Rudolf I.
starb vermutlich am 25. Oktober 912. Die neuere Personenforschung
hat ihm eine ansehnliche Familie zugewiesen. Unklar sind Name und Herkunft
seiner Gattin, angeblich eine Dame namens
Willa,
vielleicht eine Tochter König Bosos von der
Provence? Mehr wissen wir über zwei Söhne (Rudolf,
Ludwig)
und zwei Töchter,
Judith und Waldrada.
Da der erste
welfische König neben
seinem Nachfolger
Rudolf II. offensichtlich
noch einen weiteren Sohn Ludwig hinterließ,
ist für den Wandel der königlichen Thronfolge im 10. Jahrhundert
von besonderer Bedeutung. Erstmals in der Geschichte des frühen Mittelalters
wurden das Königamt entgegen bewährtem fränkischen Brauch
- nicht unter den beiden regierungsfähigen Söhnen geteilt. 912
etablierte sich in Burgund das Nachfolgerecht des Erstgeborenen und die
Einheit des jungen Königreichs.
Daß Rudolf II.
912 seinem gleichnamigen Vater - nach unserem Kenntnisstand unangefochten
- im Königtum folgte, gehört gewiß zu den größten
Leistungen des ersten welfischen Königs.
Die ein Vierteljahrhundert währende Herrschaft Rudolfs
II. (912-937) markiert freilich nicht allein die
Verstetigung des welfischen Königtums
in Hoch-Burgund. Vielmehr schuf Rudolf
die Voraussetzung für ein gesamtburgundisches Reich (Arelat) vom Jura
über die W-Alpen und das Rhonetal bis in die Provence. Er lernte aber
auch die Möglichkeiten und Grenzen dynamischer Expansion und wechselnder
politischer Schwerpunkte kennen, welche die spätkarolingische
Welt prägte. Anfangs schienen die Handlungsspielräume nach Süden
(Nieder-Burgund, Provence); Südosten (Italien) und Nordosten (Alemannien)
offen. Doch bals erfuhren Rudolf II.
und sein Sohn Konrad (937-993)
in der fortschreitenden Formulierung des west- und ostfränkischen
Reiches die Grenzen ihrer Entfaltung. Anscheinend wußte Rudolf
die
Auseinandersetzungen um das ostfränkische Königtum noch für
sich zu nutzen. Mit dem fränkischen KONRADINER
KONRAD I (911-918) und dem sächsischen
LIUDOLFINGER HEINRICH I. (918-936) waren dort Exponenten
genau jener karolingerzeitlichen Aristokratie
aufgestiegen, der auch die WELFEN entstammten.
Weil KONRAD und HEINRICH
ihre
Anerkennung im ostfränkischen Reich erst mühsam erkämpfen
mußten, nutzte Rudolf einen Wechsel
im schwäbischen Herzogtum 917 aus, um seine Herrschaft bis in den
Thurgau auszudehnen. Doch 919 unterlag er dem neuen Herzog Burchard
I. in der Schlacht bei Winterthur. Der Friede wurde in einer bündnisstiftenden
Ehe zwischen Burchards Tochter Berta
und König Rudolf II. beschlossen
(wohl 922).
Erfolgreicher als das schwäbische Abenteuer verlief
Rudolfs Vorstoß nach Oberitalien und dei Übernahme
der italienischen Königsherrschaft. Formen und Motive ergaben sich
aus den karolingerzeitlichen Erfahrungen
einer über die noch flüchtigen Reichsgrenzen hinweg agierenden
Aristokratie. Eine in Opposition zum Kaiser BERENGAR
I. stehende Adelsgruppe begab sich Ende 921 zu Rudolf
II. und bot ihm die italienische Königskrone an. Der WELFE
griff rasch zu und amtierte schon im Februar 922 in Pavia als
König. Seine italienischen Königsurkunden, in reicherer Zahl
als burgundische Stücke überliefert, belegen die Durchsetzung
in Oberitalien bis 924. Viel bunter als die formalisierten Diplome erzählt
Bischof Liudprand von Cremona (+ 970/72) in seiner engagiert-persönlichen
Geschichtsschreibung von politischen Ränken, Verrat, Sex und Mord
als Mittel zur Macht in jener Zeit. Ihm ist auch die lange Schilderung
von Rudolfs Königsweg nach Italien
und ins Bett der Markgräfin Irmingard von Ivrea zu verdanken,
nüchtern im Anfang und blumig am Ende.
