"Die sächsischen Grafen 919-1024"
6. Die Grafen von Walbeck
Das Geschlecht der Grafen von Walbeck (an der Aller)
trat mit dem am 5. September 929 in der Schlacht bei Lenzen gefallenen
Heerführer
Liutharius in das Licht der Geschichte. Mit ihm erlitt zugleich ein
zweiter Liutharius, der Stammvater der Grafen von Stade, in der gleichen
Stellung als dux den Schlachtentod. Bischof Thietmar von Merseburg
als Nachkomme der Grafen von Walbeck väterlicherseits und der Grafen
von Stade mütterlicherseits erwähnte beide in seiner Chronik
als seine Urgroßväter. Er charakterisierte sie als milites
optimi, erwähnte ihre hohe Abstammung: genere clarissimi
und
verlieh ihnen die ehrenvolle Bezeichnung:
decus et solamenpatriae.
Auch Widukind, die Annalen von Corvey und Magdeburg verzeichnen ihren Tod.
Als Todestag wurde im Merseburger Totenbuch der 5. September notiert.
Liuthar galt nicht als Ahnherr dieses Geschlechts,
was aus der Erwähnung seiner hohen Abstammung bei Thietmar
hervorgeht.
Unhaltbar ist die Ansicht Walther Grosses, der das Geschlecht der WALBECKER
als sächsische Edelherren seit dem 6. Jahrhundert in den östlichen,
nordharzischen Gebieten ansässig machen möchte. Nach der Untersuchung
von Sabine Krüger kann man wohl jenen älteren Grafen Lothar
als Stammvater der WALBECKER in Anspruch nehmen, der von
822 an als Zeuge in den Corveyer Traditionen auftrat und vermutlich mit
dem Grafen Lothar identisch ist, der seine Tochter Regenhild
Graf
Bernhard, einem Enkel des dux Hessi (+ 804), zur Gattin gab. Reginhilds
Vater kann nicht mit dem 929 gefallenen Lothar
identifiziert werden,
wie es Dingelstädt in seiner Walbeckischen Chronik tat, da sich eine
Gleichsetzung aus chronologischen Erwägungen als unmöglich erweist.
Vielleicht gehörte noch ein jüngerer
Graf Lothar, der
von 860 an auftrat und 880 im Kampf gegen die Dänen fiel, in diese
Familie.
Thietmar
nannte als seinen Großvater väterlicherseits
und damit als Sohn des gefallenen Lothar ebenfalls einen Grafen
Lothar. Dieser Lothar
wurde vom sächsischen Annalisten
(a. 977, a. 979) als senior de Waldbike näher bestimmt. Die
Burg
Walbeck (an der Aller)
im Nordthüringgau, die nach Grosse vom
gleichen Typ war wie die Königspfalzen Werla und Tilleda, war
Stammsitz
dieses Geschlechts, nach dem es häufig benannt wurde. Über
diesen Grafen Lothar sind wir verhältnismäßig gut
unterrichtet. Wir wissen, dass er 941 an der Verschwörung Heinrichs
von Bayern gegen
OTTO
DEN GROSSEN teilnahm. Als der König zu Quedlinburg
von dem Anschlag erfuhr, sollte auch Lothar
mit den übrigen
Aufständischen hingerichtet werden. Die Fürbitte seiner Freunde
rettete ihm das Leben, so dass er mit einer Schutzhaft bei Graf Bertold
in Bayern davonkam. Der König konfiszierte und vergabte alle seine
Güter. Schon nach einem Jahr erlangte Lothar zugleich mit der
königlichen Gnade und einer Geldentschädigung sein Allod in
Santersleben (Klein-Santersleben bei Neuhaldensleben) und
Gutenswegen (bei Groß-Santersleben) zurück, die beide
im Nordthüringgau im Raume nördlich von Magdeburg lagen. Die
Beziehungen zu Graf Berthold waren so freundschaftlich, dass sie durch
dauernde Familienbande gefestigt wurden. Nach seiner Entlassung gab ihm
Lothar seine einzige Tochter Eila (Heilikswinda) zur
Gattin.
Thietmar
erwähnte Eila als seine Tante und Gattin
Bertolds, dem sie die Söhne Heinrich und Bucco (Burchard) schenkte.
Sie starb am 19. August 1015 und wurde in dem von ihr errichteten Kloster
zu Schweinfurt bestattet. Zur Sühne für seine Untreue errichtete
Lothar
zu Ehren der Jungfrau Maria in Walbeck ein Kollegiatstift, dem er den zehnten
Teil seines Erbes übertrug. Leider wurde der Besitz nicht näher
aufgeführt. Er lag wohl in nächster Umgebung von Walbeck. Graf
Lothar starb am 21. Januar 964.
