Grabstätte: Aachen
Eltern: König Pippin der Jüngere (+ 768) und Bertrada (+ 783)
1. oo um 768 Konkubinat mit HIMILTRUD
2. oo um 769 mit ?
Eltern: Desiderius, König der Langobarden (+ ?),
und ?
verstoßen Ende 771 (?)
3. oo um 771 (vor 30.4.771)
HILDEGARD
* 758, + 30.4.783 in ?
Eltern: Graf Gerold (Franke) und ?
4. oo Oktober 783
FASTRADA
* ?, + 10.8.794
Eltern: Graf Rudolf (Franke) und ?
5. oo Herbst 794/96
LIUTGARD, Alemannin
* ?, + 4.6.800
6. o Konkubinat mit MADELGARD
7. o Konkubinat mit GERSWIND, Sächsin
8. o 800 Konkubinat mit REGINA
9. o 806 Konkubinat mit ADALLIND
Der Biograph KARLS DES GROSSEN,
Einhard, berichtet in seiner Vita Karoli Magni (verfaßt nach 830),
dass er über Geburt, Kindheit und Jugend seines Helden keine sicheren
Nachrichten habe; auch das Geburtsjahr kenne er nicht. Es spricht einiges
dafür, dass KARL 747 geboren wurde
(und nicht 742, wie die ältere Forschung annahm) als erstes Kind aus
der Ehe Pippins mit Bertrada,
die 744 geschlossen worden war. Im Jahr 751 erhielt KARL
einen Bruder namens Karlmann. Zum Geburtsjahr
747 paßt besser als zu 742, dass KARL
bis 768, dem Todesjahr seines Vaters, nicht als Anführer selbständiger
Unternehmungen hervorgetreten ist. Pippin hat
nach seiner Erhebung zum König seine beiden Söhne gleich behandelt
und dem älteren keine Vormachtstellung eingeräumt; er hatte wohl
von Anfang an beabsichtigt, das Frankenreich in zwei gleiche Teile aufzuteilen.
Die Anfänge der Regierung KARLS
treten in den Quellen nicht deutlich hervor; vielleicht sollten später
die Spannungen zwischen den beiden Brüdern verwischt oder allein als
Schuld Karlmanns dargestellt werden.
Im Jahre 768 mußte noch einmal in Aquitanien gekämpft werden;
im Verlauf dieses Kriegszugs scheint der Konflikt zwischen KARL
und Karlmann ausgebrochen zu sein.
KARL
hat nämlich versucht, seinen Bruder aus Aquitanien zu verdrängen.
Die Jahre 770 und 771 bedeuteten einen Stillstand in
den schon seit vielen Jahren sich vollziehenden Expansion des Frankenreichs;
770 wurde Tassilo III. von Bayern die Selbständigkeit zugebilligt,
und auch mit den Langobarden kam es zu einer Abmachung, nach der die Franken
auf Interventionen in Italien verzichteten. Hinter diesen Friedensschlüssen
stand eine innerfränkische Koalition von Pippins
Witwe Bertrada (Bertha) mit
ihren älteren Sohn KARL, die gegen
Karlmann gerichtet war und diesen ausmanövrieren
wollte. Ein wichtiger Baustein in diesem gegen Karlmann
gerichteten Bündnis war KARLS
Ehe mit einer Tochter des
langobardischen Königs
Desiderius, durch die KARL
zugleich der Schwager des bayerischen Fürsten Tassilo wurde; damit
war der Reichsteil Karlmanns "eingekreist".
Der Tod Karlmanns
(4.12.771) veränderte die politische Lage vollkommen. KARL
schwenkte in seiner Italienpolitik auf die Linie seines Vaters ein; er
brach mit den Langobarden und auch mit Bayern, er verstieß seine
langobardische Gemahlin und heiratete Hildegard,
die aus einem alemannischen Adelsgeschlecht stammte, um seine Position
in diesem wichtigen Gebiet, das bis dahin zu Karlmanns
Reich gehört hatte, zu festigen. Denn mit Karlmanns
Tod war KARL noch nicht selbstverständlich
Alleinherrscher im fränkischen Reich, da sein Bruder Söhne hinterlassen
hatte, die allerdings noch sehr klein waren. Es war schon in merowingischer
Zeit umstritten gewesen, ob nach dem Tod eines Bruders das Erbrecht von
dessen Söhnen wirksam werden sollte oder ob es ein Eintrittsrecht
des überlebenden Bruders gab, das stärker war als das Erbrecht
in direkter Linie. Dieser Konflikt, der durch KARL
rasch und endgültig in seinem Sinn gelöst wurde, sollte sich
im Verlauf des 9. Jahrhunderts noch mehrfach wiederholen. Die eher
unsicheren Anfänge der Regierung KARLS DES
GROSSEN lassen jedenfalls noch nicht erkennen, dass dieser Herrscher
durch seine Leistung und seine Persönlichkeit das Schicksal Europas
ganz nachhaltig beeinflussen sollte. Seine gesamte Regierungszeit war geprägt
von seinen zahlreichen Kriegen: Mit Ausnahme des Jahres 790 berichten die
Annalen von jedem Jahr, dass Kriegszüge durchgeführt wurden.
Dabei ist es zweifelhaft, ob der König von Anfang an eine umfassende
Konzeption besaß, die er nach und nach verwirklichte. Es scheint
eher so gewesen zu sein, dass KARL durch
seine Erfolge beflügelt wurde, sich immer neue Ziele zu setzen.
Man kann sicher nicht sagen, dass KARL
nur "Glück" hatte, aber zweifellos wurde die erfolgreiche Bildung
eines großen Reiches dadurch begünstigt, dass die politische
Großwetterlage eine solche Reichsbildung zuließ.
