Unklar ist, inwieweit Karlmann,
der am 22.9.880 wohl in Ötting die Augen schloß, noch selber
dazu beigetragen hat, dass sein weithin nominell gebliebenes italienisches
Königtum auf seinen jüngsten Bruder, den schwäbisch-elsässischen
Teilherrscher KARL III., überging.
Der historische Aufstieg dieses KAROLINGERS
begann damit, dass ihn Papst Johannes VIII., enttäuscht in seinen
Erwartungen eines westfränkischen Eingreifens, im Frühjahr 879
nach Italien einlud und Karlmann im
August anscheinend letztmalig für ein italienisches Kloster urkundete.
Von niemandem angefochten, überquerte KARL
III. im Oktober die Alpen, fand in Pavia die Anerkennung der
dort erschienenen Magnaten und zog weiter nach Ravenna, wo er vom Papst
Anfang 880 eine Salbung zum König von Italien empfing und seinen Erzkanzler
Liutward als neuen Bischof von Vercelli durchsetzte. Er hätte nach
dem Wunsch Johannes VIII. den Weg gleich bis Rom verlängern und mit
der Kaiserwürde die seit dem Tod LUDWIGS
II. verwaiste Rolle eines Schutzherrn der römischen Kirche
und Mittelitaliens übernehmen sollen, wollte sich aber vor weiteren
Schritten zunächst innerhalb der Familie absprechen und kehrte daher
in die Francia zurück, wo sich sein Bruder Ludwig
der Jüngere soeben im Vertrag von Ribemont die W-Hälfte
Lotharingiens gesichert hatte. Nicht mit ihm, von dem im Sommer 880 erstmals
auch eine Erkrankung gemeldet wird, sondern mit den westfränkischen
Neffen traf er sich im Juni zu einem Frankentag in Gondreville, von dem
dann die gemeinsame Attacke gegen die Usurpatoren Hugound
Boso
ausging.
Erst nach dem Abbruch der Belagerung von Vienne ließ er sich von
Johannes bewegen, erneut nach Italien zu kommen, und nahm nun aus seiner
Hand am 12.2.881 in Rom die Kaiserkrone entgegen. Nach dem Tode seines
Bruders Ludwig der Jüngere kehrte
er aus Italien zurück und empfing zunächst in Bayern, dann im
Mai in Worms die Huldigung als nunmehr alleiniger Herr des mit Lotharingien
und Italien vereinigten O-Frankenreiches. Unter dem Eindruck der jüngsten
Normanneneinfälle strömte ihm ziemlich rasch eine große
Streitmacht aus Franken, Bayern, Schwaben, Thüringern, Sachsen und
anderen zum Kampf gegen die Normannen zu, die im Juli deren Hauptstützpunkt
Asselt einzuschließen vermochte. Von der erwarteten Erstürmung
sah der Kaiser jedoch bald ab und gewährte den Feinden freien Abzug
und neue Zahlungen gegen die Zusicherung ihres Anführers Gottfried,
sich taufen zu lassen, eine Lehnsherrschaft in Friesland zu übernehmen
und durch Heirat mit Lothars II. Tochter
Gisela
(aus der nicht anerkannten Ehe mit Waldrada)
in die karolingische Familie einzutreten.
Das Verhalten KARLS III.
entsprach
wohl der Überlegung, durch Respektierung der faktischen Machtlage
in Lotharingien, in die auch Giselas
Bruder Hugo durch Überlassung
der Einkünfte des Bistums Metz einbezogen wurde, eine notdürftige
Befriedung herbei führen zu können, doch wurde dies, wie das
entrüstete Echo in den zeitgenössischen Quellen zeigt, von dem
maßgeblichen Kreisen kaum verstanden und eher als schmähliche
Schwäche ausgelegt, die der Autorität des Kaisers Abbruch tat.
Da man nach dem Tode des westfränkischen
König Karlmanns, Karl,
den Sohn Ludwigs des Stammlers von
Adelheid
nicht
berücksichtigte, blieb allein der gerade in der Lombardei weilende
KARL
III. übrig, dem eine Gesandtschaft unter Graf Theoderich
von Vermandois die Einladung zur Herrschaftsübernahme unterbreitete.
Der Kaiser erschien im Juni 885 in Ponthion und nahm die Huldigung der
bisherigen Untertanen Karlmanns entgegen.
Innerhalb von nur 6 Jahren war ihm ohne sonderliche Mühe, als bloße
Konsequenz dynastischen Erbrechts, die Vereinigung sämtlicher Reichsteile
in seiner Hand gelungen.
