Sohn des chamar Rado
Lexikon des Mittelalters: Band VII Spalte 391
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Radulf, Herzog von Thüringen
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Der wohl austrasische (Friese: neustrische) Große Radulf, Sohn eines Chamar, wurde vor 634 von König Dagobert I. zum dux des Markenherzogtums Thüringen eingesetzt. Nach Siegen über die Wenden rebellierte er gegen den austrasischen Regenten Adalgisel und dann auch gegen den jugendlichen König Sigibert III.; dieser führte 641 einen Feldzug gegen den Aufrührer und den mit ihm verbündeten AGILOLFINGER Fara. Fara wurde getötet; Radulf verschanzte sich über der Unstrut. Die fränkische Belagerung vermochte er dank geheimen Einvernehmens mit Teilen der fränkischen Führung zu durchbrechen und richtete ein Blutbad an; die Überlebenden erreichten freien Abzug. "Radulf aber ging in seinem Übermut so weit, daß er sich für den König in Thüringen hielt." (Fredegar). Mit seinem Sieg begann in den rechtsrheinischen Provinzen der Niedergang der fränkischen Zentralgewalt - Frieses genealogische Hypothesen (Chamar [= frk.-lat. camerar] = Hausmeier Rado; Radulf = Hruodi, Vater des Herzogs Hedene I.) sind nicht haltbar.
Quellen:
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Fredegar IV, 77,88 (MGH SRM II)
Literatur:
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W. Schlesinger, Geschichte Thüringens, I, 1968,
337f. - H. Ebling, Prospographie der Amtsträger des Merowingerreichs,
1974, 204 - A. Friese, Stud. zur Herrschaftsgeschichte des frk Adels, 1979,
17-28,36-41 - R. Butzen, Die Merowinger ö. des mittleren Rheins, 1987,
139-170)
Nur über den ersten und den letzten der
merowingischen Herzöge in der Thuringia, über Radulf
und
Heden II., wissen wir überhaupt etwas Genaueres.
Radulf
(vor 634 bis nach 641/42) war, wie Fredegar anläßlich
seiner Einsetzung in Thüringen durch
Dagobert
I.
lakonisch mitteilt, ein Sohn des chamar (filius chamaro;
franko-lateinisch camerar zu altfränkisch chamar), jenes königlichen
Kämmerers
Rado also, den die Vita Audoin custos palatii thesauros nennt
und der (wohl um 630/31) die Nachfolge seines zum Bischof von Cahors erhobenen
Freundes, des bisherigen königlichen Thesaurus Desiderius,
angetreten hatte.
In diesem einflußreichen Kreis seiner Verwandten
am Pariser Königshof ist Radulf aufgewachsen
und erzogen worden. Ihm erteilt Dagobert I.
um 631/32 den Auftrag, die Grenzsicherung gegen die Slawen in Thüringen
neu zu organisieren und setzt ihn dort als Herzog ein. Kurz zuvor
waren fränkische Kaufleute im Reiche des Wenden-Königs
Samo umgebracht worden. Nach der vernichtenden Niederlage des
Königs bei Wogastisburg gelang es erst einem neustro-burgundischen
Aufgebot, das im Jahre 632 über Mainz und die alten Fernstraßen
durch die Buchonia nach Thüringen zog, die Wenden und Sorben zurückzuschlagen
und sie unter Radulfs Befehl auch in
den folgenden Jahren (634/35) erfolgreich zu bekämpfen.
Obwohl Grimoald
der Hilfe Kuniberts sicher sein konnte, wagte er nicht, gegen
Otto (baiolos) vorzugehen, zumal sich diesem zwei mächtige
Bundesgenossen an die Seite stellten, Radulf von
Thüringen und Fara, der Sohn des Chrodoald.
Radulf hatte sich
schon wiederholt mit der Metzer Regierung, deren Truppen vor der Wogastisburg
so kläglich versagt hatten, besonders mit dem dux Austrasiorum
Adalgisel, angelegt. Als Amts-Herzog war seine Macht
zwar auf königliche Ernennung gegründet, aber sie war nicht vom
austrasischen Hof, sondern von dem in Paris residierenden König ausgesprochen
worden. Radulf
hatte daher vor allem
neustro-burgundische Adelige als Amtsträger und Grundherren nach Thüringen
und in die Nord-Mainlande gezogen, sich aber auch unter den Mainzer Großen,
die den Aufstieg der ARNULFINGER
reserviert, wenn nicht feindlich beobachteten, Verbündete
geschaffen. Freunde und Verwandte nahmen einflußreiche Positionen
im ganzen Franken-Reiche ein. Sein
Onkel Dado/Audoin war inzwischen Bischof von Rouen
und Metropolit Neustriens geworden, im selben Jahre, in den auch
Elegius von Limoges zum Bischof von Noyon geweiht wurde (640).
