Hölbl Günther: Seite 128-134,157-166,171-186
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"Geschichte des Ptolemäerreiches. Politik, Ideologie und religiöse Kultur von Alexander dem Großen bis zur römischen Eroberung."

Zur propagandistischen Unterstützung ihres Krieges proklamierten die Regenten Eulaios und Lenaios zwischen 5. Oktober und 12. November 170 v.u.Z. eine gemeinsame Regierung der drei ptolemäischen Geschwister, nämlich des Ptolemaios' VI. Philometor, seiner Schwester-Gemahlin Kleopatra II. und des jüngeren Bruders, Ptolemaios' VIII.
Alexandria beugte sich weder dem Vertrag des Philometor mit Antiochos IV. noch der seleukidischen Macht. Die Alexandriner riefen nun den jüngeren Bruder erneut zum König aus, womit sie die Dreierherrschaft auflösten und eine Gegenregierung bildeten. Nach dem Abzug des Antiochos war der Weg für eine Versöhnung der drei ptolemäischen Geschwister frei geworden. Entgegen den Erwartungen des SELEUKIDEN-Königs kam der ältere Ptolemaios nach Alexandria und stellte die Samtherrschaft wieder her. Obwohl die PTOLEMÄER-Könige nach dem 6. Syrischen Krieg genauso selbständig regierten wie vorher, war die Macht Roms 168 v.u.z. bereits so stark angewachsen, dass sie künftig im Konfliktfall, selbst in innerdynastischen Angelegenheiten, häufig angerufen wurde. Es stand somit ab nun das PTOLEMÄER-Reich genauso unter dem Einfluß Roms wie die übrige hellenistische Staatenwelt.
Das PTOLEMÄER-Reich wurde nach dem von C. Polilius Laenas erzwungenen Abzug Antiochos' IV. (Ende Juli 168 v.u.Z.) für einige Jahre (bis Herbst 164 v.u.Z.) von der emeinschaftsregierung der drei ptolemäischen Geschwister Ptolemaios VI., Kleopatra II. und Ptolemaios VIII. repräsentiert. Die seit Installierung der Dreierregierung vorprogrammierten Unstimmigkeiten zwischen den ptolemäischen Brüdern brachen im Herbst 164 v.u.Z. auf. Philometor mußte das Feld räumen. Ptolemaios VIII. war im alexandrinischen Dynastiekult bislang unter die Theoi Philometores subsumiert worden. Um sich von seinem älteren Bruder zu distanzieren und gleichzeitig seine Verbundenheit mit dem großen Vorgänger Ptolemaios III. auszudrücken, nahm er den Titel "Euergetes" an und behielt ihn bis zu seinem Tode 116 v.u.Z. bei. Mit seiner tyrannischen Herrschaft machte er sich aber sehr rasch unbeliebt, so dass die Alexandriner seinen älteren Bruder wieder aus Zypern zurückriefen. Dieser überließ Euergetes II. in einer feierlich bekräftigten Teilung des Reiches das Königreich Kyrene. Da Euergetes II. mit seiner Herrschaft über Kyrene nicht zufrieden war, wandte er sich um die Jahreswende 163/62 v.u.Z. an den römischen Senat. Dieser sprach ihm Zypern zu, das Ptolemaios VIII. nicht in Besitz nehmen konnte, da er durch einen Aufstand in Kyrene daran gehindert wurde. Obwohl der Senat im Winter 162/61 v.u.Z. die Beziehungen zu Ptolemaios VI. abbrach und Euergetes II. erneut Zypern zusprach, konnte dieser aus eigener Kraft nichts erreichen. Im Jahre 156/55 v.u.Z. wurde ein Attentat auf Euergetes II. verübt, hinter dem vielleicht Kyrenäer standen. Dieses Attentat nahm er unmittelbar zum Anlaß eines neuen, dramatischen Manövers, mit dem er die Römer zu substantieller Hilfe bei seinen Herrschaftsproblemen und seinen weit gesteckten Zielen bewegen wollte. Er verfaßte zugunsten Roms eine testamentarische Verfügung, das sogenante Testament des Euergetes und publizierte im Frühjahr 155 v.u.Z. eine vielleicht etwas gekürzte Fassung davon auf einer Steinstele. Im Jahre 154 v.u.Z. erschien er zum zweiten Mal persönlich vor dem Senat und machte seinen Bruder für das Attentat verantwortlich. Der Senat gab ihm diesmal fünf Legaten als Begleiter mit, die ihn nach Zypern begleiten sollten. Der Senat gab ihnen fünf Penteren als bescheidene Flottendemonstration mit und ermächtigte die Bundesgenossen in Griechenland und Asien, die Aktion zu unterstützen. Der jüngere Ptolemaios konnte sich zunächst tatsächlich auf Zypern festsetzen und in der Stadt einen Stützpunkt gewinnen. Dann fiel er jedoch in die Hände seines Bruders. Sicher aus Gefälligkeit gegenüber den Römern behandelte Philometor seinen Bruder sehr schonend: Trotz seines Sieges beließ er ihm die Kyrenaika und versprach ihm außerdem seine Tochter Kleopatra (die spätere Kleopatra Thea) zur Frau. Mit dem Eheprojekt wollte Ptolemaios VI. den potentiellen politischen Konsequnezen des im Vorjahr ausgefertigten "Testamentes" seines Bruders entgegenwirken; die Heirat kam später allerdings nicht zustande. Der jüngere Ptolemaios scheint die Beziehungen zur römischen Aristokratie weitergepflegt zu haben. Nach dem Tode des Tiberius Sempronius Gracchus um 152 v.u.Z. soll er sogar um die Hand der berühmten Cornelia, der Mutter der beiden Volkstribunen Tiberius und Gaius Gracchus, geworben haben.
