DOMESDAY BOOK
Lexikon des Mittelalters:
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Domesday Book
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Im Jahre 1086 angelegtes Verzeichnis, das den größten Teil
des zu diesem Zeitpunkt von Wilhelm I. dem Eroberer
beherrschten England beschreibt (heute
zwei ungleiche Bände im Public Record Office, London). Die
Angelsächsische Chronik (Chronik, Angelsächsische) nennt so
auch 1085 zwei Hauptgründe für die Erstellung des Domesday Book:
Es sollten zum einen die dem König geschuldeten Leistungen, zum
anderen Umfang und Wert der Güter, die die Lehensträger der
Krone innehatten, erfaßt werden. Zu den königlichen
Einnahmen zählten die Steuern und Abgaben; als
Besteuerungsgrundlagen sind hides
(Hufen) oder carucatae
(Pflugländereien) aufgezeichnet; die Angaben wurden in mehreren
Fällen abgeändert. Jede Grafschaft ist gesondert dargestellt.
Der erste Band (»Big«
oder »Great Domesday«),
bestehend aus 382 Pergamentblättern in großem Format,
behandelt 31 Grafschaften; der zweite mit 451 Blättern in
kleinerem Format (»Little
Domesday«) behandelt in detaillierterer Weise Essex,
Norfolk und Suffolk. Die meisten Grafschaftsverzeichnisse beginnen mit
einer Beschreibung der königlichen boroughs und der
königlichen Einnahmequellen zur Zeit der normannischen Eroberung
(1066), doch wurde der für diese Eintragungen vorgesehene Raum
nicht in allen Fällen ausgefüllt; so fehlen die Angaben
über London und Winchester. Dann folgt
eine Liste der Lehnsleute in der betreffenden Grafschaft mit Nummern,
die in der Regel, aber nicht in allen Fällen, den im nachfolgenden
Text verwendeten Nummern entsprechen. Zuerst wird die terra regis behandelt,
anschließend folgen der Reihe nach die Lehen. Jeder Fronhof wird
mit seinem Zubehör beschrieben. Die detaillierten Angaben
differieren stark zwischen der jeweiligen Grafschaft und den Lehen.
Doch sind in nahezu allen Fällen der Ortsname, die
Besteuerungsgrundlage des Besitzes und sein Wert für 1066 und 1086
angegeben. Manchmal werden zusätzlich auch Wertangaben für
dazwischenliegende Jahre gemacht. Die Wertangaben sind in Geld
ausgedrückt und beruhen offenbar manchmal auf geschätzten
Jahreseinkünften, in vielen Fällen aber auf
tatsächlichen Einnahmen. Die meisten Einträge geben die Zahl
der Pflugländereien an, die in einigen Grafschaften offenbar als
Alternative zur bestehenden Besteuerungseinteilung dienen sollte. Die
Zahl der Pfluggespanne, jedes wie üblich mit acht Ochsen (oxgangs, bovata) angesetzt, ist
für das Domänenland, soweit es vorhanden war, wie für
das Pachtland angegeben, und auch die Zahl der Inhaber von
Leihegütern ist vermerkt. Die Haupteinteilung der ländlichen
Bevölkerung ist: liberi homines,
sochemanni (soke), villani, bordarii, cotarii und servi. Auch andere
Vermögenswerte sind verzeichnet, vor allem Waldbesitz, Weiden,
Wiesen, Mühlen und Fischereibetriebe. Oft ist der Name des
Inhabers vor der normannischen Eroberung vermerkt. Fallweise sind auch
zusätzliche Eintragungen beigefügt, besonders im Falle
umstrittener Besitzrechte. Bei einigen wenigen Grafschaften sind eigene
Rubriken für Klagen vorgesehen.
Die Methoden, mit denen die Erhebungen für das Domesday Book
vorgenommen wurden, sind bisher noch nicht vollständig
geklärt. Unsere Kenntnis beruht zum einen auf dem Text des Domesday Book
selbst, zum anderen auf sogenannten »Domesday Satellites«, das
heißt Quellen, die frühe Stadien der dem Domesday Book
vorausgegangenen Erhebungen dokumentieren. Eine dieser Quellen, die
»Inquisitio Eliensis«,
die die Besitztümer der Abtei Ely
verzeichnet, enthält eine Liste von Fragen, die wohl die Grundlage
der Erhebung bildeten. Danach waren Auskünfte zu erfragen: »per sacramentum vicecomitis scirae et
omnium baronum et eorum Francigenarum et totius centuriatus,
presbiteri, praepositi, villanorum unius cuiusque villae«.