Mit Kaiser BERENGAR I.
mußte Rudolf zwangsläufig
die Entscheidung suchen: "Er wurde von allen bereitwillig aufgenommen,
ließ BERENGAR vom ganzen Reich
nichts außer Verona übrig und regierte das ganze Reich kräftig
drei Jahre lang. In diesen drei Jahren schien König
Rudolf also den einen gut, den anderen eine Last. Darum wollte
die eine Hälfte des Volkes Rudolf,
die andere BERENGAR. Also rüsteten
sie zu einem heftigen Bürgerkrieg. Weil Wido, der Bischof von Piacenza;
Anhänger BERENGARS war, stellten
sie sich 12 Meilen von Piacenza entfernt bei Fiorenzuola zur Schlacht auf.
Liudprand konnte jetzt nur noch das furchtbare Gemetzel unter Verwandten
und Brüdern am 17. Juli 923 beklagen, das hilfreich-rücksichtslose
Eingreifen von Rudolfs Schwager Bonifaz
und schließlich die Niederlage
BERENGARS
schildern:
"Damals wurden so viele getötet, daß bis heute noch eine vorübergehende
Knappheit an Rittern besteht." BERENGAR
flüchtete nach Verona. Für einige Zeit schienen sich Rudolf
und
BERENGAR
gar
die Herrschaft zu teilen, bis der Kaiser 924 von seinen Gefolgsleuten ermordet
wurde.
Damit hatte sich der WELFE noch
lange nicht behauptet. Wieder war es eine italienische Adelsgruppe um den
Mailänder Erzbischof, die 926 einen neuen Aristokraten, Hugo
von Arles, als König ins Land riefen. Als treibende Kraft
nannte Liudprand die schöne Markgräfin Irmingard von Ivrea,
welche die Fleischeslust schwacher Männer im Kampf um die italienische
Krone geschickt zu nutzen verstünde. Anstelle des blinden Kaisers
LUDWIG III. (+ 928), faktisch Inhaber der Herrschaft
im niederburgundischen Reich, war Hugo
längst zum eigentlichen Rivalen Rudolfs
erwachsen. Um seinem Ausgriff nach Italien zu begegnen, rief der WELFE
den Schwiegervater, Burchard I. von Schwaben, zum italienischen
Feldzug auf. Über Mailand kam der Herzog nach Novara und wurde dort
im April 926 erschlagen. Dieses einschneidenden Ereignis beendete nicht
allein die eigenständige schwäbische Italienpolitik, sondern
nötigte
Rudolf
zum raschen Rückzug
nach Burgund, das im Sommer 926 von den heidnischen Ungarn heimgesucht
wurde. Der italienischen Königsherrschaft
Hugos
von Arles stand nichts mehr im Weg; im Juli 926 wurde er in
Pavia gekrönt.
Zweimal, 919 in Schwaben und 926 in Oberitalien, war
Rudolf
in
seine Schranken verwiesen worden. Im November 926 nahm der König am
Hoftag des ostfränkischen Herrschers
HEINRICH I. in Worms teil. Hier wurde das schwäbische Herzogtum
von Rudolfs
Schwiegervater an den Franken
Hermann ausgegeben. Bei diesem Herrschertreffen vollzog sich offensichtlich
ein bedeutsamer politischer Interessenausgleich zwischen dem
LIUDOLFINGER und dem WELFEN,
der auf die nächsten Jahrzehnte wirkte. Bekräftigt wurde das
Freundschaftsbündnis neun Jahre später bei einem erneuten Herrschertreffen,
nun unter Einbeziehung
König Rudolfs von
W-Franken.
