Lexikon des Mittelalters:
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I. Früh- und Hochmittelalter
2] Geschichte:
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Als Brückenort an zentralem Oderübergang und
Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrswege war Breslau der beherrschende Landesmittelpunkt
von Schlesien. Im Schnittpunkt vorgeschichtlicher Straßen entstand
im 8.-9. Jh. auf der späteren Dominsel in Breslau am Platz des Oderübergangs
eine Wehrsiedlung, die nach dem Ende des Großmährischen Reiches
in böhmischen Besitz kam (Vratislav I.) und mit Burg und Vorburg
um die Mitte des 10. Jh. zum Stützpunkt premyslidischer
Herrschaft ausgebaut wurde. Nach der Eroberung und Eingliederung Schlesiens
(990) in den Staat der Piasten (Polen)
wurde Breslau auch Bischofssitz im Rahmen der im Jahre 1000 errichteten
Erzdiözese Gnesen, wobei die territoriale Basis des Bistums vor allem
im Neisse-Ottmachauer Kirchenland und im 1344 erworbenen Herzoogtum Grottkau
bestand. Die Annexion Schlesiens durch Bretislav I. von Böhmen
(1039) blieb Episode. Die Kriege Kasimirs
I. bestätigten in dem von Kaiser
Heinrich III. 1054 in Quedlinburg vermittelten Friedensschluß
die Zugehörigkeit Schlesiens zum Piasten-Staat.
Damit eröffnete sich eine Periode raschen Wachstums für Breslau,
das als Pfalzort und Bistumssitz zu den »sedes regni principales«
gehörte. Die Burgstadt auf der Dominsel umfaßte drei miteinander
verbundene Teile: die Burg mit Pfalz, Pfalzkirche und Abtei St. Martin;
die Vorburg (suburbium), wo unter anderem die Kirche St. Peter durch die
Herren Bezelin und Mikora in der Mitte des 12. Jh. gegründet wurde;
und die Domburg mit einem monasterium der Chorherren. Am rechten und linken
Ufer erfolgte seit Ende des 11. Jh. eine dichte Bebauung mit Sitzen und
Höfen von Adligen, Klöstern, Märkten, Siedlungen von Kaufleuten
und Handwerkern, Dienstsiedlungen und Dörfern. Um die Wende des 11.
Jh. gehörte die Mehrzahl der Siedlungen im Umkreis von 10 km um die
Burgstadt der Familie des mächtigen
Adligen Peter Wlast, welcher
auch über dem Oderübergang gebot; die Umwandlung der vorstädtischen
Dörfer in Siedlungen mit städt. Funktionen war mit der Wiederbelebung
der hzgl. Herrschaftsrechte in der Burgstadt (besonders unter Wladyslaw
II. seit 1138) und ihrer Umgebung verbunden. Im 12. Jh. entwickelte
sich Breslau, als Knotenpunkt der Wege aus Meißen und Böhmen
nach Groß- und Kleinpolen verkehrsgeogr. äußerst günstig
gelegen, zur bedeutenden Residenz- und Handelsstadt. In der 2. Hälfte
des 12. Jh. war Breslau ein Konglomerat mehrerer Stadtteile, die der Gewerbe-
und Handelstätigkeit dienten. Am rechten Oderufer neben der Benediktinerabtei
St. Vinzenz, gegr. vor 1138 durch den Grafen Peter Wlast, lag das
Atrium, welches (in der in Lothringen gebräuchl. Bedeutung des Wortes)
als eine befestigte Siedlung von Kaufleuten und Handwerkern zu betrachten
ist; vor diesem Atrium fanden die Jahrmärkte in der Woche vor dem
St. Vinzenz-Fest statt; sowohl die Benediktiner von St. Vinzenz als auch
die Prämonstratenser, welche die Abtei 1190/93 übernahmen, stammten
aus Lothringen. Am linken Ufer lag die »platea Romanorum« (Gasse
der Wallonen?) mit der Kirche St. Mauritius. Das Patrozinium St. Nikolai
der Kirche in Nabytyn mit der Taberna zeigt die Beziehungen dieser Siedlung
zu den Kaufleuten an. Eine Marktsiedlung, deren Lage unbekannt ist, ein
Judenviertel, einige Krüge und Fleischbänke am Oderübergang,
der über die Sandinsel (Arena, Piasek) führte, runden das Bild
der frühstädt. Gewerbe- und Handelsfunktionen Breslaus im 12.
