Wer die gräflichen Gerechtsame in den übrigen
genanten Gauen nach dem Jahre 1083 wahrnahm, und welche Anteile am väterlichen
Erbe dem 3. Sohn, Kuno von Beichlingen,
und seinen drei Schwestern zufielen, läßt sich nicht nachweisen.
Die Machtstellung Kunos, die dieser als Inhaber der Burg
Beichlingen seit etwa 1088 in Thüringen innehatte, beruht zweifellos
auf dem weimar-orlamündischen Erbe seiner Gemahlin Kunigunde
und darf keinesfalls zu Rückschlüssen auf einen etwaigen thüringischen
Herrschaftsbereich Ottosverleiten.
Der Übergang gräflicher Rechte auf seine drei Töchter ist
unwahrscheinlich, vielmehr scheint auch hier die Rechtsgewohnheit, dass
Komitatsrechte und die Vogteigewalt über geistlichen Besitz nur in
der männlichen Linie eines Geschlechts vererbt werden, befolgt worden
zu sein.
Kuno ist der jüngste
Sohn
Ottos
von Northeim und Richenzas;
seine Geburt wird wie die seiner Brüder in die Jahre 1050 bis 1060
fallen. Die erste auf ihn zu beziehende Nachricht besitzen wir aus dem
Jahre 1075: am Weihnachtsfest dieses Jahres wurden er und sein Bruder Siegfried
als Geiseln in den Gewahrsam des Königs gegeben, in dem beide bis
zum Herbst 1076 verblieben. Nach dem Tode seines Vaters (1083) begegnet
er zusammen mit seinem Bruder, Heinrich
dem Fetten, und Markgraf
Ekbert II. von Meißen im Jahre 1086 als eine der maßgebenden
Führerpersönlichkeiten der sächsischen Fürstenopposition
und Parteigänger HERMANNS
VON SALM. Wahrscheinlich auf Grund seiner gleich zu besprechenden
Ehe mit der orlamündischen Erbtochter Kunigunde
von Beichlingen, die ihm zu einer außerordentlich bedeutsamen
Machtstellung in Thüringen verhalf, gelangte er in enge Beziehungen
zu Bischof Burchard von Halberstadt, einem der hartnäckigsten Gegenspieler
HEINRICHS
IV.; möglicherweise war er sogar dessen Lehnsmann.
Am 25. Juli 1087 bezeugte er in Goslar als erster der weltlichen Großen
eine Urkunde Bischof Burchards für das Kloster Ilsenburg. Auch im
folgenden Jahre befand er sich in der Begleitung des Halberstädter
Bischofs. Markgraf Ekbert war mit seinem Plan, sich an Stelle HERMANNS
VON SALM zum Gegen-König aufzuschwingen, auf den Widerstand
Hartwigs von Magdeburg und Burchards von Halberstadt gestoßen, die
entschieden die Partei für HERMANN
nahmen. Ende März 1088 ging Ekbert, nachdem er sich vorübergehend
mit dem Kaiser ausgesöhnt hatte, verwüstend gegen das Halberstädter
Bistum vor, um sich an seinem Gegenspieler Burchard zu rächen. Dieser
erwirkte einen kurzfristigen Waffenstillstand und versammelte am 5. April
in Goslar seine Anhänger, um, wie es scheint, mit ihnen über
etwaige, gegen Ekbert zu ergreifende Maßnahmen zu beraten.
Unter den in Goslar anwesenden geistlichen und weltlichen Fürsten
werden Hartwig von Magdeburg und Kuno von Beichlingen
namentlich
genannt. Am 7. April wurde Bischof Burchard von den Leuten Ekberts
ermordet; mit seinem Tod brach der letzte Widerstand sächsischer Fürsten
gegen HEINRICH IV. zusammen.
Kunos Gemahlin Kunigunde
war eine Tochter des Markgrafen Otto von Meißen aus dem Hause
WEIMAR-ORLAMÜNDE und Adelas
von Löwen. Sie brachte ihrem Gemahl aus väterlichem Erbe
die Burg Beichlingen in die Ehe, nach der dieser sich hinfort benannte.