De facto mußte sich Ptolemaios VIII. für den Rest der Regierung seines Bruders mit der Kyrenaika begnügen. In Kyrene, wo der jüngere PTOLEMÄER 162 v.u.Z.-145 v.u.Z. residierte, versucht er seinem schlechten Image entgegenzusteuern und sich als "Euergetes" zu erweisen.
Nach dem Tode des Philometor in Syrien (Mitte Juli 145 v.u.Z.) mußte es sehr klargeworden sein, dass es keine sinnvolle Alternative zu Ptolemaios VIII. Euergetes II. gab. Er wurde von Gesandten aus Kyrene geholt und war nach einem Interregnum von etwa drei Wochen in Alexandria an der Macht. Etwas später heiratete er die Witwe seines Bruders Kleopatra II. Im Zuge des Regierungswechsels hatte es jedoch Spannungen gegeben, denn es wird berichtet, dass Ptolemaios VIII. seine Herrschaft mit Brutalität und Ungerechtigkeiten begonnen habe: Zuerst ließ er die Anhänger des noch sehr jungen Sohnes des Philometor umbringen; dieser selbst soll mitten in den Hochzeitsfeierlichkeiten mit Kleopatra II. in den Armen seiner Mutter getötet worden sein. Die Alexandriner kehrten den Titel des Königs "Euergetes" ins Gegenteil, indem sie ihn "Kakergetes" nannten; bald wird man ihn den Spottnamen Physkon ("Fettwanst") geprägt haben. Während somit Euergetes II. die Gegner seines Regierungsantrittes aufs härteste verfolgte, versuchte er die Bevölkerung des PTOLEMÄER-Reiches durch Amnestieerlässe zu gewinnen. Mit Kleopatra II. war ein Konsens gefunden worden, denn sie konnte ihre Stellung als offizielle Mitherrscherin hinüberretten. Kurz nach seinem Regierungsantritt zog Euergetes II. die Truppen aus den letzten ptolemäischen Basen in der Ägäis (Itanos, Thera und Methana) ab. Das PTOLEMÄER-Reich umfaßte von nun an nur noch Ägypten mit dem (zumindest) nördlichen Teil von Unter-Nubien sowie Zypern und die Kyrenaika, abgesehen von den Stützpunkten am Roten Meer.
Im Jahre 144 v.u.Z. kam ein Sohn des Königspaares etwa zur Zeit des Krönungsfestes im Memphis zur Welt; deshalb wird er in der literarischen Überlieferung als "Memphites" bezeichnet. Bald nach der Geburt des Ptolemaios Memphites soll Euergetes II. mit Kleopatra III., der jüngeren Tochter seiner Schwestergemahlin und seine eigene Nichte und Stieftochter, eine intime Beziehung begonnen haben. 141/40 v.u.Z. heiratete er Kleopatra III. zusätzlich in aller Form und erhob sie zur ebenbürtigen Königin neben Kleopatra II. Wir sehen, dass der bei Regierungsantritt Ptolemaios' VIII. gefundene Konsens nur oberflächlicher Natur war. Der König hatte mit dieser Tat seine Schwester zutiefst verletzt und zugleich Mutter und Tochter zu erbittertsten Rivalinnen gemacht. Eine derartige Doppelehe stand in der hellenistischen Welt ohne Beispiel da. Der durch diese Vorgangsweise des Königs heraufbeschworene Haß der beiden Frauen aufeinander sowie die wiederaufgebrochene Gegnerschaft zwischen Ptolemaios VIII. und Kleopatra II. sollten für Dynastie und Reich die schlimmsten Folgen haben.
