4. DIE GRENZGRAFEN WILHELM UND ENGILSCHALK UND IHRE NACHKOMMEN

Durch mehr als drei Jahrzehnte war Wilhelm I. Graf des Traungaus gewesen. Er hatte es verstanden, in politisch ziemlich bewegten Zeiten seine Position zu halten und verschiedene Umgruppierungen in der Verwaltung des Ostlandes zu überdauern. Es verwundert daher nicht, wenn auch nach seinem Tod der Traungau seiner Familie erhalten blieb. Ob die Brüder Wilhelm II. und Englischalk, die ihren Amtsbereich auf die gesamten Donaugrafschaften ausweiteten, seine Söhne waren, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es ist jedoch in hohem Maße wahrscheinlich, da neben Namensgleichheit mit dem älteren der beiden Brüder und Vererbung der Ämter auch direkte Besitznachfolge, beispielsweise im Gebiet an der Perschling, gegeben ist. Überdies hatten auch die Familien der beiden Grenzgrafen gewisse Beziehungen zu Regensburg, die durch ihre Abstammung von Engilrat zu erklären sein dürften. Wenn also auch keine Quelle Wilhelm I. ausdrücklich als den Vater des Brüder-Paares bezeichnet, kann doch an einer solchen Filiation kaum gezweifelt werden.
Von Graf Wilhelm I. wissen wir, daß er zu den führenden Kolonisatoren in der ersten Jahrhunderthälfte gehörte. Seine Schenkung an St. Emmeram zwischen den Flüssen Aist und Naarn [1
MG Dipl. Kar. 1, 88.]  zeigt, daß er dabei tief in den sogenannten „Nortwalt" vorstieß. Im heutigen Nieder-Österreich erwarb er Güter an der Perschling [2 Widemann 27.]. Seine Söhne setzten sein Werk auf der ganzen Linie fort. Besonders nördlich der Donau drangen sie weit vor. Sie hatten Besitz an der Kampmündung [3 MG Dipl. Kar. 3, 176.] und in der Gegend von Grafenwörth [4 Vgl. dazu E. Klebel, Die bayrische Kirche und die Christianisierung der Ostalpenländer, Katholischer Glaube und deutsches Volkstum in Österreich, Salzburg 1933, 95, und K. Lechner, Besiedlungs- und Herrschaftsgeschichte des Waldviertels, Das Waldviertel 7. Wien 1937, 33.]. K. Lechner machte es wahrscheinlich, daß sie auch an der Schmieda und am Waltram [5 K. Lechner, Studien zur Besitz- und Kirchengeschichte der Karolingischen und Ottonischen Mark an der Donau, MIÖG 52 (1938), 203f.] sowie um Persenbeug begütert waren [6 K. Lechner, Waldviertel, a.a.O., 38.]. Der Ort Enzesfeld nördlich des Bisamberges ist nach einem Engilschalk benannt, in dem man am ehesten einen wilhelminischen Grenzgrafen sehen könnte [7 K. Lechner, Studien, a.a.O., 204.]. Wir finden die WILHELMINER also im gesamten Gebiet nördlich der Donau von der Aist bis ins Wiener Becken als Grundherren, ein Beweis für die große Leistung ihrer Kolonisationsarbeit.
Südlich der Donau gehörte den WILHELMINERN vor allem Epareshurg, wahrscheinlich das heutige Ybbs, einer der wichtigsten Plätze der karolingischen Mark [8
MG Dipl. Kar. 3, 176.]. Auf weiteres Eigen des Geschlechtes kann aus den Besitzverhältnissen im zehnten und elften Jahrhundert geschlossen werden [9 K. Lechner, Studien, a.a.O., 200 ff. ]. Zu sicheren Resultaten ist jedoch auf diesem Wege schwer zu kommen.
Aus der intensiven Kolonisationstätigkeit der WILHELMINER in den Grenzgebieten nördlich der Donau erklärt sich ihre erbitterte Feindschaft gegenüber dem großmährischen Reich. Neben der Verteidigung der Reichsinteressen hatten sie ja hier noch das persönliche Anliegen, die eigenen Güter zu schützen. Die Amtstätigkeit der Brüder Wilhelm II. und Engilschalk ist weitgehend mit Kämpfen gegen die mährischen Nachbarn erfüllt. Nach einem entscheidenden Sieg wurden sie 870 mit der Bewachung und Verwaltung des besetzten Landes nördlich der Donau betraut. Doch schon ein Jahr später kam es neuerlich zum Kampf gegen die Mährer, in dem beide Brüder fielen [10
