Begraben: St-Denis
Einziger die Eltern überlebender Sohn des Königs
Karl VI. der Wahnsinnige von Frankreich und der Isabeau
von Bayern-Ingolstadt, Tochter von Herzog Stephan III.
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 978
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Karl VII., König von Frankreich
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* 22. Februar 1403, + 22. Juli 1461
Paris
Mehun-sur-Yevre
Sohn von König Karl VI. und Isabella von Bayern
Zunächst Graf von Ponthieu, wurde er 1413 mit Maria
(+ 1463), Tochter von Ludwig II., Herzog
von Anjou und Titular-König von Sizilien, und Violante
von Aragon verlobt. Er stand nun im Bannkreis des Hauses
ANJOU, das - engstens verbunden mit dem Hause
FRANKREICH - sich der wachsenden Machtfülle der Herzöge
von Burgund entgegenstellte. Karl wurde
1416 Herzog von Berry und Touraine, 1417 Dauphin.
Als lieutenant general seines Vaters kämpfte
er sowohl gegen die Invasion Heinrichs V. von
England als auch gegen die Versuche Herzog
Johanns von Burgund, mit Unterstützung von Königin
Iasabella die Regierung des Königreiches an sich zu ziehen.
Karl
VII., der 1418 der burgundischen Besetzung von Paris entkam,
nahm als Regent, mit Hilfe der Armagnacs, die Wiederherstellung
seiner Herrschaft - von Bourges, Poitiers und bald auch von Tours aus -
in Angriff. Ein Ausgleich mit Herzog Johann erwies
sich als unerreichbar; 1419 ermordeten Untergebene des Dauphins, in seiner
Gegenwart und mit seiner zumindest stillschweigenden Zustimmung, den Burgunder-Herzog
auf der Brücke von Montereau. Durch den Vertrag von Troyes (1420),
den Karl stets kategorisch ablehnte,
zugunsten Heinrichs V. von der Erbfolge
ausgeschlossen, konnte der Dauphin die Kontrolle über den südlichen
Teil des Königreiches erlangen udn heiratete seine Verlobte Maria
von Anjou. Nach dem überraschenden Tod
Heinrichs V. (1422), dem wenige Wochen später Karl
VI. nachfolgte, stand Karl,
nun als Karl VII. König geworden,
in Konkurrenz zu Heinrich VI., dem
Sohn Heinrichs V. und der
Katharina. Der englische Regent
Johann
von Bedford war bestrebt, die Anerkennung des Vertrages von
Troyes im gesamtenm Königreich durchzusetzen. Doch verstand es Karl
VII., seine Position im wesentlichen zu wahren. Das Auftreten
der Jeanne d'Arc (1429) führte zur Aufhebung der Belagerung von Orleans
und machte dem König den Weg zur Weihe in Reims frei. Karl
VII., dem es auch während dieser dramatischen Ereignisse
an Kühnheit mangelte, setzte stärker auf eine Versöhnung
mit Burgund, die er - um den Preis großer Zugeständnisse - schließlich
im Vertrag von Arras (1435) erreichte.
Eine durchgreifende Wirkung dieses Bündnisses blieb
jedoch aus. Die Herrschaft der LANCASTER
konnte sich halten, Burgund leistete keienswegs in vollem Umfang die zugesagte
Hilfe, und die geringe Autorität des schlaffen Königs blieb Zielscheibe
des Spottes. Der Adelsaufstand der Praguerie (1440) offenbarte die Schwäche
der Regierung Karls VII. im Innern.
Dennoch wurden in dieser Zeit eine Reihe militärischer Erfolge erzielt:
1436-1441 Rückeroberung der Ile-de-France
Vortsöße nach SW-Frankreich (1442) und in
die Normandie (1443).
Die Qualität des politisch führenden Hofkreises
besserte sich; er war nun geprägt durch die ANGEVINEN
(König Rene; Karl,
Graf von Maine), Pierre
de Breze, Jacques Coeur, königliche Mätresse Agnes Sorrel.
1444 wurde ersmals seit einem Vierteljahrhundert ein Waffenstillstand mit
England, in Tours, geschlossen, im folgenden Jahr eine militärische
Machtdemonstration zugunsten Renes von Lothringen
durchgeführt.
Es begann die tiefgreifende Reorganisation des königlichen französischen
Heerwesens, aus der eine wohlgerüstete, dem direkten Befehl des Königs
unterstehende Armee hervorging. Parallel dazu wurde eine langfristiges
Reformprogramm für Verwaltung, Finanzwesen und Rechtsprechung in Angriff
genommen. Frankreich stand in diesen Jahren am Beginn eines demographischen
Wiederaufstiegs, der sich - trotz einiger Rückschläge - in den
folgenden Jahrzehnten fortsetzte.
1448 wurde Le Mans an Frankreich zurückgegeben.
1449 brach Frankreich den Waffenstilstand und eroberte rasch Normandie
und Guyenne zurück. Die um ihren Brückenkopf Calais besorgten
Engländern eröffneten eine Gegenoffensive, die aber mit Niederlage
und Tod des englischen Heerführers John Talbot bei Castillon endete.
Bordeaux unterwarf sich definitiv der französischen Krone (1453).
Die Spätzeit des in einer Flut von "Publizistik"
als "roi tres victorieux" gerühmten Königs war in starken
Maße von Krisenerscheinungen und Konflikten geprägt. Mit dem
Papst, der die 'Pragmatique Sanction' von Bourges (1438) verwarf und dem
König die Zurückhaltung beim Türkenkrieg verübelte,
traten Spannungen auf. Politische Prozesse führtzen zum Sturz des
mächtigen Hoffinanziers Jacques Coeur (1451-1453) und des Herzogs
Johann von Alencon (1455-1458). Die zugunsten der Häuser
ORLEANS und ANJOU eingeleitete
Italienpolitik geriet wegen ihrer Erfolglosigkiet in öffentlichen
Mißkredit. In Engalnd konnte sich die Frankreich unterstützte
Margarete
von Anjou, Gattin Heinrichs VI.,
in den Rosenkriegen nicht gegen das Haus YORK
durchsetzen. Ein schwerer Vater-Sohn-Konflikt entspann sich zwischen Karl
VII. und dem Dauphin Ludwig XI.,
der, gegenüber dem jüngeren Bruder
Charles
de France benachteiligt, sich 1447 in seinen Dauphine zurückzog,
schließlich auf burgundischem Gebiet Asyl suchte. Die Beziehungen
zwischen Frankreich und Burgund verschlechterten sich dramatisch (Streit
um das Herzogtum Luxemburg). Zur Führung eines Krieges, der 1459-1461
drohte, war der gealterte König physisch und psychisch jedoch nicht
mehr imstande. Er starb am 22. Juli 1461 und hinterließ zwei
Söhne, Ludwig XI. und Karl,
sowie vier Töchter:
Yolande oo Amadeus
IX. von Savoyen
Johanna oo Johann
II., Herzog von Bourbon
Madeleine oo Gaston
von Foix, Principe de Viana
Radegunde oo Sigmund,
Erzherzog von Österreich
Der König, von wenig stattlichem Äußeren
und durch ungünstige Charakterzüge wie Furchtsamkeit, Mißtrauen,
Trägheit und - in seiner zweiten Lebenshälfte - übersteigerte
Sinnlichkeit geprägt, hatte andererseits eine hohe Auffassung von
seiner herrscherlichen Würde und zeigte mitunter Scharfblick, Mäßigung
und selbst Größe. Sein Anliegen war es, nach verheerenden Bürgerkriegsjahren
durch eine liberale Politik die Versöhnung seiner Untertanen herbeizuführen.
Seine Regierungszeit fällt in eine Periode machtvoller Einigungs-
und Zentralisierungsbestrebungen der französischen Monarchie.
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Lexikon der Renaissance: Seite 373
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Karl VII., König von Frankreich seit 1422
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* 22.2.1403, + 22.7.1461
Paris
Mehun-sur-Yevre
Sohn von Karl VI.
Karl VII. war bei
seinem Regierungsantritt durch Erfolge der Engländer im Hundetrtjährigen
Krieg in seinem Thronrecht bedroht.
Seine Regierunsgzeit kann äußerlich eingeteilt
werden in die
Periode der erfolgreichen Behauptung seines Thronrechts
gegen die Engländer bis zur Defacto-Anerkennung seiner Legitimität
durch diese (1444);
in die Zeit der Heeresneuorganisation während des
Waffenstillstandes von Tours 1444/49 durch Aufstellung des ersten französischen
stehenden Heeres (20 Ordonanzkompanien);
in die Schlußphase des Hundertjährigen Krieges
(1449/53), der Rückeroberung der letzten von England besetzten französischen
Territorien (mit Ausnahme von Calais)
und die anschließende Zeit bis zu seinem Tode,
in der er innere Reformen zu einem gewissen Abschluß zu bringen suchte.
In allen vier Abschnitten seiner Regierungszeit verfolgte
Karl
VII. eine Reformtätigkeit, die auch im Sinne der Bourgeoisie
lag: Ab 1432 Neuordnung der Steuerverwaltung mit Einteilung Frankreichs
in vier große Besteuerungsbezirke, ab 1438 stärkere Unterordnung
der Kirche unter den Staat (Gallikanismus); ab 1455 Justizreform mit dem
teilweise erreichten Ziel der Eindämmung der seigneurialen Gerichtsbarkeit;
1454 Anstoß zur Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften. Karl
VII. legte so die verwaltungsmäßigen und politischen
Fundamente, auf denen
Ludwig XI. weiterbauen
konnte, hinterließ ihm aber das Problem der Auseinanderasetzung mit
dem neuburgundischen Reich, dessen machtstellung für Frankreich zur
zukünftigen Gefahr geworden war.