Den ersten großen Erfolg konnte KARL
in
Italien erringen. Dorthin war Karlmanns
Witwe Gerberga Anfang 772 mit ihren
Kindern und ihren Anhängern geflohen; sie wurde von König
Desiderius aufgenommen. Die Gefahr, die von der Familie seitens
des verstorbenen Bruders für seine Herrschaft ausging, war ein wichtiger
Grund dafür, dass KARL so rasch
einen Feldzug gegen die Langobarden unternahm, wie ihn die Päpste
schon seit längerem gefordert hatten. Anders als sein Vater beabsichtigte
KARL
wohl
von Anfang an, das Langobardenreich zu übernehmen. Von diesem Entschluß
ließ er sich auch nicht abbringen, als es nötig war, die Hauptstadt
Pavia neun Monate lang zu belagern; die Stadt ergab sich im Juni 774;
nicht nur der König mit seinem gesamten Hofstaat und seinen Beamten
fielen KARL in die Hände, sondern
auch der reiche Kronschatz. Desiderius
verschwand in einem Kloster; sein Sohn konnte nach Byzanz fliehen.
Nach dem Fall der Hauptstadt brach das zuvor so mächtige
Reich der Langobarden rasch und fast widerstandslos zusammen, so dass KARL
glaubte, er könne die langobardischen Amtsträger in ihren Ämtern
belassen. 775 kam es jedoch zu einer größeren Aufstandsbewegung
mit Zentrum in Friaul; erst das persönliche Eingreifen KARLS
in einem weiteren Italienzug von 776 konnte die fränkische Herrschaft
sichern. Nach weiteren Italienzügen 780/81 wurde das Langobardenreich
nach fränkischem Muster umorganisiert, und es wurden fränkische
Grafen als Amtsträger nach Italien geschickt, die vom König mit
Amt und Ländereien ausgestattet wurden; sie machten dort zum Teil
bedeutende Karrieren. Auch nach seiner Eroberung bewahrte das Langobardenreich
seine Eigenständigkeit; KARL hatte
774 den Titel eines "Königs der Franken und Langobarden" angenommen
und billigte damit den Langobarden die Rolle eines zweiten Reichsvolks
zu.
Im Verlauf des ersten Italienzuges KARLS
kam es zu einer Begegnung mit dem Papst, seit 772 war dies Hadrian I.,
der von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit den Franken setzte. Schon
vor dem Fall von Pavia zog KARL nach
Rom, wo ihn zu Ostern 774 eine päpstliche Abordnung mit hohen Ehren
empfing. Als erster fränkischer König war KARL
bis Rom vorgestoßen, und er erreichte noch mehr, nämlich den
Einzug in die Stadt selbst, was den langobardischen Königen immer
verwehrt geblieben war. Jedoch der Beherrscher Roms sollte auch der Frankenkönig
nicht sein, daher durfte er nicht in den Mauern der Stadt wohnen, sondern
mußte in der Nähe von St. Peter nächtigen. Während
dieses Romaufenthalts erneuerte KARL
das von seinem Vater Pippin 754 gegebene
Versprechen, bestimmte Gebiete Italiens dem Papst zu überlassen (sogenannte
Pippinsche Schenkung). Ein Teil dieser Zusagen wurde im Verlauf des zweiten
Romzugs KARLS (781) tatsächlich
verwirklicht.
So wie KARLS Italienzug
durch den Hilferuf des Papstes angestoßen worden war, so ging auch
sein Zug gegen das moslemische Spanien auf einen Hilferuf zurück,
den 777 der Emir von Barcelona hatte ergehen lassen. Was der fränkische
König bei seinem Feldzug vom Jahr 778 beabsichtigte, ist unklar; er
konnte nicht im Ernst hoffen, mit dem von ihm aufgebotenen kleinen Heer
jenseits der Pyrenäen dauernde Eroberungen zu machen. Nach mäßigen
Erfolgen kam es im August 778 auf dem Rückmarsch zu einer Katastrophe,
als die Nachhut in den Pyrenäen von den Basken überfallen und
vollkommen vernichtet wurde. Das Rolandslied hat diese Niederlage im Gedächtnis
der Nachwelt erhalten. KARL hat danach
für längere Zeit auf eine Offensive gegen die Mauren verzichtet.
Erst 801 führte sein Sohn LUDWIG
einen Angriff gegen Barcelona durch, das nach langer Belagerung erobert
werden konnte: Das Gebiet bis zum Ebro konnte nun als Spanische Mark dem
Frankenreich eingegliedert werden.
Für die deutsche Geschichte waren aber zwei andere
Eroberungen wichtiger, weil durch sie die ausgedehnten Gebiete der mit
den Franken stammesverwandten Bayern und Sachsen zum Frankenreich kamen.
Dabei konnte Bayern ohne Krieg angegliedert werden: Nach dem Ende des Langobardenreichs,
auf das sich Tassilo III. als Schwiegersohn des Desiderius
vor allem gestützt hatte, hatten die Franken es anscheinend verstanden,
den bayerischen Adel auf ihre Seite zu ziehen. Als es 787/88 zum Konflikt
zwischen KARL DEM GROSSEN und dem Bayernherzog
kam, war Tassilo isoliert, denn der Papst stand auf der Seite der Franken.
