Lexikon des Mittelalters: Band I Spalte 1283
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Avaren
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In Bezug auf die Frühgeschichte der Avaren können
vier Fragen nicht sicher beantwortet werden: Hängen einige Namen in
älteren Quellen (Abaris bei Herodot, Aparnoi bei Strabon, Abarimon
bei Plinius dem Älteren usw.) mit dem Avarentum zusammen? Wo (in Sibirien?
Turkestan? Dagestan? usw.) fand jener Krieg um 463 zwischen Avaren und
Sabiren statt, der die letzteren ins Kaukasusgebiet trieb? Kam der Name
Awar den europäischen Avaren ureigens zu oder wurde er erst während
dwer Westwanderung unterschoben (hießen die Pseudo-Avaren ursprünglich
War-Chunni)? Sind die Vorfahren der pannonischen Avaren in den chinesischen
Quellen mit den Jou-Jan der Mongolei oder mit dem Hua (= ? War)-Volk des
Hephthalitenreichs (oder mit beiden) zu verbinden? Nach Ansicht der meisten
Fachleute war die Sprache der Donau-Avaren altaisch; die einen zählen
sie dem türkischen, die anderen dem mongolischen Sprachzweig zu. Die
in der Steppe bzw. im Karpatenbecken dem Awarentum nacheinnader (567/68,580/90,670/80)
sich anschließenden Nomadenstämme (Kutriguren, Tarniach, Onoguren
usw.) sprachen ein bulgarisch-türkisches Idiom.
Nachdem die Türken das Joch der Jou-Jan abschüttelten
und eine eigenes Nomaden-Reich gründeten (552), blieb ein Teil der
Avaren unter türkischer Herrschaft im Osten. 20.000 Krieger flohen
aber samt ihren Sippen vor der türkischen Oberhoheit gen Westen. Sie
fanden bei den Alanen zeitweise Zuflucht und
schickten von dort ihre erste Gesandtschaft nach Konstantinopel (558).
Justinian gewann die Neuankömmlinge durch Geschenke für
sich als Schutz gegen die Steppenvölker. Diese (Sabiren, Onoguren,
Utiguren, Kutriguren, usw.) huldigten den durchziehenden Avaren, und viele
slawischen Anten verfielen der Sklaverei. Bereits um 562 gelangte Khagan
Bajan zur unteren Donau. Er überfiel
zweimal die fränkischen Grenzgebiete an der Elbe, dann verband er
sich mit dem langobardischen
König
Alboin zur Vernichtung
des Gepiden-Staats. Er nahm zuerst (567)
Gepidien (Siebenbürgen-Theißgegend) und nach dem Auszug der
Langobarden (568) auch Pannonien in
Besitz. Nach der Landnahme führten die Avaren ihre ersten Angriffe
gegen die byzantinischen Balkanprovinzen, bis ihnen Ostrom das zwischen
565-574 entzogene Jahrgeld wieder gewährte. Bajans
letzte Waffentat war die Einnahme Sirmiums (582), das er als die einstige
Hauptstadt der von ihm unterworfenen Gepiden seit 568 für sich forderte.
Bajans ältester Sohn setzte die Streifzüge in Richtung
auf Byzanz, Thessalonike und Dalmatien fort, obwohl inzwischen das Jahrgeld
für Friedenszeiten auf 100.000 Goldstücke erhöht worden
war und die Türken ihren 'entlaufenen' Untertanen, den Avaren nachsetzten,
um 584/85 für kurze Zeit fast bis zur Donau vorzudringen. In der Gefolgschaft
der Avaren überfluteten die Slawen nicht nur den Nord-Balkan, sondern
für zwei Jahrhunderte auch den West-Peloponnes. Erst nach dem erfolgreichen
Abschluß des aufreibenden Krieges (572-592) konnte Kaiser Maurikios
größere Heere an die Balkanfront werfen, wo nun die Byzantiner
mehrfach zur Offensive übergingen. Aber die dem blutigen Sturz des
Maurikios
(602) und des Phokas (610)
folgenden Wirren lieferten das Reich immer neuen Invasionen und ständig
höheren Geldforderungen aus. Gegen den gemeinsamen Feind Byzanz waren
die sich in Italien ausbreitenden Langobarden in den Jahren um 590-600
die natürlichen Verbündeten der Avaren. Erst um 610 führten
die Nomaden auch gegen das langobardische Friaul einen Plünderungszug,
nachdem sie ihre Herrschaft über die karantanischen Slawen den Bayern
gegenüber behaupteten (595/96). Als Bajans
jüngerer
Sohn um 610 Khagan wurde, erstreckte sich die Machtsphäre der Avaren
von den bayerisch-fränkischen Grenzen bis zu dem durch die Türken
geräumten Kubangebiet, vom Balkan bis Thüringen. Aber die von
ihren Gebietern grausam ausgebeuteten Slawen wurden der awarischen Knechtschaft
überdrüssig. 623 schüttelten die Karantanen (Wenden) unter
Samos Führung, dessen Macht sich bis zur Elbe (Derwan)
erstreckte, das Avaren-Reich ab, nach der mißglückten Belagerung
von Konstantinopel (626) fielen die Balkanslawen vom Khagan ab (die neu
einwandernden Kroaten und Serben schlossen sich dem Kaiser Herakleios
an), 631 flohen 9.000 bulgarische Familien nach blutigem Bürgerkrieg
aus dem Avarenland zu den Bayern, um 635 sagte sich Kuvrat,
der Herrscher Groß-Bulgariens im Steppengebiet, vom Khagan
los; aus dem Land der Duleben verschwanden die Avaren spurlos, die Nachfahren
der durch die Avaren massenhaft verschleppten byzantinischen Kriegsgefangenen
flüchteten ins Reich zurück, und um 680 entriß Asparuch,
der Begründer Donau-Bulgariens, die Slawen am Istros
dem Khaganat.