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Karl VII. der Siegreiche
war noch Dauphin (seit 5.4.1417), als er durch den Vertrag von Troyes
(21.5.1420) enterbt und von der Partei der Armagnacs als König anerkannt
wurde. Diese Entscheidung wurde von der burgundischen Gegenpartei und England
nicht anerkannt und sogar ins Lächerliche gezogen, denn sein Reich
war bis auf das Herzogtum Berry und einige Landesteile südlich der
Loire und an der Rhone zusammengeschrumpft. Karl
VII., der in Bourges residierte, erhielt von seinen Gegnern
den Spottnamen "König von Bourges". Er besaß weder eine Armee
noch Verbündete, noch Geld und er befand sich in scheinbar aussichtsloser
Lage. Überdies war er ein mittelmäßig begabter Mensch,
mißtrauisch, unentschlossen und ohne Selbstvertrauen. Glücklicherweise
verfügte die königstreue Partei der Armagnacs noch über
ausgeprägte Persönlichkeiten wie Jean
Dunois, den "Bastard" von Orleans und Halbbruder Karls
von Orleans, sowie zahlreiche hervorragende Mitglieder der Stadtparlamente
von Poitiers, Lyon und Toulouse. Vor allem aber war es die überragende
Erscheinung der Jungfrau von Orleans, die den Freiheitswillen der Franzosen
neu aufflammen ließ und Tausende um ihr Lilienbanner scharte, um
schließlich auch den König für die Sache Frankreichs zu
gewinnen. Am 16.7.1429 wurde er in Reims gesalbt. Obwohl er seine Krönung
allein Johanna verdankte, zog er sich anschließend nach Bourges zurück
und sah ihrem Martyrium zu. Erst 1432 entschloß er sich auf Betreiben
seines Ratgebers Richmont zu neuem Handeln. Er suchte die Verbindung mit
der gegnerischen Burgunderpartei und konnte am 21.9.1435 den Vertrag von
Arras abschließen, durch den das englisch-burgundische Bündnis
aufgelöst wurde. Am 13.4.1436 zogen Truppen Karls
VII. in Paris ein. Er stand jetzt nicht mehr an der Spitze der
Armagnacs, sondern war König eines geeinten Frankreichs, dem sich
die abgefallenen Gebiete um Paris und die Champagne wieder anschlossen.
1438 stellte Karl VII. auf der Reichsversammlung
in Bourges die Rechte des Staates gegenüber der Kirche durch ein Staatsgesetz,
die "Pragmatische Sanktion" fest und schuf 1439 in den "Ordonnanzkompanien"
ein stehendes Heer. Den Aufstand der französischen Feudalherren ("Praguerie")
gegen die auf Festigung der Zentralgewalt gerichteten Maßnahmen Karls
VII. unterdrückte der Connetable Arthur von Richmond mit
Waffengewalt. Nach dem Waffenstillstand 1444 waren nur noch die Normandie
und die Guyenne in englischer Hand. Die Normandie wurde mit dem Sieg von
Formigny 1450 zurückerobert, die Guyenne drei Jahre später durch
den Erfolg von Castillon. Mit der Eroberung von Bordeaux (19.10.1453) endete
der Hundertjährige Krieg mit einem vollständigen Sieg Frankreichs
unter einem schwachen König, der jedoch von bedeutenden Persönlichkeiten
umgeben war. Jeanne d'Arc lebte längst nicht mehr, als
Karl VII. ein Verfahren anordnete, durch das sie am 7.7.1456
rehabilitiert wurde. Diese Maßnahme deutete keineswegs auf Veränderungen
im Verhalten des Königs hin, denn wie von jeher waren es seine Berater,
die sein Handeln beeinflußten und inzwischen auch die Staatsverwaltung
und den Finanzhaushalt in Ordnung brachten. Der König vertraute ihnen
und lebte an der Seite seiner Geliebten, Agnes von Sorel. Seine
letzten Jahre waren von Sorge über seinen Sohn, den späteren
König
Ludwig XI., erfüllt.
Karl VII.
starb 1461 auf seinem Schloß Mehun-sur-Yevre vereinsamt, mißtrauisch
und in der ständigen Angst, vergiftet zu werden. Er wurde am 8.8.1461
in St-Denis begraben.
Seine Geliebte Agnes Sorel gebar ihm vier Kinder.
Pernoud Regine: Seite 11-29
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"Die Kapetinger" in: Die großen Dynastien
Der neue König Karl VII.
(1422-1461) befand sich in einer außerordentlich schlechten
Lage. Alles deutete darauf hin, dasss er sein Königreich nicht würde
zurückerobern können, wenn nicht ein Wunder geschähe, ein
in der Geschichte einmaliges Wunder. Und dieses Wunder hieß Jeanne
d'Arc.
Jeanne d'Arc war die Tochter eines lothringischen Hirten.
Sie war in dem Dorf Domremy geboren und hütete dort die Schafe, als
sie himmlische Stimmen vernahm, die ihr geboten, das Königreich zu
retten. Sie gelangte in das königliche Schloß in Chinon und
erkannte den Dauphin, der sich absichtlich in der Schar seiner Höflinge
verborgen hatte. Dieses Erkennen war in den Augen Karls
VII. ihre Legitimation. Er glaubte fest an ihre Sendung, unterzog
sie einer Prüfung durch eine Gruppe von Theologen und unterstellte
ihr eine Armee, mit der sie am 8. Mai 1429 Orleans befreite. Die moralische
Wirkung dieses Erfolges war gewaltig und ermöglichte es dem jungen
Mädchen, am 17. Juli den König zur Krönung nach Reims zu
führen.
Sie betrachtete nun ihre Mission als erfüllt, doch
hatte sie dabei nicht mit den politischen Verhältnissen gerechnet.
In der Umgebung des Königs existierte noch immer die Partei der Bourgignons,
der wenig daran gelegen war, die legitime Monarchie triumphieren zu sehen.
Man zwang Jeanne d'Arc zu weiteren militärischen Operationen. Nach
einigen kleineren Siegen fiel sie schließlich in die Hände der
Bourgignons, die sie den Engländern auslieferten. Der Prozeß
gegen Jeanne d'Arc ist eines der bewegendsten Kapitel der Geschichte. Sie
verteidigte sich ehrenvoll, wurde aber dennoch zu lebenslanger Haft verurteilt.
Darauf wurde sie, da sie das Männergewand, das sie vor den Schmähungen
der englischen Soldaten schützte, nicht ablegte, vom Bischof von Beauvais,
Pierre Cauchon, der ihren Prozeß geleitet hatte, zur rückfälligen
Ketzerin erklärt und in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Nachdem
sie gestorben war, trat ein Augenblick der Bestürzung ein; die Engländer
sagten: "Wir sind verloren, wir haben eine Heilige verbrannt." In Wirklichkeit
hatte sie die Partie gewonnen, doch es dauerte lange Jahre, bis ihr Sieg
anerkannt wurde. Karl VII. hatte sie
ihrem Schicksal überlassen und rehabilitierte sie erst 1457.
Nach dem Tod Jeanna d'Arcs verfolgten die Engländer
ihr Ziel hartnäckig weiter; Heinrich VI.
wurde
1431 in Rouen zum König gekrönt. Der Herzog von Burgund suchte
zu einer Einigung zu gelangen und handelte in Chinon einen Waffenstillstand
aus. Es begannen Friedensgespräche, aber die Engländer stellten
so hohe Forderungen, dasss Karl VII.
sie zurückwies und den Kampf wiederaufnahm. Am 13. April 1436 eroberte
der Connetable Graf von Richemont Paris zurück, darauf begann die
Rückeroberung Guyennes, und im Jahre 1444 mußten die Engländer
einen Waffenstillstand erbitten. Drei Jahre danach nahmen sie in der Normandie
die Feindseligkeiten von neuem auf, wurden aber 1450 bei Formigny von Karl
VII. geschlagen. Nach diesem Sieg begab Karl
sich
nach Guyenne. Am 16. Juli 1453 kam es schließlich bei Castillon zur
Entscheidungsschlacht. Dies war auch das Jahr der Eroberung Konstantinopels
durch die Türken; es gilt als der Beginn der Neuzeit.
Die letzte Regierungsjahre widmete
Karl VII. der Aufgabe, die Ordnung in seinem Reich wiederherzustellen.
Bei seinem Regierungsantritt hatte er das Land zugrunde gerichtet, verwüstet
und ausgehungert vorgefunden. Als er es 1461 seinem Sohn übergab,
war es im großen und ganzen wiederhergestellt und besaß einen
festen administrativen und finanziellen Rahmen. Karl
VII. hatte sich mit einer Gruppe fähiger Ratgeber umgeben,
aus deren Mitte der Name Jacques Coeur in die Geschichte eingegangen ist;
ähnlich bekannt wurde seine berühmte Mätresse Agnes Sorel,
die Dame de Beaute.
Die Reform des Militärs mußte mit Vorrang
in Angriff genommen werden. Mit den Ordonnanzen von 1439 und der Reform
von 1445 schuf Karl VII. ein stehendes
Heer. Die Ordonanzkompanien stellten bereits ein Berufsheer dar, einen
frühen Vorläufer der königlichen Gendamerie. Karl
VII. ergänzte sie durch eine Infanterie, das Corps der
Bogenschützen und ließ von den Brüdern Bureau und dem Hochmeister
Bessonneau eine Artillerie aufstellen, die sich zur schlagkräftigsten
in Europa entwickelte. Der Unterhalt eines stehenden Heeres machte eine
Finanzreform unumgänglich. Die indirekten Steuern wurden zur ständigen
Einrichtung. Zusätzlich wurden neue Steuern eingeführt, die aydes,
eine Auflage auf Verbrauchsgegenstände, die Salzsteuer gabelle und
eine Kopfsteuer, die taille. Sie bilden die Grundlage des modernen Systems.
Gleichzeitig mit diesen Neuerungen wurde eine Reform der Verwaltung durchgeführt.
Mit der Großen Ordonnanz von Montils lez Tours 1454 errichtete
Karl VII. die Provinzialparlamente. Um zu erreichen, dasss die
Inhaber der neu geschaffenen Ämter diese ehrenamtlich und auf Dauer
ausübten, wurden sie in den Adelsstand erhoben, was den Widerstand
des Geburtsadels auf den Plan rief. Die Erhebung dieses Adels, die sogenannte
Praguerie, wurde größtenteils durch den Dauphin, den künftigen
Ludwig
XI. angeführt, der sich nicht selten als rebellischer Sohn
zeigte, und darin vom Herzog von Burgund,
Philipp
dem Guten, ermutigt wurde.
"Mein burgundischer Cousin nährt den Fuchs, der
seine Hühner auffressen wird", erklärte Karl
VII. philiosophisch. Der König hatte mancherlei Grund zur
Bitterkeit über seinen ihm gegenüber so ungerechten Sohn, denn
er hatte in der Tat Frankreich befreit und wiederaufgebaut. Doch die englische
Gefahr hatte er nicht vollständig gebannt und noch weniger die burgundische
Gefahr. So hinterließ er seinem undankbaren Nachfolger bei seinem
Tode im Jahr 1461 eine schwere Aufgabe.
