37.
Aber der Gattin des Wido,
welche Arnulf
den Tod bereitet hatte, bereitete der gerechte Gott den Schmerz der Witwenschaft.
Indem nämlich
König Wido
dem abziehenden Arnulf wie oben erwähnt
wurde, auf dem Fuße folgte, ereilte ihn der Tod [66 Letzte
Urkunde vom April 894 (Fonti 36 Seite 54 Nr. 21). Beisetzung in der Kathedrale
von Parma.] am Ufer des Flusses Taro: Auf die Nachricht von seinem Hinscheiden
begab sich Berengar eilends nach Pavia
und riß die Herrschaft mit Gewalt an sich. Da aber die Getreuen und
Anhänger des Wido sich sorgten,
Berengar möchte sich wegen der
erlittenen Unbill an ihnen rächen, und weil die Italiener immer zwei
Herren haben wollen, um den einen durch die Furcht vor dem anderen in Schranken
zu halten [67 Darnach Rahewin Gesta Friderici imp. III 37 a. Ende.],
so setzten sie Lambert, den Sohn des
verstorbenen Königs Wido, auf
den Thron [68 891 Mitregent, 892 Kaiser.], einen schönen,
dem Knabenalter eben entwachsenen und sehr kriegerischen Jüngling.
Da fing das Volk an, sich diesem zuzuwenden und den Berengar
zu verlassen; und als Berengar nicht imstande war, mit seinen geringen
Streitkräften dem Lambert, der
mit einem großen Heere gegen Pavia anrückte, entgegenzutreten,
zog er nach Verona und lebte dort in Sicherheit. Nicht lange hernach aber
wurden die Fürsten des Königs Lambert
überdrüssig, weil er ein strenger Herr war, sie schickten daher
Gesandte nach Verona und baten den König
Berengar, zu ihnen zu kommen.
38.
Auch Maginfred, der überaus reiche Graf der Stadt
Mailand, leistete ihm fünf Jahre lang [69 Höchstens drei
Jahre (Dümmler Jahrbücher III 424 Anm. 3).]; er verteidigte nicht
nur die Stadt, in der er sich gegen ihn erhoben hatte, Mailand nämlich,
sondern verwüstete aufs schwerste auch die Nachbarschaft ringsum,
die Lambert untertan war. Das ließ
der König nicht ungestraft [70 Hiob 24, 12: Deus inultum
abire non patitur.], immer wieder das Psalmwort [71 Ps. 74,3.]
wiederholend: "Wenn ich den richtigen Zeitpunkt habe, werde ich gerecht
richten." Nach kurzer Zeit nämlich ließ er ihn zum Tode verurteilen.
Das erregte unter allen Italienern keinen geringen Schrecken.
39. Sodann versuchte zur selben Zeit der berühmte
Markgraf
von Tuszien, Adalbert, und der mächtige Graf Hildebrand [72 Grafschaft
unbekannt.] sich gegen ihn zu erheben - Adalbert nämlich besaß
eine solche Machtfülle, daß er allein unter allen Fürsten
Italiens den Beinamen "der Reiche" führte. Er hatte eine Frau namens
Berta [73 Bertha, Tochter
Lothars
II. und der Waldrada,
heiratete als Witwe des Grafen Theutbald den Markgrafen Adalbert.], die
Mutter des in unserer Zeit regierenden König
Hugos; auf ihren Antrieb begann er so frevelhafte Unternehmen.
Er brachte nämlich ein Heer zusammen und eilte alsbald mit dem Grafen
Hildebrand vor Pavia.
40.
König Lambert
war inzwischen, ohne hiervon zu wissen, in Marengo, etwa 40 Meilen von
Pavia entfenrt, auf der Jagd. Und als dieser Markgraf und dieser Graf mit
ihrem sehr zahlreichen, jedoch untüchtigen Heer von Tusziern über
den Monte Bardone kamen, wurde der König, der tief im Walde jagte,
von der Sachlage unterrichtet. Unerschrocken und stark, wie er war, verzichtete
er darauf, sein Heeresaufgebot zu erwarten, zog vielmehr die etwa hundert
Ritter, die er bei sich hatte, zusammen und zog ihnen im Eilritt entgegen.
41.
Schon war er bis Piacenza gekommen, als ihm gemeldet
wurde, daß die Feinde am Fluß Stirone beim Flecken [74 Borgo
S. Donnino.], in dem der Leichnam des heiligen und teueren Märtyrers
Domninus verehrt wird, ihr Lager aufgeschlagen hätten. Ohne zu wissen,
was die kommende Nacht bringen würde, gaben sie sich, des Weines voll,
nach heillosem Singsang dem Schlaf hin und schnarchten, andere erbrachen,
was sie unmäßig genossen. Der König aber, unbeirrt und
wohlüberlegt, fiel gerade in der nächtlichen Stille über
sie her, tötete die Schlafenden und erschlug die Gähnenden. Zuletzt
stieß er auf die Führer dieses Heeres. Und da ihnen nicht ein
Beliebiger aus der Menge, sondern der König selbst als Bote der herrlichen
Tat erschien, raubte ihnen der bloße Schrecken die Fähigkeit,
ich möchte nicht sagen zu kämpfen, sondern zu fliehen. Denn Hildebrand
wandte sich zur Flucht und ließ Adalbert, der sich in einem Viehstall
verbarg, im Stich. Als man diesen entdeckte und vor den König brachte,
wandte sich der König an ihn mit folgenden Worten: "Wir glauben, daß
es der Geist der Sibylle war, der aus deiner Frau redete, als sie dir aus
eigenem Wissen versprach, dich zum König oder zum Esel zu machen.
