TOULOUSE
 

Lexikon des Mittelalters: Band VIII Spalte 911
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Toulouse, Grafschaft
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[1.] Die Anfänge

Die als Mark gegen Sarazenen und Vasconen errichtete Grafschaft Toulouse unterstand zunächst Grafen, die von den KAROLINGERN ernannt wurden (sogenannte ‚Amtsgrafen‘). Der erste von ihnen, Chorson (778-790), wurde 787 von den Vasconen gefangegenommen; an seine Stelle trat ein Vetter KARLS DES GROSSEN, Wilhelm der Fromme (vor 741-812), der sich nach verdienstvollem Kampf gegen die Sarazenen 806 in die Abtei Gellone zurückzog. Einer seiner Nachfolger, Fredelo, übte die Funktionen des Grafen unter dem bloßen Titel eines ‚custos civitatis‘ aus, gleichsam als Vertreter des eigentlichen Inhabers der Grafengewalt, Wilhelm II., der in Katalonien gefangengenommen und hingerichtet wurde (Barcelona, 850).
Fredelo steht am Anfang des Grafenhauses von Toulouse (RAIMUNDINER), das mit Fredelos Bruder Raimund I. (852-863) und seinen Neffen Bernhard (865-877) und Odo erstmals die Grafengewalt ausübte. Der Herrschaftsbereich der Grafen von Toulouse, der zunächst die Mark Toulouse umfaßte, dann aber auf das Toulousain beschränkt wurde, erweiterte sich unter der Regierung Bernhards auf die Grafschaften Rouergue und Quercy, die Bernhard durch Heirat erwarb, sowie Carcasses (Carcassonne) und Razes, die er als Benefizien innehatte. Nach dem Tode Odos (918) wurden die Territorien geteilt unter die beiden Söhne Raimund II. und Ermengol, den Begründern der beiden Zweige Toulouse und Rouergue. Nach dem Tode Raimunds II. (923) vereinigte dessen einziger Sohn, Raimund III. Pons (923-950), den Tolosaner Staat durch die Ausübung der Lehnshoheit (Souzeränität) über die Grafschaften Carcassonne, Albigeois, Rouergue und Quercy; zeitweise war er auch Herzog von Aquitanien 936-941). Aufgrund der Heirat mit Emma von Provence konnte Raimunds Sohn Wilhelm III. 'Taillefer' ( 1037) die Herrschaft Tarascon und Terre d'Argence seinen Territorien einverleiben.

[2.] Im 11. und 12. Jh.

Das während des 11. Jh. mehrmals geteilte Tolosaner Fürstentum wurde nach dem Tode Wilhelms IV. (1092) von dessen Bruder, Raimund IV. von Saint-Gilles, wieder vereinigt; der Fürst, der 1096 als Befehlshaber des südfranzösischen Kreuzfahrerheeres ins Heilige Land zog und dort bis zu seinem Lebensende ( 28. Februar 1105) verblieb, war bereits seit 1065 Herr der Grafschaften Rouergue, Nimes und Narbonne, weiterhin der Grafschaften Gevaudan, Agde, Beziers, des Pays d'Uzes und vielleicht des Vivarais; er intitulierte sich als "Graf von Toulouse, Herzog von Narbonne und Markgraf von Provence" und vererbte seinen Nachkommen ein Fürstentum, dessen Grenzen (trotz der Ansprüche der Herzöge von Aquitanien) bis ins 13. Jh. stabil blieben.
Bei seiner Kreuznahme übertrug Raimund von Saint-Gilles sein Fürstentum dem älteren Sohn Bertrand, der ebenfalls ins Heilige Land aufbrach ( 1112 ebendort) und seine Güter wiederum dem jüngeren Bruder, Alfons Jordan, übergab. Unter Ausnutzung der durch Besitzwechsel und Abwesenheit der Grafen entstandenen Schwächung besetzte der Herzog von Aquitanien, Wilhelm IX., zweimal Toulouse (1098-1100,1114-1119) und vererbte seiner Tochter Eleonore Rechte, die Eleonores erster Gemahl, König Ludwig VII. von Frankreich, durch eine Belagerung von Toulouse (1141) zu realsieren versuchte, ebenso der zweite Ehemann der Gräfin, König Heinrich II. Plantagenet; zwar mußte Heinrich 1159 die Belagerung von Toulouse aufheben, doch konnte er seine Lehnshoheit 1173 dem Sohn von Alfons Jordan, Raimund V. (1148-1194), aufnötigen.
In feindseliger Rivalität zu den Grafen von Barcelona (seit 1137 Könige von Aragon), die den mittelmeernahen Teil des Languedoc (über das Haus TRENCAVEL) zu kontrollieren trachteten, setzte Raimund V. 1163 seine Lehnshoheit gegenüber dem Vizegrafen von Carcassonne, der Vizegräfin von Narbonne und dem Herrn von Montpellier durch. 1176 annektierte er die Grafschaft Melgueil, stellte seine Autorität über Nimes wieder her und unterdrückte die von König von Aragon geschürten Revolten. 1154 heiratete er Constance, die Tochter König Ludwigs VI. von Frankreich, und verstieß sie 1165. Unter Raimunds V. Regierung erwarb Toulouse definitiv seine städtischen Privilegien; in dieser Zeit begann auch die verhängnisvolle Ausbreitung des Katharertums.