Der Konflikt im Herrschertrio schwelte sicher die 30-er Jahre hindurch weiter, obwohl alle drei in den Datierungs- und Weiheformeln immer wieder vereint begegnen. Bald nach dem Beginn des 39. Regierungsjahres (vor dem 11. November 132 v.u.Z.) brach jedoch der Bürgerkrieg zwischen den Anhängern Euergetes' II. und der Partei um Kleopatra II. aus. Euergetes konnte offenbar ein Jahr lang in Alexandria die Oberhand behalten, denn es gibt noch alexandrinische Münzen aus seinem 40. Jahr, das am 25. September 131 v.u.Z. begann. Dann überstürzten sich die Ereignisse: Der Königspalast wurde in Brand gesteckt. Euergetes konnte nicht mehr an Widerstand denken; heimlich floh er mit seiner zweiten Gattin Kleopatra III. nach Zypern, um mit den ihm ergebenen, dort stationierten Truppen und neuen Söldnern die Rückeroberung Ägyptens zu versuchen. Er hatte die Lage vollkommen richtig eingeschätzt. Es war ihm auch klar, dass die Hauptgefahr darin bestand, dass nun sein ältester Sohn, den er mit Kleopatra II. hatte, Ptolemaios Memphites, zum König ausgerufen würde. Dieser war in Kyrene und Ptolemaios VIII. ließ ihn nach Zypern bringen.
Daraufhin wurde in Alexandria Kleopatra II. zur alleinigen Königin ausgerufen und dem Euergetes die Königswürde aberkannt; dessen Statuen wurden beseitigt. Euergetes II. rächte sich in seinem zyprischen Exil für diese Vorgangsweise auf das furchtbarste: Den etwa 14-jährigen Ptolemaios Memphites, der ihm, seinem Vater, offenbar völlig vertraut hatte, ließ er vor seinen Augen umbringen und ihm Kopf, Beine und Hände abhauen. Die Überreste seines Sohnes schickte er nach Alexandria und ließ sie Kleopatra II. in der Nacht vor der Feier ihres Geburtstages zustellen. Sie aber stellte nun die Körperteile des ermordeten Kronprinzen in Alexandria aus, um die Wut der Massen zu steigern.
Spätestens im Herbst 131 v.u.Z. hatte sich Euergetes II. nach Zypern begeben. Bald danach wird er mit Heeresmacht nach Ägypten zurückgekehrt sein, denn im Frühling 130 v.u.Z. wurde bereits in Memphis nach ihm und Kleopatra III. datiert. Die vielen Datierungen nach Euergetes in den Jahren 130 v.u.Z. und 129 v.u.Z. zeigen, dass die Sache des Königs sehr rasch Fortschritte machte. In Theben war die Herrschaft des Euergetes ab 21. Januar 130 v.u.Z. fix installiert.
Der von Kleopatra II. zu Hilfe gerufene Schwiegersohn Demetrios II. kam mit seinem Expeditionsheer nur bis zur ägyptischen Grenzfestung Pelusion, wo ihm Euergetes entgegentrat. Infolge einer Meuterei mußte der SELEUKIDEN-König seine Pläne aufgeben (Frühling 128 v.u.Z.). Dadurch wurde die Lage für Kleopatra II. in Alexandria aussichtslos; sie flüchtete samt dem ptolemäischen Staatsschatz nach Syrien. Der brutale wie schlaue Politiker Euergetes versuchte nun, die Mißstimmung gegen den unbeliebten Demetrios II. zu nützen. Bereits 129/28 v.u.Z. stellte Euergetes II. einen Mann niederer Herkunft namens Alexander Zabinas als Gegen-König gegen Demetrios II. auf und legitimierte ihn dadurch, dass er ihn als Adoptivsohn von Antiochos VII. Sidites ausgab. Dieser Alexander Zabinas wurde von Euergetes II. mit beträchtlichen Truppen nach Syrien geschickt, wo er 126 v.u.Z. Demetrios II. bei Damaskus besiegte. Bald darauf wurde Demetrios II. ermordet. Somit beraubte Euergetes II. mit seiner erfolgreichen Außenpolitik Kleopatra II. ihres erhofften Rückhaltes in Syrien. 127/ 26 v.u.Z. nahm er vermutlich Alexandria ein. Nach der Eroberung Alexandrias entlud sich die Rache des Königs in einem ungewöhnlich blutigen Strafgericht. Im Jahre 124 v.u.Z. kam es nach Aussage der Datierungsformeln zu einer wenigstens äußeren Versöhnung der ptolemäischen Streitparteien, und die merkwürdige Dreierregierung wurde fortgesetzt. Der Begriff der Theoi Euergetes umfaßte nun wieder - wie schon 140 v.u.Z.-131 v.u.Z. - Ptolemaios VIII. und seine beiden Frauen Kleopatra II. und III. Warum sich Euergetes II. mit seiner geschlagenen Schwestergemahlin plötzlich aussöhnte, bleibt uns verborgen. Möglicherweise stand dies in Verbindung mit seiner Syrienpolitik.
