Lexikon des Mittelalters: Band II Spalte
615
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Bretagne
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A. FRÜH- UND HOCHMITTELALTER
I. FRÜHMITTELALTER
Der Teil der Armorica (Gallien), aus dem
sich später des Herzogtum Bretagne entwickelte, bildete im
Römischen
Reich fünf civitates: Coriosolites (Curiosolites),
Namneti,
Ossismi,
Redones
und Veneti. Im Unterschied zum übrigen Gallien, in
dem
sich germanische Bevölkerungsgruppen ansiedelten, erfolgte in der
Armorica lediglich eine Einwanderung von Inselkelten aus Britannien.
Durch
Angriffe von Seeräubern und germanischen Einfällen des
späten
3. Jh. hatten vor allen Dingen die Städte der Armorica (besonders
275-282) zu leiden. Die drei Zentren Nantes (Portus Namnetum, Portus
Nemetum),
Rennes (Condate, später Civitas Redonum) und Vannes (Darioritum;
der
Vorort der Veneti) wurden in der Spätantike auf verkleinertem
Grundriß
neu errichtet und befestigt. Corseul (Civitas Coriosolitum) gab man
zugunsten
von Alet/St-Malo (Aletum) auf.
Carhaiix (Vorgium), der Vorort der Ossismi, sollte
ein
ähnliches Schicksal erleben, so daß das Territorium
dieser
civitas vielleicht in zwei Teile aufgegliedert wurde. Diese
territorialen
Veränderungen sind zum großen Teil auf die
demographisch-siedlungsgeschichtlichen
Veränderungen zurückzuführen, die durch die Einwanderung
aus der Britannia verursacht wurden: Zunächst drangen keltische
Bevölkerungsteile
aus Irland in die westlichen Teile von Britannien vor (ca. 3. Jh.);
diese
Einwanderungswelle beeinflusste von Anfang an auch die Civitas der
Ossismi.
Die durch die Einfälle der Angelsachsen im späten 5. Jh. In
Britannien
ausgelöste Bevölkerungsverschiebung griff auch auf die
Gebiete
der Coriosolties und Veneti über. Eine Folge dieser Einwanderung
war
die Änderung des Landesnamens: Aus der (geographisch allerdings
weiträumigeren)
Armorica wurde die nach dem Herkunftsland der Einwanderer benannte
Britannia
(Bretagne). Diese Namensänderung ist schon in der 2.
Hälfte
des 6. Jh., bei Gregor von Tours und Venantius Fortunatus, belegt. Die
keltischen Sprachen und Dialekte, sowohl diejenigen der Einwanderer als
auch die autochthonen, konsolidierten sich in der Folgezeit.
Bis
zum Ende der MEROWINGER-Zeit erstreckte
sich diese „Britannia minor“ (im Unterschied zur Maior Britannia)
über
die alten Territorien der Coriosolites, der Ossismi und der Veneti. Sie
war in drei große Herrschaftseinheiten gegliedert: die Domnonee
im Norden entlang der Kanalküste, vom Fluß Couesnon bis zum
Atlantik; das Poher, das sich an die Domnonee
anschloß
und vom Fluß Eloin bis zur Loiremündung reichte (und nach
unserer
Meinung mit den Territorien der späteren Grafschaft Cournouaille
gleichzusetzen
ist) und schließlich das länger gallofränkisch
gebliebene
Vannetais,
auch Broerec genannt (nach dem Namen des bretonischen Führers
Waroc,
der 579 Vannes besetzte). Die Bretonen leisteten - entsprechend
der
jeweilig wechselnden politischen Situation - dem Franken-Reich Tribut,
oder
aber sie drangen auf fränkisches Gebiet vor. Selbst bedeutenden
militärische
Unternehmungen der MEROWINGER
konnten
die dauernde Unterwerfung des Landes nicht erzwingen. Über die
verwaltungsmäßige
und kirchliche Gliederung der Bretagne in dieser Periode ist wenig
bekannt.
Manche Bretonen-Fürsten,
unter denen Judicael,
Zeitgenosse
König
Dagoberts I. (623-639),
herausragt, beanspruchten den Königstitel. Hinsichtlich einer
Bistumsorganisation
gibt es sichere Belege nur für Vannes sowie ein vereinzeltes
Zeugnis
über einen Litardus, Bischof der Ossismi, in dem man
einen Vorläufer
der Bischöfe von St-Pol-de-Leon erkennt. Bei sonstigen namentlich
bekannten Bischöfen ist jedoch nicht der zugehörige
Bischofssitz
überliefert. Das religiöse Leben wurde im übrigen durch
die Abteien, die von insularen Mönchen gegründet worden
waren,
geprägt (Bedeutendste Persönlichkeit war der heilige
Mönch
und Bischof Samson, der Gründer von Dol), die
ihrerseits Filialgründungen
veranlassten.
Während die Quellen für die MEROWINGER-Zeit
äußerst dürftig sind, ist die Geschichte der Bretagne
in
der KAROLINGER-Zeit und unter den
Bretonen-Herzögen
des beginnenden Hochmittelalters besser belegt. Vom Beginn seiner
Regierung
an war Pippin der Kurze bestrebt,
Einfluß
auf die Bretagne zu gewinnen; 753 besetzte er Vannes und das Vannetais.
Seine Nachfolger, KARL DER GROSSE und
LUDWIG
DER FROMME, versuchten in zahlreichen Feldzügen, das
Land
zu unterwerfen - mehrfach melden Annalisten einen Erfolg, dem jedoch
stets
ein neuer Abfall folgte. Basis der militärischen Maßnahmen
war
die aus drei Grafschaften (Nantes, Rennes und das 753 eroberte Vannes)
geschaffene Mark gegen die Bretonen, etwas missverständlich
„Bretonische
Mark“ oder „Mark Bretagne“ genannt. Die erste Erwähnung der Mark
Bretagne
findet sich bei Einhard,
der
zu 778 den Tod des Hroutlandus
(Roland),
praefectus der Mark Bretagne,
berichtet, und in den fränkischen
Reichsannalen, die seine ihm
verwandten Nachfolger Wido
und Lambert
nennen. Während sich für die Namen der Grafen von
Rennes
keine
sicheren Belege finden, sind für das Nantais, das dem „praefectus
limitis“ als Hauptort der Mark direkt unterstellt war, und
für das
Vannetais mindestens ab 799 und bis 831 mehrere Mitglieder der Familie
WARNHARIUS-WIDO-LAMBERT
gesichert (WIDONEN). Ein
allgemeiner
Feldzug gegen die Bretonen wurde 830 schon während der
Vorbereitungen
wieder aufgegeben, da sich die Söhne
LUDWIGS
DES FROMMEN gegen den Vater erhoben. Bemerkenswert ist, dass
der praefectus Lambert,
Graf von Nantes, einer der
Hauptakteure
des Aufstandes war.
