion - den Krieg bei den
einfachen
Untertanen bald unpopulär. In drei Parliaments (1339-1340)
verhinderten die Commons die
Bewilligung einer von den Lords
vorgeschlagenen Subsidie solange, bis Eduard ihre
Bedingungen zur
Abhilfe von Mißbräuchen annahm. Diese erste bekannte
politische
Initiative der Commons
erreichte ihr Ziel unter anderem durch den
Erlaß von Statuten zum Schutz der Untertanen vor neuen
Steuerbürden und durch die parlamentarische Einsetzung eines Rates
von
Großen, der eine politische Kontrolle wahrzunehmen hatte. Da Eduards
Geldbedarf jedoch immer noch nicht gedeckt war, beendete er seinen
letzten Flandern-Feldzug mit einem fünfjährigen
Waffenstillstand. Zunächst war der König entschlossen, die
vermeintlichen Schuldigen für seine Finanznöte (unter ihnen Erzbischof
Stratford) zu bestrafen,
doch wurde Eduard von
Lords und Commons in
einem Parliament zur
Einhaltung der Zugeständnisse bewogen (1341).
Zwar widerrief er später diese restriktiven Konzessionen, doch
hinderte ihn sein politisches Fingerspitzengefühl an der
Provokation
einer neuen Krise.
[4] Die Parliaments und die Rolle der Commons:
Von dieser Zeit an umfaßten die offiziell als Parliaments
bezeichneten Versammlungen stets Repräsentanten der shires und
boroughs; andere
Versammlungen, an denen nur Lords teilnahmen,
hießen Great Councils.
Gewählte Commons hatten
schon im
frühen 14. Jh. zahlreiche wichtige Parliaments besucht. Dennoch
hatte bislang stets der Hochadel den Anspruch erhoben, für die
Gemeinschaft des Königreiches (community
of the realm) zu sprechen. Seit den
vierziger Jahren des 14. Jh. ging diese Rolle aber an die
gewählten Mitglieder des
Parliaments über, die in einer
eigenen Kammer tagten, während die Lords nun stärker auf den
König hin orientiert waren. Parliaments
wurden seltener abgehalten, in
den Pestjahren 1349-1350 überhaupt nicht, danach zumeist
jährlich. Die mittlerweile weniger ehrgeizigen militärischen
Pläne des Königs, die er ohne kostspielige Verbündete in
Angriff nahm, bedurften geringerer finanzieller Anstrengungen als in
den Jahren 1337-1341. Außerordentliche Steuern wurden nach wie
vor in
regelmäßigen Abständen gefordert (Handelszölle,
Subsidien der Laien und Kleriker). Die königliche Propaganda
versuchte, eine
öffentliche Zustimmung für den Krieg zu erreichen. Die Commons
in den Parliaments
drängten weiterhin auf allgemeine Reformen,
gestärkt durch das Zugeständnis des Königs, daß
alle
Steuerforderungen einer vollen parlamentarischen Zustimmung
bedürften.
Petitionen der Commons mündeten
in den Erlaß von Statuten
ein, und Eduard
wurde genötigt, die im Parliament
beschlossenen
Statuten als die am meisten bindende Form der Gesetzgebung zu
akzeptieren (1354). Zwar gab es keine weiteren Forderungen nach
Bestätigung der Magna Carta,
doch wurden weitergehende
Interpretationen einzelner Bestimmungen der Magna Carta
in Form von
Statuten gefaßt; so sollten die »Rechte der freien
Männer« (c. 29) für alle Männer gelten (1354).
Ständiges Augenmerk galt der Verbesserung des Gerichtswesens:
Zahlreiche Maßnahmen gegen die verbreitete Gesetzlosigkeit
mündeten in das Statut von 1361 ein, durch das die Commissions of
the Peace in jeder Grafschaft eingeführt wurden. Dieses
Rechtssprechungssystem wurde von den Commons
gegen alternative, vom
Königtum favorisierte Projekte durchgesetzt, da es Leuten der
eigenen
Schicht Zugang zu Richterämtern verlieh. Andere Petitionen galten
administrativen Mißständen; in der Lokalverwaltung wurde die
Amtszeit des sheriff auf ein
Jahr begrenzt (1376). Ein Hauptresultat
dieser Reformforderungen der Commons
war die Beteiligung führender
freeholders an der
Grafschaftsverwaltung. Prosopographische Forschungen des
20. Jh. haben wichtige Aufschlüsse über die in den
Commons Parliaments erbracht,
wobei
insbesondere ihre soziale Position, ihre
Erfahrungen in Kriegs- und Ämterwesen, die Kontinuität ihrer
Mitgliedschaft im Parliament
- und damit auch die Kontinuität bei
der Verfolgung reformerischer Ziele - beleuchtet wurden. - Die weniger
häufigen Parliaments,
die nach dem Friedensschluß mit
Frankreich in der Zeit von 1360-1369 einberufen wurden, hatten vor
allem
die Erneuerung der Wollsteuer (wool
subsidy) zum Gegenstand.
[5] Rückschläge gegen Ende der Regierungszeit:
Mit dem Feldzug nach Kastilien griff England in den kastilischen
Thronstreit auf
seiten Peters
I. des Grausamen ein, während Frankreich den gegnerischen
Prätendenten Heinrich von
Trastámara unterstützte. Die
englische Partei trug unter Eduard
dem Schwarzen
Prinzen zunächst den
Sieg über die profranzösischen Kräfte unter Du Guesclin davon
(Schlacht von Nájera,
1367). 1369 setzte sich jedoch das
Haus
TRASTAMARA durch
(Montiel), so daß Kastilien im weiteren
Kriegsverlauf stets auf französischer Seite stand. Drückende
Steuerforderungen des Schwarzen
Prinzen in der von ihm regierten
Gascogne lösten dort einen Aufstand aus, der Karl V. von
Frankreich
den Rechtsgrund lieferte für die Wiederaufnahme des Krieges und
die Rückeroberung der im Frieden von Brétigny
abgetretenen
Gebiete. Bleibt umstritten, wie weit die Bereitschaft Eduards III.
zum
Verzicht auf die französischen Thronansprüche ging, so traf
ihn die
Aufkündigung des Friedensvertrages zweifellos unvorbereitet. Neue
Pestepidemien (1361-1362 und 1369, letztere verschärft durch eine
Mißernte) trugen zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage
bei.
