Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte 172
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Mallorca, Königreich
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Grundlage für das eigenständige Königreich
Mallorca bildete das 1272 in Montpellier verfaßte Testament
König Jakobs I. von Aragon, durch das sein ältester
Sohn Peter III. die Herrschaft über
die Königreiche Aragon-Katalonien und Valencia erhielt, sein jüngerer
Sohn Jakob als Jakob
II. von Mallorca hingegen außer der Herrschaft über
Montpellier
die Grafschaften Roussillon und Cerdana, die Regionen von Conflent
und Vallespir sowie das ‚regnum Maioricarum et insulae adiacentes‘,
wozu neben Mallorca selbst Menorca, Ibiza und Formentera gehörten,
als frei verfügbares Eigen auf erbrechtlicher Basis in Besitz nehmen
konnte.
Herrschaftszentrum des Inselreichs wurde Palma de Mallorca,
Mittelpunkt des Festlandbesitzes das zur Residenz ausgebuate Perpignan.
Obwohl sich Jakob II. im September
1276 zum König von Mallorca gekrönt hatte, sollte sein Bruder
die Trennung der beiden Reiche niemals anerkennen. Bereits 1279 konnte
Peter
III. seinen jüngeren Bruder durch den Vertrag von Montpellier
die Lehnsabhängigkeit aufzwingen und so die kurze Phase der Existenz
einer staatsrechtlichen und unabhängigen 'Krone Mallorca' beenden.
Versuche Jakobs II., die völlige
Unabhängigkeit seines Reiches mit Unterstützung des Papsttums
und Frankreichs wiederzugewinnen, schlugen letztlich fehl;
Alfons
III. von Aragon konnte Ende 1285/Anfang 1286 die Hauptinseln,
im Januar 1287 Menorca einnehmen (Aufhebung des Sonderstatus dieser Insel).
Das Mallorca-Problem und die Vertreibung
Jakobs
II. bildeten in den Verhandlungen der folgenden Jahre zwischen
Aragon, Frankreich und der Kurie einen ständigen Streitpunkt. Die
Restitution des Königreiches an Jakob II.
von Mallorca, allerdings unter Anerkennung der Lehsnabhängigkeit,
erfolgte durch den Vertrag von Anagni (24. Juni 1295) und endgültig
durch die bilaterale Übereinkunft von Argeles (29. Juni 1298) unter
Jakob
II. von Aragon, dem Nachfolger
Alfons'
III., unter Mitwirkung des Papsttums. Die Wiedereinsetzung auf
den Thron durch Prokuratoren wurde auf einer Versammlung des insularen
Consell General (26. Oktober 1298) verwirklicht.
Wie wenig durch die Restitution des ständisch strukturierten
und wirtschaftlich blühenden Reiches die Spannungen mit Aragon überwunden
wurden, zeigte sich in den nachfolgenden Jahren, als Jakob
II. daranging, nicht nur für Mallorca ein eigenes Münz-
und Geldsystem einzuführen (März 1301), sondern auch die Verfassungsstruktur
und Verwaltungsorganisation zu verändern. Grundlage der Verfassung
war seit 1230 die am 2. August 1256 und 8. Februar 1297 erneuerte und erweiterte
Carta
de Franquicia Jakobs I. gewesen,
durch die das Inselreich als 'regnum' konstituiert, die Usatges von Barcelona
als Rechtsgrundlage eingeführt und Rechtsprechungsorgane eingesetzt
worden waren. Das Königsland genoß eine besondere Befreiung
von der Zahlung der leudas und peatges; die Stadt wurde von
einem 1249 geschaffenen Consell General aus sechs Jurats regiert,
deren Gremium jährlich auf der Grundlage des Kooptationsprinzips im
Beisen des städtischen Batle erneuert wurde. Das Haupt der königlichen
Verwaltung war ein Batle General. Bereits im Juni 1287 war das alte,
die städtische Autonomie fördende System De Franquesa,
das als Vorbild die Regelung für Valencia von 1247 gehabt hatte, durch
das System De Consolat ersetzt worden, aufgrund dessen jährlich
sechs Konsuln hundert Ständevertreter der Ober-, Mittel- und Unerschicht
(poble menut) unter Mitwirkung der Oberhäupter der Zünfte
und in Anwesenheit eiens königlichen Prokurators mit Gebotsgewalt
zur Teilhabe ab der Regierung durch den Consell General auswählten.
Die neue Konsulatsverfassung stärkte den Einfluß der unteren
Schicht undd er Handwerker, beschnitt andererseits die städtische
Autonomie zugunsten einer Kontrolle, durch die Krone und schloß die
Caballeros wegen ihrer Unterstützung für
Jakob II. von der Regierungsgewalt aus. Jakob
II. wiederum verfügte durch seine Ordinacions eine
Revision der Rechtspflegegrundlagen (30. Januar 1300); für Menorca
erließ er ein Privileg (September 1301). Im Januar 1300 änderte
er zudem die Verwaltungsstruktur Mallorcas und richtete sie ebenfalls unter
Mißachtung der Franquesa von 1249 auf die königliche
Spitze aus, so daß er selbst die Jurats ernennen und in den Entscheidungsgremien
auf allen Ebenen durch seine Vertreter die Kontrolle ausüben lassen
konnte. Entsprechend wurde die Ausübung der grundherrschaftlichen
Rechte der königlichen Autorität unterworfen und den Eingriffen
der königlichen Amtsträger geöffnet, gleichzeitig ein spezieller
königlicher Veguer zur Ausübung der Rechtsprechung über
die Landbevölkerung eingesetzt, was bis 1304 die Einrichtung von sechs
Hauptsitzen der Justizverwaltung nach sich zog (Bunyola, Inca, Alcudia,
Manacor, Arta, Porreres).
