Ludat Herbert: Seite 25,42,46,48,51,54,165,166,321,373,375,462
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"An Elbe und Oder"

Da im gleichen Jahr auch Markgraf Dietrich starb, dessen Macht und Einflußbereich der Lutizenaufstand erheblich geschmälert hatte, und sein Amt anscheinend für einige Jahre überhaupt nicht mehr besetzt wurde [165 Offenbar ist Dietrichs Sohn Bernhard übergangen worden und das Amt jahrelang unbesetzt geblieben, ehe es Liuthar von Walbeck erhielt (vgl. S. Lüpke, a.a.O., Seite 14); Bernhard hat erst 1009 nach der Mordtat Wirinhers, des Sohnes Liuthars, seine Rechte wieder geltend machen könen (vgl. S. Lüpke, a.a.O., Seite 13f.; siehe auch die folgende Anmerkung 166.], ehe es an Liuthar von Walbeck [166 Liuthar von Walbeck läßt sich erst 997 als marchio (vgl. Thietmar IV, 38) nachweisen, vorher nur als comes (vgl. zu dieser Frage S. Lüpke, a.a.O., Seite 13f., und mit Quellenbelegen in n. 100-107). - Möglicherweise hat in diesen Jahren die eigentliche markgräfliche Gewalt auch bei Ekkehard gelegen (vgl. seine Teilnahme an den Kämpfen um Brandenburg); wahrscheinlich sind die Fehden zwischen den Grafen von Walbeck und denen von Haldensleben im Zusammenhang mit den Vorgängen im Markengebiet, speziell in Brandenburg (vgl. die folgende Studie, Seite 42 ff.) eine Ursache für die Nichtbesetzung dieses Amtes in der Nordmark gewesen. Zu den WALBECKERN vgl. besonders die Einleitung von R. Holtzmann in seiner Thietmar-Ausgabe, Seite VII ff.; und R. Schölkopf, a.a.O., Seite 73.], den Oheim Thietmars von Merseburg, fiel, war Ekkehard plötzlich zum mächtigsten Mann im ganzen Markengebiet geworden.
Als Markgraf Dietrich 985 starb, wurde sein Sohn Bernhard in der Nachfolge übergangen [321 Über Bernhard, den Sohn Dietrichs, vgl. S. Lüpke, a.a.O., Seite 17 und n. 132; sowie R. Schölkpf, a.a.O., Seite 96f.; er erhielt erst nach der Absetzung Wirinhers von Walbeck, des Sohnes Markgraf Liuthars, im Jahre 1009 dieses Amt (Thietmar VI, 50; dazu vgl. oben Anm. 157, 165 und 283); Ehe mit Tochter Vladomirs 991/92.]; die Gründe hierfür sind unbekannt. Erst für das Jahr 997 ist der Nachfolger Liuthar von Walbeck als marchio bezeugt [323 Liuthar von Walbeck als Markgraf der Nordmark wird erstmals zum Jahre 997 in Thietmars Darstellung im Zusammenhang mit dem Verlust der Arneburg (vgl. hierzu H. K. Schulze, Adelsherrschaft und Landesherrschaft, Seite 10) als marchio bezeichnet, vorher auch in Urkunden nur als comes und dazu meist an letzer Stelle (vgl. S. Lüpke, a.a.O., Seite 13f.].
Wahrscheinlich liegt hierin auch die Erklärung für das auffällige Fehlen eines Nachfolgers im Amt des Markgrafen der Nordmark aus der Reihe der sächsischen Grafen nach 985; ein solcher - nämlich Liuthar von Walbeck - ist offenbar erst nach dem Tode Mieszkos und der Vertreibung Odas und ihrer Kinder durch ihren Stiefsohn Boleslaw Chrobry ernannt worden - ein Ereignis, das zwar keine grundlegende Wendung der piastischen Politik bedeutet, aber die Brandenburger Frage beeinfluß hat.