Der Bevölkerungsrückgang und der daraus resultierende Verfall
der Grundrenten dürfte das Augenmerk der Laien verstärkt auf
die kirchlichen Güter gelenkt haben; Forderungen nach einer
erhöhten Besteuerung des Klerus waren die Folge. Das Parliament
von 1371 nötigte Eduard,
seine
drei führenden Ratgeber,
sämtlich Geistliche, zu entlassen, bevor es ihm eine weitere
Subsidie (mit neuem, schlecht konzipierten Besteuerungsmodus)
bewilligte. 1372-1373 folgten militärische Rückschläge
(kastilische
Seesieg bei La Rochelle, 1372;
erfolgloser Feldzug Johns of Gaunt
gegen
Bordeaux). Die vom Papst initiierten Friedensverhandlungen
(Brügge, 1375) führten lediglich einen kurzen
Waffenstillstand herbei, da Frankreich jede Abtretung von Land zu
souveränem Eigentum ablehnte. Das nächste Parliament (1376)
artikulierte den Zorn des Landes über die militärischen und
diplomatischen Mißerfolge und rügte die Unterschlagungen von
Kriegssteuern durch die Höflinge des alternden Königs und seiner
Mätresse Alice
Perrers. Für dieses Parliament
ist erstmals
ein eingehenderer Chronikbericht über Verfahrensweisen
überliefert (Diskussionen der shire-knights,
ihre erste Wahl eines
Speakers und ihre Beziehungen zum House
of Lords). Dieses »Good
Parliament« verfolgte Amtsträger, die der Korruption
beschuldigt wurden, erstmals durch das Impeachment, bei dem die Commons
die Anklage erhoben und die Lords
als Urteiler fungierten. Auch folgte
der König einer Forderung der Commons,
einen Ausschuß von Lords
in
seinen Rat mitaufzunehmen. Mehrere Entscheidungen dieses »Good
Parliament« wurden allerdings 1377 im »Bad
Parliament« widerrufen, bei dem der unpopuläre John of Gaunt
den Vorsitz führte, da er nach dem Tod Prinz Eduards
(1376) die
Regierungsgeschäfte übernommen hatte.
III. Der Konflikt zwischen Königtum und Adel unter Richard II.
[1] Die Bedeutung der Aristokratie:
Seit König Richard II., Sohn von
Eduard dem Schwarzen Prinzen,
bildeten die Beziehungen zwischen dem König und
einer kleinen Zahl führender Großer den Angelpunkt der
englischen
Politik. Die weltliche Aristokratie läßt sich nun mit
denjenigen Familien gleichsetzen, deren erwachsene Oberhäupter
persönlich zu den Parliaments
geladen wurden und dort - gemeinsam
mit ca. 50 Äbten und Bischöfen - das House of Lords bildeten.
Während unter Eduard I.
noch ca. 130 Adlige geladen worden waren,
besuchten um 1400 nur noch ca. 40 weltliche Lords die Parliaments. Das
Erlöschen mehrerer Familien im Mannesstamm und die Heirat mit
Erb-Töchtern ermöglichte es einigen Häusern, in ihrer
Hand große Besitzungen zu vereinigen, allerdings nur für
wenige Generationen. Einige mächtige Herren, die Gefolgschaften
(affinities) aus Rittern und
Landadligen (Gentry) sowie die
Mitglieder
anderer Gruppen (zum Beispiel Kleriker, Juristen) um sich geschart
hatten, dominierten gegenüber ihrer Umgebung (Bastard
Feudalism)
und nötigten das Königtum zur Berücksichtigung ihrer
Interessen.
Neuere Forschungen auf der Grundlage des Quellenmaterials dieser
großen Adelshofhalte (unter anderem Besitzrechnungen) haben die
Kenntnis der spätmittelalterlichen Führungsschicht Englands
erweitert. Insbesondere
K.B. McFarlane (1903-1966) hat herausgearbeitet, daß die
englische
Aristokratie als soziale Klasse sich insgesamt
verantwortungsbewußt verhielt und - im Sinne einer »good
lordship« - auf die Belange ihrer Klientel vielfach
Rücksicht nahm. Die Macht der Krone war nur dann ernsthaft
gefährdet, wenn aufgrund fehlender persönlicher
Qualitäten eines Königs die Loyalität schwand; die
Verteilung
von Ämtern und Gütern im Rahmen der königlichen
Patronage war zur
Erhaltung der Autorität von größter Bedeutung,
insbesondere angesichts des drastischen Verfalls der Grundrenten, der
bis ins späte 15. Jh. anhielt.
[2] Militärische Auseinandersetzung mit Schottland; Einfluß
der Appellants:
Für
Richard
II. wurde eine kollektive
Vormundschaftsregierung der Lords
eingesetzt, wobei der genaue
Zeitpunkt seiner Mündigkeit nicht überliefert ist. Die Kosten
des erfolglosen Krieges in Frankreich führten zur Erhebung von
Sondersteuern, den Poll Taxes,
deren dritte 1381 den größten
Aufstand im mittelalterlichen England, die Peasants' Revolt unter Führung
Wat Tylers,
auslöste. 1381/82 wurde auf Betreiben Papst Urbans VI. ein
böhmisch-englisches Bündnis (zur Sicherung seiner
Obödienz)
vereinbart; Anna
von Böhmen († 1394), Tochter Kaiser KARLS IV., wurde
mit Richard vermählt.
Für
Richards Schottland-Feldzug wurde
1385 - zum letzten Mal in der englischen Geschichte - das Lehnsheer
aufgeboten, das jedoch anschließend wieder durch die üblich
gewordenen privaten Soldverträge (indenture)
organisiert wurde:
Von der gesamten Truppenmacht (13.734 Mann) standen allein 3.000 Mann
im
Solde Johns of
Gaunt, und auch die Earls of
Buckingham
(Thomas)
und
Northumberland
(Percy) stellten
größere Kontingente als der
königliche Hofhalt. Die scheinbare Harmonie zwischen König
und Lords, die sich am
Ende des - erfolglosen - Feldzugs in der Kreierung neuer Pairschaften
zeigte, war jedoch nur von kurzer Dauer. Mit der Entfernung Johns of
Gaunt, der versuchte, die Krone Kastilien zu erringen
(1386-1389), wurde
Richard seiner
wichtigsten Stütze beraubt. John
hatte
den König in
der Hoffnung auf eine mögliche Nachfolge unterstützt.
