Dümmler Ernst: Band II Seite 253,367,416,421,424-426,432
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"Geschichte des Ostfränkischen Reiches."

Die Capuaner brachte er vorübergehend in seine Botmäßigkeit, der Person des Herzogs Ajo von Benevent bemächtigte sich WIDO, wiewohl mit seiner Schwester Ageltruda vermählt, verräterisch und gelangte hierdurch auf einen Augenblick auch in den Besitz seiner Hauptstadt und seines Herzogtums, die er freilich ebenso wie Capua nicht auf Dauer behauptete [59 Daß Ageltruda, die Gemahlin WIDOS eine Schwester des (Ajo und) Radelchis und folglich Tochter des Adalgis war, lehren Chronica S. Benedicti, Chronic. Salernit. c. 148 (Scr. III, 201,545), auch nennt sie sich selbst in einer Urkunde vom Jahre 907: filia quondam principis de Benevento (Muratori ant. lt. V, 512). ].
Dem Papste, von dieser Seite im Stiche gelassen, blieb hiernach nichts andres übrig, als sich WIDO vollständig in die Arme zu werfen: am Sonntage Invokavit, den 21. Februar 891 empfing dieser nebst seiner Gemahlin Ageltruda, der Tochter des früheren Herzogs Adalgis von Benevent, aus Stephans VI. Hand die römische Kaiserkrone [11 Nur die Ann. Vedast. 888 überliefern von den Geschichtsschreibern dies Ereignis: cumque Berengerum e regno fugere compulisset, Romam ivit, imperator efficitur. Über den Tag der Krönung aber belehren drei Urkunden für die Kaiserin Ageltruda: Data IX Kal. Martii ind. IX anno inc. dom. 891 regnante domno Widone in Italia anno regni eius III imperii illius die prima (Muratori ant. It., 871, Ughelli It. sacr. II, 191, Affo stor. die Parma I, 193). Zur Bekräftigung dient auch die Bulle Stephans vom 26. Februar im ersten Jahr des Kaisers WIDO (J. 2661). Formosus schrieb an Fulko (Flodoard.h. Rem. eccl. IV c. 2 p. 430): imperatorem quoque Widonem coronatum eodem anno significans indictione decima.].
Wenn man aber bisher bei dem gänzlichen Verschwinden LAMBERTS gewähnt hatte, daß er und seine Partei jeden Widerstand entsage, so sollte sich dies bald als eine Täuschung herausstellen: zum größten Schrecken der Truppen hatte die Kaiserin Ageltruda, WIDOS mannhafte Witwe, alle Tore der Stadt schließen lassen, um ohne Rücksicht auf päpstliche Einladungen jedem fremden Herrscher den Eintritt zur Peterskirche zu verwehren [12 Ann. Fuld. 896.].
Erst dann  konnte das wiederhergestellte Römerreich Dauer und Festigkeit erlangen und der Papst Sicherheit gegen seine zahlreichen Widersacher, wenn es glückte, jenes neu emporgestiegene Herrscherhaus der WIDONEN von dem usurpierten Thron in die frühere Vasallität zurückzudrängen. An der Spitze desselben stand in diesem Augenblick minder der jugendliche Kaiser LAMBERT, als vielmehr seine Mutter Ageltruda, die Tochter jenes Herzogs Adalgis von Benevent, der einst in frecher Empörung seine Hand wider die gesalbte Majestät LUDWIGS II. erhoben, eines der männlichen und herrschsüchtigen Weiber, an denen das damalige Italien so reich war [28 In der Urkunde LAMBERTS vom 6. Dezember 895 für den Vizegrafen Ingelbert von Parma: domina et genitrix nostra Ageltruda gloriosissima imperatrix augusta ... nostram caesaream flagitavit clementiam (Muratori ant. It. I, 437), am 4. Mai 896 schenkte er der preclarissima atque ducissima genitrix nostra den Hof Corana in der Grafschaft Toskana (eb. III, 739), 21. Mai 898 machte er interventu ac petitione dominae genetricis nostrae Agiltrdae serenissimae imperatricis (Ughelli III, 36) eine Schenkung, desgleichen 3. September (Muratori ant. It. V, 281, B. 1283-1285,1287), endlich in einer undatierten Urkunde an Eberhard von Piacenza auf Bitte der domna et dilectissima genetrix nostra Ageltrudis imperatrix augusta aus Spoleto (Campi hist. di Piacenza I, 473).].
Bald aber schüttelte er dies Joch ab, Farold, der deutsche Vasall mußte sich ohne Zweifel zurückziehen und zu Anfang des Jahres 897 hielt Ageltruda mit ihrem Sohne LAMBERT und in Begleitung des Markgrafen Guido ihren Einzug in Rom, das ihr von neuem Gehorsam und Unterwerfung zollte [38
Chron. S. Bened. (Scr. III 204): praedictus marchio (sc. Wido) Spoletium perrexit imperatorem Lambertum eiusque matrem imperatricem cernere cupeins, ibant enim Roman ad apostolorum limina, cum quibus et idem ire gestiebat. Der ungefähre Zeitpunkt dieses Besuches ergibt sich daraus, daß paucis quoque post hinc diebus elapsis das Totengericht über Formosus stattfand, sowie daß Ageltruda am 31. März 897 nach Benevent kam.]. Einige Tage nach der Ankunft der Kaiserin, im Januar oder Februar 897, wurde Rom der Schauplatz eines grausen Possenspieles.
Ob LAMBERT und Ageltruda, die sich damals in Rom aufhielten, dieses ebenso abgeschmackte als abscheuliche Totengericht geradezu veranlaßt, steht dahin, da ja auch der junge Kaiser seine Krönung dem gemißhandelten Papst verdankte, doch hätte es keinesfalls wider ihren Willen stattfinden können. Die verwitwete Kaiserin verließ die Stadt bald wieder, um nach Benevent zu gehen und die Regierung dieses Herzogtums, welches Markgraf Wido von den Griechen befreit, ihrem einst verdrängten Bruder Radelchis zurückzugeben. Von dort kehrte sie im August nach Pavia zurück, wohin schon Wido im Anschluß an die früheren Herrscher den Schwerpunkt seiner Macht verlegt hatte.
Alles wandte sich nach LAMBERTS Tod daher, da keine Wahl gelassen war und von deutscher Seite nichts für die Erneuerung der Ansprüche ARNOLFS geschah, BERENGAR zu [58 Panegyr. Ber. I. III v. 287-298, Liudprand. 1. I c. 43. Die Urkunde für Ageltruda nebst einem besonderen Gelöbnis der Freundschaft am 1. Dezember 898 zu Reggio ausgestellt bei Muratori ant. It. VI, 337, Leg. I, 565. Am 11. Dezember 907 stellte sie veste religionis induta eine Schenkungsurkunde für das Kloster Campli in Camerino aus (Muratori ant. It. V, 511), sie lebte noch im Jahre 923, in dem sie am 27. August für das Seelenheil ihres Gemahls eine Stiftung machte (Affo storia die Parma I, 329).]. Die Kaiserin Ageltruda schloß mit ihm einen Freundschaftsvertrag (1. Dezember), durch welchen alle ihre ausgedehnten Besitzungen, insbesondere die Schenkung ihres Gemahls und Sohnes ihr gewährleistet wurden und zog sich nachmals wie ihre Vorgängerin Engelberga in ein Kloster (in der Mark Camerino) zurück.