Weller Tobias: Seite
219,332-336
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"Die Heiratspolitik des
deutschen
Hochadels im 12. Jahrhundert."
Wegen der Namen ihrer fünf Kinder (Sophia,
Leopold, Konstantin, Giselbert, Ludmilla) nahm DECKER-HAUFF eine
enge Verwandtschaft mit den PREMYSLIDEN
und BABENBERGERN an und
vermutete, daß Gerberga
ein Kind der gleichnamigen
österreichischen Markgrafen-Tochter († 1142), der Schwester Leopolds III., aus ihrer
Ehe mit Herzog Borivoj von Böhmen († 1124) gewesen sei.
Elisabeths Schwester Gerberga
heiratete erst einige Jahre nach dem Tod des Vaters Leopold II., der am 12.
Oktober 1095 starb. Wie der böhmische
Chronist Cosmas von Prag († 1125) berichtet, feierte sie am 18.
Oktober 1100 in Znaim (Znojmo) ihre Hochzeit mit Borivoj, dem Bruder Herzog Bretislavs II. von Böhmen
[42
Cosmas von Prag, Chron. Boem. zu 1100, lib.III, c.12, MGH SSrG NS 2,
172.]. Diese Verbindung wird auch in dem sog.
'Chronicon pii marchionis' erwähnt, einem kleinen, bald nach 1177
in Klosterneuburg enstandenen Werk über die Person Markgraf Leopolds III. Bretislav und
Borivoj
waren Söhne Vratislavs II. († 1092), den HEINRICH IV. wegen
seiner zuverlässigen Treue zum salischen
Königtum 1085 mit der persönlichen Königswürde
ausgezeichnet hatte. Da Bretislav kinderlos
war, drang er beim Kaiser darauf, daß sein Bruder Borivoj als Nachfolger
im böhmischen Dukat anerkannt werde, und HEINRICH IV.
entsprach diesem Wunsch, als er Borivoj im
April 1099 auf einem Hoftag in Regensburg als Zeichen der Belehnung die
Fahne überreichte [45 Cosmas von Prag, Chron., lib.III, c.8, MGH SSrG NS 2, 168f. Siehe auch MEYER VON KNONAU, Heinrich V. 5, 64f.]. Gerberga
heiratete also mit Borivoj den designierten Herzog von Böhmen.
Schon wenige Monate nach der Hochzeit trat die Sukzessionsregelung in
Kraft, denn am 20. Dezember 1100 wurde auf Anstiftung der VRSOVCI
(WRSCHOWITZER), einer
altböhmischen Adels-Familie [46 Vgl. hierzu den
Artikel von Josef ZEMLICKA: Vrosvci (dt.
Wrschowirzer), in: LMA 8 (1997) 1875f.], ein
Attentat auf Bretislav
verübt, an dessen Folgen der Herzog zwei
Tage später starb. Daraufhin machte der aus Mähren
herbeigeeilte Borivoj
sofort seinen Anspruch auf die Erbfolge geltend
und bestieg am Weihnachtstag 1100 den böhmischen Herzogsthron [47 Cosmas
von Prag, Chron. Boem., lib.III, c.13, MGH SSrG NS 2, 173-176. Siehe
auch BRETHOLZ, Geschichte Böhmens 191.].
Borivojs
Regierungszeit war geprägt von ständigen
Auseinandersetzungen um die böhmische Herzogswürde, die in
der Fürsten-Familie der PREMYSLIDEN
geradezu notorisch waren.
Begründet lagen sie in dem Gegensatz widerstreitender
Erbfolgeprinzipien. Das althergebrachte Senioratsprinzip sah vor,
daß die (teil)fürstlichen Herrschaften der
Familienmitglieder unter der Oberhoheit des ältesten
Sippenangehörigen stehen sollten (maior
natu summum ius et solium obtineat) [48 Nach
Cosmas von Prag, Chron. Boem, lib. II, c.13, MGH SSrG NS 2, 101ff.,
soll diese
Sukzessionsordnung in Böhmen auf Bretislav
I. (†
1055) zurückgehen (hier
102).]. Dagegen
setzte im Laufe des 12. Jhs. das Prinzip der Primogenitur seine Geltung
auch in Böhmen durch [49 Vgl. Stanislaw RUSSOCKI: Senior (Seniorat), II. Böhmen
und Polen, in: LMA 7 (1995) 1756f.]. Dieser an
sich schon prekäre Grundsatzkonflikt wurde durch den hemmungslosen
Ehrgeiz einzelner Familienmitglieder weiter verschärft. So geriet
Borivojs
Herrschaft gleich nach Regierungsantritt in Gefahr, als 1101
sein Vetter Odalrich von Brünn
(† 1113/15) eigene
Thronfolgeansprüche mit Waffengewalt durchzusetzen versuchte [50 Cosmas von
Prag, Chron. Boem., lib.III, c.15, MGH SSrG NS 2, 176ff.]. Zwar konnte dieser Umsturzversuch abgewehrt werden, doch
1107 mußte
Borivoj nach mehrjährigen Auseinandersetzungen
mit Svatopluk von Olmütz, einem anderen Vetter, nach Polen
fliehen. Seine Klage vor König HEINRICVH V. führte
zur
vorübergehenden Inhaftierung Svatopluks,
doch gelang es Borivoj
nicht, währendessen in Böhmen Fuß zu fassen,
woraufhin
Svatopluk freigelassen wurde [51 Cosmas von
Prag, Chron. Boem., lib III, c.16-21, MGH SSrG
NS 2, 178-188. Beim Bericht des Thronwechsels vergleicht Cosmas Borivoj
mit einem Lamm, Svatopluk
hingegen mit einem Tiger und Löwen
(vgl.
