STAMMTAFEL im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters
Lexikon des Mittelalters: Band IV Seite 514
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Flandern, Grafschaft
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I. VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM SPÄTEN 12. JAHRHUNDERTS
1. Entstehung der Grafschaft Flandern (864-918)
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Der Name 'Flandern' erscheint erstmals Anfang
des 8. Jh. und bezeichnet einen pagus, der das Gebiet entlang der Küste
zwischen Brügge und dem Fluss Ijzer umfasste; ein aus der Gegend von
Laon stammender
Graf Balduin I. (+ 879), hatte diesen pagus wahrscheinlich
schon 864, gemeinsam mit den pagi von Gent, Waas, Therouannie, Aardenburg
und vielleicht auch Mempise (zwischen Ijzer und Leie), inne. Zu dieser
Herrschafts-Bildung trug wohl bei, dass Balduin
Schwiegersohn KARLS
DES KAHLEN war, da er dessen Tochter Judith,
Königin-Witwe
von Wessex, 861 entführt und 863 nach Intervention von
Papst Nikolaus I. geheiratet hatte.
Sein Sohn Balduin II. (+ 918) konnte nach dem
großen Normanneneinfall von 879-885 den Gauen Flandern und Aardenburg,
wo er de facto oder de jure die Macht ausübte, die pagi Mempise, Gent,
Waas und Kortrijk hinzufügen (vor 888/892). Unter Ausnutzung der Konflikte
zwischen König Odo und dem KAROLINGER
Karl dem Einfältigen eroberte Balduin II. von hier
aus zwischen 893 und 899 südwärts die Gegend von Therouanne und
Boulogne und stieß bis zur unteren Canche vor. Südostwärts
scheiterte sein Vordringen am Widerstand König
Odos und dessen Vasallen Heribert von Vermandois, während
nördlich von Valenciennes sein Gebiet durch die Schelde, wo er vor
898 nach Tournai erwarb, begrenzt wurde. In dieser Weise begründete
Balduin
II. den Territorialstaat Flandern, der vom 10. Jh. an als Grafschaft
oder Markgrafschaft Flandern erscheint. Seine Macht stützte sich auf
einen ausgedehnten Grundbesitz, den er vielfach den großen Abteien,
denen er als Laienabt vorstand, entfremdet hatte, weiterhin auf eine Reihe
von Burgen. Wegen seiner karolingischen
Abstammung hoch angesehen, wurde
Balduin II. zum Schwiegersohn Alfreds
des Großen.
2. Konsolidierung und Ausbreitung nach Süden und
Osten (918-1035)
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Nach Balduins II. Tod (918) teilten seine beiden
Söhne, Arnulf I. und Adalulf, die Grafschaft untereinander,
nach dem Tod des jüngeren Bruders (933) eignete sich Arnulf
auch
dessen Besitz an. An der entlang der Canche verlaufenden Südgrenze
führte er einen jahrelangen erbitterten Kampf gegen den Herzog der
Normandie, der 948 mit der Eroberung der Grafschaft Ponthieu und der die
Canche-Mündung beherrschenden Festung Montreuil zugunsten Arnulfs
beendet
wurde. Im südöstlichen Teil der Grafschaft, wo Arnulf
schon
931 Douai und 932 Arras mit der Abtei St-Vaast und dem Artois erobert hatte,
konnte Arnulf I. während der Kämpfe mit der Normandie
die Grenze gegen Vermandois sichern, indem er 934 ein Bündnis mit
seinem Erbfeind, dem Grafen von Vermandois, schloss und dessen Tochter
heiratete.
Nach Arnulfs Tod (965) geriet die junge Grafschaft
in eine Krise, die zu einer territorialen Zersplitterung führte, und
vor allem in den neu eroberten südlichen Gebieten, in denen der gräfliche
Grundbesitz weniger ausgedehnt war und kleinere Grafschaften (Boulogne,
Gines, St. Pol) sowie adlige Herrschaften (Aubigny, Bethune, Lens, Lillers
und andere) größere Autonomie erlangten, dauernde Folgen hatte.