MGSS 1, 383.].
Wilhelms II. und Engilschalks Söhne waren beim Tode der Väter noch unmündig. Die Leitung der Donau-Grafschaften wurde daher Markgraf Arbo übertragen. Gegen diesen empörten sich 882 die inzwischen großjährig gewordenen Söhne seiner Vorgänger und vertrieben ihn teilweise aus seinen Grafschaften. Arbo hatte hier keinen so starken Rückhalt wie das angestammte Grafenhaus. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit Swjatopulk, dem alten Gegner der WILHELMINER, zu verbünden. Dieser fiel in die Marken ein, nahm den mittleren der Söhne Engilschalks, Werinheri, und seinen Verwandten Wezilo gefangen und ließ sie grausam verstümmeln. Megingoz und Pabo, die ältesten Söhne der beiden Grenzgrafen, stellten sich ihm mit ihren Leuten entgegen, wurden jedoch geschlagen und kamen auf der Flucht um. Die übrigen Söhne Wilhelms und Engilschalks retteten sich zu ARNULF nach Karantanien, wo die Familie aus dem Erbe Graf Pabos Besitzungen gehabt haben dürfte. Arbo wurde von König KARL in seiner Stellung bestätigt.
Durch den Sieg ihres Lehensherren und Protektors ARNULF über KARL DEN DICKEN kamen die WILHELMINER neuerlich an die Macht. Graf Wilhelms II. Sohn Ruodpert erhielt die bisher von ARNULF selbst verwaltete Grafschaft in Karantanien, wie sie schon früher ein anderer Angehöriger seines Geschlechtes, Graf Pabo I., innegehabt hatte. Engilschalk II., der jüngste Sohn des gleichnamigen Grenzgrafen, entführte eine dem Namen nach unbekannte außereheliche Tochter des Königs und floh mit ihr nach Mähren. Trotzdem verlor die Familie die Gunst ARNULFS nicht. Engilschalk wurde wieder in Gnaden aufgenommen und erhielt sogar kurz darauf die Grafschaft in Ober-Pannonien übertragen, die bereits sein Vater verwaltet haben dürfte. Das bedeutete eine Einschränkung der Macht Arbos, dem ARNULF wahrscheinlich als einem ehemaligen Anhänger KARLS DES DICKEN mißtraute.
Trotz der besonderen Förderung der WILHELMINER durch den König kam es rasch zur Katastrophe, die das Ende ihrer Machtstellung in den Marken bedeutete. Engilschalk wurde 893 von bayerischen Großen in Regensburg gefangengenommen, vor Gericht gestellt und geblendet. Sein Vetter Wilhelm III. setzte sich daraufhin mit Swjatopulk in Verbindung. Die Verschwörung wurde jedoch aufgedeckt und Wilhelm wegen Hochverrats verurteilt und enthauptet. Sein Bruder, Graf Ruodpert, konnte sich zwar nach Mähren retten, wurde aber von Swjatopulk, dem alten Widerpart seiner Familie, mit vielen anderen ermordet [11
MGSS I, 409.].
Mit Ruodperts Tod verschwindet der letzte der uns bekannten Angehörigen des WILHELMINER-Hauses. Es ist dadurch aber keineswegs erwiesen, daß mit ihm das Grenzgrafen-Geschlecht ausgestorben wäre. Von Engilschalk I. wissen wir zwar sicher, daß er nur die drei bekannten Söhne Pabo, Werinheri und Engilschalk II. hatte, doch ist es durchaus möglich, daß Brüder des karantanischen Grafen Ruodpert die Katastrophe überlebten. Höchst unwahrscheinlich ist es auch, daß keiner der sechs Söhne Wilhelms II. und Engilschalks I. Nachkommen hinterlassen hat. Obwohl sie alle ziemlich jung ums Leben kamen, ist es keineswegs anzunehmen, daß sie kinderlos waren. Zumindest sind Nachkommen der beiden Grenzgrafen-Brüder in weiblicher Linie zu vermuten, die als Erben des von der Konfiskation verschonten Familienbesitzes in Frage kamen. Davon wird später noch zu sprechen sein.