Richard II.
selbst führte keinen Frankreich-Feldzug durch; die
letzte derartige Unternehmung war der - katastrophale -
»Kreuzzug« des Bischofs
Despenser (1383) gewesen.
Französische
Invasionsvorbereitungen (1386) lösten Besorgnis in England aus.
Ein
Parliament, das zur
Bewilligung einer hohen Subsidie versammelt wurde,
rügte die Mißwirtschaft der königlichen Ratgeber (Impeachment gegen
Suffolk,
den Kanzler). Die
Lords zwangen unter
Führung von
Richards
Onkel Thomas,
Herzog von Gloucester, und Richard
FitzAlan, Earl
of Arundel, den König zur Einsetzung einer Reformkommission
zwecks
Kontrolle der Exekutive. Der Versuch Richards,
seine Macht auf
militärischem Wege wiederzuerlangen, brach zusammen, als seine von
De
Vere geführten Truppen 1387 von Heinrich (IV.), Earl of Derby,
dem
Sohn Johns of Gaunt,
besiegt wurden. Obwohl anscheinend nun die
Absetzung des Königs erwogen wurde, gingen die Sieger lediglich
gegen
seine Anhänger vor: Der Fünferausschuß der Lords
Appellant klagte fünf führende königlichen
Räte des Verrats an;
vom sogenannten »Merciless
Parliament« (1388) wurden darüber
hinaus vier königliche Ritter (unter ihnen der Günstling Simon Burley)
zum Tode verurteilt. Der Verbannung verfielen diejenigen Richter und
Juristen, die Richards
Machtpolitik 1387 eine juristische Legitimation
verschafft hatten. Das Ansehen der Lords
Appellant wurde jedoch durch
den Sieg der Schotten bei
Otterburn (Northumberland) geschwächt.
In einem zweiten Parliament
im Jahre 1388 führten die Commons
darüber Klage, daß die Lords
bei Leuten ihrer Livree
Willkürakte deckten; ein Statut regelte die Commissions of the
Peace, wobei die Commons
bestrebt waren, die Lords aus
diesen
auszuschließen. John of
Gaunts
Rückkehr nach England (1389)
ermutigte Richard,
seine Macht gegen die Lords
zurückzuerobern.
Bis 1390 wurden nur Mitglieder von Ritterschaft und Gentry als
Friedensrichter (Justices of the peace)
berufen. Der König begann erneut
mit dem Aufbau einer persönlichen Gefolgschaft, die seine Livree,
den
weißen Hirschen, trug. Das Quellenmaterial über den
königlichen Rat
(Council, King's), das von
dieser Periode bis ca. 1455 sehr detailreich
ist, zeigt, daß auch frühere Opponenten gelegentlich im Rat
mitwirkten.
Richards Irland-Feldzug (1395) legt nahe, daß,
zumindest nach Meinung des Königs, der innere Friede
wiederhergestellt
war. Ein 28-jähriger Waffenstillstand mit Frankreich
ermöglichte Richards
zweite Vermählung
mit Isabella,
der
Tochter des französischen
Königs Karl VI.
(1396).
[3] Absetzung Richards:
Die Ereignisse der nun folgenden Jahrzehnte der englischen Geschichte
bilden
den Stoff für Shakespeares
Königsdramen und wurden dadurch
Teil der Weltliteratur. Erneute Auseinandersetzungen zwischen
König und Lords
begannen im Jahre 1397 mit der Verfolgung der drei älteren
Appellants,
die durch Mord, Hinrichtung oder Verbannung ausgeschaltet wurden:
Thomas, Herzog von Gloucester; Erzbischof Thomas Arundel; Thomas, Earl of
Warwick (Beauchamp). Die
Grafschaftswahlen für das
diesbezügliche Parliament (1397)
dürften manipuliert worden
sein; die Commons
wählten zu ihrem Speaker
den königlichen Ritter John
Bussy, der seinen Einfluß zugunsten der königlichen
Politik geltend
machte. Eine zweite kurze Parlamentssitzung verlieh einem von Richard
nominierten Ausschuß Autorität (1398). Ein Streit zwischen
den
beiden noch nicht entmachteten jüngeren Appellants (Heinrich
[IV.], Mowbray) lieferte Richard den
Vorwand, beide ins Exil zu
schicken. Nach
John of Gaunts Tod (1399) konfiszierte Richard die
Besitzungen der LANCASTER
und verlängerte die Verbannung
Heinrichs, des Erben, auf
Lebenszeit. Auch
andere willkürliche
Handlungen des Königs aus dieser Zeit belegen, daß Richard II.
der
Ruf der »Tyrannei« zu Recht anhaftet.
Während Richard
sich 1399 mit seinem adligen Anhang erneut in
Irland aufhielt, kehrten Heinrich
(IV.) und Thomas Arundel
aus dem
französischen
Exil zurück. Ihnen schloß sich das nördliche England
an, unter
der Führung der NEVILLE
und der PERCY, die von Richard
bekämpft worden waren. Als der König in Wales landete,
war seine
Anhängerschaft dahingeschmolzen - Heinrich und Arundel hatten
bereits die Absetzung Richards
beschlossen.
Dieser Plan wurde dann
durch eine parlamentarische Versammlung legalisiert, deren »record
and process« auch als Propagandaschrift zugunsten Heinrichs IV.
(1399-1413) in Umlauf gesetzt wurde.
Jedoch wurde nicht zugelassen,
daß Heinrich
kraft einer Handlung des Parliament
zum König erhoben
wurde; er bestieg vielmehr den Thron, nachdem er seine
Erbansprüche klargelegt und die Zustimmung der Lords erlangt
hatte. Nachdem eine - wenig populäre - Verschwörung von
Anhängern Richards (Holland, Montagu) gescheitert war, wurde
der
abgesetzte König in der Haft ermordet (1400).