ebd., lib. III, c.19, 185). Vgl. zum Gesamtzusammenhang MEYER VON
KNONAU, Heinrich V. 6, 61-65; BRETHOLZ, Geschichte Böhmens 191ff.;
HOENSCH, Geschichte Böhmens 66.]. Er wurde
allerdings im September 1109, wiederum auf Anstiftung der VRSOVCI,
ermordet. In den nachfolgenden Auseinandersetzungen um die
Herzogsnachfolge konnte sich Borivojs jüngerer Bruder Vladislav (†
1125) gegen Svatopluks Bruder Otto von Mähren
(† 1126)
durchsetzen. Nun aber trat auch der aus dem polnischen Exil
zurückgekehrte Borivoj als
Prätendent auf. Es gelang ihm,
Prag einzunehmen, während Vladislav auf
dem Weg nach Regensburg
war, um bei HEINRICH
V. um die Belehnung nachzusuchen. Durch das
Eingreifen des Königs konnte Vladislav die
Herrschaft jedoch
wiedergewinnen. Borivoj
wurde vor den königlichen Hof bei Pilsen
geladen, dort unverzüglich gefangengenommen und zur Verbannung auf
die rheinische Burg Hammerstein
gebracht [52 Cosmas von Prag, Chron. Boem., lib. III, c. 27-32, MGH
SSrG NS 2, 195-203. Vgl. zum Gesamtzusammenhang MEYER VON KNONAU,
Heinrich V. 6, 112f.; BRETHOLZ, Geschichte
Böhmens 196f.; HOENSCH, Geschichte Böhmens 67.].
Ende 1117 wendete sich das Blatt wieder. Herzog Vladislav
sah sich gezwungen, seinen
Bruder Borivoj aus
der Verbannung zurückzurufen und ihm die Herzogswürde
abzutreten, während er selbst sich mit der Herrschaft in den
Landesteilen nördlich der Elbe begnügte. Die
Hintergründe dieses seltsamen Vorgangs bleiben im dunkeln. Die
Chronik Cosmas' von Prag läßt sich hierüber ebenso
wenig aus wie über die Umstände, warum Borivoj im
August 1120 wieder von Vladislav
entthront wurde und erneut ins Exil fliehen mußte, diesmal nach
Ungarn [53
Vgl. Cosmas von Prag, Chron. Boem., lib. III, c. 43 und 46,
MGH SSrG NS 2, 217 ff. Siehe auch BRETHOLZ, Geschichte Böhmens
199f.;
HOENSCH, Geschichte Böhmens 67.]. Hier
starb er am 2. Februar 1124 nach einem
wechselvollen Lebensweg [54 Vgl. Cosmas von Prag, Chron. Boem., lib. III, c. 54,
MGH SSrG NS 2, 217f., der hier in einem dichterischen Einschub sowohl
der zweimaligen Herzogserhebung und des zweimaligen Sturzes als auch
der
15-jährigen Verbannung inklusive der sechsjährigen Haft Borivojs
gedenkt; der Chronist versagt sich dabei ausdrücklich, die
Hintergründe hierfür darzulegen.].