Auffallend ist es, daß unter den Söhnen Wilhelms II. und Engilschalks Namen auftreten, die der Familie bisher fremd waren und die auch sonst in bayerischen Adelsgeschlechtern fehlen oder nur sehr selten anzutreffen sind. Besonders der Name von Wilhelms II. ältestem Sohn Megingoz verdient Beachtung. Dieser Name wird im neunten Jahrhundert in Bayern nur ein einziges Mal genannt, und zwar bei einem Sohn eines Grafen Guntram, von dem noch die Rede sein wird [12
Widemann 102.]. Häufig begegnen Megingoze in Rheinfranken, vor allem im Verwandtenkreis der RUTPERTINER [13 Über die RUTPERTINER vgl. K. Glöckner, Lorsch und Lothringen, Robertiner und Kapetinger, Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins 50 (1937), 301 ff. ] deren Leitname beim karantanischen Grafen Ruodpert, einem weiteren Sohn Wilhelms, wiederkehrt [14 Der Name Ruodpert könnte auch von der Familie Graf Graman übernommen worden sein, von dessen Neffen, dem Priester Hruodperht, bereits die Rede war (vgl. oben 31). Die Kombination mit Megingoz macht jedoch eine Erklärung durch Verwandtschaft mit den RUTPERTINERN wahrscheinlicher.]. Beide Namen dürften durch eine Heirat Graf Wilhelms II. mit einer Verwandten der RUTPERTINER in die Familie gekommen sein. Die Rolle, die Graf Guntram dabei spielte, wird später Behandlung finden.
Ähnlich wie bei Graf Wilhelm II. ist auch bei seinem Bruder Engilschalk eine Verbindung mit einer Adeligen außerbayerischer Herkunft ziemlich wahrscheinlich. Die Mutter Pabos, Werners und des jüngeren Engilschalk dürfte aber durch ihre Vorfahren bereits Beziehungen zur Mark gehabt haben. Der Name ihres zweiten Sohnes weist eindeutig auf Graf Werner II., den Amtsvorgänger der WILHELMINER in den Donaugrafschaften. Dieser offenkundige Zusammenhang hat die Forschung veranlaßt, die verschiedenen in den Marken auftretenden Grafen des Namens Werinheri-Werner den WILHELMINERN zuzuzählen [15
C. Plank, Siedlungs- und Besitzgeschichte der Grafschaft Pitten. Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 10 (1946), 93, und K. Oettinger, Das Werden Wiens, Wien 1951, 90.]. Auf die Haltlosigkeit dieser „Werner-These" hat schon Mitis hingewiesen [16 O. Mitis, Zur Herkunft des Ostmarkgrafen Wilhelm, MIÖG 58 1950), 950), 547.].
Durch die Heiraten der Brüder Wilhelm II. und Engilschalk traten die WILHELMINER in Beziehung zu den führenden Geschlechtern der alten fränkischen Reichsaristokratie. Daraus erklärt sich, daß auf ihrer Seite gegen Arbo und Swjatopulk ein Graf Wezilo und der Bruder eines Grafen Berthold kämpften [17
MGSS 1, 401 f.], die beide sicher nicht dem bayerischen Stammadel angehörten. Wezilo ist wohl eine Kurzform für Werner. Der 884 genannte Graf gehört vielleicht in den Verwandtenkreis der Gattin Engilschalks I. [18 Vielleicht handelt es sich um den gleichzeitigen Lobdengau-Grafen (Glöckner 32, 39).]. Dasselbe gilt für Graf Berthold und seinen Bruder. Es handelt sich bei ihnen wahrscheinlich um ALAHOLFINGER. Berthold war in dieser Familie Leitname. Ihr dürfte ja, wie wir gesehen haben, Graf Werner II. angehört haben.
Aus den Zusammenhängen mit bedeutenden fränkischen Adelsgeschlechtern wird auch klar, wieso Engilschalk II. 889 als Intervenient für die von seiner Heimat so weit entfernte Kirche von Lüttich und Tongern auftritt [19