Der König von Frankreich, Lothar,
dem Arnulf I. vor seinem Tod im Tausch gegen eine Ausbreitung der
königlichen Macht im südlichen Teil Flanderns den Schutz seines
Enkels Arnulf II. anvertraut hatte, konnte Arnulf II. zwar
als Grafen durchsetzen, nach dessen frühen Tod (988) musste der König,
nun Hugo Capet, jedoch erneut eingreifen,
um dessen minderjährigen Sohn Balduin IV. als Grafen anerkennen
zu lassen. Während der schwachen Regierung Arnulfs II. errichteteKaiser
OTTO II. zur Sicherung der Westgrenze
des Imperiums gegen den auch in Lothringen vordringenden König von
Frankreich, entlang der Schelde die Marken Valenciennes, Ename und Antwerpen
(ab 973). Um dieser Bedrohung entgegenzuwirken, musste der junge Graf
Balduin IV. zuerst die gräfliche Macht im nördlichen Flandern
wiederherstellen, während er im Süden die territoriale Zersplitterung
zu akzeptieren hatte. Seit 993 nahm er die Umgruppierung einiger alter
Gaue in neue, größere Territorien, comitatus genannt, vor; diese
beiden bildeten dir Grundlage für die dann von seinem Sohn
Balduin
V. systematisch ausgebauten Burggrafschaften. Um 1000 ging Balduin
IV. zur Offensive in östliche Richtung über, womit er die
traditionelle Expansion Flanderns in südliche Richtung zugunsten eines
Bündnisses mit Frankreich und der Normandie aufgab. Nachdem sein Bestreben,
die Schelde zu beherrschen, militärisch gescheitert war, änderte
er seine Strategie. Im Aufstand der lothringischen Großen versicherte
er den deutschen König seiner Neutralität und erhielt als Belohnung
1012 die seeländischen Inseln und 1015 Valenciennes zu Lehen. Gegen
Ende seiner Regierung eroberte er auch die Burg Ename (der nördliche
Teil der Grafschaft Ename konnte dagegen erst um 1050 einverleibt werden).
Balduin
IV. ist es gelungen, seine Herrschaft an beiden Ufern der Schelde über
eine lange Strecke hin durchzusetzen. Damit verfügte er, neben seinem
Grundbesitz, über eine andere, neuartige Machtgrundlage in Gestalt
der Handelsniederlassungen, die sich seit dem 9. Jh. und erneut nach den
Normanneneinfällen des 10. Jh. entlang der Schelde und in ihrem Einzugsbereich
gebildet hatten (Gent, Ename, Tournai, Valenciennes; Brügge an der
damaligen Küstenlinie; Douai und Arras an der Scarpe, einem Nebenfluss
der Schelde.
3. Die großen Markgrafen (1035-1127)
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Der langen Regierungszeit Balduins IV. (988-1035)
folget die gleichfalls lange und erfolgreiche Regierung
Balduins V.
(1035-1067) mit ähnlichen politischen Zielsetzungen. Während
der Vorbereitungsphase (1047) des Aufstandes der lothringischen Großen
gegen Kaiser und Reichskirche blieb der Graf von Flandern neutral, was
die Übertragung der Mark Antwerpen als Lehen für seinen Sohn
Balduin
VI. zur Folge hatte. Dadurch beherrschte der Graf von Flandern fortan
auch das rechte Scheldeufer über die ganze Flusslänge. Dieses
vom Kaiser zu Lehen gehende Gebiet, welches Seeland westlich der (heutigen
Ooster-)Schelde und das sogenannte Land von Aalst sowie Ename umfasste,
hieß Reichsflandern, im Gegensatz zu Kronflandern, dem von Frankreich
lehnsrührigen Gebiet westlich der Schelde.
1047 schloss sich Balduin V. endlich doch dem
Aufstand der lothringischen Großen an; 1049 gliederte er die Grafschaft
Hennegau faktisch seinem Machtbereich ein. Die dynastischen Auseinandersetzungen
um Hennegau hatten einen jahrelangen Kampf mit Kaiser
HEINRICH III. zur Folge, der erst nach dessen Tod (1056), während
der Regentschaft der
Königin Agnes,
ein für Balduin V. erfolgreiches Ende fand. Auch im Innern
der Grafschaft konsolidierte
Balduin seine Macht. Territorial führte
er die Einrichtung der Burggrafschaften weiter, beschränkte die Macht
der Klostervögte und förderte den Gottesfrieden, während
er die gräfliche curia (mit Hofämtern usw.) zur zentralen Regierungs-
und Verwaltungsinstitution ausbaute.
