Begraben: Rom, St. Peter
Sohn des Seigneur Milon von Lagery bei Chatillon-sur-Marne
eigentlich Odo de Lagery
Lexikon des Mittelalters: Band VIII Spalte 1282
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Urban II., Papst seit 12. März 1088 (Wahl und Inthronisation
in Terracina)
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* um 1035, + 29. Juli 1099
Chatillon-sur-Marne Rom
eigentlich Odo von Chatillon
Begraben: Rom, St. Peter
Entstammte einer Adelsfamilie aus der Champagne, Studien
in Reims bei Bruno dem Kartäuser, wurde Kanoniker und Archidiakon
in Reims, seit 1067/70 Mönch, dann Prior in Cluny, um 1080
von Gregor VII. zum Kardinalbischof
von Ostia erhoben, 1084-1085
päpstlicher Legat in Deutschland.
Mit seiner Wahl versuchten die Gregorianer, die seit den letzten Jahren
Gregors VII.
anhaltende Krise des Reformpapsttums zu überwinden.
Die Papstnamenwahl zeigt wie bei anderen Päpsten des Reformzeitalters
das programmatische Anknüpfen an die Päpste der frühen Kirche.
Urban II. bekannte sich stets zu Gregor
VII., dessen "Gregorianische" Reform er zum historischen Durchbruch
verhalf. Er war in seiner Reformaktion, Kirchenregierung und Politik bei
aller Entschiedenheit, Energie und Prinzipientreue sehr moderat, realistisch
abwägend, diplomatisch, konziliant, stark auch von seelsorgerlich-praktischem
Interesse bestimmt.
Aus schwierigsten Anfängen heraus setzte Urban
II. sich bis 1095 als rechtmäßiger Papst durch, nicht
zuletzt mit Hilfe seiner Hauptverbündeten: Mathilde
von Tuszien, die ihn gegen Kaiser
HEINRICH IV. verteidigte, und der Normannen, die ihm in
S-Italien ein Wirkungsfeld sicherten. Durch entschlossene Führung
von Kirchenreform, Konzilgesetzgebung, vielfältige Tätigkeit
des päpstlichen Gerichts, wie durch angemessene Dispensanwendung und
bedingte Konzessionsbereitschaft, auch durch persönliches Auftreten
und Wirken (in Italien und auf einjähriger Frankreichreise [1095-1096])
verschaffte er der päpstlichen Autorität weithin Geltung. Das
im Investiturstreit entstandene kaiserliche Papstschisma konnte Urban
II. zwar nicht beseitigen, aber den Gegen-Papst
Clemens III.
seit 1093 entscheidend zurückdrängen. Auch
das Investiturproblem konnte nicht gelöst werden, zumal nicht im Imperium,
wo HEINRICHS IV. Festhalten am Gegen-Papst
jede Verständigung verhinderte. Aber Urban
II., dem die Zugehörigkeit eines Bischofs seiner Obedienz
wichtiger war als eine vom König erhaltene Investitur, vermochte noch
nicht, den Lösungsvorschlag Ivos von Chartres rechtlich und kirchenpolitisch
zu akzeptieren. Das von ihm erneuerte Investiturverbot entwickelte Urban
II. konsequent weiter zum Verbot des Lehnseides (ligia fidelitas,
hominium) für Geistliche gegenüber Laien (Konzil von Clermont
1095). Mit dem normannischen Staatskirchenwesen fand Urban
II. sich ab: in England mit Konzessionen an Wilhelm
II.
um seiner Anerkennung als Papst willen und im Streit um
Anselm von Canterbury; in S-Italien-Sizilien, der Gründungsurkunde
der Monarchia Sicula. In Frankreich ließen es weder Papst noch König
zu einem eigentlichen Investiturstreit kommen; hier brachte zwar der Ehehandel
Philipps
I. den Konflikt mit Urban II.,
doch konnte der völlige Bruch vermieden und der historische Bund zwischen
Papsttum und französischem Königtum vorbereitet werden. In Spanien
förderte Urban II. die Reconquista
und kirchliche Neuordnung (Toledo mit spanischem Primat, Tarragona, Santiago
u.a.), ebenso in Sizilien (normannische Bistumsgründungen nach Rückeroberung).