Tassilo mußte sich daher 787 bereitfinden, einen Vasalleneid zu leisten
und sein Reich als Lehen aus der Hand des fränkischen Königs
anzunehmen. Im Sommer des folgenden wurde Tassilo nach Ingelheim befohlen;
er wurde mit Frau und Kindern gefangengenommen. In einem Hochverratsprozeß
traten bayerische Adelige als Ankläger auf und sagten aus, dass Tassilo
mit den Awaren gegen die Franken konspiriert habe. Nach dem Quellen, die
allerdings die fränkische Version der Angelegenheit wiedergeben, soll
Tassilo ein Schuldbekenntnis abgelegt haben. Um ihn vollends zu vernichten,
wurde ein 25 Jahre zurückliegendes Vergehen ausgegraben: Er habe sich
763 eigenmächtig vom Heer entfernt und damit das todeswürdige
Verbrechen der "Harizliz" (Fahnenflucht) begangen. Tassilo wurde von seinen
Landsleuten zum Tod verurteilt, aber von KARL
zur
Klosterhaft begnadigt.
Um das gewonnene Land zu sichern, verbrachte der Frankenkönig
zwei aufeinanderfolgende Winter in der alten bayerischen Herzogsstadt Regensburg
(791-793), ehe er seinen Schwager Gerold zum Präfekten in Bayern einsetzte.
Es scheint aber immer noch Anhänger des alten Herzogshauses gegeben
zu haben. Daher war es nötig, Tassilo noch einmal aus seinem Kloster
vor eine Reichssynode zu holen, wo er (794 in Frankfurt) schriftlich für
sich und seine Nachkommen auf Bayern verzichtete. Dass die Historiker die
Vorgänge um Tassilo nur aus dem Blickwinkel KARLS
schildern durften und dass wir keine sicheren Nachrichten darüber
besitzen, wo und wann Tassilo gestorben ist, zeigt, wie sehr KARL
persönlich darüber wachte, dass sein Nachruhm nicht durch sein
Vorgehen gegen seinen Vetter und Schwager beeinträchtigt wurde.
Bayern blieb übrigens nicht nur als politische Einheit
bestehen (unter einem Präfekten), sondern es wurde auch eine
bayerische Kirchenprovinz geschaffen, als deren erster Metropolit Arn von
Salzburg im Jahr 796 das Pallium erhielt.
Obwohl wir heute nicht mehr beweisen können, ob
Tassilo tatsächlich - wie ihm vorgeworfen wurde - mit den Awaren paktiert
hat, steht fest, dass dieses Steppenvolk, das seit über 200 Jahren
in Pannonien ansässig war, 788 Einfälle nach Italien und nach
Bayern unternahm. In einem ersten Zug gegen die Awaren (791) konnten die
Franken trotz eines großen Heeres keinen Sieg erringen, denn die
Awaren stellten sich nicht zur Schlacht, sondern zogen sich weit nach Pannonien
hinein zurück. Aber das Auftauchen der Franken in ihrem eigenen Gebiet
hatte ihnen einen schweren Schock versetzt. Als dann KARL
den nächsten Feldzug gründlicher vorbereitete, konnte der Erfolg
kaum ausbleiben. Bei diesen Vorbereitungen zeigte er sich als bedeutender
Stratege, der auch über die Möglichkeiten seiner Zeit hinauszugreifen
imstande war.
792 ließ er eine bewegliche Brücke bauen,
die auf Schiffen donauabwärts bewegt werden konnte und so immer wieder
die leichte Überquerung der Donau ermöglichte. Im darauffolgenden
Jahr wurde ein Versuch gemacht, die Stromgebiete von Rhein und Donau miteinander
zu verbinden, um den Nachschub leichter nach SO transportieren zu können.
Das für diese Absicht ausgewählte Gebiet war ideal gelegen: In
der Nähe von Weißenburg/Bayern sind die Flußläufe
von Rezat (einem Nebenfluß der Pegnitz) und Altmühl nur 1.500
bis 1.800 m voneinander entfernt, und es war ein Höhenunterschied
von ca. 20 m zu bewältigen. Dennoch scheiterte dieses Unternehmen,
weil es in damaliger Zeit nicht möglich war, die für die umfangreichen
Erdarbeiten nötigen Menschen zu ernähren, und auch - nach dem
Bericht der Annalen - weil heftige Regenfälle die Arbeiten erschwerten.
Als man 795 von inneren Kämpfen bei den Awaren erfuhr,
drang ein kleines fränkisches Kommando bis ins Zentrum des Awarenreichs
vor. Im folgenden Jahr zogen zwei Heere gegen die Awaren: das eine unter
dem
Königs-Sohn Pippin zog donauabwärts,
das zweite stieß von Friaul aus nach NO vor. Ohne Kampf unterwarfen
sich die Awaren. Die Schätze, die sie seit vielen Jahrzehnten in ihren
Ringburgen angehäuft hatten, fielen den Franken in die Hände.
Die Kriegsbeute wurde teils an die Krieger aufgeteilt, teils der Kirche
geschenkt. Als Dank für die Hilfe Gottes, die ihre Gebete erreicht
hatten, erhielten mehrere Klöster wertvolle Goldgefäße,
die zu Gefäßen für den kirchlichen Gebrauch umgearbeitet
wurden. Für den König selbst blieb noch so viel übrig, dass
in Aachen eine eigene Schatzkammer für die Awarenbeute eingerichtet
werden mußte. Die endgültige Unterwerfung brachte ein Zug im
Jahr 805, der wegen eines Aufstands nötig gewesen worden war. Der
Sieg über die Awaren war es vor allem, der
KARL
Ansehen bei den slawischen Völkern des ostmitteleuropäischen
Raums befestigte, so dass sein Name bei ihnen zur Bezeichnung des Herrschers
wurde (Karl, Kral, Krol = König).
Die längsten Kämpfe mußten mit den Sachsen
ausgefochten werden: Einhard schildert das Ringen mit diesem Stamm als
einen über 30 Jahre dauernden Krieg; in Wahrheit wurde zwar nur von
772-785 und dann wieder - in kleinerem Rahmen - von 792-804 gekämpft;
aber auch dies sind zusammen über 24 Jahre. Grenzkriege gegen die
Sachsen hatte es auch schon früher gegeben.