Er war mit Mathilde
vermählt,
deren Herkunft uns noch später beschäftigen wird. Sie sorgte
unter Mitwirkung ihrer beiden Söhne für die Stiftung ihres Gatten,
den sie als Witwe um viele Jahre überlebte, bis sie am 3. Dezember
991 starb. Als beider Söhne nannte der Sächsische Annalist
Siegfried
und
Lothar.
Ob auch Thietmar, der von 983 an als Nachfolger
des Abtes Liudolf bis zu seinem Tode am 12. März 1001 das Amt
eines Abtes von Corvey versah, ein Sohn Lothars von Walbeck war,
bleibe dahingestellt. Ältere Genealogen machten ihn ohne weiteres
zum Bruder Siegfrieds und Lothars von Walbeck. Abt Thietmar
fand Erwähnung in den Annalen von Corvey (a. 983 und a. 1001), dem
Catalogus Corbeiensium und in Erhards Regesten. Thietmar von Merseburg
erwähnte ihn zweimal lediglich in seiner Funktion als Abt, ohne ihn
als seinen Verwandten zu kennzeichnen. Die Fragmenta Corb., die jedoch
mit Vorsicht auszuwerten sind, hielten ihn ebenfalls für einen Sohn
Lothars.
Sie bezogen die von einem Liudharius für seinen Sohn
Thietmar
gemachte
Schenkung von 44 Morgen in Rothen (wüst bei Warburg) auf Graf Lothar
von Walbeck, der den Landbesitz für die Aufnahme seines Sohnes
in Corvey übertragen habe. Die Tradition erfolgte jedoch ungefähr
um das Jahr 1000, so dass höchstens
Markgraf Lothar in Frage
käme. Da walbeckscher Besitz in
diesem Raum nicht nachweisbar ist, war der Tradent wohl kein Mitglied dieser
Familie. Es empfiehlt sich, Abt Thietmar von Corvey der
WALBECKER
Grafenfamilie
einzuordnen, weil enge Beziehungen zwischen der Familie
und dem Kloster bestanden, was sich aus der Eintragung wichtiger Ereignisse
aus ihrem Leben (Tod der beiden Heerführer 929, Raubüberfall
auf die Stader 994) beweisen läßt. Außerdem gelangte eine
Abschrift der Chronik
Thietmars nach Corvey. Nicht zuletzt redet
die Namensgleichheit zwischen Abt Thietmar von Corvey und Bischof
Thietmar von Mersburg
einer verwandtschaftlichen Bindung eine deutliche
Sprache.
Lothar
war der Namensgebung nach wohl der älteste
Sohn Er wurde an sechs Stellen von Thietmar
als sein Onkel
(patruus) bezeichnet. Er trat erstmalig 979 hervor, als ihm zusammen
mit seinem Bruder Siegfried die Überwachung Geros
von Alsleben anvertraut wurde. Nach dem Tode seiner Mutter und
seines Bruders Siegfried im gleichen Jahr 991 versuchte er, seine
Schwägerin um das Erbe zu bringen, eine Handlungsweise, die ihm Thietmar
nie ganz verzieh. Das schlechte persönliche Verhältnis zu seinem
Onkel trug dazu bei, dass er ihn in seiner Darstellung möglichst in
den Hintergrund treten ließ. Lothar vergrößerte
wesentlich die Macht des Hauses WALBECK. Nach der Absetzung Markgraf
Dietrichs ging die markgräfliche Stellung in der Nordmark
an ihn über, wie sich aus der Nachricht des sächsischen Annalisten
zum Jahre 983 ergibt. Als Markgraf nahm Lothar 993 an einem Feldzug
unter Führung Ekkehards
von Meißen gegen Brandenburg teil. Thietmar zählte
Lothar
sicher
nicht ohne Absicht an letzter Stelle hinter seinen Oheimen mütterlicherseits
und Pfalzgraf Friedrich auf, und zwar ohne seinen markgräflichen Titel
anzuführen. Eine Urkunde des gleichen Jahres bezeugte Lothar
als Intervenienten. Auch hier rangierte er hinter Markgraf Ekkehard I.