IV. Von Heinrich IV. bis zum Ausbruch der Rosenkriege
[1] Regierung Heinrichs IV.:
Die Regierung Heinrichs
begann mit äußeren und innerpolitischen
Schwierigkeiten. Da Frankreich den mit Richard
geschlossenen
Waffenstillstand nun als nichtig betrachtete, mußte die Gascogne
verteidigt werden; neue schottische Angriffe wurden von Heinrich 1400
mit
einem Feldzug beantwortet. Größere militärische
Anstrengungen erforderte der walisische Aufstand unter Owain Glyn Dwr
(1400-1409). Eine erste Revolte der PERCY
(Schlacht bei
Shrewsbury, 1403)
war wohl eine Reaktion auf Heinrichs
Versuche, die Machtstellung dieser
Familie - nach anfänglichem Bündnis - zu beseitigen. Ein von
Scrope,
Erzbischof von York,
geführter
Aufstand (1405) konnte vor allem
dank der Loyalität des Earl of
Westmorland
(Neville)
unterdrückt werden. Der vermutliche Drahtzieher dieser Rebellion,
Henry,
Earl of Northumberland
(Percy), suchte Zuflucht
in
Schottland
und fand 1408 bei einem erneuten Invasionsversuch in der Schlacht von
Bramham Moor (Yorkshire) den Tod.
Die Verteidigungskriege verschlangen hohe Summen bei gleichzeitigem
Rückgang der regulären Kroneinnahmen, der vor allem durch die
allgemeine wirtschaftliche Rezession bedingt war und durch die
Zuwendungen, die Heinrich IV.
den Adligen zur Erhaltung ihrer
Loyalität machte, noch verschärft wurde. Daher mußte er
in den Jahren 1401-1406 nicht weniger als fünf Parliaments zur
Bewilligung ungewöhnlich hoher Subsidien abhalten. Die Commons im
Parliament kritisierten die
öffentliche Verschwendung und forderten
eine wirksamere Kontrolle des Finanzgebarens. Unter diesem Druck
wechselte der König 1401 seine Berater aus und machte zweimal
(1404,1406) die Namen seiner Räte öffentlich kund. Das
längste
der Parliaments
(März-Dezember 1406) erließ sogar eine Art
Geschäftsordnung für den königlichen Rat (Council Code). Zielsetzung
der Commons waren Reformen
der Regierung, um dadurch Senkungen der
Steuern zu erreichen; das Recht des Königs auf Regierung und freie
Wahl
seiner Berater wurde jedoch nicht in Frage gestellt, und ebensowenig
wurde von den Commons eine
Beteiligung am königlichen Rat angestrebt.
Mit Ausnahme der PERCY
hatte
sich die Aristokratie in Heinrichs
ersten
Regierungsjahren ruhig verhalten. 1410 ging - wegen schwerer Erkrankung
des Königs - die Kontrolle des königlichen Rates zunehmend an
den Thronfolger
Heinrich (V.) und eine Adelspartei
über
(unter anderem: Heinrich
Beaufort, Bischof von
Winchester, sowie die jungen Earls
of Arundel
[FitzAlan] und Warwick [Beauchamp]). Diese Gruppierung
stellte sich im
französischen Bürgerkrieg zwischen Armagnacs und Bourguignons
auf die Seite Herzog
Johanns Ohnefurcht von Burgund,
den sie 1411 bei St-Cloud mit einem
Truppenkontingent unterstützte. Als Gegner dieser Politik
vermochte
Heinrich IV. seine Autorität wiederherzustellen. Er nahm
eine Umbildung des Rates vor, vor allem mit Hilfe seines alten
Anhängers Thomas Arundel,
schloß ein Bündnis mit
der
gegnerischen französischen Gruppierung, den
Armagnacs/Orléans, und entsandte
1412 zu ihrer Hilfe ein Heer unter dem Befehl des 2. Sohns des
Königs,
Thomas, Duke of Clarence.
Quelle: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM-Ausgabe. Verlag
J. B. Metzler 2000. LexMA 3, 1954-1955
[2] Außen- und innenpolitische Erfolge unter Heinrich V.:
Heinrich V. (1413-1422)
begann seine Regierung mit dem Austausch Arundels
durch Heinrich
Beaufort als Kanzler.
Das Bündnis mit Burgund wurde
von Heinrich
erneuert, jedoch nun mit dem Ziel, sich selbst als
führende Partei in den französischen Krieg einzuschalten.
Zwei englische
Gesandtschaften gingen nach Paris, um Heinrichs Anerkennung als
König von
Frankreich zu fordern, doch die von Frankreich im Gegenzug
angebotenen
Gebietsabtretungen lagen unterhalb des den Gesandten zugebilligten
Ermessensspielraums (1414,1415). Dieser Fehlschlag diplomatischer
Bemühungen war vermutlich einkalkuliert, da ein Parliament bereits
zuvor Steuern für die Aufstellung eines Heeres bewilligt hatte.
Der in dem glänzenden Sieg von Agincourt (Azincourt) gipfelnde
Feldzug von 1415 erbrachte, abgesehen von dem normannischen Hafen
Harfleur,
keine Territorialgewinne, entflammte aber die englische
Kriegsbegeisterung,
so daß eine reguläre Kriegssteuer auf größere
Bereitschaft stieß. Der deutsche
König SIEGMUND
versuchte zu vermitteln,
wurde aber zu einer Allianz mit Heinrich
V.
bewogen (Vertrag von
Canterbury, 1416). Die zweite Invasion (1417) war ein
planmäßiger Eroberungs-Feldzug, in dessen Folge eine
englische
Verwaltung für die eroberte Normandie
errichtet wurde. Die
politische
Zersplitterung hinderte die Franzosen an einem wirksamen Widerstand.
Burgund blieb bis zur Ermordung von Herzog
Johann (1419)
ein inaktiver
Bundesgenosse Englands. Johanns
Sohn, Philipp
der Gute, führte jedoch
König Karl VI. nach
Troyes, wo er Heinrich
V., der sich mit Karls Tochter
Katharina
vermählte, als Herzog der
Normandie und Erben des
französischen
Throns anerkannte (1420). Die englischen Truppen wurden 1421 bei
Baugé geschlagen, doch führte König Heinrich danach die
Eroberungstätigkeit bis zu seinem Tod in Vincennes, vor den Toren
von Paris, fort (1422).