Nach der Wiederherstellung der Macht LUDWIGS
DES FROMMEN wurde der unzuverlässige Lambert
abgesetzt,
an seine Stelle trat Richwin
(Ricuinus), Graf von
Poitiers.
Der Graf von Vannes, Wido,
der loyal geblieben war,
wurde
mit anderen Ämtern betraut; LUDWIG setzte
an seiner Statt auf dem Hoftag zu Ingelheim (1. Mai 831) als Grafen
von Vannes den Bretonen
Nominoe
ein und machte ihn zum missus
imperatoris in der Bretagne, mit der die Grafschaft Vannes
ein missaticum
bildete. Diese neue Herrschaftsorganisation war damit neben die nur
noch
aus Nantes und Rennes bestehende Mark getreten. Nominoe
verhielt
sich unter LUDWIG dem
Franken-Reich
gegenüber insgesamt loyal. Dies änderte sich erst, als sich
der
bretonische Graf unter KARL DEM KAHLEN mit
expansiven Bestrebungen verschiedener karolingischer
Hochadels-Familien gegen die
Bretagne konfrontiert sah. Die Auseinandersetzungen
mit ihnen mündeten schließlich in einen offenen
militärischen
Konflikt mit KARL DEM KAHLEN ein.
Der
fränkische Herrscher unterlag zweimal bie diesen Kämpfen: 845
bei Ballon gegen Nominoe,
851
bei Jengland-Besle gegen Nominoes
Sohn,
Erispoe.
In diesen Kämpfen ging die bisherige Mark an die Bretonen
verloren,
was KARL DER KAHLE
teilweise
dadurch
kompensierte, dass sich ihm Erispoe
kommendierte und von ihm
königliche
Insignien entgegennahm. Während so die pagi von Nantes, Rennes und
die Vikarie Retz, die sich über den pagus von Herbauge erstreckte,
dem Franken-Reich verloren ging, verlieh KARL
eine neue, auf die Grafschaften Angers und Tours gestützte Mark an
Robert den Tapferen. Die karolingische
Oberhoheit war nur noch
nominell, als sich Salomon
durch Ermordung
seines Vetters Erispoe
der Herrschaft bemächtigte (857).
Erst
863 wurde dieser Machtwechsel durch das
karolingische Königtum
anerkannt, das Salomon
den Besitz des zwischen Mayenne
und Sarthe liegenden Teils der Grafschaft Angers und schließlich
(867) auch das Cotentin zugestehen musste. Doch wurde Salomon,
den
Gurvand,
sein Schwager Pascweten
und sein Neffe Guigo
an die Franken
ausgeliefert hatten, von diesen 874 getötet. Das Land wurde danach
zwischen Gurvand und Pascweten geteilt;
Gurvand wurde
von, dem Sohn einer Tochter des Erispoe,
beerbt,
Pascweten von seinem
Bruder
Alanus. Der Tod Judicaels
ermöglichte es dem Alanaus,
als alleiniger Machthaber
den
rex-Titel anzunehmen.
Während dieser Periode wurden
karolingische
Verfassungsinstitutionen
in der Bretagne eingeführt:
Neben den scabini im Gericht
setzte sich unter anderem das Grafenamt auch
in der inneren Bretagne durch; in der 2. Hälfte des 9. Jh. gibt es
mehrere bretonische Grafschaften. Eine ähnliche Fortentwicklung
erlebte
die kirchliche Organisation. Nach den Reformsynoden von Aachen
(817/818)
hatte LUDWIG
DER FROMME in
mehreren
bretonischen Abteien die Einführung der Regula Benedicti durchgesetzt;
im bedeutendsten Kloster, Redon, wurde sie von Anfang an, seit 833,
befolgt.
Für die Regierungen LUDWIGS DES FROMMEN
und KARLS DES KAHLEN sind
nacheinander
Bischöfe der Diözese Alet, Dol, Quimper und St-Pol-de-Leon
belegt.
Nominoe, der eine eigene Kirchenpolitik betrieb, ließ auf
der Synode von Coitlouh (Anfang Mai 849) mehrere Bischöfe
absetzen.
Salomon versuchte im Zuge seiner
Selbständigkeitsbestrebungen,
Dol zur Metropole einer von der Kirchenprovinz Tours abgetrennten
Bretagne
erheben zu lassen; diese Maßnahmen stellten dabei keienswegs die
Bistumsstruktur der Bretagne, die nun sieben Diözesen (Alet, Dol,
Nantes, Quimper, Rennes, St-Pol-de-Leon und Vannes) umgriff, in Frage.
Die Eroberung der Bretagne durch die Normannen
besiegelte
das Schicksal des bretonischen regnum:
Alan (Alain
Barbetorte),
der spätere bretonische Herzog,
musste ins englische Exil zu
König
Æthelstan, gehen.
II. HOCHMITTELALTER
Das normannische Fürstentum an der Loire fand 936,
im Jahre der Restauration Ludwigs IV.
als westfränkischer König, sein Ende. Dieser Erneuerung des
Königtums
waren Abkommen zwischen AEthelstan,
Wilhelm Langschwert und Hugo dem Großen
vorausgegangen,
parallel Verhandlungen erlaubten es Alan, in die Bretagne
zurückzukehren
und dort den Titel eines Herzogs der Bretagne anzunehmen. Unter seiner
Regierung (936-952)
erfolgte eine Reorganisation der Herrschaft;
wahrscheinlich wurden unter ihm die Bistümer St-Brieuc und
Treguier
gegründet. Nach dem Tod von Alan
gerieten die beiden
wichtigsten
miteinander rivalisierenden Grafschaften Nantes und Rennes unter den
Einfluß
(Lehnshoheit) der Grafen von Anjou bzw. Blois. Der frühe Tod von
Alans
ehelichem Sohn Drogo,
für den Fulco der Gute von
Anjou
die
Regentschaft geführt hatte, warf überdies das Problem der
Vererbung
des herzoglichen Titels auf, der bis 1200 nacheinander von vier
verschiedenen
Familien geführt wurde.