Als sein Sohn Balduin VI. (in Hennegau Balduin
I.) bereits nach kurzer Regierung (1067-1071) starb, übernahm
der jüngere Sohn Balduins V., Robert der Friese (1071-1093),
die Macht in Flandern; in der Schlacht von Cassel schlug er 1071 die Witwe
Balduins
VI.,Richilde von Hennegau, und deren Sohn Arnulf III.,
der im Kampf fiel. Doch vermochte Richildis die Grafschaft Hennegau
für ihren zweiten Sohn, Balduin II., zu bewahren. Robert der Friese
(sein Beiname geht auf seine Ehe mit der Witwe des Grafen Floris I. von
Holland und Friesland zurück) bemühte sich, bei seinem Lehnsherrn,
Philipp I. von Frankreich, Anerkennung als Graf von Flandern
zu finden und unterstützte deshalb den französischen König
gegen das anglonormannische England, das an der Südflanke inzwischen
eine größere Bedrohung darstellte als das durch den sogenannten
Investiturstreit geschwächte Imperium an der Ostflanke. Roberts
Nachfolger
Roberts
II. (1093-1111)
und
Balduin VII (1111-1119) blieben dieser Politik
treu; beide fielen im Dienst ihres Lehnsherrn. War die flandrische Politik
vorher von der französisch-deutschen Rivalität um Lothringen
bestimmt gewesen, so stand nun für mehrere Jahrhunderte der englisch-französische
Gegensatz im Vordergrund. Dennoch gerieten Robert I. und
Robert
II. um die Herrschaft über Stadt und Bistum Cambrai mit HEINRICH
IV. und HEINRICH V. in einen
langdauernden Konflikt, der 1107 durch die kaiserliche Belehnung Roberts
II. mit der Burggrafschaft Cambrai beendet wurde. Der Investiturstreit
machte sich auch in Flandern stark bemerkbar, in dessen Verlauf Robert
II. die päpstliche Partei ergriff, unter Einfluss seiner Gemahlin
Clementia,
der Schwester des Papstes Calixt II., die eine wichtige Rolle in der Kirchenreformbewegung,
unter anderem zugunsten von Cluny, spielte. Auch Roberts II. Teilnahme
am 1. Kreuzzug - der Graf erhielt den Ehrennamen 'von Jerusalem'
- kann in diesem Licht gesehen werden.
Die Beteiligung zahlreicher flandrischer Ritter am Kreuzzug
bot dem Grafen andererseits die Möglichkeit, die Ritterschaft innenpolitisch
stärker unter Kontrolle zu bringen und sich vermehrt auf die Städte
zu stützen. Von dieser Politik zeugen die ersten Erwähnungen
von Schöffen-Bänken in einigen flämischen Städten zu
Anfang des 12. Jh. und die gräfliche Förderung von Gottesfrieden
und Marktfrieden. Zugleich erfolgte eine Konsolidierung der Zentralgewalt,
unter anderem durch die Modernisierung der gräflichen Domänenverwaltung
und die Stärkung der Position des gräflichen Kanzlers. Auch die
Burggrafschaften wurden durch die Errichtung neuer Kastellaneien weiter
ausgebaut.
4. Krise und Herrschaftsantritt der ELSÄSSER Dynastie
(1127/28-1191)
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Unter Balduin VII. tritt als Ratgeber bereits
dessen Neffe hervor, Karl der Gute,
ein Sohn des Königs Knut der Heilige von
Dänemark und Adela,
Tochter des Grafen Robert des Friesen. Nach der Ermordung seines
Vaters Knut(1086)
nach Flandern gekommen, wurde Karlswachsender
Einfluss alsbald von Clementia bekämpft. Als sichKarlnach
Balduins
Tod
zum Grafen aufschwang (1119-1127), versuchte Clementia, Wilhelm von
Ypern als Gegenkandidat aufzubauen. Wilhelm von Ypern
war als
Bastard der letzte Nachkomme Graf Roberts im Mannesstamm und verband
sich mit den Adligen des südlichen Flandern sowie mit dem französischen
Königtum.
Karl
seinerseits konnte
jedoch durch sein Zusammengehen mit den Städten und durch einen Friedensschluss
mit Heinrich I. von England (1120)
die Macht behaupten. Nach Festigung seiner Position ging Karlgegen
die Ritterschaft vor, insbesondere gegen die im Burggrafen- und Kanzleramt
mächtig gewordenen EREMBALDE, eine Familie von unfreier Herkunft.
Diese ermordeten den Grafen am 2. März 1127 in St. Donatian
zu Brügge, was zu einer Nachfolgekrise führte, da Karlkinderlos
war. Der Versuch der EREMBALDE, Wilhelm von Ypern erneut als Grafen
durchzusetzen, scheiterte am Widerstand des Adels. Dieser unterstützte
vielmehr den vom französischen König favorisierten Bewerber,
den anglonormannischen Großen
Wilhelm Clito,
einen Enkel Wilhelms des Eroberers und
Sohn von Robert Courteheuse. Wie schon
sein Vater war auch Wilhelm Clito mit
König
Heinrich I. von England, seinem Onkel, verfeindet. Brügge
und andere Städte erkannten
Wilhelm Clitoam
5. April 1127 als Grafen an, da er ihnen ausgedehnte Privilegien versprochen
hatte. Diese Allianz zerfiel aber bereits nach einigen Monaten wieder,
vornehmlich wegen der durch die verletzten England-Interessen der flämischen
Städte; auch Teile des Adels, so die mächtigen Herren von Aalst,
wandten sich, nicht zuletzt bedingt durch Zahlungen Heinrichs
I., von Wilhelm Clito ab.
