Lambert der Kahle                          Graf von Camerino
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    -   873
 

Sohn des WIDONEN Haimo (Haymo) und möglicherweise Neffe des Herzogs Wido I. von Spoleto
 

Hlawitschka, Eduard: Seite 166,188,190,192-194
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"Die Widonen im Dukat von Spoleto", in: Stirps Regia

Mit dem Vater ging offenbar nur ein Teil der Familie ins Exil, nämlich der Sohn Wido, den wir ab 842 als dux Spolitanorum antreffen, und dazu anscheinend nochnein weiterer Sohn, vielleicht Haimo, der 837 als LOTHARS consilarius auftrat [33 Ein weiterer ins Exil gegangener Bruder Widos I. von Spoleto wird durch ein Diplom der Kaiser WIDO und LAMBERT vom 1. Mai 892 nahegelegt. Mit dieser Urkunde (L. Schiaparelli, I. Diplomi di Guido e di Lamberto, Roma 1906, Seite 34ff. nr. XIII) überließen die beiden Regenten an Cohunradum dilectum patruum ac patruelum nostrum illustrem marchionem und dessen Frau Ermengund die curtis Almenno in der Grafschaft Bergamo. Im Unterschied zu avunculus bezeichnet patruus den Onkel väterlicherseits und patruelis den Vetter über den Vatersbruder. Einen in dieser Weise deutbaren Sinn ergibt die Urkunde aber nur dann, wenn man die Bezugsetzung von patruus und patruelis nicht - entsprechend der Ausstellerreihenfolge - auf WIDO und LAMBERT, sondern umgekehrt auf LAMBERT und WIDO bezieht. (Ein Onkel  WIDOS kann ja doch niemals zugleich Vetter des Wido-Sohnes sein!). Demnach mußten Markgraf Konrads Vater und Kaiser WIDOS Vater, Wido I. von Spoleto, Geschwister gewesen sein. (Die Deutung "Mutterbruder" als patruus scheidet auch schon bei der Beobachtung aus, daß in der Nachkommenschaft Konrads das widonische Namengut - Radald, Wibert, Wido - auftritt; vgl. E. Hlawitschka, Franken (wie Anm.6) Seite 213ff., 247f., 283ff., 140). Wie Konrads Vater hieß, ist freilich unbekannt. (Die Interpretation des WIDO-LAMBERT-Diploms durch Th. Wüstenfeld, Herzoge (wie Anm. 10) Seite 413, die zu Wido I. von Spoleto als Konrads Vater führt, ist ganz abwegig; sie läßt das patruelis ganz außer acht.) Doch könnte hier eine Beobachtung am genannten Diplom einen Hinweis liefern. Von dieser curtis heißt es nämlich sicut a sanctae memoriae Hludovico quondam imperatore concessa fuit (eine Verbindung mit den dazwischenstehenden Pertinenzen ist nicht möglich, weil es sonst concessae fuerunt heißen müßte), woraus zu folgern ist, daß dieser Hof schon einmal an Konrad - und zwar von Kaiser LUDWIG II. - gegeben worden war; und Konrad muß ihn in der Zwischenzeit verloren haben. Dazu fügt sich sehr genau, daß König Ludwig der Deutsche am 26. Februar 975 - das heißt noch vor LUDWIGS II. Tod, gerade als Ludwig der Deutsche mit seinen Söhnen für die Nachfolge in Italien vorgesehen wurde und dabei LUDWIGS II. Familienangehörige wirtschaftlich sicherstellen mußte - diesen Hof und andere Güter an LUDWIGS II. Tochter Irmingard schenkte; MG D LdD 157 (Original!). LUDWIGS II. frühere Schenkung Almennos an Konrad war also tatsächlich wieder rückgängig gemacht wrden. Nun wissen wir, daß 871 des späteren Kaisers WIDO älterer Bruder, namens Lambert, zusammen mit einem anderen Grafen Lambert (von Camerino), der in den Quellen auch als Lambert der Kahle bezeichnet worden ist (siehe unten Seite 57), in ein Komplott des Herzogs Adelgis von Benevent gegen Kaiser LUDWIG II. verwickelt schien und daß die beiden Lamberte ihre Ämter verloren und nach Benevent flüchten mußten. Offensichtlich hat sich nun diese Strafaktion LUDWIGS II. von 8971 auch auf Konrad ausgewirkt. Wenn Konrad aber in die Bestrafung der beiden Lamberte von Spoleto und Camerino einbezogen wurde, dann muß er - was ja auch die patruus- und patruelis-Bezeichnungen schon zu erkennen gaben - ein naher Verwandter zumindest des Spoletiner Herzogs, vielleicht auch beider Lamberte, gewesen sein. Und das stützt die schon oft geäußerte Annahme, daß auch die beiden Lamberte nahe Verwandte waren, obgleich dies nicht ausdrücklich mitbezeugt ist. War Konrad vielleicht ein Bruder Lamberts des Kahlen? (Ein Bruder Lamberts von Spoleto kann er nicht gewesen sein, denn dann hätte er im zitierten Kaiserdiplom auch als Widos frater, nicht patruelis, bezeichnet werden müssen.). Nun ist Lamberts des Kahlen Vater bekannt: er hieß Haimo (siehe unten Anm.118). Ein Haimo ist zum 27.10.837 als LOTHARS fidelis consilarius und Inhaber des Klosters Montamiata bezeugt; MG D Lo I 33. War dieser nicht nur der Vater Lamberts des Kahlen, sondern auch der des Markgrafen Konrad (von Lecco)? In einem solchen Falle dürfte Haimo als Bruder Widos I. angesehen werden.].
LUDWIGS Rückzug sollte an Rom vorbei und geradewegs über Spoleto nach Ravenna führen. Wenn nicht Rom sondern Spoleto sein erstes Ziel war, muß dies seinen tieferen Grund haben. Aber kaum, daß er dort anlangte, entfernte sich "Lambert zusammen mit einem anderen Lambert vor ihm, da sie merkten, daß ihnen vom Kaiser das angerechnet wird, was gegen ihn geschehen war; und sie begaben sich Benevent, weil der genannte Adalgis ihnen verbündet war. Es ist ganz offensichtlich: nicht erst der Beschwerden des Papstes über die schon fast vier Jahre zurückliegenden Übergriffe Lamberts auf Rom zur Zeit seines Konsekration bedurfte es, um den Kaiser jetzt gegen den Herzog Lambert einzunehmen. Die Entscheidung LUDWIGS, sofort nach Spoleto zu ziehen, und - als Lambert mit seinem gleichnamigen Genossen floh - die Konsequenz, die Flüchtigen sofort zu verfolgen, um sie noch vor Erreichen des beneventanischen Gebietes zu fassen, zeigen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, daß es dabei um des Kaisers eigene Fragen, sein eben erlebtes Schicksal ging. Wegen der schon seit 860 bestehenden guten Verbindungen Lamberts nach Benevent bestand offenbar sofort der Verdacht seiner Mitwisserschaft am Komplott des Adelgis. Ob dazu berechtigter Anlaß bestand, war schon seinerseits ungewiß.
