Begraben: Abtei Saint-Denis bei Paris
Ältester Sohn des Königs
Johann II. der Gute von Frankreich aus seiner 1. Ehe mit der
Bona
von Luxemburg-Böhmen, Tochter von König
Johann dem Blinden
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 975
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Karl V., König von Frankreich 1364-1380
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* 21. Januar 1338, + 16. September 1380
Schloß Vincennes
Sohn von König Johann II. dem Guten und Guda (Bonne) von Luxemburg, Tochter König Johanns von Böhmen
oo Johanna (Jeanne) von Bourbon (+ 1378)
8 Kinder, doch überlebten nur Karl VI. und Ludwig von Orleans
Als erster Thronanwärter trug Karl
V. den Titel eines Dauphin (aufgrund des Erwerbs der
Dauphine, 1349). Karl V. erhielt 1355
das Herzogtum Normandie; damit wurde er aufs engste in den Kampf
des Königtums gegen
Karl den Bösen
und seine Anhänger einbezogen. Nach Poitiers (19. September 1356),
wo er das Schlachtfeld verließ und so der Gefangenschaft entging,
stand er an der Spitze der Regierung und war konfrontiert mit der Opposition
der Etats generaux, der Agitation Karls von Navarra
und
dem Pariser Aufstand unter Etienne Marcel. Nachdem zwei Marschälle
vor den Augen Karls ermordet worden
waren, suchte Etienne Marcel die Autorität des Dauphin auszunutzen,
indem er ihn zum Regenten ausrief (März 1358). Doch verließ
Karl
unmittelbar
darauf Paris. Die Spaltung der Opposition, nicht zuletzt infolge der ausbrechenden
Jacquerie (Mai-Juni 1358), und die Ermordung Etienne Marcels durch frühere
Anhänger (31. Juli 1358) ermöglichten
Karl die Rückkehr in die Hauptstadt (4. August 1358). Der
König von Navarra erklärte ihm den Krieg, der bis zum Frieden
von Pontoise (August 1359) dauern sollte. Nachdem ein Waffenstillstand
den Krieg zwischen Frankreich und England unterbrochen hatte, wurden die
Friedensverhandlungen unter Übergehung des Dauphins geführt,
der aber im Mai 1359 einen vom gefangenen Vater angenommenen Friedensvertrag
durch die Etats genereaux ablehnen ließ. Karl
zog
die Weiterführung des Krieges einer Zerstückelung Frankreichs
vor. Nach einem verheerenden Streifzug (chevauchee)
Eduards
III. sah er sich jedoch genötigt, den Frieden von Bretigny-Calais
(Mai/Oktober 1360) mit hohen Gebietsverlusten und Lösegeldzahlungen
abzuschließen. Nach der Heimkehr König
Johanns wieder ins zweite Glied zurückgedrängt, wurde
Karl
anläßlich
der freiwilligen Rückkehr des Vaters nach London (Januar 1364) erneut
zum Regenten ernannt und erhielt nach dem Tod Johanns
(8.
April 1364) den Thron.
Am Anfang der Regierung Karls
V. standen Krieg und Verwüstung; der Kampf, den Karl
V. durch seinen Heerführer Bertrand Du Guesclin gegen
Karl von Navarra (Cocherel) und die von den Engländern
unterstützten MONTFORT in der Bretagne führte, endete zwar mit
Friedensschlüssen (1365,1366), doch war damit das Problem der im Lande
stehenden Kompanien nicht gelöst. Um diese Söldnerverbände
aus dem Gebiet des Königreiches zu entfernen, setzte er sie unter
Du Guesclin in Kastilien ein (1366-1369), bis sie mit der Wiederaufnahme
des Kampfes gegen England neue Betätigung fanden. Der infolge der
Appellationen aus der Guyenne wiederaufgeflammte Krieg wurde 1369-1374
von Du Guesclin mit einem kleinen Berufsheer, unter Vermeidung offener
Schlachten und in zähem Ringen um einzelne Festungen, insgesamt erfolgreich
geführt, doch konnte in den Verhandlungen von Brügge zwar ein
Waffenstilstand, aber kein dauerhafter Friede mit England erreicht werden.
Am Ende der Regierung Karls V. traten
erneut Spannungen auf (Konfiskationen der Besitzungen des Königs von
Navarra, Konflikt mit dem Herzog von Bretagne, 1380 englischer Streifzug
unter Buckingham).
Karl V., der mit
den LUXEMBURGERN, der Familie seiner
Mutter, stets verbunden blieb, und am Bündnis mit dem Deutschen Reich
festhielt, empfing 1378 den Besuch seines verehrten Onkels, Kaiser
KARLS IV., und erlangte - für den Dauphin - die Übertragung
des Reichsvikariats des Arelat. 1378 brach das Abendländische Schisnmma
auf, in dem Karl V. den avignonischen
Papst, Clemens VIII., unterstützte. Die innere Politik des Königreicxhes
war von militärischen Erfordernissen bestimmt (Ordonnanzen 1374-1375;
Aufbau einer Flotte auf Clos des Galees). Die anläßlich der
Lösegeldzahlungen für Johann II.
ausgeschriebene indirekte und direkte Steuer wurde unter Karl
V. permanent erhoben und von den elus et generaux conseiellers
des aides verwaltet. Umgeben von einem Beraterstab aus Legisten,
denen das Wachstum des monarchischen Staates oberstes Gebot war,
führte Karl V. in den Krönungseid
den Passus ein, nie die Krondomäne zu veräußern. Mit den
Ordonnanzen von 1374, die die Volljährigkeit des Königs (auf
14 Jahre festgelegt) und die Vormundschaftsregierung für den minderjährigen
König regelten, traf Karl V. eine
grundsätzliche Unterscheidung zwischen der Person des Königs
und der Krone als überdauernder souveräner Institution der Monarchie.
Durch seine Ordonnanzen hat Karl V.
die großen Hofämter der Monarchie organisiert.
Die Persönlichkeit des Königs wird verherrlicht
durch das "Livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V" (1404)
der Christine de Pisan, seine politischen Ideen durch den in seinem Umkreis
entstandenen "Songe du vergier". Der König umgab sich mit Intellektuellen
(Nikolaus Oresme, Raoul de Presle, Philippe de Mezieres) und ließ
Aristoteles, Augustinus und Johannes von Salisbury übersetzen. Er
war der Begründer der Bibliothek des Louvre und ein großer Bauherr
(Louvre, Bastille, Hotel Saint-Pol, Ste-Chapelle in Vincennes) und Förderer
der Künste. Zeitlebens von schwacher Gesundheit, hob der König
kurz vor seinem Tode die verhaßten fouages auf. Schon
zu Lebzeiten bildete sich der Mythos eines in seiner Weisheit und Umsicht
herausragenden Königs von Frankreich.
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Karl V. der Weise war
kränklich, häßlich, unritterlich, aber von hoher Geistigkeit,
trug als Dauphin den Titel eines Herzogs der Normandie und übernahm
1356-1360 die Regierung für seinen in englischer Gefangenschaft befindlichen
Vater, dem er vollkommen unähnlich war. Der von geschulten Beamten
umgebene, selbst geistig überaus interessierte
Karl erreichte bedeutende Fortschritte in der Stabilisierung
der inneren Verhältnisse. Sein Königtum war eine Zeit der harten
Proben, denn die Engländer hielten den Westen seines Reiches besetzt,
Paris war dem Ruf von Etienne Marcel gefolgt und befand sich im Zustand
der Rebellion, und bei der Landbevölkerung sah es nicht viel anders
aus. Die Schatzkammern waren leer, und einige Aristokraten machten es Karl
II. dem Bösen von Navarra nach: Sie intigrierten gegen
die Krone und strebten nach Unabhängigkeit. In dieser Lage bewies
Karl
V. Überlegenheit und Scharfsinn und verdiente sich den
Beinamen "der Weise", der ihm für immer blieb. 1360 schloß
er als Dauphin den Vertrag von Bretigny, der trotz harter Bedingungen
die Fortsetzung des unglückseligen Krieges verhindern sollte. Mit
Hilfe des großen Strategen Bertrand du Guesclin (aus niederem bretonischen
Adel) machte er den Ambitionen Karls II. von Navarra
ein Ende. Seit seiner Thronbesteigung hatte der junge Monarch durch sein
kluges Verhalten die königliche Autorität überall im Lande
wiederherstellen können. Anschließend machte er sich daran,
die Finanzlage in Ordnung zu bringen und die Engländer aus Frankreich
zu vertreiben. Wieder half ihm Du Guesclin, der mit der traditionellen
Verachtung des Ritters gegenüber nichtadligen Kriegern brach und
sich vor allem auf eine starke Artillerie stützte, mit deren Hilfe
er im Laufe der Zeit zahlreiche befestigte Städte eroberte und ohne
große Schlachten die Engländer zurückdrängte, denen
im Waffenstillstand von 1375 nur noch Calais und ein Küstenstreifen
in der Gascogne mit Bordeuax blieb. 20 Jahre angestrengter Bemühungen
genügten, den Ruf des Hauses VALOIS
wiederherzustellen, den Städten zu neuem wirtschaftlichem Aufschwung
sowie der Kunst und der Literatur zu hoher Blüte zu verhelfen und
die Touraine und die Dauphine dem Kronland anzuschließen.
Karl erlag einem
Herzanfall.
Pernoud Regine: Seite 11-29
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"Die Kapetinger" in: Die großen Dynastien
Karl V. (1364-1380)
stellte die durch seinen Vater und Großvater so stark beeinträchtigte
Ordnung fast vollständig wieder her. Er behielt nicht nur die Sondersteuern
bei, welche zur Aufbringung des Lösegeldes für König
Johann eingeführt worden waren - die maltote, eine Abgabe
auf alle Verkäufe, und die gabelle, die Salzsteuer -, sondern fügte
noch eine neue Steuer hinzu, die foiage, eine Vorgängerin der Grundsteuer.
Gestützt auf solcherart wohlgeordnete Finanzen, konnte er eine reguläre
Armee aufstellen und die Marine wiederaufbauen. Dabei stand ihm in der
Person des Connetable Du Guesclin ein militärischer Führer von
außergewöhnlichem Format zur Seite.