und Gero
und führte nur den Titel comes. Erst 997 legte ihm Thietmar
den Titel marchio anläßlich der unglücklichen
Vorgänge bei Arneburg bei. Die Grenzfeste Arneburg wurde nämlich
während der Bewachungszeit Erzbischof Giselher von Magdeburg von den
Wenden angesteckt, ohne dass es der zur Ablösung eintreffende Lothar
verhindern
konnte. Lothar wurde deswegen beim König verklagt und mußte
sich durch Eid reinigen. Der angeführte Thietmar-Text reicht
nicht aus, um eine markgräfliche Stellung Lothars
erst von
997 an als gesichert gelten zu lassen, da nicht anzunehmen ist, dass die
von den Wenden dauernd gefährdete Grenzmark von 983 - dem Datum von
Dietrichs Absetzung - bis auf diesen Zeitpunkt ohne feste Aufsicht geblieben
wäre. Wir erfahren außerdem nichts von der Tätigkeit eines
anderen Markgrafen. Diese Thietmar-Stelle darf keineswegs überfordert
werden. Ein paar Sätze weiter bezeichnete Thietmar seinen Onkel
wiederum nur als comes, wie er überhaupt in der Titulierung
sehr willkürlich verfuhr. Lothars
Stellung war nicht unbedeutend,
was sich aus seinem Einfluß bei der Vorwahl zur Königswahl von
1002 ergibt, bei der seine Anwesenheit an erster Stelle unter den Reichsfürsten
bezeugt wurde. Lothar stellte sich entschieden gegen die Ansprüche
Ekkehards von Meißen, der Lothars Macht offensichtlich unterschätzte.
Er trug nicht unwesentlich dazu bei, dass Heinrich
von Bayern die Königswürde erhielt.
HEINRICH bestätigte seinem treuen Anhänger Lothar
Amt und Lehen. Lothars Einfluß bei HEINRICH
II. war bedeutend. Er bewirkte zum Beispiel, dass HEINRICH
II. seinen Oheim Richbert
wieder in sein altes Grafenamt einsetzte. Wie weit die feindselige Haltung
gegen Ekkehard I. von Meißen einer rein persönlichen Feindschaft
entsprang, läßt sich nicht feststellen. Lothar hatte
sich um enge Beziehungen zu dem mächtigen Markgrafen bemüht und
hätte gern Ekkehards Tochter
Liudgard
seinem Sohne als Gattin zugeführt, was ihm Ekkehard anfänglich
zusicherte. Wahrscheinlich hatte Ekkehard in späteren Jahren ehrgeizige
Pläne mit seiner Tochter vor. Er widersetzte sich der in Aussicht
genommenen Ehe, so dass Werner Liudgard
von Quedlinburg, wo sie
zur Erziehung weilte, nach Walbeck entführte. Er konnte sie erst nach
Ekkehards I. Tod im Jahre 1002 heiraten. Bei dem Aufenthalt HEINRICHS
II. in Merseburg im Jahre 1002 befand sich Lothar in
seinem Gefolge. Thietmar
führte ihn hinter den beiden geistlichen
Würdenträgern und den beiden Herzögen als Markgraf auf.
Im folgenden Jahr starb er nach dem Genuß eines giftigen Trankes
am 25. Januar 1003 in Köln, wo er auf seinen Wunsch bestattet
wurde.
Die Beziehungen dieser ostsächsischen Familie zum
Westen Deutschlands waren auffallend stark, ohne dass man sie hinreichend
erklären könnte.
Lothars Bruder
Siegfried und dessen
Sohn Thietmar hielten sich nachweisbar in Köln auf. Durch Siegfrieds
Gattin
Kunigunde,
die mütterlicherseits aus dem Geschlecht der KONRADINER
stammte,
wurden Interessen der WALBECKER an Mittel- und Niederrhein geweckt.
Markgraf Lothar befestigte die Beziehungen, indem er sich seine Gattin
aus dem Westen holte. Auf Anraten OTTOS
II., der ihn persönlich hoch schätzte, heiratete
Lothar Godila,
die Tochter eines (Grafen) Werner aus dem westlichen Teil Sachsens. Dieser
Werner war wohl mit Graf Werner identisch, in dessen Grafschaft 955 Norddöllen
(bei Vechta in Oldenburg) lag. Der Name Werner war um diese Zeit bei anderen
sächsischen Adelsfamilien sehr selten. Godilas
Familie gehörte
dem hohen Adel an, was sich daraus erhellt, dass ein Verwandter
Godilas
und Werners (consobrinus) Bischof Wigfrid von Verdun (959-30.8.983)
war.
Godila schenkte ihrem Gatten Lothar im jugendlichen
Alter von 13 Jahren einen Sohn, der nach seinem Großvater mütterlicherseits
Werner
genannt wurde. Aus der Ehe gingen außerdem die Kinder
Bertold,
Dietrich
und Brigida hervor. Nach Lothars
Tod heiratete sie nach 4-jähriger
Witwenschaft ihren nahen Blutsverwandten (consanguineus) Hermann.
Vermutlich war sie Godila laica, deren Todestag am 18. Juni im Chronicon
S. Michaelis verzeichnet wurde. Sie fand wohl deshalb im Lüneburger
Totenbuch Aufnahme, weil das Haus WALBECK mit der STADER Grafenfamilie
verschwägert, und diese wiederum mit den BILLUNGERN
versippt war.