Man stellt weiter fest, daß eben dieser Suppo schon vor dem 29. September 871 die Nachfolge der beiden Lamberte in der Verwaltung Spoletos und Camerinos angetreten hat [104 E. Hlawitschka, Franken Seite 272.], so darf man wohl sagen, daß dieser Suppo zu des Kaisers Gefolge zur Zeit der Beneventaner Überrumpelung gehörte, ein Günstling Angilbergas und LUDWIGS II. war und daß er sofort nach der Freilassung (17.9.871) noch auf dem Wege des Kaisers nach Spoleto oder unmittelbar nach seinem dortigen Eintreffen vom Kaiser mit der Amtsführung im alten Gesamtdukat Spoleto betraut wurde. Das schon andersweitig gewonnene Bild der ganz raschen Entscheidung LUDWIGS gegen Lambert von Spoleto bestätigt sich damit. Es wird hierbei aber auch weiter deutlich, daß eine Fraktion um Angilberga und ihre Verwandten gegen Lambert existierte, das heißt, daß sich damals Spannungen entluden, die um dem vorwaltenden Einfluß bei Hofe, beim Kaiser, bestanden. War zu Anfang des Süditalien-Feldzuges (866) noch Lambert von Spoleto eine einflußreiche, in der Truppenführung geschätzte Persönlichkeit, der sich die Capuaner sogar lieber ergaben als dem Kaiser, so war aber diese Stellung bald verloren gegangen, wie die Mißachtung der mit Capua von Lambert ausgehandelten Friedensbedingungen durch den Kaiser offenbarte und wie die nur halbherzige Deckung des Eingriffs Lamberts in Rom durch den Kaiser zeigte. Da Lambert dadurch mehr und mehr in eine oppositionelle Haltung gedrängt wurde, scheint nur natürlich; und gleichfalls wird dann glaubhaft, daß der ebenso überspielte Adelgis von Benevent, den Angilberga schon für die Exilierung vorgesehen haben soll und der Lambert schon 860 einmal aufgenommen hatte, ihm freundschaftlich verbunden war.
Unterschweillig spielte bei den Vermutungen, daß der widonische Familienclan nach rascher Selbständigkeit gedrängt habe, oft auch die Person des zweiten mitvertriebenen Lambert, das heißt Lamberts "des Kahlen", - wie Hinkmar ihn nannte [111 Vgl. unten Anm. 122.] -, eine gewisse Rolle. Er wird immer wieder als sehr naher Verwandter des Spoletiners, der wohl Camerino, also den Ostteil des alten Gesamtherzogtums inne hatte [112 A. Hofmeister, Markgrafen Seite 360; Th. Wüstenfeld, Über die Herzoge Seite 404.], angesehen. Indem man ihn als Vetter Lamberts von Spoleto wertete [113 Th. Wüstenfeld, a.a.O. Seite 404.], der aus Nantes bzw. der bretonischen Mark nach dem Tode Lamberts II. von Nantes und dessen Bruders Warnarius nach Italien nachgezogen worden sei, oder in ihm auch einen Angehörigen einer alemannischen, mit den WIDONEN verwandten Grafensippe, und zwar den Sohn eines Grafen Atto, erblickte [114 H. Decker-Hauff, Die Ottonen und Schwaben, Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 14 (1955) Seite 335ff. ], konnte man zugleich die fortdauernden weiträumigen Beziehungen dieses Adelshauses betonen und in diesem weiträumigen, die Grenzen überschreitenden Beziehungsnetz eine Gefährlichkeit der WIDONEN für die KAROLINGER erblicken. Aber dies ist nicht recht haltbar [115 A. Sanfelice di Monteforte, Ricerche (wie Anm. 18) I Seite 20f. und II Tafel 3, sieht in Lambert dem Kahlen einen Bruder Widos I. von Spoleto und somit einen Sohn des 834 eingewanderten, 837 verstorbenen Lambert von Nantes. Bei M. Chaume, Les Origines du Duche de Bourgogne I, Dijon 1925, Seite 534f., ist Lambert der Kahle in einem ganz abweichenden, unhaltbaren genealogischen WIDONEN-System eine Neffe Lamberts I. von Spoleto und Sohn eines Wido von Camerino, zugleich Bruder des späteren Kaisers WIDO. Was R. Rau über Lambert den Kahlen in seiner Ausgabe der Annales Bertiniani kommentierend vermerkt - Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Quellen zur Karolingischen Reichsgeschichte II, Darmstadt 1958, Seite 220,228ff, 389 (Register) -, ist ganz falsch und verworren! R. Merlet, Les comtes de Chartres, de Chateaudun et de Blois aux IX etX siecles, in: Memoires de la Societa archeologique d'Eure-et-Loir 12, Chartres 1901, Seite 59 Anm. 3, schloß aus der Erwähnung Lamberts des Kahlen durch Hinkmar - wie schon Th. Wüstenfeld - auf dessen westfränkische Herkunft und vermutete in ihm den zum Jahre 863 in der petite Chronique de l'Abbaye de Bonneval (ed. R. Merlet, in: Mem. de la Soc. arch. d'Eere-et-Loir 10, Chartres 1896, Seite 29f.) genannten Grafen Lambert von Chateaudun. Dazu zuletzt G. Schneider, Fulco (wie Anm. 12) Seite 14-19.].
