Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 356
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Jerusalem, Königreich
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Die Gründung des Königreiches Jerusalem wurde
am 22. Juli 1099, eine Woche nach der Eroberung Jerusalems, von einer Versammlung
der Befehlshaber des 1. Kreuzzuges beschlossen. Der erste Herrscher, Gottfried
von Bouillon, lehnte den Königstitel ab, doch sein Nachfolger
Balduin von Luxemburg (Balduin I.)
ließ sich Weihnachten 1100 in Bethlehem krönen. Hierfür
wurde die päpstliche Approbation erbeten und gewährt; im übrigen
war Jerusalem aber nie 'Vasallenstaat' des Heiligen Stuhles oder des neugegründeten
Patriarchats, dessen erster kanonisch gewählter Inhaber, Daimbert,
allerdings versucht hatte, Gottfried von Bouillon
in eine abhängige Stellung zu drängen. Auch die Anerkennung einer
byzantinischen Oberhoheit, wie sie in der Krise von 1171 offenbar akzeptiert
worden ist, blieb ohne praktische Auswirkungen.
Zur Zeit seiner größten Ausdehnung, in den
Jahren nach 1153, umfaßte das Königreich Jerusalem ein Gebiet,
das im Norden bis Beirut, im Süden noch über al-Darum, einen
Ort an der Küstenstraße nach Ägypten, hinausreichte. Im
Binnenland wurde im Norden um Beirut, nur ein schmaler Küstenstreifen
von Christen beherrscht, während die Herrschaft im Süden weit
ins Landesinnere reichte und mit der mächtigen Herrschaft Oultrejourdain
(Transjordanien) sogar das Gebiet des östlich des Sees von Tiberias
und des Toten Meeres, bis zum Golf von Aqaba, umfaßte.
Die Herren der beiden nördlich von Beirut gelegenen
Grafschaften Tripolis und Edessa waren zeitweilig persönlich Vasallen
des Königs von Jerusalem; ob und wieweit diese Grafschaften als solche
aber von Jerusalem lehnsrührig waren, bleibt eine offene Frage. Das
Fürstentum Antiochia, das als Vasall des Byzantinischen Reiches konstituiert
war, scheint zeitweilig (vor allem während seiner Konflikte mit Byzanz)
eine gewisse Oberherrschaft Jerusalems als des mächtigsten der Kreuzfahrerstaaten
akzeptiert zu haben.
Die Kreuzfahrer und ihre im Heiligen Land ansässigen
Nachkommen gründeten zwar einige Siedlungen, die mit Zuwanderern aus
W-Europa zu entsprechendem Recht besiedelt waren, ließen aber im
übrigen die Strukturen der einheimischen Dörfer unangetastet
und nutzten sie als Steuer- und Abgabenquelle, wobei sie die aus muslinmischer
Zeit überkommene effiziente Fiskalverwaltung im wesentlichen beibehielten.
Da in den Dörfern kaum Domanialland bestand (ein charakteristischer
Zug der Landwirtschaft in Palästina), blieb das Interesse der neuen
Herren an Eigenbewirtschaftung gering. Auch in den Städten wurden
die bewährten muslimischen Praktikender Besteuerung von handel und
Gewerbe weiter fortgefführt, die Steuerämter lediglich nach westlichem
Vorbild mit Jurisdiktionsbefugnissen ausgestattet. Die Maschinerie der
islamischen Verwaltung war von feudalen Herrschaftsstrukturen überwölbt;
auf dieser Ebene traten ausschließlich lateinische Christen in Erscheinung,
denn nur sie waren vor Gericht und im öffentlichen Leben vollberechtigt.
Das Lehnswesen war teils durch starke Vorherrschaft des Geld- und Rentenlehns,
teils durch einen Typ des Lehens, der in einer Mischung aus Landbesitz,
Natural- und Geldleistungen bestand, geprägt. Das Königreich
war in einzelne Herrschaften aufgegliedert, deren Inhaber - vielleicht
nach dem Vorbild westlicher Markenorganisation - über volle Jurisdiktionsrechte
verfügten. Dies zog eine Zersplitterung der politischen Gewalt nach
sixch, da das Königtum nur innerhalb seiner Krondomäne über
öffentliche Gerichtshöfe und sonstige Wirksame Institutionen
der Machtausübung verfügte, im übrigen aber nur mit Rat
und Hilfe seiner Kronvasallen regieren konnte. Die Haute Cour, die
Versammlung der Kronvasallen, war folglich Zentrum der politischen Macht;
allerdings wurde dieses Gremium in der Zeit nach 1163 stark vergrößert,
da aufgrund der Assise sur la ligece nun auch Aftervasallen zugelassen
wurden. Bei besonderen Gelegenheiten wurde die Haute Cour zum Parlement
erweitert, unter Teilnahme von Repräsentanten aller Institutionen
des Königreiches. Da jedoch - außer in wenigen Sonderfällen
- keine allgemeinen Steuern erhoben wurden, blieb eine Entwicklung zu 'tiers
etat' und 'ständischer' Repräsentation aus. Die sich über
der ausgeklügelten islamischen Bürokratie erhebenden Institutionen
einer Zentralverwaltung trugen stets rudimentäre Züge. In einer
'frontier society', in der die Zahl der Ritter begrenzt war (von einer
zu vermutenden Gesamtzahl von 700 Rittern konnten nur ca. 500 Ritter mit
Lehen ausgestattet werden), wurde stark das Moment des Dienstes betont
- zu einem Zeitpunkt, als in W-Europa feudale Dienste vielfach abgelöst
oder transfomiert worden waren. Auf diesem Hintergrund ist die Entstehung
der bedeutenden baronialen Rechtsschule des 13. Jh. zu sehen, in deren
Werken ein Bild des Königreiches entworfen wird, das den Monarchen
gleichsam auf die Rolle eines 'chef seigneur' reduziert.