Wenden wir uns zunächst Werner, dem erstgeborenen
Sohn Lothars zu. Er war beim Tode seines Vaters noch unmündig.
Seiner Mutter gelang es, durch Zahlung von 200 Mark Silber Lehen und Markgrafschaft
ihres Gatten ihrem Sohne zu erhalten [Persönlicher Einwurf:
Im Jahre 998 war Werner nach den einschlägigen Angaben mit
8 Jahren alt genug, um seine Braut Liutgard aus Quedlinburg zu entführen;
beim Tode seines Vaters im Jahre 1003 war er dann wieder unmündig!!].
Lüpke betonte mit Recht, dass der "Kauf" einer Markgrafschaft den
einzig belegbaren Fall dieser Art darstellte.
Markgraf Werner wurde
an vier Stellen von Thietmar als sein Neffe bezeichnet. Er trat
in seiner Eigenschaft als Markgraf noch auffallender in den Hintergrund
als sein Vater. Er verstand es nicht, das durch die erfolgreiche Wahlunterstützung
hergestellte gute Verhältnis seines Vaters zu
HEINRICH II. zu pflegen. Schon 1009 brach ein offener Konflikt
zwischen ihm und dem König aus.
Werner wurde auf Betreiben
des Grafen
Dedi wegen vieler Angelegenheiten beschuldigt, die uns aber unklar
bleiben, weil Thietmar sie vielleicht sogar mit Absicht verschleierte.
Werner
hätte die königliche Gunst und seine Lehen verloren, wenn ihm
nicht eine Krankheit und die Vermittlung des Pfalzgrafen Burchard zu Hilfe
gekommen wäre. Die Feindschaft gegen Dedi steigerte sich noch im folgenden
Jahre, als dieser die WALBECKER Burg Wolmirstedt (bei Magdeburg)
einäscherte. In einem Racheakt stellte er Dedi bei Mose (in der Nähe
von Wolmirstedt) und erschlug ihn. Dieser Mord hatte zur Folge, dass der
König Werner auf dem Hoftag zu Pöhlde im gleichen Jahr
sowohl die Mark als auch die dazu gehörenden Lehen wegen Friedensbruch
absprach. Werner erlangte seine frühere Stellung nicht zurück.
Das persönliche Verhältnis zum König verschärfte sich
eher noch in den kommenden Jahren, als sich Werner 1013 verdächtig
machte, ohne Erlaubnis des Königs mit Herzog
Boleslaw von Polen verhandelt und gegen den König gewirkt
zu haben. Vielleicht spielte Werner mit dem Gedanken, auf diesem
fragwürdigen Wege wieder in den Besitz seiner alten Herrschaftsrechte
zu gelangen. Als er der Aufforderung des Königs, vor ihm zu erscheinen,
nicht nachkam, verfiel er der Acht, aus der er sich unter Einsatz von Geld
und Allod löste. Außer durch unkluge politische Handlungsweise
lenkte Werner noch durch einen erneuten Brautraub die Aufmerksamkeit
auf sich. Wie bereits erwähnt, setzte er auf dem Wege der Entführung
das Eheversprechen Ekkehards I. von Meißen in die Wirklichkeit um,
konnte trotzdem aber
Liudgard erst nach dem Tode seines Schwiegervaters
(1002) als Gattin heimführen.
Liudgard
starb am 13. November
1012 an den Folgen einer Krankheit, die sie plötzlich in Wolmirstedt
überfiel. Von Werner
tief betrauert, wurde sie in Walbeck,
der Familiengrabstätte, beigesetzt. Ihr Todestag steht im Merseburger
Necrologium verzeichnet, vermutlich auf Veranlassung Thietmars von Merseburg,
zu dem sie in besonders enger Beziehung stand.
Zwei Jahre nach ihrem Tode ging Werner erneut
auf Brautschau aus und versuchte, auf dieselbe eigenwillige Weise die domna
(Edelfrau) Reinhilde von Beichlingen zu gewinnen. Er zog sich
bei diesem abenteuerlichen Unternehmen eine Verwundung zu. Er starb daran
am 11. November 1014 und entging somit einer erneuten kaiserlichen
Bestrafung. Sein Todestag steht im Merseburger Necrolog und im Lüneburger
Totenbuch. Er wurde neben Liudgard bestattet. Außer Thietmar
erwähnen nur zwei Diplome seinen Namen. Sie sind insofern von Wichtigkeit,
als sie über die Grafschaften Aufklärung geben, die sich in der
Hand der WALBECKER befanden. 1006 wurde Werner
als Graf
im Nordthüringgau erwähnt, wo Rodensleben (Kreis Wolmirstedt)
in seiner Grafschaft lag. Diese Grafschaft erbte er wohl von seinem Vater.
