CHESTER, CHESHIRE
Lexikon des Mittelalters:
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Chester, Cheshire
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I. Stadt
[1] Bis 1066:
Chester, Hauptstadt der Grafschaft (county)
Cheshire, im westlichen England, nahe
der Mündung des Dee gelegen.
Die Lage im nördlichen Mercien verlieh dem Ort eine
Schlüsselstellung beim Ausbau der englischen Herrschaft über
die Briten im 7. Jh. und bei der Unterwerfung der Wikinger im 10. Jh.,
ebenso nach der normannischen Eroberung bei der Expansion nach Wales im
12. und 13. Jh.
613/616 besiegte König
Æthelfrith
hier die Briten.
907 ließ die Domina
Æthelflæd die
Befestigungen des römischen
Castrum Deva erneuern und
bezog sie in das gegen die
Wikinger-Einfälle gerichtete Verteidigungssystem der burhs ein.
973 nahm hier König Edgar die Unterwerfung der
sechs
Könige, Briten wie Scoten, entgegen.
907 wurde eine Stiftskirche (minster)
gegründet, welche die
Reliquien der hl. Werburgh († um
699), der Nichte des
Königs Æthelred
von
Mercien, aufnahm. Diese Kirche befand sich innerhalb der
Befestigung; die wahrscheinlich 689 gegründete Kirche (906/907
erneut gegründet) St. Johannes des Täufers lag dagegen
außerhalb des burh.
1086 bestanden drei Kirchen innerhalb der Mauern; weitere Kirchen lagen
in den südlichen und westlichen Suburbien, welche näher am
Flußufer entstanden waren. Der Hafen von Chester (Cheshire) wurde
zum
Zentrum des Handels mit Irland und stellte das Verbindungsglied
zwischen den wikingischen Königreichen Dublin und York dar; die
Siedlung der Skandinavier mit Handels- und Gewerbefunktionen lag
wahrscheinlich, wie in York,
außerhalb der Befestigung. Im 10.
Jh. bestand in Chester eine Münzstätte.
[2] Nach 1066:
Nach der normannischen Eroberung Englands (1066) ließ König Wilhelm nahe dem Flußufer eine
Burg errichten. Das ummauerte Stadtareal wurde um 1200 erweitert; es
umfaßte jetzt auch die westlichen und südlichen Suburbien.
Um 1077 wurde die Burg dem Earl of
Chester
übertragen, die Stadt wurde nun Verwaltungssitz des Pfalzgrafen
(siehe auch Abschnitt II).
1075 verlegte der Bischof von Lichfield
seinen Sitz in die Kirche St. Johannes. Doch blieb dies Episode,
da dieser Bischofssitz bereits 1102 nach Coventry transferiert wurde.
1092 hatte der Graf von Chester die Abtei OSB St. Werburgh
gestiftet, die er reich dotierte.
Chester war der Haupthafen des
nordwestlichen England und unterhielt Handelsbeziehungen mit Irland,
Frankreich und Spanien.
Im 12. und 13. Jh. war es die Basis für
die englischen Versuche, das nördliche Wales zu erobern: König Eduard I. (1272-1307) ließ im
nördlichen
Wales die Burgen (so vor allem Caernarvon) von Arbeitern aus ganz
England errichten, die in Chester versammelt wurden. In der Stadt
blieben bis heute bedeutende mittelalterliche Profanbauten erhalten.
M.W. Barley
Quelle: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM-Ausgabe. Verlag
J. B. Metzler 2000. LexMA 2, 1797
II. Grafschaft:
Bereits 1450 wurde behauptet, daß die Grafschaft Cheshire seit
den Zeiten vor der (normannischen) Eroberung Englands durchgängig
eine Pfalzgrafschaft gewesen sei, stets geschieden von den Besitzungen
der Krone Englands. Der Sonderstatus von Cheshire gegenüber
anderen englischen Grafschaften war tatsächlich jedoch ein
Ergebnis der normannischen Eroberung und entsprang administrativen
Bedürfnissen.
Cheshire ist 980 als eigener territorialer Bezirk
belegt; dies war ein Resultat der künstlichen Aufteilung von
Mercien in eine Reihe von Gerichtsbezirken (shires).