Heinrichs Ruhm
als frommer und heldenhafter König inspirierte die
Biographen. Auch seine Bemühungen, den inneren Frieden zu
erhalten, fanden Vertrauen. Abgesehen von einem Prozeß gegen
adlige Empörer (Richard of
Conisborough, Henry Scrope,
Thomas
Grey, 1415), unterhielt er gute Beziehungen zu den Pairs. Auch
mit der
City of London, auf deren
Finanzhilfe er angewiesen war, pflegte er
enge Kontakte. Er forderte seine Richter zur Bekämpfung der
Gesetzlosigkeit im Lande auf (1414,1421). Eine höchst bedeutende
Neuentwicklung auf dem Gebiet der Rechtsprechung hängt zum Teil
zusammen mit Heinrichs
kriegsbedingtem Aufenthalt in der Normandie, von
wo aus er die englische Regierung kontrollierte: Prozeßparteien,
die
bei den Common Law Courts
nicht ihr Recht gefunden hatten, konnten nun
verstärkt an den Court of
Chancery appellieren; daher gibt es in
den Jahren 1417-1422 weitaus mehr
Early Chancery Proceedings als in den
vorhergehenden Jahren (ab ca. 1390). Das nachfolgende Anwachsen der
juristischen Tätigkeit der Chancery
bei Prozessen, die durch English
bill (Bill, Procedure by)
eingeleitet worden waren, dürfte wohl
auf den Ruf, den sich die Chancery
unter Heinrich
V. erworben hatte,
zurückgehen.
Quelle: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM-Ausgabe. Verlag
J. B. Metzler 2000. LexMA 3, 1955-1956
[3] Die Schwächung des Königtums unter Heinrich VI.:
Heinrich
VI. (1422-1461) war beim Tode seines Vaters
(1422) erst ein Jahr
alt; nach dem Ableben seines
Großvaters, des
französischen Königs Karl
VI.,
wurde er im gleichen Jahr, gemäß dem Vertrag von Troyes,
auch
zum König von Frankreich
proklamiert. Die Vormundschaftsregierung sollte
nach Heinrichs
V. Wunsch sein
jüngster Bruder, Humphrey,
Duke
of Gloucester, führen, doch wurde er von den Lords
verdrängt
und mit dem Titel eines Protektors
abgefunden. Die wirkliche
Regierungsgewalt lag bei einem permanenten Rat von Prälaten,
weltlichen Pairs und hohen Kronbeamten. Das Parliament stimmte dieser
Regelung zu, trotz Humphreys Protesten,
der
in Bischof Heinrich Beaufort
seinen Gegenspieler sah. Der Konflikt eskalierte
(Aufstand in London,
Rückberufung des Regenten in
Frankreich, Johann, Duke of Bedford,
1425), wurde aber dank der Tatkraft des Regentschaftsrates
eingedämmt, ebenso wie andere Fehden innerhalb des Hochadels
(Berkeley, Neville). Die aktive
Amtsführung des Rates wird insbesondere
durch die gut überlieferten Akten des Privy Seal Office
dokumentiert. Dennoch führten die Commons Klage über
verbreitete Gesetzesverletzungen. Ein Statut von 1430 beschränkte
das aktive Wahlrecht in den auf wohlhabende shiresfreeholders
(von
mindestens 40 s. lastenfreiem jährlichem Einkommen), eine
Bestimmung,
die bis zur Reform von 1832 eine Grundlage des englischen
Parlamentswahlrechts bildete. Ein weiteres Statut (1433) forderte von
den Lords und der
größeren Gentry eine eidliche
Versicherung,
keine Rechtsbrecher zu schützen. Andere Quellen weisen auf eine
Vergrößerung der adligen Gefolgschaften hin.
Am Krieg mit Frankreich waren jedoch verhältnismäßig
wenige Lords unmittelbar beteiligt. Johann, Duke of Bedford,
gewann
1424 die Schlacht von
Verneuil, doch konnte er nur langsam
südwärts vorrücken. Das Auftreten der Jeanne d'Arc
(Krönung Karls VII.
in Reims,
1429) und die Neubelebung des französischen
Widerstands beantwortete England mit einem großangelegten
Unternehmen
zur Krönung Heinrichs VI.
zum König von Frankreich
in Paris. Jeanne
d'Arc geriet in
burgundische Gefangenschaft, wurde an England ausgeliefert und nach
einem Ketzerprozeß in Rouen verbrannt (1431). England konnte
weitere
militärische Operationen finanziell nicht durchhalten. Seit 1422
war
die Steuerlast in England weniger drückend gewesen, da man
glaubte,
durch starke Besteuerung der neueroberten Normandie die weitere
Finanzierung des Krieges sichern zu können. Doch die
Einkünfte aus der Normandie wie auch die regulären
Kroneinnahmen erwiesen sich keineswegs als ausreichend. Nach dem
Vertrag von Arras
(1435), durch den Burgund das englische Bündnis
verließ, wurden neue Truppen zur Verteidigung von Calais
benötigt. Das Parliament
bewilligte eine Steuer auf die Einkommen
aus Grundbesitz, deren Rechnungen eine gute Quelle für den
Landbesitz bilden. Spätere, weniger ergiebige Steuern beruhten auf
dem traditionellen Zehnten und Fünfzehnten; sie spiegeln insgesamt
eine schwindende Kriegsbegeisterung wider und wohl auch einen
allgemeinen wirtschaftlichen Verfall. Der Kriegsdienst in Frankreich,
der
vorher manchem Söldnerführer (etwa John Fastolf) ein
Vermögen eingebracht hatte, bot keinen finanziellen Anreiz mehr.