Durch ein Bündnis zwischen den Herren von Aalst und der Stadt Gent
wurde der aus dem lothringischen Herzogs-Haus stammende
Dietrich von
Elsaß, mütterlicherseits Enkel Roberts des Friesen und
somit Neffe Karls des Guten, als Graf
ins Land geholt. Nach der Anerkennung Dietrichs durch Brügge
(30. März 1128) und einem monatelangen Kampf, in dessen Verlauf Wilhelm
Clito vor Aalst den Tod fand (28. Juli 1128), setzte sich Dietrich
allgemein
als Graf durch.
Die lange Regierung Dietrichs von Elsaß (1128-1168)
ist
gekennzeichnet durch ein innenpolitisches wie außenpolitisches Gleichgewicht,
das die Grundlage für eine große wirtschaftliche Blüte
der Grafschaft bildete. Innenpolitisch erreichte Dietrich
den Frieden
zwischen den Parteien, die sich während der Krise von 1127/28 bekämpft
hatten. Außenpolitisch verfolgte er eine Neutralitätspolitik
zwischen den König von Frankreich, seinem Lehnsherrn, und dem englischen
Königshaus der PLANTAGENET, mit
dem er durch seine zweite Gemahlin Sibylle von
Anjou, Tochter Fulcos V. von Jerusalem,
verwandt war. Diese Ehe, die dem Grafen internationales Ansehen einbrachte,
erklärt sein Interesse am Heiligen Land. Anlässlich seiner insgesamt
vier Jerusalemfahrten setzte er jeweils Regentschaften unter Leitung seiner
Frau bzw. seines zweiten Sohnes Philipp
ein. Vor seinem dritten
Zug regelte Dietrich
die Heiratsangelegenheiten seiner Familie:
1156 wurde Philipp
mit der Erbtochter der Grafschaft Vermandois,
Elisabeth,
verheiratet, währendElisabeths
Bruder Radulf V. mit Philipps
Schwester
Margarete
vermählt wurde. Alles dies weist darauf hin, dass
Dietrich von
Elsaß 1157 einen dauerhaften Aufenthalt im Heiligen Land anstrebte;
dennoch kehrte er 1159 enttäuscht allein nach Flandern zurück,
während seine Frau Sibylleim Kloster
Bethanien verblieb (dort + 1165). Anlässlich der letzten Palästinareise
(1164-1166, zum Besuch seiner Gemahlin) trat der Graf seinem Sohn Philipp
endgültig die Regierung ab.
Philipp von Elsaß (1168-1191), der schon
1163 durch den frühen Tod seines Schwagers Radulf
V., Graf von Vermandois geworden war, verdankte der umsichtigen
Politik seines Vaters die Herrschaft über ein ausgedehntes Gebiet.
Dieses umfasste nicht nur die eigentliche Grafschaft Flandern mit Reichsflandern
und der späteren Grafschaft Artois, sondern im Südosten
auch die Picardie, mit den Grafschaften Amiens, Vermandois und
Valois und die Burg Cambrai. Philipp rangierte somit
nahezu gleichberechtigt neben den mächtigsten Herrschern seiner Zeit
Ludwig
VII. von Frankreich,
Heinrich II. von
England und Kaiser FRIEDRICH I. BARBAROSSA.
Mit ihnen wie mit Papst Alexander III. unterhielt er, auch dank der Diplomatie
seines Beraters und späteren Kanzlers Robert von Aire (1168-1174),
gute Beziehungen und trat in ihren Konflikten mehrfach als Schiedsrichter
auf. Die Achillesferse der Regierung des Grafen war jedoch die Kinderlosigkeit
seiner Ehe mit Elisabeth von Vermandois.
Nach dem frühen Tod seiner jüngeren Brüder
Matthäus
(+ 1173) und Peter (+ 1176) blieb als Erbin nur seine Schwester
Margarete
übrig,
vermählt seit 1169 mit dem Grafen von Hennegau,
Balduin V.,
so dass aller Voraussicht nach ein Kind aus dieser Ehe die Erbfolge der
Grafschaft Flandern antreten musste und darüber hinaus beim Tod der
Gräfin
Elisabethauch der Verlust des Vermandois drohte. Nach der 1174
erfolgten Ermordung seines Freundes und Kanzlers Robert von Aire und dem
Tod seines jüngsten Bruders Peter (+ 1176) änderte Philipp
grundsätzlich seine Politik. Während er, bedingt durch die
bitteren Erfahrungen seines Vaters, auf Ambitionen im Königreich Jerusalem
verzichtete, setzte er alles daran, in eine dynastische Beziehung zu dem
jungen französischen König Philipp II.
