Annalista Saxo:
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"Reichschronik"

Das Jahr 1126.
 

König Liuder feierte Weihnachten in Straßburg und der Herzog Friderich von Alsatien wird nach dem Urtheile der Fürsten verdammt, weil er Empörung gegen den König  anstiftete. Der König kehrt in die Heimat zurück. Zu Corbeja trat die Wisera aus, da das Eis wie ein Riegel sie zurücktrieb, und nahm die ganze Fläche der Stadt ein; sie bedeckte wie ein stehendes Gewässer den Fußboden der Kirche des
theuern Märtyrers Vitus, aber bald hernach zieht sie sich durch den Schutz dieses Heiligen ohne Schaden anzurichten in ihr gewohntes Bett zurück. Außerdem entstanden in vielen anderen Ortschaften verschiedener Gegenden durch starke Ueberschwemmungen große Schrecken und Gefahren. In Goslar findet in Anwesenheit des Königs eine zahlreich besuchte Fürstenversammlung statt und von allen wird eine Heerfahrt gegen Herzog Friderich nach Pfingsten gelobt. [König Liuder zog mit einer nur kleinen Schaar, welche er zusammengerafft, nach Böhmen um Otto wieder einzusetzen, der sich beklagte, daß er ungerecht seines Herzogthums beraubt sei; sehr unvorsichtiger
Weise, denn er nahm nicht mehr als dreitausend Mann mit sich, der Feinde aber waren zwanzigtausend oder mehr. Zweihundert von den leichteren Truppen aber schickte der König voran, um den Verhau des Grenzwaldes niederzulegen, welcher Böhmen gegen Sachsen abgrenzt. Und da diese nun, in  unwegsamen und steilen Schluchten des Waldes vorwärts kriechend, so zu sagen, sich abmühten, wurden sie ermüdet durch den tiefen Schnee und die Abholzung des Gehäges, plötzlich von einem feindlichen Hinterhalte umringt. . . . . . Die Meisten werden daselbst getödtet, die Besten des Landes, tapfere und edle in Krieg und Frieden berühmte Männer,]  an Zahl 270.
Unter diesen waren die bedeutendsten Graf Milo von Ammenesleve, Gebehard von Querenvorde, Berenger von Quenstide, Bertold von Acheim, Walter von Arnstide und andere mehr, welche aufzuzählen zu weitläufig wäre. Hatten sie die Möglichkeit gehabt, in ebenem Lande zu kämpfen, wahrhaftig, den Nachkommen wäre bekannt geworden, wie groß ihre Tapferkeit war. Dennoch fallen sie nicht als Feige oder Flüchtlinge. Niemand ist dort gesunken, dessen Gesicht dem Feinde abgewandt war, woran man den Fliehenden erkennt, sondern alle mit gegen den Feind gekehrtem Gesichte. Keiner hat den Platz, den er lebend behauptet, im Sterben aufgegeben. Auch die Feinde hatten starken Verlust. Otto, dessen wir oben Erwähnung gethan haben, wurde entseelt gefunden mitten unter den dichtgedrängtesten Leichen der Feinde. Markgraf Adelbert, ein ritterlicher Jüngling mit herrlichen Gaben, wird gefangen. Durch diese Nachricht heftiger gegen den Feind erzürnt, schickt der König sich, wie ein wild gewordener Leu, zum Kampfe an, lieber alles erdulden wollend, als sich durch schimpfliche und ungewohnte Flucht retten. Aber Herzog Sobezlaus erschrak, als er von der auch durch das Unglück nicht erschütterten Ausdauer des Königs hörte, und schickte flehende Boten zum König. Endlich selbst vor den König geführt, wirft er sich nieder und bittet um Vergebung. Als er zuletzt mit Mühe des Königs Gnade erlangt hatte, macht er sich zum Vasallen des Königs, betheuert mit einem Eide, daß er fortan dem Könige unterthänig und treu sein werde, verspricht die Gefangnen
loszugeben, empfängt das Land zu Lehen und mildert den Schmerz des Königs über die Niederlage des Heeres durch Unterwürfigkeit und große Demuth. Als dies geschehen war, zieht der König zurück, tiefbetrübt über den Untergang der tapfersten Ritter.

