Es gilt allgemein, dass Konrad
der Rote von OTTO I. 944
zum Herzog von Lotharingien eingesetzt wurde. Widukind erklärt
sich für das Ernennungsjahr 943 und erwähnt im gleichen Absatz,
dass Konrad OTTOS
I. Tochter, Liutgard, ehelichte,
desgleichen im Jahr 943. Zwar für jene Zeit, zum Beispiel aus dynastischen
Gründen, keineswegs außergewöhnlich, wäre
Liutgard
943 12 Jahre alt gewesen. Eheliche Verbindungen besaßen damals den
Charakter von Freundschaftspakten, von einer Art amicia, die den Sippenfrieden
auf die angeheiratete Familie ausdehnte. Trotzdem, ein ehefähiges
Alter von 16 Jahren 947 erscheint zumindest glaubwürdiger. Die Annales
Lamberti datieren diese Verehelichung sogar in das Jahr 949. Köpke-Dümmler
entscheidet sich für 947. Der zuverlässige Zeitgenosse Flodoard
erwähnt Konrad 944 überhaupt
nicht und spricht von Konrad als dux
erst 945.
Otto von Verdun war Anfang 944 gestorben. Die Berichte
über den Aachener Hoftag 944 enthalten keinerlei Hinweise über
eine Einsetzung
Konrads. Es hätte
nahe gelegen, ihn anläßlich dieses Hoftages zu ernennen. Ganz
im Gegenteil wird im Jahre 944 Hermann von Schwaben in herzogsähnlicher
Mission zur Anführung eines Heeres gegen Reginar III. und seinen Bruder
Rudolf eingesetzt. Zum gleichen Jahr 944 berichtet Flodoard, dass Herzog
Hugo von Franzien Hermann von Schwaben, nicht Konrad,
um eine Unterredung bat. Und wiederum zum gleichen Jahr 944 heißt
es beim selben zuverlässigen zeitgenössischen Chronisten, dass
OTTO
I. Hugo von Franzien ein
unter dem Kommando Herzog Hermanns stehendes Heer entgegensandte. Wiederum
nichts von Konrad dem Roten.
Ein September 944 datiertes Diplom OTTOS
I. spricht noch von Konrad als
comes. Die genannte Königsurkunde betrifft nicht Konrads
angestammte,
außerlothringische Einflußsphäre, sondern einen Vasallen
Heinrichs, des Bruders OTTOS I.
Bis
einschließlich 944 setzt also die Reichskanzlei recht sorgfältig
den Konrad zustehenden Grafentitel.
Die erste Königsurkunde, die Konrad den dux-Titel einräumt,
ist Juli 945 datiert. Selbst Privaturkunden, die unter seinem Einfluß
standen und Institutionen seines angestammten Herrschaftsbereiches betrafen,
sprechen erst nach 945 von ihm als dux und unterscheiden in der
Titular zwischen seinem ererbten gräflichen und dem ihm gewährten
herzoglichen Rang.
Dass nun der deutsche König sich für den in
Rheinfranken, im Nahegau, im Mayengau, um Worms und Speyer und in Bingen
über beträchtliche Eigengüter und Regalien verfügenden
fränkischen Grafen entschied, ist aus vielerlei Gründen erstaunlich.
Konrads
des Roten Schwerpunkt lag außerhalb Lotharingiens. Das
demonstriert erneut die Außergewöhnlichkeit der Wahl OTTOS
I. Es bestand also eine politisch wirksame Interdependenz zwischen
Konrads binnenlotharingischer Schwäche einerseits und Abhängigkeit
vom König andererseits.
Die erzählenden Quellen schildern Konrad
als eine mutige und begabte Führungspersönlichkeit.
Konrad
war
aber für die Lotharingier ein Landfremder. Als solcher war ihm eine
kooperative Haltung des lotharingischen Adels alles andere als gewiß.
Seine anläßlich des Duisburger Hoftages gemäß dem
Continuator Regionis im Jahr 944 gegen den Erzkanzler und Metropoliten
von Trier und gegen Bischof Richarius von Lüttich auf Untreue erhobene,
erfolglose Anklage war der Gewinnung kirchlich-lotharingischer Anhänger
zudem kaum dienlich. Sie mochte jedoch den Zweck verfolgen, seine Position
beim lotharingischen Adel zu festigen, der die zunehmende Privilegierung
der lotharingischen Kirche sicherlich mißtrauisch beobachtete. Auch
Köpke-Dümmler erachten es als "befremdend, wenn Konrad,
kaum erst Herzog, schon 944 eine Anklage gegen die beiden Bischöfe
veranlaßt haben sollte." Sie ordnen den Hoftag dem 15. Mai 945 zu.