August, dessen Mentor er 1179 wurde, zu kommen. Er vermählte
1180 seine Nichte Elisabeth (Isabella),
Tochter Balduins V. von Hennegau mit Philipp
II. und versprach ihr im Falle des kinderlosen Todes den südlich
gelegenen Teil Flanderns sowie Artois, das heißt ein Drittel seiner
Länder. Die Weigerung Philipps von Elsaß, nach dem Tod
seiner Frau Elisabeth (26. März 1182)
die Grafschaft Vermandois an deren Schwester Eleonore
abzutreten,
war jedoch für den französischen König der Anlass, einen
jahrelangen Kampf gegen den Grafen von Flandern zu eröffnen, den dieser
durch den erniedrigenden Frieden von Boves (Juli 1185) mit der Abtretung
des Vermandois verlor. Im September 1190 brach Philipp zum 3. Kreuzzug
auf (dort + Juni 1191 vor Akkon). Seine Witwe Mathilde,
Schwester König Sanchos I. von Portugal
(oo 1184) führte die Regentschaft bis zur Machtübernahme Balduins
V. von Hennegau weiter.
Die Regierung Dietrichs
und Philipps von Elsaß
sind von außerordentlicher Bedeutung für die Verfassungsgeschichte
Flanderns. Obwohl Dietrich seinen Thron den flämischen Städten
verdankte, verhielt er sich vor allem den großen Städten gegenüber
bei der Verleihung von Privilegien und in der Herrschaftspraxis eher zurückhaltend.
Sein Sohn Philipp
trat sogar noch strenger gegen sie auf: Die Statuten,
die er den Städten Arras, Gent, Brügge, Douai, Lille und Ypern
auferlegte, haben die weitere Entwicklung ihrer Autonomie stark gehemmt.
Andererseits förderte Philipp
den wirtschaftlichen Aufstieg
dieser Städte, unter anderem indem er bei den benachbarten Fürsten
Zoll- und Jahrmarktprivilegien für sie erwirkte, während er insbesondere
die neugegründeten, meist kleineren Hafenstädte wie Gravelines,
Dünkirchen, Nieuwpoort, Damme und Biervliet sehr begünstigte,
unter anderem durch Zollprivilegien. Demgegenüber drängten die
beiden Grafen die Macht des Adels weiter zurück. Den Burggrafen wurde
ein großer Teil ihrer Befugnisse entzogen durch Einsetzung von baljuws
(Bailli), die nicht gräfliche Lehensträger, sondern besoldete
Beamte eines neuen Typs darstellten und mit der Einführung eines modernisierten
Straf- und Strafprozessrechts beauftragt wurden. Viele große Lehen
(Aalst, Desdin, Lillers, Lens) kehrten in die Hand des Grafen zurück,
was die Zentralgewalt stärkte, die überdies durch die Modernisierung
der gräflichen Finanzverwaltung an Effizienz gewann.
II. VOM SPÄTEN 12. JAHRHUNDERT BIS ZUM FRÜHEN 16. JAHRHUNDERT
1. Haus HENNEGAU (1191-1278)
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Nach Bekanntwerden des Todes Philipps von Elsaß
vermochte dessen Schwager und potentieller Nachfolger
Balduin V.,
Graf
von Hennegau, mit tatkräftiger Hilfe seines Kanzlers Giselbert
von Mons die Macht in Flandern als Balduin VIII. (1191-1195) zu
übernehmen (Vertrag von Arras, Ende 1191). Eine drohende französische
Annexion konnte Balduin
nur mit Mühe verhindern, indem er Artois
an den König preisgab. Nach dem Tod der Gräfin Margarete
(1194) und des Grafen Balduin VIII. (1195) folgte Balduin
IX. (VI.) seinen Eltern in Flandern bzw. Hennegau nach (1194/95-1205).
Durch das Ausspielen der anglo-welfischen
Karte im Kampf zwischen Franco-Ghibellinen und Anglo-WELFEN
konnte
Balduinden
Expansionsdrang des französischen Königs
Philipp II. August eindämmen und ihm 1200 einen Vertrag
aufnötigen, der den Verzicht auf Artois größtenteils wieder
rückgängig machte. Noch größerer Ehrgeiz war dafür
verantwortlich, dass sich Balduin IX.als
Teilnehmer des 4. Kreuzzugs zum Ersten Kaiser des lateinischen Kaiserreiches
von Konstantinopel erheben ließ. Seit der Niederlage gegen den
bulgarischen Zaren bei Adrianopel (14. April 1205) blieb Balduinverschollen.
Erneut drohte die Annexion Flanderns durch Frankreich.
