Der Nachfolger Dietrichs
in der Nordmark wurde nicht sein Sohn Bernhard,
sondern der Graf Liuthar von Walbeck (985-1003),
ein Oheim des Geschichtsschreibers Thietmar
von Merseburg, über den wir auch fast ausschließlich
durch seinen Neffen unterrichtet sind. Auf Grund der Angaben des Annalista
Saxo hat man bisher vielfach angenommen, dass Liuthar
unmittelbar nach Dietrichs Tode Markgraf wurde. Befremdlich
ist allerdings dabei, dass gerade die zeitgenössischen Geschichtsschreiber
davon nichts berichten.
Thietmar erzählt zum Jahre 993 von
einem erfolgreichen Kriegszuge gegen Brandenburg, auf dem Ekkehard
von Meißen, der ausdrücklich als Markgraf bezeichnet
wird, der Führer ist. Liuthar
aber wird nach den drei Stader Grafen, Thietmars Oheimen mütterlicherseits,
und dem Pfalzgrafen
Dietrich an letzter Stelle genannt. Aus demselben Jahre ist die
einzige Urkunde mit Liuthars Namen erhalten. In ihr tritt Liuthar
geradezu etwas in den Hintergrund. Wohl ist er anscheinend zu einer
Beratung in Merseburg anwesend wie Ekkehard I. und Gero
II. Doch während diese "Markgrafen" genannt werden, trägt
Liuthar nur den Grafentitel und wird
dementsprechend in der Aufzählung als Letzter erwähnt. Erst zum
Jahre 997 nennt ihn Thietmar zum ersten Male Markgraf. Das
geschieht in Thietmars Bericht über die Vorgänge in Arneburg.
Liuthar sollte den Erzbischof Gisiler
von Magdeburg ablösen. Dieser zog trotz
Liuthars
Bitten um seinen Beistand ab. Noch ehe der Graf eintraf, wurde die Stadt
von den Feinden angezündet, und vergeblich blieben alle Bemühungen,
den Brand zu löschen. Vor Liuthars Augen
wurde Arneburg ein Raub der Flammen. Liuthar
wurde dieses Falles wegen sogar noch beim Kaiser verklagt, konnte sich
aber durch Eid rechtfertigen. Bei dieser Gelegenheit also nennt Thietmar
seinen
Oheim zum ersten Male Markgraf. Damit gibt er den ersten sicheren
Anhalt für die Markgrafschaft Liuthars
überhaupt.
Trotzdem ist es kaum wahrscheinlich, dass Liuthar
erst 997 oder kurz vorher Markgraf geworden ist. Die Quedlinburger und
die Hildesheimer Jahrbücher erwähnen von 985-997 beinahe in jedem
Jahr Slawenkriege, ohne der Tätigkeit eines Markgrafen zu gedenken.
Da aber ihre Darstellungsweise meist sehr knapp ist, kann diesem Umstand
kein besonderer Wert beigemessen werden. Es ist doch kaum zu glauben, dass
diese seit dem großen Wendenaufstande besonders gefährdete Gegend
nach Dietrichs Tod zunächst keinen Markgrafen mehr gehabt haben soll.
In Ermangelung eines klaren, sicheren Quellenzeugnisses kann man aber nach
alledem keine Entscheidung darüber fällen, ob Liuthar
Dietrich unmittelbar oder erst nach einigen Jahre folgte.
Liuthars Grafschaften
werden zu seinen Lebzeiten nicht erwähnt; auch die einzige Urkunde,
die ihn nennt, verschweigt sie, da Liuthar dort
nur als Fürsprecher auftritt. Auf seinen Besitz lassen aber zwei Urkunden
von 1006 für seinen Sohn Werner
schließen, die das Haus WALBECK in den Gauen Nordthüringen
und Belesem als Gaugrafen zeigen. Im Gau Moraziani hat zu Liuthars
Zeiten ein Graf Sigibert die Grafschaft, während im Gau Engern, dessen
Zugehörigkeit zur Nordmark freilich erst unter dem Hause STADE nachgewiesen
werden kann, ein Graf Dodico nachweisbar ist.
Liuthars persönlicher
Einfluß auf OTTO
III. wird bei der Besetzung des Bistums Oldenburg deutlich.
Nach des Kaisers Tode spielt er bei der Wahl des Nachfolgers eine große
Rolle. Es war Liuthar, der die Aussichten
des Markgrafen Ekkehard zunichte, die sächsischen Fürsten
von ihm abwendig machte und für die Erhebung Heinrichs
von Bayern eintrat. Seine Bemühungen waren von Erfolg
gekrönt. Heinrich wurde gewählt,
und Ekkehards Hoffnungen, über die noch an anderer Stelle zu
reden sein wird, scheiterten zweifellos in erster Linie an Liuthars
persönlicher Abneigung und seinem Einfluß, den Ekkehard
offenbar unterschätzt hatte. Der Grund der Feindschaft
Liuthars
gegen Ekkehard
ist mindestens teilweise sicher mit persönlichen Beziehungen beider
zueinander zu suchen. Liuthars Sohn
Werner und Ekkehards Tochter Liutgard
waren
schon als Kinder miteinander verlobt worden. Als jedoch Ekkehards Ansehen
bei OTTO III. wuchs, suchte er sein
früheres Versprechen rückgängig zu machen. Er scheint für
seine Tochter eine vorteilhaftere Verbindung erhofft zu haben. Darauf raubte
Werner
die Braut mit Gewalt aus dem Schutz der Äbtissin
Mathilde von Quedlinburg, als diese gerade auf einer Reichsversammlung
in Derenburg war. In Magdeburg wurde er gezwungen, die Braut wieder herauszugeben,
obwohl
Liutgard
erklärte, bei ihm bleiben zu wollen. Erst nach
ihres Vaters Tode 1002 konnte er sie endgültig heimführen. Die
ihm und seinem Sohn zugefügte Schmach vergaß Liuthar
nicht. Dass er Ekkehards Bemühungen um den Thron vereitelte,
war seine Vergeltung.
Wilhelm von Gisebrecht hat darauf aufmerksam gemacht,
dass
Liuthar den herzoglichen Titel
seines Vorgängers nicht mehr besitzt, und die Gleichstellung der Markgrafen
nach 985 daraus geschlossen. Man kann ihm darin nur Recht geben. Die Veränderung
wird noch etwas deutlicher bei einem Vergleich der Stellung Liuthars
mit
der Dietrichs.
Thietmar
nennt Dietrich bei der Beschreibung des
Feldzuges gegen Havelberg im Jahre 983 "marchio" vor Rikdag
und Hodo,
die er als "comites" bezeichnet. Dietrich tritt also deutlich als
Führer hervor sowohl durch den Titel als auch in der Reihenfolge der
Namen. Von
Liuthar könnte man
eher das Gegenteil behaupten, wie das oben getan wurde. Worin die jetzt
offenbar hergestellte Gleichstellung der Markgrafen begründet lag,
wird sich kaum feststellen lassen. Sicher ist aber, dass sich das Schwergewicht
in den Marken dank der Persönlichkeit Ekkehards und den Verlust
unter Dietrich von Norden nach Süden verschob. Auf Liuthar
folgte sein Sohn Werner (1003-1009).