Du Guesclin hatte mit seinem Sieg bei Cocherel im Jahre
1365 das Seine-Gebiet unter seine Kontrolle gebracht. Darauf versuchte
er, dem Hause MONTFORT die Bretagne streitig zu machen, geriet jedoch in
Gefangenschaft. Nachdem er seine Freiheit wiedererlangt hatte, befreite
er Frankreich von den großen Kompagnien, indem er sie in den Dienst
Heinrichs
von Trastamara stellte, eines illegitimen Sohnes des Königs
von Kastilien, der gegen seinen mit England verbündeten Halbbruder
Peter den Grausamen Krieg führte. Indirekt bedeutete dies
eine Wiederaufnahme des Kampfes gegen Eduard III.,
wenn auch auf ausländischen Boden. Als Du Guesclin in der Schlacht
von Najera (3. April 1367) gefangengenommen wurde, beteiligte sich ganz
Frankreich an der Aufbringung des Lösegeldes für ihn. Mit Unterstützung
des Königs versuchte er dann, die Provence zu erobern, um das Languedoc
mit der Dauphine zu verbinden. Er konnte diesen Plan nicht verwirklichen,
doch erzielte er andere ansehnliche Erfolge und eroberte mit seinem Sieg
bei Pontvallain den Westen zurück. Mit der von Admiral Jean de Vienne
wiederaufgebauten und befehligten Flotte konnte er auch die Normandie wieder
in französischen Besitz bringen. Der König leistete ihm beständigen
Beistand und bediente sich mancher List und auch vereinzelter Grausamkeiten,
um sein Gebiet unter Kontrolle zu bringen und seine Autorität zu festigen.
Insgesamt war das Werk Karls V. so
bedeutend, dass es "die erste Rückeroberung" in die Geschichte eingegangen
ist.
Leider standen Diplomatie und Finanzpolitik in einem
unheilvollen Gegensatz zu seinen unbestreitbaren militärischen Erfolgen.
In der Absicht, die geplante Verbindung zwischen der Tochter des Grafen
von Flandern und dem Sohn Eduards III. zu
verhindern, veranlaßte er die Heirat dieser Prinzessin mit seinem
Bruder Philipp dem Kühnen, Herzog von Burgund.
Um die Zustimmung beider Parteien zu erlangen, mußte er die von Philipp
den Schönen eroberten Gebiete, insbesondere Lille und Douai,
zurückerstatten. Der König hatte geglaubt, Flandern durch die
Verbindung mit Burgund französisch machen zu können. Das Gegenteil
trat jedoch ein: Burgund öffnete sich dem flandrischen Einfluß,
seine Herzöge zogen es vor, in Brügge zu leben, anstatt in Dijon.
So ergaben sich aus der burgundischen Heirat für Frankreich Probleme,
an denen es ein Jahrhundert später fast zugrunde gegangen wäre.
In der Religionspolitik zeigte sich Karl
V. ebenso ungeschickt. Frankreich hatte durch die Übersiedlung
des Papsttums nach Avignon einen bedeutenden Prestigezuwachs erfahren.
Unter den Einfluß der heiligen Katharina von Siena jedoch erwogen
die Päpste eine Rückkehr nach Rom. Auf dem 1378 in Rom zusammengetretenen
Konzil wurde Kardinal Pignano im Konklave als Urban VI. zum Papst gewählt.
Karl
V. ergriff Partei für die französischen Kardinäle
und betrieb die Wahl eines Gegenpapstes, Robert von Genf, der sich Klemens
VII. nannte. Ohne die Unterstützung des Königs vermochte der
Papst nichts, mit seiner Unterstützung aber schien er die Oberhand
zu gewinnen. Die katholische Kirche spaltete sich in zwei Lager, bis das
Konzil zu Konstanz im Jahre 1415 die Einheit wiederherstellte. So trug
Karl
V. einen großen Teil der Verantwortung für das große
abendländische Schisma, wenngleich er in dieser peinlichen Angelegenheit
in gutem Glauben gehandelt zu haben scheint.
Ein letzter Aspekt mag das Bild Karls
V. abrunden. Dieser König, der ein Budget aufgestellt und
der Krone stabile Einnahmequellen verschafft hatte, geriet gegen Ende seines
kurzen Lebens in Zweifel über die Rechtmäßigkeit der von
ihm eingeführten Steuern. Aus diesen Skrupeln heraus schaffte er sie
vor seinem Tode wieder ab und hinterließ dadurch eine um so schwierigere
Lage, als sein Nachfolger erst 12 Jahre alt war, was die mit einer Regentschaft
ohnehin verbundenen Risiken noch erhöhte. Trotz dieser - wenig bekannten
- Fehlhandlungen blieb sein Ruf ungeschmälert, wohl zum Teil dank
der Lobpreisungen der Geschichtsschreiber und mehr noch deshalb, weil er
der Anarchie ein Ende gesetzt hatte, die er bei seinem Regierungsantritt
vorgefunden hatte und die nach seinem Tode wieder Raum griff. Dadurch genießt
die Zeit des inneren Friedens unter seiner Regierung ein übertrieben
erscheinendes Renommee.
Veldtrup Dieter:
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„Zwischen Eherecht und Familienpolitik“
Karl V. der Weise König von Frankreich
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* 21.1.1337, + 16.9.1380
Vincennes Chateau de Beaute bei
Vincennes
Begraben: Abtei Saint-Denis bei Paris
Sohn von König Johann II. dem Guten und seiner 1.
Frau Bona von Luxemburg-Böhmen
~ Lyon 7.1349, oo Tain-en-Viennois 8.4.1350
Johanna von
Bourbon
* 3.2.1338,
+ 6.2.1377
Bois de Vincennes
Paris
Begraben: Abtei Saint-Denis bei Paris
Tochter von Herzog Peter I. und der Isabella von Valois
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Verwandtschaft mit Johanna von Bourbon
Karl Graf von Valois
12.3.1270-15.12.1325
----3.----------------------------------------------------------1.------
Isabella von Valois
Philipp VI. König von Frankreich
1313-26.7.1383
1293-22.8.1350
oo Peter I. Herzog von Bourbon
1311-19.9.1356
---
---
Johanna von Bourbon
Johann II. der Gute König von Frankreich
3.2.1338-6.2.1377
26.4.1319-8.4.1364
----
------------------------------------------------------- oo ---- Karl
V. König von Frankreich
21.1.1337-16.9.1380
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
8.4.1350
oo Johanna von Bourbon, Tochter des Herzogs Peter
I.
3.2.1338-6.2.1377
Cousine
Vincennes Paris
Kinder:
Johanna
9.1357-21.9.1360
Bona
-7.11.1360
Johanna
7.6.1366-21.12.1366
Karl VI. der Wahnsinnige
3.12.1368-21.10.1422
Marie
27.2.1370- 6.1377
Ludwig I. Herzog von Orleans
13.3.1372-23.11.1407
Isabella
1373- 1378
Katharina
4.2.1377- 10.1388
5.8.1386
oo Johann II. Herzog von Berry
- vor 15.6.1416
Illegitim
Johann "von Montaigu"
1363- 1409 hingerichtet
Oudard "d'Attainville"
- nach
1415
Literatur:
-----------
Calmette, Joseph: Die großen Herzöge
von Burgund. Eugen Diederichs Verlag München 1996 Seite 41,44-51,63,65,70,76,84,102,117,
119,126,135,185,219,223,41,251,309 - Ehlers Joachim: Geschichte
Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer GmbH 1987 Seite 227-230,232-234,241-249,251-262,268,270-272,279,281,290,292-295,371,378
- Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller
Bernd: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis
Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München 1996 Seite 9,264,267,270,
274-283,284-302,303,305,308,320 - Favier, Jean: Frankreich im Zeitalter
der Landesherrschaft 1000-1515. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989
Seite 118,243,252,293,296,306,319,321,324,327-330,332,337,340-354,358,360-363,365,367,
372,412,419,452 - Hoensch, Jörg K.: Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche
Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308-1437. Verlag W. Kohlhammer
2000 Seite 151,160,171,194,202,208,316 - Hoensch, Jörg K.:
Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit 1368-1437. Verlag
C.H. Beck München 1996 Seite 17,23,41,549,553 - Jurewitz-Freischmidt
Sylvia: Die Herrinnen der Loire-Schlösser. Königinnen und Mätressen
um den Lilienthron. Casimir Katz Verlag, Gernsbach 1996 Seite 10,12,18,64,149
- Le Goff Jacques: Ludwig der Heilige, Klett-Cotta Stuttgart 2000
Seite 73,108,367,500,513,518,649,668,791 - Schnith Karl: Frauen
des Mittelalters in Lebensbildern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1997
Seite 348,352, 356-358 - Taillandier Saint-Rene: Heinrich IV. Der
Hugenotte auf Frankreichs Thron. Eugen Diederichs Verlag München 1995
Seite 218, 235,257,370,422,465 - Treffer Gerd: Die französischen
Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert)
Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1996 Seite 21,186,189,191,198,206,247
- Tuchmann Barbara: Der ferne Spiegel. Deutscher Taschenbuch Verlag
München 1995 Seite 145,153,157, 161,165,175,178,189,220,229,241,248,259,275,298,301,305,310,314,322
- Vones Ludwig: Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter
711-1480. Reiche - Kronen - Regionen. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen
1993 Seite 175,191 -
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller
Bernd: Seite 285-302
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"Die französischen Könige des Mittelalters"
Heinz Thoma
KARL V., König von Frankreich 1364-1380
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* 21.1.1338, + 16.9.1380
Vincennes Beaute bei Vincennes
Beigesetzt am 26.9.1380 in St-Denis
1349 Graf von Vienne (Dauphin)
1355 Herzog der Normandie
1356 Statthalter des englischer Gefangenschaft geartenen
Vaters
1358 Regent
Salbung und Krönung in Reims am 22.5.1364
Vater:
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Johann II. König von Frankreich
Mutter:
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Bonne (Guta) von Luxemburg-Böhmen(* 20.5.1315, +
11.9.1349), Tochter König Johanns von Böhmen undd er Elisabeth
von Böhmen
Geschwister:
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Ludwig, Graf (1350) und Herzog von Anjou (1360), König
von Sizilien-Neapel (1383) (* 23.7.1339, + 21.9.1384)
Johann, Herzog von Berry nd Auvergne (* 30.11.1340, +
15.6.1416)
Philipp der Kühne, Herzog von Burgund (* 15.1.1342,
+ 27.4.1404)
Johanna (* 24.6.1343, + 3.11.1373), Gemahlin König
Karls II. von Navarra
Maria (* 18.9.1344, + 10.1404), Gemahlin Herzog Roberts
von Bar
Margarete (* 20.9.1347, + 25.4.1352)
Isabella (* 1.10.1348, + 11.9.1372), Gemahlin des Herrn
von Mailand, Gian Galeazzo Visconti
oo 8.4.1350 in Tain-en-Viennois
JOHANNA VON BOURBON
* 3.2.1338, + 6.2.1377
Tochter des Herzogs Peter I. von Bourbon (* 1311, + 19.9.1356) und der Isabella von Valois (* 1313, + 26.7.1383 )
Kinder:
---------
Johanna (* 9.1357, + 21.9.1360)
Bonne (* , + 7.11.1360)
Johanna (* 7.6.1366, + 21.12.1366)
Karl VI. König von Frankreich (* 3.12.1368, + 21.10.1422)
Maria (* 27.2.1370, + 6.1377)
Isabella (* 1373, + 1378)
Ludwig (* 13.3.1372, + 23.11.1407) 1376 Graf von Valois,
1386 Herzog von Touraine, 1392 Herzog von Orleans
Katharina (* 4.2.1377, + 10.1388)
Karls erster Auftritt
auf der politischen Bühne war ein für die Geschichte des französischen
Königtums epochales Ereignis: Am 16. Juli 1349 verzichtete der Dauphin
Humbert II. in Lyon auf sein Fürstentum, die Grafschaft Vienne,
und investierte damit den Enkel König Philipps
VI. So wurde Karl zum ersten
Dauphin aus dem Königshaus. Der bereits zum Titel der Grafen von
Vienne avancierte Tiername Delphin wurde freilich erst unter Karls
gleichnamigem
Sohn und dann unter seinem Enkel Karl VII. zur
quasiamtlichen Bezeichnung des Thronfolgers. Im Zusammenhang mit der Übernahme
der Grafschaft stand Karls
Verlobung
mit der nahezu gleichaltrigen Johanna,
Tochter Herzog Peters von Bourbon:
Die Hälfte von deren Mitgift - 100.000 fl. - war zur Begleichung des
Kaufpreises für den Dauphine bestimmt. Die Hochzeit wurde ein Jahr
später, am 8. April 1350, in Tain an der Rhone gefeiert.