Jh. ab. Die verwickelten Besitz- und Gerichtsverhältnisse waren zu
dieser Zeit günstig für die Stadtentwicklung unter Wahrung der
Freizügigkeit der Handwerker und Kaufleute. Sie erschwerten aber die
Entstehung einer städt. Gemeinde.
Nach Schätzungen wohnten damals auf der Dominsel
ca. 1500, in den vorstädt. Siedlungen ca. 2000 Personen. Breslau entwickelte
sich auch zu einem bedeutenden Zentrum des kirchl. Lebens: Dem Bistum Breslau
war die ganze schlesische Provinz unterstellt. Die älteste Bischofskirche
St. Johannes aus dem 11. Jh., die bisher nicht lokalisiert ist, befand
sich wahrscheinlich im Suburbium; dort ist dann auf Initiative des Bischofs
Walter zwischen 1158-70/1198 der erste steinerne Dombau errichtet worden.
In der Burg und zu ihren Füßen befanden sich zwei weitere Kirchen,
St. Martin und St. Peter. Mit Sicherheit gründete Peter Wlast
in den 20-er Jahren des 12. Jh. im nördlichen Suburbium Elbing (Olbin)
die Benediktinerabtei St. Vinzenz, die 1190/93 von Prämonstratensern
übernommen wurde. Um die Mitte des 12. Jh. wurden bei der Marienkirche
auf der Sandinsel westliche Regularkanoniker angesetzt, die der Kongregation
von Arrouaise angeschlossen waren. Diese Klöster und Stifter, die
sich des Schutzes der Gründerfamilie und der Fürsten erfreuten,
wurden zu bedeutenden Zentren des künstler. und geistigen Lebens.
In diese Zeit reichen auch die Stiftungen der Kirchen St. Michael am rechten
und St. Albert am linken Oderufer zurück.
S. Trawkowski
II. Spätmittelalter
Nachdem die (nieder)schlesischen Piasten-Herzöge
und die Bischöfe zunächst gemeinsam auf der Dominsel residiert
hatten, wich der Herzog um 1200 mit einem Burgneubau (an der Stelle der
barocken Jesuitenuniversität) auf die linke Oderseite aus, auf der
östlich der Burg im Zuge der deutscehn Ostsiedlung die landesherrliche
Kolonisationsstadt Breslau entstand. 1214 ist hier ein Schultheiß
(Leiter einer deutschen Siedlergemeinde) bezeugt. 1226 übergab der
Bischof die alte Pfarrkirche St. Adalbert an die Dominikaner und übertrug
die Pfarrechte auf die Bürgerkirche St. Maria Magdalena. Die erste
Lokation dürfte demnach gegen 1214, jedenfalls vor 1226 um den Neumarkt
und St. Maria Magdalena erfolgt sein.
Die aufblühende Stadt fiel 1241 dem Mongolensturm
(Mongolen) zum Opfer, wurde aber noch im gleichen Jahre in einer großzügigen
zweiten Lokation unter Einschluß des Gebiets der ersten Gründung
in planmäßigem Gitterschema mit leicht nach Süd-Westen
verschobenem Zentrum um den Großen Ring (mit umfangreichen Markteinrichtungen),
den kleineren Salzring und die (zweite) Pfarrkirche St. Elisabeth (um 1245)
wieder aufgebaut. 1260-70 erfolgte die Befestigung mit Mauern, Türmen
und Toren. 1263 wurde eine - 1327 eingemeindete - selbständige Tuchmacher-Neustadt
zwischen Oder und Ohle angelegt. 1261 erhielt Breslau (wahrscheinlich zum
zweiten Mal) Magdeburger Recht, das es mit Modifikationen als Magdeburg-Breslauer
Recht an mehr als 65 Städte in Schlesien, Polen und Mähren weitergab
und so Oberhof wurde. Krakau war bereits 1257 zu Breslauer Recht loziert
worden. Zum Jahre 1254 sind neben dem Erbvogt die Stadtschöffen bezeugt,
zum Jahre 1266 der Stadtrat; von 1287 an liegen die Rats- und Schöffenlisten
vor. 1272 erhielt Breslau das Meilenrecht, 1274 das Stapelrecht, 1337 das
Salzmonopol.
