STAMMTAFEL im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 17
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Lusigan (Sires de Lusignan)
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Weitverzweigte große Adelsfamilie aus SW-Frankreich
I. DAS HAUS LUSIGNAN
[1.] Geschichte
Der südwestlich von Poitiers (dep. Vienne) gelegene
Ort Lusignan (Liciniacus) erscheint 929 in den Quellen als Vorort einer
Vicaria (viguerie). Über die ersten Herren von Lusignan ist nur bekannt,
was die Chronik von Saint-Maixent berichtet: Nach ihr hatte Hugo I.
(Hugo venator, ‚der Jäger‘) einen Sohn, Hugo II. ‚le Cher‘
der
die Burg Lusignan errichten ließ. Dessen Sohn Hugo III.
‚le Blanc‘ ist 1010 in den Quellen faßbar, muß aber spätestens
1012 gestorben sein. Die frühen LUSIGNAN standen ursprünglich
vielleicht an der Spitze der Vicaria; sie waren Leute des Grafen von Poitou
und hatten bereits um 1000 umfangreiche Besitzungen, vor allem aus Kirchengut
der Abtei St-Maixent und des Bistums Poitiers.
Die Beziehungen der LUSIGNAN zu ihren Lehnsherrn
gestaltete sich konfliktreich. Hugo IV. ‚le Brun‘, der Sohn Hugos
III., der mit anderen Großen im Streit lag (Vicomte von Thouars;
Aimerich von Rancon, Kastellan von Gencay; Bernhard, Graf der Marche und
Seigneur von Civray), stand zeitweise auf der Seite des Grafen von Poitou,
zeitweise auf der seiner Gegner. Das Abkommen von 1024-1025, „Conventum
inter Guillelmum Aquitanorum comitem et Hugonem Chiliarchum“, ist eine
erstrangige Quelle für Lehnswesen und Lehnrecht und steht wohl im
Zusammenhang mit dem Rat, den der Graf von Poitou bei Fulbert von Chartres
über die wechselseitigen Rechte und Pflichten von Seigneur und Vasallen
eingeholt hatte. Hugo V. ‚le Pieux‘ folgte seinem Vater 1025/26
nach und fiel 1060 während einer Belagerung seiner Burg durch die
Leute des Grafen von Poitou; aufgrund der Ehe Hugos V. mit Aumode
(Almodis), der Tochter des Grafen Bernhard von der Marche, sollten
die LUSIGNAN Erbansprüche auf die Grafschaft Marche erheben.
Hugo
VI. ‚le Diable‘ (+ 1110) setzte den Krieg des Vaters gegen den Grafen
fort; im letzten Jahrzehnt des 11. Jh. versuchte er, nun mit Unterstützung
des Grafen, seine Rechte auf die Grafschaft Marche geltend zu machen, stieß
aber dort auf den energischen Widerstand des Grafen von Angouleme, Wilhelm
III. Taillefer. Hugo VII. ‘le Brun‘ (+ vor April 1149) führte
gemeinsam mit dem Sire de Parthenay einen landandauernden Krieg gegen den
Herzog von Aquitanien; dieser blieb jedoch siegreich (1118,1122). Nach
der Versöhnung Hugos mit Wilhelm IX. brachen erneut Auseinandersetzungen
mit dessen Nachfolger, Wilhelm X., aus, die der Herzog erfolgreich bestand
(1126, vor 1136).
Während Hugo VIII. (+ vor 1173, spätestens
vor 1177) noch ein weitgehend konfliktfreies Verhältnis zu Heinrich
II. von England, seit 1152 durch Heirat mit Eleonore
Graf
von Poitou, hatte, nahmen Hugos Söhne, Geoffroi
und
Aimeri
(Amauri) 1168 an der Empörung der Königssöhne
teil; Heinrich II. bemächtigte
sich Lusignans und setzte hier zu seinem Vertreter den Grafen Patrick von
Salisbury ein, der jedoch von Gui, einem anderen Sohn Hugos VIII.,
ermordet wurde. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt starb Hugo, der
älteste Sohn Hugos VIII., der die Güter der LUSIGNAN
für seinen Vater verwaltete. 1173 trat Geoffroi von Lusignan
wieder aktiv bei einem Aufstand der PLANTAGENET-Prinzen
gegen Heinrich II. in Erscheinung;
1188 ergriff der LUSIGNAN die Waffen gegen Graf
Richard von Poitou. Hugo IX., Enkel Hugos VIII.,
heiratete Mathide, die einzige Tochter des Grafen Vulgrin von Angouleme;
beider Sohn Hugo X. wurde verlobt mit Isabella,
der Erbtochter des Grafen Aimar, der als Nachfolger seines Bruders Vulgrin
die Grafschaft Angouleme regierte. Doch entführte König
Johann ‚Ohneland‘ 1199 die junge Gräfin und heiratete sie,
was einen Aufstand der LUSIGNAN auslöste, der erst 1214 mit
einem Ausgleich seinen Abschluß fand. Erst nach dem Tode des Vaters
bei Damietta (1219) heiratete Hugo X. seine frühere Verlobte
Isabella,
deren königlicher Gemahl 1216 gestorben war. Verbündet mit König
Heinrich III., dem Sohn von Isabella,
stand Hugo X. an der Spitze einer mächtigen Adelsrevolte gegen
Alfons,
den neuen Grafen von Poitiers. Das von König
Ludwig IX. dem Heiligen geführte Heer zwang den Empörern
jedoch den Vertrag von Ponss (1242) auf, der einen Schlußpunkt unter
die Auseinandersetzungen zwischen den LUSIGNAN und den Grafen von
Poitou setzte.