Johanna
muß
eine sehr schöne Frau gewesen sein, die allerdings des öfteren
von Unwohlsein befallen wurde und zumindest einmal Anzeichen einer Geisteskrankheit
erkennen ließ. Das erste Kind, eine nach der Mutter benannte Tochter,
wurde ein Jahr nach der Katastrophe von Poitiers, neun Monate nach Karls
Rückkehr von der Reise zum Kaiser nach Metz im September 1357 geboren.
Johanna
und
ihre etwa ein Jahr jüngere, auf den Namen der Großmutter
Bonne
getaufte Schwester starben kurz nacheinander im Herbst 1360, unmittelbar
vor der Rückkehr von Karls Vater
aus der englischen Gefangenschaft.
Karl hat sein erstes
Fürstentum kurz nach dem Tode des Großvaters verlassen und es
zeitlebens nicht wieder betreten: Der Dauphine wurde von nun an durch Statthalter
verwaltet. Selbständig hätte Karl die
Grafschaft fürs erste ohnehin nicht regieren können: Zwar wurde
er bei Gelegenheit von Johanns Krönung
in Reims am 26. September 1350 zum Ritter gemacht, jedoch scheint der Vater
gezögert zu haben, die Geschäftsfähigkeit des Sohnes durch
eine Mündigkeitserklärung zu dekretieren. Erst der mit dem Mord
am Konnetabel von La Cerda (Februar 1354) ausgebrochene Konflikt mit Karl
von Navarra scheint eine Änderung seiner Position bewirkt
zu haben: Der Vater gewährte ihm zunächst die Grafschaft Poitiers
als Apanage, die Ende 1354 durch das Herzogtum Normandie ersetzt
wurde.
Im März 1355 wurde der Thronfolger vom Vater als
dessen Statthalter in dieses von den Engländern bedrohte Fürstentum
geschickt, um die Stände zur Zahlung einer Subsidie zu veranlassen.
Spätestens im September muß Karl von
Navarra im Bunde mit Robert Le Coq sein Komplott gegen
König Johann geschmiedet haben. Mit welchen Argumenten
die beiden den Dauphin für das Vorhaben zu gewinnen wußten,
bleibt im dunkeln. Der Vater, so soll Le Coq ihm suggeriert haben, hege
Haß gegen ihn. Das Motiv dieses Hasses wird nicht genannt. Sicher
ist aber, dass der Bischof die Gerüchte um den Tod von
Karls Mutter ins Spiel brachte undJohann
des
Mordes an seiner Gemahlin bezichtigte: Wurde dabei dem Vater unterstellt,
Karls
Existenz als Folge eines Ehebruchs zu verdächtigen? Der unversöhnliche
Groll, mit dem Karl
später Le
Coq verfolgte, läßt jedenfalls auf ein sehr tief sitzendes Ressentiment
gegen den Bischof schließen.
Die Verschwörer haben Karl
offenbar
einzureden gewußt, dass er die Hauptperson des Komplotts sei und
dessen erstes Ziel ins einer Flucht zum Kaiser nach Prag bestehen solle,
wobei ihn sein Schwager von Navarra begleiten würde. Kurz vor dem
Beginn des Unternehmens hat Karl
dem
Vater seine Absichten offenbart. Dieser scheint sich mit dem Geständnis
des Sohnes zufriedengegeben zu haben - oder er tat so, als ob er die Geschichte
glaube und tatsächlich den Sohn als den Hauptschuldigen ansehe. Jedenfalls
hat er ihm spätestens am 7. Dezember verziehen und das Herzogtum Normandie
definitiv übertragen. Danach scheint es weitere Überlegungen
gegeben zu haben: Am 6. und am 23. Januar 1356 gewährte der König
dem Sohn und seinen Komplizen, darunter auch Karl
von Navarra und dem normannischen Grafen Johann von Harcourt,
in Gestalt von zwei Gnadenbriefen Straffreiheit für das gescheiterte
Unternehmen.
Ohne dass es eine ausdrückliche Erklärung darüber
gegeben zu haben scheint, galt Karl nunmehr,
mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, als volljährig. Er begab
sich in sein Herzogtum, um hier die Huldigung der Vasallen entgegenzunehmen.
Am 5. April 1356 kam es in Rouen zu dem schrecklichen, in der Skizze von
Johanns
Biographie
geschilderten Drama:
Karls Vater überfiel
den im Schloß an der Tafel des Sohnes versammelten Adel der Normandie.
Karl
von Navarra wurde gefangengesetzt, Graf Johann von Harcourt
zusammen mit drei anderen Herren in Karls
Gegenwart enthauptet. Es folgten die Allianz Philipps
von Navarra mit den Engländern sowie die Schlacht bei Maupertuis,
in deren Verlauf
Karl von mit seinem
Schutz beauftragten Herren in Sicherheit gebracht wurde. Am 29. September
1356 zog er als Generalstatthalter des Königs in Paris ein
und übernahm die Regierung des Landes.
Christine de Pisan, die allerdings erst 1368 nach Paris
kam, hat Karls äußere Erscheinung,
so beschrieben: "Sein Körper war gerade gewachsen, groß und
wohlgestaltet, breit in den Schultern, schmal in den Hüften. Der König
hatte kräftige Arme und schöne Gliedmaßen... Das Gesicht
war schön, ein wenig länglich. Er hatte eine ausgeprägte
Stirn, bogenförmige Augenbrauen. Auch die Augen hatten eine schöne
Form, waren gut plaziert, kastanienbraun und ruhig beim Blick. Die Nase
war recht lang, der Mund nicht zu klein und mit feinen Lippen. Ein wenig
zeichneten sich die hohen Wangenknochen ab. Der König trug einen Bart,
das Haar weder blond noch schwarz, die Haut war hellbraun, das Gesicht
eher ein wenig blaß. Ich glaube, dass dies sowie die schmale Gestalt
von einer Krankheit verursacht waren und eigentlich nicht seiner sonstigen
Erscheinung entsprachen." Karl war
in der Tat wie sein Vater von sehr kränklicher Konstitution, litt
vermutlich wie sein Oheim, Kaiser KARL IV.,
an der Gicht. Eine wandernde Fistel, anfangs im linken Arm,
muß ihm zeitweise arg zugesetzt haben. Anders als der im Alter etwas
füllig gewordene Vater Johann II.
hat Karl auch in seiner hochgewachsenen
Gestalt den Zeitgenossen das Bild eines wahrhaften Edelmannes vermittelt.
Johann der Gute hatte
sich in der Schlacht so verhalten, wie er es seinen Sternrittern zur Pflicht
gemacht hatte, während der Thronfolger, wie einst sein Großvater
Philipp,
noch vor der Niederlage davongeritten war. Die Kritik am Verhalten der
französischen Armee konzentrierte sich zwar auf den Adel und Karls
Onkel
Philipp
von Orleans, aber ritterlichen Ruhm hatte der Thronfolger ganz
anders als sein Bruder Philipp nicht
an sein Banner geheftet. Er war mithin zum Zeitpunkt, da er die Regierung
Frankreichs übernahm, für die Masse der Bevölkerung ein
Jüngling, der geflohen war, während der Vater in Gefangenschaft
geriet; dem Adel aber galt er obendrein noch als unreifer, leicht beeinflußbarer
und daher unzuverlässiger Sproß einer Sippe, deren Häupter
das Königreich binnen eines Jahrzehnts zweimal in eine Katastrophe
geführt hatten.