Dieser Lambert der Kahle war - worauf ich schon 1956 zum ersten Male hinweisen konnte [116 Vgl. Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 15 (1956) Seite 190 Anm. 60).] und was seither erst spärlich von der Forschung beachtet worden ist - der Sohn eines Haimo, wobei letzterer im Jahre 837 consilarius LOTHARS I. und Inhaber des Klosters S. Salvatore am Monte Amiata gewesen zu sein scheint [118 Wie ein Kommentar zu den in Anm. 98 zitierten Quellen wirkt LUDWIGS II. Diplom vom 1. November 874 - P. Torelli, Regesto Mantovano I (= Regesta Chartarum Italiae 12), Rom 1914, Seite 9 nr. 9 -: Hyldovicus imp. Cum persequeremur infidelis Dei seu nostros, scilicet Lampertum et filium Vuidonis et filium Haymonis, tendentes Beneventum, devenimus ad Piscariam, ubi invenimus insulam et iussimus inibi hedificari besalicam in honore S. trinitatis ... - Zu Haymo vgl. oben Anm. 33 (Ende) und H. Keller, Zur Struktur (wie Anm. 6) Seite 213.]. Ob Lambert der Kahle und Haimo indessen auch ganz enge Verwandte der Spoletiner WIDONEN waren, ist nicht ganz sicher, wenn auch wahrscheinlich [119 Vgl. oben Anm. 33.]. Trotz mehrmaliger gemeinsamer Bezeugung [120 Vgl. Anm. 98 und Anm. 122.] werden sie leider nicht als consanguinei oder parentes etc. ausgewiesen. Auch die Tatsache, daß Suppo in Spoleto und Camerino als dux nachweisbar isr, also beiden Lamberten zugleich nachfolgte und damit den alten Gesamtdukat in seinen Händen vereinte, ist kein tragfähiges genealogisches Argument. Schon eher ist dies der in der Vita Hadriani II. auftretende Ausdruck coniuratio Lambertorum, in dem beide Lamberte gleichsam wie Mitglieder einer Familie zusammengefaßt sind [121 Vgl. Anm. 100.].
Lambert von Spoleto hat bis zu LUDWIGS II. Tode 875 seinen Spoletiner Amtsbereich nicht zurückerlangt. Er blieb mit dem anderen Lambert (dem Kahlen) zunächst bei Adelgis von Benevent; beide erkämpften sogar zusammen mit den Beneventanern 872 einen Sieg gegen die Sarazenen; Lambert der Kahle verstarb jedoch 873 in Unteritalien [122 Erchempeert, Hist. c. 35, Seite 248: Quorum (das heißt der beiden Lamberte) auxilio fretus, (Adelgisus) super Saracenorum scaram irruit et viriliter stravit, occisis ex eis pene tribus milibus viris ... Cumque in hac obsidione prope terminaretur annus, misso exercitu iam dictus augustus ... - Ann. Bert. ad 873, Seite 123: Hludowicus imperator Italiae in Capua residens, mortuo iam Landberto Calvo ... Daß Lambert der Kahle sich zuletzt in Capua aufgehalten hat, könnte man eventuell aus Hinkmars Formulierung schließen.].
 
 
 
 

Literatur:
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Hlawitschka, Eduard: Die Widonen im Dukat von Spoleto, in Stirps Regia von Eduard Hlawitschka, Verlag Peter Lang Frankfurt am Main - Bern - New York - Paris Seite 166,188,190,192-194,218 -
Hlawitschka, Eduard: Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien (774-962), in Forschungen zur Oberrheinischen Landesgeschichte Band VIII Eberhard Albert Verlag Freiburg im Breisgau 1960 Seite 214 - Jahrbücher von St. Bertin. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band VI Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1972 Seite 228 -