Nach einem rund zwanzigjährigen
Interregnum
nahm Conan I., der Enkel
des Grafen
von Rennes, Berengar,
den Herzogstitel an; Conan I.
versuchte, außer der
Bretagne
auch das Nantais zu unterwerfen, wobei er mit dem Grafen von Anjou in
Konflikt
geriet. 992 fiel er in der Schlacht von Conquereuil gegen Fulco Nerra,
Graf von Angers.
Sein Sohn
Gottfried (992-1008) trat die Erbfolge
ohne Schwierigkeiten an, ihm folgten Alan III. (1008-1040)
und Conan
II. (1040-1060). Unter Gottfried
und Alan III.
setzte
eine monastische Reformtätigkeit ein, gestützt auf eine Reihe
von Mutter-Klöstern, besonders Marmoutier und Fleury. Zur gleichen
Zeit wichen die alten karolingischen
Strukturen
einer neuen Herrschaftsorganisation:
Die Minderjährigkeit
Conans
II. begünstigte die Herausbildung eigenständiger
Kastellaneien,
deren Aufstieg sich schließlich zugunsten eines dynastischen
Wechsels
auswirkte.
Als Conan
II. ohne legitime Nachkommen
verstarb,
ging der Herzogstitel an das Haus CORNOUAILLE
über, da Havoise,
eine Tochter Alans III.
aus seiner Ehe mit Berta,
der
Tochter
Odos II. von Blois, eine
Ehe mit Hoel, dem Sohn
des Grafen von
Cornouaille, Alan (Alain
Canhiart), welcher
selber
Graf von
Nantes (durch seine Mutter Judith)
war, geschlossen hatte. Hoel
wurde
jedoch nur in seinen Erb-Grafschaften anerkannt. Erst sein Sohn
Alan
IV. (1084-1114/16) und - stärker noch - sein Enkel
Conan III.
(1114/16-1148) setzten sich in der gesamten Bretagne durch.
Durch das
Haus CORNOUAILLE wurde Nantes zum
politischen Zentrum des
Herzogtums,
während im Norden eine
jüngere Linie des Hauses
RENNES,
die auch in England begütert war, regierte. Die Auswirkungen
dieser
neuen Machtverhältnisse waren besonders auf religiösem Gebiet
bedeutend. Die kirchliche Reformbewegung, die ab 1049 Nantes erfasste,
dehnte sich nach und nach auch auf die anderen bretonischen Gebiete
aus.
Dem Herzog Conan III. war zwar selbst
nicht weiter an der
Errichtung
eines Erzbistums Dol gelegen, doch hielt sich dieses Projekt dank der
Unterstützung
Heinrichs
II., König von
England,
der es mit seinem normannisch-westfranzösischen
Herrschaftsinteressen
verband.
Die Heirat der
Tochter Conans III., Berta,
mit Alan (Alein) dem Schwarzen,
einem der Erben
aus der jüngeren
Linie des Hauses RENNES, hatte keineswegs, wie
sich
hätte
vermuten
lassen, die politische Einigung des Herzogtums, sondern das Gegenteil
zur
Folge:
Nachdem Tode Conans III. (†
1148) gerieten sein Sohn Hoel
und seine Tochter in Konflikt;
Hoel erlangte die
Anerkennung in
der Grafschaft Nantes; die Ansprüche der Berta und ihres
Sohnes
Conan IV. aus der Ehe mit
Alain fanden einen
eifrigen
Vorkämpfer
in Odo (Eudo), Vicomte
von Porhoet, der Berta
in zweiter
Ehe heiratete und bei diesen Auseinandersetzungen vorrangig eigenen
Interessen
verfolgte.
Es gelang Heinrich II. Plantagenet,
den Machtkampf zu seinem Vorteil auszunutzen: Er verheiratete
schließlich
seinen Sohn Geoffroy
mit Constance,
der Erb-Tochter Conans IV.,
und nötigte diesen, schon zu Lebzeiten
zugunsten seines Schwieger-Sohnes auf die Herzogswürde zu
verzichten.
Damit war die Bretagne in den Einflussbereich der PLANTAGENET
geraten,
und sie blieb trotz wiederholter Aufstände bretonischer Adliger
bis
zu dem von König
Johann Ohneland
zu verantwortenden Mord an Arthur
I.
(1203), dem Sohn von Constance
und Geoffroy,
im Verband des Reiches der PLANTAGENET.
Trotz der sprachlichen Trennung zwischen Haute-Bretagne (mit
vorherrschend
französischer Sprache) und Basse-Bretagne (mit vorherrschend
bretonischer
Sprache), welche die Konflikte in der zweiten 2. Hälfte des 12.
Jh.
mitverursacht hatte, bewahrte die Bretagne ihre durch die früh-
und
hochmittelalterlichen Dynastie geschaffene Einheit.
B. SPÄTMITTELALTER
I. DAS ZEITALTER DER HERZÖGE PETER MAUCLERC
UND
JOHANN I. (1213-1341)
Die Periode, die 1213 mit dem Auftreten des französischen
Prinzen Peter von Dreux (bekannt
als Pierre
Mauclerc) in der Armorica beginnt, ist eine Zeit
tiefgreifender
Wandlungen.
Peter
war von König
Philipp II. August (1180-1223), seinem Vetter, zum Gemahl für
Alix,
die Erb-Tochter der
einheimischen
Dynastie bestimmt worden: der Prinz
hatte
den Rang eines bailliste oder Regenten des
Herzogtums bis
zur Volljährigkeit eines eventuell aus dieser Ehe hervorgegangenen
Sohnes. Damit wurde eine neue Dynastie in der Bretagne begründet.
Peter
(Pierre) mit dem
Beinamen Mauclerc
(von ‚mauvais clerc’,
vielleicht
wegen einer bald abgebrochenen
kirchlichen Laufbahn, eher aber wegen der gespannten Beziehungen des
Fürsten
zum hohen Klerus) hat das Andenken eines glänzend begabten und
hochgebildeten,
aber impulsiven Fürsten hinterlassen.