MG Dipl. Kar. 3, 95. In dieser Intervention in einer niederrheinischen Angelegenheit sah man einen Hinweis auf die fränkische Abstammung der WILHELMINER (E. Zöllner. Zur Bedeutung der älteren Otachare für Salzburg, St. Pölten und Wien, N. Jb. d. Her.-gen. Ges. Adler 1 (1945/46), 31.) Ich glaube, daß diese Beziehung durch Verwandtschaftszusammenhänge über Engilschalks Mutter eine ausreichende Erklärung findet.]". Er wird von ARNULF procer noster genannt, eine Bezeichnung, die ihm durch seine Verwandtschaftsbeziehungen mütterlicher- wie väterlicherseits gewiß zukam.
In einer anderen Urkunde ARNULFS aus der Zeit 891/93 tritt Graf Engilschalk II. als Fürsprecher einer Schenkung in der Grafschaft seines Vetters Ruodpert an den Salzburger Vasallen Reginhard auf [20
Mon. bist. duc. Car. 3. 28/64.]. Dieser Reginhard war im Leobental begütert [21 Hauthaler 1, 75/8.]. Als Angehörige seiner Familie kennen wir die Gattin Suanahilt und zwei Söhne Reginhard und Willihelm. Der Name des letzteren macht es wahrscheinlich, daß die Intervention Graf Engilschalks auf Grund verwandtschaftlicher Beziehungen erfolgte, zumal jener ebenso wie die WILHELMINER in Kärnten begütert war.
Reginhards Sohn Willihelm wird in den Urkunden des Codex Odalberti zwischen 925 und 935 häufig genannt. Seltener und von ihm nur schwer zu unterscheiden tritt hier ein anderer Willihelm auf, der 825 mit seiner Gattin Liutpirch und einem ungenannten Sohn Besitz zu Poigenberg (BA Erding) im Isengau an Salzburg vertauscht [22
Hauthaler 1, 92/28. Daß es sich wirklich um zwei verschiedene Willihelme handelt, geht aus dem Schluß einer Zeugenreihe von 931 hervor (Hauthaler 1, 80/13).], in einer Gegend also, in der auch die älteren WILHELMINER und vor allem deren Ahnen, die Sippe Graf Gramans, begütert waren [23 Vgl. oben 106 und 48.]. Den Namen von Willihelms Sohn Pernhard erfahren wir aus einer Zeugenreihe von 930 [24 Hauthaler 1, 136/75.]. Ebenso aber hieß auch ein Sohn Erzbischof Odalberts und der Rihni [25 Hauthaler 1, 142/81.] sowie ein Sohn des Kärntner Edlen Weriant [26 Hauthaler 1, 119/57.]. Ein Tauschgeschäft des letzteren aus dem Jahr 927 wird nach Herzog Perthold und verschiedenen Kärntner Grafen von einem Willihelm comes bezeugt, dessen Grafschaft ebenfalls hier zu suchen sein dürfte. Seine Identität mit dem Vater Pernhards wird dadurch nahegelegt, daß dieser 931 als fideiussor eines anderen Kärntner Grafen, Albrih, auftritt [27 Hauthaler 1, 8013.]. Daß zwischen Willihelms Familie und der Erzbischof Odalberts Beziehungen bestanden haben, ergibt sich auch aus einem Tauschgeschäft, dessen Partner Willihelm, ein Edler Ruodperht und Odalberts Gattin Rihni auf der einen Seite, das Salzburger Hochstift auf der anderen waren [28 Hauthaler 1, 102/41.]. Die gemeinsame Nennung mit Ruodperht zeigt nun eindeutig, daß wir es hier mit Nachkommen der alten WILHELMINER zu tun haben, was schon durch die Stellung Willihelms an der oberen Isen, in Salzburg und in Kärnten sehr wahrscheinlich gemacht wurde. Ruodperht war wohl ein Vetter, vielleicht sogar ein Bruder Willihelms. Er wird mehrmals als
missus Herzog Arnulfs genannt [29
Hauthaler 1, 107/44. 138/76,142/80.] und erscheint zweimal als Graf [30 Hauthaler 1, 69/2, 88/23.].
Von den gemeinsam mit Willihelm erwähnten Personen wird noch später die Rede sein. Sie gehören alle - sowohl Rihni als auch Weriant, seine Gattin Adalaswint und Graf Albrih - in den Kreis um Markgraf Liutpold [31