Zunächst war es erforderlich, die Gelder für
eine neue Armee aufzubringen. Nicht der Statthalter, sondern der königliche
Conseil berief am 27. September die Stände ein, die am 17. Oktober
im großen Saal des Parlaments zusammentraten: Klerus, Adel und der
Rest, das heißt im wesentlichen die Vertreter der königlichen
Städte. Der Name "Generalstände" für eine derartige Versammlung
ist zwar erst aus dem Jahre 1484 bezeugt, wäre jedoch auch für
einige der voraufgegangenen Konvente zutreffend gewesen, ganz gewiß
aber für die vom Oktober 1356. Karl wurde
sofort vor Augen geführt, dass es diesmal nicht nur um die Bewilligung
von Sondersteuern gehen werde. Zwei Gruppierungen traten hervor, ein Teil
der Kaufmannschaft unter dem Vorsteher der Pariser Kaufmanns Gilde, dem
"pevot des marchands" Etienne Marcel, sowie eine Adelsfronde, die in dem
nach wie vor inhaftierten Karl von Navarra
eine Alternative zum Dauphin oder zum gefangenen König selbst sah.
Wortführer dieser Partei war König Johanns
einstiger Günstling Robert Le Coq. Etienne Marcel vertrat demgegenüber
eine dem Hause VALOIS durchaus gewogene
Haltung: Ihm und seiner Klientel ging es zunächst einmal um eine Konsolidierung
der Finanzen, die nur durch eine dauerhafte Kontrolle des königlichen
Monopols im Geldwesen und darüber hinaus der gesamten Regierung des
Landes gewährleistet schien. Man einigte sich auf eine Kommission
von 80 Vertretern (elus), deren Funktion man mit der eines modernen Parlaments
vergleichen kann. Der Statthalter wurde aufgefordert, die königlichen
Amtsträger zu entlassen. Zwar räumte man ihm das Recht ein, die
neuen Räte selbst auszuwählen, allerdings nur aus dem Kreis der
Ständevertreter. Außerdem beschlossen diese die Periodizität
ihrer Tagungen: zweimal im Jahr wollten sie sich versammeln, bei Bedarf
waren zusätzliche Tagungen vorgesehen. Le Coq insistierte unterdessen
auf der Freilassung des nach wie vor inhaftierten Königs von Navarra.
Der Thronfolger entzog sich seit dem 3. November weiteren
Pressionen durch eine Reise zu seinem Oheim, dem römischen
Kaiser KARL IV., der gerade einen Hoftag nach Metz ein berufen
hatte, um hier den zweiten Teil der Goldenen Bulle zu verkünden. Im
Grunde war der Kaiser noch immer mit Eduard III.
verbündet, denn seine im Frühjahr 1348 geschlossene Offensivallianz
hatte er nie aufgekündigt, indes war er auch nie in die Verlegenheit
versetzt worden, den vorgesehenen Verpflichtungen nachkommen zu müssen.
Unmittelbar nach der Kaiserkrönung hatte er einen von ihm bereits
besiegelten Vertrag nach Paris geschickt, den König
Johann jedoch wegen einiger ihm zugemuteter Konzessionen nicht
akzeptierte und im Mai 1356 mit einem eigenen Entwurf beantwortete, der
in vager Form den Status quo beider Reiche garantieren sollte, ohne die
von KARL IV. benannten konkreten Streitpunkte
zu berücksichtigen. Der Kaiser nutzte jetzt die veränderte Lage,
indem er einige kleinere Probleme im Grenzraum zwischen Regnum und Imperium
bereits vor der Ankunft des Neffen in seinem Sinne regelte. Als
Karl dann am 23. Dezember zusammen mit dem Kardinal Helie Talleyrand
von Perigord in Metz erschien, wurde ihm bedeutet, dass eine Bestätigung
des französischen Vertragsentwurfs erst nach Regelung zweier Vorbedingungen
erfolgen könne: Er habe für die Grafschaft Vienne persönlich,
der noch minderjährige Herzog Philipp von
Burgund durch einen Stellvertreter für die Grafschaft Burgund
die Huldigung zu leisten. Beides geschah am Weihnachtsfest 1356. Am selben
Tag wurde Karl die Ehre zuteil, im
Metzer Teil der Goldenen Bulle als Zeuge für die Verkündigung
dieses Reichsgrundgesetzes erwähnt zu werden. Erst drei Tage später
ließ der Kaiser den Vertrag mit König
Johann besiegeln. Obendrein gewährte er dem Neffen eine
Anleihe von 50.000 fl. In den Tagen von KARLS
IV. Vater war das noch ganz anders gewesen: Da hatte der König
von Frankreich gezahlt und derjenige von Böhmen als Söldner gedient
- bis hin zur Opferung seines Lebens.
Am 14. Januar 1357 war Karl
wieder in Paris. Als erstes hatte er eine zuvor dekretierte Geldentwertung
zu widerrufen, am 3. März fügte er sich den Forderungen der Stände,
entließ die alten Räte, garantierte die Periodizität der
Ständetage, versprach Sparsamkeit bei Regierung und Hofhaltung und
erhielt dafür die Zusage einer Sondersteuer in Höhe von 5 Millionen
Pfund, die allerdings von den Ständen selbst erhoben werden sollte
und zur Besoldung von 30.000 Schwergewappneten vorgesehen war. Als Erfolg
konnte der Dauphin verbuchen, dass der Fall seines Schwagers von Navarra
offenbar als quantite negligeable angesehen wurde: Der König blieb
weiterhin in Haft.
Bei der schon sehr weit fortgeschrittenen Institutionalisierung
der französischen Monarchie war es kaum zu vermeiden, die verwaisten
Ämter mit neuen Leuten zu besetzen, wobei aber auch Marcel Können
und Erfahrung als Einstellungskriterien nicht missen wollte. So wurde zum
neuen Kanzler der Bischof von Therouanne, Gilles Aycelin de Montagut, bestellt,
der sich dann als loyaler Diener der Valois erwies, obwohl der Dauphin
ihm mit einiger Reserve begegnet zu sein scheint. In Karls
Umkreis
dominierten nach dem Sturz der alten Räte die Militärs: Die Marschälle
von Normandie und Champagne, Robert von Clermont und Johann von Conflans,
nahmen dabei eine herausragende Position ein.
Mittlerweile waren die Verfassungsänderungen in
London bekannt geworden, woraufhin König
Johann die Aufhebung der Stände dekretierte. Indes war
dieses Mandat schwerlich der entscheidende Grund dafür, dass die ständische
Bewegung in den folgenden Monaten ins Stocken geriet. Die relative Ruhe
fand ihr jähes Ende, als in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1357
Karl
von Navarra gewaltsam befreit wurde. Wenig später erschlug
in Paris ein Anhänger von Etienne Marcel einen Schatzbeamten des Dauphin.
Der Mörder wurde von Leuten des königlichen Prevot ergriffen
und aufgehängt. Die Beisetzungen von Täter und Opfer gerieten
zu Parteidemonstrationen. Marcels Leute präsentierten sich in rot
und hellblau gefärbten Hüten. Am 22. Februar 1358 tobte der Aufruhr
durch die Straßen. Ein königlicher Anwalt wurde umgebracht,
dann stürmte ein Trupp unter Marcel das Palais. In Karls
Gegenwart wurden seine wichtigsten Vertrauensleute, die Marschälle
Robert von Clermont und Johann von Conflans, massakriert. Marcel soll dem
Dauphin dazu erklärt haben: "Herr, fürchtete Euch nicht vor dem,
was Ihr seht. Das ist so angeordnet und es ist gut so."
In den folgenden Tagen versuchte er, seine Stellung durch
Absprachen mit Städten im Umkreis von Paris zu sichern. Währenddessen
änderte der Dauphin seinen Titel: Er bezeichnete sich nicht mehr als
Statthalter des Königs, sondern als Regent des Königreichs. Damit
mag er beabsichtigt haben, seine Macht auf eine eigene Basis zu stellen,
um neuerlichen Einsprüchen des Vaters einen Riegel vorzuschieben.
Es kann sein, dass Marcel ebenfalls diesen Vorteil erkannte und die ohne
seine Zustimmung kaum mögliche Änderung des Titels akzeptierte.
Mitte März aber vollzog Karl den Bruch mit dem Revolutionär,
flüchtete aus der Hauptstadt aufs Land und demonstrierte seine Freiheit
durch die Ernennung des Jean de Dormans zum "Kanzler des Regenten", während
Montagut weiterhin den Titel "Kanzler von Frankreich" führte.
Karl fand sofort
Unterstützung beim Adel der Pikardie, des Artois und der Champagne,
wo die Ermordung des Marschalls Conflans Empörung ausgelöst hatte.
Marcel scheint zunächst noch gehofft zu haben, angesichts der Machenschaften
Karls von Navarra den Regenten zum Einlenken bewegen zu können und
versicherte ihn seiner Loyalität. In diese ohnehin aufs äußerste
gespannte Situation platzte ein weiterer Aufruhr: Am 28. Mai erschlugen
bei dem Dörfchen St-Leu-d'Esserent nahe Chantilly einige Bauern vier
Ritter und fünf Edelknechte, die Abgaben einzutreiben oder - was aufs
selbe hinauslief - zu plündern versuchten. Die Tat löste innerhalb
weniger Tage den ersten großen Bauernaufstand Frankreichs aus, die
Jacquerie, so genannt nach dem damaligen Spitznamen für die Bauern,
Jacques Bonhomme - wobei der Name Jacques zugleich das charakteristische
Kleidungsstück des Landmanns, die "jacque", bezeichnet. Erfaßt
wurden das Pariser Becken, Teile der Pikardie und Champagne bis hin nach
Lothringen. Geführt wurde der Aufstand kaum von armen Bauern, sondern
von reicheren Grundbesitzern. Einer ihrer Führer, Guillaume Cale,
verfügte über militärische Erfahrungen, indes erwies er
sich gegenüber den Gegnern als zu treuherzig: Karl
von Navarra, der rasch die Gelegenheit erkannte, sich als Retter
der adeligen Ordnung zu erweisen, nahm ihn unter Bruch freien Geleits gefangen
und ließ dann das Bauernaufgebot niedermetzeln. Das geschah bereits
am 10. Juni, zwei Wochen nach dem Beginn des Aufruhrs. Schon diese kurze
Zeitspanne läßt Skepsis angebracht erscheinen, ob die Horrorberichte
über die zahllosen Morde der Bauernbanden nicht als Propagandaprodukte
der Sieger zu werten sind, da diese allein über den Verlauf der Ereignisse
berichten konnten.