Sein Sohn, Herzog
Johann (Jean) I. (1237-1286), in
seiner Sparsamkeit und Besonnenheit
ein hervorragender Verwaltungsmann, ist der eigentliche Begründer
der spätmittelalterlichen Bretagne; er stärkte
nachhaltig
Ansehen und Autorität der bretonischen Fürsten und begann das
Werk der Zentralisation, das für die Zukunft herausragende
Bedeutung
erhalten sollte.
Seine Nachfolger
Johann II. (1286-1305),
Arthur
II. (1305-1312) und Johann III. (1312-1341)
setzten seine Politik fort, allerdings mit geringerer Tatkraft.
Peter und Johann
I. hatten ihre souveränen Rechte gegen die Umtriebe des
Laienadels wie der frondierenden Prälaten durchzusetzen, wobei
sich
der Widerstand teilweise nur in langdauernden Kämpfen brechen
ließ.
Es gelang den Fürsten, ihre Gewalt auf Kosten ihrer Widersacher
sowie
der kleineren Vasallen territorial zu verankern Die herzogliche
Domäne
wurde in relativ kurzer Zeit beträchtlich erweitert, teils durch
einfache
Konfiskation, wie bei der Apanage von Penthievre, die mit ihren reichen
Kastellaneien in der Diözese St-Brieuc und Treguier an ein Kind
gefallen
war, teils durch Auskauf der Vorbesitzer zu günstigen preisen,
wobei
sich die bretonische Fürsten die Verarmung und Insolvenz einiger
ihrer
Vasallen zunutze machten, zum Beispiel der Vicomtes von Leon. Die
Privilegien
der Großen wurden systematisch beschnitten. Das Strandrecht (droit
de bris) wurden den an der Küste sitzenden Grundherren
entzogen
und bildete fortan eine der Haupteinnehmen für den herzoglichen
Fiskus,
ebenso wie die brefs, die Seeversicherungen gegen
Schiffbruch
und andere Meeresgefahren. Die Nutznießung der Lehen von
Minderjährigen
aufgrund der garde und die Abgabe auf
Rückkäufe
(relief), die 1275 eingeführt wurde und sogleich die
ganzen übrigen Einkünfte eines Jahres aufwog, entwickelten
sich
zu mächtigen politischen und fiskalischen Waffen der Fürsten.
Am Ende der Regierung von Johann I. (†
1286)
war die Besitz- und Territorialentwicklung in ihren Hauptzügen
bereits
abgeschlossen: Die Herzöge beherrschten die bedeutendsten
Städte
(Dinan, Morlaix, Nantes, Renens, Vannes) vollständig oder doch
überwiegend,
sie hatten die strategisch wichtigen Festungen in ihrer Hand (Brest,
Hede),
sie verfügten über ausgedehnte agrarische Grundherrschaften
und
weite Forsten, die sie zum Teil als Musterdomänen (parcs)
organisierten;
ferner übten sie eine Reihe bedeutender Feudalrechte aus, die eine
Quelle einträglicher Gewinne darstellten. Zur Aufrechterhaltung
ihrer
Stellung verfügten die Herzöge über ein effektives
Instrumentarium:
ein gut funktionierendes Schatzamt (tresorerie) und eine
Verteidigungsorganisation, die in der Lage war, die „Marken“ an den
Grenzen
des Herzogtums sowie die Befestigungsplätze der herzoglichen
Vasallen
(St-Aubin-du-Cormier, La Gavre und andere) zu kontrollieren; das
bretonische
Militärwesen umfasste neben dem traditionellen Lehnsaufgebot
(dessen
Organisation im 1294 erstellten „Livre des Ostz“ fixiert wurde) auch
schon
fremde Söldnertruppen („Satelliten“).
Der staatliche Apparat wurde im Laufe des 13. Jh.
Weiter
ausgebaut und verstärkt. Die Herzöge schufen oder erweiterten
eine Reihe von spezialisierten Ämtern, die große Bedeutung
erlangen
sollten: An erster Stelle zu nennen ist der fürstliche Rat (Conseil),
der zunächst einige familiares des
Herzogs umfasste, unter anderem
Franzosen, die - wie der Kanzler
Rainaud - mit Peter
Mauclerc ins Land gekommen waren und zu denen bald
Mitglieder
mittlerer und kleinerer Vasallen-Familien hinzutraten, ebenso auch
bürgerliche
Notabeln. Der Rat befasste sich mit den laufenden politischen und
rechtlichen
Angelegenheiten von Wichtigkeit. Fallweise wurden die Sitzungen des
Rates
durch die Hinzuziehung der Bischöfe und Barone erweitert (Tagung
„en
plein Parlement“); in solchen Versammlungen wurde über
Fragen von
allgemeiner Bedeutung für die Geschicke des Landes beschlossen (so
über die Vertreibung der Juden 1240). Die Steigerung der
Staatseinkünfte
seit der Erhebung der ersten außerordentlichen Steuern der „maltotes“
und anderer „novellets“,
welche häufig Unzufriedenheit und heftige
Konflikte mit Klerus und Kaufleuten ausgelöst hatten, machte die
Schaffung
eines effektiven Rechnungs- und Finanzwesens notwendig, wobei wir
jedoch
nur fragmentarisch erhaltene Rechnungen für die Zeit ab 1265
besitzen;
im Schloß Muzillac wurde eine Finanzbehörde als Vorform einer
Chambre des Comptes (Rechnungshof) eingerichtet. Die
Verwaltungsgliederung
der Bretagne in acht baillies,
die vielleicht schon auf
die
Zeit der PLANTAGENET
zurückgeht,
unter Johann
I. auf jeden Fall
aber
ausgebaut wurde, war ein entscheidender Schritt auf dem Wege der
Zentralisierung.
Diese baillies mit ihren
grundherrschaftlichen, lehnsrechtlichen, fiskalischen
und jurisdiktionellen Funktionenn unterstanden jeweils einem
Seneschall,
der anfangs umfassende Amtsbefugnisse besaß, später aber nur
noch die Polizei- und Richtergewalt ausübte, während sich
neben
ihm andere spezialisierte Funktionen, vor allem diejenigen der
Steuereinnehmer
(receveurs ordinaires), herausbildeten. Ein
Charakteristikum
dieser Periode, in der die Weichen für die
politisch-institutionelle
Entwicklung der spätmittelalterlichen Bretagne gestellt wurden,
ist
auch das Anwachsen der öffentlichen und privaten Archive und vor
allem
die Redaktion der „Tres Ancienne Coutume de Bretagne“, die von drei
ausgezeichneten,
in den französischen Rechtsschulen ausgebildeten Juristen, Pierre
Copu le Sage, Mace le
Bart
und Eon de Treal, in den
Jahren 1312-1325 vorgenommen
wurde. Diese Aufzeichnungen des Gewohnheitsrechtes der Bretagne ist in
Aufbau und Inhalt bereits stärker durch das römische Recht
und
die Gewohnheitsrechte des Anjou und Orleanais geprägt als durch
einheimische
bretonische Rechtstradition.