Markale Jean: Seite 265
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„Isabeau de Bavarie“
Als Karl VII. später, an die subtile Erotik der Dame de Beaute Agnes Sorel gewöhnt, allmählich vergreist und zur Impotenz neigt, wird sein Sohn Ludwig XI. sich darum kümmern, ihm eine Frau zu beschaffen, die seine intimen Gelüste befriedigt, nämlich die schönem, betörende Antoinette de Meignelay, eine Nymphomanin und wahre Meisterin der Liebeskunst. Diese Antoinette de Meignelay wird nach dem Tod Karls VII. noch weiter von Nutzen sein: Ludwig XI., ein Spezialist für Schurkenstücke jeglicher Art, wird sie zur Mätresse Herzog Franz‘ II. von Bretagne machen, und diesen wird sie sein Leben lang für den König von Frankreich ausspionieren.
Markale Jean: Seite 140-144,254-258
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„Isabeau de Bavarie“
Jahrelang ergingen sich in Glossen über die Gerüchte,
die über den Ehebruch der Königin Isabeau
kursierten.
Dies kam ihnen sehr gelegen, mußte doch alles unternommen werden,
um Karl, „welcher sich als Thronfolger
bezeichnet“, in Verruf zu bringen. Heute erscheinen uns diese Zeugnisse
als voreingenommen und parteiisch, da sie von Feinden stammten, die jedes
Interesse daran hatten, sich solcher Mittel zu bedienen selbst wenn sie
nicht den Tatsachen entsprachen. Wir dürfen aber nicht vergessen,
dass Karl VII. seine ganze Jugend hindurch
von Zweifeln hinsichtlich der Person seines Vaters gequält wurde und
sich beängstigt fragte, ob er ein „echter Sohn des Königs von
Frankreich“ war.
Diese Frage wurde ausführlich diskutiert, keine
einzige Antwort ist jedoch überzeugend. Karl
VII. wurde 1403 geboren, in einer Zeit, als sich die Beziehungen
zwischen Isabeau und ihrem Gemahl erheblich
verschlechtert hatten. Wie bereits festgestellt, scheint die Liaison Isabeaus
mit ihrem Schwager erst ab 1404 zu beginnen. Eindeutige Beweise gibt es
dafür aber nicht, und es läßt sich keinesfalls abstreiten,
dass diese Liaison nicht schon früher begonnen hat. Mit anderen Worten,
die Frage lautet sehr präzise: Ist Karl VII.
der
Sohn Karls VI. oder
Ludwigs
von Orleans? Es sei denn, man muß noch einen dritten Namen
nennen, doch dies erscheint höchst unwahrscheinlich.
Bekanntlich wurde er jedoch durch Jeanna d’Arc in seiner
Meinung gefestigt. Von dem Moment an, wo er eine geheime Unterredung mit
jenem Mädchen hatte, das man gemeinhin la Pucelle oder die „Jungfrau“
nennt, war er von seiner Legitimität überzeugt und schritt zur
Tat, um ihr Geltung zu verschaffen. Was ist daraus zu schließen?
Dass Jeanne d’Arc das Geheimnis der Geburt von Karl
VII. kannte?
Bereits die Logik zwingt uns zu der Annahme, dass das
Geheimnis, das Jeanne vor Karl VII.
enthüllte, ein besonderes körperliches Kennzeichen, vielleicht
ein erbliches Gebrechen war, anhand dessen der Dauphin nicht mehr daran
zweifeln konnte, dass er der leibliche Sohn Karls
VI. war. Wenn Jeanne d’Arc dieses besondere Merkmal kannte,
so bedeutete dies, dass sie zur Familie gehörte, oder gar noch mehr:
Wenn sie in der Lage war, die Vaterschaft des schwachsinnigen Königs
zu bestätigen, dann hieß das, dass sie ihm verwandtschaftlich
besonders nahestand. Diese Überlegung stützt die These, Jeanne
d‘Arc sei eine Halbschwester Karls VII.
gewesen, eine natürliche Tochter Karls VI.
Das einzige, was sich behaupten ließe – wiederum ohne Beweis, doch
mit allergrößter Wahrscheinlichkeit -, ist, dass Karl
VII. tatsächlich der Sohn Karls
VI. war.
Das Ziel dieser offiziellen Mission war, einen Heiratskontrakt
zwischen Charles, Graf
von Ponthieu, und Marie von Anjou zu
schließen. Am 18. Dezember fand im Palast des Königs die Verlobungszeremonie
statt. So wurde der junge Graf Charles de Ponthieu,
sein dritter noch lebender Sohn, feierlich mit Marie
von Anjou verlobt. Zweifellos konnten die Anwesenden die Tragweite
dieser Zeremonie kaum voraussehen, die eine rein formale Angelegenheit
war und doch das Königreich in eine Richtung lenken sollte, von der
sie gewiß nichts hätten ahnen können. Nur die Königin
von Sizilien hatte dabei wohl eine bestimmte Idee im Kopf.
Nachdem sie eine Weile in Paris selbst, in Marcoussis
und Saint-Marcel am Rand von Paris geweilt hatte, verließ
Yolanda am 5. Januar 1414 wieder die Hauptstadt und nahm ihren
künftigen Schwiegersohn Graf Karl von Ponthieu
mit. Von nun an war der künftige König von Frankreich dem Einfluß
seiner Mutter vollkommen entzogen und befand sich unter der ausschließlichen
Obhut der Königin von Sizilien.
Dies berechtigt zu mehreren Fragen. Verfolgte die Königin
von Sizilien einen minutiös ausgearbeiteten Plan? Konnte sie voraussehen,
das sie nun den Erben des Königreichs in die Hand bekam? Tat sie dies
alles, weil sie hoffte, Karl würde
eines Tages auf dem Thron sitzen und sie könnte dann inspirierend
auf die königlichen Handlungen einwirken? Ist sie in irgendeiner Weise
persönlich für den Tod der beiden älteren Brüder ihres
Schwiegersohns verantwortlich? Keine dieser Fragen läßt sich
beantworten, was sie jedoch nicht weniger beunruhigend macht, zumal sie
zwangsläufig sofort weitere Fragen aufwerfen: Welche genaue Funktion
hatte ihr Vertrauensmann Tanguy du Chastel bei dem Grafen von Ponthieu?
Inwieweit konnte Yolanda von Aragon eine
verantwortliche Rolle bei dem - vorsätzlich oder nicht vorsätzlichen
- Mord an Johann Ohnefurcht in Montereau
gespielt haben? Hat sie durch die Mittelsmänner, die sie in Lothringen
unterhielt, die Aktion der Jeanne d’Arc in die Hand genommen und geleitet?
Und welche Rolle spielte Yolande in
die Affäre der mysteriösen Dame de Giac, einer Affäre, in
der zwielichtige Figuren wie Pierre de Giac, eine Bourguignon, der nach
dem Mord von Montereau zum Armagnac konvertierte, oder Schlüsselfiguren
wie La Tremouille oder Arthur de Richmont in Aktion treten?
Nach aller Logik konnte Yolande
gegen Ende des Jahres 1413 nicht voraussehen, dass ihr Schwiegersohn einmal
der König von Frankreich werden würde. Er kam erst an dritter
Stelle als Erbe in Frage, zwei Stufen der gleichen Abstammungslinie trennten
ihn vom Thron.
Durch die Vermählung ihrer Tochter mit Prinz
Charles konnte Yolande ihn
nun zum absoluten Schiedsrichter zwischen den beiden rivalisierenden Parteien
machen.
Bei eingehender Betrachtung der Geschehnisse, die mit
dem Werdegang Karls VII. verbunden
sind, erhebt sich nämlich die berechtigte Frage, was aus diesem ohne
die Protektion und die Ratschläge seiner Schwiegermutter geworden
wäre. Die Antwort muß lauten: Er wäre zeitlebens nur ein
ewiger Anwärter auf die Krone Frankreichs geblieben. Energie zählte
kaum zu Karls Qualitäten. Das
war zweifellos erblich bedingt: Er konnte ganze Tage und Wochen in eine
depressive Apathie verfallen, ohne die geringste Entscheidung zu treffen.
Das hat er bei mehr als einer Gelegenheit bewiesen, und Yolande
von Aragon mußte von all ihrer List und Autorität
Gebrauch zu machen, um ihn wieder in den Vollbesitz seiner Willenskraft
zu bringen.
Verwandtschaft zu Marie von Anjou
Johann II. der Gute König von Frankreich
26.4.1319-8.4.1364
-------------------------------------------
Karl V. König von Frankreich
Ludwig I. Herzog von Anjou
21.1.1337-16.9.1380
23.7.1339-22.9.1384
---
---
Karl VI. König von Frankreich
Ludwig II. Herzog von Anjou
3.12.1368-21.10.1422
5.10.1377-29.4.1417
---
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Karl VII. König von Frankreich
---oo---- Marie von Anjou
22.2.1403-22.7.1461
14.10.1404-29.11.1463
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
2.6.1422
oo Marie von Anjou, Tochter des Titular-Königs
Ludwig II.
14.10.1404-29.11.1463
14 Kinder:
Ludwig XI.
3.7.1423-30.8.1483
Radegunde
1425-19.3.1444
Katharina
1428-13.9.1446
19.5.1440
oo 1. Karl der Kühne Herzog von Burgund
10.11.1433-5.1.1477
Jakob
1432-2.3.1437
Jolanthe
23.9.1434-29.8.1478
1452
oo Amadeus IX. Herzog von Savoyen
1.2.1435-30.3.1472
Johanna
1430-4.5.1482
Chateau de Moulins
11.3.1447
oo 1. Johann II. Herzog von Bourbon
1426-1.4.1488
Philipp
4.2.-11.6.1436
Margarete
5.1437-24.12.1438
Johanna
7.9.1438-26.12.1446
Marie
7.9.1438-14.2.1439
Magdalena
1.12.1443- 1486
7.3.1461
oo Gaston Graf von Foix Erb-Prinz von Navarra
1444-23.11.1470
Karl Herzog von Berry
28.12.1446-12.5.1472
Illegitim: von Agnes Sorel
Charlotte
-
oo Jacques de Breze
-
Margarete
-
oo Olivier de Coetivy
-
Jeanne
-
oo Antoine de Bueil
-
Literatur:
-----------
Calmette, Joseph: Die großen Herzöge
von Burgund. Eugen Diederichs Verlag München 1996 Seite 142,166,170,172,174,176-179,182,
190,194,196-199,201,208,216,224,300,317,322 - Ehlers Joachim: Die
Kapetinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000 Seite 149
- Ehlers Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer
GmbH 1987 Seite 301-346,351-355,357,359,361, 371,377,380-382 - Ehlers
Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller Bernd: Die
französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII.