[3.] Albigensekrieg und Übergang an das Königreich Frankreich

Die religiöse Frage begann die Politik der Grafschaft zu beherrschen. Gegen den 1207 exkommunizierten Raimund VI. (1194-1222) wurde der Albigenser-Kreuzzug entfesselt. Das IV. Laterankonzil beraubte Raimund seiner Besitzungen und setzte den Befehlshaber der Kreuzzugs, Simon de Montfort, zu einem Grafen von Toulouse ein, doch konnte Raimund, nach dem Tode Montforts vor Toulouse (25. Juni 1218), einen Großteil seiner Länder zurückgewinnen. Nach seinem Tode (1222), immer noch im Stande der Exkommunikation) hinerließ er seinem Sohn Raimund VII. (1222-1249) die schwere Aufgabe, einem neuem, vom französischen König persönlich geführten Kreuzzug standzuhalten. Im Frieden von Meaux-Paris (12. April 1229) verlor Raimund VII. alle westlichen Besitzungen sowie Quercy an die kapetingische Monarchie und mußte der Heirat seiner Erb-Tochter Jeanne mit einem Bruder des Königs, Alfons von Poitiers, zustimmen. Während der Kriegs- und Krisenzeit hatten die Grafen von Toulouse den Ausbau der städtischen Privilegien von Toulouse hinnehmen müssen. Nach dem Vertrag von Meaux war Raimund VII. bestrebt, die direkten und indirekten Folgen für seine Herrschaft zu mildern. Als Teilnehmer an der vom König von England gegen Ludwig den Heiligen von Frankreich gesteuerten Koalition wurde er von der Niederlage von Taillebourg (1242) mitbetroffen. Sein Versuch einer Zurückdrängung der "libertes toulousaines" blieb ohne durchschlagenden Erfolg. Nach dem Tod des Grafen (1249) ließ die Regentin von Frankreich, die 'Königin-Mutter' Blanca von Kastilien, die Grafschaft für Sohn und Schwiegertochter beschlagnahmen: Alfons von Poitiers (obwohl selten persönlich präsent) war auf Beschneidung der Autonomie von Toulouse bedacht und führte, meist gestützt auf den Einsatz von königlichen Beamten, die kapetingischen Verwaltungspraktiken ein. Nach dem Tod von Alfons und seiner Gemahlin (1271) ließ der König von Frankreich in Anwendung des Vertrags von Meaux ab Oktober 1271 die Grafschaft Toulouse durch seine Kommissäre in Besitz nehmen; die Tolosaner Unabhängigkeit war beeendet.