Die Beziehungen zum König von Frankreich,
dessen
Oberhoheit die Bretagne unterstand, nahmen naturgemäß einen
beherrschenden Platz in der Politik des Herzogtums ein. Peter
Mauclerc war zunächst ein treuer, wenn auch stets auf
seine
Eigeninteressen bedachter Vasall des Königs gewesen. Er
erfüllte
seine Verpflichtungen gegenüber der Krone und leistete König
Philipp August bei mehreren
Feldzügen Heerfolge. Doch
veränderten
Philipps
Tod (1223) das Kräfteverhältnis in spürbarer Weise;
allmählich
geriet Peter Mauclerc
als
großer
Kronvasall auf den Weg der Frone gegen
Ludwig
VIII. (1223-1226), schließlich ging er während der
Minderjährigkeit Ludwigs des
Heiligen
(1227-1234)
sogar zu offener Rebellion über.
Mit dem Scheitern der Aufstände des Peter
Mauclerc und seiner Abdankung zugunsten seines Sohnes Johann
I. kam die Bretagne für mehr als ein Jahrhundert in
französische
Fahrwasser, was offenbar zahlreiche günstige wirtschaftliche,
politische
und kulturelle Folgen hatte. So wurde das Herzogtum Bretagne zur Pairie
erhoben; wichtige künstlerische und kulturelle Strömungen
erreichten
das Land von Frankreich her. Doch brachte die enge Bindung an
Frankreich
auch Nachteile mit sich:
Die Bretonen mussten sich verstärkt an den
militärischen Operationen der Krone beteiligen, so an den
verlustreichen
Flandern-Feldzüge unter König Philipp
IV. dem Schönen zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Die
Appellationen
von Untertanen des Herzogs an das königliche Parlement von Paris,
die zum Teil, aber nicht ausschließlich, von Parteigängern
des
Königs inspiriert waren häuften sich; der königliche Bailli
des
Cotentin bzw. seine Untergebenen, so der Vicomte von Avranches,
schalteten
sich offen in die politische und juristische Angelegenheiten des
Herzogtums
ein und führten dort Untersuchungen durch (1296). Zahlreiche
Bretonen
wanderten nach Paris, Poitiers oder Angers ab; es handelte sich hierbei
um Adlige, die ein Amt am Königshof oder im
Militärwesen
anstrebten, ebenso wie um Professoren und Studenten sowie um
Handwerker.
Bei der Oberschicht der Bretagne lässt sich allgemein das
Phänomen
der „franciscation“, der Annahme der französischen Sprache,
feststellen,
das in dieser Periode einen tiefen Einschnitt in Kultur und
Lebensformen
der Bretagne bewirkte.
In der bis dahin fast ausschließlich
agrarisch
geprägten Bretagne setzte in dieser Periode also zu einem
vergleichsweise
späten Zeitpunkt, eine verstärkte städtische Entwicklung
ein. Das Land wurde für den großen internationalen handel
erschlossen
Besondere Bedeutung als Exportgüter besaßen: as Salz aus
Guerande
und Bourgneuf, welches in das nördliche Europa und nach
Südost-England
ausgeführt wurde; Vieh und Häute; Getreide; grobe Leinwand
und
Wein (aus dem Hinterland von Nantes). Unter
Peter
Mauclerc wurden zwei neue Städte gegründet,
St-Aubin-du-Cormier
und Le Gaore; diese Gründungen dienten Zielen des Landesausbaus
(Erschließung
schwachbesiedelter Zonen) sowie strategisch-politische Zielsetzungen
(durch
diese befestigten Städte erfolgte der Schutz von Rennes und Nantes
sowie die Kontrolle über widersetzliche Vasallen). Die Bürger
dieser neuen Städte erhielten fiskalische und wirtschaftliche
Erleichterungen.
Auch die Bürger von Nantes wurden mit einigen kleinere Privilegien
bedacht (vor allem Rückkauf des Weinbanns). Der einzige bekannte
städtische
Aufstand in der Bretagne, die Revolte der Bürger von St-Malo gegen
ihren Bischof, blieb Episode.
II. DER BRETONISCHE ERBFOLGEKRIEG UND
SEINE FOLGEN
(1341-1365/79)
Frieden und Wohlstand, die im 13. und frühen 14.
Jh. in der Bretagne vorgeherrscht hatten, wurden durch den erbitterten
Bürgerkrieg beeinträchtigt, der in den Jahren 1341-1365 die
Bretagne
erschütterte und, wenn man noch die nachfolgenden
Auseinandersetzungen
mit hinzurechnet, erst 1379 sein Ende fand. Dieser Konflikt entwickelte
sich aus der Verkettung dynastischer und politischer Gegensätze.
Als
Hauptmoment sind hier zu nennen:
o die unheilvolle Wiederherstellung der Apanage
Penthievre
durch Johann
III. (1317) zugunsten
seines jüngeren Bruders Guy
o der Tod des Herzogs ohne Vorhandensein eines
direkten
Erben
o die Rivalität der Tochter des verstorbenen Guy,
Johanna (Jeanne)
von
Penthievre
(oo Karl von Blois),
und ihrem Onkel Johann
(Jean)
von Montfort,
einem jüngeren
Halb-Bruder
von Johann III.
o das Eingreifen der mächtigen Nachbarn der
Bretagne,
Frankreich und England, und dadurch die Verquickung des bretonischen
Erbfolgestreits
mit dem Hundertjährigen
Krieg, zu dessen Schauplatz die Armorica schließlich
wurde.
