Im Jahre 886 adoptierte Papst Stephan V. den Herzog
Wido von Spoleto, den späteren König und Kaiser,
um ihn beim Versagen der KAROLINGER
- so wie einst dem Boso - die Anwartschaft
auf den Thron zuzuwenden; vgl. das Briefregister Fulcos von Reims, MG SS
XIII Seite 556.
Im Westen bestand - nachdem dort die Nachrichten von
den Geschehnissen in Ostfranken (November 887) und in St. Maurice (Januar
888 und vermutlich auch schon ein Bericht aus Pavia (Januar 888) eingetroffen
waren - unter den führenden Adligen zunächst keine Einigkeit
darüber, was nun weiter geschehen sollte. Quiddam Widonem
ab Italia, quidam Odonem in regno statuere
volunt [31 Ann. Vedast.
ad 887 Seite 64.] Diejenigen, die Herzog Wido
von Spoleto zum westfränkischen König erheben wollten,
gruppierten sich um Erzbischof
Fulco von Reims, der ein Verwandter
WIDOS
war; und jene, die den Grafen Odo von Paris,
der sich in den Kämpfen gegen die Normannen so hervorragend ausgezeichnet
hatte, zu erheben gedachten, sammelten sich um den allerseits angesehenen
Grafen Theoderich [32 Ann. Vedast. ad 888 Seite 64. Zur Verwandtschaft
des Erzbischofs Fulco von Reims mit WIDO
vgl. E. Hlawitschka, Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien
(1960) Seite 75f., und E. Dümmler, Geschichte des ostfränkischen
Reiches III² Seite 314-316. Zur Stellung Theoderichs im Westreich
vgl. unten Excurs I.]. Die offenbar stärkere Theoderich-Gruppe erhob
schließlich am 29. Februar 888 Odo
in der Pfalz Compiegne und ließ ihn von Erzbischof Walther von Sens
krönen. Wohl nur wenige Tage später, Anfang März, als die
Ereignisse von Compiegne noch keine weite Verbreitung gefunden hatten,
wurde der aus Italien herbeigeholte
WIDO
in Langres vom Bischof jener Stadt, Geilo, gleichfalls zum westfränkischenKönig
gesalbt.
Eine Auseinandersetzung schien sich anzubahnen. Doch als WIDO
von Odos Erhebung und dessen weit stärkerem
Anhang erfuhr, wandte er sich nach Italien zurück, um in jenem Lande,
in dem er stärker verwurzelt war, seinen alten Gegner BERENGAR
VON FRIAUL die Krone streitig zu machen [33 Vgl. Anm.
32; dazu G. Fasoli, I re d'Italia (888-962), (1949) Seite 1-16. - Der anekdotenhaft
umrahmten Angabe Liudprands von Cremona (Antapodosis I, 16, ed. J. Becker,
MG SS rer. Germ. (1915) Seite 18), daß WIDO
noch bis nach Lothringen voregedrungen wäre und seine Boten schon
bis nach Metz gesandt hätte, um sein Eintreffen vorzubereiten, wird
neuerdings - nachdem sie bislang kaum Glauben fand - wieder stärker
Beachtung geschenkt von R. Hiestand, Byzanz und das Regnum Italicum im
10. Jh. (1964) Seite 48f.].
BERENGAR I. VON FRIAUL,
der in den ersten Januartagen 888 in Pavia zum König erhoben worden
war und den inzwischen der aus Westfranken zurückgekehrte WIDO
VON SPOLETO arg in Bedrängnis gebracht hatte, zog es vor,
sich sofort zu ARNULF
zu begeben, um neben WIDO nicht noch
einen weiteren Gegner im Streit um das Königtum zu finden. In Anerkennung
dieser bereitwilligen Unterwerfung mag ARNULF
wohl BERENGAR gestattet haben, im Ostreich
Hilfskräfte gegen seinen Rivalen WIDO
zu werben [69 Vgl. unten Seite 123 Anm. 33.].
Fulco beschwor zur selben Zeit den Papst, bei
ARNULF
im
gleichen Sinne zu wirken. Ja er suchte heimlich auch noch Rückhalt
bei WIDO in Italien, seinem eigenen
Verwandten, den er schon vor 888 den Päpsten empfohlen hatte, den
er 888 in Westfranken zu erheben gedachte und den er hernach vor ARNULF
geschickt als einen Mann nichtköniglichen Geschlechtes abgelehnt hatte.
Seit 888 war die Verbindung
Fulcos zu WIDO
abgerissen, wurde nun aber wieder aufgenomen [31 Papst Formosus hatte
Fulco
zwar die Kaisererhebung WIDOS (891)
und auch die des WIDO-Sohnes
LAMBERT
(892)
mitgeteilt; MG SS XIII Seite 559 Zeile 44 und Seite 560 Zeile 7. Fulco
hatte aber wohl gegenüber WIDO
und LAMBERT nicht darauf reagiert;
erst nun, im Spätjahr 893, greift Fulco diese Meldungen auf
und gratuliert WIDO zu seiner Erhöhung.