Einige merowingische
Könige, dann Karl Martell und
KARLS
Vater Pippin hatten immer wieder einzelne
Vorstöße geführt, um sich für Überfälle
zu rächen und um den Sachsen die Macht des Frankenreichs zu demonstrieren.
Anscheinend plante KARL aber im Unterschied
zu diesen begrenzten Feldzügen von Anfang an, ganz Sachsen zu unterwerfen
und durch die Christianisierung in sein Reich einzugliedern.
Nachdem bereits 770 eine militärische Aktion durchgeführt
worden war, rückte KARL im Sommer
772 mit einem bedeutenden Heer in das Gebiet der Engern ein (südlich
von Paderborn). Die dem Kriegsgott geweihte Eresburg wurde dabei eingenommen
und die weiter nördlich gelegene Itminsul, ein gewaltiger Baumstamm
in einem heiligen Hain, wurde zerstört. In die Eresburg wurde eine
fränkische Besatzung gelegt, und das Land sollte durch die Ausrottung
des Heidentums und eine rasche Christianisierung befriedet werden. Der
erfolgreiche Angriff auf ein zentrales Heiligtum hat die Sachsen aber nicht
verunsichert, sondern stachelte sie zu einem Gegenschlag auf, der während
KARLS
Italienzug
773/74 durchgeführt wurde. Die fränkische Aktion von 774 zeigte,
dass der sächsische Adel bereit war, sich - wie in Italien oder in
Bayern - dem überlegenen fränkischen Heer zu unterwerfen, wohl
auch in der Hoffnung auf Teilhabe an Beute und Herrschaft im expandierenden
Frankenreich. An den Quellen der Pader wurde eine Karlsburg errichtet,
und in Paderborn fand im Jahr 777 eine gesamtfränkische Reichsversammlung
statt, auf der eine große Anzahl von sächsischen Adeligen erschien,
die den Franken ihre Loyalität erklärten. Damit schien die Eingliederung
Sachsens in das Frankenreich abgeschlossen. Der Widerstand gegen die Fremdherrschaft
und gegen die Christianisierung wurde jetzt hauptsächlich von den
freien Bauern getragen, die durch
KARLS
Niederlage
auf dem Rückmarsch von Spanien zum Losschlagen unter ihrem adeligen
Anführer Widukind ermuntert wurden. Die Karlsburg wurde niedergebrannt,
und die Sachsen drangen bis zum Rhein und bis nach Fulda vor. Im Gegenzug
errichteten die Franken zahlreiche Klöster und Kirchen als Stützpunkte
ihrer Herrschaft, und KARL übertrug
782 die fränkische Grafschaftsverfassung ins eroberte Sachsen, wobei
mächtige sächsische Adelige als Lohn für ihre Treue zum
Frankenkönig zu Grafen gemacht wurden.
Den frisch bekehrten Sachsen wurde der Kirchenzehnt auferlegt,
eine Abgabe, die von ihnen als große Schmach und als Zeichen der
Sklaverei angesehen wurde. Die alte sächsische Verfassung mit ihrer
Volksversammlung wurde abgeschafft. 782 oder 785 erließ KARL
ein Kapitular, das Angriffe auf den christlichen Glauben und seine Repräsentanten
sowie Illoyalität gegen die Franken mit drakonischen Strafen bedroht.
Nicht nur die Ermordung eines Klerikers oder die Zerstörung einer
Kirche sollte mit dem Tode bestraft werden, sondern auch der Versuch, sich
der Taufe zu entziehen, die Ausübung heidnischer Praktiken oder das
Einäschern der Leiche eines Verstorbenen. Die Folge dieser Maßnahmen
war ein Aufstand von solcher Heftigkeit, wie ihn KARL
nicht mehr erwartet hatte: die Priester als Repräsentanten des verhaßten
Systems wurden erschlagen oder vertrieben; ein fränkische Heeresgruppe
wurde in offener Feldschlacht vernichtet (783). KARL
selbst
mußte eingreifen, er konnte das Hauptheer umzingeln, und der sächsische
Adel lieferte die Rädelsführer des Aufstands aus; Widukind
allerdings war entkommen. Bei Verden an der Aller wurden die Empörer
hingerichtet; die Zahl von 4.500 enthaupteten Sachsen ist sicher übertrieben;
auch handelte es sich bei dieser Maßnahme nicht um bloßen Terror,
sondern um die rechtlich gebotene Bestrafung von Hochverrätern. An
dieser Episode hat sich später heftige Kritik an KARL
DEM GROSSEN entzündet, die bis zum Beinamen "Sachsenschlächter"
reichte, mit dem KARL von der offiziellen
Geschichtsbetrachtung der Nationalsozialisten belegt wurde.
Um die Sachsen durch eigene Präsenz zu beeindrucken,
verbrachte
KARL drei Winter hintereinander
im Land (782-784), und er gab ihnen vor allem in den Jahren 784 und 785
keine Gelegenheit, ihre Kräfte wieder zu sammeln. Von dieser Festigkeit
beeindruckt, kam der Sachsenführer
Widukind
zu Weihnachten 785 in die königliche Pfalz Attigny und ließ
sich zusammen mit seinen engsten Gefährten taufen. KARL
persönlich übernahm die Patenschaft für Widukind,
über dessen weiteres Schicksal wir nichts Genaueres wissen. Es ist
ungewiß, ob er wie Desiderius oder
Tassilo III. sein Leben im Kloster beschloß; die Nachrichten über
einen Aufenthalt auf der Reichenau sind jedenfalls recht undeutlich.