Die Tatsache läßt darauf schließen, dass Kuno auch
einen Teil des orlamündischen Herrschaftsbereiches in Innerthüringen
als Mitgift seiner Gemahlin übernommen hatte, von dem wir indessen
keine genauere Kenntnis haben. Kuno
und Kunigunde müssen im April 1088 bereits verheiratet gewesen
sein, denn zu diesem Zeitpunkt wird der NORTHEIMER
vom Annalista Saxo anläßlich des oben erwähnten Ereignisses
von Goslar "comes.... Cono de Bichlinge"
genannt. Diese Meldung wird bestätigt durch die Angabe der Gosecker
Chronik, dass Abt Friedrich von Goseck nach dem am 27. Mai 1086 erfolgten
Tode seines Onkels, des gleichnamigen Pfalzgrafen von Sachsen, "a Cunone
comite de Bigliggen exoratus, abbatiam in Haldeslebe (Oldisleben
an der Unstrut) regendam suscepit...." Da auch die durch Kunigunde
und Kuno erfolgte Gründung dieser
Abtei in die Jahre 1088/89 zu setzen ist, dürfte der oben angegebene
terminus
ante quem als gesichert erscheinen und zugleich erwiesen sein, dass
Kuno schon zu dieser Zeit mit dem Geschlecht der Pfalzgrafen aus
dem Hause GOSECK Beziehungen getreten war. Möglicherweise läßt
sich aus der Zeugenschaft Kunos in der oben erwähnten Urkunde
Bischof Burchards von Halberstadt entnehmen, dass die Ehe bereits am 25.
Juli 1087 bestanden hat. Viel früher kann die Verbindung aber nicht
geschlossen worden sein, da der Fürst Jaropolk
von Kiew, in dem man gemeinhin den ersten Gemahl der
Kunigunde
sieht, am 22.11.1086 oder 1087 ermordet worden war. Ihrer ersten Ehe mit
Jaropolk entstammten zwei (?) Söhne, Jaroslav
und Wjatschelsav, sowie möglicherweise
eine Tochter Anastasia, die in Rußland
zurückblieben. Eine weitere Tochter, deren Namen wir nicht kennen,
kehrte mit ihrer Mutter unmittelbar nach dem Tode ihres Vaters nach Deutschland
zurück und wurde durch ihre Ehe mit dem thüringischen Grafen
Günther die Stammutter der späteren Grafen von Schwarzburg. Die
baldige Wiederverheiratung
Kunigundes
mit dem NORTHEIMER Kuno erklärt
sich am zwanglosesten aus den engen verwandtschaftlichen Beziehungen, die
damals zwischen dem northeimischen
und dem wettinischen Hause bestanden. Da Kunigundes Mutter Adela
nach dem Tode ihres 1. Gemahls mit dem WETTINER Dedi, dem Markgrafen
von der Lausitz, nach 1068 eine 2. Ehe geschlossen hatte, und andererseits
dessen Bruder Thiemo mit Ida,
einer Schwester der Northeimer Brüder, vermählt war, heiratete
Kuno eine Angehörige eines ihm
verschwägerten Familienkreises. Wenn auch zum Zeitpunkt der Eheschließung
Kunos die Stiefeltern seiner Gemahlin,
Dedi und Adela, bereits gestorben waren, so werden wettinisch-orlamündische
Beziehungen über ihren Sohn, Heinrich I. von Eilenburg,
fortbestanden haben, zumal auch die northeimisch-wettinischen
Gemeininteressen beim Prozeß Ekberts II. von Meißen
im Jahre 1088, dem vermutlichen Jahre der Eheschließung Kunos,
klar zutage traten. Da Kunigunde um
das Jahr 1060 geboren sein wird, war sie nur wenig jünger als ihr
northeimischer
Gemahl.