Vgl. unten 237 ff. Dazu auch die Hinweise bei O. Mitis. Eine Gedenkstiftung für Babenberger im Verbrüderungsbuch des Klosters Reichenau, MIÖG 57 (1949), 257 ff.]. Dazu paßt es nun gut, daß die LIUTPOLDINGER nicht nur in Kärnten, sondern auch in Ober-Pannonien auf der ganzen Linie in die Positionen der WILHELMINER nachrückten [32 Vgl. K. Reindel, Die bayerischen Luitpoldinger 893-989, Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte NF 11 (1953), 6ff.]. Man hat versucht, aus dieser Amtsnachfolge eine Stammesgleichheit der LIUTPOLDINGER und der WILHELMINER abzuleiten, was jedoch wohl zu weit geht [33 F. Zimmermann. Der Ursprung der Babenberger und das Burgenland, Adler, Ztschr. f. Gen. u. Her. 2. 261. Er hält den mit den WILHELMINERN verwandten Graf Berthold für den Vater Markgraf Liutpolds, übersieht aber dabei, daß der Name Berthold erst durch Liutpolds Heirat mit der ALAHOLFINGERIN Kunigund in die Familie kam.]. Gewiß konnte aber der König selbst im Falle von Untreue eingezogene Ämter und konfiszierten Besitz nicht nach Belieben weitergeben, sondern mußte auf die Verwandten der Gestürzten Rücksicht nehmen [34 K. Lechner, Studien, a.a.O., 204.]. Gerade in der karolingischen Spätzeit durfte er sich über die Ansprüche der Sippe sicher nicht ohne weiteres hinwegsetzen. Die Amtsnachfolge der LIUTPOLDINGER nach den WILHELMINERN dürfte daher wirklich auf Verwandtschaftszusammenhänge zurückzuführen sein. Wo hier anzuknüpfen ist, zeigt eine Eintragung des Reichenauer Verbrüderungsbuches. In der geschlossenen Reihe Herolt Hemma Albrih Ruodperht [35 MG Libri corfraternitatum, Reichenau 491; dazu paßt auch die Gruppe         Ruodperhtus Hemma (Reichenau 657).] wird neben Markgraf Liutpolds Bruder und Neffen der Name seines Amtsvorgängers in Karantanien genannt. Wenn wir nun berücksichtigen, daß der Name Pernhart, der in verschiedenen liutpoldingischen Gruppen auftritt, auch bei einem der jüngeren WILHELMINER erscheint, liegt der Schluß nahe, daß sie Nachkommen des karantanischen Grafen Ruodpert aus einer Verbindung mit einer LIUTPIOLDINGERIN waren. Daß diese den vom Reichenauer Verbrüderungsbuch in zwei die LIUTPOLDINGER betreffenden Eintragungen überlieferten Namen Hemma trug, ist möglich, läßt sich aber nicht erweisen [36 O. Mitis, a.a.O., 260, Anm. 10, erschließt eine LIUTPOLDINGERIN Hemma aus der Reihe Reichenau 491.].
Die jüngeren WILHELMINER sind, wie schon in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts Graf Pabo, einerseits in Kärnten, andererseits um Salzburg anzutreffen. Die Grafschaft im Gurktalgau, in der bis 893 Ruodpert waltete, läßt sich noch im elften Jahrhundert in den Händen des Geschlechtes nachweisen. 1036 wird Wilhelm, der letzte Graf von Friesach, ein Sohn der heiligen Hemma, vom gestürzten Kärntner Herzog Adalbero von Eppenstein ermordet [37
  37 Mon. hist. duc. Car. 3. 107/252.].     
Eine andere Linie des Geschlechts verwaltete die Grafschaft im oberen Salzburggau. Ihr Ahnherr ist der hier 963 mit seinem Sohn Liutold genannte Graf Willihelm [38
Hauthaler 1, 168/1 und 1703. Er ist nicht identisch mit einem anderen gleichzeitig auftretenden Grafen Wilhelm (Hauthaler 1. 176/10), dessen Grafschaft in Kärnten zu suchen sein dürfte und der zu den Vorfahren der Friesacher WILHELMINER gehört.]. Zu seinen Nachkommen gehören die Grafen von Raschenberg-Reichenhall sowie die Grafen von Plain-Hardegg, mit deren Erlöschen der Mannesstamm der WILHELMINER 1260 ausstirbt [39 O. Dungern. Handbuch zur baierisch-österreichischen Geschichte, Graz 1931. Tafel VI und VIa. Über den Zusammenhang mit den Grafen von Plain vgl. H. Mitscha-Märheim, Ozi, der steirische Markgraf, und die Otakare, N. Jb. d.