Burgundofaro war Bischof von Meaux, Sulpitius Bischof
von Bourges, Chagnoald Bischof von Laon. Wichtig aber war jetzt,
641, als es zum Kriege mit den austrasischen Machthabern kam, die Freundschaft
und politische Übereinstimmung mit Fara. Der
AGILOLFINGER, der noch den Tod seines Vaters an den ARNULFINGERN
zu rächen hatte, muß am Unterlauf des Mains eine bedeutende
Position innegehabt haben. Mit seinem Volk trat er hier im Vorfeld des
thüringischen Herzogtums, dem aus ... gentes undique de universis
regni sui pagus gebildeten Heer Sigiberts
III.
unter der Führung Grimoalds
und Adalgisels entgegen.
Er wurde besiegt und getötet.
Durch die Ermordung des Regenten Otto durch den
alemannischen Herzog Leuthari
erreichte der ARNULFINGER den Majordomat,
obwohl der weitere Feldzug gegen Radulf
mit einer großen Niederlage endete. Der jugendliche König
Sigibert, den Grimoald und
Adalgisel undique sine intermissione custudiunt, wie Fredegar
berichtet, zog mit seinem Heer durch die Buchonia und das nördliche
Grabfeld gegen den Thüringer-Herzog, der sich mit Weib und
Kindern in ein Berglager über der Unstrut zurückgezogen hatte.
Hier, im Kernland seines Herzogtums im Thüringer Becken, leistete
er erfolgreich Widerstand, denn im Heer des Königs waren die Führer
zerstritten. Als Radulf, gut vorbereitet,
einen Ausfall wagte, schlug er die Belagerer vernichtend.
König
Sigibert mußte um Waffenstillstand und unbehelligten Abzug
bitten.
Radulfs Herrschaft
glich also der königlichen; er verfolgte eine unabhängige Außenpolitik,
schloß Freundschaftsverträge mit den benachbarten Völkern,
von denen die Wenden besonders genannt werden und kümmerte sich nicht
um die Weisungen Sigiberts, den er
nun formaliter als König anerkannte. Die natürliche Folge dieser
Politik war eine weitere Entfremdung Thüringens von der Austria. Von
Radulf
selbst
hören wir nichts mehr.
Ewig Eugen: Seite 128,131,143,162,195
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"Die Merowinger und das Frankenreich"
Die Auseinandersetzung mit Samo
blieb Sache der Austrasier. Der König traf die notwendigen organisatorischen
Maßnahmen. Er fand für Thüringen den geeigneten Mann in
Radulf,
den er als Herzog mit der Grenzverteidigung beauftragte. Nicht nur
Pippin, sondern auch andere duces
Austrasiorum verblieben unter der direkten Herrschaft
Dagoberts.
Zu ihnen gehörten außer dem dux der Champagne wahrscheinlich
die Herzöge der Elsässer, Alamannen und Bayern. Der thüringische
Sprengel
Radulfs mit dem fränkischen
Aufmarschgebiet zur Elb-Saalegrenze an Mittelrhein (Mainz, Worms, Speyer)
und Main wurde jedoch dem Metzer Unter-Königreich
Sigiberts
angeschlossen. Daraus ergaben sich noch vor dem Tod Dagoberts
Reibungen zwischen den Regenten, die den PIPPINIDEN
und ARNULFINGER nahe
standen, und dem erfolgreichen Thüringer-Herzog, der vielleicht
der Sippe des 613 zum austrasischen Hausmeiers erhobenen Rado
angehörte.
Da die Mainlande und Thüringen Etappengebiete für
den Aufmarsch gegen Awaren und Slawen
an der mittleren Elbe waren, dürften hier militärische Bezirke
schon unter Childebert
II. und Theudebert
II. geschaffen worden sein. In der Zeit Dagoberts
zeichnen sich drei größere Amtssprengel ab:
das Marken-Herzogtum Thüringen, das
der König 632 nach der Niederlage von Wogastisburc
Radulf übertrug,
das um Würzburg zentrierte mainthüringische
Herzogtum und das
Herrschaftsgebiet des AGILOLFINGERS
Fara in der Wetterau oder um Aschaffenburg.