Die Mündigkeit des Königs (1436) löste eine Flut von
Bitten um
seine Protektion aus: Da die meisten schriftkundigen Beamten
mittlerweile Laien waren, konnten nur noch wenige mit kirchlichen
Pfründen versorgt werden. Die Beamten des Hofhalts waren daran
interessiert, einträgliche Einnahmequellen, zum Beispiel in Form
von
Sinekuren, in die Hand zu bekommen, dies möglichst auf Lebenszeit
und mit dem Recht auf Vererbung oder Weiterveräußerung. Die
Freigebigkeit Heinrichs
VI. gegenüber seinen Höflingen
veranlaßte die Lords,
den
Council Code von 1406
wiederherzustellen und den König zur formellen Wiedereinsetzung
fähiger Ratgeber zu nötigen (1437). Diese Restriktionen
blieben jedoch wenig erfolgreich. Die Berichte und Listen der
Ratssitzungen sowie die Urkundenbelege deuten vielmehr auf eine
fortdauernde Verschwendung von seiten des Königs hin. Der
ständige
königliche Rat entwickelte sich zu einer kleinen Gruppe, in der Heinrich
Beaufort, der größte
Gläubiger der Krone, die
einflußreichste Position innehatte. Nach seinem Tod (1447) wurde
William
de la Pole, seit 1448 Duke of
Suffolk,
zur dominierenden Figur
am Hofe. König Heinrich selbst war
leicht beeinflußbar und wohl
etwas einfältig. Der königliche Rat ließ Untertanen,
die den König
öffentlich verspotteten, wegen Verrats verfolgen.
Der mysteriöse Tod des
»guten Herzogs« Humphrey
(1447)
wurde beargwöhnt. Heinrichs
Heirat mit der mitgiftlosen Margarete
von Anjou, der Tochter
König Renés II.
(1445), und die Abtretung
des Maine (1448) waren
unpopuläre Voraussetzungen für einen
kurzen Waffenstillstand mit Frankreich. Dieser endete mit der
englischen
Plünderung von Fougères, die Frankreich binnen kurzem mit
der Rückeroberung der Normandie
(1449-1450) beantwortete. Dieser
schmachvolle Mißerfolg löste scharfe Kritik und Unruhen aus.
Gegen den Duke of
Suffolk wurde im Parliament
ein Impeachment
eingeleitet, unter anderem wegen Bereicherung auf Kosten des
Königs und
Rechtsbeugung zugunsten seiner Klientel. Auf dem Weg ins Exil wurde er
ermordet (1450). In Kent erhoben sich von John Cade geführte
Aufständische, die ihrerseits Anklagen gegen die »falschen
Räte« des Königs erhoben und für kurze Zeit London
besetzen konnten. Bei diesem Aufstand, dem im gleichen Sommer weitere
Revolten folgten, standen politische Proteste, nicht aber soziale oder
wirtschaftliche Forderungen im Mittelpunkt.
In Parliaments der Jahre 1450
und 1451 wurde die Rücknahme der
königlichen Schenkungen gefordert, um die Zahlungsfähigkeit
der Krone
wiederherzustellen. Nach einem gescheiterten Staatsstreich Richards
Plantagenet, Duke of York
(1452), und der - kurzzeitigen -
Rückeroberung von Bordeaux zeigte sich das Parliament von 1453
jedoch kompromißbereiter und bewilligte dem König die
Wollsteuereinnahmen auf Lebenszeit. Bemerkenswert ist, daß nun
über einen längeren Zeitraum hinweg der Einfluß der
Commons nachließ. Ihre
Petitionen mündeten seltener als
bisher in Gesetze ein, ein Machtverfall der Commons, der wohl mit den
härteren politischen Verhältnissen dieser Jahre
zusammenhängt. Edmund Beaufort,
Duke of Somerset,
trat als
allmächtiger Ratgeber die Nachfolge des ermordeten Suffolk an;
sein Gegner war Richard
von York, der bereits im französischen Krieg sein
Konkurrent gewesen war. Verschärft wurde ihr Streit durch die
Tatsache, daß beide sich als potentielle
Thronerben betrachten
konnten, bis schließlich dem König 1453 ein Sohn, Eduard,
geboren
wurde. Der gesundheitliche Zusammenbruch des Königs (1453)
führte
erneut zu kollektiven Regierungsformen, wie sie schon während
Heinrichs
Minderjährigkeit praktiziert worden waren: Der
ständige Rat berief von Zeit zu Zeit große Ratsversammlungen
der Lords ein.
Richard von York war ein Mitglied dieser Versammlung, und
er wurde nach dem Tod des Kardinals
John Kemp 1454 zum Protektor
ernannt.
Edmund Beaufort
wurde zeitweise unter der Anklage des Verrats inhaftiert.
Parallel zu den Konflikten am Hof bekämpften einander im Norden
die
großen Adels-Geschlechter der
NEVILLE und PERCY und
verbündeten sich jeweils mit den verfeindeten Gruppierungen am
Hof. Richard
von York und die NEVILLE
schlugen 1455 bei
St. Albans
Edmund Beaufort
und den Earl
of Northumberland, die beide fielen.
E. Auseinandersetzungen in der 2. Hälfte des 15.
Jahrhunderts: Lancaster, York und Tudor
I. Beginn der Rosenkriege:
Mit der Schlacht
von St. Albans beginnen die sogenannten
Rosenkriege
(1455-1487), eine Reihe adliger Machtkämpfe, die in zwölf
Schlachten kulminierten, wobei die längste zusammenhängende
Kriegsperiode in die Jahre 1460-1461 fällt. Der Name 'Rosenkriege'
für diese Bürgerkriegszeit ist vergleichsweise jung, doch
scheint die symbolhafte Kennzeichnung der beiden rivalisierenden
Königs-Häuser (rote Rose
für LANCASTER;
weiße Rose
für YORK)
schon in der frühen TUDOR-Zeit,
unter Heinrich VII.,
aufgekommen zu sein. Die Häuser
YORK und LANCASTER
selbst haben
aber keine Rosen-Embleme, auch nicht als Abzeichen für ihre
Gefolgsleute, geführt; auch begannen die Rosenkriege nicht als
direkter Kampf um die Krone. Richard
von Yorks
ursprüngliches Ziel war
lediglich die Verdrängung Edmund
Beauforts aus dem
königlichen Rat; seine
hochadligen Anhänger hatten eigene Motive, zum Beispiel die
Konkurrenz zu
anderen Adligen, die als Günstlinge des Königs in einem
regionalen
Bereich die Vormachtstellung anstrebten. Für die Beteiligung der
Gefolgsleute der Lords aus
Ritterschaft und Gentry war die
Notwendigkeit ausschlaggebend, sich einem »guten Herren« in
Treue anzuschließen, da das Vertrauen in die reguläre Justiz
und Verwaltung angesichts weitverbreiteter Korruption und Willkür
gestört war. Akten des Court of
King's Bench liefern Angaben
über die Gefolgsleute der hochadligen Protagonisten.