Her.-gen. Ges. Adler 1951/4, Stammtafel, 11.
].
Während die Nachkommen Wilhelms II. ihr Machtzentrum in Kärnten und um Salzburg hatten, finden sich die Erben der Familie seines Bruders Engilschalk hauptsächlich in Regensburg und in den Donaugrafschaften. Aus den Besitzverhältnissen um Persenbeug hat K. Lechner gezeigt, daß hier die Burggrafen von Regensburg große Gebiete besaßen, die im neunten Jahrhundert den WILHELMINER gehört haben dürften [40
K. Lechner, Waldviertel, a.a.O., 38 ff., besonders Anm. 3.]. Auch an der Perschling finden sich die Burggrafen als Besitznachfolger der WILHELMINER [41 E. Klebel, Besitzgeschichte und Genealogie östlich von St. Pölten, Beiträge zur Stadtgeschichtsforschung. Festschrift der Stadtgemeinde St. Pölten, St. Pölten 1959, 37.]. Das älteste gesicherte Glied ihrer Stammreihe ist ein Papo. Der Name kehrt auch später wieder [42 Vgl. M. Mayer, Geschichte der Burggrafen von Regensburg, München 1883, Stammtafel, 82.]. Klebel hat daher an eine Herkunft von Engilschalks I. ältestem Sohn gedacht, der auch Pabo hieß [43 E. Klebel, a.a.O., 37.]. Eine solche Ableitung hat viel für sich. Auch der Name Ruodperht beim Sohn des ersten Burggrafen könnte auf diese Weise erklärt werden [44 Über die Vererbung des Namens Ruodperht vgl. oben 182.]. An eine Abstammung der Regensburger Burggrafen von den WILHELMINERN im Mannesstamme ist jedoch kaum zu denken.
Die bedeutendsten Erben der Wilhelm-Engilschalk-Gruppe waren sicher die Grafen von Sempt-Ebersberg. Vor allem im heutigen Nieder-Österreich lassen sie sich als Besitznachfolger des
Grenzgrafen-Geschlechtes erschließen, so am unteren Kamp [45 K. Lechner, Waldviertel, a.a.O., 33 und 36.], zusammen mit den Regensburger Burggrafen in Persenbeug [46 K. Lechner, Waldviertel, a.a.O., 36 ff.], im Ybbstal [47 H. Mlitscha-Märheim, Ur- und Frühgeschichte des Landes zwischen Enns-Erlaf-Ybbs-Donau bis zum Ende der Ungarnherrschaft, Das Ybbstal 2,1 f.], im Gebiet von Krems-Mautern, zwischen Tulln und Perschling sowie im Mühlviertel zwischen Aist und Naarn [48 K. Lechner, Studien, a.a.O.,203.]. Darüber hinaus können sie auch in der Regensburger Diözese zwischen den beiden Laber, am Oberlauf der Isen sowie im Gebiet der EBERSBERGER Grafschaft selbst als Erben der WILHELMINER wahrscheinlich gemacht werden [49 Vgl. unten 224f.]. Da unter den jüngeren SIGHARDINGERN der Name Werinher auftritt, stammten sie wohl von einer Tochter oder Nichte des gleichnamigen Sohnes Graf Engilschalks I. ab, die mit dem karantanischen Grenzgrafen Ratold verheiratet gewesen sein dürfte.
Trotz der Katastrophe des wilhelminischen Hauses im Jahre 893, die den Verlust sämtlicher Ämter und die Konfiskation der Güter zur Folge hatte, konnte sich das Geschlecht von diesem schweren Schlage bald erholen. Den jüngeren WILHELMINERN gelang es teilweise sogar, die Positionen ihrer Ahnen zurückzugewinnen. Die Grafschaften und der größte Teil des Grundbesitzes finden sich jedoch in der Hand versippter Geschlechter, von denen vor allem die LIUTPOLDINGER, die jüngeren SIGHARDINGER und die Burggrafen von Regensburg zu nennen sind. Betrachtet man die bedeutende Stellung aller dieser Familien im Ostland, dann läßt sich daraus eine Vorstellung der Machtfülle jenes Geschlechtes ableiten, als dessen Erben sie hier zu Einfluß gekommen waren.