- Wenn R. Hiestand, Byzanz und das Regnum Italicum im 10. Jh. (1964) Seite
64, meint, in der Erhebung LAMBERTS
zum Mit-Kaiser in Italien (Ende April 892) spiegele sich das Bestreben
WIDOS,
freie Hand für ein erneutes Eingreifen im Westreich zu erhalten, wozu
engste Kontakte mit Fulco von Reims gepflegt wurden, welcher damals
die Odo-Feinde repräsentierte,
so widerspricht dem der eben angeführte Befund aus Fulcos Briefregister.].
Diese Gegnerschaft hatte sich bereits 888 angebahnt.
Blicken wir kurz auf diese Vorgeschichte zurück! WIDO,
aus dem Westreich nach Italien zurückgekehrt, war damals seinem Rivalen
um die italienische Krone, BERENGAR VON FRIAUL,
hart entgegengetreten, und BERENGAR
hatte sich - um nicht noch einen weiteren Gegner zu erhalten - sogleich
in Trient ARNULFS Oberhoheit unterworfen,
womit er sich zugleich Zuzug für sein Heer aus ARNULFS
Reich sicherte [33 E. Hlawitschka, Franken, Alemannen Seite 77f.].
WIDO,
der ARNULF
nicht gehuldigt hatte, mußte
dadurch mehr und mehr als
ARNULFS Feind
erscheinen. - Bei den Auseinandersetzungen der beiden Rivalen gewann aber
WIDO
889 die Oberhand. BERENGAR wurde auf
das nordöstliche Oberitalien zurückgeworfen, WIDO
jedoch
Mitte Februar 889 in Pavia in aller Form im regnum Italiae erhoben.
Die Beziehungen zwischen WIDO und ARNULF
dürften sich 890 noch weiter verschärft haben, als der aus Alemannien
vertriebene Bernhard, der Sohn KARLS
III., bei WIDO Zuflucht
fand. Die Gegnerschaft WIDOS und ARNULFS,
der eine Hegemonie über die karolingischen
Nachfolgestaaten auszuüben gedachte, mußte sich in den kommenden
Jahren dazu noch dadurch verstärken, daß WIDO
zur Vollendung seiner Herrschaft bald auch die Kaiserkrone anstrebte und
damit ARNULFS Anspruch auf sie mißachtete.
Zu Anfang 890 hatte Papst Stephan V. dieses Machtstreben des Spoletiners
nocht verhindern wollen und hatte ARNULF
dringend bitten lassen, nach Rom zu kommen, das Italicum regnum a malis
christianis (= WIDO) zu befreien
und die Herrschaft in Italien selbst zu übernehmen; aber ARNULF
hatte damals wegen des bevorstehenden Treffens mit
Irmingard von der Provence, durch das er eine neue Burgund-Politik
einzuleiten gedachte, ablehnen müssen [34 Vgl. oben Seite 88.
- Zur Aufnahnme Bernhards bei WIDO
in Italien vgl. oben Seite 108 Anm. 160.]. Von dieser Seite im Stich gelassen,
war Stephan schließlich nichts anderes übriggeblieben, als WIDO
am 21. Februar 891 zum Kaiser zu krönen. Damit mußte
freilich der Bruch ARNULFS mit WIDO
vollständig sein. - In Formosus, dem Nachfolger des bald nach
dieser Krönung verstorbenen Papstes Stephan V., hatte WIDO
sodann
einen willfährigen Mann auf dem Stuhle Petri, der ihn am 30. April
892 nochmals weihte und der gleichfalls WIDOS
Sohn LAMBERT zum Mit-Kaiser krönte.
Doch nach und nach mußte auch Formosus einsehen, daß
WIDO und LAMBERT gefährliche
Nachbarn waren, die auf päpstliche Wünsche keine Rücksicht
nahmen.
Gesandte BERENGARS
hatten sich den Boten des Papstes an ARNULF
angeschlossen [36 Ann. Fuldens. ad
893 Seite 122.]. Gerade das Auftreten der Boten BERENGARS
mag dazu beigetragen haben, daß die eigentlichen Zusammenhänge,
die geheimen Bemühungen des Papstes gegen WIDO,
fernerstehenden Beobachtern nicht klar erkennbar wurden [37 So läßt
auch der Autor der Gesta Berengarii die Italienzüge ARNULFS
nur
aus Freundschaft für BERENGAR
zustandekommen, desgleichen der spätere Liudprand von Cremona; vgl.
BM² nr. 1892a.] und daß Fulco deshalb WIDO
zwar vor dem Italienzug ARNULFS warnen
konnte, zur gleichen Zeit aber auch auf die Mitwirkung des Papstes bei
der Vermittlung eines Bündnisses zwischen WIDO
und Karl dem Einfältigen hoffen
zu dürfen glaubte. Bereits im Spätjahr 893 zog Zwentibold
dann auf Geheiß seines Vaters mit einem alemannischen Aufgebot gegen
WIDO;
ein Erfolg blieb aus, da WIDO sich
in Pavia verschanzte; Zwentibold mußte
unverrichteter Dinge heimkehren [38 Vgl. BM² 1892b.]. Im Januar
894 betrat ARNULF schließlich
selbst italienischen Boden. Bergamo ward erstürmt, WIDO
aus Pavia verjagt und der Vormarsch in Richtung Rom bis nach Piacenza vorangetrieben.