Das Land wurde gespalten: der eine Teil wurde von
den
BLOIS-PENTHIEVRE und
ihren französischen Anhängern
beherrscht,
die Karl von Blois als
Herzog anerkannten; der andere
Teil
war in den Händen der MONTFORT,
die von Eduard III., König
von England, unterstützt wurden. Die Kriegshandlungen
wurden
durch eine lange Reihe von Reitergefechten, Belagerungen,
Scharmützeln
gekennzeichnet, mit wechselndem Erfolg für beide Parteien, an
deren
Spitze die beiden großen Kriegshelden
Du Guesclin und Thomas Dagworth
standen; auch Ritterturniere, so das berühmte Turnier der
Dreißig
(„Combat des Trente“), hatten
im Verlauf der Kämpfe ihren Platz.
Größere
Schlachten wurden nur wenige geschlagen; sie endeten in der Regel mit
einem
Sieg der MONTFORT-Partei,
deren
Kerntruppe
aus altgedienten britischen Söldnern bestand. Die Schlacht von
Auray
im September 1364 entschied schließlich den Krieg; in ihr verlor
die Partei der PENTHIEVRE
ihren Thron-Prätendenten
Karl von Blois und
büßte damit ihre Erfolgsaussichten
ein;
für den Sohn des 1345
verstorbenen Johann
von Montfort, Johann IV.,
war nun der Weg zur Herzogswürde frei. Der erste, in Guerande
geschlossene
Friedensvertrag bestätigte den Stand der Dinge, ließ aber
die
Tür zu weiteren Konflikten offen, welche noch bis 1379 andauerten.
Nach einem Aufstand seiner Untertanen, der von Karl
V., König von
Frankreich,
unterstützt wurde, musste sich der englandfreundliche Herzog
Johann IV. 1373
sogar ins Exil jenseits des Kanals
begeben,
aus dem er erst 1379 zurückkehrte.
Der Erbfolgekrieg war für die Bretagne
verheerend,
weniger infolge der direkten Kriegshandlungen als wegen der zahlreichen
Plünderungen, Schatzungen und Kontributionen, die der
Bevölkerung
abgepresst wurden und insbesondere die Ausblutung der Agrarbetriebe zur
Folge hatten. Dieses für die Bretagne dornenvollen Jahren waren -
unter militärgeschichtlichem Gesichtspunkt - Jahre der
„Innovation“
der Kriegstechnik und der militärischen Organisation; in dieser
Periode
einer schwachen Zentralgewalt vermochten auch die Städte, die
geschützt
durch ihre Mauern, der militärischen Bedrohung besser standhalten
konnten, ihren Status durch Privilegien zu verbessern (Nantes, Rennes,
Quimper) sowie eine eigene, begrenzte Steuerhoheit und ein munizipales
Ämterwesen aufzubauen; Guingamp war als Stadt sogar auf
kollektiver
lehnsrechtlicher Grundlage verfasst.
III. DIE BLÜTEZEIT DES HERZOGTUMS
UNTER DEM HAUS
MONTFORT (ca. 1379- ca. 1486)
Das Herzogtum erfreute sich nach Beendigung des Erbfolgekrieges
für ein gutes Jahrhundert außergewöhnlich
günstiger
politischer und wirtschaftlicher Bedingungen. In einer Zeit, in der
Frankreich
den Auseinandersetzungen des Hundertjährigen Krieges, die sich mit
inneren Wirren unheilvoll verquickten, ausgeliefert war und sich
zeitweise
in seiner Existenz bedroht sah, herrschte im Herzogtum Bretagne ein
vergleichsweise
dauerhafter Friede, der nur in den „Grenzmarken“ durch die
Einfälle
von Söldnerbanden ernsthaft bedroht war. Der Friede und besonders
die mit ihm verbundene wirtschaftliche Prosperität sind wesentlich
der Ausschaltung der wirtschaftlichen Konkurrenten, eben Frankreichs
und
Englands, die durch den Hundertjährigen Krieg gebunden waren, zu
verdanken.
Als Herzoge aus dem Hause MONTFORT
folgten aufeinender:
Johann IV. (1365-1373;
1379-1399)
Johann V. (1399-1442),
der bekannteste Fürst aus dieser
Familie
dessen Söhne
Franz (Francois)
I. (1442-1450) und
Peter II. (1450-1457)
dessen Bruder
Arthur III.,
Graf von Richemond und
ehemaliger
Connetable von Frankreich
(1457-1458)
und dessen Neffe
Franz II. (1458-1488),
Sohn des Richard von Etampes.
Die Bretagne, die ja französisches Kronlehen
war,
versuchte sich soweit als nur eben möglich den Verpflichtungen,
die
aus dieser Vasallität erwuchsen, zu entziehen und sich
größtmögliche
Eigenständigkeit zu bewahren. Das Erwachen eines bretonischen
„Nationalbewusstseins“,
das sich parallel mit dieser Politik vollzog, spiegelte sich in
Ausbrüchen
von Fremdenfeindlichkeit wider, die sich insgesamt mehr gegen die
Engländer
als gegen die Franzosen richteten (und sich damit stärker den
„nationalen“
antienglischen Bewegungen in der Normandie während der späten
Phase des Hundertjährigen
Krieges annäherten); doch gab es auch
einen antifranzösischen Volksaufstand, der sich gegen den
frühen
Annexionsversuch durch König Karl V. 1378
wandte. Bretonisches Nationalgefühl fand seinen literarischen
Niederschlag
vor allem im offiziellen Schrifttum sowie in den panegyrischen
historiographischen
Werken, die den Herzog als Herrn seines Landes „seit ältester
Zeit“,
als Herrscher von Gottes Gnaden, der mit königlichen und
souveränen
Rechten ausgestattet ist, feierten und ihm das Recht zur Prägung
von
Goldmünzen (des Ecu), zum Tragen einer Krone, zur souveränen
Gesetzgebung und gleichberechtigten Vertragsschließung mit den
anderen
Herrschern der Christenheit zusprachen; der Herzog untermauerte
schließlich
durch Annahme eines herrscherlichen Siegels seine souveräne
Stellung.
Als Hauptvertreter der nationalbretonisch orientierten Literatur am
Ende
des Mittelalters kam Alain
Bouchart („Les Grandes de Bretagne“) gelten.
Die Macht der Herzöge wurde in dieser Periode
insgesamt
noch gestärkt; Schwächung und Krisen, wie sie etwa infolge
der
Entführung Herzog
Johanns V. 1420
durch seine Feinde aus Penthievre eintraten, blieben Episode. Neue
Herrschaften
wurden der Domäne eingegliedert (Fougeres, 1428); der Ausbau der
Institutionen
der Zentral- und Regionalverwaltung schritt weiter voran. Die lange
unterschätzte
Regierung Johanns
IV. stellte in
dieser
Entwicklung eine entscheidende Etappe dar.