Indes hat der Aufstand enormes Aufsehen erregt und weitreichende
Auswirkungen gehabt, die am Ende freilich nicht Karl
von Navarra, sondern dem Regenten zugute kamen. Etienne Marcel
seinerseits verbündete sich zwar nicht mit den Bauern, nutzte aber
die Lage dazu, einige Besitzungen des Adels im Umkreis von Paris verwüsten
zu lassen. Den Städten, auf deren Hilfe er hoffte, versuchte er einzureden,
der Dauphin habe sich an die Spitze des Adels gesetzt, um den Nichtadel
zu verderben. Dem wolle sich der König von Navarra nicht anschließen.
Er selbst mißbillige das Wüten der Bauern, wobei er darauf verweisen
konnte, dass Tausende von Adeligen in Paris Zuflucht gefunden hatten.
Karl von Navarra war
am 14. Juni in der Hauptstadt erschienen und von Marcel zum Hauptmann ausgerufen
worden, was den König bei einem Großteil des Adels um jeden
Kredit brachte. Die Kreise der Pariser Bevölkerung, die bis dahin
Marcels Politik neutral begegnet waren, trieb der Navarrese ins Lager seiner
Gegner, als er Söldner, darunter einige Engländer, in die Stadt
einrücken ließ, deren Treiben bereits nach 10 Tagen zu Unruhen
führte. Marcel und sein Kapitän versuchten, die Leute zu beschwichtigen,
aber am 31. Juli wurde er während einer gut vorbereiteten Revolte
umgebracht. Am 4. August konnte der Regent wieder in die Hauptstadt einziehen.
Den Racheaktionen der ersten Tage fielen manche Anhänger Marcels zum
Opfer. Danach aber erließ Karl eine
allgemeine Amnestie, die allerdings dem Kanzler des Königs von Navarra
nichts half: Beim Transport in ein geistliches Gefängnis wurde er
totgeschlagen.
In mancher Hinsicht wirkt Etienne Marcels Umsturzversuch
wie die Vorwegnahme der Großen Revolution von 1789: Da war das auslösende
Moment, die Finanzkrise, da war das Ziel einer Einschränkung der monarchischen
Allgewalt, da gab es den Treibsatz, die Großstadt Paris, die sich
- ob sie nun 200.000 Bewohner hatte oder nur 80.000 - zu einem nur schwer
beherrschbaren Moloch entwickelt hatte, und es gab die Revolte der Bauern
auf dem Land. Aber daneben lassen sich selbstverständlich auch enorme
Unterschiede zu den Vorgängen am Ende des 18. Jahrhunderts registrieren:
das Einebnen der Schranken zwischen den Ständen war um 1358 wohl noch
ganz unvorstellbar. Karl von Navarra
war kein Mirabeau, und einen Abbe Sieyes hat Marcel nicht vorgefunden.
Die Revolution von 1789 gründete in einer über Jahrzehnte hinweg
entwickelten theoretischen Basis. Etienne Marcel versucht zwar gelegentlich,
sein Tun als Fürsorge für das gesamte Königreich zu rechtfertigen,
aber eine umfassende politische Ideologie hat er nicht kreieren, geschweige
denn verbreiten können. So blieb und bleibt die Revolte von 1358 zu
Recht allein mit seinem Namen verknüpft.
Der erwähnte Mord an dem Kanzler des Königs
von Navarra erklärt sich aus der Haltung von dessen Herrn: Der außerhalb
von Paris verbliebene König hatte sich unmittelbar nach dem Verlust
der Stadt den Engländern in die Arme geworfen, für die er freilich
kaum mehr als eine Schachfigur im Spiel gegen den Regenten war. Das scheint
der Navarrese schon bald eingesehen haben, jedenfalls wurde im Juli 1359
ein Vertrag ausgehandelt, und wenig später kam es in Pontoise zu einem
rührseligen Treffen beider Kontrahenten: Karl
von Navarra erklärte, von nun an ein "bon Francois" sein
zu wollen. An dieser Loyalitätserklärung erhoben sich allerdings
schon im Dezember Zweifel, als in Paris eine Verschwörung gegen den
Regenten aufgedeckt und der Verdacht geäußert wurde, dass Karls
Schwager
der Drahtzieher gewesen sei.
Nur wenige Wochen nach dem Vertrag von Pontoise eröffnete
Eduard
III. aufs neue den Krieg: Der König, der Schwarze Prinz
und Herzog Heinrich von Lancaster führten
gleich drei Armeen ins Feld, die im Herbst die Champagne heimsuchten, bis
nach Burgund und in die Umgebung von Paris vorstießen. Indes brachte
auch dieser Feldzug keine strategische Entscheidung. Mitte April begannen
Verhandlungen, die am 8. Mai 1360 in Bretigny zum vorläufigen Frieden,
zur Freilassung des Königs und damit zum Ende von Karl
Regentschaft
führten. Der Thronfolger verlor fürs erste nahezu jeden Einfluß
auf die Regierung des Landes, das er in den voraufgegangenen Jahren durch
bis dahin kaum für möglich gehaltene Stürme geführt
hatte.
Ein Erbe aus der Regentenzeit sollte den zurückgekehrten
Vater, von 1364 an aber auch Karl selbst
wieder, vor allem aber die Bevölkerung des besiegten Landes in fast
unerträglicher Weise bedrängen: die nach dem Waffenstillstand
von 1357 umherstreifenden Söldner, die sich ihre Einkünfte nun
auf eigene Faust besorgten. Als vereinzelter Straßenräuber hätten
sie keine ungewöhnliche Gefahr dargestellt, aber sie traten als geschlossene
Einheiten, als Kompanien in Erscheinung, die, von oft adeligen und stets
kriegserfahrenen Hauptleuten geführt, ganze Landstriche ihrer Herrschaft
unterwarfen und die Bewohner fast wie Sklaven hielten. Jean Froissart,
der große Chronist der Zeit, rühmte die ritterlichen Tugenden
einiger dieser Herren über die Maßen. Besonders schätzte
er den Hennegauer Eustache d'Auberchicourt, der 1359 die Champagne ausplünderte
und zugleich wegen seiner Romanze mit einer jungen Witwe aus dem Hause
JÜLICH das Interesse der vornehmen Welt auf sich zog. Im Juni 1359
wurde Eustache vom Statthalter des Herzogs von Lothringen, Burchard von
Fistingen, gefangengenommen, wenig später aber von seinen Leuten für
22.000 fl. ausgelöst. Da der Regent den mit dem Fistinger vereinbarten
Sold nicht zahlen konnte, malträtierte nun dieser die Bewohner der
O-Champagne noch ärger als zuvor Auberchicourt und zog sich erst zurück,
als ihm die Zahlung von 90.000 fl. zugesagt wurde. Der berüchtigste
dieser Söldnerführer, Arnold von Cervole, sollte ursprünglich
Kleriker werden und verdankte einer früh erworbenen Pfründe seinen
Kriegsnamen "Erzpriester". Zunächst diente er als Söldner des
Königs, wurde dann Hauptmann eines den "Grandes Compagnies" zugerechneten
Trupps und plünderte 1357/58 in der Provence, was ihm den Zorn des
Papstes zuzog. Aber Herren wie erließen sich vom Kirchenbann noch
weniger schrecken als in den Jahrhunderten zuvor die Könige und Kaiser
der Christenheit. Gefährlicher waren da die eigenen Kumpane: 1366
brachte einer von ihnen den "Erzpriester" um.
Der Thronfolger trat auf königlicher Ebene erst
wieder Erscheinung, als sein Vater in Herbst 1362 eine Reise in den Süden
unternahm, um die burgundische Erbschaft zu sichern. Johannernannte
den Sohn zum Statthalter, jedoch scheinen die in Paris verbliebenen
Räte des Königs die Ordonnanz anfangs ignoriert zu haben. Karl
konzentrierte inzwischen sein Interesse auf die Normandie, wo der von ihm
zum Hauptmann ernannte Bertrand Du Guesclin zusammen mit Philipp
von Navarra gegen englische Briganten operierte. Als kurz nach
Philipps
frühem
Tod (29. August 1363) König Johann
das nach Ansicht
Karls von Navarra
ihm zustehende Herzogtum Burgund definitiv auf seinen Sohn
Philipp übertrug, war ein Wiederaufflammen der Fehde mit
dem Navarresen abzusehen. Es war der Thronfolger, der sie in Abwesenheit
des Vaters eröffnete: Anfang April 1364 befahl er Du Guesclin, die
festen Plätze Karls von Navarra
in der Nähe von Paris zu nehmen. Mantes und Meulan wurde erobert.
Am 16. April erreichte die Nachricht von König
Johanns
Tod Paris, am Tage danach urkundete Karl
zum
ersten Mal als König und ließ wenig später die navarresische
Besatzung von Mantes, die ihn vor ihrer Gefangennahme verhöhnt hatten,
nach Paris führen und wegen Beleidigung der königlichen Majestät
exekutieren.
Karl hat von Anfang
an kaum einen Zweifel daran gelassen, dass er die Nachfolge des Vaters
antreten werde. Ein gewisses Zögern gegenüber den von
Johann II. eingesetzten oder bestätigten Amtsträgern
erklärt sich möglicherweise aus der noch ungesicherten Lage im
Kampf gegen Karl von Navarra. Am 22.
Mai fanden Salbung und Krönung in Reims statt. Am Tage zuvor soll
frohe Botschaft eingetroffen sein: Du Guesclin hatte am 16. Mai Karls
von Navarra Heerführer, den Captal von Buch, Jean de Grailly,
einen Sieger von Maupertuis, bei Cocherel geschlagen und gefangengenommen.
Christine de Pisan hat die Weihe von Reims als Wendepunkt
in Karls Leben erscheinen lassen: Der
König habe sich von den Sitten der Jugend abgewandt, die Augen geöffnet
und die Lage seines geschlagenen, verzweifelten Volkes und Reiches erkannt.