Als Sancho I. (1311-1324)
seinem Vater nachfolgte, konnte er sich dem Druck der Stände nicht
widersetzen und mußte die Franquesa-Regelung mit ihrer Kooptation
für die jährliche Erneuerung des Consell wiedereinführen,
doch war es gleichzeitig erforderlich, den veränderten Siedlungsgegebenheiten
durch die Einrichtung einer verwaltungsmäßigen Part Forona
für die Landbevölkerung neben dem seit dem 13. Jh. beherrschenden
Stadtsxstem der Ciutat de Mallorca Rechnung zu tragen und damit
den Gegensatz Stadt-Land zu entschärfen. Ihren rechtsgültigen
Ausdruck fand diese Neuordnung in der Sentencia von 1315, durch
die die Part Forana mittels der Consells parraquiales (Pfarrgemeinderäte),
des aus den Vertretern der Pfarrgemeinderäten zusammengestellten Consell
de la Comunidad de las Villas (Vorläufer des späteren Consell
del Sindicat de las Viles Foranes) und der die im Consell gefaßten
Beschlüsse ausführenden Comision de diez prohombres foraneos
(Vorläufer der Comisio de Sindics de Sindicat Fora) organisiert
wurde. Für die Stadt selbst existierte der Consell de la Ciutat, für
die gesamte Insel der Consell Genral, aus dem sich gegen Ende des
14. Jh. der Gran i General Consell entwickeln sollte, Ergebnis der
Vereinigung des Consell de Ciutat mit den Consell del Sindicat.
Trotzdem sollte der inhärente Gegensatz zwischen Stadt und Land im
Königreich niemals überwunden werden und sich im 15. Jh. in bürgerkriegsähnlichen
Eruptionen äußern.
Die straffe Verwaltungsorganisation, der innere Auasbau
Mallorcas, die handelspolitische Bedeutung und die wirtschaftliche Prosperität
des Inselreiches ließen, unterstützt durch die Barceloneser
Kaufmannschaft, das Interesse des aragonesischen Königtums an einer
Wiederherstellung seiner Autorität über das Königreich niemals
erlahmen. Die Absicht Jakobs II. von Mallorca,
Barceloneser und andere katalanische Kaufleute wie auswärtige Handelstreibende
zu behandeln und mit Zöllen zu belegen, führte zu einem Handelsboykott
und ließ Pläne zur Rekuperation der Insel reifen, vor allem
als durch die Einrichtung mallorquinischer Seekonsulate im Mittelmeerraum
die Eigenständigkeit des Inselreichs offen dokumentiert und eine Absicht
zur weiteren Expansion des Handels signalisiert wurden, nachdem die katalanischen
Geselschaften in N-Afrika längst ins Hintertreffen geraten waren.
Bereits auf dem Treffen von Tortosa (Mai 1318) und dann durch eine notarielle
Erklärung in Perpignan (Januar 1319) sollte Jakob
I. von Aragon (unter Rückgriff auf testamentarische Bestimmungen
Jakobs
I.) gegenüber Sancho I.,
der selbst die Unterstützung des Papstes bei der Regierungsübernahme
benötigt hatte, den Standpunkt vertreten, im Falle des Todes des mallorquinischen
Königs ohne legitimen männlichen Erben die Nachfolge antreten
zu wollen. Demgegenüber vertrat Sancho I.
als
Thronfolgerecht seines Neffen Jakob III.,
Sohn des Infanten Ferdinand von Mallorca,
und legte dies testamantarisch fest, so daß bei seinem Tod 1324 zwar
katalanische Truppen die Grafschaft Roussillon und Perpignan, doch die
Nachfolge des unmündigen Jakob gesichert
wurde, indem der Infant Philipp, ein
Onkel des Thronkandidaten, die Vormundschaft übernahm und durch die
Übereinkunft von Zaragoza (September 1325) mit Jakob
II., deren wichtigster Punkt die Heirat
Jakobs mit der aragonesischen Infantin
Konstanze, Tochter der Thronfolgers
Alfons IV., war, die Rechtslage unter Wahrung der lehnsrechtlichen
Bindungen sicherstellte, doch blieb das Verhältnis zwischen den beiden
Kronen trotz mancher gemeinsamer Aktionen immer ein gespanntes. Die rigorose
Machtpolitik Peters IV. von Aragon beendete
die Selbständigkeit des Königreiches Mallorca. Auf der Grundlage
zweifelhafter Anklagen, die im Vorwurf des Verrats bzw. der Felonie gipfelten,
schritt Peter IV. zur Eroberung der
Insel, die am 31. Mai 1343 vollendet wurde. Für das Königreich
Mallorca wurde sofort (22. Juni 1343) ein 'instrumentum unionis' ratifiziert;
die offizielle Inkorporation in die Krone Aragon erfolgte 1344. Der geflohene
Jakob III., der die einzig verbliebene
Herrschaft Montpellier an den französischen König verkaufen mußte,
versuchte, sein Königreich zurückzuerobern, fiel aber bei Lluchmayor
(25. Oktober 1349). Als Königreich hörte Mallorca endgültig
auf zu bestehen, als es am 22. Juli 1365 de jure dem Prinzipat von Katalonien
in der Weise angefügt wurde, daß "los mallorquins e poblats
en aquella illa sien cathalons naturals, e aquell regne sia dit part de
Cathalunya" und die Mallorquiner in Zukunft an den katalanischen Corts
teilnehmen sollten.
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