Auch in der Familie der Grafen von Walbeck - der
Familie
Thietmars
von Merseburg - zeichnet sich eine deutlich oppositionelle Tradition
ab. Thietmars Großvater Liuthar (+ 964) war 941 als
Parteigänger des aufständischen Königs-Bruders
Heinrich am Quedlinburger Mordkomplott gegen
OTTO
I. beteiligt, entging nur knapp der Hinrichtung und mußte
hohe Bußgelder entrichten. Thietmars Vater Graf
Siegfried (+ 991) und dessen Bruder Liuthar
(+ 1003) standen 984 während des Thronstreits auf der
Seite Heinrichs
des Zänkers.
Liuthar
erhielt
nach dem Ausgleich mit dem Zänker
985 die seit dem Slawenaufstand von 983 wesentlich verkleinerte sächsische
Nordmark. Liuthar
scheint während
der Vormundschaftsregierung OTTOS
III. über einen gewissen Einfluß am Hof verfügt
zu haben: So erhob OTTO III. auf sein
Anraten 992 Reginbert, den Propst des Walbecker Eigenklosters, zum Bischof
von Oldenburg. Jedoch geriet der Markgraf mit dem Kaiser dann in Konflikt:
Ein Erbschaftsstreit zwischen ihm und Thietmars Mutter entschied
OTTO
zugunsten der Mutter. Zweifelsohne
belastender wirkte sich die Anklage Liuthars
im Zusammenhang mit dem Verlust der Arneburg am 2. Juli 997 an die Slawen
aus. Nur durch einen Eid konnte er sich vor OTTO
III. von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen reinigen. Aber
auch das zunehmend enge Verhältnis zwischen Ekkehard
von Meißen und OTTO III.
brachte für Liuthar
Nachteile
mit sich. Zu einem Zeitpunkt, als Ekkehard im Ansehen des Kaisers
noch nicht so hoch stand, - wahrscheinlich in den letzten Jahren der Vormundschaftsregierung
-, bahnte Liuthar
eine enge Verbindung zwischen den beiden Familien an: Sein Sohn Werner
sollte Ekkehards Tochter Liudgard
heiraten - ein Projekt, das bei einem Treffen der beiden Sippen von Ekkehard
gutgeheißen und verbindlich bestätigt wurde.
Der Meißner stieg jedoch nach der Übernahme
der Regierungsgeschäfte durch OTTO III.
rasch in dessen Ansehen. Aus dem engen Verhältnis zum Kaiser hoffte
Ekkehard, besonderen Vorteil für seine Familie ziehen zu können;
offenbar konnte er seiner "Königsnähe" wegen auf eine vorteilhaftere
Heiratsverbindung seiner Tochter hoffen und versuchte bereits vor seinem
Aufbruch zum zweiten Italienzug OTTOS III.
im Jahr 997, die verabredet Verlobung seiner Tochter zu hintertreiben.
Werner
nutzte daraufhin die Abwesenheit Ekkehards dazu, die inzwischen
der Äbtissin
Mathilde von Quedlinburg zur Erziehung übergebene
Liudgard
unter Mithilfe von Thietmars
Brüdern
Heinrich
und
Friedrich
998 zu entführen. Die während
OTTOS
Abwesenheit als matricia in Sachsen regierende Äbtissin berief dann
auf Rat der Großen im Januar 999 einen Hoftag nach Magdeburg ein,
wo Werner seine Verlobte gegen deren erklärten Willen wieder
in die Obhut Mathildes zurückgeben
mußte - non pro retentione, sed pro timoris magni confirmatione,
wie Thietmar berichtet. Mit dieser Bemerkung werden die politischen
Implikationen des Ereignisses allerdings mehr verschleiert als offengelegt:
Denn es steht außer Frage, dass beim Zustandekommen dieser Entscheidung
nicht nur die Rücksicht auf die Stellung Mathildes,
sondern auch die Haltung Herzog
Bernhards I. von Sachsen, eines treuen Anhängers OTTOS
III. und durch die zweite Heirat seiner Schwester Swanhild
ein Schwager des Markgrafen Ekkehard, eine entscheidende Rolle gespielt
haben muß. Weder konnte die Demütigung der matricia durch
Werners
Eigenmächtigkeit geduldet werden, noch ließ sich
Ekkehard von dem jungen Grafen seine Heiratspolitik zunichte machen:
Mit Herzog Bernhard I., aber auch mit seinem der ersten Ehe Swanhilds
entstammenden Stiefsohn - dem Markgrafen
Gero II. von der sächsischen Ostmark -, hatte er während
seiner Abwesenheit zweifellos mächtige Anwälte seiner Interessen
in Sachsen. Die Entführung Liudgards
wurde von Liuthar
selbst wohl nicht gutgeheißen. Es ist anzunehmen, dass er sich über
die geringen Erfolgsaussichten eines solchen Unternehmens im klaren gewesen
wäre. Dass Werner jedoch grundsätzlich auf die Unterstützung
seines Vaters zählen konnte, geht aus Thietmars Bemerkung hervor,
Liuthar
habe "voller Sorge" - anxia mente - überlegt, wie er
die Verlobung gegen Ekkehards Widerstand durchsetzen könnte.
Ekkehard behielt jedoch die Oberhand - erst nach seiner Ermordung
konnte die Heirat zwischen Liudgard und Werner stattfinden.
Während Ekkehard in der Gunst OTTOS
III. immer höher stieg und im Mai 1000 sogar den größten
Teil seiner Lehen als Eigen erhielt, verschlechterte sich die Beziehung
zwischen den beiden Markgrafen nachhaltig bis hin zur Feindschaft. Im Thronstreit
nach OTTOS Tod 1002 war Liuthar
ein entschiedener Gegner Ekkehards und ein ebenso entschlossener
Anhänger
Heinrichs
von Bayern, der durch Liuthars
maßgeblichen Einsatz die Zustimmung der sächsischen
Großen erhielt.
Das gescheiterte Heiratsprojekt mußte Liuthar
nicht
nur in seiner Ehre verletzt haben, sondern auch Ansehensverlust und das
vorläufige Ende des geplanten Ausbaus seiner Machtposition in Sachsen
durch die Verbindung mit der mächtigen Familie Ekkehards bedeuten.
Nimmt man die demütigende Anklage vor dem Kaiser hinzu, so besteht
aller Grund zu der Annahme, dass Liuthar
mit den bestehenden Machtverhältnissen in Sachsen und mit ihren Konsequenzen
für seine eigene Stellung unzufrieden war. Es kann als sicher gelten,
dass er mit den Mördern Ekkehards in Verbindung stand.