Diese Deutung gehört zu dem Königskult, wie er in Karls
Umkreis kreiert und verbreitet wurde. Karl hat
der Propagierung von Rang und Würde seines Herrschertums einen enormen
Wert beigemessen: Miniaturmaler, Literaten und Historiographen sorgten
in seinem Auftrag dafür, seine majestätische Erscheinung, seine
Weisheit, seine Leistungen ins rechte Licht zu setzen. Der theoretischen
Untermauerung der Herrschaft widmete er große Aufmerksamkeit. So
ließ er Nicolas Oresme, der in den Tagen Johanns
II. einen Traktat zugunsten der Unantastbarkeit des Geldes geschrieben
hatte, die einschlägigen Werke des Aristoteles ins Französische
übersetzen. Raoul de Presles, vom König legitimierter Sohn eines
Klerikers, sorgte für eine Übersetzung der "Civitas Dei" des
Augustinus und einiger Staatsschriften aus der Zeit Philipps
IV. Philippe de Mezieres, einst Kanzler des Königs von
Zypern, später Verfasser eines großen, dem jungen Karl
VI. gewidmeten Königsspiegels, gehörte zu Karls
V. bevorzugten Gesprächspartnern. Dem Interesse an der
Sternkunde verdankte Karl einen nicht
unbedeutenden Teil seines Nachruhms: Mit ihrem Vater, einem in Venedig
tätigen Mediziner und Astrologen, kam 1368 die damals dreijährige
Christine de Pisan an den Pariser Hof, wo sie die Eindrücke empfangen
sollte, die sie 1404 im "Livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles
V." festhielt. Kurzum: Karls V. Hof
war ein Zentrum höfisch geprägter Wissenschaft, das im Europa
jener Zeit seinesgleichen suchte. Zum Grundstock der heutigen Bibliotheque
Nationale gehört vor allem auch die von Karl
im
Louvre eingerichtete Büchersammlung. Seine Vorliebe für luxuriöses
und repräsentatives Wohnen schlug sich unter anderem im Ausbau des
Hotel St-Pol nieder, das er gegenüber den mit den schlimmen Erinnerungen
an die Morde von 1358 behafteten Palais auf der Ile-de-Cite bevorzugte.
Im Bereich der Staatsverwaltung knüpfte Karl
nahtlos an die Tradition des Vaters an, die ja teilweise schon die eigene
gewesen war: Jean de Dormans, einst sein Kanzler als Regent, 1361 von
Johann II. als Nachfolger Gilles Aycelins zum Kanzler berufen,
behielt dieses Amt bis 1372. Nach einem kurzen Intermezzo unter Jeans Bruder
Guillaume folgte Pierre d'Orgemont, der seine Karriere bereits unter Philipp
VI. begonnen und unter Johann fortgesetzt hatte. Eine ähnliche
Kontinuität läßt sich auch bei anderen Ämtern und
Würden beobachten. Eine beachtliche Rolle spielte dabei eine Personengruppe
aus Sens um den Erzbischof dieser Stadt, Guillaume de Melun, zu der auch
Orgemont gehörte.
Das Königreich war mit dem Vertrag von Bretigny
beträchtlich verkleinert worden. Zu beachten sind ferner die Folgen
von König Johanns Kindersegen.
Die Ausstattung der jüngeren Söhne mit Apanagen (appanare = mit
Brot versehen) war zwar keine Erfindung der VALOIS,
allerdings nahm diese Tradition nunmehr besorgniserregende Ausmaße
an: Johanns Bruder Philipp(+
1375) bezog aus dem 1342 eigens für ihn geschaffenen Herzogtum
Orleans mehr Einkünfte als der König aus den Regionen der langue
d'oc. Johann hatte die Gefahren der
Apanagen offenbar erkannt und 1362 die Inkorporation der Normandie, Burgunds
und der Champagne in die königliche Domäne dekretiert, verstieß
allerdings sofort wider die eigene Regelung, als er seinen jüngsten
Sohn Philipp mit dem Herzogtum Burgund
belehnte. Alles in allem verblieb dem König ein breiter Streifen von
der Ile-de-France bis zur Grenze an der Maas, der im Norden von der Grafschaft
Flandern begrenzt wurde. Dazu kam das Herzogtum Normandie, das aber entgegen
den Absichten König Johanns seine
selbständige Stellung weitgehend bewahrte. Nicht zu vergessen sind
die Regionen der langue d'oc, insbesondere die Grafschaft Toulouse, sowie
der Dauphine. Indes beschränkte Karl V. seine
Reisen auf einen engen Kreis um Paris, der mit den Städten Rouen,
Chartres, Orleans und Reims umschrieben werden kann. Seinem Bruder Ludwig,
der zugunsten der Engländer auf den Poitou verzichten mußte,
wurde als Herzog von Anjou ein Großteil der nach 1369 zurückgekommenen
Regionen zugeschlagen. Johann und Philipp
erhielten
die Herzogtümer Berry und Burgund.
Auf den ersten Blick unterschied sich der Zustand Frankreichs
kaum noch von dem des römisch-deutschen Reiches, dessen Oberhaupt
sich ja auch mit einem Teil des Landes begnügen mußte, während
der größere Rest unter der Herrschaft der Territorialfürsten
stand. Indes gab es doch beträchtliche Unterschiede: Zum einen waren
im Westen die meisten Fürsten Angehörige der Königsfamilie;
auch Karl von Navarra berief sich auf
die Abstammung von den KAPETINGERN.
Im Osten gab es demgegenüber, trotz aller Verwandtschaft und Verschwägerung,
zumindest drei königsfähige Häuser, die auf ihre Eigenständigkeit
großen Wert legten. Aber das war nicht alles: Der König von
Frankreich verfügte über ein nahezu vollendetes Monopol im Bereich
von Währung und Münze, während im römisch-deutschen
Reich das Münzrecht bereits seit langem praktisch in die Hände
der Fürsten übergegangen war. Außerdem gab es in Frankreich
ein erstaunlich präzise funktionierendes Gerichtssystem, das im Pariser
Parlament seine oberste Instanz hatte. Nur der burgundische Gerichtshof
von Beaune war und blieb ihr gegenüber souverän. Schon während
des von den Kompanien bewirkten Chaos erwies sich das Parlament als schlagkräftiges
Machtinstrument des Königtums, und einige Jahre später sollte
der sich als souveräner Herr des Herzogtums Guyenne wähnende
Schwarze Prinz es mit diesem Gericht zu tun bekommen.
Der Niedergang der Monarchie hatte sich binnen weniger
Monate vollzogen, der Wiederaufbau erwies sich als ein sehr langwieriges
Unterfangen mit manchen Rück- und Fehlschlägen, dessen Erfolge
den Zeitgenossen zum Teil wohl erst im Rückblick erkennbar wurden.
Schon kurz nach dem Triumph über das Aufgebot Karls
von Navarra bei Cocherel (16. Mai) erlitt Du Guesclin eine seiner
nicht eben wenigen Niederlagen: Am 29. September 1364 zog er mit Karl von
Blois, Herzog von Bretagne, in die Schlacht bei Auray und wurde gefangengenommen.
Der Herzog selbst fiel; damit war der Weg frei für den bis dahin von
Eduard
III. unterstützten Johann von Montfort. Zwar erkannte dieser
im Frieden von Guerrande am 12. April 1365 die Lehnshoheit des Königs
von Frankreich an, im Rahmen der Vorbereitungen zur Wiederaufnahme des
Krieges mußte Johann jedoch nahezu zwangsläufig als potentieller
Bundesgenosse Eduards III. eingeschätzt
werden. Einen Monat nach der Übereinkunft mit dem Montfort konnte
auch mit Karl von Navarra Frieden geschlossen
werden. In Pamplona gelobte der König aufs neue, ein "bon Francois"
sein zu wollen, wurde zum Kammerherrn des Königs von Frankreich ernannt
und erhielt als Ausgleich für manchen Verlust die Herrschaft Montpellier.
Diesmal hielt der Friede zwischen Frankreich und Navarra länger als
bis dahin üblich. Karls Schwager
konzentrierte sein Wirken fortan auf das eigene Land und begann erst 10
Jahre später wieder, im Reich Karls V.
als Störenfried aufzutreten, ohne aber nennenswerte Erfolge erzielen
zu können.
Entlang der O-Grenze Frankreichs konnte die dominierende
Stellung des Königtums rasch wiederhergestellt werden: Unmittelbar
nach der Krönung im Reims heiratete Karls
Schwester
Maria
den Herzog Robert von Bar. Drei Jahre später wurde Herzog Johann von
Lothringen für die Untaten einiger seiner Amtsleute vor dem Conseil
zur Rechenschaft gezogen. Den gewichtigsten Erfolg erzielte Karls
Diplomatie
im Norden: Am 19. Juni 1369 heiratete sein Bruder
Philipp
in
Gent Margarete, die Tochter und Erbin Graf Ludwigs von Flandern. Zuvor
hatte Karl mit Hilfe des Papstes gegen
eine Ehe Margaretes mit Eduards III.
dritten Sohn, Johann von Gent, seit
1362 Herzog von Lancaster, gewirkt: Urban V. verweigerte dem Paar die erforderliche
Dispens wegen zu naher Verwandtschaft und verhinderte damit den Übergang
Flanderns an die PLANTAGENET.
Die Genter Hochzeit konnte als Sieg in dem wiederaufgeflammten
Krieg gegen England gefeiert werden. Der Konflikt war zunächst auf
einem Nebenschauplatz fortgesetzt worden: in Spanien, wo Heinrich
von Trastamara, ein unehelicher Sohn König
Alfons' XI., mit seinem Stiefbruder Peter
I. um die Krone Kastiliens kämpfte. Heinrich
konnte mit Hilfe Du Guesclins und seiner "Weißen Kompanie" den mit
Eduard
III. verbündeten Rivalen zunächst zur Flucht in die
Gascogne zwingen und sich krönen lassen. Dann aber schlug ihn der
Schwarze Prinz am 3. April 1367 bei Najera. Du Guesclin geriet wieder einmal
in Gefangenschaft, aus der ihn Karl V.
und einige andere für 100.000 fl. freikaufen mußte. Trastamara
nahm den Kampf wieder auf, erschlug den Bruder (23. März 1369) und
konnte die Krone erfolgreich gegen den mit einer Tochter Peters
verheirateten
Johann
von Gent behaupten.