1069/70 wurde Cheshire von
den Normannen erobert,
spätestens seit 1077 gehörte es zum
Lehen (honor) des Grafen von
Chester. War Cheshire auch nicht, wie einst angenommen wurde, ein
imperium in imperio, so hatte die Grafschaft doch ein
großes
Maß an Selbständigkeit: Es bestand hier keine
königliche Domäne, die Grafschaft wurde nicht in den Pipe Rolls erfaßt und nicht
von den königlichen Reiserichtern visitiert. Die Magna
Carta
(1215) galt nicht in der Grafschaft Cheshire, der es überlassen
blieb, sich ein eigenes Freiheitsstatut vom Grafen verleihen zu lassen.
Zwischen 1237 (Tod des letzten anglo-normannischen Grafen) und 1241
wurde Cheshire der Krone unterstellt, die aber die lokalen
Gewohnheitsrechte respektierte.
Seit 1301 führte der Erbe des
Königreiches
üblicherweise den Titel des
Earl of Chester,
und Cheshire wurde zum Bestandteil der Apanage der Princes
of Wales.
Die Bezeichnung palatinate (Pfalzgrafschaft)
kam erst 1297 offiziell in Gebrauch; die verfassungsmäßige
Stellung als Pfalzgrafschaft erfuhr sodann im 14. und 15. Jh. ihre
volle Ausprägung: Die Verwaltung der Grafschaft erfolgte durch
einen Richter und einen chamberlain,
die jeweils dem Gerichtshof und dem Schatzamt (exchequer)
von Chester vorstanden.
Cheshire unterlag nicht der allgemeinen nationalen Besteuerung und war
im Parliament
nicht
vertreten. Dennoch blieb die Grafschaft nicht von äußeren
Einflüssen völlig frei, und das Gesetzesrecht (statute-law) fand hier Anwendung.
Im späten Mittelalter galt die Grafschaft als Schauplatz
häufiger Unruhen, sie war auch ein bekanntes Anwerbungsgebiet
für archers
(Bogenschützen). Zwischen den 1470-er und den 1520-er Jahren
verlor Cheshire einen Großteil seiner administrativen
Sonderrechte und wurde im wesentlichen den übrigen Grafschaften
Englands gleichgestellt. 1540 war die Grafschaft erstmals an einer
parlamentarischen Subsidienleistung beteiligt, 1543 erhielt sie die
Vertretung im Parliament.
III. Diözese/Archidiakonat:
Bis zur Schaffung des anglikanischen Bistums Chester im Jahre 1541
gehörte Cheshire zum Bistum Lichfield und Coventry. In der
angelsächsischen Zeit erfuhr der bischöfliche Besitz in der
Stadt Chester wie in der ländlichen Region von Cheshire eine
beachtliche Erweiterung. 1075 transferierte der erste normannische
Bischof von Lichfield seinen Sitz in die Kollegiatkirche
St. Johannes in Chester, im Einklang mit Erzbischof Lanfrancs Politik, die
Bischofssitze in befestigte Städte bzw. deren Nähe zu
verlegen.
Bereits 1102 transferierte Bischof
Robert de Limesey
jedoch den Sitz nach Coventry; diese erneute Verlegung mag einerseits
mit den unruhigen Verhältnissen in Cheshire zusammenhängen,
andererseits mit der übermächtigen Konkurrenz der vom Grafen
von Chester im Jahre 1092 gestifteten reichen Abtei OSB
St. Werburgh in Chester (siehe auch Abschnitt I). Ein Archidiakon
von Chester wird erstmals 1151 erwähnt; im Laufe des 12. Jh. wurde
Chester zum bedeutendsten Archidiakonat in der Diözese, und
spätestens im 14. Jh. hatte es ein bestimmtes Ausmaß an
Selbständigkeit gewonnen. Die Bischöfe durften Angeklagte aus
dem Archidiakonat nicht vor ein außerhalb der Pfalzgrafschaft
befindliches Gericht zitieren. Man nimmt an, daß diese
ausschließlich Gerichtsbefugnisse des Archidiakons von Chester
die geistliche Parallele zur richterlichen Immunität, welche
Cheshire wegen des Status' als Pfalzgrafschaft genoß, bildeten.
A.J. Kettle