Urban II.vertrat die wesensbedingte
Überordnung der priesterlichen Funktion und Gewalt über jede
laikale und herrscherliche, die für ihn mögliche Kooperation
mit christlichen Herrschern kennzeichnet ein päpstliches Schutz- und
Freiheitsprivileg für König Peter I.
von Aragon (1095). Urbans II. stärkste
Ausstrahlung und seine größten Erfolge zeigten sich in den romanischen
Ländern, hier hatte auch sein Kreuzzugsaufruf die nachhaltigste Wirkung.
Urbans II. Kreuzzug stand im Zusammenhang
mit seiner Byzanzpolitik: Die Verhandlungen (1089) mit Alexios
I. und dem Patriarchen Nikelaos III. von Konstantinopel über
die Wiederbelebung der alten Einheit von lateinischer und griechischer
Kirche scheiterten zwar, doch blieben gute Beziehungen zwischen Papst und
Kaiser. Beim Hilferuf
Alexios' I. vor
dem Konzil von Piacenza (1095) verbanden sich der Wille zur Byzanzhilfe,
die Idee der Reconquista und Urbans II. geschichtstheologische
Deutung des Zeitgeschehens (nach Dan 2,21) als der in Bußgeist zu
vollziehenden Wiederherstellung der alten Christenheit in gottgefügter
Zeitenwende. Der Kriegszug zur Befreiung Jerusalems und aller orientalischen
Christen und Kirchen, zu dem Urban II.
beim Konzil in Clermont (November 1095) und öfter in Frankreich und
Italien aufrief, entwickelte als Kreuzzug bald historische Eigengesetzlichkeit;
sein erstaunlicher Erfolg vermehrte das Ansehen des Reformpapsttums (gemäß
Urbans
II. Konzeption vom Papst als Haupt der Priesterkirche und Laiengesellschaft
umfassenden Christianitas), führte aber nicht zur Einheit der griechischen
und lateinischen Christen.
Papsturkunden und Akten der wichtigsten von Urban
II. selbst geleiteten Konzilien
zeigen ein breites Spektrum behandelter Materien, neben eigentlichen Reformthemen
(Investitur, Simonie, Priesterzölibat, schismatische und häretische
Weihen und Ordinationen) etwa: Gottesfriede und Kreuzzug, Dogmatik (Filioque
und Verständigung mit den Griechen in Bari 1098), Kirchendisziplin,
Eherecht, Seelsorge, Marienverehrung, Probleme des Kirchenrechts. Viele
seiner Rechtsentscheidungen gingen in Kanonesammlungen und das Decretum
Gratiani ein. In der Kirchenverfassung stärkte Urban
II. die Episkopalstruktur, die ganz auf den mit Petrus identifizierten
Papst als universalen Bischof und Primas der Gesamtkirche konvergieren
sollte. Als Cluniazenser förderte
Urban II.
die
traditionellen Benediktinerklöster und Kongregationen, aber auch neue
Orden wie die Kartäuser, die Zisterzienser in den Anfängen mit
Robert von Molesme, auch Robert von Arbrissel und die Wanderprediger mit
neuen monastischen Lebensformen. Als ehemaliger Kanoniker war Urban
II. besonders Gönner und Gesetzgeber der Regularkanoniker.
In Urbans II. Pontifikat fielen der
Ausbau der römischen Kurie und die Neuorganisation der Finanzverwaltung
mit päpstlichem Kämmerer (aus Cluny). Es begann eine neue Phase
der Entwicklung des Kardinalskollegs und der Mitwirkung der Kardinäle
an der päpstlichen Kirchenorganisation
Quellen:
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IP - Jaffe I, 675-701; II, 713, 752f. - GP - LP II, 293-295;
III, 65 - Watterich, 571-620, 744-746.