Der König feierte das hochheilige Fest der Auferstehung  des Herrn in Magedaburg und verhandelte mit den Großen der Kirche und des Reiches über die Besetzung dieses Bisthums, welches damals herrenlos war; als dort bei der Wahl große Schwierigkeiten entstanden waren, kamen die Häupter der
Magedaburger Kirche nach dem Wunsche und Rathe des Königs einmüthig in Speier zusammen und setzten nach dem  übereinstimmenden Rathe des Königs und der Kirche Herrn Nortbert, einen frommen Mann, der in allen Kirchen das Wort Gottes überströmend gepredigt hatte, unter Gottes Beihülfe in einmüthigem Frieden und in Eintracht als Bischof ein.

[Der König zog zu Felde gegen Herzog Friderich von Alsatien, aber da dieser sich in die festeren Positionen seines Landes zurückzog, kehrte der König unverrichteter Sache zurück.]

Bischof Arnold von Mersburg wurde am Pfingstabende erschlagen.

[Zu Trier wurde bei Sanct Eucharius unter dem Altar des heiligen Johannes des Täufers der Leib des heiligen Apostels Mathias gefunden. Er wurde feierlich erhoben und wird seitdem von dem ganzen deutschen Volke mit größter Andacht verehrt].

Herzog Heinrich von Baiern und seine Gemahlin Wulfhild, die Tochter des Sachsenherzogs Magnus, starben. Dieser Heinrich war der Sohn des Herzogs Welf und ein Bruder Welfs des Jüngern, mit deren Abkunft es sich also verhält. Zur Zeit des Kaisers Lodowich des Frommen, des Sohnes Karls des Großen, gab es unter den Fürsten Baierns einen, der doppelnamig war, denn er wurde sowohl Eticho als Welf genannt; dieses Mannes Tochter Judith nahm Lodowich selbst nach dem Tode der Kaiserin Irmingard zur Ehe und zeugte mit ihr den Kaiser Karl den Kahlen, unter dessen Kindern und Enkeln in langer Reihe das Reich der Franken blühte. Sein Großvater, der erwähnte Eticho oder Welf, war ein Fürst von besonderer Freiheit, der niemals für ein Lehen sich der Hoheit eines Andern, auch nicht des Kaisers selbst, unterworfen hat und eben dies seinem Sohne Namens Heinrichanbefahl, daß er sich niemals der Hoheit eines Andern unterwerfen sollte. Der Sohn aber, welcher diese Vorschrift für unvortheilhaft hielt, unterwarf sich auf Zureden seiner Schwester, der Kaiserin Judith, der Hoheit des Kaisers unter der Bedingung, daß er ihm im Lande seiner Gemahlin soviel an Gütern verleihen sollte, wieviel er in der Mittagszeit mit seinem Pfluge  umgehen könnte. Da nun der Vater diese That des Sohnes der wunderbaren Ungleichheit ihres Charakters gemäß sehr übel nahm, ging er aus Baiern fort und verbrachte den Rest seines Lebens im Gebirgslande in einem kleinen Gebiete bei dem Walde, der Scerenzerewald heißt, mit zwölf Großen, welche ihm mehr als die Andern anhingen, indem er den Weg, auf welchem er gekommen war, versperrte, und seitdem hat weder er den Sohn, noch der Sohn ihn gesehen. Der Sohn aber hat die ihm versprochenen Güter durch seine Schlauheit also erworben. Er ließ sich nämlich einen goldenen Pflug machen und verbarg ihn bei sich; dann ritt er während der Mittagszeit, als der Kaiser schlief, mit auf dem Wege aufgestellten Pferden eilig im Kreise um die schon erwähnten Güter herum, und als alle Pferde müde geworden waren, stieg er auf eine zufällig vorgefundene Stute und versuchte einen dazwischenliegenden Berg auch noch hinzuzufügen; da aber die Stute stehen blieb und ihn nicht zu