Die zweite Urkunde aus demselben Jahr bezeugte ihn als Grafen im Gau Belesem,
der sich nordöstlich an den Nordthüringgau anschloß. Dieser
Gau, in dem Arneburg lag, gehörte wohl ursprünglich nicht zum
Walbecker Herrschaftsbereich. Anrechte auf ihn kamen wahrscheinlich durch
Versippung an diese Familie, was in anderem Zusammenhange noch untersucht
wird. In der Urkunde lautet sein Titel marchio, wie ihn einmal auch Thietmar
nannte. Nach seiner Absetzung im Jahre 1009 hieß er nur noch comes.
Als solcher wurde er in den Totenbüchern geführt, was seiner
tatsächlichen Stellung zur Zeit seines Todes entsprach. Es ist nicht
überliefert, ob er Kinder hinterließ. Allem Anschein nach blieb
seine Ehe kinderlos.
Die WALBECKER erwiesen sich als Markgrafen nicht
als mächtige und kraftvolle Persönlichkeiten. Trotz der lebhaften
Kämpfe während ihrer Amtszeit stehen sie in der zeitgenössischen
Geschichtsschreibung im Schatten. Es gelang ihnen nicht, die Marken zu
befestigen und auszubauen. Schließlich wurden sie aus persönlicher
Unzulänglichkeit und Verschuldung ihres Amtes enthoben.
Außer dem erstgeborenen Sohn Werner hatte
Markgraf Lothar noch zwei weitere Söhne, was sich aus dem Bericht
des Sächsischen Annalisten zum Jahre 1017 schließen läßt.
Hier ist von Söhnen Lothars von Walbeck die Rede, und das zu
einer Zeit, als Markgraf Werner schon längst gestorben war.
Einer dieser Söhne war Graf Bertold, der als solcher ausdrücklich
von Thietmar
bezeugt ist. Bertold erhielt seinen Namen, der
bisher in der WALBECKER Familie und darüber hinaus in
Sachsen nicht üblich war, von seinem Oheim, dem BABENBERGER Bertold,
der vielleicht sein Taufpate war. Über Graf Bertold läßt
sich aus Mangel an vorhandenen Quellen nur wenig aussagen. Thietmar
berichtete, dass er als Anhänger des verhaßten Ehepaares
Balderich
und Adela
an den Kämpfen um Munna im Clevischen teilnahm.
Ebenfalls Lothars
Sohn war Dietrich, der
an sechs Stellen von Thietmar
als sein Vetter bezeichnet wird. Er
war Mitglied des Magdeburger Domkapitels und wurde 1012 von den Kanonikern
zum Erzbischof gewählt.
HEINRICH II.
lehnte jedoch seine Ernennung ab, vielleicht auf Grund der schlechten Erfahrungen,
die er in den letzten Jahren mit den WALBECKERN gemacht hatte. Er
ernannte ihn zur Entschädigung zu seinem Kaplan. Die Gesta der Erzbischöfe
von Magdeburg charakterisierte ihn als einen vir secundum carnem nobilissimum
und nannte ihn filius matertere Thietmari episcopi, was aber
patrui heißen müßte, denn Dietrichs Vater
Lothar
war bekanntlich ein Vaters-Bruder Thietmars. Vermutlich ist er der
Thiedericus subdiaconus, dessen Tod das Magdeburger Necrologium
zum 30. Oktober meldet. Dietrich stand in gutem Verhältnis
zum König, der ihn 1014 sogar mit einer diplomatischen Mission an
den Böhmen-Fürsten Othelrich beauftragte.
Markgraf Lothar hatte wahrscheinlich auch eine
Tochter, die Äbtissin des Laurentiusklosters in Magdeburg wurde. Thietmar
erwähnte
sie einmal als nepis mea Brigida. Sie war vermutlich mit der Brigida
abbatissa identisch, deren Todestag im Magdeburger und Merseburger
Totenbuch am 29. Januar verzeichnet steht.
Kehren wir nun zu Lothars
Bruder, dem Grafen
Siegfried von Walbeck, zurück. Er ist vom Sächsischen Annalisten
(a. 979) als Sohn Lothars (II.) von Walbeck und Bruder
des späteren Markgrafen Lothar bezeugt. Siegfried trat
erstmalig 972 als junger, unverheirateter Mann - aber schon unter dem Titel
eines Grafen - handelnd auf, als er an der Seite des Markgrafen Hodo gegen
Herzog Miseco von Polen zu Felde zog
und in der unglücklich verlaufenen Schlacht bei Zehden mitfocht. Siegfried
kämpfte ebenfalls 983 in der Schlacht am Tanger gegen die Wenden,
die - durch die superbia des Markgrafen Theoderich aufgereizt - aufständisch
wurden. Bei der Aufzählung der Großen des östlichen Sachsens
nahm er seinen Platz hinter dem Markgrafen, dem Grenzgrafen und dem Pfalzgrafen
an letzter Stelle ein. 990 befand sich
Siegfried in dem Heer, das
die Kaiserin
Theophanu zur Unterstützung Herzogs
Miseco von Polen gegen Herzog Boleslav von Böhmen entsandte.
