STAMMTAFEL im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters
Lexikon des Mittelalters: Band VIII Spalte 1398
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Valois
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Grafschaft (später Herzogtum) in N-Frankreich (nö. von Paris), namengebend für die 1328-1498 regierende französische Dynastie
I. GRAFSCHAFT/HERZOGTUM
1. Allgemeines im 10. und 11. Jh.
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Die (in ihrem mittelalterlichen Territorialumfang nicht
immer konstante) Grafschaft hatte Crepy-en-Valois als Vorort und erstreckte
sich in ihrer größten Ausdehnung im N bis an die Grenzen des
Noyonnais, im Süden bis zum Soissonnais und zur Brie, im Westen bis
zum Beauvais. Unmittelbares Lehen des Königs von Frankreich, war sie
in ihrer vollen Ausbildung in fünf Kastellaneien gegliedert: Crepy,
La Ferte-Milon, Villers-Cotterets, Vivieres und Pierrefonds.
Der westfränkische Adlige Raoul (Rudolf, Rodulf)
von Gouy, der wohl karolingische
Vorfahren (bis auf KARL DEN GROSSEN und
LUDWIG
DEN FROMMEN) hatte, besaß bei seinem Tod (926) neben anderen
Besitzungen den ‚Pagus Vadensis‘ (dieser geographische Begriff ist seit
Ende des 8. Jh. belegt, während die Form ‚Valesium‘ erst viel später
erscheint, besonders bei Giselbert von Mons: in den Quellen wird der Pagus
manchmal auch als Grafschaft Crepy bezeichnet). Der Nachfolger Raouls
II. (+ 944), Gautier I. (+ um 995) und Gautier II. (+ 1023),
waren mächtige Persönlichkeiten. Auf Gautier wird die
Errichtung der von Helgaud von Fleury gerühmten
Burg Crepy
zurückgeführt. Nach Raoul II. (um 1030) begründete
der kriegerische Raoul III. (1037-1074) eine echte territoriale
Fürstengewalt, die neben dem Valois auch Amienois und Vexin erfaßte.
Doch scheiterte der große Plan der Bildung eines dauerhaften Fürstentums;
der Nachfolger Simon zog sich sehr bald ins Kloster zurück.
2. Im 12.-15. Jh.
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Das Valois fiel an Simons Nichte Adela,
die Gemahlin Hugos (‚ von Crepy‘),
Bruder König Philipps I. von Frankreich.
Hugo
verstarb
1101
auf dem 1. Kreuzzug. Der Sohn, Raoul IV. (+ 1152),
Graf von Vermandois und Valois, war Seneschall der Könige
Ludwig VI. und Ludwig VII.
Gemeinsam mit Abt Suger von St-Denis wurde Raoul
IV. mit der Regentschaft des Königreiches während
des 2. Kreuzzuges betraut. Nach Raoul V. 'dem
Aussätzigen' (1152-1164) fiel das Valois an Philipp
von Elsaß, Graf von Flandern, durch Heirat mit
Elisabeth, Schwester Raouls V.
Nach deren Tod (1182) erbte ihre Schwester Eleonore
von Vermandois die Grafschaft, in der sie die Klöster Longpre
und Le Parc-aux-Dames stiftete.
Nachdem Eleonore
1213 kinderlos verstorben war, zog König
Philipp II. Augustus das Valois als erledigtes Lehen ein. Es
wurde Teil des Wittums der Blanca von Kastilien
(1242-1250). 1269 übertrug Ludwig der Heilige
das Valois seinem (bereits im folgenden Jahr verstorbenen) Sohn
Jean Tristan als Apanage. Philipp III.
vergab sie 1285 unter demselben Rechtstitel an seinen 2. Sohn Karl
von Valois, dem er damit jährliche Einkünfte von 10.000
livres parisis sichern wollte. Fortan wurde das Valois durchweg
als Grafschaft bezeichnet. Nach dem Tode Karls
(1325) kam die Apanage an dessen Sohn Philipp
(VI.) von Valois, seit 1328 König von Frankreich.
Nach dem königlichen Feuerstättenverzeichnis
der Paroisses et feux (1328) umfaßte die Grafschaft Valois ca. 1000
Pfarreien und 9.000 Haushalte, was auf intensiven Landesausbau der waldreichen
Region (Forsten von Compiegne und Villers-Cotteret) hinweist. Das Valois
wurde als Apanage an die führenden Mitglieder des Hauses
ORLEANS, das hier das ganze 15. Jh. hindurch herrschte, verliehen:
1344-1375 an Philipp von Orleans, Sohn
Philipps
VI., 1392 an den Bruder König
Karls VI., Ludwig von Orleans (+ 1407),
der seine Herrschaft durch systematischen Befesttigungsbau (La Ferte-Milonm,
Vez, Pierrefonds) stärkte und 1406 die Erhöhung der Grafschaft
zum Herzogtum (duche-pairie) durchsetzte. Auch Herzog
Charles d'Orleans und sein Sohn Ludwig
(XII.) besaßen das Valois, dessen wirtschaftliche und
soziale Entwicklung im allgemeinen derjenigen des Pariser Umlandes folgte:
Kriege und Epidemien führten im 14. Jh. und frühen 15. Jh. zu
Bevölkerungsrückgang (Wüstungen). Eine Phase des Wiederaufbaus
setzte um die Mitte des 15. Jh. ein.