888-1498. Verlag C. H. Beck München 1996 Seite 10,285,303,318,321-336,340,344,346,358
- Favier, Jean: Frankreich im Zeitalter der Landesherrschaft 1000-1515.
Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989 Seite 247,316,335,365,389-393,396-399,402,406-411,
413,416,419,422,424,439,449,451,459,461 - Hoensch, Jörg K.:
Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit 1368-1437. Verlag
C.H. Beck München 1996 Seite 269,271,336,352,354,407,418 -
Jurewitz-Freischmidt
Sylvia: Die Herrinnen der Loire-Schlösser. Königinnen und Mätressen
um den Lilienthron. Casimir Katz Verlag, Gernsbach 1996 Seite 25,34,37-44,46-56,60-67,69-75,130,204,
434,436,438,442,448 - Leicht Hans: Isabella von Kastilien. Königin
am Vorabend der spanischen Weltmacht. Verlag Friedrich Pustet Regensburg
1994 Seite 34 - Markale, Jean: Isabeau de Bavarie. Eugen Diederichs
Verlag München 1994 - Schnith Karl: Frauen des Mittelalters
in Lebensbildern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1997 Seite 354,358,361,363-367
- Tamussino Ursula: Margarete von Österreich. Diplomatin der
Renaissance. Verlag Styria Graz Wien Köln 1995 Seite 29 - Treffer
Gerd: Die französischen Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette
(8.-18. Jahrhundert) Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1996 Seite 8,19,150,197,203,228
- Tuchmann Barbara: Der ferne Spiegel. Deutscher Taschenbuch Verlag
München 1995 Seite 442,517,519, 523 -
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Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller
Bernd: Seite 321-336
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"Die französischen Könige des Mittelalters"
Heribert Müller
KARL VII., König von Frankreich 1422-1461
---------------
* 22.2.1403, + 22.7.1461
Paris
Mehun-sur-Yevre
Begraben am 8.8.1461 in St-Denis
Graf von Ponthieu und Poitou, Herzog von Touraine und
Berry
Dauphin (5.4.1417) und Generalleutnant Karls VI. im Königreich
(14.6./6.11.1417)
Enterbnung durch den Vertrag von Troyes (21.5.1420)
Annahme des Königstitels nach Karls VI: Tod am 30.10.1422
Salbung und Krönung in Reims am 17.7.1429
Vater:
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Karl VI. König von Frankreich
Mutter:
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Isabeau de Baviere (Elisabeth von Wittelsbach), Tochter
des Herzogs Stephan III. der Kneißl oder Prächtige von Bayern-Ingolstadt
und der Thaddäa Visconti
11 Geschwister: darunter
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Ludwig, Herzog von Guyenne (* 22.1.1397, + 18.12.1415)
Johann, Herzog von Touraine und Berry (* 31.8.1398, +
5.4.1417)
Isabella (* 9.11.1389, + 13.9.1409), Gemahlin König
Richards II. von England und des Herzogs Karl von Orleans
Johanna (* 24.1.1391, + 27.9.1433 ), Gemahlin des Herzogs
Johann V. von Bretagne
Michelle (* 11.1.1395, + 8.7.1422), Gemahlin Philipps
des Guten von Burgund
Katharina (* 27.10.1401, + 3.1.1438), Gemahlin des Königs
Heinrich V. von England und des Owen Tudor
oo April 1422 in Bourges
MARIA VON ANJOU
* 14.10.1404, + 29.11.1463
Tochter von Ludwig II., Herzog von Anjou und Titular-König von Sizilien und der Yolande von Aragon
14 Kinder: darunter
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Ludwig XI., König von Frankreich (* 3.7.1423, +
30.8.1483)
Karl von Frankreich, Herzog von Berry, Normandie, Champagne
und Guyenne (* 28.12.1446, + 12.5.1472)
Radegunde (* 1425, + 19.3.1444), Verlobte des Herzogs
Sigmund des Münzreichen von Österreich
Katharina (* 1428, + 13.9.1446), Gemahlin des Herzogs
Karl der Kühne von Burgund
Yolande (* 23.9.1434, + 29.8.1478), Gemahlin des Herzogs
Amadeus IX. von Savoyen
Johanna (* 1430, + 4.5.1482), Gemahlin des Herzogs Johann
II. von Bourbon
Magdalena (* 1.12.1443, + 1486), Gemahlin des Grafen
Gaston IV. von Foix, Principe de Viana
Drei Töchter aus der Verbindung mit Agnes Sorrel:
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Charlotte, Gemahlin des Jacques de Breze
Margarete, Gemahlin des Olivier de Coetivy
Jeanne, Gemahlin des Antoine de Bueil
Sieht so ein Sieger aus? Viele haben schon das um 1450
von Jean Fouquet gemalte Portrait Karls VII.
zu deuten gesucht, und meist entsprachen die Interpretationen nicht gerade
der Bildlegende le tres victorieux: Schwach und entschlußlos, verdrieslich
und müde schaue dieser König aus; und wer Beschreibungen des
Monarchen in zeitgenössischen Quellen gelesen hat, glaubt zudem sinnlich-frivole,
aber auch verschlossen-mißtrauische Züge zu erkennen. War Karl
obendrein fähig, sich seiner Ratgeber ebenso virtous wie skrupellos
zu bedienen und zu entledigen, wie der burgundische Chronist Georges Chastellain
berichtet, war er also auch noch hinterhältig und verschlagen, kurzum:
ein charakterloser Charakter? Aber ein Sieger - keinesfalls, der sieht
anders aus. Und doch spiegelt die Umschrift, selbst wenn sie etwas jüngeren
Datums als das Gemälde sein sollte, die historische Wirklichkeit:
Zu Anfang von seinen Gegnern als roi de Bourges verspottet, war Karl
VII. am Ende der mächtigste Herrscher Europas; als er am
8. August 1461 zu St-Denis bestattet wurde, sollte ihm ein Herold in aller
Form das Epitheton des siegreichen Königs beilegen, denn wenige Jahre
zuvor hatte der Hundertjährige Krieg mit dem Sieg der Franzosen über
die Engländer sein Ende gefunden. Doch kann Karl
VII. daran überhaupt ein persönlicher Anteil zu? Mußte
in diesem säkularen Konflikt nicht vielmehr das strukturell überlegene
Frankreich zwangsläufig triumphieren, eben weil dieser Hundertjährige
Krieg am Ende seiner langen Regierungszeit schon über ein Jahrhundert
währte?
In dem Frankreich, in das der als 11. Kind Karls
VI. und der WITTELSBACHERIN Elisabeth
(Isabeau de Bavierie) am 22. Februar 1403 zu Paris Geborene
hineinwuchs, schien indes zunächst nichts auf solche Entwicklung hinzudeuten,
im Gegenteil: Es war eine Zeit der Spannungen und Wirren, da Onkel und
Bruder eines immer tiefer in geistige Umnachtung versinkenden Königs
gegeneinander agierten, bis der Mord an Herzog
Ludwig von Orleans 1407 zu offener Konfrontation von Burgundern
und Armagnaken führte. Davon war in der vorstehenden biographischen
Skizze Karls VI. bereits ebenso die
Rede wie von der Revolte der Cabochiens in Paris und von König
Heinrich V. von England, welcher solche Lage zu nutzen wußte,
um eine neue Phase des großen Kriegs zu eröffnen, der sich für
die Franzosen alsbald mit der Katastrophe von Azincourt im Jahre 1415 verband.
In Paris eskalierte derweil die Herrschaft der am Hof dominierenden Armagnaken
zum antiburgundischen Terror, doch Herzog Johann
Ohnefurcht hatte in der Hauptstadt nach wie vor zahlreiche Anhänger,
denen es in der Nacht des 28. Mai 1418 gelang, den Freunden durch ein Stadttor
heimlich Einlaß zu verschaffen - für den künftigen König
war es sicherlich kein erhebendes Gefühl, eingewickelt in einen Morgenmantel
in letzter Minute vor den Burgundern fliehen zu müssen. Doch dies
dürfte nur das spektakulärste unter manch anderen traumatischen
Erlebnissen gewesen sein, die sich überdies während der folgenden
Jahre des Exils noch fortsetzen sollten. Manche seiner scheinbar unerklärlichen
Ängste und Phoibien finden hier ihre Erklärung, aber auch seine
Vorsicht, sein Abwarten, Beobachten und Schweigen; seine Gabe, die Dinge
in gewollter Schwebe und Unklarheit zu lassen, wie andererseits eine ausgeprägtes
Bedürfnis nach Harmonie und Kontinuität, nach Ausgleich und Aussöhnung
- der Bellizismus einer Jeanna d'Arc sollte ihm letztlich fremd bleiben.
Den Frühgereiften hatten die Verhältnisse die Kunst des Überlebens
gelehrt, mit scheinbarer Apathie wußte er sich zu schützen,
die Maske - wie auf Fouquets Portrait zu sehen - wurde ihm zur zweiten
Natur.
Dabei liebte er Literatur und Musik, ohne allerdings
später im Stil des Burgunder-Herzogs Philipp
des Guten die Künste als großfürstlicher Mäzen
zu fördern und zur Selbstdarstellung zu nutzen. Auch verstand er sich
recht gut aufs Lateinische, während Waffendienst und Jagd nicht gerade
zu seinen bevorzugten Beschäftigungen gehörten. Intensiv praktizierte
er die Formen der Frömmigkeit, zugleich hing er Astrologie und Aberglauben
an, ohne in beidem aber wohl das übliche Maß seiner Zeit zu
überschreiten. Insgesamt wissen wir allerdings nur wenig über
seine Erziehung am königlichen Hof in Paris sowie am angevinischen
im Anjou und in der Provence. Mit Maria von Anjou,
Tochter des sizilianischen Titular-Königs
Ludwig II. und der Yolande von Aragon,
wurde er 1413 verlobt, und in der klugen Spanierin sollte er als König
bis weit in die 30-er Jahre eine diskret lenkende Ratgeberin finden.
Damals ahnte indes noch niemand, dass Karl
einmal
die Nachfolge seines Vaters antreten würde, die er dann schlicht dem
biologischen Zufall verdankte: Nachdem 1415 der Dauphin
Ludwig von Guyenne gestorben war, von dem mancher sich ein Überwinden
des Gegensatzes zwischen Burgundern und Armagnaken erhofft hatte, und als
ihm 1417 der zweite Bruder Jean folgte,
ging die Anwartschaft auf die Krone an Karl über,
damals Graf von Ponthieu und Herzog von Touraine, den der
Vater sogleich mit dem Herzogtum Berry und der Grafschaft Poitou
ausstattete und zu seinem General-Leutnant im Königreich erhob.
