Thietmar von Merseburg: Seite 356,358,360
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"Chronik"

Währenddessen zog mein Vetter, Graf Werner, jugendlich unbedacht und durch weiblich Ränke veranlaßt, am Sonntage mit wenigen Begleitern nach der Burg Beichlingen, überlistete die Wachen und suchte die früher von ihm umworbene Burgherrin Reinhild gegen ihren Willen zu rauben. Sie hatte nämlich früher dem Kaiser das feste Versprechen gegeben, ohne sein Wissen und Wollen werde sie sich keinem Mann vermählen. Und so ließ sie sich nur unter Weinen und Klagen entführen. Als das ihre Hörigen und Vasallen hörten, eilten sie gewaffnet herbei, und Vulrad, einer von ihnen, erhielt eine schwere Wunde. Nun wollte aber eine ihrer Mägde gleichfalls mitgenommen werden, und als der edle Alwin sie auf Befehl seines Herrn aufnehmen wollte, wurde er umringt und mußte meinen Vetter, der schon draußen war, zu Hilfe rufen. Leider erhielt er den Todesstoß, bevor er Unterstützung erhalten konnte, und als sein Herr endlich kam, wurde er in der Burg eingeschlossen und von einem Knechte verwundet. Er konnte ihn wohl gleich mit der Lanze durchbohren, an die Wand spießen und die übrigen dadurch abschrecken, sich näher an ihn heranzuwagen. Als er merkte, dass die Seinen mit der Frau schon längst draußen waren, er jedoch keinen Gelegenheit mehr habe zu entkommen, opferte er plötzlich sein Pferd, sprang von der Mauer herab und erreichte seine bekümmerten Gefährten, wenn auch von Steinwürfen hart mitgenommen. Sie brachten ihn in das Haus eines kaiserlichen Meiers nach Wiehe, wo sie ihn mit wenigen Leuten zurückließen. Dann führten sie in aller Eile die Dame fort und bargen sich mit ihr bald hier, bald dort, während sie in ständiger Sorge auf das Kommen ihres Herrn warteten.
Doch der "ungerechte Verwalter" verriet seinen kranken Gast sogleich an den Kaiser, und zwar zu dessen großer Freude. Er wollte nämlich zum abschreckenden Beispiel für andere den in seine Gewalt Geratenen entweder hinrichten oder sich für eine außerordentliche Summe loskaufen lassen. Es war bereits Nacht, als die vom Kaiser entsandten Grafen Bernhard, Gunzelin und Wilhelm mit ihren Mannen an seinem Krankenlager eintrafen. Werner, dem seine Leute ihr Kommen angezeigt hatten, begrüßte nur seinen Freund Wilhelm; den beiden anderen erklärte er: Könnte er sein Schwert brauchen, so wäre er nicht lebend in ihre Hände gefallen. Beim Verbinden seiner Wunde erkannte Wilhelm, dass er ihn daher unmöglich befehlsgemäß nach Merseburg bringen könne; er ließ ihn daher durch seine Leute nur in das Nachbardorf Allerstedt schaffen und dort in einem festen Steinhause bewachen, während er selbst mit den Seinen zum Kaiser zurückkehrte.
Am gleichen Tage wurden wir vor den Caesar berufen, der sich tief bekümmert über die Frechheit beklagte, mit der mein Vetter sein Gelübde zunichte gemacht habe. Denn als seinerzeit Bruno von seinem Feinde Milo im eigenen Hause erschlagen worden war, wo doch jeder Frieden haben soll, und als alle Eingesessenen dem Kaiser bekümmert davon Mitteilung machten und ihn dringend baten, er möge wie seine Vorgänger solchen Verbrechern Besitz und Wohnrecht absprechen und dafür seinerseits eine eidliche Bestätigung befehlen, da habe er mit erhobenen Händen dem allmächtigen Gott und allen Anwesenden das Versprechen gegeben, so wolle er es zeitlebens halten. Nun wüßten wir ja, es sei weit besser, Gott etwas Gutes gar nicht zu geloben, als ein Gelübde später zu brechen; daher sollten wir den bitten, dem er solches versprochen habe, er möge ihn durch eine angemessene Buße belehren, falls er sein Gelübde aus menschlicher Schwäche oder auf schlechten Rat hin gebrochen habe. Nach dieser bedauernden Erklärung des Kaisers empfahlen sämtliche Großen, er möge alle Güter Wernersbeschlagnahmen, Herausgabe der Frau verlangen und die Urheber dieses Anschlages entweder gefangen vorführen oder im Falle ihres Entrinnens bis auf den Tod verfolgen lassen. Der Graf selbst aber solle nach seiner Genesung hingerichtet werden, wenn er schuldig sei. Sei jedoch alles im Einvernehmen mit der Dame geschehen, so möge er sich am besten mit ihr vermählen. Zur Durchführung dieses Beschlusses wurde gleich mein Bruder, Graf Heinrich, abgesandt und die Aufforderung erlassen, man solle sich zu Allstedt zur öffentlichen Verhandlung einfinden. Er war schon unterwegs, als die Grafen zurückkehrten und dem Caesar das Geschehen meldeten.
Am folgen Tage, dem Feste des heiligen Martin, verstarb Werner, nachdem er bis dahin geduldig alles Ungemach auf sich genommen hatte; er hinterließ seinen Feinden keinen Gewinn, den Seinen aber unersetzlichen Verlust. Der Kaiser war bekümmert darüber, und sein Feind Dietrich vergoß Tränen. Als ich die Nachricht erhielt, erwirkte ich meinem Vetter Dietrich Urlaub und ließ die Leiche meines Freundes durch meine Vasallen von Memleben - hier stand damals eine Abtei, deren trefflicher Vorsteher Reinhold in menschlicher Verpflichtung alle Vorsorge getroffen hatte - nach Helfta bringen, wo ich sie erwartete. Da die Leiche schon sehr stark roch, ließ ich sogleich die Eingeweide herausnehmen und neben meiner Kirche bestatten, dann geleitete ich den Leib bis Walbeck, wo ich ihn an der linken Seite seiner geliebten Gemahlin bestattete. - 14 Tage später, am 26. November, verstarb Frau Schwanhild, seine Schwiegermutter, eines plötzlichen Todes.