Denn da sie aus dir keinen König machen wollte, vielmehr - was eher
zu glauben ist - nicht konnte, ließ sie dich, um nicht gelogen zu
haben, zum Esel werden, als sie dich mit Arcadiens Vieh [75 Persius
3,9.] in den Stall zu fliehen nötigte. Mit ihm wurden hier überdies
einige gefangen, gebunden, nach Pavia gebracht und ins Gefängnis geworfen.
42.
Danach gab sich König Lambert
erneut
der Jagd im erwähnten Marengo hin, bis auf Beschluß aller Fürsten
beraten würdem wie mit den Gefangenen zu verfahren sei. Doch - o daß
doch bei dieser Jagd das Wild, nicht die Könige die Beute waren! Jedenfalls
soll er, als er, wie es der Brauch ist, die Keiler auf ungezügeltem
Pferde verfolgte, gestürzt sein und sich den Hals gebrochen haben.
Doch dieser Erzählung Glauben zu schenken, das möchte ich nicht
empfehlen. Es gibt nämlich eine andere Erzählung von seinem Tode,
die mir wahrscheinlicher vorkommt und von allen Leuten erzählt wird.
Maginfred, der vorhin erwähnte Graf der Stadt Mailand, hinterließ,
als er für das gegen das Reich und den König begangene Verbrechen
zum Tode verurteilt wurde, als alleinigen Erben seines Besitzes seinen
Sohn Hugo [77 Dazu paßt auch, was über
LAMBERTS Tode im Chronicon Novaliciense Appendix Kap. 15 (MG
SS VII 127 = Fonti 32 Seite 301) berichtet wird. Bei Landulf Hist. Mediolan.
II 2 (MG SS VIII 46) heißt der Mörder Azo Ilduini filius.].
Da König Lambert sah, daß
dieser durch Schönheit wie durch Mut manche übertraf, war er
bemüht, seinen großen Schmerz um den Tod des Vaters durch möglichst
viele Wohltaten, die er ihm erwies, zu lindern. So schenkte er ihm auch
vor anderen das Vorrecht engster Freundschaft. Nun geschah es aber, während
König
Lambert im genannten Marengo jagte - dort erstreckt sich nämlich
ein Wald von ungewöhnlicher Größe und Schönheit, besonders
für die Jagd geeignet -, daß sich alle, wie das zu geschehen
pflegt, nach allen Seiten zerstreuten und nur
Lambert mit diesem Hugo allein zu zweit im Walde zurückblieben.
Und als der König an einem Wildpfad den Keiler erwartete und, weil
er lange ausblieb, des langen Wartens müde wurde, wollte er ein wenig
schlafen und vertraute seinem Getreuen seinen Schutz jenem Ungetreuen an.
Während sie nun beide allein waren, begann Hugo der Wächter,
vielmehr Verräter und Henker, uneingedenk der vielen ihm erwiesenen
Wohltaten sich den Tod des Vaters ins Gedächtnis zurückzurufen.
Er dachte nicht daran, daß sein Vater den wohlverdienten Tod gefunden
hatte; er scheute sich nicht, den Eid, den er dem König geleistet,
zu brechen, er schämte sich nicht, Stellvertreter des Judas, des Verräters
an unserem Herrn Jesus Christus, zu heißen, und, was schlimmer ist,
er fürchtete nicht die ewige Verdammnis, sondern brach unter Aufbietung
aller Kraft mit Hilfe eines starken Astes dem Schläfer dne Hals. Denn
mit dem Schwert ihn zu töten, scheute er sich, damit der offenkundige
Befund ihn nicht als den Schuldigen am Verbrechen auswies. Und deswegen
handelte der Schurke so, damit statt einer von einem Schwert herrührenden
Wunde eine augenscheinliche Verletzung durch ein Holz die Entdecker der
Leiche davon überzeugen sollte, daß er vom Pferde gestürzt
war und sich den Hals gebrochen hätte. Der Vorfall blieb sehr viele
Jahre lang ungeklärt. Als aber König
Berengar
im Laufe der Zeit tatkräftig und ohne Widerstand
zu finden seine Herrschaft ausübte, wurde der Täter selbst zum
Verräter der eigenen Schuld, und es erfüllte sich jenes Wort
des Königs und Propheten [78 Ps. 10, 3: Quoniam laudatur
peccator in desiferis animae suae et iniquus benedicitur.]: "Denn der
Sünder wird gelobt in den Begierden seines Herzens und wer Unrecht
tut, wird gepriesen." Doch konnte er auch gar nicht anders gehandelt haben
im Hinblick auf diese Worte derselben Wahrheit, die nicht sagt: "Nichts
ist bedeckt, das nicht enthüllt wird, und versteckt, was nicht an
den Tag kommt [79 Frei nach Matth. 10,26. Marc. 4,22. Luc. 8,17.12,2.]."