Im Jahre 1088, als nach der Ermordung Bischof Burchards
von Halberstadt der Friedensschluß zwischenHEINRICH
IV.
und den letzten aufständischen sächsischen Fürsten
zustande kam, wird auch Kuno von Beichlingen
zusammen mit seinen Brüdern auf die Seite des Kaisers übergetreten
sein. Im Jahre 1093 hat, wie wir aus dem oft genannten Brief Bischof Ruperts
von Bamberg erfahren, ein gutes Einvernehmen zwischen ihm und HEINRICH
bestanden, eine Feststellung, die auch für die folgenden Jahre zutreffen
wird, über die die Quellen fast völlig schweigen. Erst am Pfingstfest
des Jahres 1097 begegnet er mit anderen sächsischen und süddeutschen
Fürsten in Regensburg, als der Kaiser hier, aus Italien kommend, Hof
hielt. Weshalb sich Kuno zu dieser Zeit in Süddeutschland aufhielt,
läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Am Italienzug HEINRICHS,
der sich über 7 Jahre (1090-1097) hingezogen hatte, scheint er nicht
beteiligt gewesen zu sein, da er in keiner Kaiserurkunde dieser Zeit genannt
ist und außerdem sein Aufenthalt in Sachsen für das Jahr 1093
als gesichert gelten kann. Wie es scheint, hat Kuno in Regensburg den Kaiser
getroffen, um ihn für die Durchsetzung der Ansprüche seines Verwandten,
des späteren Pfalzgrafen Siegfried bei Rhein, auf die rheinische Pfalzgrafschaft
zu gewinnen, die seit dem Tode Pfalzgraf Heinrichs von Laach (+ 1095) zwischen
Heinrich von Limburg und Siegfried strittig war. Zu diesem Schluß
führt uns die Tatsache, dass Kuno am
9. November 1099 wiederum in S-Deutschland begegnet, als er zusammen mit
dem Pfalzgrafen
Siegfried in einer in Mainz ausgestellten Urkunde Bischof Johann
von Speyer in Gegenwart des Kaisers genannt wird, was auf enge Beziehungen
Kunos
zu Siegfried hindeutet. Als Gemahl der Kunigunde,
einer Schwester von Siegfrieds Mutter Adelheid,
und Oheim von dessen Gemahlin
Gertrud
von Northeim war er mit ihm auf doppeltem Wege verwandt. Es ist
daher anzunehmen, dass er die Ansprüche des Aspiranten auf die rheinische
Pfalzgrafenwürde nach Kräften unterstützt hat. Andererseits
wird von HEINRICH IV. vornehmlich mit
Rücksicht auf sein zu den einflußreichen Northeimer
Brüdern
bestehendes freundschaftliches Verhältnis genötigt gesehen haben,
Heinrich
von Limburg fallen zu lassen und Siegfried von Ballenstedt
zur pfalzgräflichen Würde zu verhelfen. Kunos
Anwesenheit anläßlich der Gründung des Klosters
Lippoldsberg im Jahre 1100 ist zugleich das letzte sichere Zeugnis vor
seinem Tode. Gegen Ende des Jahres 1103 wurde er von zweien seiner
Lehnsleute, Adelger von Ilfeld und Christian von Rothenburg, ermordet.
Mit dem frühen Tod
Kunos fiel
der von ihm verwaltete
orlamündische
Machtbereich an Kunigunde
und deren Erben zurück. Auch der Allodialbesitz Kunos aus northeimischen
Erbe gelangte an seine Gemahlin und seine vier Töchter,
während sein
northeimischen Komitatsbereich,
über den sich allerdings keinerlei Nachrichten erhalten haben, bei
der männlichen Linie des gräflichen Hauses - ähnlich wie
der seines Bruders, Heinrichs des Fetten - verblieben sein dürfte.
Ob er auf seinen älteren Bruder Siegfried
oder seinen Neffen
Otto,
den Sohn Heinrichs des Fetten, überging, läßt sich
nicht mit Sicherheit sagen.