Der französische König bevorzugte jedoch eine indirekte Kontrolle,
indem er die minderjährige Thronfolgerin Johanna
(1205-1244) mit
Ferrand von Portugal
(1212-1233) verheiratete. Dieser lief jedoch alsbald zur anglo-welfischen
Partei über, nahm an der Schlacht bei Bouvines (1214) teil und verblieb
nach dieser Katastrophe in französischer Gefangenschaft; ihn befreite
erst der 1226 von Gräfin Johanna
sowie den flämischen Städten und Adligen akzeptierte Vertrag
von Melun, der die Unterwerfung unter Frankreich besiegelte und bis zum
Ende des 13. Jh. die flämische Politik bestimmen sollte. Nach Ferrands
Tod
heiratete Johanna 1237 abermals einen
von Frankreich unterstützten Bewerber,
Thomas von Savoyen,
den Onkel der Königin von Frankreich, der die Bestimmungen von Melun
loyal einhielt.
Der kinderlose Tod der Johanna
brachte
1244 ihre Schwester Margarete auf den
flandrisch-hennegauischen Thron (1244-1278). Eine Quelle für dynastische
Konflikte bildeten ihre beiden Ehen, mit
Burchard von Avesnes und
Wilhelm
von Dampierre, wobei die Erbansprüche ihrer Kinder erster Ehe
vom Kaiser als rechtmäßig anerkannt wurden. Kennzeichnend für
die damalige französische Vormachtstellung war, dass hierüber
1246 ein Schiedsspruch von Seiten König Ludwigs
IX. gefällt wurde, der Flandern dem Haus DAMPIERRE,
Hennegau dem Haus AVESNES zusprach - eine Entscheidung, die das
mächtigste Lehnsfürstentum Frankreichs erheblich schwächte.
Das Haus AVESNES bekämpfte jedoch die Zuweisung Reichsflanderns
an die DAMPIERRE und verbündete sich mit WILHELM
II. von Holland, der zugleich römischer König war,
so dass die Gräfin von Flandenr sich genötigt sah, Frankreich
anzurufen, um nach einer Niederlage auf Walcheren - mit Hilfe des französischen
Königs wenigstens einen ehrenvollen Frieden zu erlangen (1256). Da
der Loskauf ihrer zwei gefangenen Söhne hohe Geldmittel von Seiten
der Städte erforderte, konnten sich diese ein größeres
Mitspracherecht und wirtschaftliche Privilegien sichern. Bald darauf geriet
die Gräfin jedoch in einen schweren Konflikt mit den Städten,
da ihre ungeschickte Einforderung einer alten Schuld bei der englischen
Monarchie einen englisch-flämischen Handelskrieg auslöste (1270-1275),
der den flandrischen Wollimport nachhaltig beeinträchtigte und
mit einem für die Gräfin demütigenden Vergleich endete.
Bis dahin war die politische und feudale Abhängigkeit Flanderns von
Frankreich im Land relativ erträglich empfunden worden, da sie die
für die flandrische Wirtschaft lebenswichtigen Beziehungen zu England
noch nicht ernsthaft geschädigt hatte; nun war dieses Gleichgewicht
aber empfindlich gestört.
Durch die Anlehnung an Frankreich geriet die Grafengewalt
in einen Gegensatz zu der politisch und wirtschaftlich dominierenden städtischen
Bevölkerung. Der Machthunger der Städte war so groß, dass
sie sich nicht mit einem genau limitierten konstitutionellen Statut abspeisen
ließen, sondern vielmehr eine tatsächliche Partizipation an
der Macht durchsetzen, in Form einer Art "Volksvertretung", den scabini
Flandriae, in denen allerdings die großen, politisch und finanziell
dominierenden Städte eine Monopolstellung besaßen. Nach 1191
entwickelte sich dieses Repräsentationsgremium von einem in Krisensituationen
ad hoc zusammentretenden Verband zu einem festen Kollegium, das regelmäßig
vom Grafen berufen wurde, sich aber auch spontan und selbständig versammelte.
Im 13. Jh. sanken die erblichen, feudalen Hofämter
zu Ehrentitels herab, und ihre Funktionen wurden einer zentral gelenkten
absetzbaren Beamtenschaft übertragen; 1271 erscheint dann ein allgemeiner
Steuerbeamter, der die Verwaltung der gräflichen Finanzen für
Einnahmen und Ausgaben aktiv führte. Aus einer feudal-politischen
Ratsversammlung entwickelte sich die Curia zu einem Regierungs- und Verwaltungsgremium,
Kernorgan des modernen Beamtenstaates; feudale Rechte und Befugnisse wurden
abgeschafft; die traditionellen adligen pares mussten ihre Plätze
mit geschulten Geistlichen und Beamten teilen.