Ein letztes Aufbäumen des sächsischen Freiheitsdranges
gab es in den Jahren 793 und 797, als die Franken durch den Krieg mit den
Awaren auf einem anderen Schauplatz beschäftigt schienen. Obwohl wieder
die Pfalz in Paderborn zerstört wurde, war die fränkische Herrschaft
schon zu fest verwurzelt, als dass sie noch beseitigt hätte werden
können. Nur im Mündungsgebiet von Weser und Elbe sowie in Nordalbingien
war der Widerstand längere Zeit erfolgreich. Nach den Feldzügen
von 797, 802 und zuletzt 804 wurden die aufständischen Bauern an der
unteren Elbe und in Holstein zu Tausenden planmäßig deportiert
und im ganzen Reich verstreut neu angesiedelt; hier eher als beim Blutbad
von Verden zeigte sich KARL als despotischer
Herrscher. Ein Friedensschluß von 803 wurde durch eine größere
Anzahl von sächsischen Geiseln bekräftigt; ein Verzeichnis von
37 Namen von sächsischen Großen, die in alemannischen Klöstern
verwahrt werden sollten, ist noch erhalten.
Zur endgültigen Befriedung trug auch bei, dass KARL
797 das strenge Sachsenkapitular durch ein milderes Gesetz ablöste,
in dem die meisten Vergehen durch Geldbußen abgegolten werden konnten,
so wie das in den fränkischen Rechtsbüchern der Zeit auch
üblich war. Im Jahr 802 wurde das sächsische Rechtsbuch, die
Lex Saxonum, kodifiziert, in dem das alte Stammesrecht mit fränkischem
Reichsrecht und christlichen Elementen zu einer neuen Einheit verbunden
wurde.
Nachdem KARL an die
Stelle der deportierten Sachsen in Transalbingien Franken und vor allem
die elbslawischen Abodriten angesiedelt hatte, kam es seit 804 zu Konflikten
mit den Dänen unter ihrem König Göttrik,
der ganz Sachsen und Friesland zu unterwerfen suchte. Nicht nur die Franken,
sondern auch die Dänen versuchten nämlich in jenen Jahren,
ein Großreich zu errichten. Mit fränkischer Hilfe gelang es
aber den Abodriten in O-Holstein, sich von der dänischen Oberhoheit
freizuhalten.
Mit den östlich von Sachsen und Thüringen wohnenden
slawischen Stämmen hatte das Frankenreich bereits unter KARL
DEM GROSSEN feindliche und
auch freundschaftliche Beziehungen. 789 führte KARL
persönlich einen Feldzug gegen die Wilzen durch, und nach der endgültigen
Unterwerfung der Sachsen gelang auch die Eingliederung der Sorben ins Frankenreich
(806). Ein großer Zug nach Böhmen (805/06) brachte auch dieses
Gebiet unter fränkische Oberhoheit.
Am Ende seines Lebens herrschte KARL
über ein Reich von ca. 1 Million km²; aber die Größe
dieses Reichs brachte erhebliche Probleme bei seiner Verwaltung mit sich,
und an seinen Grenzen gab es mehrere Unruheherde, die KARL
nicht hatte befriedigen können. Dabei brachten die Emanzipationsbestrebungen
der Bretonen oder der Elbslawen das Reich in keine bedrohliche Lage, aber
am Ende von KARLS Regierung machten
sich bereits die Normannen bemerkbar, deren Streifzüge das Frankenreich
später in die Defensive drängen sollten. Notker von St. Gallen
hat dies in einer schönen Anektode dargestellt: Die Normannen, die
eine Stadt am Mittelmeer überfallen wollten, hätten erfahren,
dass sich KARL DER GROSSE dort aufhielt;
darauf seien sie aus Furcht vor dem großen Kaiser abgezogen. KARL
sei ans Fenster getreten und habe bittere Tränen vergossen, weil er
voraussah, dass die Normannen schwere Leiden über seine Nachfahren
und deren Untertanen bringen würden.
Nach den Eroberungen in Italien, NO-Spanien, Bayern und
Pannonien sowie in Sachsen mit der Oberherrschaft über die slawischen
Stämme östlich der Elbe war KARL
der mächtigste Herrscher in der den damaligen Menschen bekannten Welt
- mit Ausnahme des Kaisers, der in Konstantinopel seinen Sitz hatte. KARLS
vertrauter Ratgeber Alkuin hatte schon nach den Siegen über die Sachsen
und die Awaren nach angelsächsischem Muster von KARL
als imperator, als Kaiser gesprochen, und er hatte auch die Aufgaben seines
Amtes gegenüber dem neuen Papst Leo III. weitgespannt angegeben: "Unsere
Aufgabe ist es, die Kirche Christi nach außen mit Waffengewalt gegen
heidnische Angriffe zu verteidigen und gegen Zerstörungen durch die
Ungläubigen zu schützen, aber auch nach innen die Anerkennung
des rechten Glaubens sichern."
Als Papst Leo III. nach einem auf ihn verübten Attentat
im Sommer 799 den fränkischen König in Paderborn aufsuchte, wurde
wahrscheinlich auch über das Kaisertum gesprochen und dabei der Aspekt
erörtert, dass am ehesten ein Kaiser durch ein abschließendes
Urteil die Anklagen gegen den Papst aus der Welt schaffen könne.
Nachdem KARL bereits
am Beginn seines Romzugs vom Jahr 800 mit kaiserlichen Ehren empfangen
worden war und im roten Kaisermantel und mit roten Kaiserstiefeln auftrat,
konnte es kaum überraschend sein, dass ihm Papst Leo während
der Weihnachtsmesse in St. Peter die Kaiserkrone auf das Haupt setzte.