Konrad der Rote, Graf im Wormsgau,
Speyergau, Nahe- und Niddagau, war ein Verwandter KONRADS
I., damit auch Verwandter des mit Giselbert und OTTOS
I. Bruder Heinrich in die
Rebellion von 939 gegen den deutschen König verwickelten Eberhard
von Franken, Bruder KONRADS I. Die
Übertragung des lotharingischen Aufgabenbereichs an Konrad
den Roten war ein wesentlicher Beitrag zum rund 80 Jahre später
in der Person KONRADS II., Urenkel
Konrads des Roten, stattgefundenen
Durchbruch der SALIER und machte schon
Konrad den Roten zu einem Mitglied
der ersten Führungsschicht des Reichs.
Die Einsetzung Konrads wird
noch unverständlicher, wenn wir berücksichtigen, dass Bischof
Adalbero I. von Metz, Stiefbruder Ottos von Verdun, nebst anderen lotharingischen
Großen für den deutschen Herrscher und gegen den aufständischen
Konrad
eintrat, also ausgerechnet ein Mitglied der einheimischen Führungssippe,
deren Sprecher bis 944 sich durch Reichstreue und Fähigkeit ausgezeichnet
hatte. Die Annahme liegt nahe, dass auch der spätere sogenannte Unterherzog
von Ober-Lothringen, Graf Friedrich I. in dieser Rebellion Parteigänger
des deutschen Königs war. Dass auch Reginar III., Graf im Hennegau,
sich nicht mit den Aufständischen assoziierte, sondern militärisch
gegen Konrad vorging, versteht sich.
Eine Amtsenthebung Konrads würde
Reginar III. die Wiedererlangung der 939 zu Ende gegangenen Führungsposition
seines traditionsreichen Geschlechts näher rücken. Mit der von
Flodoard 953 zugeordneten Absetzung Konrads fand
der Aufstand noch immer nicht sein Ende. Es bedurfte des militärischen
Eingreifen Bruns, um 954 nach einem
Waffenstillstand Konrads
Unterwerfung
und Begnadigung sicherzustellen. Auf seinen lotharingischen Aufgabenbereich
und auf seine Lehen mußte er verzichten. Seinen ererbten Besitzstand
in den links- und rechtsrheinischen Gebieten durfte er behalten, das heißt
die zeitweilige königliche Ungnade bedeutete nur eine geringe soziale
Disqualifikation.
Konrad fiel 955
auf dem Lechfeld und wird von Widukind und im Chronicon Hugonis ehrenvoll
erwähnt und sogar noch mit dem dux-Titel bedacht, während Ruotger
ihm zwar den dux-Titel nicht mehr zuordnet, aber Konradseine
militärische Treuepflicht in Ehren erfüllen läßt.
Nach Entzug der Lehen konnte ja an sich von einer vasallitischen Verpflichtung
nicht mehr gesprochen werden.
Schon 945 wurde Konrad
als OTTOS I. Stellvertreter in dem
delikaten westfränkischen Balancespiel zwischen Königtum und
Lehnsfürsten zu Hugo von Franzien entsandt. Der KAPETINGER
hatte um eine Unterredung mit dem deutschen Herrsche selbst gebeten. Im
Jahre 949 mußte Konrad erneut in westfränkischen, auch OTTOS
Schwester Gerberga betreffenden Wirren
eingreifen. Zusammen mit Gerberga griff
er im Jahre 952 in die wiederum gespannten Verhältnisse im westfränkischen
Reich ein. Im Februar 952 hatte er die Stellung als OTTOS
Stellvertreter für Italien übernommen.
Bei aller Würdigung der machtpolitisch realisierbaren
Elemente und bei angemessener Einschätzung des Herrschaftsstils OTTOS
I. ist kaum anzunehmen, dass OTTO I.
seinen Beauftragten in diesem militärpolitisch bedeutenden Grenzraum
ohne adäquate Reichslehen als Vollstreckungs-Instrumente für
die Gewährleistung lotharingischer Heerfolge beließ. So dürfte
Konrad
Vogt
oder Obervogt des Klosters Stablo-Malmedy gewesen sein, wie aus
einer Präkerie mit Stablo aus dem Jahr 947 hervorgeht. Des weiteren
lassen Passagen bei dem Continuator Regionis und ein Diplom des Jahres
982 vermuten, dass Konrad in Lotharingien,
neben einigen kleineren Eigengütern, in der Tat Reichslehen besaß,
diese ihm 953 nach seiner Rebellion abgesprochen wurden.