Wiederum stand er am Schluß der aufgeführten Teilnehmer. Siegfried
hatte
ein unbedingtes Treueverhältnis zur Kaiserin
Theophanu und diente ihr in Krieg und Frieden. Noch im gleichen
Jahr stürzte er bei einem Unternehmen gegen Brandenburg vom Pferde.
Seither wurde seine Gesundheit nicht mehr völlig wiederhergestellt.
Schon am 15. März 991 ereilte ihn auf seiner väterlichen
Burg Walbeck der Tod. Sein Todestag wurde im Merseburger und im Magdeburger
Totenbuch verzeichnet. In dem ersteren fand er wohl durch seinen Sohn Thietmar
Aufnahme.
Siegfried
von Walbeck wurde in keiner Königsurkunde bezeugt. Es besteht
jedoch darüber kaum Zweifel, dass er ein Grafenamt bekleidete. Thietmar
bezeichnete ihn nämlich ausdrücklich an drei Stellen als comes.
Seine Grafschaften lagen wohl im östlichen Sachsen nahe der Grenze,
was wir aus seiner häufigen Teilnahme an den Kämpfen schließen
dürfen. Thietmar legte ihm deshalb mit Recht die ehrenvolle Bezeichnung
defensor patriae bei.
Graf Siegfried war mit Kunigunde
vermählt.
Sie war eine Tochter des Grafen Heinrich des Kahlen von Stade. Thietmar
gab sie als seine Mutter an und somit erweist sie sich als Gattin Siegfrieds,
den Thietmar an drei Stellen seinen Vater nannte. Seine Mutter hatte
nach dem Tode ihres Gatten einen schweren Stand gegen ihren Schwager
Lothar. Mit dem Tode ihrer Schwiegermutter Mathilde, die nicht
zuletzt aus Gram über den Verlust ihres Sohnes starb, setzte die Erbauseinandersetzung
ein, da Lothar und Siegfrieds
Nachkommen zu gleichen Teilen
erbten. Lothar versuchte, Kunigunde um das Erbe zu bringen.
Es bedurfte des kaiserlichen Eingreifens, um sie wieder in ihren rechtmäßigen
Besitz zu setzen. Leider führte
Thietmar
die strittigen Erbgüter
nicht näher auf. Kunigunde starb als Witwe am 13. Juli 997.
Ihren Todestag gibt das Merseburger Necrologium wieder, in dem sie als
Gräfin verzeichnet steht.
Als Kinder Siegfrieds und Kunigundes führte
der Sächsische Annalist auf: Siegfried, den Bischof von
Münster,
Bruno, den Bischof von Verden, Thietmar,
den Bischof von Merseburg, Graf Heinrich und Friedrich,
den Burggrafen von Magdeburg. Dieselbe Reihenfolge der Kinder brachten
die Magdeburger Annalen. Schwerlich entsprach diese Reihenfolge ihrem natürlichen
Alter.
Heinrich übernahm den Magdeburger Annalen
zufolge die Grafschaft seines Vaters und war mithin auch der älteste
Sohn. Die Lage der Grafschaft wird nicht näher lokalisiert. Vermutlich
lag sie im Nordthüringgau. Graf Heinrich von Walbeck trug den
Namen seines mütterlichen Großvaters, Graf Heinrich von Stade.
Er wurde vom Sächsischen Annalisten als Sohn
Siegfrieds von Walbeck
und an drei Stellen von Thietmar
als sein Bruder bezeichnet. Durchgängig
führte er den comes-Titel. 998 unterstützte er zusammen mit seinem
Bruder Friedrich den Vetter Werner bei der Entführung
Liudgards
aus dem Stift in Quedlinburg nach Walbeck. 1002 starb
seine Gemahlin unbekannten Namens und unbestimmter Herkunft. Sie erhielt
durch Thietmar ihre letzte Ruhestätte. 1004 beteiligte er sich
an dem Feldzug HEINRICHS II. gegen
Böhmen. Er setzte damit die Tradition der Familie fort, die seit Generationen
ihre Aufgabe im Grenzdienst gesehen hatte. An dem zweiten abenteuerlichen
Unternehmen seines Vetters Werner nahm er kaum teil. Er wurde nämlich
1014 beauftragt, das Strafverfahren gegen Werner
einzuleiten, der
sich auf dem Reichstag zu Allstedt verantworten sollte. Weitere Tätigkeit
Heinrichs läßt sich nicht ermitteln. Es ist nur noch
bekannt, dass er auf Bitten seines Bruders Thietmar und mit Einwilligung
seines Bruders Friedrich sein Gut zu Thundersleben der Merseburger
Kirche vermachte. Sein Todesjahr ist unbekannt. Vielleicht war er mit dem
Grafen Heinrich personengleich, dessen Todestag am 25. November
im Magdeburger Necrologium verzeichnet steht.