Dasss der Dauphin an seiner Legitimität auf Grund einer möglicherweise
unehelichen Abstammung zweifelte, wie manche Historiker mit Blick auf angeblich
entsprechende Beziehungen seiner Mutter annahmen, ist durch keine Quelle
zu belegen. Falls er dies überhaupt getan haben sollte, dann wohl
wegen der Ermordung des Burgunder-Herzogs Johann
Ohnefurcht, die in seinem Beisein während letzter Ausgleichsversuche
zwischen Armagnaken und Burgundern auf der Brücke von Montereau am
10. September 1419 erfolgte. Denn in diese Rachetat für den Mord von
1407 wie für das Massaker von 1418 war Karl wahrscheinlich als billigender
Mitwisser, danach sicherlich als Protektor der unmittelbar Beteiligten
insolviert. Sie führte 1420 zum förmlichen Ausschluß des
Regenten - so bezeichnete er sich selbst seit Ende 1418 - von der Herrschaft
durch jenen Vertrag von Troyes, der, wie im vorigen Beitrag gezeigt, den
Übergang des französischen Königtums nach dem Ableben Karls
VI. auf die englischen LANCASTER
festlegte, sowie durch eine eigene Erklärung des Vaters vom 23. Dezember
des Jahres. Möglicherweise wollte Jeanne d'Arc einige Jahre später
in Chinon Karl VII. mit dem von ihrem
Beichtvater überlieferten Ausspruch, er allein sei der wahre Erbe
Frankreichs, seiner Legitimität trotz Montereau versichern. Was ansonsten
bei jener berühmt-geheimnisvollen Unterredung, über die keiner
der beiden je etwas verlauten ließ, zur Sprache kam, bleibt auf immer
im dunkeln, doch muß das Bauernmädchen aus Lothringen einen
verunsicherten Herrscher und Hof durch seine unbeirrbare Sicherheit, mit
der es die Verwirklichung des ihm angeblich durch himmlische Stimmen erteilten
Auftrags der Befreiung Frankreichs verfolgte, zunächst beeindruckt
haben. Vielleicht taten noch Prophezeiungen und Astrologie das Ihre, dasss
man sie sich am ersten Teil ihres Auftrags - der Befreiung von Orleans
- versuchen ließ; vielleicht hegte man auch die vage Hoffnung, sie
könne mit ihrer Entschlossenheit und Begeisterung die Kämpfer
vor Ort mitreisen. Denn die Lage stellte sich 1429 schlecht dar, und sie
war schon zuvor im Verlauf der 20-er Jahre immer kritischer geworden: Der
auf seinen Besitzungen Berry, Touraine und Poitou in einer Art innerfranzösischem
Exil lebende Karl, der sich nach dem
Tod des Vaters in Mehun-sur-Yevre am 30. Oktober 1422 zum König hatte
ausrufen lassen, mußte die Erfahrung machen, dasss der unerwartet
frühe Tod Heinrichs V. im selben
Jahr der englischen Sache keinen Abbruch tat. Dessen gleichnamiger, erst
einjähriger Sohn nämlich fand in Herzog
Johann von Bedford einen Regenten auf dem Kontinent, der - Gascogne
und Guyenne ohnehin hinter sich wissend - in der zur lancastrischen
Kernprovinz ausgebauten Normandie durchaus mit gewissem Erfolg um Adel,
hohen Klerus und Bürgertum warb, der das Bündnis mit dem auf
Rache für den Mord an seinem Vater sinnenden Burgunder-Herzog
Philipp dem Guten pflegte und 1423/24 bei Cravant und Verneuil
weitere militärische Erfolge verbuchen konnte. Champagne und Maine
gingen VALOIS verloren; Friedensbemühungen
von Papst und Kurie - der damals einzigen und in ihrer Befähigung
hierfür allgemein anerkannten internationalen Institution - wie auch
seitens des dabei zu eigenem internationalen Institution - wie auch seitens
des dabei zu eigenem Nutzen und Ruhm als neuer Salomo
wirkenden Herzogs Amadeus VIII. von Savoyen blieben ergebnislos. Statt
dessen drängte eine vom Earl von Salisbury angeführter Kriegspartei
Bedford
zur vermeintlichen kriegsentscheidenden Tat: Die Einnahme von Orleans sollte
den Weg über die Loire nach Süden in das Restreich des
auf seinen Schlössern scheinbar dahindämmernden Karl
VII. eröffnen.
Im Oktober 1428 legten die Engländer den Ring um
die Stadt; dasss sie am 8. Mai 1429 besiegt abziehen mußten, war
nach übereinstimmender Aussage aller Beteiligten weitgehend das Verdienst
einer Pucelle, die aus gutem Grund im Deutschen "Johanna von Orleans" heißt.
Ohne formellen militärischen Oberbefehl führte sie die Truppen
Karls
VII. mit ihrem beflügelnden Enthusiasmus zu einem Sieg,
der mehr als nur die Befreiung von Orleans war, da er nach Jahren der Niederlagen
und Demütigungen eine vor allem psychologisch ungemein bedeutsame
Wende brachte. Nach Meinung vieler Historiker des späten 19. und frühen
20. Jahrhunderts und sicherlich der - bis heute - meisten Franzosen hat
la bonne Lorraine, das Mädchen aus Domremy, Königtum und Nation
in höchster Not gerettet und sogleich befestigt, da sie - getreu dem
zweiten Teil ihres Auftrags - den Dauphin gegen manchen Widerstand am Hof
dazu brachte, nach Reims zu ziehen, um sich am rechten Ort in rechter Tradition
salben und krönen zu lassen: "Edler König", so redete sie ihn
an jenem 17. Juli 1429 erstmals an, "jetzt ist es nach Gottes Willen geschehen,
der es wollte, dasss ich die Belagerung von Orleans aufhebe und Euch in
diese Stadt führe, damit Ihr Eure heilige Salbung empfangt. So wird
sichtbar, dasss Ihr der König seid und eben der, dem das Königtum
gehören soll."
Sicherlich steht Jeanne d'Arc für die prägende
Kraft der außerordentlichen Persönlichkeit in der Geschichte,
doch wollen auch strukturelle Bedingungen und Gegebenheiten oder - mit
Ranke - neben der lebendigen Persönlichkeit" die "allgemeinen Zustände"
beachtet sein. Wenn die Belagerer den Ring um Orleans nicht mehr fest zu
schließen vermochten, so dasss Johanna mit den Befehlshabern Dunois
und
Lahire in die obendrein bestens verproviantierte Stadt begeben und daraus
entfernen konnten, dann spiegelt dies auch eine nach Jahrzehnten permanenter
Überspannung der Kräfte wieder auf Normalmaß reduzierte
englische Potenz. Große Staatsmänner und Heerführer von
Eduard
III. und dem Schwarzen Prinzen bis zu Heinrich
V. und Bedford, sodann die
Einnahmen aus Festlandsbesitz und Kriegserfolgen sowie auf französischer
Seite die inneren Wirren und Kämpfe und schließlich eine unzureichende
Erfassung und Umsetzung der eigentlich reichen Ressourcen in militärische
Stärke hatten lange über die eigentlichen Relationen hinweggetäuscht
- mit Orleans kamen einfach die "Fundamentaldaten" wieder zur Geltung.
Und weiteres kam zur Geltung: Dem Hof Karls
VII. war es im Exil umgehend gelungen, eine funktionierende
Administration und Regierung zu errichten. Das Parlament in Poitiers, die
Rechenkammer in Bourges und vor allem der königliche Rat selbst stehen
für einen Königsstaat, der seit den Tagen Philipps
II. Augustus so stark auf- und ausgebaut worden war, dasss sich
neben der in Paris unter angloburgundischer Herrschaft weiter intakten
Verwaltung und unter Rückgriff auch auf die im Herzogtum Berry vorhandenen
administrativen Strukturen offensichtlich ein zweiter, ebenso kompetenter
Apparat ohne Schwierigkeiten installieren ließ; obendrein für
qualifizierte bürgerliche Aufsteiger offen, die aber ihrerseits um
rasche Angleichung an aristokratische Lebensformen und um Nobilitierung
bemüht waren. Um diese durch Corpsgeist und Exilsituation eng miteinander
verbundenen Männer konnten in der Regel ein kontinuierliches Wirken
entfalten, was im besonderen für das entscheidende Gremium, den königlichen
Rat, gilt. Gewiß sind bis zu Beginn der 30-er Jahre Günstlingswirtschaft,
Willkür, Intrigen und Fraktionskämpfe zu konstatieren, die sich
vor allem an der sinistren Gestalt des Großkammerherrn Georges de
La Tremouille festmachen lassen. Mithin ist die eingangs zitierte Feststellung
des in burgundischen Diensten stehenden Georges Chastellain sicher nicht
ganz falsch, zumal Karl VII. auch später
noch nach persönlichem Ermessen Ratgeber hinzuzog und entfernte. Aufs
Ganze gesehen wurde jedoch mit dem Sturz von La Tremouille 1433, sodann
mit dem zunehmenden Einfluß der wegen ihrer vielfältigen französischen
und internationalen Interessen ausgleichsbedachten Mitglieder des Hauses
ANJOU der Weg zur sachgerechten, auf Dauer angelegtem Arbeiten
frei, für das in noch stärkerem Maße die den Adelsgruppen
nur lose verbundenen oder von ihnen ganz unabhängigen Räte geistlichen
Stands wie etwa die Bischöfe Robert de Rouvres von Maguelonne oder
Gerard Machet von Castres stehen.
Aus der überlieferten Korrespondenz von Machet,
über Jahrzehnte Beichtvater Karls VII.,
geht nunmehr hervor, dasss diese Männer aus dem Exil weiterhin Beziehungen
zu Studiengenossen, Freunden und Amtsinhabern aus früheren gemeinsamen
Tagen in Paris pflegten, auch wenn sie sich nunmehr im gegnerischen Lager
befanden. Schließlich trugen viele verwandtschaftliche Bindungen
innerhalb der Führungsschichten - die Ehe von
Karls VII. Konnnetabel Arthur de Richemont mit einer Schwester
des burgundischen Herzogs ist nur ein, wenn auch herausragendes Beispiel
hierfür - sowie wirtschaftliche Verflechtungen das Ihre dazu bei,
dasss ein eng geknüpftes "Netzwerk der Einheit" in jenen Jahren der
Zwietracht des gesamten Königreich, ob nun unter der Herrschaft von
VALOIS,
Burgund oder LANCASTER
stehend, nach
wie vor umspannte.