Demgemäß wurde die Gesellschaft des Königreiches
Jerusalem in der älteren Forschung häufig als eine Feudalgesellschaft
angesehen, die im wesentlichen den Stand des 11. Jh. konservierte. Heute
läßt sich allerdings zeigen, daß das Königtum gleichwohl
über ausgedehnte Rechte und Machtmittel verfügte: Die Krondomäne
war größer als die einzelnen Herrschaften und umfaßte
auch die ertragreichen Haupthäfen Akkon und Tyros. Ebenso war das
Königreich ind er Lage, die feudalen Strukturen zu seinen Gunsten
zu modifizieren, während die einzelnen Herrschaften bald in finanzielle
Bedrängnis gerieten.
Mit der Schlacht von Hattin (1187), in der Saladin
das größte Kreuzfahrerheer, das je im Felde stand, vernichtete,
geriet die Verteilung der politischen Gewichte ins Wanken. Trotz der Rückeroberung
weiter Teile der Küstengebiete in den Jahren nach 1190 erreichte das
Königreich Jerusalem nie mehr seine alte Ausdehnung; die Stadt Jerusalem
war nur mehr für kurze Zeit, 1229-1244, in christlicher Hand. Doch
konnten die Territorialverluste in gewissem Maße durch die reichen
Häfen, die infolge des Aufschwungs der transasiatischen Handelsverbindungen
ihre Blüte erlebten, ausgeglichen werden. Andererseits wurde
das Königreich durch eine Anzahl von Faktoren im 13. Jh. geschwächt:
instabile dynastische und politische Verhältnisse (1186-1228: Anfall
der Krone an Herrscherinnen bzw. deren Ehemämmer, 1225-1269: häufig
wechselnde Regentschaften); Aufstieg einer mächtigen Aristokratie,
die sich in schwere Auseinandersetzungen mit FRIEDRICH
II. verwickelte; Thronstreit zwischen den LUSIGNAN
und Karl von Anjou (1277-1285).
Eine sich um die Mitte des 13. Jh. vollziehende Verlagerung
des Asienhandels, der nun nicht mehr auf die Häfen des Landes orientiert
war, schwächte die Position der Königsgewalt und führte
bei den italienischen Kaufleutegemeinschaften zu heftigen Konflikten. Begünstigt
durch die inneren Krisen, konnten die auf ihre straffe Militärmacht
gestützten Mamluken seit 1263 ihre Herrschaft auf Kosten der Lateiner
Zug um Zug ausdehnen. Ihr jahrzehntelanges Vordringen gipfelte in der Einnahme
Akkons (18. Mai 1291); der letzte Außenpostend er Lateiner fiel am
14. August 1291. Damit war Jerusalem zu einem Titular-Königtum geworden,
dessen Krone von den LUSIGNAN und den
Nachkommen Karls von Anjou getragen
wurde.
Gottfried I. von Bouillon | 1099-1100 |
Balduin I. von Boulogne | 1100-1118 |
Balduin II. von Le Bourg | 1118-1131 |
Fulko von Anjou | 1131-1143 |
Balduin III. | 1143-1163 |
Amalrich I. | 1163-1174 |
Balduin IV. | 1174-1185 |
Balduin V. | 1183-1186 |
Guido von Lusignan | 1186-1190 |
Konrad I. von Montferrat | 1190-1192 |
Heinrich I. von der Champagne | 1192-1197 |
Amalrich II. von Lusignan | 1197-1205 |
Isabella I. | 1205 |
Maria I. la Marquise | 1205-1210 |
Johann I. von Brienne | 1210-1212 |
Isabella II. | 1212-1225 |
FRIEDRICH II. VON HOHENSTAUFEN | 1225-1228 |
KONRAD II. VON HOHENSTAUFEN | 1228-1254 |
Konrad III. von Hohenstaufen | 1254-1268 |
Hugo I. von Antiochia-Lusignan | 1268-1284 |
Karl I. von Anjou | 1277-1285 |
Johann II. von Antiochia-Lusignan | 1284-1285 |
Karl II. von Anjou | 1285-1286 |
Heinrich II. von Antiochia-Lusignan | 1285-1291 |