Damit schob sich dieser neue Staat zwischen das Avarenland
und Byzanz. Die byzantinischen Quellen verstummen für ein Jahrhundert
(680-780), und die westlichen Autoren sprechen nur spärlich von den
Avaren. Am Vorabend dieser Zeitspanne führte Kuvrats
vierter
Sohn aus dem zerfallenen Groß-Bulgarien onogurische Nomaden ins Avarenland.
Avarisch-bayerische Kämpfe tobten um die Enns-Grenze, wo der Bischofssitz
Lauriacu (Lorch) zerstört wurde. In den 740-er Jahren schüttelten
die nach Samos Tod (658) wieder dem
Khaganat unterstellten Karantanen mit bayerischer Hilfe das Avarenjoch
ab.
Die Avaren unterhielten mit mehreren Langobarden-Königen
(Agilulf,
Grimoald,
Perctarit,
Liutprand)
freundschaftliche Beziehungen, boten den vor KARL
DEM GROSSEN geflohenen Langobarden Zuflucht und unterstützten
den Bayern-Herzog
Tassilo III., den die Franken absetzten (788). Mit seiner Absetzung
übernahm KARL den Grenzschutz
im Osten. 791 ging er zum Angriff über und führte selbst ein
fränkisches Heer donauabwärts gegen die Avaren, die ihm aber
im wegelosen Land auswichen, so daß der Feldzug erfolglos blieb.
KARL ordnete deshalb für den weiteren
Kampf gründliche Vorbereitungen an, zu denen der Bau der Fossa Carilina
zwischen Altmühl und Rezat (793) - zur Verbindung von Rhein, Main
und Donau - gehörte. 795/96 folgten dann die entscheidenden Angriffe
durch den Markgrafen Erich von Friaul beziehungsweise König
Pippin
von Italien, die mit der Eroberung des zentralen Lagers (hring
oder campus) den gewaltigen Avarenschatz erbeuteten und den Avarenstaat
zerschlugen, dessen Kräfte bereits durch den Streit der rivalisierenden
Großwürdenträger lahmgelegt war. Die nach wenigen Aufständen
endgültig pazifizierten Avarenüberreste wurden von Salzburg und
Aquileia aus christianisiert, hatten noch 822 eine eigene Herrschaftsorganisation
innerhalb des Franken-Reichs und lebten
in der Ostmark mindestens bis zu den 870-er Jahren als zinsbare Landbevölkerung.
Einen Teil der östlich der Donau wohnenden Avaren unterwarf Krum
um
805 dem Bulgaren-Staat. Avarische Überreste werden zuletzt um 950
in Dalmatien erwähnt.
Um 550 wurden die Awaren von den Türken aus den Steppen
östlich der Wolga vertrieben; sie gründeten in Ungarn ein Reich.
Sie durchzogen in Raubzügen die Balkanhalbinsel, drangen seit 788
wiederholt ins Franken-Reich ein und wurden in den Awaren-Kriegen (ab 791)
von KARL DEM GROSSEN im Bündnis
mit den Südslawen vernichtet. 805 wurden den Resten der Awaren von
KARL
DEM GROSSEN neue Wohnsitze zwischen
Sabaria (Steinamanger) und Carnuntum (petronell östlich von Wien)
zugewiesen.