Vier große Gremien bestimmten seit dieser
Zeit
das öffentliche Leben:
1. der fürstliche Rat (Conseil
princier),
dessen Tätigkeit durch die Verhandlungsprotokolle für die
Jahre
1459-1463 erhellt wird
2. die Kanzlei (Chancellerie),
in
der Tausende von Urkunden erlassen wurden, wahrscheinlich 90.000 allein
unter Johann IV.,
doch sind nur
2.600
Urkunden erhalten
3. der Rechnungshof (Chambre des
Comptes),
der in Vannes nahe dem Schloß L’Hermine seinen Sitz hatte, mit
zwei
Präsidenten (presidents) und mehreren Auditoren (auditeurs)
4. die Etats de Bretagne
(Stände
der Bretagne), die eine nahezu jährlich tagende Versammlung der
Repräsentanten
des hohen und mittleren Adels und des Klerus sowie der Delegierten der
25 Städte der Bretagne bildeten; ihre Zustimmung wurde beider
Erhebung
„außerordentlicher“ Steuern und möglicherweise auch beim
Erlaß
neuer Gesetze eingeholt. Die Fiskalität machte große
Fortschritte,
die durch die allgemeine Einführung der direkten Steuern des
fouage
(Herdsteuer) für die nichtadligen ländlichen Haushalte (2/3
der
Einnahmen), der aides (indirekten Steuern) für die 32 „guten
Städte“,
sowie der Zölle und Hafengebühren, etwa des „devoir d’impost“,
einer Abgabe auf den Weinhandel, gekennzeichnet sind. Der
jährliche
Haushalt betrug unter Herzog Franz II.
ca. 400.000 livres. Bei alledem war der Aufbau der bretonischen
Administration
noch keineswegs abgeschlossen. Es gab keine feste Hauptstadt, sondern
nur
eine Reihe bevorzugter Residenzen, die wir durch die Itinerate der
Herzöge
kennen. Besonders die Regelung der Rechtsprechung blieb uneinheitlich;
die Einrichtung eines festen Appellationsgerichtshofes in Vannes, des Parlement
de Bretagne, im Jahre 1485 erfolgte erst kurz vor der
Angliederung
an Frankreich. Die häufige Wiederholung der gleichen Ordonnanzen
über
die Einstellung und Auswahl von Beamten, die Tätigkeit der
Gerichtshöfe
usw. deutet auf ein zumindest teilweise unzureichendes Funktionieren
des
Gerichts- und Verwaltungswesens hin. Die lokalen Beamten, die weniger
kontrolliert
werden konnten, waren häufig korrupt; diesbezügliche
Beschwerden
bei der Chambre des Comptes häuften sich und führten mehrfach
zur Einsetzung von Untersuchungskommissionen (so 1486 im Leon).
Die „Außenpolitik“ des Herzogtums zielte
während
des größten Teils der Regierung Johanns
V. auf ein gutes Einvernehmen mit Nachbarn und
Handelspartnern
ab. Der politischen Realität wurde durchaus Rechnung getragen.
Ermöglichte
die politische Schwäche Frankreichs unter
Karl VI.
und Karl VII.
der
Bretagne eine zurückhaltende Politik, so führte der
Wiederaufstieg
Frankreichs nach der Versöhnung des „roi de Bourges“,
Karl
VII., mit den Burgundern beim Vertrag von Arras die
Bretagne
unter Franz
I. und Peter
II. zu einem allmählichen Übergang von einer
neutralistischen
Schaukelpolitik zur Teilnahme an der französischen
Kriegsführung:
Die bretonischen Soldaten haben unter ihrem Führer, dem Connetable
Arthur de
Richemont, wesentlich
zu den französischen
Siegen
über die Engländer in der Normandie und Aquitanien
beigetragen.
Die Neutralität ließ das Herzogtum
reich werden;
Erzeugnisse aus der Bretagne wurden im ganzen nördlichen und
atlantischen
Europa verkauft. Absatz fanden insbesondere: die feine bretonische
Leinwand
ebenso wie die einfachen Leinenstoffe aus Vitre, Morlaix und Locronan,
die sehr geschätzten Häute und das Pergament (Lamballe), die
Produkte der Weidewirtschaft und nach wie vor das Salz..
Von der kulturellen Blüte der Bretagne in
dieser
Periode zeugen hervorragende Baudenkmäler wie die Kathedrale von
Nantes
und der sogenannte „Kreisker“ von St-Pol-de-Leon, eine
künstlerisch
bedeutende Kirche im Perpendikularstil der englischen Gotik.
Einheimische
Künstler fanden ihr Betätigungsfeld, und es entstand eine
beachtliche
Literatur.
IV. DAS ENDE DER SELBSTÄNDIGKEIT
Die Beendigung des Hundertjährigen
Krieges und der
Regierungsantritt des von seiner königlichen Autorität
durchdrungenen
Ludwig XI. waren der Erhaltung der
„Unabhängigkeit“ der Bretagne nicht günstig, zumal mit Franz
II. eine schwache und leicht beeinflussbare
Fürstenpersönlichkeit
regierte und sich zudem im Herzogtum wirtschaftliche Schwierigkeiten
ausbreiteten.
Die Politik der beiderseitigen kleinen Nadelstiche
und
der sorgfältig berechneten Affronts vergiftete ab 1462 die
Atmosphäre
zwischen den beiden Höfen. Der Herzog
von Bretagne war an den
Revolten
und Umtrieben des Hochadels gegen die Politik
Ludwigs XI., häufig
führend, beteiligt
(insbesondere
an der „Guerre du Bien public“).
Als die latente Feindseligkeit in einen
offenen Kriegszustand einmündete, war das Herzogtum jedoch
schlecht
gerüstet und politisch isoliert; vor allem hatte der 1477 erfolgte
Tod des Burgunder-Herzogs
Karl des Kühnen
das Herzogtum Bretagne seines mächtigsten und entschlossensten
Verbündeten
beraubt. Die Schlacht von St-Aubin-du-Cormier (28. Juli 1488) war der
tragische
Endpunkt einer Reihe von für die Bretagne verderblichen
Konfrontationen.