Ein weiteres, über diese Elite der Macht und des
Wissens weit hinausreichendes, zukunftweisendes Ferment der Einheit läßt
sich am Auftreten der Jeanne d'Arc festmachen. Bei ihr, deren Person auch
für eine patriotische Grenzlanmentalität steht, verdichtet sich
zu historischer Wirkkraft, was im Volk offensichtlich bereits vorhanden
war: ein royalistisch getöntes, Fremde ausschließendes Gefühl
der Zusammengehörigkeit von Land und Leuten, wie es sich bis hin zum
Partisanenkampf normannischer Bauern gegen die englische Besatzung erwies,
wenn auch manches Mal gemeine Räuberei mit im Spiel gewesen sein wird.
Hier zeigt sich eine prä- oder protonationale Qualität, welche
schon die Theoretiker eines um die Krone gescharten Frankreich, wie etwa
der ebenfalls aus dem Grenzland im Osten stammende Jean de Montreuil, während
der Krisenzeiten Karls VI. beschworen
hatten. Ein Alan Chartier oder Jean II Juvenal des Ursins setzten nunmehr
dieses Werk fort, und kurz vor seinem Tod meldete sich auch Jean Gerson
nochmals zu Wort, und zwar zugunsten der Pucelle - mit Bernard Guenee mag
man unter solchem Aspekt im Auftreten der Jeanne d'Arc weniger ein Wunder
als den Abschluß einer Entwicklung sehen.
Und auch die Stände und Städte in der Karl
VII. verbliebenen Herrschaft waren bereit, um der gemeinsamen
Sache willen erheblichen Opfer zu bringen, wobei dieses "Restgebiet" nach
wie vor den größten Teil des Königreichs umfaßte.
So gehörte bis auf Guyenne und Gascogne fast der gesamte Süden
dazu, der sich in den Jahren des royaume de Bourges als Vorort der Königstreue
profilierte; am einst gewaltsam unterworfenen Midi fand die Krone nunmehr
wesentlichen Rückhalt. Obendrein wurden die Regionen südlich
der Loire, ungeachtet erheblicher Unterschiede im einzelnen, aufs Ganze
weniger vom Krieg heimgesucht als der lancastrisch-burgundische Norden,
wo die Bauern sich oftmals nicht aufs Feld wagten und die Bürger von
Paris Angst hatten, ihre Reben auf dem Hügel von Chaillot zu schneiden.
Mit dem ihm eigenen Gespür erahnte
Karls VII. burgundischer Gegenspieler Philipp
der Gute diese Tendenzen und Entwicklungen recht früh;
obendrein wegen des versuchten Zugriffs des Herzogs
Humphrey von Gloucester, Heinrichs
VI. Protektor im Londoner Regentschaftsrat, auf seine niederländischen
Interessensphäre verstimmt, begann er zu dem erste Zeichen der Schwäche
zeigenden Alliierten auf Distanz zu gehen. Darin bestärkte ihn nachdrücklich
sein Kanzler Nicolas Rolin, der wiederum Regnault de Chartres einen Amtsgenossen
am französischen Hof wußte, welcher ebenso entschieden für
eine französisch-burgundische Annäherung auf dem Verhandlungsweg
eintrat. Dieser Kanzler und Erzbischof von Reims hatte denn auch Johannas
Drängen nach militärischer Konfrontation wie viele andere Mitglieder
des Königshofs abgelehnt und unterlaufen, wobei zudem sicherlich Eifersucht
und Neid auf die Pucelle mit im Spiel waren. Als sie im Mai 1430 vor Compiegne
in Gefangenschaft geriet - späterer Überlieferung zufolge durch
Verrat des Stadthauptmanns Guillaume de Flavy, eines Verwandten des Regnault
de Chartres - und ihr im kommenden Jahr in Rouen ein "schöner Prozeß"
gemacht wurde, wie der vorsitzende Richter Pierre Cauchon das formal als
Inquisitions- und Häresieverfahren durchgeführte politische Tribunal
im Schatten englischer Militärmacht nannte, da unternahmen König
und Hof jedenfalls nicht den geringsten Versuch zu ihrer Rettung. Ihr Schicksal
war von vornherein besiegelt, mochte ihr Auftreten vor den gelehrten Beisitzern
von der Pariser Universität noch so staunenswert sein, wovon die erhaltenen
Prozeßakten Zeugnis ablegen.
Und mochte ihr Leidensweg bis zur Verbrennung am 30.
Mai 1431 auf dem Marktplatz von Rouen Zeitgenossen und Nachwelt noch so
bewegen, für die Politiker war damit ein entscheidendes Hindernis
auf dem Weg zu Verhandlungen beseitigt, die schließlich in der Tat
zum Erfolg führten, da im September 1435 zu Arras ein französisch-burgundischer
Seperatfrieden geschlossen wurde. Doch sollte man darüber nicht vergessen,
dasss erst durch Johannas Bellizismus Frankreich kriegsstärker und
Burgund seinerseits friedensbereiter gemacht worden war, dasss sich erst
seit der durch sie herbeigeführten Wende vor Orleans Grundtendenzen
und strukturelle Faktoren wieder wirkmächtig entfalten honnten. Dies
war ausschlaggebend; kirchliche Vermittlungsversuche der römischen
Kurie wie des seit 1431 tagenden Basler Konzils vermochten allenfalls randhaft
zu dieser Entwicklung beizutragen, wenn auch das neutrale Terrain der Kirchenversammlung
von den dort weilenden Gesandten der beiden Parteien sicher zu diskreten
Sondierungen genutzt wurde. Bis zu jenem Vertragsabschluß von Arras
galt es noch manche Schwierigkeiten zu überwinden - so bestanden am
Hof Philipps des Guten Adelige aus
den burgundischen Niederlanden auf der Allianz mit England, die der Herzog
selbst eidlich beschworen hatte und darum aufzugeben lange zögerte.
Es mutet fast wie historische Regie an, dasss in jenen Tagen, da im Artois
der endgültige Durchbruch zum Ausgleich erfolgte, mit dem Herzog von
Bedford in Rouen die letzte englische Führungspersönlichkeit
von Format starb. Obwohl politische Autoren der Zeit im Königreich
wie Christine de Pisan, Pierre de Nesson oder Alain Chartier der Friede
allein durch einen Ausgleich zwischen Frankreich und Burgund erreichbar
schien, waren die Engländer dennoch stets in die Verhandlungen mit
einbezogen gewesen; allein Schwäche, Intransigenz und eben der Ausfall
Bedfords
isolierten sie weitgehend.
Andererseits blieb das französisch-burgundische
Verhältnis auch nach Arras prekär; Mißtrauen und bis an
die Schwelle erneuten Kriegs reichende Spannungen resultierten vornehmlich
aus den Umstand, dass sich die königliche Partei mit der Realisierung
der - neben der Abbitte für den Mord von Montereau - vereinbarten
territorialen und rechtlichen Konzessionen schwertat. Letztlich bedeuteten
sie aber alles andere als eine Kapitulation vor burgundischem Diktat, denn
Frankreich brauchte fortan nicht mehr die Last eines Kampfes an zwei Fronten
zu tragen. Damit war aber auch der große Krieg weitgehend entschieden,
Arras hatte im Grunde die englische Niederlage besiegelt. Bereits im April
1436 konnte der Konnetabel Richemont in Paris einziehen; in den folgenden
Jahren wurde die Ile-de-France wiedererobert, wobei der König sich
persönlich bei Montereau 1437 und Pontoise 1441 auszeichnete. 1442/43
erfolgten Vorstöße in die Normandie und Guyenne, und nach neuerlichen
Mißerfolgen ihrer Heerführer Talbot und Somerset mußten
die Engländer 1444 zu Tours in einen Waffenstillstand einwilligen,
der durch die Verlobung Heinrichs VI.
mit Margarete von Anjou befestigt wurde.
Um Maine und Fougeres 1448/49 ausbrechende Streitigkeiten ließen
Karl
VII. dann die endgültige Entscheidung auf dem Schlachtfeld
suchen: Mit den Siegen von Formigny 1450 und Castillon 1453 gelangten Normandie
und Guyenne, bis dahin englische Kernbesitzungen auf dem Kontinent, wieder
in französische Hand - die Karrees der lange Zeit erfolgreichen Bogenschützen
und Fußkämpfer wurden von der Artillerie der Gebrüder Bureau
zusammengeschossen: Ein neues Waffenzeitalter hatte begonnen, die Kanonen
besaßen mehr Durchschlagskraft als alle Friedensaufrufe der Zeit.
Der Hundertjährige Krieg in seiner Endphase: ein französisches
Instrument zum Frieden durch Gewalt.
Aber nicht nur die Kriegstechnik oder Militärs vom
Rang eines Dunois, La Hire und Xaintrailles,
auch nicht die bemerkenswerte, indes kaum kriegsentscheidende Konstanz
der traditionellen und von Karl VII. gepflegten
Allianzen mit den Königreichen Schottland und Kastilien, sondern vornehmlich
administrative Effizienz und innerer Ausgleich bildeten die Grundlage für
den endgültigen Sieg. Schon 1445 konstatierte der kritische Jean II
Juvenal des Ursins in einem anläßlich der Ernennung seines Bruders
Guillaume zum Kanzler geschriebenen Traktat, der Wiederaufstieg des Königtums
beruhe wesentlich auf einer in den letzten Jahren zunehmend zweckbestimmten
Verwendung der Kriegssteuern. Qualität und Kontinuität der Exiladministration
von Bourges, Poitiers und Tours machten sich immer stärker bemerkbar,
und dies gilt ebenso für die Zeit nach ihrer Vereinigung mit den großen
Behörden in der wiedereroberten und ihrerseits nach Jahrzehnten der
Unruhen, Aufstände und des Krieges friedensbereiten Hauptstadt. Hier
wie allgemein verzichtete Karl VII. weitgehend
auf Härte und Rache; nach Eliminierung der am meisten kompromittierten
englischen Parteigänger verstand er sich vielmehr auf eine Politik
der Rekonzilation, die aufs Ganze recht erfolgreich war - bis auf den Südwesten,
wo bis zu 300 Jahre englische Geschichte und engste ökonomische Verflechtungen
schwer wogen, wo Tausende das Exil auf der Insel vorzogen, nachdem LANCASTER
auf dem Festland lediglich Calais verblieben war. Der bis 1802 von dem
Monarchen in London geführte Titel eines Königs von England und
Frankreich blieb ein Muster ohne Wert: mit dem Rückzug vom Kontinent
sollte sich im übrigen das insulare Eigenbewußtsein der englischen
Oberschicht voll ausprägen.