[2] Kirchliche Stiftertätigkeit und Kreuzzugsteilnahme
Der Sire de Lusignan war Lehnsmann der Abtei St-Maixent
und des Bischofs von Poitiers. Er gehörte zu den vier Baronen des
Poitou, die das Vorrecht hatten, den Bischof bei seinem feierlichen Einzug
zu tragen. Mehrere LUSIGNAN stifteten Abteien: Hugo IV. (Priorate
Notre-Dame de Lusignan, 1025, und St-Martin de Couhe, 1206), Hugo VI.
(Abtei
Bonnevaux, 1120 oder später), Hugo X. (Abtei Valence, 1220).
Die LUSIGNAN förderten die Ansiedlung von Franziskanerkonventen
(Poitiers, Angouleme, Cognac).
Seit der 2. Hälfte des 11. Jh. waren die LUSIGNAN
eng mit den Kreuzzügen verbunden. Hugo VI. folgte dem Appell
des Königs von Kastilien (Belagerung von Tudela, 1087) und nahm 1101
am unglücklich verlaufenen Kreuzzugsunternehmen Herzog Wilhelms IX.
von Aquitanien im Heiligen Land teil (1101-1102). Hugo VII. zog
mit König Ludwig VII. 1147 in
den 2. Kreuzzug und starb in Palästina. Hugo VIII. war 1163
im Heiligen Land, nahm teil am Sieg bei Tripolis und geriet bei der verlorenen
Schlacht von Harim in Gefangenschaft (1164). Seine Söhne Guido
und Aimerich waren Könige von
Jerusalem und gründeten das Königreich Zypern. Hugo IX.
nahm am 3. Kreuzzug teil (1190), Hugo X. starb 1248 bei Damietta,
Hugo
XI. 1250 bei Mansura, Hugo XII. 1270 vor Tunis; Hugo XIII.
nahm am französischen Aragon-„Kreuzzug“ von 1285 teil.
[3] Territorialpolitik und genealogische Beziehungen. Zwischen England und Frankreich
Durch ihre poitevinischen Beziehungen kontrollierten die LUSIGNAN die Straßen nach Niort, La Rochelle, Saintes und Angouleme. Die Söhne Hugos VIII., Raoul und Geoffroi, begründeten die Linien von Exoudun (Lezay, Melle, Brioux, Chize, Civray) und Vouvant (Chatellerault, Montcontour, Mervent, Fontenay); Wilhelm von Valence, Sohn von Hugo X., war Ahnherr der Grafen von Pembroke. 1177 verkaufte Graf Audebert IV. von der Marche seine Grafschaft an KönigHeinrich II. von England, trotz aller Ansprüche der LUSIGNAN aufgrund ihrer Abstammung von Aumode (Almodis). Nach dem Tode von Richard Löwenherz (1199) erzwang Hugo IX. durch Gefangennahme der Königin-Mutter Eleonore die Herausgabe der Marche; König Johann akzeptierte Hugos Lehnseid 1200, nahm aber 1202 die Grafschaft ein, um sie jedoch 1214 wieder an Hugo IX. zurückzugeben; 1262 fügte Hugo XII. der March die Vizegrafschaft Aubusson hinzu. Durch Heirat mit Isabella wurde Hugo X. 1220 Graf von Angouleme; er teilte Cognac zugunsten des Sohnes Gui von der Grafschaft ab (1248). Nach seiner Niederlage von 1242 verlor Hugo X. ein Drittel seiner poitevinischen Güter. Nach dem Tode Hugos XIII. (+ 1303, kinderlos) bemächtigte sich dessen Bruder Gui (Guyard), obwohl enterbt, der Hinterlassenschaft und setzte, da selber kinderlos, in einem Geheimvertrag den König von England zum Erben ein (1305). Als dieser Vertrag bekannt wurde (Frühjahr 130), ließ König Philipp IV. von Frankreich alle Besitzungen Guyards einziehen. Nach dessen Tod (+ 28. November 1308) erreichte König Philipp den Verzicht der letzten Erbberechtigten, nämlich des Grafen Aimar von Pembroke und der Schwestern des Verstorbenen, Yolande, Marie und Jeanne. Nach Yolandes Tod (+ Ende 1314) wurde die Herrschaft Lusignan definitiv der Krone einverleibt, wie zuvor schon die Grafschaft Angouleme; die Grafschaft Marche wurde als Apanage an den Prinzen Karl IV. ausgetan.