Es mag an Kizo und seiner Stellung gelegen haben, die fraglos Liuthar von Walbeck und wahrscheinlich auch Dietrichs Sohn Bernhard beanspruchten, der aber Rücksicht auf seine Schwester Mathilda zu nehmen hatte, daß Konflikte nicht ausblieben.
d) Der Zeitpunkt für diesen politischen Seitenwechsel war günnstig. Denn inzwischen war Miesko
    gestorben und der Konflikt innerhalb des PIASTEN-Hauses zwischen Boleslaw unnd Oda in voller
    Schärfe entbrannt, wenn nicht gar schon entschieden, wodurch die Stellung der Haldenslebener
    Familie und ihre Ansprüche auf die Nachfolge im Markgrafenamt empfindlich getroffen sein
    mußten. Auf diesen Hintergrund muß  sich nach der mühsam erkämpften Befreiung Brandenburgs
    aus der Umklammerung der Lutizen im Sommer 993 die Kettte jener schwer durchschaubaren
    Streitigkeiten zwischen den rivalisierenden Grafengeschlechtern abgespielt haben, an denen außer
    Kizo mit Sicherheit die HALDENSLEBENER mit ihren Verwandten in der Heveller-Dynastie und
    die WALBECKER beteiligt gewesen sein müssen [373 Neben dem quasilegitimen Haldenslebener
    Grafen waren es vor allem die WALBECKER, denen es dann mit Liuthars Beauftragung von 997
    glücken sollte, dieses Amt zu erhalten, während Kizo als vermutlicher Angehöriger der
    Gero-Familie es 994 verstanden hatte, beide Kontrahenten den Weg zu diesem Ziel zu versperren.
    Dahinter standen schließlich die Interessen des neuen Alleinherrschers im PIASTEN-Land, dem in
    erster Linie jedwede Schwächung der Position der HALDENSLEBENER und ihrer Anhänger
    gelegen kommen mußte. Daß deshalb auch Spannungen innerhalb der hevellischen Dynastie bzw.
    ihres nächsten Hofes ausgelöst und sowohl gegen Pribislav und Mathilda als auch gegen Kizo ins
    Spiel gebracht werden konnnten, liegt nahe; ihrer Ausnutzung verdankte Bolilut seine Herrschaft.].
Die Kizo-Affäre muß aber noch eine weitere wichtige Entscheidung zur Folge gehabt haben, nämlich die Übertragung der Amtsgewalt über die Nordmark an Liuthar von Walbeck spätestens vor Beginn des Feldzugs OTTOS gegen die Obodriten und Lutizen im Sommer 995 [375 In einem Deperditum wird Liuthar - vermutlich während des Feldzuges - als "marscalcus noster" bezeichnet und durch eine Schenkung belohnt (vgl. Reg. Imp. Ottos III., Nr. 1145; August bis 10. September 995). Diese Schenkung, in der er allerdings nicht ausdrücklich marchio genannt wird, und die geschilderten Zeitumstände machen jedenfalls seine Ernennung zu diesem Feldzug wahrscheinlich.]. Einem längeren Schwebezustand und den Rivalitäten der Grafenfamilien um dieses Amt war dadurch vorerst ein Ende gesetzt; jedoch scheint es Liuthar nicht gelungen zu sein, sein Amt in Brandenburg auszuüben. Denn Bolulit war offenbar entschlossen, eine unabhängige Stellung zu beziehen und eine Neutralitätspolitik zwischen dem Hoheitsanspruch des Reichs und der Macht des Lutizenbundes zu betreiben.
Im voraufgegangenen Jhar 1009 war ein Wechsel im Markgrafenamt der Nordmark eingetreten. Liuthars Sohn Wirinher, der nach dem Tode des Vaters 1003 sein Nachfolger geworden war, verlor nach einer Fehde mit dem Grafen Dedi von Wettin dieses Amt, mit dem nunmehr Bernhard, der Sohn Dietrichs und der Bruder der aus Polen vertriebenen Oda, betraut wurde.