Inzwischen war der Krieg in Frankreich wieder ausgebrochen.
Es war Karl V. der ihn ausgelöst
hatte. Am 28. Dezember 1368 akzeptierte er die Klage des seit Bretigny
unter englische Oberherrschaft geratenen Grafen Johann I. von Armagnac
gegen die Erhebung einer Sondersteuer. Prinz Eduard
wurde vor den königlichen Conseil geladen, was einen offenen Verstoß
gegen einen der Zusatzartikel des Vertrags von Bretigny bedeutete, wonach
dem König von England die volle Souveränität über die
abgetretenen Gebiete zustehen sollte. Indes war diese Klausel ja nie ratifiziert
worden. Eduard reagierte auf die Vorladung
mit den Worten, er werde in Paris erscheinen, und zwar mit dem Helm auf
dem Kopf. Am 2. Mai erklärte das Parlament den Prinzen zum Rechtsverweigerer
und verfügte die Konfiskation der von der Krone rührenden Lehen.
Karl V. und seine
Fachleute hatten den Krieg vermutlich von allem Anfang an systematisch
vorbereitet. Dazu gehörte die Sicherung von Städten und Burgen,
die, zum Teil mit Zuschüssen aus königlichen Kassen, besser befestigt
werden sollten, führte zur Preisgabe einiger bereits blühender
Vororte (faubourgs) von Paris, das damit auf den Bereich der großen
Mauern zurückgeworfen wurde. Über die Defensivmaßnahmen
hinaus wurden die Städte angewiesen, in verstärktem Maße
Bogner auszubilden. Die in einigen Städten zu beobachtende Vermehrung
von mit Pulver betriebener Artillerie war zunächst durchaus beachtlich,
indes spielten die Feuerwaffen damals noch eine eher periphere Rolle. Als
bedrohlich mußten die Engländer allerdings den in der Normandie
forcierten Bau von eigens Kriegszwecken bestimmten Galeeren ansehen. Indes
blieb die offenbar ins Auge gefaßte Invasion Englands schon im Stadium
der Vorbereitung stecken, als Johann von Gent
Ende 1369 von Calais aus eine chevauchee in Richtung auf Rouen und Harfleur
begann.
Die Kosten für Vorbereitung und Weiterführung
des Krieges stellten eine enorme Bürde für die Bevölkerung
dar: Im Durchschnitt wurden allein für nahezu ständig unter Waffen
gehaltenen Söldner 800.000 fl. pro Jahr ausgegeben, damit konnten
ab 1369 zwischen 3.400 und 5.200 Mann besoldet werden. Zum Vergleich: Der
Ertrag der Städtesteuer, der einzigen nennenswerten Einkommensquelle
des römischen Kaisers aus dem deutschen Teil seines Reiches, belief
sich um 1370 auf nicht mehr als 13.000 fl. Allerdings gab es hier auch
nicht die zwingende Notwendigkeit der Abwehr eines auswärtigen Feindes,
die es dem Kaiser vielleicht ermöglicht hätte, außerordentliche
Steuern von Untertanen und Vasallen zu verlangen. Demgegenüber verstärkten
in Frankreich Krieg, Chaos und Not die seit langem wirksame Entwicklung
hin zum modernen Staat, der bis heute nicht zuletzt auf einem funktionsfähigen,
dauerhaften Steuersystem ruht.
Zu Beginn der neuen Kämpfe war König
Eduard III. 58 Jahre alt, der Schwarze Prinz zwar erst 40, dafür
jedoch krank. Johann von Gent erstickte
zwar mit seinem Feldzug den Versuch einer Invasion Englands im Keim, aber
die Art, wie er dabei einer Begegnung mit dem ebenso vorsichtig agierenden
Philipp von Burgund auswich, löste in England Entrüstung
aus. Die allmähliche Zernierung der englischen Festlandsbesitzungen
verlief für die Franzosen freilich nicht ohne herbe Fehlschläge.
Bei der Rückeroberung von Limoges im September 1370
ließ Prinz Eduard die Stadt einäschern
und einen Großteil der Bevölkerung massakrieren.
Zur selben Zeit operierte weiter im Norden der Söldnerführer
Robert Knolles und gelangte bis in die Nähe von Paris, woraufhin Du
Guesclin zum Konnetabel ernannt wurde. Knolles mußte sich in die
Bretagne absetzen, wo ihm der Herzog Aufnahme gewährte und seine Karl
V. geleistete Huldigung widerrief. Jedoch emigrierte er dann
nach England, als Du Guesclin mit Ausnahme von Brest und drei weiteren
Festungen die gesamte Bretagne eroberte. Im September 1372 wurde mit Hilfe
der kastilischen Flotte La Rochelle isoliert und zur Kapitulation gezwungen.
1374 waren mit Ausnahme von Calais und einiger Gebiete um Bordeaux die
englischen Bastionen auf dem Festland zurückgewonnen.
Im März 1375 begannen in Brügge unter Vermittlung
des Grafen Ludwig von Flandern Verhandlungen, die am 27. Juni mit einem
zunächst auf ein Jahr terminierten, später bis 1377 verlängerten
Waffenstillstand abgeschlossen wurden. In dieser Zeit starben der Schwarze
Prinz (+ 8. Juni 1376) und König Eduard
(+ 21. Juni 1377). Prinz Eduards 10-jähriger
Sohn Richard bestieg den Thron und
übernahm zugleich den Anspruch auf die Krone Frankreichs. Die Wiederaufnahme
der Kämpfe nach Eduards III. Tod
führte nicht zu den erhofften Erfolgen. Weitere Einbrüche in
die Gascogne konnten nicht erzielt werden. Der nach dem Muster des Verfahrens
gegen den Prinz Eduard geführte
Prozeß gegen Herzog Johann von Bretagne endete zwar am 18. Dezember
1378 mit der Konfiskation von dessen Lehen, dies trieb jedoch den Teil
des bretonischen Adels, der bis dahin die französische Besetzung des
Landes akzeptiert oder doch ohne offenen Widerstand hingenommen hatte,
ins gegnerische Lager. Der Herzog kehrte aus dem Exil zurück und konnte
seine Herrschaft im Westen der Bretagne durchsetzen.
Gleichwohl durfte Karl V.
um die Jahreswende 1377/78 der Meinung sein, sein Reich wieder zur dominierenden
Position in der lateinischen Christenheit geführt zu haben. Damals,
Anfang Januar 1378, erschien in Paris unverhoffter Besuch: der römische
Kaiser und sein bereits zum römischen König gewählter Sohn
WENZEL.
Der Staatsbesuch sollte nach den Vorstellungen KARLS
IV. ganz allgemein die Entente cordiale zwischen den Häusern
Böhmen-LUXEMBURG und Frankreich-VALOIS
stärken oder wiederherstellen, die nur selten und kurzfristig die
bei der Gründung (1323) in sie gesetzten Erwartungen erfüllt
hatte. Der Kaiser hatte einige konkrete Wünsche: Karl
V. sollte WENZEL keine Steine
in den Weg legen und des Kaisers Pläne zum Gewinn der Krone Polens
unterstützen. KARL IV. wußte,
dass seine Hausmachtpläne im Osten des römisch-deutschen Reiches
mit den Interessen seines Neffen verflochten waren und dass er dies nutzen
konnte: Polen stand seit 1370 unter der Herrschaft
König
Ludwigs des Großen von Ungarn. Des Kaisers zweiter Sohn
SIEGMUND(*
1368) war 1372 mit Ludwigs
zweitältester Tochter Maria (* 1371) verlobt
worden, während König Karls
zweiter Sohn Ludwig (* 1372) seit 1374
mit Ludwigs ältester Tochter
Katharina (* 1370) verlobt war und demgemäß ebenfalls
auf einen Teil des polnisch-ungarischen Erbes hoffen konnte. Dazu gehörten
auch Ansprüche auf das Königreich Sizilien-Neapel und die Grafschaft
Provence.
Im Hinblick auf die Provence hatte der Kaiser einen beachtlichen
Trumpf in der Hand: Die Grafschaft gehörte zum Römischen Reich,
und er wußte, dass Frankreich spätestens seit dem Erwerb des
Dauphine die Rechte über das Königreich Burgund oder Arelat zu
erlangen wünschte, zu dem auch die zum Erbe von Karls
V. Schwägerin Margarete von Flandern zählende Grafschaft
Burgund gehörte. Als dritter Teil des Arelats hoffte
Karl V. mit Hilfe Ludwigs von Ungarn
nunmehr auch noch die mit Sizilien-Neapel verbundene Provence an sein Haus
ziehen zu können. Und er hatte Erfolg: Unter dem Datum vom 7. Januar
1378 ernannte der Kaiser den 7-jährigen Dauphin auf dessen Lebenszeit
und unwiderruflich zu seinem Vikar im gesamten Arelat. Schon einige Zeitgenossen
haben über die Gegenleistung Karls V. gerätselt.
Dass ein Einvernehmen im Hinblick auf die Erbfolge in Ungarn und Polen
zu den Voraussetzungen des kaiserlichen Privilegs für den Dauphin
gehörte, kann unterstellt werden, auch wenn Karl
V. in einem Brief an Ludwig von Ungarn
erklärte,
dass er in dieser Frage dem Kaiser keinerlei Zugeständnisse gemacht
habe. Ohne eine vom Kaiser als halbwegs ausreichend angesehene Versicherung,
dessen polnische Interessen respektieren zu wollen, hätte der sonst
stets nach dem Dout-des-Prinzip verfahrenden Oheim aus Prag schwerlich
seine Rechte über ein ganzes Reich über ein ganzes preisgegeben,
so vage diese auch sein mochten.