Abgesehen von seiner mehrmonatigen Rolle als Stellvertreter
des Königs in Italien im Jahr 952 war Konrad
zwischen 945 und 952 mit der Durchführung von 6 außenmilitärischen
und 5 außenpolitischen Aufgaben betraut worden. 948 stellte sich
der westfränkische König sogar unter Konrads
Schutz
und machte ihn zum Taufpaten seiner Tochter. Die Taufpatenschaft besaß
eine Qualität hoher politischer Bedeutung. Im Auftrag
OTTOS
I. übernahm Konrad amit
eine Art Schutzherrschaft über den westfränkischen König.
Wenngleich Konradansonsten OTTOS
I. häufiger Begleiter bei Hoftagen war, partizipierte Konrad
nicht
an der der Wiederherstellung der westfränkischen königlichen
Autorität gewidmeten Ingelheimer Synode vom 7. Juni 948, obwohl diese
Konrads
westfränkischen Gegenspieler, Hugo von Franzien, zu exkommunizieren
berufen worden war.
Konradsbedeutende
Aufgaben und häufige Abwesenheiten von Lotharingien hinderten ihn
nicht daran, im Jahre 951 im Umkreis von Verdun einige Befestigungsanlagen
einheimischer Großer zu schleifen und ihnen Lehen zu entziehen, also
ein herzogliches Hoheitsrecht par excellence auszuüben. Gleichermaßen
im Sinne der herzoglichen Aufgabe der Friedenswahrung mußte Konrad
im gleichen Jahr sich eines Angriffs Reginars III., Neffe Giselberts, erwehren.
Als Abschluß kommen wir zu folgenden Ergebnissen:
1. Konrad der Rote wurde
nicht 944, sondern 945 eingesetzt.
2. Seine Amtsaufgaben waren, wie bei Giselbert
und Otto von Verdun, in erster Linie ausgerichtet auf den dem Gleichgewicht
der westfränkischen Kräfte gewidmeten, also westwärts orientierten
außenmilitärischen und außenpolitischen Bereich.
3. 939, nach der Zerschlagung der reginarischen
Führungssippe, hatte eine raumpolitische Zerteilung Lothringens gezielt
begonnen. 945, Jahr der Amtsernennung Konrads,
des ersten Lotharingienbeauftragten ohne herrschaftliches Eigenreservoir
in Lotharingien, kam diese politische Linie verstärkt zum Ausdruck.
Ohne eigenständige binnenlotharingische Machtquellen war Konrad
geradezu verurteilt, seinem Herrscher Treue zu bewahren.
4. Seine nur von landfremden Kräften unterstützte
Rebellion war eine Verkennung des Stellenwertes seiner fehlenden binnenlotharingischen
Rückendeckung.
5. Mit Konrad dem Roten
begannen die OTTONEN, einheimische
Geschlechter von einem Herzogtum Lotharingien zu trennen und durch landferne
oder landfremde Funktionsträger zu ersetzen. Ob und inwieweit diese
Politik unter
OTTOS DES GROSSEN Nachfolgern
fortgesetzt wurde, werden wir noch erfahren.
6. Jedenfalls sehen wir bei Otto von Verdun eine
stufenweise Entwicklung zu einem sichtbar befugnisbeschränkten Amtsauftrag
des lotharingischen Herzogtums und zu einer binnenlotharingischen Ausbalancierung
unter Beibehaltung des gesamtlotharingischen Verbunds in seiner politischen
und militärischen Bedeutung als Grenzmark. Die Funktion eines königlichen
Amtsträgers kommt mit dem vorübergehenden Einsatz Konrads
in Italien verstärkt zum Ausdruck.
7. Die mit Otto von Verdun und seiner Sippe verbundene
südwärtige Schwerpunktverlagerung war unter Konrad
ohne binnenlotharingisches Gegengewicht geblieben. Das Auseinandertriften
zwischen Süd- und Nord-Lotharingien hatte wohl in der Person des ottonischen
Amtsbeauftragten Konrad nach außen
eine anscheinde Neutralisierung erfahren. Die die Nord-Süd-Distanzierung
betonenden südlotharingischen Adelsgruppierungen um den Führer
des ARDENNER-Geschlechts setzten sich jedoch fort, wie wir noch ausführlich
sehen werden: Die bis in die Zeit Giselberts offenkundige, aus den Urkunden
ersichtliche, geographisch-genealogische Gemengelage des Adels erfuhr zur
Zeit Konrads des Roten keine merkliche Wiederbelebung. Das
mit dessen Vorgänger offenbar gewordene südlotharingische Identitätsbewußtsein
hörte auch unter Konrad dem Roten
nicht auf, sich zu einer den Adelsgruppierungen inhärenten, innerlotharingischen,
sozialen und geographisch-politischen Strukturverschiebung zu entwickeln.