Der rasche Erfolg Boleslaws in diesem Markengebiet, die aktive Unterstützung, die er von Gunzelin erfuhr, die invitatio an ihm, das heißt seine Wahl durch die Bevölkerung Meißens selbst, sowie die gerade in dieser Zeit erfolgte Heirat seiner Tochter Reglindis mit Hermann von Meißen, Ekkehards ältestem Sohn [462 Zu dieser Heirat vgl. oben Seite 29 und Anmerkung 209. Die Heirat ist wahrscheinlicherst nach der Ermordung Ekkehards erfolgt, obwohl man das nur aus der Zerstörung Strehlas durch Boleslaw beim Rückzug aus Merseburg erschlossen hat, da dieser Ort als Morgengabe der Reglindis überliefert ist (Thietmar V, 36; vgl. M. Uhlirz, Jbb. Ottos III., Seite 254). Möglich ist aber auch, daß die Ehe schon bestand, als Hermann nach Meißen (etwa Ende Mai) eilte, bevor der Angriff Boleslaws begann. Die Darstellung Thietmars ist merkwürdig genug und läßt deutlich erkennen, daß er hier manches verschweigt. Besonders auffällig berührt es, daß er (V, 8) mit genauen Zeitangaben den Zug Hermanns und seiner Mutter Schwanhild nach Meißen mitteilt, um dann über dessen Schicksal in den folgenden Kapiteln kein Wort zu verlieren. Als Überleitung dient ihm die boshafte Wendung von der Freude, die Boleslaw, "Miseconis filius patri longe inferior", über die Ermordung Ekkehards empfand! Wahrscheinlich haben Familienstreitigkeiten zwischen Gunzelin und seinem Neffen bei den geschilderten Vorgängen entscheidend mitgespielt, die dann im Jahre 1009 zur Absetzung Gunzelins und zur Betrauung Hermanns mit der Mark Meißen führten. Daß Hermann jedenfalls 1002/03 auf Boleslaws Seite stand, ist nicht zu bezweifeln. Die seit langem bestehenden offenbar engen freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Haus Ekkehards und Boleslaw, von deren Trübung weder unmittelbar vor noch nach Ekkehards  Ermordung etwas verlautet, die Reise der Witwe und des Sohnes Hermann nach Meißen zu einem Zeitpunkt, da Boleslaw einfällt, die entweder damals, kurz vor- oder nachher eingegangene Verbindung Hermanns mit Reglindis und der rasche, durch Verträge gesicherte Erfolg des PIASTEN-Fürsten schließen jedenfalls die Möglichkeit aus, die Aktion Boleslaws als Schlag gegen die EKKEHARDINER im Bunde mit HEINRICH zu interpretieren (vgl. im übrigen die Studie Piasten und Ekkehardiner, insbes. Seite 26ff. über die politischen Motive bei Boleslaw und den EKKEHARDINERN). - Die Feindschaft, der Ekkehard innerhalb der sächsischen Aristokratie begegnet und zum Opfer gefallen war, bedrohte die Stellung dieses Geschlechts, dem Boleslaw verwandtschaftlich verbunden war und dessen Sturz auch seine eigensten Interessen berühren mußten. Es war Liuthar von Walbeck gewesen, der die Aussichten Ekkehards auf die Thronkandidatur zunichte gemacht hatte; und mit Wilhelm von Weimar, dem mächtigsten Mann Thüringens (Thietmar V, 14), der HEINRICH II. entgegenzieht und als erster huldigt, lag Hermann damals in erbitterter Fehde. Angesichts dieser bedrohlichen Lage und ungewissen Zukunft für die EKKEHARDINER mutet das Vorgehen Boleslaws wie ein diplomatisches Meisterstück an, um die Ansprüche dieses Hauses zu sichern, wobei er seine Bereitschaft erkennen läßt, den Entscheid der sächsischen Großen in der Frage der Königswahl  zu akzeptieren, was man allein aus den Worten Thietmars herauslesen kann.], zwingen vielmehr zu dem Schluß, daß Boleslaw nicht ohne Einverständnis der EKKEHARDINER, sondern vielmehr in ihrem Auftrag zur Wahrung ihrer Interessen gehandelt hat.