2. Haus DAMPIERRE (1278-1384)
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Als Guido (Gui) III. von Dampierre (1278-1305) seiner
Mutter nachfolgte, geriet die gräfliche Politik gegenüber England
als auch die innenpolitische Position der Grafengewalt in eine Krise. Diese
verschärfte sich 1280 durch eine Reihe von städtischen Aufständen,
in denen die städtischen Mittel- und Unterschichten gegen das Machtmonopol
des dominierenden Patriziats kämpften, wobei insbesondere die aufstrebende
Schicht der Kaufleute, die von den Patrizierkreisen ausgeschlossen waren,
ihre eigenen Forderungen anmeldete. Diese Gegensätze führten
zur Parteibildung in Flandern. Der Graf schlug sich auf die Seite der mittleren
und unteren Schichten, die ein Mitspracherecht in der Stadtregierung errangen.
Die alten Patrizier gingen dagegen eine verhängnisvolle Allianz mit
dem König von Frankreich ein. Aus sozialen Konflikten heraus entwickelten
sich somit vornehmlich taktisch zu erklärende politische Interessengemeinschaften
(Klauwards und Leliaerds).
Seit dem Ende des 13. Jh. griff der ehrgeizige französische
König Philipp IV. der Schöne mit Nachdruck in die
inneren Angelegenheiten Flanderns ein; gleichzeitig geriet er in einen
scharfen Konflikt mit dem König von England. Dies bot Graf Guido
die
einzigartige Gelegenheit, seinen 1297 dem König von Frankreich geleisteten
Lehnseid auf den König von England zu übertragen, dadurch die
Interessen der flämischen Textilproduktion zu sichern und den französischen
Annexionsbestrebungen entgegenzutreten. Damit begann eine dramatische Auseinandersetzung,
in deren Verlauf Flandern 1300 direkt der französischen Krone unterworfen
und der Graf in Paris gefangengesetzt wurde. Beides war ausschlaggebend
für die Entfaltung eines antifranzösisch geprägten flämischen
Eigenbewusstseins. Die schmachvolle Niederlage des französischen Heeres
in der sogenannten "Goldsporenschlacht" von Kortrijk (11. Juni 1302) setzte
dem französischen Annexionsplänen ein Ende und führte zur
Freilassung des Grafen. Jedoch musste die Selbständigkeit in den Verträgen
von Athis (1305) und Peronne (1312) mit schweren Jahrestributen erkauft
werden.
Guidos
Nachfolger Robert von Bethune (1305-1322),
setzte sich wiederholt über den Kompromiss von 1305 hinweg, was eine
erneute französische Intervention zur Folge hatte. Robert vermochte
den Status des Grafen von Flandern als eines autonomen Territorialfürsten
weitgehend wiederherzustellen; dieser war jedoch für den Rest des
Jahrhunderts von einem doppelten Spannungsfeld abhängig, nämlich
der Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich, in dem Flandern
zur Sicherung seiner lebenswichtigen Wollimporte einen Kompromiss zu suchen
hatte, und den zahlreichen Konflikten zwischen dem Grafen und den selbstbewussten
flämischen Städten bzw. den sozialen Gruppen innerhalb der Städte.
Graf Ludwig von Nevers (1322-1346) hat niemals
in Harmonie mit seinen flämischen Untertanen gelebt; Aufstände
der Brügger Stadtbevölkerung und der Bauern (1323-1328) konnte
er nur mit militärischer Hilfe Frankreichs niederschlagen. 1338 musste
er sogar beim König von Frankreich Zuflucht suchen, nachdem er sich
geweigert hatte, der englischen Koalition in den Niederlanden beizutreten,
und der König von England daraufhin über den Wollexport nach
Flandern ein Embargo verhängte. Das städtische Condominium unter
Jakob van Artevelde, das 1338-1345 als Vertreter - und zugleich Gegenspieler
- des Grafen fungierte, bekämpfte dessen Zentralisierungsbestrebungen
und bekundete den Willen, den wirtschaftlichen Interessen der Städte
den Vorrang zu geben vor den feudalen Verpflichtungen des Grafen.
Nach dem Tode Jakobs van Artevelde (1345) und Ludwigs
von Nevers (1346) gelang es dem neuen Grafen, Ludwig von Male (1346-1384),
mit
den Städten Frieden zu schließen (1348). Im Hundertjährigen
Krieg erstrebte er für Flandern eine neutrale Stellung, die er sogar
in einem Handelsabkommen mit England (1368) vertraglich zu fixieren verstand.