Die Auskünfte wurden für drei Zeitpunkte gefordert,
nämlich: »tempore regis Æduardi,
et quando rex Willelmus
dedit et quomodo sit modo«; schließlich war
Aufschluß zu geben, »si
potest plus haberi quam habeatur«. Sicherlich wurden auch
Gerichtsversammlungen aus den einzelnen Hundertschaften oder (für
Teile der Denalagu; Danelaw) den wapentakes befragt, und
möglicherweise wurden in einem bestimmten Stadium der
Untersuchung, belegt durch die »Inquisitio
Comitatus Cantabrigiensis« (ed. N. E.S.A. Hamilton, 1876),
die Daten nach Hundertschaften zusammengefaßt; aber weitaus mehr
Informationen wurden sicher von Landbesitzern oder ihren Verwaltern
geliefert, so daß bald eine Anordnung der Auskünfte nach
feudalen Besitz- und Herrschaftsverhältnissen erfolgte. In diesem
Stadium kam es zu einer Zusammenfassung der Grafschaften zu Kreisen,
die von königlichen Legaten, die keine lokalen Interessen hatten,
visitiert wurden. Domesday Book Band I, das von einer Hand
geschrieben wurde, stellt eine stark zusammengefaßte Version
dieser auf feudale Besitzverhältnisse und auf die Kreise
ausgerichteten Erhebungsberichte dar, die soweit als möglich in
standardisierter Form informierten. Unterschiede zwischen den Berichten
aus den Kreisen sind in der Endfassung klar erkennbar. Zwei solcher
Berichte haben unmittelbar überdauert. Bei dem einen handelt es
sich um Domesday Book
Band 2, das niemals in die standardisierte Form von Band 1 gebracht
wurde, bei dem anderen um das »Exeter
Domesday«, das Domesday Book
Band 2 in Format, Anordnung, Terminologie und der Vielzahl von
Händen sehr nahesteht. Es war die Quelle der Verzeichnisse der
Grafschaften Cornwall, Devon, Dorset, Somerset und Wiltshire in Domesday
Book Band 1.
Die Erhebung ergab, daß zahlreiche Untervasallen sehr große
Besitztümer innehatten. Möglicherweise als direkte Reaktion
auf diese Erhebung forderte Wilhelm
daher
den Lehnseid von allen landsittende
men überall in England, ganz gleich, wessen Lehnsmann sie
seien (Salisbury, 1.
August 1086). Im 12. Jh. war das Domesday Book
eine wichtige Informationsquelle für Landbesitzrechte,
Besitzeinteilung, Besteuerungsgrundlagen und vielleicht auch für
den Wert von Besitzungen. Zahlreiche geistliche Grundherren
besaßen in ihren Archiven Abschriften der für sie relevanten
Teile des Werks; auch wurden, offenbar von königlichen Beamten,
Kurzfassungen, die nur Angaben über Ortsnamen, Landbesitzer und
Besteuerungsgrundlagen enthielten, erstellt.
Das Domesday Book
ist eine überaus reiche Fundgrube, doch führte offenbar seine
rasche Erstellung zu zahlreichen Fehlern und Widersprüchen, die
bei der Auswertung durch die Forschung viele Probleme aufwerfen. Am
meisten befriedigt das Werk als Quelle für diejenigen Fragen, die
es beantworten sollte. Es ist die Grundlage für die Geschichte des
englischen Lehnswesens, und seine Angaben über
Besteuerungsgrundlagen und Werte von Besitztümern sind von nicht
zu überschätzender Bedeutung. Für die meisten anderen
Bereiche ist das Domesday Book
dagegen ein wenig zuverlässiger Führer, dieses gilt zum
Beispiel für die Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte. Es
nennt zwar mehr als 13 000 Ortsnamen, doch fehlen zahlreiche
Siedlungen, weil sie zu größeren Grundherrschaften, die als
Einheit aufgenommen wurden, gehörten. Dies zeigt sich besonders
drastisch in Kent, wo
zeitgenössische Listen von Kirchen 160 Orte nennen, die das Domesday Book
nicht kennt; viele davon liegen im Gebiet des Weald, der im Domesday Book
als weithin unbesiedelt erscheint. Das Domesday Book
ist auch im Hinblick auf die Nennung von Kirchen sehr unausgewogen, und
Märkte werden nur gelegentlich erwähnt. Noch schwerwiegender
ist, daß das Domesday Book -
wie sich bei einem Vergleich mit den Urbaren der Burton Abbey aus dem
12. Jh. herausstellt - die censarii
für diese Güter nicht erwähnt, die aber etwa die
Hälfte der Bevölkerung ausmachten. Wenn ähnliche
Lücken öfter auftreten sollten, wäre der Wert des Domesday Book als demographische
Quelle ernsthaft in Frage gestellt.
Das Domesday Book
wurde stets als königliches Dokument betrachtet und befindet sich
heute im Public Record Office.
Im 12. Jh. lag es im königlichen Schatz (treasury). Im »Dialogus de Scaccario« (ed.
C. Johnson, 62-64) wird berichtet, daß es gemeinsam mit dem
Großen Siegel aufbewahrt werde und daß es bei den
Engländern »Domesdei«
heiße, weil seine Festsetzungen so unwandelbar seien wie die
Urteile des Jüngsten Gerichts.
P.H. Sawyer