Am Willen, der gewaltigen Aufgabe Herr zu werden, hat
es KARL III., der zwischen 879 und
886 zwölfmal die Alpen überquerte, nicht fehlen lassen. Die akutesten
Sorgen bereiteten weiter die Normannen, die nach ihren Beutegewinnen in
W-Franken 884 den Schwerpunkt wieder mehr östlich, in die Gegend von
Löwen, verlagert hatten. Die Verbindung der Gruppe um Gottfried mit
dem lothringischen Prätendenten Hugo
war bereits vor KARLS III. Rückkehr
zerschlagen worden. Gegen ein vermeintlich gefährliches Komplott beider
Schwäger rückte nämlich Graf Heinrich vom Grabfeldgau, Stammvater
der BABENBERGER und bewährter Heerführer schon Ludwigs
des Jüngeren, im Mai 885 an den Niederrhein und ließ
Gottfried mit vielen der Seinen während vorgetäuschter Verhandlungen
umbringen, nachdem man zuvor seine Gattin Gisela,
die Tochter Lothars II., in Sicherheit
gebracht hatte (+ 907 als Äbtissin von Nivelles und Fosses); wenig
später wurde auch Hugo, ihr Bruder,
in Gondreville in einen Hinterhalt gelockt, überwältigt und geblendet,
um seine Tage als Mönch im Kloster Prüm zu beschließen
(+ nach 895). Der lotharingische Mannesstamm war damit ausgeschaltet,
aber die Bedrohung durch die Normannen keineswegs überwunden, wenn
auch deren Herrschaft in Friesland zusammenbrach. Als neues Ziel erkor
ein großer Teil von ihnen den Seineraum und zumal die Stadt Paris,
die seit Ende November 885 fast ein Jahr lang umzingelt wurde. Dass sie
allen Angriffen standhielt, lag wesentlich an der Tatkraft des während
der Belagerung gestorbenen Bischofs Gauzlin wie auch besonders des Pariser
Grafen Odo, dessen unerschrockener Kampfesmut an seinen Vater
Robert den Tapferen gemahnte. KARL III.
dagegen wich monatelang der Konfrontation aus, erschien erst nach einem
Italienzug im Oktober 886 vor Paris, wo der mit einer ostfränkischen
Truppe vorausgeschickte BABENBERGER Graf Heinrich inzwischen gefallen war,
und erreichte den Abzug der Feinde wie zuvor in Asselt nur durch eine Vereinbarung,
die ihnen neue Lösegelder zusicherte und Burgund zur Überwinterung,
de facto zur Plünderung freigab, - gemäß zeitgenössischem
Kommentar ein "wahrhaft allzu erbärmlicher Ratschluß".
Gerade weil KARL III. kaum
noch imstande war, alle drängenden Probleme des ihm zugefallenen Großreiches
selber resolut anzupacken, und weil er anders als seine Vorgänger
auch keine Familienmitglieder mehr hatte, denen er Teile seiner Verantwortung
delegieren konnte (abgesehen vom Neffen ARNULF,
zu dem er Distanz hielt), verdient Aufmerksamkeit, auf wen sich der Kaiser
bei seiner unverhofften Alleinherrschaft stützte und welche historischen
Folgen das hatte. In seiner näheren Umgebung war der anfängliche
Erzkapellan, Bischof Witgar von Augsburg, noch während des auf Schwaben
begrenzten Regiments von Liutward überspielt worden, einem aus der
Reichenau hervorgegangenen Kanzleinotar, dem seine Gegner später niedere
Herkunft vorwarfen; er erscheint seit 878 bereits als Erzkanzler und war
seither von überragendem Einfluß auf KARL,
der ihn 880 mit dem Bistum Vercelli und nach dem Gewinn ganz O-Frankens
882 möglicherweise auch anstelle Liutberts von Mainz mit der Würde
des Erzkapellans ausstattete. Gleich ihm waren es weiter "Alemannen, denen
er vornehmlich die Führung seiner Herrschaft anvertraut hatte", wie
ein rückblickender Annalist kritisch und durchaus konform mit dem
Eindruck moderner Forschung vermerkte, wonach KARLS
Hofkapelle trotz aller Ausweitung seiner Macht "weitgehend den Charakter
der landschaftlich gebundenen Teilkapelle" beibehielt (J. Fleckenstein).
Dieser räumlichen Isolierung in der Spitze steht die Bereitschaft
des Kaisers gegenüber, ganze Reichsteile der Dominanz einzelner regionaler
Machthaber zu überantworten. So verstärkte er in Italien das
Gewicht BERENGARS VON FRIAUL, indem
er ihn mit Strafmaßnahmen gegen den Rivalen WIDO
II. von Spoleto beauftragte, und in W-Franken verhalf er dem
ROBERTINER
Odo zum weiteren Durchbruch, als er ihm zur Grafschaft Paris
886 nach dem Tode Hugos des Abtes auch noch dessen hinterlassene Hoheitsrechte
in Neustrien und an der Loire hinzugab. In die Herrschaftsbildung des burgundisch-provenzalischen
Raums griff er als Kaiser gar nicht erst ein, aber auch innerhalb O-Frankens
hat er die Konsolidierung der liudolfingischen
Macht in Sachsen durch Otto (den Erlauchten), den Bruder des gegen die
Wikinger gefallenen Brun, zumindest nicht behindert, und das obgleich dieser
Schwager Ludwigs des Jüngeren
durch die Heirat mit einer Tochter des BABENBERGERS Heinrich bereits weitere
Kreise zu ziehen begonnen hatte. Heinrichs Bruder Poppo festigte indessen
seine Vorrangstellung in der thüringischen Mark gegen die Sorben.