Die Römer stimmten diesem Vorgang zu, indem sie riefen: "Dem Augustus
KARL,
dem von Gott gekrönten, großen und friedliebenden Kaiser der
Römer, Leben und Sieg!" Das Vorbild für diese Kaisererhebung
kam aus Byzanz: so wie dort das Volk den neuen Kaiser akklamierte und der
Patriarch die Krönung vornahm, so agierten am Weihnachtstag 800 das
Volk von Rom als Akklamator und der Papst als Koronator des Kaisers.
Einhard berichtet allerdings, KARL
habe
gesagt, dass er trotz des hohen Festtags nicht in die Kirche gegangen wäre,
wenn er gewußt hätte, dass ihm der Papst die Kaiserkrone aufsetzen
würde. Diese Aussage muß wohl als authentisches Zeugnis des
Kaisers gewertet werden; sie ist aber mit großer Wahrscheinlichkeit
eine Aussage nach dem Ereignis, das heißt sie gibt kaum KARLS
Zustimmung
am Weihnachtstag 800 wieder. Dass KARL
gegen Ende seines Lebens dem Papst keine Mitwirkung bei der Kaiserkrönung
zubilligen wollte, zeigt sich am besten darin, dass er seinem Sohn LUDWIG
am 11.9.813 zum Mitkaiser erhob, indem er ihm selbst die Krone aufsetzte.
Damit übernahm KARL die in Byzanz
übliche Zeremonie zur Erhebung eines Mitkaisers.
Die Distanz KARLS DES GROSSEN
gegen ein römisches, das heißt an die Stadt Rom gebundenes Kaisertum
zeigt sich auch darin, dass er nach 800 nie mehr nach Rom kam, vielmehr
seine Residenz Aachen zu einem Rom des Nordens ausbaute, wo es nach dem
Vorbild der Ewigen Stadt einen Lateran und eine mit antiken Säulen
geschmückte Pfalzkapelle geben sollte.
Durch KARLS Kaiserkrönung
erhielt das Verhältnis zwischen Byzanz und dem Frankenreich eine neue
Qualität. Wie man in gewissen Kreisen die Vorgänge von Weihnachten
800 im Osten sah, können wir einer Notiz in der Chronik des byzantinischen
Mönchs Theophanes entnehmen: "Papst Leo vergalt KARL
seine Hilfe und krönte ihn zum Kaiser der Römer in der Kirche
des heiligen Apostels Petrus, indem er ihn von Kopf bis Fuß mit Öl
salbte und ihm ein kaiserliches Gewand und eine Krone antat." Da das byzantinische
Zeremoniell keine Kaisersalbung kannte, sollte wohl durch die übertriebene
Schilderung dieser Handlung die barbarische Ahnungslosigkeit verdeutlicht
werden, mit der die Westler ihren usurpatorischen Akt vollzogen hatten.
In Byzanz konnte man sich nicht vorstellen, dass es zwei Kaiser nebeneinander
geben konnte; man rechnete daher wohl mit einem Angriff aus dem Westen.
Theophanes deutet aber noch eine andere Lösung des Zweikaiserproblems
an, wenn er berichtet, dass 802 eine fränkische Gesandtschaft in Konstantinopel
erschienen sei, die der Kaiserin Irene
einen Heiratsantrag KARLS überbracht
hätte. Die fränkischen Gesandten hätten sich noch in Byzanz
befunden, als Irene durch ihren Logotheten
Nikephoros
gestürzt wurde.
Zu unserer Einschätzung von KARLS
Mentalität paßt es nicht, dass er tatsächlich eine Eheverbindung
mit der byzantinischen Kaiserin geplant hat; keine abendländische
Quelle berichtet von diesem Eheprojekt.
Mit dem neuen Kaiser Nikephoros
kam es zu Kämpfen, in denen es vordergründig um die Beherrschung
der Adriaküste ging, im Hintergrund stand aber die Frage nach der
Gleichberechtigung der beiden Kaiser. Militärisch endete dieser Krieg
mit einer Niederlage der Franken, da sie im Gegensatz zu den Byzantinern
keine Flotte besaßen. Nach dem Friedensschluß von 810 suchte
812 eine byzantinische Gesandtschaft KARLS
Residenz in Aachen auf; die Gesandten akklamierten KARL
in griechischer Sprache als Kaiser und redeten ihn wie den oströmischen
Kaiser als Basileus Romaion (Kaiser der Römer) an. Auch KARL
bemühte sich in seinem Antwortschreiben an den Kaiser im fernen Konstantinopel,
die Gleichrangigkeit seiner eigenen Würde mit der des oströmischen
Herrschers auszudrücken, ohne dessen Selbsteinschätzung zu verletzen.
Wegen der langen Reisewege und der Herrscherwechsel im Osten wie im Westen
war der Austausch der Friedensurkunden erst im September 815 abgeschlossen.
Nicht nur zum christlichen Kaiser im Osten, sondern auch
zu den moslemischen Staatenbildungen unterhielt KARL
Kontakte.
Schon sein Vater Pippin hatte in seinen
letzten Lebensjahren, 765-768, eine Gesandtschaft ins Kalifat nach Bagdad
entsandt. Bei ihrer Rückkehr brachten die fränkischen Gesandten
auch eine Legation des Kalifen mit; sicher ein Beweis für freundschaftliche
Beziehungen. Erst 30 Jahre später entsandte KARL
DER GROSSE eine Legation in den Osten, von der wir die Namen
der Teilnehmer kennen. Darunter befand sich der sprachkundige Jude Isaak,
der wohl zu den jüdischen Fernhändlern gehörte, die auch
noch nach dem Einbruch des Islams im gesamten Mittelmeerraum Handel trieben.
Dieser Isaak brachte bei seiner Rückkehr als Geschenk des Kalifen
Harun ar-Raschid (786-809) einen Elefanten mit, dessen Namen
unsere Quellen überliefern: Abul Abbas
(das ist der Name des Onkels des Propheten, den die Kalifen von Bagdad
als ihren Stammvater verehrten). Der Elefant wurde so gut und kundig gehalten,
dass er zehn Jahre im Frankenreich lebte.