Während das zweite Protektorat (1455-1456) Richards von York
zu Ende
ging, konnte Königin Margarete von Anjou durch
Ämterpatronage erneut
eine Hofpartei errichten, die bereit war, die königlichen
Prärogativen
bei der freien Wahl von Amtsträgern und Räten zu verteidigen.
Als Reaktion konzentrierte Richard
seine
Streitkräfte, die jedoch
der militärisch überlegenen königlichen Truppenmacht
bei Ludlow
(Shropshire) 1459 unterlagen. Anschließend ächtete ein
»gedungenes« ('packed')
Parliament zu Coventry die
»Yorkists«
als Verräter. Diese konnten jedoch durch
einen Sieg bei Northampton 1460
erneut Kontrolle über die Person
des Königs und die Zentralregierung gewinnen. Wohl zum ersten Mal
erhob
Richard den Anspruch, der
rechtmäßige König zu sein,
dies vor
einem offensichtlich unvorbereiteten Parliament,
das Heinrich VI.
in
seiner Königswürde bestätigte, Richard
jedoch als Erben
proklamierte. Im gleichen Jahr unterlag und fiel Richard bei
Wakefield
(Yorkshire); Margarete
rettete ihren Gatten in der zweiten Schlacht von
St. Albans. Die »Yorkists«
hielten weiterhin London
besetzt und proklamierten Richards
Sohn, Eduard IV.,
als König (1461),
während Schreckensnachrichten über die nach Süden
marschierenden »northern men«
Margaretes
allgemeine Panik
hervorriefen. Mit der Proklamation von
Eduard IV. (1461-1483) hatte die
YORK-Partei
ihre de facto-Regierung legitimiert; die Anhänger
Heinrichs VI.
wurden nun zu Verrätern erklärt. Sie unterlagen
in der Schlacht von Towton
(Yorkshire) am 29. März 1461. Doch
setzten einzelne lancastrische
Gruppen in Northumberland (Alnwick,
Bamburgh) 1461-1464 den Widerstand fort, unterstützt von
Schottland,
wohin sich auch Heinrich
VI. und Margarete
geflüchtet hatten.
II. Regierung Eduards IV. aus dem Hause York:
Durch dynastisch-politische Propaganda suchte das Haus YORK seine
Legitimität zu untermauern. Tatsächlich erlangte Eduard IV.
den Thron, weil Heinrich
VI. sich als unfähig erwiesen hatte; eine
große Rolle spielte die keineswegs uneigennützige
Unterstützung einer mächtigen Adelsfaktion unter dem
»Königsmacher«
Richard
Neville, Earl of Warwick.
Wie
einst Heinrich
IV. mit der Familie PERCY
verfahren war, so behandelte
auch Eduard IV.
die NEVILLE, die er
zunächst durch Gunstbeweise an
sich zog, dann aber durch Zurückdrängung ihres Einflusses
sich entfremdete. Durch seine Heirat mit Elisabeth Wydeville
(Woodville; oo 1464)
begünstigte er vielmehr deren Familie, die
sich nicht zum Hochadel zählen konnte und sich daher dem
König
gefügiger zeigen mußte. Auf diese Weise schuf er ein
Gegengewicht zu den NEVILLE
und ihren Anhängern. Die Entlassung
des seit 1460 amtierenden Kanzlers
George
Neville, Erzbischof von
York,
bezeichnete den offenen Bruch (1467). Warwick
reagierte mit einem
Staatsstreich, den er gemeinsam mit Eduards Bruder, George, Duke of
Clarence, ausführte. Doch konnte sich Eduard IV. 1469
aus ihrer
Gewalt befreien. Nach dem Zusammenbruch der von ihnen lancierten
»Lincolnshire Rebellion«
(Empingham, 1470) flohen Warwick
und Clarence
nach Frankreich. Dort vermittelte König Ludwig XI.die
Versöhnung Warwicks mit
Margarete
von
Anjou und unterstützte
aktiv die Invasion Englands, die - zunächst erfolgreich - zur
Wiedereinsetzung Heinrichs VI. führte
(Readeption, 1470-1471). Durch
die beiden Siege von
Barnet (über die NEVILLE)
und Tewkesbury
(über Margaretes
Heer) stellte Eduard IV.
seine Herrschaft jedoch
wieder her; er wurde dabei unterstützt von seinem Schwager Karl dem
Kühnen, Herzog von
Burgund, dessen Waffenhilfe für das Haus YORK
Bestandteil seiner antifranzösischen Bündnispolitik war. Mit
dem Tod des
Prince
of Wales Eduard
bei Tewkesbury und der nachfolgenden Ermordung
Heinrichs VI.
erlosch das Haus LANCASTER im Mannesstamm
(1471).
Der Widerstand gegen das Haus
YORK ebbte ab;
frühere
»Lancastrians«
unterwarfen sich und traten zum Teil sogar in
Eduards
Dienste, so Kardinal John
Morton. Eduard
knüpfte das seine
Herrschaft festigende Netz von regionalen »overlords« neu,
zum Beispiel dominierte im Norden Richard (III.), Duke of Gloucester;
in den
östlichen Midlands sein
Chamberlain William,
Lord
Hastings und andere;
der in Ludlow etablierte Council seines Sohnes Eduard (V.), Prince of
Wales, erhielt 1473 richterliche Gewalt. Die Reorganisation der
königlichen
Finanzen wurde vorangetrieben, vor allem durch den Ausbau der Chamber
(Kammer), welche die Kontrolle der nun effektiver verwalteten
Krongüter wahrnahm: Die Bodenpreise stiegen nach langem Tiefstand
wieder allgemein an, der Export von Wollstoffen wuchs und steigerte die
Einnahmen des königlichen Fiskus. Ein Frankreich-Feldzug, letzter
Nachhall des
Hundertjährigen Krieges,
endete mit dem Vertrag
von Picquigny
(1475), in dem Ludwig
XI. Eduard eine Pension versprach. Durch
einen Zug gegen Schottland gewann England das unter Heinrich VI.
abgetretene
Berwick-upon-Tweed zurück (1482). Infolge dieser nur
zurückhaltend expansiven Politik und der Verbesserung
der
regulären Kroneinnahmen bedurfte Eduard nur
in seltenen
Fällen einer außerordentlichen Besteuerung, daher fanden
relativ
wenige Parliaments
statt.