II. DIE LUSIGNAN IM LATEINISCHEN OSTEN
Seit 1096 nahmen LUSIGNAN
an den Kreuzzügen teil, doch erst um1168 siedelte sich Aimerich
(Aimeri), der 3. Sohn von Hugo VIII., auf Dauer im Heiligen
Land an und ließ seinen jüngeren Bruder
Guido
nachkommen, der die Erb-Tochter des Königreiches Jerusalem heiratete
und 1186 König wurde. Bei Hattin (1187) geschlagen und schließlich
der Krone beraubt (1192) wurde Guido Herr
von Zypern, das er Aimerich
hinterließ (1194).
Aimerich, der König
geworden war, heiratete Isabella I.,
Königin
von Jerusalem; seine Nachkommen wurden als „Herren des Königreiches
Jerusalem“ anerkannt, während
Kaiser
FRIEDRICH II. den Jerusalemer Thron nicht zu halten vermochte.
Gleichzeitig waren sie Könige von Zypern; doch bei allen
LUSIGNAN-Königen
(Hugo I., Heinrich
I., Hugo II.) traten lange
Perioden der Minderjährigkeit ein, was (bei Heinrich
I.) gar einen Bürgerkrieg auslöste.
Nachdem die LUSIGNAN
1267 im Mannesstamm ausgestorben waren, führte Hugo
III., ein Sohn der Isabella,
der Tochter Hugos I., und Heinrichs
von Antiochia, Namen und Wappen des Hauses
LUSIGNAN weiter und wurde König von Zypern (1267)
und Jerusalem (1268); diese Titel führten auch seine Nachkommen,
trotz des Verlusts des fränkischen Syrien (1291). Heinrich
II. (1285-1324), Epileptiker, sah seine Machtstellung durch
seinen Bruder Aimerich bestritten,
gegen den er sich erst 1310 in vollem Umfang durchsetzte. Er schloß
die Kinder Aimerichs vom Thron aus
und setzte deb Sohn seines anderen Bruders Guido,
Hugo
IV. (1324-1359), zum Erben ein. Die Nachkommen Aimerichs,
der mit der Schwester des Königs von Armenien vermählt war, etablierten
sich im armenisch-kilikischen Reich; einer der Söhne, Guido,
wurde 1342 auf den armenischen Thron berufen, fiel aber bereits 1344 einem
Mordanschlag zum Opfer. Ein Neffe Guidos,
Leo
VI., erlangte 1363 und nochmals 1372 die Königswürde,
wurde aber von den Mamluken gefangengenommen und mußte ins westeuropäische
Exil gehen. Währenddessen beanspruchte Peter
I. (1359-1368), als Sohn Hugos IV.
König von Zypern, auch den armenischen Thron und nahm daher
1368 den Titel eines Königs von Jerusalem, Zypern und Armenien
an. Peter I., der als Befehlshaber
des Kreuzfahrerheeres, das 1365 Alexandria eroberte, berühmt wurde,
erlag einem Mordanschlag seiner Barone. Sein Sohn Peter
II. (1369-1388) wurde Opfer einer Aggression der Genuesen, die
ihn zur Aufgabe Famagustas zwangen. Sein Onkel Jakob
I. war Gefangener in Genua, als er auf den Thron berufen wurde.
Deshalb gab er seinem Sohn den Namen Janus;
dieser regierte von 1398 bis 1432. Janus‘
Sohn Johann II. hinterließ 1458
seiner Tochter Charlotte
den Thron;
deren illegitimer Bruder, Jakob II. (+ 1474),
bemächtigte sich 1461 der Krone Zyperns.
Jakob
II. war mit der venezianischen Adligen
Caterina Cornaro vermählt; beider Sohn starb noch 1473
im zarten Alter. Die Republik Venedig verstad es, sowohl die Herrschaftsansprüche
der Caterina Cornaro als auch diejenigen
der überlebenden jüngeren Linien der
LUSIGNAN (zumeist zweifelhafter Legitimation) auf Zypern auszuschalten.