Graf Friedrich, der zweite Sohn Siegfrieds
von Walbeck, wurde von Thietmar ohne jeden Titel, lediglich
als sein Bruder, angeführt. Friedrich
unterstützte seinen
Vetter Werner
bei dessen Unternehmungen. Vermutlich erst nach Thietmars
Tod wurde er Burggraf von Magdeburg. Thietmar erwähnte ihn
nicht in dieser Funktion. Die Magdeburger Annalen und der sächsische
Annalist bezeugten ihn als praefectus Magdeburgensis. Die
Hildesheimer Annalen führten ihn als comes auf. Er war mit
einer
Gräfin Thietberga vermählt, deren Herkunft unbekannt
ist. Sie schenkte ihm einen Sohn namens Konrad, der seinem Vater
im Burggrafenamt folgte. Mit Konrad
starb dieser Zweig der Walbeckschen
Familie im Mannesstamm aus. Seine Gattin Adelheid, die aus Bayern
stammte, gebar ihm nur eine Tochter, Mathilde mit Namen.
Siegfried von Walbeck
hatte außer den beiden
Söhnen, die weltlich Ämter bekleideten, noch drei weitere Söhne,
die hohe geistliche Würdenträger wurden.
Thietmar
war der drittgeborene. Da sein Vater
auf Grund seiner Aussage erst nach 972 heiratete, wurden Heinrich
und Friedrich 973 und 974 geboren, so dass Thietmars Geburtsjahr
um oder nach 975 zu setzen ist. Über Thietmars
Leben sind wir
durch seine Chronik ausführlich unterrichtet. Hier genügt es,
die wichtigsten Stufen seiner Entwicklung festzuhalten: seine erste Erziehung
erhielt er bei seiner Tante im Stift zu Quedlinburg, seine weitere Ausbildung
erfolgte bei Abt Ricdag im Kloster Berge bei Magdeburg. Er trat dann in
das Magdeburger Domkapitel ein. Im Jahre 1002 übernahm er die Propstei
von Walbeck. 1009 wurde er zum Bischof von Merseburg ordiniert. Er verwaltete
sein Amt bis zu seinem Tode am 1. Dezember 1018. Sein Todesjahr
hielten die Quedlinburger Annalen fest. Sein Todestag steht im Merseburger
und Lüneburger Necrologium. Auch die Magdeburger Annales gedachten
seines Todes (a. 1019)
Eine besonders herzliche Zuneigung verband Thietmar
mit seinem jüngeren Bruder Siegfried, dem er seine Chronik
zueignete. Siegfried, der den Namen seines Vaters erhielt, wird
ausdrücklich von Thietmar als sein Bruder bezeichnet. Er kam
zur Erziehung in das Kloster Berge bei Magdeburg und wurde dort 1009 Abt.
1010 intervenierte er für sein Kloster. 1012 ließ er dort eine
neue Kirche bauen. Bis zum Jahre 1022 stand er dem Kloster als Abt vor.
Darauf wurde er Bischof von Münster. Er starb am 27. November 1032.
Der jüngste Sohn Siegfrieds von Walbeck hieß
Brun.
Er wurde im Kloster Corvey erzogen. 1025 fand er seine Amtstellung als
zweiter Nachfolger seines Bruder Siegfried als Abt des Klosters
Berge und übernahm ungefähr gleichzeitig die Abtei Nienburg.
1034 erhielt er den Bischofsstuhl von Verden. Er starb am 20. August
1049.
Merkwürdigerweise wurde die einzige Tochter Siegfrieds
und
Kunigundes
und Schwester Thietmars kein einziges Mal erwähnt. Wir sind
nur auf das Zeugnis des Sächsischen Annalisten angewiesen, der als
Tochter Siegfrieds von Walbeck ausdrücklich bezeugt, so dass
keine Verwechslung mit einem anderen Grafen gleichen Namens möglich
ist. Oda war mit quidam illustris Gozwinus de Valkenberh
vermählt, dem sie zwei Söhne schenkte: die Grafen Gerhard und
Goswin.
Graf Siegfried hatte außer den schon erwähnten
Söhnen noch einen weiteren Sohn, den Thietmar fratrem meum
ex patre nannte. Aus der Bemerkung darf man schließen, dass dieser
Willigis
ein unehelicher Sohn war; denn von einer früheren Ehe Siegfrieds
ist nichts bekannt und außerdem überlebte ihn seine Gattin.