Außerhalb der Bürgerstadt wie die bischöfliche
Dominsel und dieser benachbart lagen die beiden ältesten schlesiscehn
Klöster aus der 1. Hälfte des 12. Jh., das Benediktiner- (ab
1190/93 Prämonstratenser-)Stift St. Vinzenz auf dem Elbing und das
Augustiner-Chorherren-Stift St. Maria auf der Sandinsel, zu denen 1288
das Kollegiatstift Hl. Kreuz neben dem Dom und 1299 das Augustiner-Chorfrauen-Stift
St. Jakob auf der Sandinsel kamen. Innerhalb der Stadt wurden zwischen
Oderbrücke und Herzogsburg vom Herzog gegründet: Hl. Geist-Hospital
(1214), Franziskanerkl. St. Jakob (um 1240), Franziskanerinnenkl. St. Klara
(1257), Kreuzherren-Stift St. Matthias (1252); ferner entstanden: Hospital
St. Lazarus (1264), Johanniter-Kommende Corpus Christi (vor 1273), Dominikanerinnenkl.
St. Katharina (1294), Hospital St. Trinitatis (1318), Augustiner-Eremiten-Kl.
St. Dorothea (1351), Hospital Hl. Elftausend Jungfrauen (1400), Hospital
St. Clemens (um 1400), Hospital St. Hieronymus (1410), Hospital zum Hl.
Grab (1412), Franziskaner-Observanten zu St. Bernhardin (1453) und Hospital
St. Barbara (1461).
Infolge mehrfacher Teilungen umfaßte das Herzogtum
Breslau seit 1311 im wesentlichen nur noch die Städte und Weichbilder
Breslau, Neumarkt und Namslau. 1327 übereignete der letzte Breslauer
Piasten-Herzog Heinrich VI. auf Drängen
der Stadt sein Land unter Vorbehalt des Nießbrauchs auf Lebenszeit
an den König von Böhmen, der nach dem Tode Heinrichs VI.
1335 in Breslau zur Verwaltung des nunmehr böhmischen Erbfürstentums
einen Landeshauptmann einsetzte. 1359-1635 führte zumeist der Stadtrat
(Ratsälteste) die Landeshauptmannschaft des Fürstentums. Dies
bedeutete weitestgehende Handlungsfreiheit für die Stadt sowie politischen
Rang und Einfluß über den Kreis der schlesischen Fürsten
hinaus. Im Breslauer Rathaus, das seit 1299 bezeugt ist, nicht in der herzoglichen
Burg oder am Bischofssitz, fanden die gesamtschlesischen Fürstentage
statt.
In der 2. Hälfte des 14. Jh. erlebte Breslau, nach
Prag die bedeutendste Stadt der böhmiscehn Länder, seine höchste
wirtschaftliche, politische und kulturelle Blüte. Von 1387-1474 gehörte
es der Hanse an und zählte mit rund 20.000 Einwohnern und 30 Zünften
zu den größten und wohlhabendsten deutschen Städten. Ein
Tuchmacheraufstand 1333 und eine Rebellion der Zünfte 1418 konnten
das patrizische Stadtregiment nicht wirklich erschüttern. Nachhaltige
Schäden brachten dagegen dem antihussitisch eingestellten Breslau,
in dem König Siegmund 1420 einen
Reichstag abhielt, die Hussitenkriege (1420-36), sowohl durch verlustreiche
Kämpfe und kostspielige Befestigungen, wie vor allem durch Gefährdung
und Sperrung der wichtigen Handelswege über Böhmen nach Oberdeutschland,
zu dem im 15. Jh. enge Verbindungen bestanden, und ihre schließliche
Verlagerung nach Norden und Süden unter Umgehung von Brreslau. Dem
hussitisch-utraquistischen Reichsverweser Georg
von Podiebrad widersetzte sich
Breslau ebenfalls und huldigte stattdessen 1469 König
Matthias Corvinus von Ungarn, dem es bis zu seinem Tode 1490
unterstellt blieb. Dann kehrte es - nach einer Zwischenphase unklarer Zugehörigkeit
- in den Verband der böhmischen Länder zurück, mit denen
es 1526 an die Habsburger fiel. 1471-1504
wurde der prachtvolle Rathausbau vollendet. Seit 1409 andauernde Bestrebungen
einer Universitätsgründung in Breslau scheiterten trotz eines
1505 bereits ausgestellten königlichen Patents, da der Papst auf Betreiben
Krakaus die Bestätigung versagte. 1523 führten Rat und Bürgerschaft
in ihrem Zuständigkeitsbereich die Reformation ein, während der
außerstädtische bischofliche Dombezirk und die nichtstädtiscehn
Klöster und Stifter katholisch blieben. - Vgl. auch zur Wirtschaft
Schlesien.
J.J. Menzel