In geschickter Weise stellte er dem englischen wie dem französischen
König die Heirat mit seiner einzigen Tochter in Aussicht, um sie schließlich
mit dem französischen Prinzen Philipp den
Kühnen, der vom König mit dem Herzogtum Burgund belehnt
worden war, zu vermählen, nachdem Frankreich die Rückgabe des
wallonischen Flandern versprochen hatte. Dennoch konnte Ludwig
einen
neuen, offenen Konflikt mit Gent nicht vermeiden. Der Aufstand in Gent
(1379-1385), geführt unter anderem von Philipp van Artevelde, Jakobs
Sohn, aktualisierte dessen Programm; wiederum war ein flämischer "Stadtstaat"
das übergreifende Ziel. Im Kampf mit den Genter Autonomiebestrebungen
fand die unabhängige und einst so erfolgreiche internationale Politik
Ludwigs
von Male ihr ruhmloses Ende. Auch er konnte nur mit französischer
Hilfe den flämischen Aufstand niederschlagen (West-Rozebeke, 1382).
Erst nach seinem Tod (1384) vermochte sein Schwiegersohn Philipp
der Kühne mit Gent den Frieden von Tournai (1385) zu schließen.
Wie im 13. Jh. blieb auch nun in der Repräsentativversammlung
das Übergewicht der großen Städte, der Leden ('Glieder'),
bestehen. Sie bildeten in ihren jeweiligen Einflussgebieten, den Vierteln,
ein Machtmonopol aus und errichteten während der Aufstände sogar
eine autonome administrative Organisation.
In der zentralen Verwaltung nahm die Bürokratisierung
zu. Im gräflichen Rat wurde neben dem politischen Kollegium eine gesonderte
finanzielle Kommission eingerichtet und vor allem eine juristische Abteilung
geschaffen (1323); diese, die audientia, war ein wichtiges Instrument der
fürstlichen Zentralisierung, da sie beinahe die gesamte Niedergerichtsbarkeit
in Flandern kontrollierte und als Appellationsinstanz fungierte: Seit Guido
von Dampierre wurden immer mehr universitär ausgebildete Juristen
in den gräflichen Rat aufgenommen, wenngleich auch der flämische
Niederadel und die Städte präsent blieben.
Im Altertum von keltischen Morinern bewohnt, wurde es
während der Völkerwanderung von Niederfranken, Sachsen und
Friesen besiedelt. Das Kernland der Flamen war im 9. Jahrhundert fränkische
Grafschaft und fiel bei der Reichsteilung im Vertrag von Meersen (870)
an das Westreich. Die Grafen erwarben 1056 auch die zum Deutschen Reich
gehörende Grafschaft Aalst und nördliche Küstengebiete ("Reichsflandern");
ferner beherrschten sie lange Zeit den Hennegau. Im Mittelalter Zentrum
der Tuchproduktion Europas. Im 13./14. Jahrhundert kämpfte das flandrische
Bürgertum zäh gegen die französischen Könige, mit denen
die Grafen und der einheimische Adel sich verbündet hatten; es siegte
1302 in der "Sporenschlacht" bei Kortrijk, unterlag aber 1382 bei Roosebeke.
Flandern kam 1384 an Burgund, 1482 an die HABSBURGER.
Das Gebiet um Dünkirchen und Lille ist seit dem 17. Jahrhundert französisch,
das übrige Flandern seit 1830 belgisch. W-Flandern war im 1. Weltkrieg
Hauptkampfgebiet.
Haus BALDUINE
Balduin I. Eisenarm | 858- 879 |
Balduin II. der Kahle | 897- 918 |
Arnulf I. der Große | 918- 965 |
Balduin III. | 958- 962 |
Arnulf II. der Jüngere | 965- 987 |
Balduin IV. der Bärtige | 988-1035 |
Balduin V. von Lille | 1035-1067 |
Balduin VI. von Mons | 1067-1070 |
Arnulf III. | 1070-1071 |
Robert I. der Friese | 1071-1093 |
Robert II. | 1093-1111 |
Balduin VII. Hapkin | 1111-1119 |
HAUS DÄNEMARK
Karl der Gute | 1119-11127 |
HAUS NORMANDIE
Wilhelm Clito | 1127-1128 |
HAUS LOTHRINGEN
Dietrich von Elsaß | 1128-1168 |
Philipp von Elsaß | 1168-1191 |
HAUS HENNEGAU
Balduin VIII. | 1191-1194 |
Balduin IX. | 1194-1205 |
Johanna | 1205-1244 |
Margarethe I. | 1244-1278 |
HAUS DAMPIERRE
Guido von Dampierre | 1278-1305 |
Robert von Bethune | 1305-1322 |
Ludwig II. von Nevers | 1322-1346 |
Ludwig III. von Male | 1346-1384 |
Margarethe II. Malana | 1384-1405 |