Wahrscheinlich wird jedoch noch eine weitere Konzession
des Königs von Frankreich bei diesem Geschäft eine Rolle gespielt
haben, von der Karl V. freilich behaupten
konnte, sie bereits erbracht zu haben: die Zulassung der Rückkehr
von Papst und Kurie nach Rom. Dass diese vom Kaiser als irreversibler Vorgang
gewertet wurde, kann schon aus der Übertragung des Vikariats über
das Arelat geschlossen werden. Denn das Gebiet von Avignon hatte Clemens
VI. 1348 zwar von der Königin Johanna gekauft, womit aber die Zugehörigkeit
zum Arelat und damit zum Amtsbereich des Kaisers oder eines von diesem
ernannten Vikars nicht berührt worden war. Wenn KARL
IV. nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass der Aufenthalt
von Papst und Kurie in Avignon mit Papst Gregors XI. in Rom (1377) wirklich
sein Ende gefunden hatte, hätte er schwerlich dem König von Frankreich
seine Stellvertretung anvertraut, die ein mächtiger Vikar auch an
diesem Ort ins Spiel bringen konnte.
So verlief des Kaisers Besuch in Paris, von kleineren
Unstimmigkeiten abgesehen, in familiärer Harmonie. Nur vier Wochen
nach der Abreise des Oheims starb am 6. Februar 1378, zwei Tage nach der
Geburt ihrer Tochter Katharina, Karls
V. Gemahlin Johanna von Bourbon.
Ebenso unerwartet folgte am 27. März der Tod Papst Gregors XI., der
eine der folgenreichsten Krisen der europäischen Geschichte auslöste:
Unter dem Druck der Römer wählten die mit Gregor in die alte
Hauptstadt gezogenen Kardinäle am 8. April den Erzbischof von Bari,
Bartolomeo Prignano, zum Papst. Urban VI. entpuppte sich binnen weniger
Tage als einer der herrischsten Vertreter der in dieser Hinsicht nicht
eben armen Schar von Nachfolgern des heiligen Petrus. Manche gewannen den
Eindruck, er habe den Verstand verloren. Indes boten die anfangs keineswegs
als anomal gewerteten Umstände der Wahl einen überzeugenden Grund,
die Legitimität dieses Papstes in Frage zu stellen.
Die Dauer einer Hin- und Rückreise von Prag oder
Paris nach Rom reduzierte zwar die Möglichkeit der Einwirkung auf
die Kurie für Karl V. und seinen
Onkel in beträchtlichem Ausmaß, gleichwohl vollzog sich die
am 2. August vollendete Sezession der Kardinäle und die Wahl des Gegenpapstes
am 20. September keineswegs als ein gegenüber Einwirkungen ferner
Mächte abgeschirmter Vorgang. Karl V. verfügte
im Kardinal Jean de la Grange, Bischof von Amiens, über einen zuverlässigen
Rat und Informanten, der überdies den Vorzug hatte, erst nach Urbans
Wahl in Rom eingetroffen zu sein, wo er da im Bunde mit anderen die Fronde
gegen den Papst organisierte. Es soll einen Versuch des Kaisers gegeben
haben, den Neffen in Paris zu einer gemeinsamen Aktion zu gewinnen,
der aber, wenn er denn unternommen wurde, im Sande verlief. Am 25. September
erkannte KARL IV. öffentlich Urban
VI. als den rechten Papst an, nachdem er die französischen Kardinäle
bezichtigt hatte, den Stuhl des heiligen Petrus zurückzuerobern und
selbst nach Avignon zurückkehren zu wollen, dies alles zum Schaden
seines Heilgen Reiches. Fünf Tage vorher hatten die Kardinäle
mit der Wahl ihres Kollegen Robert von Genf (Clemens VII.) den Rubikon
definitiv überschritten.
Karl V. hat die Ereignisse
in Italien zwar keineswegs als Glücksfall empfunden, scheint aber
schon früh entschlossen gewesen zu sein, den Kardinälen Unterstützung
zu gewähren. Zwar hielt er seine Absicht vor den Untertanen zunächst
verborgen, und eine Versammlung von mehr als 30 Erzbischöfen und Bischöfen
sowie Vertretern der Universitäten Paris und Orleans konnte noch Mitte
September nicht zu einer einmütigen Beurteilung der Lage kommen. Der
König setzte sich über die Bedenken jedoch hinweg und erkannte
am 16. November Clemens VII. als den rechten Papst an. Damit war die Entente
familiale zwischen Böhmen und VALOIS,
nur 11 Monate nach ihrer Wiederbelebung, erneut zerbrochen: Der Kaiser,
so mußte Karl V. befürchten,
würde im Bunde mit seinem Papst ein Konzil einberufen, das dann leicht
in ein Gericht über Frankreichs Rolle an der Kurie verwandelt werden
konnte. Fortuna entschied jedoch zu Karls V. Gunsten,
denn am 29. November starb Kaiser KARL IV.
an den Folgen eines kurz zuvor erlittenen Beinbruchs. Sein Sohn und Nachfolger
WENZEL
aber
erwies sich als unfähig, das zu tun, was Aufgabe eines künftigen
Kaisers und Vogts der römischen Kirche gewesen wäre, nämlich
für die Einberufung eines Konzils zu sorgen.
Indes zeichnete sich schon bald ab, dass
Karl V. einen Pyrrhus-Sieg errungen hatte: Urban VI. konnte
sich mitsamt dem von ihm kreierten Kardinalskollegium in Rom behaupten,
während Clemens VII. nach einiger Zeit dorthin zurückkehren mußte,
von wo aus er als Kardinal aufgebrochen war: nach Avignon. Damit verfügte
die lateinische Kirche über zwei Päpste und zwei Kurien. Manche
Fürsten und Könige erklärten sich erst nach längerem
Zögern für diesen oder jenen Papst, aber schon bald begann sich
abzuzeichnen, dass sich im Westen Europas die Mächte je nach ihrer
Haltung gegenüber dem König von Frankreich gruppieren würden.
England bekannte sich sofort zu Urban VI., König
WENZEL hielt sich an die Entscheidung des Vaters. Zwar brachen
die Kontakte zwischen Paris und Prag nicht ab, das änderte aber nichts
daran, dass der König von Frankreich den trotz der militärischen
Katastrophen bewahrten dominierenden Einfluß auf die Spitze der Christenheit
eingebüßt hatte. Denn nunmehr gab es zwei Päpste, von denen
einer sich nicht scheute, den allerchristlichen König von Frankreich
als Schismatiker mit dem Bann zu belegen.
Die politische Verhärtung der Kirchenspaltung hat
Karl V. nicht mehr erleben müssen. Am 13. Juli 1380 war
sein Konnetabel Bertrand Du Guesclin gestorben, den er in der Grabkirche
der Könige Frankreichs beisetzen ließ. Mittlerweile hatten die
chronischen Krankheiten den Kreislauf des erst 42 Jahre alten Herrschers
in Mitleidenschaft gezogen. Während die Engländer unter dem Herzog
von Buckingham wieder einmal plündern in Richtung Paris zogen, hatte
Karl
sich
in das Schlößchen Beaute an der Marne zurückgezogen. Am
Morgen des 16. September raffte er sich noch einmal auf und hielt
vor seinen Räten eine Rede, in der er erklärte, von der Rechtmäßigkeit
seiner Entscheidung zugunsten Clemens' VII. überzeugt zu sein. Dann
verwies er darauf, dass die unter ihm angehäuften Schätze geringer
seien, als man gemeinhin glaube, und anschließend verfügte er
die Aufhebung des fouage, der 1363 von Karls
Vater eingeführten Herdsteuer, die wohl als besonders drückend
empfunden wurde. Gegen Mittag empfing er das Sterbesakrament und verschied
in den Armen seines Kammerherrn Bureau de la Riviere. Nach höchst
beeindruckenden Trauerfeiern wurde er am 26. September 1380 in St-Denis
beigesetzt, die Eingeweide waren in die Klosterkirche von Maubuisson gebracht
worden, wo seine Mutter ruhte; das Herz ging nach Rouen, der Hauptstadt
seines Fürstentums.
Noch mit dem Tode hatte Karl
die
virtus demonstriert, die sein Handeln geleitet und geprägt hatte.
Diesmal setzte er allerdings das Gesetz außer Kraft, das bis dahin
Wohl und Würde des Königtums rigoros über Interessen und
Not des "pueple de France" gestellt hatte. Die Aufhebung des "fouage" war
ein Vermächtnis, das die Regierung Frankreichs in den folgenden Jahren
vor beträchtliche Probleme stellen mußte. Aber wie schon bei
der Entscheidung zugunsten des Gegenpapstes setzte er sich auch in der
letzten Minute seiner Herrschaft über die Bedenken der Räte hinweg,
die er natürlich kannte, ohne dass sie geäußert werden
mußten.
Von der theokratischen Würde seines Amtes war Karl
selbst vielleicht am meisten fasziniert, und er wußte diese Faszination
seiner Umgebung zu vermitteln, obwohl oder weil Leutseligkeit nicht seine
Sache war. Wie einst Christine de Pisan gerät noch heute mancher Autor
bei der Bilanz von Karls V. Herrschaft
ins Schwärmen: 10 Jahre nach Bretigny stand der größte
Teil der verlorenen Regionen wieder unter der Herrschaft des Königs
von Frankreich. Aber einen Friedensschluß hatte Karl
nicht erreicht. Die Übernahme der eigenständigen Regierung durch
den Sohn zu einem sehr frühen Zeitpunkt schien er mit einer Ordonnanz
gesichert zu haben, die das erforderliche Alter auf den Beginn des 14.
Lebensjahrs festsetzte. Aber die Gegebenheiten der Familie machten einen
Strich nicht nur durch diese Rechnung: Karls
Brüder behielten zusammen mit seinem Schwager bis zum 20. Lebensjahr
Karls
VI. das Ruder in ihren Händen, und dann ließ die
Geisteskrankheit den jungen König zur Marionette anderer werden. Die
allem Anschein nach ohne Rücksicht auf den Oheim in Prag und gegen
die Bedenken mancher Räte weitgehend eigenmächtig vollzogene
Anerkennung Papst Clemens' VII. zog nahezu zwangsläufig den Verlust
der dominierenden Stellung Frankreichs an der Kurie nach sich - auch das
gehört zu der Bilanz seiner Herrschaft. Das eine Ziel aber, die Wiederherstellung
des in sich ruhenden Status der französischen Monarchie im Kräftespiel
Europas, hatte Karl V. erreicht und
so in maßgeblicher Weise dazu beigetragen, dass dieser über
viele weitere Katastrophen hinweg der Maßstab blieb, dem der französische
Staat bis heute verpflichtet ist.