Eine zweite Gesandtschaft reiste 802 nach Bagdad und
erreichte es nach dem Bericht Einhards, dass der Kalif KARL
die
Verfügungsgewalt über das Grab Christi und damit das wichtigste
Pilgerziel im Heiligen Land übergab. Sein Prestige stieg dadurch gewaltig;
denn nicht dem oströmischen Kaiser, der das Christentum so lange gegen
die islamische Expansion verteidigt hatte, sondern dem Kaiser des Westens
wurde der Schutz der Pilger und der christlichen Geistlichkeit in Jerusalem
übertragen. Die fränkischen Chronisten verzeichnen denn auch
stolz die Geschenke, die eine zweite Gesandtschaft
Harun
ar-Raschids nach Aachen brachte; ein großes Zelt, kostbare
Seidengewänder, Duftstoffe und Salben sowie eine Wasseruhr.
Dank Einhards wertvoller Biographie können wir uns
KARLS
äußere Erscheinung recht gut vorstellen: "KARL
war kräftig und stark, dabei von hoher Gestalt, die aber das rechte
Maß nicht überstieg. Es ist allgemein bekannt, dass er sieben
seiner Füße groß war. Er hatte einen runden Kopf, seine
Augen waren sehr groß und lebhaft, die Nase etwas lang; er hatte
schöne graue Haare und heiteres und fröhliches Gesicht. Seine
Erscheinung war immer imposant und würdevoll, ganz gleich ob er stand
oder saß. Sein Nacken war zwar etwas dick und kurz, und sein Bauch
trat ein wenig hervor, doch fielen diese Fehler bei dem Ebenmaß seiner
Glieder nicht sehr auf. Sein Gang war selbstbewußt, seine ganze Körperhaltung
männlich und seine Stimme klar, obwohl sie nicht so stark war, wie
man bei seiner Größe hätte erwarten können."
Die Tatsache, dass KARL gar
nicht als Idealtyp eines Heldenkönigs geschildert ist, sondern auch
sein kurzer Nacken und sein Bauch oder seine dünne Stimme erwähnt
werden, dürfte die Wahrheit dieser Beschreibung verbürgen. Dabei
muß man allerdings beachten, dass Einhard (geboren um 770) erst seit
ca. 796 in der Umgebung KARLS auftaucht,
das heißt dass er KARL nur als
über Fünfzigjährigen älteren Mann kannte. Aber wichtige
Einzelheiten, wie etwa KARLS Körpergröße
von ca. 1,90 m, werden durch andere Quellen, in diesem Fall durch Messungen
an seinem Skelett, bestätigt.
Auch viele andere persönliche Züge, die wir
von KARL - im Unterschied zu den meisten
anderen mittelalterlichen Herrschern - kennen, verdanken wir Einhards kleiner
Schrift. So wissen wir von seiner lebhaften Art, die sein Biograph geradezu
als Geschwätzigkeit bezeichnet, und wir kennen seine Abneigung gegen
die Ärzte, die ihm verboten, sein geliebtes Bratenfleisch zu essen,
seine Mäßigkeit im Trinken und seine Liebe zur Jagd und zum
Schwimmen. Durch Einhard wissen wir auch über den etwas eigenartigen
Tagesrhythmus des Kaisers Bescheid, der zwar nach dem Mittagessen eine
lange Ruhepause einlegte, aber in der Nacht mehrfach aufstand, sich ankleiden
ließ und dann "regierte", das heißt Audienzen gewährte,
Gerichtssitzungen abhielt und Anweisungen für den kommenden Tag gab.
Eine Ausbildung, die ihn auf seine künftigen Aufgaben
als Herrscher über ein großes Reich vorbereitet hätte,
hat KARL
anscheinend nicht erhalten.
Einhard vermittelt den Eindruck, als sei KARL
ein äußerst lernbegieriger Autodidakt gewesen, der erst als
König viele Kenntnisse erworben habe. Von KARLS
Sprachkenntnissen weiß Einhard zu berichten, dass er nicht nur seine
Muttersprache, sondern auch Latein vorzüglich verstanden und gesprochen
habe; selbst Griechisch soll er verstanden haben.
KARLS Interesse für das Rechnen und für die Astronomie
wird nicht nur von Einhard betont, sondern wird auch belegt durch eine
Anzahl von Briefen, in denen sich KARL über
Himmelserscheinungen informieren ließ. Für seine Lernbegeisterung
ist es bezeichnend, dass KARL sich
noch im Alter darum bemühte, das Schreiben zu erlernen. So habe der
Kaiser unter seinem Kopfkissen immer Wachstafeln und Blätter bereitliegen
gehabt, um sich in Zeiten der Schlaflosigkeit im Schreiben zu üben.
Obwohl der Kaiser also nicht selbst schrieb, dürfte
er das Lesen beherrscht haben; seine Kenntnis der Literatur und der Geschichte
wurde auch dadurch gefördert, dass während des Mittagessens historische
Werke oder Schriften des Augustinus, besonders dessen "Gottesstaat", vorgelesen
wurden. Als um 790 am Hof KARLS die
fränkischen Theologen eine Schrift über die Verehrung der Bilder
verfaßten, die sich gegen die bilderfreundliche Entscheidung des
Konzils von Nizäa 787 richtete, wurde sie anscheinend in Gegenwart
des Königs vorgelesen, der sie mit Ausrufen wie "sehr gut", "sehr
wahr", "sehr schön argumentiert" und ähnlich kommentierte, die
ein Stenograph in tironischen Noten auf dem Rand der heute noch vorhandenen
Handschrift festhielt.