Literatur:
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Th. Ruinart, Vita, MPL 151, 9-266 - Haller II, 433-471
- HE VIII, 177-337 - HKG III, 1, 442-450 u.ö. - Seppelt III, 118-134
- A. Becker, Papst U. II., T. 1-2 (MGH Schr. 19, 1-2, 1964-1988) - Ders.,
U. II. und die dt. Kirche (VuF 17, 1973), 241-275 - H. Fuhrmann, Papst
U. II. und der Stand der Regularkanoniker, SBA.PPH, 1984, Nr. 2 - G. Tellenbach,
Die w. Kirche (Die Kirche in ihrer Gesch., 2, Lfg. F, 1, 1988), 201-216
u.ö. - A. Becker, Päpstl. Gerichtsukk. und Prozeßverfahren
z. Zt. U.s II. (Zw. Saar und Mosel [Fschr. H.-W. Herrmann, 1995], 39-48
- Rechtsprinzipien und Verfahrensregeln im päpstl. Gerichtswesen z.
Zt. U.s II. (Landes- und Reichsgesch. [Fschr. A. Gerlich (Geschichtl. LK
42), 1955], 53-66.
Kühner Hans: Seite 150
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"Lexikon der Päpste"
Den in Terracina gewählten einstigen Prior von Cluny
und rückhaltlosen Vertreter der gregorianischen Reformbestrebungen
nannte Petrarca ein "vornehme, achtungsgebietende Gestalt". Er war Schüler
Bruns II. von Köln gewesen, des Gründers des Karthäuserordens
als eine der ersten auf Cluny folgenden zyklischen Gründungen der
Reformzeit. Der Papst konnte das von Gegen-Papst Klemens III. besetzte
Rom erst mit Hilfe der Normannen nach neun Monaten betreten. Sein Herrschaftsbereich
war allerdings nur die Tiberinsel, wo er von frommen Gaben lebte. In den
Straßen von Rom tobten die Kämpfe der Faktionen von Papst und
Gegenpapst. Die Römer verjagten zwar den Gegen-Papst, doch auch der
Papst mußte für Jahre Schutz auf normannischen Gebiet suchen,
während Kaiser HEINRICH IV. erneut
siegreich nach Italien vorrückte und gegen die Großgräfin
Mathilde von Tuszien, die einzige zuverlässige Verbündete der
Päpste, Krieg führte. Erst nach der Krönung von Gegen-König
KONRAD, dem Sohne HEINRICHS IV.,
in Mailand, kehrte der Papst nach Rom zurück und schürte, zusammen
mit der Großgräfin Mathilde, erfolgreich die Rebellion des Sohnes
gegen den Vater. Herr der Stadt aber wurde der Papst noch immer nicht,
er mußte in der Stadtfestung der FRANGIPANI gegen die Anhänger
des Gegen-Papstes Zuflucht nehmen und konnte erst sechs Jahre nach seiner
Wahl zum ersten Male vom Lateran Besitz ergreifen.
Zum weltgeschichtlichen Verhängnis wurde der Pontifikat,
als Kaiser Alexios I. Komnenos von Byzanz
den Papst um Hilfe gegen die Türken aufrief, und dieser, auch hierin
ein gelehriger Schüler
Gregors VII., das offizielle Zeitalter
der Kreuzzüge begründete, die als "heilige" Kriege zu einer der
schwersten Hypotheken für Papsttum und Kirche bis in den Zweiten Weltkrieg
hinein geworden sind. Die Grundthese des Papstes bildete die angebliche
Verfolgung der Christen im Orient. Sie wuchs sich bald zu dem Ziele aus,
das Grab Christi in Jerusalem müsse für die Christenheit zurückerobert
werden, obwohl Jerusalem seit über viereinhalb Jahrhunderten in der
Hand des Islam war und Christen, Moslems und Juden in Frieden zusammenlebten.