Ein politisches Zusammenwirken Boriwojs mit seinem babenbergischen Schwager Leopold
III. läßt sich nur einmal nachweisen. Um 1118/19
unternahmen beide gemeinsam einen Feldzug gegen König Stephan II. von Ungarn (1116-1131), der in die Grenzlande der
Mark Österreich eingefallen war [55
Otto von Freising, Chron., lib. VII,
c.15, MGH SSrG
[45], 330f. Siehe auch LECHNER, Babenberger 130; KRISTO/MAKK,
Könige Ungarns 246f. BRETHOLZ, Geschichte Böhmens 199,
hält den hier
erwähnten dux Boemorum
irrtümlicherweise für Herzog
Vladislav I.]. Ob Gerberga das
bewegte Leben ihres
Gatten stets begleitet hat, läßt sich nichf sicher
feststellen. Anfang der 1120-er Jahre taucht sie als Intervenientin in
einer Urkunde ihres Bruders Leopold
III. auf, wobei sie ausdrücklich als ductrix de Boemia bezeichnet
wird [56
Vgl. BUB 4/l, No. 633, 61f.].
Womöglich ist dies ein Zeichen dafür, daß sie sich
damals dauerhaft am markgräflichen Hof aufhielt und zumindest das
ungarische Exil Borivojs
nicht teilte. Sie starb erst geraume Zeit nach
ihrem Gemahl am 11. Juli 1142. [57
Cont. Sazav. zu 1142, MGH SS 9, 159: Eodem
anno 3. Idus Iulii obiit Kerberk,
coniunx Boriwoy.]
Auch Gerbergas Schwester Ida
heiratete in die böhmische
Fürsten-Familie der PREMYSLIDEN
ein. Sie wurde die Gemahlin des
mährischen Teilfürsten Liutold von Znaim [58 Vgl. das
Quellenzitat in Anm.43. Denmach scheint
Ida die mittlere der drei
Schwestern Leopolds III. gewesen
zu sein,
deren Geburt zwischen der Elisabeths und
der Gerbergas anzusetzen ist.]. Dieser war ein Sohn
Konrads von Mähren
(† 1092), welcher im
Janaur 1092 seinem Bruder Vratislav II. im böhmischen Dukat
gefolgt war, aber
schon nach achtmonatiger Regierungszeit starb [59 Vgl.
BRETHOLZ, Geschichte Böhmens 188f.]. 1100
mußte Liutold vor seinem Vetter Herzog Bretislav II. aus
Mähren fliehen, konnte aber
nach dessen Tod wieder zurückkehren und unterstützte im Jahr
darauf den schon
erwähnten, fehlgeschlagenen Versuch seines Bruders Odalrich von Brünn, Herzog Borivoj
zu stürzen [60 Vgl.
Cosmas von Prag, Chron. Boem., lib. III, c. 12, 14 und 15, MGH SSrG NS
2, 172f.,176ff.].
Die Tatsache, daß Borivoj und Liutold Vettern und über
ihre babenbergischen Ehefrauen
auch noch verschwägert
waren, hinderte sie
also keineswegs daran, sich gegenseitig zu bekämpfen. Nach 1101
allerdings scheint sich Liutold
aus den böhmischen Thronstreitigkeiten herausgehalten und auf
seine Herrschaft in
Znaim beschränkt zu haben. Sein Todesjahr läßt
sich nur annäherungsweise bestimmen. Cosmas von Prag zufolge soll
er vor
Odalrich gestorben sein, dessen Tod um 1113/15 anzusetzen ist [61 Cosmas von Prag, Chron. Boem. zu
1115, lib. III, c. 41, MGH SSrG NS 2, 214: Interna Odalrico,
ducis Cunradi filio,
inevitabili fato e medio sublato, fratre vero eius iuniore Lutoldo olim antea
similiter ab hac luce subtracto, [..]. Die Ann. Gradic., MGH SS
17, 649, melden den Tod Odalrichs
zu 1113. LECHNER, Babenberger 119, setzt den Tod Liutolds in das Jahr 1115;
demgegenüber gibt das Stemma 'Premysliden, II (Mährische
Linie)' von Josef ZEMLICKA, in: LMA 9 (1998), das Todesjahr Liutolds mit 1112 an; ebenso
Europäische Stammtafeln NF 1/2 (1999), Tafel 179.]. Über
den Zeitpunkt seiner Eheschließung mit Ida sowie über ihr Todesdatum
geben
die Quellen keine Auskunft. Aus ihrer Ehe stammte der mährische Teilfürst Konrad II.
(† nach 1161) [62 Vgl. zu ihm Peter HILSCH: Konrad
II., Fürst von Mähren/Znaim, in: LMA 5 (1991) 1344.].
Die Verbindungen der beiden BABENBERGERINNEN
mit Angehörigen der
böhmischen Fürsten-Familie zeugen von dem Bestreben
des österreichischen Markgrafen, mit den PREMYSLIDEN zu
einem einvernehmlichen Verhältnis zu finden, deren
Herrschaftsbereich sich unmittelbar im Norden der Mark anschloß.