ersteigen vermochte, hörte er hier auf. Daraus ist diesen Fürsten von Ravanesburg die Sitte erwachsen, daß keiner von ihnen bis jetzt wegen irgend eines Nothfalls auf eine Stute steigt, und von jenem Ereignisse wird dieser Berg bis heute Merenberg genannt. Inzwischen erhob sich der Kaiser Lodowich vom Schlafe und Heinrich stellte sich ihm mit seinem Pfluge dar, bittend, daß er sein Versprechen erfüllen und durch sein kaiserliches Gebot bekräftigen möchte. Obwohl er nun eine Weile zürnte, daß er so schlau überlistet worden, gedachte er dennoch seines Versprechens und übergab ihm alles, was er umgangen hatte, indem er es vollständig ankaufte; und seit dieser Zeit nahmen diese Fürsten von der Feste Ravanesburg, welche mit ihrer Umgebung in ihren Besitz kam, den Namen an, während sie vorher nach einem Dorfe Altorp geheißen wurden. Aus diesem Geschlechte entstammten im Laufe der Zeiten drei Brüder: Rodolf, Eticho oder Welf und Konrad, welche zur Zeit des Königs Heinrich, des Vaters Otto's des Großen, lebten. - Von diesen hat Konrad die Konstanzer Kirche geleitet und ist mit dem Augsburger Bischofe, dem heiligen Othelrich, durch Klugheit und Heiligkeit des Lebens berühmt geworden. Rodolf zeugte den Grafen Welf, Welf zeugte Kuniza, Kuniza heirathete den Markgrafen Azo von Langobardien von den Schlössern Kalun und Estin, welche in Langobardien gelegen sind, und gebar ihm Welf den Aeltern. Dieser führte zuerst eine Frau Namens Ethilinde heim, die Tochter des Herzogs Otto von Baiern, eines Mannes von sächsischem Stamme und von ebenso hohem Range als Adel, so daß er die Zuversicht hatte, gegen den Kaiser Heinrich dieses Namens den Vierten sich zu empören. Der Kaiser jedoch beraubte ihn, den freilich ungerecht Unterdrückten, des Herzogthums und setzte ihm seinen Schwiegersohn, den erwähnten Welf, zum Nachfolger. Welf hat darauf, ich weiß nicht aus welchem Grunde, jene Ethilinde verstoßen und die Witwe des Angelnherzogs Harald, Namens Judith, geheirathet, und mit ihr zeugte er zwei Söhne, nämlich Herzog Welf den Jüngern und diesen Heinrich, von dem wir jetzt sprechen. Welf, der ältere von beiden, heirathete jene sehr mächtige Machtild von Langobardien und starb kinderlos, und hinterließ das Herzogthum dem Bruder Heinrich. Als dieser Heinrich von hochbejahrten Leuten das hörte, was oben von dem ersten Eticho erzählt worden ist, kam er in das Gebirgsland, in welchem derselbe vom Sohne sich trennend gewohnt hatte, woselbst er auch begraben worden war, um nachzuforschen, und ließ das Grab desselben und derjenigen, welche bei ihm begraben waren, öffnen, und da er die Wahrheit bestätigt fand, ließ er am selbigen Orte über den Gebeinen jener Leute eine Kirche erbauen. In seiner Gegenwart wurde auch der Leib des eben erwähnten heiligen Konrad aus dem Grabe erhoben, welchen Gott damals und früher durch viele Wunder verherrlicht hatte; aus Liebe zu diesem und um seiner Ehre willen hat der Herzog große Geschenke an Landgütern und  Dienstleuten beiderlei Geschlechts der Konstanzer Kirche an diesem Tage gemacht und durch solch Unterpfand sich deutlich als Verwandten eines so großen Mannes bewiesen. Dieser zeugte mit der vorerwähnten Wulfild zwei Söhne, Herzog Heinrich von Sachsen und Baiern und Welf, und vier Töchter, von denen an einer andern Stelle geredet worden ist.