Rudolf II. lieferte
nämlich - eher 926 als 935 - seinem ostfränkischen Kollegen die
heilige Lanze aus. Als heruasragende und siegverheißende Reliquie
mit dem Nagel vom Kreuz Christi war sie, später als Mauritius-Lanze
umgedeutet, eine der wichtigsten Herrschaftszeichen des Mittelalters. Bis
heute hat sich eine heilige Lanze unter den Insignien des Alten Reichs
in der Schatzkammer der Wiener Hofburg erhalten. Allerdings paßt
die Schilderung der von Rudolf II.
übergebenen Lanze nicht mit dem in Wien verwahrten Stück zusammen.
Nach dem Bericht Liudprands besiegelte die Lanzenübergabe
jedoch nur ein Freundschaftsbündnis zwischen Rudolf
II. und HEINRICH I., in
dem der LIUDOLFINGER für die begehrte
Reliquie die welfischen Eroberungen
in Schwaben zwischen Aare, Jura und Reuß bis nach Basel anerkannte.
Falls die Lanze überhaupt 926 und nicht beim Grenztreffen der drei
nordalpinen Könige 935 an der Chiers übergeben wurde, könnte
man in Rudolfs Reise nach Worms bestenfalls
ein Entgegenkommen in der Gleichrangigkeit sehen.
Räumliche, politische und personelle Nähe zum
ostfränkischen Königtum prägte die Zukunft des burgundischen
Reichs. Zum Freundschafts- trat offenbar schon bald ein Ehebündnis.
929 hatte König HEINRICH I. für
seinen Sohn OTTO I. um eine englische
Prinzessin geworben. König Aethelstan schickte
zwei Schwestern zur Auswahl auf den Kontinent, Eaditha/Edgith
und Adiva/Adgiva. Während OTTO
Edgith
auswählte, scheint ihre jüngere Schwester Adgiva
damals mit Ludwig, dem Bruder König
Rudolfs II. von Burgund, vermählt worden zu sein. Der Verschwägerung
von WELFEN und LIUDOLFINGERN
929/30 entsprach
das burgundsiche Interesse an OTTOS
Thronfolge wie eine Übersendung von Reliquien des hl. Innocenz durch
Rudolf
II. an König OTTO I.
zur Ausstattung des frisch gegründeten Magdeburger Moritz-Klosters
937, Keimzelle des späteren Erzbistums.
Aggressiver vermochte der welfische König nach Süden
vorzudringen. Beim Tod Kaiser LUDWIGS DES BLINDEN
928
nutzte er vielleicht verwandtschaftlich begründete Erbansprüche
auf Nieder-Burgund und schuf die Voraussetzungen für ein umfassendes
gesamtburgundsiches Königreich, das erst in der nächsten generation
deutlicher entgegentritt.
Während LUDWIG DES BLINDEN
illegitimer Sohn Karl Konstantin 928
auf seine Grafschaft Vienne beschränkt blieb, erhielt sich zunächst
die faktische Regentschaft Hugos von Arles im
niederburgundischen Reich. Seit 926 amtierte er als italienischer König.
Als Rudolf II. von einer italienischen
Adelsopposition gegen Hugo 932 erneut
zur Übernahme des Königtums eingeladen wurde, sicherte
man die gegenseitigen Herrschaftssphären zwischen
Hugo und dem WELFEN vertraglich
ab: "Damals schickten die Italiener Boten nach Burgund, damit Rudolf
käme. Als König Hugo das
erfuhr, sandte er ebenfalls Gesandte an ihn und übergab Rudolf
alls
Land, das er in Gallien vor Antritt des Königtums innehatte, und erhielt
von ihm die eidliche Versicherung, niemals mehr nach Italien zu kommen."
Welches Land Hugo genau an den WELFEN
abtrat, wissen wir nicht. Der Weg zur Vereinigung Hoch- und Nieder-Burgunds
und zur Begründung des gesamtburgundischen Königreichs von Basel
bis zur Mittelmeerküste war noch lang. Doch Rudolf
II. hatte in beständigen, nicht immer glücklichen
Expansionsversuchen die burgundische Reichsbildung aus spätkarolingischer
Zeit
zu einem ersten Abschluß gebracht.
Wie bei jedem Herrscherwechsel mußte sich die Festigkeit
von Reich und Dynastie bewähren, als Rudolf
am
12.
oder 13. Juli 937 starb und in St-Maurice/Agaune beigesetzt wurde.