II. DYNASTIE
Nach dem Tode König
Karls IV. (1328), ohne männliche Erben, wurde die Krone
aufgrund des ‚consensus‘ der Großen des Königreiches seinem
leiblichen Vetter Philipp VI., Graf von Valois,
übertragen. Damit begann die Ära der ‚lignee‘ oder ‚branche des
Valois‘, wie die traditionelle Historiographie dieses bis 1498 regierende
französische Herrscherhaus, unter Bezugnahme auf den 'Stamm' der KAPETINGER,
zu bezeichnen pflegt. Mit dem Tode Karls VIII.
(1498), der keinen Erben hatte, fiel die Krone an
Ludwig XII., den einzigen Repräsentanten der 'branche'
der ORLEANS.
Das Recht Philipps VI.
und seines Hauses auf die Krone Frankreichs wurde von den Königen
von England auf das heftigste bestritten (Hundertjähriger Krieg);
die englische Propaganda war bestrebt, die Könige dieses Hauses durch
prononcierte Kennzeichnung als 'VALOIS' (nicht
als Könige von Frankreich!) herabzusetzen; noch Karl
VII. wurde im Zeichen der englischen 'Doppelmonarchie' als 'Karl
von Valois' abqualifiziert. Doch auch innerhalb Frankreichs
vertrat eine Teil der öffentlichen Meinung die Auffassung, daß
die VALOIS eine neue Dynastie bildeten,
wobei stärker der Gedanke des Bruches als derjenige der Kontinuität
betont wurde. Die zeitgenössische Historiographie spricht üblicherweise
von Philipp von Valois und nicht von
Philipp VI., und dies gilt gelegentlich sogar noch für
Ludwig
XI. Diese Vorstellung weist Jean de Jouvenal des Ursins (1388-1473)
in seinem Traktat gegen die englischen Thronansprüche entschieden
zurück, indem er darlegt, daß die als
VALOIS bezeichneten Könige Philippp
VI., Johann II.,
Karl
V. mit Recht Könige von Frankreich heißen ("par droit
surnommez de France"). Die französischen Könige aus dem Hause
VALOIS machten sich diese Auffassung zweifellos zu eigen; indem
sie bereits sehr früh die Grafschaft Valois als Apanage austaten,
demonstrierten sie, daß das Valois kein Bestandteil ihrer Identität
war. 1465 zählt Bernard de Rosier (um 1400-1475), Erzbischof von Toulouse,
in seinem Frankreichlob vier Dynastien ("genealogies") auf: die Nachkommen
von Chlodwig, Karl
Martell,
Hugo Capet und
Philipp von Valois; Ludwig
XI. war demnach der "sechste" König dieser "genealogie".
Die alten Grafen von Valois gehörten zu einem jüngeren Zweig des Hauses VERMANDOIS. Die letzte Erb-Tochter dieses Hauses vermählte sich mit Hugo, dem Sohn Heinrichs I. von Frankreich, und brachte demselben Valois und Vermandois zu. Aus dieser Ehe entsprangen die kapetingischen VALOIS (+ 1215), welche in der sechsten Generation ausstarben, worauf König Philipp II. August die Titel und Güter der Vermandois zur Krone schlug. Philipp III. gab die erweiterte Grafschaft Valois 1285 seinem jüngeren Sohn Karl als Apanage. Dieser Karl von Valois wurde zum Gründer des königlichen Hauses der VALOIS, das 1328-1589 den Thron behauptete.
Pernoud Regine: Seite 11-29
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"Die Kapetinger" in: Die großen Dynastien
Die Dynastie der VALOIS
ist eine jüngere Linie der KAPETINGER.
Sie hat Frankreich 261 Jahre lang, von 1328 bis 1589, regiert, oftmals
unter dramatischen Umständen. Ihr Aufstieg begann mit dem Hundertjährigen
Krieg, und ihr Niedergang vollzog sich während religiöser Kämpfe,
bei denen die nationale Einheit auf dem Spiele stand. Dennoch hat diese
Dynastie Beträchtliches geleistet, denn sie sicherte Frankreich so
bedeutende Gebiete wie Burgund, die Provence und die Bretagne.
Philipp IV. der Schöne
hinterließ drei Söhne, die jedoch alle starben. Der älteste
von ihnen, Ludwig X., hatte mit seiner
Gemahlin Margarete von Burgund eine
Tochter, über deren Legitimität Zweifel bestanden. Nach seinem
Tod gebar seine zweite Frau, Clementia von Ungarn,
einen Sohn, Johann I., der jedoch nur
fünf Tage am Leben blieb. Gemäß dem seit drei Jahrhunderten
geltenden Recht der Devolution wäre die Krone nun der Tochter
Ludwigs X., Margarete von Burgund,
zugefallen. Man wählte jedoch zum König den bereits zum Regenten
bestimmten Bruder Ludwigs X., Philipp,
aufgrund des von den Legisten aufgestelllten Salischen Gesetzes, das die
Frauen von der Thronfolge ausschloß. Da
Philipp V. nur Töchter hinterließ, fiel die Krone
an seinen Bruder Karl IV. den Schönen,
der 1328 starb.
Der englische König Eduard
III., ein Enkel Philipps des Schönen,
erhob nun Anspruch auf den französischen Thron, doch die Legisten
gaben einem Neffen Philipps des Schönen,
einen Sohn Karls von Valois, den Vorzug.