                                                        ------------------------------------
                                                       Pabo                                  Wilhelm I.                                                        

                                                           †
n. 860                                n. 853           
                                                    seit 838/39 Gr.                    seit 821 Graf im           
                                                    in Karantanien                     Traungau           

                                                                                                 oo Engilrat Schwester desMondseer Vogtes Pazrih  

                                                            -----------------------------------
I----------      
                                                    Wilhelm II.                                         Engilschalk I.           
                                                         
gef. 871                                         gef. 871           
                                               Graf im Traungau                                  Graf (in                                       Wezilo   
                                            und in der Gft. zwischen                           Ober-Pannonien?)                     (Werinheri?)   
                                            Enns und Wienerwald                                                                                 Graf  884
 
                                           oo RUTPERTINERIN                               oo Tochter Graf Werners II.
                                      
            ----------------------------------
I--------------------                          ----------I----------------------------------------------- 
       Megingoz         Wilhelm III.                   Ruodperht                   Pabo II.                   Werinheri                 Engilschalk II.  
            
gef. 884        892 enth.                     893 erm.                    gef. 884               884                           
                                                                                                                                                                             geblendet 893
                                                                     Graf in Karantanien           
°                                                         Graf in Ober-Pannonien
                                                                                                                
°
                                                                oo LIUTPOLDINGERIN?       °                                                    oo Tochter Kaiser ARNULFS
                                                                                                                
°
                                                          ----------------
I----------------           -I---                          --I -                                    
             Ruodperht                          Willhem IV.                      N.N.    Burgrafen von           N.N.
             923-930                              923-930                             
         Regensburg ?              
        missus Hzg. Arnulfs               Graf (in Karant. ?)               I    
   Graf in Karanatanien                                                              
I
                                                       oo Liutpirch                                                                 oo Ratold       
                                                                 
†                                                                                  919
                                                                                                    I                                         Graf in Karantanien

                                                               -
I --                           ---I --                                               -I --
                                    Grafen im oberen Salzburggau         Wilhelm V.                                      Grafen von Sempt-Ebersberg
                                                                                           963 Gr. in Karantanien       
  
                                                                                                   ---
                                                                                         Grafen v. Friesach