Franz II.
überlebte diese
Niederlage
nicht, seine Tochter Anna (Anne de Bretagne)
trat die Nachfolge unter äußerst ungünstigen
Bedingungen
an. Ihre Rechte auf die Herzogskrone und ihre herzogliche Gewalt wurden
angefochten. Die Aufstände bretonischer Barone, die bereits unter
Annas Vater mit dem Streit zwischen
Guillaume Chauvin und Pierre Landais begonnen
hatten,
setzten sich fort
und führten einen Zustand allgemeiner Unsicherheit herbei. Die
Kämpfe
mit Frankreich flammten trotz des 1488 geschlossenen Vertrages von
Verger
(20. August 1489) unter König
Karl VIII.
erneut auf; durch ein Bündnis mit dem HABSBURGER
MAXIMILIAN, der sich per
procuram mit Anna
trauen ließ (Dezember 1490), versuchte die Herzogin, den
französisch-habsburgisch/burgundischen
Gegensatz zur Erhaltung ihrer eigenständigen Herzogsgewalt
auszunutzen.
Doch wollte Frankreich die habsburgische
Bedrohung im Westen
begreiflicherweise nicht hinnehmen; die Bretagne wurde
ab 1489 von der überlegenen französischen Heeresmacht besetzt
und damit das letzte, mehr oder weniger eigenständige
Territorial-Fürstentum
in Frankreich der Krone unterstellt. Die Heirat der Herzogin
Anna mit Karl
VIII. -
nach
Aufkündigung der Verbindung mit MAXIMILIAN
- erfolgte am 6. Dezember 1491 nach mancherlei Zögern auf beiden
Seiten;
diese Lösung war für die Herzogin und ihr Land unter den
vorhandenen
Umständen offenbar das kleinere Übel. Eine nüchterne
Analyse
der Quellen zeigt tatsächlich für diese Periode eine
Verarmung
des Herzogtums, das mit Abgaben überlastet und von schweren
wirtschaftlichen
und sozialen Krisenerscheinungen erschüttert war. Das
königliche
Regiment unter Karl VIII. und Ludwig
XII. versuchte,
mit unterschiedlichem Erfolg und zum Teil
äußerst
zögernd und nicht immer geschickt, die Situation im Lande zu
verbessern.
Mit der Heirat zwischen Herzogin
Anna und Karl
VIII. war
die Grundlage für die dynastische und staatliche Bindung der
Bretagne
an das Königreich Frankreich geschaffen worden; die feste
Eingliederung
erfolgte im frühen 16. Jh. in mehreren Etappen:
Im Heiratsvertrag
zwischen Anna und Karl
hatte sich die Herzogin
verpflichten müssen, beim
frühen
Tod ihres Gatten und dem Fehlen von Nachkommen, den Thronfolger zu
heiraten.
Dieser Fall trat ein, da zum Zeitpunkt des Ablebens Karls
VIII. (8. August 1498) die vier Kinder aus der Ehe
verstorben
waren. Anna zog sich nach dem Tod
ihres
Mannes zunächst in das Herzogtum Bretagne zurück, dessen
Regierung
sie übernahm. Nachdem der französische
Thronfolger Ludwig XII.
bei der Kurie die
Auflösung seiner
Ehe mit Jeanne de France erreicht
hatte
(17. Dezember 1498), fand am 8. Januar 1499 die Heirat zwischen
Ludwig und Anna
statt.
Die
Bewahrung der Rechte und Gewohnheiten des Herzogtums Bretagne war
Bestandteil
des Ehevertrages. Die Etats generaux von Tours setzten
die
Vermählung des einzigen lebenden Kindes aus der Ehe zwischen Ludwig
und Anna, Claudia,
mit dem Thronerben
Franz von Angouleme durch
(als Franz I. König
seit 1.
Januar
1515) [Richtigstellung: Claudia
war
nicht das einzige Kind aus dieser Ehe, denn sie hatte eine Schwester Renata
(* 25.10.1510, † 12.6.1575)]. Nach dem Tod der Königin
von Frankreich und Herzogin
von Bretagne, Claudia,
am 20. Juli 1524 trat, gegen die Bestimmungen der früheren
Verträge,
der Dauphin
Heinrich die Erbfolge in
der Bretagne an:
Nach einer Beratung der Etats de
Bretagne in Vannes
proklamierte
König
Franz I. im Edikt von Nantes
(14. August 1532) die immerwährende Union (union perpetuelle)
der Bretagne mit der Krone von Frankreich.
Nach dem Untergang des Weströmischen
Reiches waren
die Herzöge von Bretagne, die auch den Königstitel
führten,
von Zeit zu Zeit von den fränkischen Königen abhängig.
Im
10. Jahrhundert hatte das Land unter den Einfällen der Normannen
zu
leiden, deren Herzog Rollo sich zum Herrn der
Bretagne machte.
Als
1171 die alte einheimische Dynastie im Mannesstamm erlosch, kam die
Bretagne
durch Konstanze, die
Erb-Tochter
des letzten Herzogs, an deren
Gemahl
Gottfried,
Sohn Heinrichs
II. von England, dessen
Sohn Arthur
durch seinen Onkel Johann
Ohneland
umkam. So wurde die Bretagne ein Zankapfel zwischen
England und Frankreich, bis Philipp IV. den
Grafen
Johann II.,
einen Nachkommen
Konstanzes aus einer
anderen
Ehe, wegen seiner Parteinahme für Frankreich 1298 zum Herzog der
Bretagne
und Pair von Frankreich ernannte. Die Streitigkeiten brachen zwar noch
öfter aus, so in einem langen Erbfolgestreit nach dem Tode Johanns
III. 1341, doch wußten
die
Herzöge von Bretagne gegenüber den französischen
Königen
ihre Selbständigkeit zu behaupten. Als mit Franz
II. 1488 der Mannesstamm erlosch, war dessen Tochter
Anna, MAXIMILIANS I. Verlobte,
Erbin des Landes. Sie wurde
1491 mit Karl VIII.
und
nach dessen Tode mit Ludwig XII.
vermählt.
Als ihre einzige Tochter Claudia
1514
mit dem Herzog von Angouleme,
der 1515 als
Franz
I. den Thron bestieg,
vermählt worden war, erfolgte
1532
die Einverleibung des Landes in Frankreich.