Um allen diesen selbstbewußten Gebietern, die zunehmend
Fiskalgut und königliche Amtsträger in ihren Bann zogen, künftig
überhaupt noch einen gemeinsamen Herrn überordnen zu können,
bedurfte es dringend der einvernehmlichen Vorsorge für die Nachfolge
des Kaisers, dessen Hoffnung auf einen legitimen Thronerben, einen "kleinen
Ludwig oder Karl", wie ihn Notker von St. Gallen unbeirrbar kommen sah,
vergeblich geblieben war. Nach dem Tod des westfränkischen Adoptivsohnes
Karlmann
hatte
KARL
885 einen Versuch gemacht, seinen noch heranwachsenden außerehelichen
Sohn Bernhard (von einer namentlich
nicht bekannten Mutter) zum Erben einzusetzen, war aber am Einspruch von
Bischöfen und mehr noch an der bedenklichen Tatsache gescheitert,
dass der zur Sanktionierung des heiklen Beschlusses eingeladene Papst Hadrian
III. (884-885) auf der Hinreise einen jähen Tod starb. Das Problem
gewann neue Dringlichkeit, als der Kaiser im Winter 886/87 schwer erkrankte,
so dass er, das Schicksal seiner Brüder vor Augen, durch einen Aderlaß
während der Fastenzeit Linderung suchte. Um die allgemeine Besorgnis
zu dämpfen, schien sich ihm ein unerwarteter Weg zu eröffnen,
da der soeben verstorbene
Boso von Vienne einen
kleinen Sohn namens LUDWIG hinterlassen
hatte, der als Enkel Kaiser LUDWIGS II.
ein unanfechtbarer KAROLINGER in weiblicher
Linie war. Ungeachtet des vergangenen Streits mit seinem Vater, lud ihn
KARL mit der Mutter
Irmingard
zu
sich und ihn nahm Ende Mai 887 in Kirchen (bei Lörrach) an Sohnes
statt an, im Beisein Odos von Paris
und womöglich auch BERENGARS VON FRIAUL,
der kurz zuvor am Hof nachzuweisen ist. Die Entscheidung für einen
vielleicht gerade Sechsjährigen war indes nichts als ein ungewisser
Wechsel auf eine ferne Zukunft und brüskierte offen den erwachsenen
und handlungsfähigen, wenngleich illegitimen Neffen ARNULF
VON KÄRNTEN, der unter den ostfränkischen Großen
längst viele Anhänger hatte. In der verbreiteten Mißstimmung
kam es zu Geschehnissen, die "durch und durch rätselhaft und unheimlich"
(G. Tellenbach) erscheinen. Noch in Kirchen ließ sich der Kaiser
nötigen, seinen bis dahin allmächtigen Erzkanzler Liutward von
Vercelli vom Hof zu verweisen und durch Erzbischof Liutbert von Mainz zu
ersetzen, laut Reginos Chronik unter der Beschuldigung des Ehebruchs mit
der Kaiserin Richgard. Während
sich Liutward angeblich zu ARNULF begab
(in dessen Umgebung er allerdings nie bezeugt ist), soll sich Richgard
mit der Beteuerung gerechtfertigt haben, in 25 Ehejahren unberührt
geblieben zu sein, trennte sich von ihrem kranken Gemahl und zog sich in
das von ihr gegründete Kloster Andlau zurück. Dass dies geschah,
um KARL eine neue Ehe und doch noch
Nachwuchs zu ermöglichen, ist bloß eine vage Vermutung.
Seine Autorität scheint seither heillos erschüttert
gewesen zu sein. Als KARL III. im November
zu einer ostfränkischen Reichsversammlung in Tribur erschien, erfuhr
er, dass ARNULF mit bewaffneter Macht
herannahe, offenbar um die Anerkennung seiner Ansprüche zu erzwingen.
Der Kaiser wich noch ins nahe Frankfurt aus, bot dort aber ein solches
Bild der Hinfälligkeit, dass sich auch seine bisherigen Getreuen binnen
weniger Tage dem eingetroffenen Herausforderer zuwandten. Vom 17.11. datiert
KARLS
letzte, vom 27.11. ARNULFS erste Herrscherurkunde. Der von allen
verlassene und somit gestürzte Kaiser bat sich einige Königshöfe
in Schwaben aus und ist sehr bald auf einem von ihnen, in Neudingen an
der oberen Donau, am 13.1.888 seinem Leiden erlegen. Auf der Reichenau
trug man ihn zu Grabe.