Doch mit dem bekannten "Gott will es" nach dem Aufruf des Papstes von Clermont-Ferrand
war der Orkan nicht mehr aufzuhalten. Der Aufruf der ersten päpstlichen
Kreuzzugspredigt klingt seltsam vertraut: "Marsch nach Jerusalem zur Befreiung
der christlichen Kirchen". Der Marsch und die angebliche Befreiung sind
geblieben, die Ziele haben sich geändert. Um sogleich ein wirksames
Propagandamittel in der Hand zu haben, ließ man im Kloster Saint
Pierre de Moissac eine Kreuzzugsbulle fälschen, in das Jahr 1009 zurückdatieren
und
Sergius IV. unterschieben. Der Papst erklärte die Teilnahme
am Zug, das heißt, den Angriffskrieg, zum geistlichen Verdienst und
versprach den Marschierern reichen himmlischen Lohn, für den die dumpfen
Massen wie die Kreuzritter empfänglich waren. Er versprach den Eroberern
den ungestörten Besitz ihrer Eroberungen und malte in verlockendsten
Farben himmlisch untermauerte höchst irdische Ziele. Schon bald wurde
der kreuzfahrende Pilger viel höher bewertet als der friedlich und
nicht tötend ins Heilige Land ziehende Pilger mit Stab und Tasche.
Die willkürlich gezählten acht Kreuzzüge
wurden von einer ganzen Reihe von Nebenkreuzzügen begleitet. Der 1.
Kreuzzug begann mit unbeschreiblichen Judenmassakern vom Rhein bis nach
Prag. Sie wurden zu Beginn des kirchlichen Antisemitismus in seiner exekutiven
Form. Blühende Gemeinden mit hoher Kulturentwicklung gingen unter
in Blut und Brand. Und bei der Eroberung Jerusalems durch die Horden Gottfrieds
von Bouillon, zwei Wochen vor dem Tode des Papstes, kam
es zu Massenmorden an Juden und Moslems, von denen kaum einer überlebte.
Schon damit haben die Kreuzzüge sich ihr Urteil selbst gesprochen.
Sie wurden zur Repräsentanz eines militanten Glaubensbegriffes und
eines militanten Papsttums, einer Erobererkirche, die mit nie zu begründenden
territorialen Ansprüchen mordend und raubend an der Stätte von
Christi Lehren und Leiden erschien. Schon zwei Jahre später brauchten
die rein machtpolitischen Hintergründe der Kreuzzüge als Conquista
sich nicht mehr zu verhüllen. Fürstentümer waren gegründet,
Handelsmetropolen rivalisierten untereinander, Märkte wurden erschlossen,
nichtkatholische Christen verfolgt. Der wirtschaftliche Teil der himmlischen
Ekstasen, die Urban II. ausgelöst
hatte, konnte beginnen. Der Haß gegen Byzanz wurde mit allen Mitteln
geschürt. Erst die Kreuzzüge haben die Spaltung zwischen
West und Ost wirklich vollzogen, und es war der Westen, der den Islam zwang,
sich zu sammeln und nun seinerseits zum Dschihad aufzurufen, zum "heiligen
Krieg", der bis dahin nur theoretisch im Koran grundgelegt war.
Mit einer Bulle, die den normannischen Herrschern überraschende
Vorrechte einräumte, wurde Urban II. zum
Begründer der Monarchia Sicula. Die aus diesen Vorrechten sich ergebenden
Konfliktstoffe reichten noch bis zum Pontifikat Pius' IX.
Urban II. trug das
Seine bei zur Zurückdrängung der Mauren in Spanien und verband
die iberische Welt in der Zeit der Reconquista enger mit Rom. Er erwirkte
die Einsetzung des heiligen Anselm von Canterbury, des Vaters der Scholastik,
zum Erzbischof von Canterbury und Primas von England. In den Pontifikat
fällt die Gründung des Zisterzienserordens durch Robert von Molesme.
Literatur:
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Cawthorne Nigel: Das Sexleben der Päpste.
Die Skandalchronik des Vatikans. Benedikt Taschen Verlag 1999 Seite 102,103
- Goez Elke: Beatrix von Canossa und Tuszien. Eine Untersuchung
zur Geschichte des 11. Jahrhunderts, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1995
Seite 37,39,42,50,119,200 - Golinello, Paolo: Mathilde und der Gang
nach Canossa, Artemis und Winkler Düsseldorf 1998 Seite 32,246,249,262-264,266-268,270,275,277,301
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