Karl VII. vermochte
seine Politik der Versöhnung und des Ausgleichs um so leichter durchzusetzen,
als sein Hof und Rat während des Exils besagtes "Netzwerk" vielfältiger
persönlicher Beziehungen mit den zu Gegnern auf Zeit gewordenen früheren
Freunden und Amtsgenossen geknüpft und erhalten hatten. Es kann keinem
Zweifel unterliegen, dasss dies mit Willen und Billigung eines Königs
geschehen war, der im Rat zwar generell auf Männer seines Vertrauens
zu hören und ihnen zu folgen bereit war, wie ein Brief des Gerard
Machet an den Parlamentsrat Nicolas Gehe aus dem Jahr 1443 eindeutig belegt,
ohne dasss er sich jedoch in deren Abhängigkeit begeben hätte.
Das gilt übrigens auch im Fall der Dame de Beaute Agnes Sorel,
die als Mätresse des Königs von 1444 bis 1450 einen durchaus
positiv zu bewertenden Einfluß ausübte.
Die Kirchenpolitik mag hier als ein Exempel für
solch wohlberatene Eigenständigkeit stehen, zumal sie besondere Bedeutung
erlangte, als der König um Unterstützung sowohl von einem auf
der traditionellen papalen Vollgewalt bestehenden Eugen IV. (1431-1447)
wie auch von dessen Gegner, einem zu Basel versammelten allgemeinen Konzil
(1431-1449), angegangen wurde, das sich als Repräsentanz der gesamten
Christenheit begriff und die oberste Leitungsgewalt in einer Kirche beanspruchte,
deren Verfassung es stärker korporativ-synodal zu akzentuieren gedachte.
Meisterhaft verstand sich nun der Herrscher im Verein vor allem mit seinen
geistlichen Räten darauf, das auf Reichsboden tagende Konzil zu einer
französisch dominierten Veranstaltung zu machen, um es gegen widerspenstigen
Papst als Instrument für eigene Zwecke, nämlich zum Ausbau einer
französischen Kirche einzusetzen, die finanziell, organisatorisch
und im besonderen personell weitgehend unter königlicher Kontrolle
stehen sollte. 1438 wurde dies mit der auf einer Klerusversammlung in Bourges
verabschiedeten "Pragmatischen Sanktion" erreicht, welche die Basler Dekrete
in einer auf die speziellen Interessen der Monarchie abgestimmten Form
zum Grundgesetz einer gallikanischen Kirche in königlicher Hand machte.
Als die Ernte des Konzils wie der gesamten konziliaren Epoche so und die
landeskirchlichen Scheuern eingefahren war, ging Karl
VII. alsbald auf Distanz zu der obendrein radikalisierenden
Basler Synode und sprach auch dem von ihr im November 1439 gewählten
Papst Felix V. keine Anerkennung aus, obwohl es sich um niemand anderen
als den ehemaligen Herzog Amadeus VIII. von Savoyen handelte. Denn stets
hatte er die Basler wissen lassen, dasss - nach den Erfahrungen des erst
1417 beigelegten Großen Abendländischen Schismas verständlich
- honor und status des römischen Pontifex für ihn unantastbar
seien. Er zögerte auch nicht, sich in konkreten Einzelfällen
wie Bistumsbesetzungen päpstlicher Zustimmung zu versichern, sofern
diese zu erwarten war, und zugleich entgegenstehende Basler Vorstellungen
zu ignorieren. dann spielte die Pragmatische Sanktion auf einmal keine
Rolle mehr, ohne dasss Karl sie jedoch,
allen römischen Vorhaltungen zum Trotz, grundsätzlich je aufgegeben
hätte. Obenan stand für ihn stets und allein das Interesse an
einer ecclesia gallicana unter königlicher Hoheit; hierfür setzte
er Basler Konzil und Pragmatique ein, ohne es aber darüber zum Bruch
mit dem Papsttum kommen zu lassen. Beraten von Geistlichen, deren Stimme
gerade während der kirchenpolitisch wichtigen Jahre von 1436 bis 1444
im Conseil besonderes Gewicht hatte, verfolgte der Monarch mit flexibler
Prinzipienfestigkeit dieses Ziel - es war wohlgemerkt ganz und gar sein
eigenes Ziel, denn alle seine Verlautbarungen liegen auf der skizzierten
Linie und sind von widerspruchsfreier Konsequenz; wer davon abwich wie
etwa die Leiter seiner Basler Konzilsdelegation, die ihre persönliche
Papstfeindschaft allzu offenkundig werden ließen, fand sich alsbald
im Abseits.
Eigeninteresse im Verbund mit Opportunismus waren auch
1449 ausschlaggebend, als Karl VII.
nach der Wiedereroberung von Rouen mit kirchlicher Hilfe die Wiederaufnahme
des Verfahrens gegen Jeanne d'Arc betrieb, das 1455/56 zur gewünschten
Erklärung der Nichtigkeit des Urteils von 1431 führte, da der
Herrscher sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, er verdanke sein Königtum
einer zu Recht auf dem Scheiterhaufen verbrannten Ketzerin (Politischer
Instrumentalisierung sollte Johanna noch mehrfach zum Opfer fallen: Im
späteren 19. Jahrhundert von der französischen Linken als Opfer
klerikaler Willkür entdeckt und gefeiert, wurde sie alsbald von konservativ-katholischen
Kreisen im Zeichen eines chauvinistisch übersteigerten Nationalismus
heroisiert bis hin zu ihrer Kanonisierung durch Papst Benedikt XV. unmittelbar
nach dem mit der Wiedererlangung von Elsaß-Lothringen verbundenen
Sieg Frankreichs im Ersten Weltkrieg.)
Karls burgundischer
Konkurrent Philipp der Gute war dagegen
in der Konzilszeit stets auf gutes und für ihn profitables Einvernehmen
mit einem Papsttum bedacht gewesen, das seinerseits große Erwartungen
in den Herzog wegen eines Kreuzzuges setzte, der vor allem nach dem Fall
Konstantinopels unter türkische Herrschaft 1453 immer dringlicher
wurde. Denn der Burgunder war der einzige Fürst des lateinischen Europa,
der diese Unternehmen bereits seit den 40-er Jahren mit Nachdruck betrieb
- nicht zuletzt aus Gründen glanzvoller Selbstdarstellung, vielleicht
auch in der Hoffnung auf Rangerhöhung - und der dabei wohlkalkuliert
unter dem Zeichen des Kreuzes Allianzen mit Aragon und Habsburg schloß,
welche zugleich eine antifranzösische Stoßrichtung hatten und
schemenhaft bereits den Antagonismus des europäischen Mächtesystems
der frühen Neuzeit erkennen lassen. Wenn Philipp
der Gute seinen 1454 zu Lille auf einen Fasan geleisteten Kreuzzugseid
am Ende nicht erfüllen konnte - das Tier erinnerte übrigens an
den Fluß Phasis in der Heimat des Goldenen Vlieses, jener namengebenden
Insignie des auch als Kreuzzugsgemeinschaft gegründeten herzoglichen
Ordens -, so war dies wesentlich das Werk Karls
VII., der ungeachtet der osmanischen Expansion alles tat, um
die croisade bourguignonne scheitern zu lassen. Und hinter dem seinerseits
von Frankreich mit Böhmen eingegangenen Kreuzzugsbündnis, das
1457 zu Tours auf einen Pfau beschworen wurde, standen ganz andere Motive:
Vordergründig des Königs propagandistische Antwort auf den Akt
von Lille, wurden hier gegen burgundische Ansprüche auf Luxemburg
mit französischer Unterstützung die Rechte der - im 14. Jahrhundert
an das Haus LUXEMBURG übergegangenen
- böhmischen Krone ins Spiel gebracht, in die alsbald VALOIS
selbst einzutreten bemüht war.
Überhaupt gelangte im Reich und insbesondere in
dessen westlichen Territorien im 15. Jahrhundert immer wieder die französisch-burgundische
Konkurrenz zum Austrag, sei es, dasss König und Herzog um Bündner
warben, sei es, dasss man Macht vor Ort demonstrierte wie Karl
VII. mit jener lothringischen Kampagne 1444/45, bei der die
mit seinem Schwager Rene von Anjou im
Streit liegende Stadt Metz bestraft, letztlich aber Stärke und Präsenz
gezeigt werden sollten, um die Großen im deutschen Westen, allen
voran die Kurfürsten, zum Bündnis mit VALOIS
zu bewegen. Dieses Unternehmen hat nichts mit einem vermeintlichen französischen
Drang zur Rheingrenze, sehr wohl dagegen mit einer versuchten Einkreisung
Philipps
des Guten zu tun.
König und Hof lehnten das unkalkulierbare Abenteuer
saint voyage de Turquie aber auch aus anderem Grund ab. Sie waren bestrebt,
nach dem militärischen Erfolg über England mit allen Mitteln
den - modern gesprochen - renouveau national voranzutreibben. Der Stände
bedurfte Karl VII. dabei nicht mehr
- seit 1439 unterblieb die Einberufung der Etats generaux -, und gegenüber
den Städten trat kein Bittsteller mehr, sondern ein fordernder und
befehlender Monarch auf den Plan, der über das effektivste Fiskalsystem
der Zeit verfügte und die Präsenz des Königsstaats auf allen
Ebenen intensivierte. Vornehmlich diesem Zweck - und weniger dem regionalen
Eigenprofil - diente auch die Errichtung von Parlamenten in Toulouse, Bordeaux
und Grenoble und vor allem der Erlaß großer Ordonnanzen, als
deren erste man der Sache nach schon die Pragmatische Sanktion bezeichnen
kann. Es handelt sich um eine Reihe von Gesetzen aus den 40-er und 50-er
Jahren zur Reform von Justiz, Finanzen und Militär, die nach dem Wort
eines deutschen Historikers den französischen Staat am Ausgang des
Hundertjährigen Kriegs wiederbegründeten. (Die Wirtschaft spielte
in diesem Zusammenhang keine Rolle, weil eine die "Nationalökonomie"
systematisch fördernde Wirtschaftspolitik damals überhaupt noch
nicht existierte; die neue Friedenszeit und der allgemeine politisch-administrative
Rahmen schufen allerdings die Voraussetzungen für ein nachfolgendes
ökonomisches und auch demographisches Wachstum, ohne dasss es zentraler
Vorgaben
bedurft hätte). Als bekannteste dieser Maßnahmen hat die Ende
März 1445 verfügte Schaffung besoldeter Ordonnanzkompanien zu
gelten, einer Vorstufe zum stehenden Heer der Moderne. Damit sollte zugleich
das Problem der stellungslos gewordenen Ecorcheurs gelöst werden,
soweit diese sich nicht über die Grenzen abschieben ließen wie
etwa 1444, als der deutsche König FRIEDRICH
III.
von Karl VII. Hilfe
gegen die Eidgenossen in der Hoffnung erbat, so alte Positionen seines
Hauses wiedererobern zu können.