Die Ahnenreihe der benachbarten, aber erst später
in Erscheinung tretenden mainthüringischen Herzöge reicht mit
dem Stammvater Ruodi bis in die Zeit Dagoberts
hinauf. Doch begegnet der Leitname Heden (Chedinus) schon
bei einem dux Childeberts II.,
der 590 eine fränkische Heeresgruppe gegen die Langobarden führte
und auch den Würzburger Dukat verwaltet haben kann. Der äußerst
seltene Name läßt jedenfalls auf Verwandtschaft mit Ruodi
schließen, dem Dagobert das mainthüringische
Herzogtum wohl übertrug, als er Radulf als
Herzog im thüringischen Stammland einsetzte.
Pippins Tod führte
zu einer Krise, da Sigiberts Erzieher
Otto, Sohn des domesticus Uto, als Rivale gegen Pippins
Sohn Grimoald auftrat und dessen Nachfolge
im Hausmeieramt blockierte. Dabei brach auch der Gegensatz zwischen dem
dux
Adalgisel und dem Thüringer-Herzog Radulf
wieder auf. Auf der Seite derPIPPINIDEN
standen außer
Adalgisel und Kunibert von Köln sowie
Chlodulf
und
Ansegisel,
dem Sohne
Arnulfs von Metz, der Herzog
Bobo von der Auvergne und der Alamannen-Herzog Leuthari. Diese
Gruppe setzte einen Feldzug gegen Radulf
und
den mit ihm verbündeten AGILOLFINGERFara
durch. Fara fiel oder wurde getötet. Als das Heer
Sigiberts dann weiter über Rhön und Vogelsberg in
Thüringen einrückte, verschanzte sich Radulf
an der Unstrut. Der Thüringer-Herzog hatte unter den Truppen
des Königs Freunde, darunter "die Mainzer" (Macancinses), mit denen
er in geheimen Einverständnis war. Die Opposition im Belagerungsheer
war so stark, daß Grimoald und
Adalgisel das Königskind gegen sie abschirmen mußten. Den
Angriff auf die Festung führte am Ende nur ein Teil des Heeres aus.
Radulf
blieb Sieger und gewährte den Belagerern den freien Abzug
über den Rhein. Er sagte sich nicht vom König los, trat aber
in Thüringen wie ein König auf, schloß Freundschaft mit
den Wenden und "anderen benachbarten Vöklkern".
Von den rechtsrheinischen duces hat wohl nicht
nur der
Thüringer-Herzog Radulfoder
sein Nachfolger die Ablösung der PIPPINIDEN-Herrschaft
(662) begrüßt.
Im alamannischen Bereich deuten sich in der Zeit
Dagoberts I. und Sigiberts III. Veränderungen
an die sich jedoch in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts nicht mehr
verfolgen lassen. Die Herzöge Chrodobert und Leuthari
standen in engeren Beziehungen zum merowingischen
Hof und gehörten vielleicht wie die HEDENE
und der Thüringer-Herzog Radulf der
austrasischen Reichsaristokratie an.
oo N.N.
†
Kinder:
nach Friese
Theotbald (Gozbert) Herzog von Thüringen
† um 700
Heden I. Herzog von Thüringen
† vor 687
Literatur:
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Dahn Felix: Die Völkerwanderung. Germanisch-Romanische
Frühgeschichte Europas. Verlag Hans Kaiser Klagenfurt 1977 Seite 452
- Ewig Eugen: Die Merowinger und das Frankenreich. W. Kohlhammer
GmbH Stuttgart Berlin Köln 1988 Seite 128,131,143,162,194,195 - Fredegar:
Chronik - Friese Alfred: Studien zur Herrschaftsgeschichte des
fränkischen Adels. Der mainländisch-thüringische Raum vom
7. bis 11. Jahrhundert. Klett-Cotta Stuttgart 1979 Seite 17-26 - Hartmann
Martina: Aufbruch ins Mittelalter. Die Zeit der Merowinger. Primus Verlag
2003 Seite 74 - Jarnut Jörg: Agilolfingerstudien. Anton Hiersemann
Stuttgart 1986 Seite 76 - Offergeld Thilo: Reges pueri. Das Königtum
Minderjähriger im frühen Mittelalter. Hahnsche Buchhandlung Hannover
2001 Seite 244, 245,246,290 - Schieffer Rudolf: Die Karolinger.
W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1992 Seite 19 - Werner
Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000. Deutscher
Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1995 Seite 350 -