Willigis fand Versorgung im Stift Walbeck und wurde 1009 von
Thietmar zu seinem Nachfolger bestimmt.
Versuchen wir zu einem Ergebnis zu kommen. Die Familie
der Grafen von Walbeck gehörte zu den angesehensten und edelsten
Geschlechtern ihrer Zeit. Über ihre stammesmäßige Herkunft
führte Thietmar selber aus: ex clara Thuringiae septentrionalis
prosapie editus und legte somit ihr Kerngebiet in den Nordthüringgau.
Die Chronik der Bischöfe von Merseburg sprach von einer stirps
perspicua. Thietmar betonte ebenfalls die hohe Abstammung. Durch
Verschwägerung mit anderen angesehenen Familien vergrößerten
sie ihre Macht. Sie gingen Familienbindungen mit den Grafen von Stade und
späteren Markgrafen der Nordmark ein und waren über diese wieder
den Grafen von Rheinfranken und dem sächsischen Herzogshaus der BILLUNGER
sippenmäßig verbunden. Die Linie der jüngeren BABENBERGER
und die Markgrafen von Meißen gehörten zu ihrem Sippenanhang,
ebenfalls die Harzgrafen und die Grafen von Querfurt.
Nur wenige Urkunden geben Auskunft über ihre Herrschftsgebiete.
Als ihre Grafschaften im Altland kommen vor allem der Nordosten des Nordthüringgaues
und vielleicht der benachbarte Teil des Derlingaues in Frage. Zu denken
wäre auch an den Nordrand des Harzgaues. Diese Vermutung stützt
sich auf eine Intervention des Grafen Lothar von Walbeck, bei der
er in der Liste der übrigen Fürbitter mit dem Harzgrafen Friedrich
aufgeführt wird. Ihre starke Beteiligung am östlichen Grenzschutz
dient ferner als Beweis dafür, dass ihr Aufgabenbereich in O-Sachsen
lag. Ihre gräfliche Stellung stützte sich auf erheblichen Eigenbesitz.
Das Chronicon der Bischöfe von Merseburg bezeichnete Thietmar
-
und damit seine Familie - als dives in predio (Besitz). Auf dem
Stammsitz
Walbeck wurde ein Kollegiatstift errichtet und reich mit Besitz ausgestattet.
Die eine Hälfte des Stiftsbesitzes vererbte sich auf Markgraf Lothar,
die andere auf die Söhne des Grafen Siegfried. Schon unter
Lothar, dem Stifter von Walbeck, gehörten Santersleben und Gutenswegen
zum Familienbesitz. Über die weiteren Besitzverhältnisse gibt
uns Thietmar selber Aufschluß, der mehrmals auf seinen Eigenbesitz
zu sprechen kommt. So erwähnte er seine curtis Rottwerslben (Klein-Rottmersleben
an der Olve). Außerdem besaß er einen Hof in Eisdorf (bei Lützen)
im Gau Chutizi. Die curtis Heeslingen (an der Oste bei Zeven), die er zu
seinem Besitz rechnete, stammte schwerlich aus väterlichem Erbe. Sie
lag im Herrschaftsbereich der Stader und wurde vermutlich von seiner Mutter
als Heiratsgut zugebracht. Seine Brüder besaßen das Gut Tundersleben,
das sie dem Bistum Merseburg schenkten. Weiterer Eigenbesitz der
Familie ergibt sich an Hand der Tradition, die ein nobilis Liuthardus nomine
in dem Ort und der Dorfmark Harsleben (bei Halberstadt) in Ostfalen und
im Harzgau verfügte. Allod der WALBECKER war ferner Nordgermersleben
(bei Alvensleben). In ihrem Besitz befand sich auch Wolmirstadt. Allem
Anschein nach wurde er bei der Erbteilung Lothar
zugesprochen und
vererbte sich auf seinen Sohn Werner
weiter. Durch H.-D. Starkes
Untersuchungen an Hand von Urkunden des 12. Jahrhunderts gilt als gesichert,
dass ferner der Lappwald, ein bewaldeter Höhenzug in unmittelbarer
Nähe Walbecks, ältestes Besitztum der WALBECKER war. Sehen
wir uns die Lage der Güter auf der Karte an, so schält sich deutlich
ein Schwerpunkt der Walbeckschen Herrschaftsstellung
im Nordthüringgau im Raume nördlich von Magdeburg heraus. Ein
zweiter Güterkomplex, der sich aus Mangel an Quellen nicht weiter
differenzieren läßt, lag um ihren Stammsitz Walbeck an der
Aller, also im Grenzraum von Nordthüring- und Derlingau.