Die Krönung der Aussöhnung innerhalb der PTOLEMÄER-Familie stellte jedoch die Schaffung eines neuen dynastischen Gottes mit dem Kulttitel Neos Philopator dar, der im Titel des Alexanderpriesters zwischen dem verstorbenen Theos Philometor und den regierenden Theoi Euergetai eingeschoben wurde; der älteste Beleg stammt vom 22. Mai 118 v.u.Z. Neos Philopator erscheint somit in den Aufzählungen der PTOLEMÄER-Könige kurz nach dem Inkrafttreten des Friedenserlasses (28. April 118 v.u.Z.), so dass der Zusammenhang sicher ist. Analog zur Aufnahme des einstigen Mitregenten Ptolemaios Eupator in den Dynastiekult kann man nur annehmen, dass ein von Euergetes II. ermordeter Kronprinz rehabilitiert wurde. Früher dachte man an den Sohn des Philometor, der bei der Hochzeit von Ptolemaios VIII. und Kleopatra II. ermordet worden sein soll und als Ptolemaios VII. gezählt wird. Es gibt jedoch gute Gründe dafür, in Neos Philopator Ptolemaios Memphites zu sehen, der das große Opfer des dyanstischen Krieges war und als "Vaterliebender" postum seinem Mörder die Schuld verziehen hätte.
Durch die Ermordung des Memphites war der spätere Ptolemaios IX. Soter II. zum Kronprinzen aufgerückt; die antike Überlieferung ist sich darüber einig, dass er der ältere Sohn von Kleopatra III. war. Nicht lange vor dem Tod seines Vaters, das heißt etwa 117 v.u.Z. erhielt er auf Betreiben von Kleopatra III. die Funktion eines Generalgouverneurs von Zypern. Kleopatra III., die ihn nicht mochte, ließ ihn offenbar dorthin abschieben, um seinem jüngeren Bruder, dem späteren Ptolemaios X. Alexander I., die Thronfolge zu sichern. Abgesehen von diesen beiden Söhnen hatten Ptolemaios VIII. und Kleopatra III. noch drei Töchter.
   Die älteste war vermutlich Tryphaina, die 124/23 v.u.Z. Antiochos VIII. Grypos geheiratet hatte;
   obgleich der "Kleopatra"-Name für sie nicht überliefert ist, hat sie als "Kleopatra Tryphaina" in
   die moderne Literatur Eingang gefunden.
   Die zweite Tochter, Kleopatra IV., wurde noch sehr jung mit ihrem Bruder Ptolemaios IX.
   verheiratet.
   Die jüngste Tochter erhielt den Beinamen Selene.
Zu diesen Kindern kam noch ein illegitimer Sohn Ptolemaios von einer Nebenfrau: Für diesen Ptolemaios mit dem Beinamen Apion sah Euergetes II. in seinem Testament die Kyrenaika als selbständiges Königreich vor; als König in Kyrene ist er allerdings erst seit 100 v.u.Z. nachgewiesen.
Aus einer Bauinschrift in Edfu wissen wir, dass Ptolemaios VIII. Euergetes II. am 28. Juni 116 v.u.Z. gestorben ist. Mit ihm ist einer der brutalsten und gleichzeitig intelligentesten Politiker der hellenistischen Zeit abgetreten. Die klassische Überlieferung hebt vor allem die negativen Charakterzüge Euergetes' II. im Vergleich zu seinem älteren Bruder Philometor hervor. Ergänzend dazu zeigen uns Amnestieerlässe einen Herrscher, der sich um eine gute Administration und das Wohlergehen des Landes kümmerte. Jedoch stehen die negativen Folgen, die die dynastischen Auseinandersetzungen gerade unter Ptolemaios VIII. für ganz Ägypten mit sich brachten, außer Zweifel.