Des weiteren sollte durch diese Ordonnanz die Bildung
adeliger Privatarmeen erschwert wie andererseits der Adel in das Heer des
Monarchen eingebunden werden. Dasss sich die große Zeit der Adelsherrschaften
in Frankreich überhaupt ihrem Ende zuneigte, dasss hier - im Gegensatz
etwa zum Reich, zu Böhmen, Polen oder England - der Königsstaat
zunehmend dominierte, erweist auch jener Aufstand des Jahres 1440, der
mit Blick auf König SIGISMUND
in Böhmen kämpfenden Hussiten als Praguerie firmiert. Unter Führung
des Herzogs von Bourbon wollten die Rebellen das gefährdete öffentliche
Wohl schützen, allein sie verfolgten vorrangig ihre jeweiligen Einzelinteressen,
so dass es dem entschlossen und mit der Würde seines Amts auftretenden
Karl
VII. nicht schwerfiel, die Revolte niederzuschlagen, um im übrigen
fortan die Gefolgschaft seiner Standesgenossen verstärkt mit Pensionen,
Geschenken und Neujahrsgaben zu erkaufen und sich so potentielle Unruhestifter
gefügig oder gar abhängig zu machen.
Doch ein Faktor der Unruhe blieb: Ludwig, der eigene
Sohn und Nachfolger, der 1440 mit den Aufständischen gemeinsame Sache
gemacht hatte und auch wegen der fortgesetzten Mißachtung seiner
Gemahlin Margarete von Schottland königlichen
Unmut auf sich zog. Er fand 1444 neue Nahrung als Ludwig
gegen
Karls erklärten Willen, aber offensichtlich im Einvernehmen mit Eugen
IV., das Regiment über die dem Dauphine benachbarten päpstlichen
Exklaven Avignon und Comtat Venaisssin an sich ziehen wollte. Vom Vater
alsbald auf jenen Dauphine verwiesen, den er durch intensive Reorganisation
enger an das System der französischen Staatsverwaltung band, nahmen
die Spannungen erneut zu, da Ludwig
1451 eigenmächtig die savoyische Herzogstochter
Charlotte heiratete und das geforderte Erscheinen bei Hof -
wohl auch aus Furcht vor dem mißgünstigen königlichen Räten
- verweigerte. Als 1456 eine gewaltsame Intervention Karls
VII. drohte, floh er unter dem Vorwand einer Teilnahme am Kreuzzug
zu Philipp dem Guten, um fortan in
dessen brabantischer Residenz Genappe auf das Ableben des Vaters zu warten,
der sich seinerseits vor Spionen und Anschlägen des Sohnes fürchtete.
Obwohl Ludwig von
Karl VII. wiederholt mit wichtigen Unternehmungen betraut worden
war, hat der König offensichtlich den frühreif-umtriebigen, von
außerordentlichem Ehrgeiz und Tatendurst beseelten Dauphin - zumindest
aus dessen Sicht - doch nicht hinreichend in seine Regierung eingebunden,
die für den Sohn zudem von quälend langer Dauer war, sich für
den Vater hingegen als wirkungsvoll und erfolgreich darstellte. Obendrein
empfand Ludwig Verachtung für
Karl
wegen
dessen nach seiner Ansicht ausschweifenden Lebenswandels, diesem wiederum
blieb der finstere Ernst seines Sprosses fremd. Solcher Konflikt überschattete
des Königs späte Jahre, erneut wurde er ängstlich und mißtrauisch;
überdies setzten seit 1455 ihm, der bis dahin nach dem Tod der Agnes
Sorel wohl in der Tat ein hemmungslos ausschweifendes Sexualleben geführt
hatte, nunmehr Alter und Krankheit zu. Von 1458 an wurde er immer stärker
durch eine
Mundinfektion gehemmt, die ihn bei der Nahrungsaufnahme
behinderte.
Zwei große Prozesse belegen allerdings, dasss solche
Einschränkungen einer ungefährdet-souveränen Regierung auch
im letzten Lebensjahrzehnt keinerlei Abbruch taten: Im Juli 1451 ließ
er unter dem Vorwurf des Giftmordes an Agnes Sorel einen Mann verhaften,
der den Aufenthalt des Königshofs in seiner Heimatstadt Bourges genutzt
hatte, um als argentier de roi ein internationales Wirtschaftsunternehmen
aufzubauen, das vom Bergbau im Lyonnais bis zur Handelsflotte in der Levante
alle ökonomischen und finanziellen Möglichkeiten der Zeit umfaßte:
Jacques Coeur. Gerade in den Jahren vor der Festnahme hatte seine Geschäftstätigkeit,
aber auch die Verschuldung von König und Adel bei ihm einen Höhepunkt
erreicht - ebendiese ließ sich durch eine Verurteilung auf Grund
weiterer, nachgeschobener Anschuldigungen wie Konspiration, Falschmünzerei
und Siegelmißbrauch aus der Welt schaffen; obendrein konnte man schon
die entscheidende Kampagne in der Guyenne mit dem konfiszierten Vermögen
finanzieren. Mochte Jacques Coeur auch aus der Festungshaft in Beaucaire
fliehen und mit päpstlicher Hilfe schließlich bis zu seinem
Tod 1456 Zuflucht auf Chios finden, der Sturz des bürgerlichen Emporkömmlings
war tief. Neid und Verleumdung spielten dabei sicher eine Rolle; für
Karl
VII. dürfte bei seinem Vorgehen neben der aus großer
Verschuldung drohenden Abhängigkeit und der in seinen Augen unziemlichen
Zurschaustellung ungeheuren Reichtums aber die Gefahr entscheidend gewesen
sein, dasss der königliche Kaufmann, dessen Hotel in Bourges herrscherliche
Architektur bewußt imitierte, einmal das tun könnte, was dem
König allein gebührte: Geld in politische Macht umzusetzen.
Im Mai 1456 kam es zu einer weiteren aufsehenerregenden
Verhaft, wurde konspirativer Kontakte mit den Engländern beschuldigt.
Das Urteil lebenslanger Haft erging 1458 zu Vendome im Rahmen eines Lit
de justice, einer feierlichen Sitzung des Parlaments unter persönlichem
Vorsitz des Königs, wie sie auf einer berühmten, wahrscheinlich
ebenfalls von Jean Fouquet stammenden Darstellung in der Münchener
Boccaccio-Handschrift überliefert ist. Bei aller protokollarisch vorgegebenen
Ordnung zeigt sich hier auch Karls ausgeprägter
Sinn für das Zeremoniell, das er als Spiegel der Dignität und
Macht seines Amts wie als Mittel der Selbstdarstellung und Propaganda schätzte.
In diesem Sinne setzte er es auch eindrucksvoll bei seinen Einzügen
in die wiedereroberte Hauptstadt 1437, in Toulouse 1442 und Rouen 1449
ein. Hier und noch bei den Feierlichkeiten anläßlich seiner
Bestattung in Paris und St-Denis - Karl starb
am 22. Juli 1461 in Mehun-sur-Yevre an den Folgen seines Mundabzesses
- erwies dieses mit vielschichtiger Königssymbolik ausgestattete Zeremoniell
überdies seine die Untertanen einbindende Wirkung.
Symbolkraft möchte man dem Umstand beimessen, dasss
in St-Denis eine bewegende Totenrede von dem angesehenen Pariser Theologen
Thomas de Courcelles gehalten wurde, der seine von Opportunismus und Gelehrsamkeit
bestimmte Laufbahn in englischen Diensten begonnen hatte, als Beisitzer
in Rouen für die Folter der Jeanne d'Arc votierte, als Vertreter eines
radikalen Konziliarismus in Basel Profil gewann, um sich dann über
Savoyen abzusetzen, als das Scheitern der Synode drohte, und der schließlich
dank bester Beziehungen wieder zu Kirche, Hochschule und Hof in der Hauptstadt
fand - der Verstorbene selbst hatte mit seiner Politik des Ausgleichs und
der Versöhnung solch letztlich bruchlose Karrieren erst ermöglicht.
Gewiß, Opportunisten und Profiteure machten da ihren Schnitt, aber
Frankreich blieb so ein Krieg nach dem Krieg erspart. Sich für diesen
Weg zu entscheiden, lag zugleich im ausgleichsbedachten Wesen des Herrschers
wie in dem ihm erteilten guten Rat beschlossen: le bien conseille und le
bien servi wird er denn auch genannt.
Eigentlich tat Karl VII. bereits
das, was Ranke seinem Nachfolger zuschrieb: Selbst ohne persönliche
Größe, hat er Frankreich groß gemacht - ein Vergleich
der Zustände im Königreich der Jahre 1422 und 1461 spricht für
sich; und der Nachfolger wußte denn auch nur allzugut, warum er nach
kurzer Zäsur bereits bald die Politik des Vaters wieder aufnahm und
fortführte. Wenn Karl schon Größe abging, stellt es dann
nicht zumindest eine große Leistung dieses Herrschers dar, befähigten
Räten und Amtsträgern innerhalb zunehmend von ihm selbst vorgezeichneter
und abgesteckter Bahnen die Möglichkeit zu kontinuierlicher Entfaltung
geboten und dank ihres Wirkens reiche Potenzen und Ressourcen für
einen Königsstaat verfügbar zu haben, der nicht zuletzt durch
das Auftreten der Jeanne d'Arc endgültig zur Königsnation wurde?
Mit der Pucille ließ er das Außerordentliche Ereignis werden,
um alsdann wohlberaten ordentliche Politik zu betreiben. Nutzen zog er
aus den Strukturen seines Reichs und seiner Herrschaft wie keiner seiner
Vorgänger zur Zeit des Hundertjährigen Kriegs, doch es bedurfte
seiner und seiner Ratgeber Persönlichkeit und Fähigkeit, um sie
überhaupt nutzbar zu machen. Von der Physiognomie eines im 15. Jahrhundert
portraitierten Herrschers auf dessen Charakter und Leistung schließen
zu wollen, hat seine Tücken - im Falle
Karls
VII. tut der Historiker gut daran, sich an die Bildlegende zu
halten.