III. Die letzten »mittelalterlichen«
Könige
[1] Eduard V. und Richard III.:
Die Krise nach Eduards
unerwartetem Tod
zeigt, wie fragil die unter seiner Regierung erreichte Stabilität
war. Ohne seine feste Hand brachen rasch Konflikte zwischen seinen
Verwandten und Helfern auf: Sein
Bruder Richard von Gloucester
entzog im
Bunde mit Henry
Stafford, Duke of Buckingham,
den jungen König, Eduard
V., den Verwandten aus der Familie
WYDEVILLE. Bereits zwei Monate
später hatte sich Richard
selbst der Königswürde
bemächtigt, gestützt auf die Behauptung, Eduard V.
sei kein
in rechter Ehe gezeugter Thronfolger, was wenig Glauben fand.
Potentielle Opponenten im Rat wurden ausgeschaltet. Der Richard zur
Last gelegte Tod der »Prinzen im Tower« (Eduards V.
und
seines Bruders) ließ -
kaum koordinierte - Aufstände im Süden
aufflackern; auch sein früherer Parteigänger, der Duke of
Buckingham, revoltierte mit unzureichenden Kräften. Richard konnte
diese Erhebungen rasch niederschlagen. Er übertrug die
konfiszierten Rebellengüter in Süd-England vielfach seinen
nordenglischen Gefolgsleuten; diese wurden in den Grafschaften des
Südens als
Fremdkörper empfunden und trugen so zur Unzufriedenheit mit
Richards
Regiment bei.
Mehrere Überlebende der gescheiterten Rebellion, allesamt betonte
»Yorkists«,
sammelten sich in der Bretagne um Heinrich
(VII.) Tudor, Earl of Richmond,
der über seine Mutter Margarete
(Beaufort) von dem LANCASTER John
of
Gaunt abstammte. Durch das
Verlöbnis mit Elisabeth,
der ältesten Tochter Eduards
IV.,
stärkte er seine dynastische Position, so daß die exilierten
YORK-Anhänger
ihn 1483 als ihren König anerkannten. Von Frankreich
unterstützt, setzte er mit einer kleinen Flotte nach Wales
über und konnte bereits drei Wochen später Richard III. in
der Schlacht von
Bosworth vernichten und töten (1485). Dieser
hatte
kein größeres Heer sammeln können und sah sich auf dem
Schlachtfeld mit dem Verrat seiner Anhänger konfrontiert - ein
Zeichen, daß er bei seinen vermeintlichen Untertanen keine echte
Anerkennung gefunden hatte.
[2] Heinrich VII. und der Beginn der
Tudorherrschaft:
Noch bis vor kurzem wurde die Schlacht von Bosworth als
Schlußpunkt der »mittelalterlichen« Geschichte
Englands
betrachtet. Die Regierung Heinrichs
VII. (1485-1509), des ersten
TUDOR-Königs,
markiert aber keinen echten Bruch; sie
knüpft in
vielem an diejenige Eduards IV.
an, dessen Beamtenpersonal zu einem
großen Teil auch unter
Heinrich weiterbeschäftigt
wurde. Die
administrativen und gerichtlichen Institutionen wurden kontinuierlich
ausgebaut, insbesondere erfuhr die Chamber
als zentrale Finanzbehörde
eine Stärkung und effektivere Organisation. Da nur wenige
außenpolitische Verwicklungen auftraten, wurden selten
Sondersteuern
benötigt und folglich nur wenige Parliaments
abgehalten. Doch
stützte sich Heinrich VII. nicht
auf eine Gruppe von
übermächtigen Adligen. Zwar hatten sich - wie Mc Farlane
nachgewiesen hat - die englischen Hochadels-Familien durch die
Rosenkriege
keineswegs gegenseitig ausgelöscht; dennoch wurden die
größten Magnaten-Familien, die LANCASTER, YORK, March
(MORTIMER) und Warwick, von der Krone
absorbiert,
da das Haus TUDOR ihr
Erbe antrat. Zwei andere mächtige Familien, PERCY
und STAFFORD,
konnten wegen Minderjährigkeit ihrer Erben (bis 1499) kaum auf das
politische Geschehen einwirken. Die überlebenden Pairs
verhielten
sich
politisch insgesamt ruhig; mit den steigenden Einkommen aus Grundbesitz
war ihr Wohlstand gewachsen. Heinrich
war
bestrebt, das adlige
Gefolgschaftswesen zu kontrollieren, nicht aber, es abzuschaffen. Seine
Heeresorganisation beruhte nach wie vor auf verläßliche
Lords
und Rittern, wobei Heinrich
eine
größere Zahl potentieller
Truppenführer protegierte, um nicht von wenigen abhängig zu
werden. Die Rechtsprechung nach dem
Common Law wurde gestärkt; sie
richtete sich nicht zuletzt gegen mächtige Privatleute, die
Willkürakte deckten. Die Anzahl der Kronjuristen des Common Law
wurde unter Heinrich
VII. beträchtlich erweitert. Auf ihre
Initiative ging wohl eine neue Einstellung der Monarchie gegenüber
den kirchlichen Gewalten zurück. Zum Teil gefördert durch den
Hof,
entfaltete sich nun verstärkt der Humanismus, der - nach einer
frühen Phase in der 1. Hälfte des 15. Jh. (unter anderem
Mäzenatentum des Herzogs
Humphrey von Gloucester)
- von Eduard
IV.,
nach burgundischem Vorbild, protegiert worden war (so zum Beispiel William
Caxton). Wie Eduard IV.
förderte auch Heinrich VII.
eine
offiziöse Geschichtsinterpretation, die propagandistischen Zwecken
diente: Die Untertanen wurden belehrt, daß das Haus TUDOR
England vor
den Greueln des Bürgerkrieges errettet habe; die
Geschichtsschreiber wurden nicht müde, anhand der Rosenkriege zu
demonstrieren, daß ein ungehorsames Volk der Strafe Gottes
verfiel.
R.L. Storey