KARLS großes
Interesse an Fragen der Bildung und der Schriftkultur zeigt sich auch darin,
dass er es verstand, bedeutende Gelehrte an seinen Hof zu ziehen und dort
zu halten. Es hatte zwar schon unter seinem Vater Pippin
eine Palastschule gegeben, aber überragende Leistungen sind aus dieser
nicht hervorgegangen. KARL hat daher
auswärtige Gelehrte angeworben, wie den Langobarden Paulus Diaconus,
den Angelsachsen Alkuin und den Westgoten Theodulf. Eine ganze Reihe von
Gedichten dieser und anderer Männer vermittelt uns ein lebendiges
Bild von KARLS "Hofakademie", deren
Mitglieder sich mit Namen aus der Antike oder aus dem Alten Testament schmückten.
KARL
selbst ließ dieses Tun nicht nur zu, sondern war intensiv mitbeteiligt.
Der bedeutendste Literat war wohl Theodulf, dem KARL
798 das Bistum Orleans übergab. In seinen Gedichten übte dieser
auch Kritik an den Zuständen im Reich, wobei er sich nicht scheute,
den Herrscher selbst zu kritisieren. Andere Mitglieder des Hofkreises versuchten
dagegen, sich durch teilweise penetrantes Herrscherlob gegenseitig zu übertreffen.
Erst in der zweiten Generation der Gelehrten tauchen dann auch Franken
auf, von denen hier Angilbert, der Lebensgefährte von KARLS
Tochter Bertha, und Einhard genannt seien. Beide waren keine Geistlichen,
sondern Laien; aber Angilbert erhielt 790 die Abtei St. Requier an der
Somme, um die er sich sehr kümmerte, wobei er besonders die Bibliothek
und die Reliquienschätze seines Klosters förderte. Seit 804 leitete
Alkuins Schüler Hrabanus Maurus aus Mainz die Klosterschule in Fulda;
den Höhepunkt seiner Bedeutung und seines Einflusses erreichte Hrabanus
aber erst unter LUDWIG DEM FROMMEN
und Ludwig dem Deutschen.
Eine wesentliche Arbeit der Hofgelehrten bestand darin,
die schriftliche Überlieferung der zentralen Texte des christlichen
Glaubens von Fehlern zu reinigen. Daher waren Theodulf und Alkuin damit
befaßt, nicht nur neue Handschriften der Bibel herstellen zu lassen,
sondern auch dafür zu sorgen, dass in diesen Manuskripten ein möglichst
fehlerfreier Text wiedergegeben wurde. Die Sorge um einen reinen Text
bezog sich auch auf die Benediktregel und auf das Kirchenrecht.
Mit dem Namen KARLS DES GROSSEN
verbunden ist weiterhin eine Reform der Schrift: Noch unsere heutige Druckschrift
benutzt im wesentlichen jene Buchstaben, die in KARLS
Zeit entwickelt wurden: die karolingischen Minuskel. Die klare, schnörkellose
und gut lesbare Schrift machte es leichter, die Forderung nach möglichst
fehlerloser Abschrift von wichtigen Texten zu erfüllen.
Auch der Volkssprache galt sein Interesse. Einhard berichtet
davon, dass KARL den Monaten und den
Winden volkssprachliche Bezeichnungen gegeben habe. Auch die Lieder, in
denen die Helden der heidnischen Vorzeit verherrlicht wurden, ließ
er aufzeichnen. Einzig das Hildebrandlied ist als Zeugnis für diese
Bemühungen auf uns gekommen. Ein zentrales Anliegen KARLS
war es, die Rechtsprechung auf schriftliches Recht zu gründen. Die
bereits schriftlich vorhandenen Rechte der Franken (Lex Salica und Lex
Ribvaria) sollten verbessert und den veränderten Verhältnissen
angepaßt werden. Die noch ungeschriebenen Gesetze der anderen Stämme
ließ er sammeln und aufzeichnen; von diesem Bemühen zeugen noch
die Leges der Friesen, Sachsen und Thüringer. Auf einer Reichsversammlung
des Jahres 802 wurden die Gesetze den anwesenden Großen des Reichs
in ihrer Sprache vorgelesen.
Während die geplante Reform der alten Leges den
Franken nicht abgeschlossen werden konnte, hat KARL
eine große Zahl von Kapitularien, das heißt von in Kapiteln
gegliederten Verordnungen, erlassen, die eine Vielzahl von Themen betreffen.
Das erste bedeutende Gesetz in dieser Reihe ist im Jahr 779, also unmittelbar
nach dem Ende der ersten Reihe von Eroberungskriegen, entstanden. Die beiden
schweren Niederlagen des Jahres 778 (gegen die Basken und gegen die Sachsen)
konnten KARL also nicht davon abhalten,
mit der inneren Reform seines Reiches zu beginnen. Das bedeutendste Kapitular
aus den Anfängen seiner Regierungszeit stammte aus dem Jahr 789 und
wird als Admonitio generalis ("allgemeine Ermahnung") bezeichnet. Dieses
Gesetz richtete sich in erster Linie an die Geistlichen, denen zahlreiche
Vorschriften nach dem Vorbild des alten Kirchenrechts gegeben werden. Es
war vermutlich Alkuin, der die Formulierung dieses Schriftstücks besorgte
und der auch für seine Verbreitung verantwortlich war. Die heute noch
vorhandenen Exemplare dieses Gesetzes zeigen, dass das Ziel erreicht wurde,
das Gesetz in allen Regionen des Reiches zu versenden.
In der Kapitulargesetzgebung KARLS
bedeutet die Kaiserkrönung einen wichtigen Einschnitt: danach ist
eine verstärkte Hinwendung zur Aufstellung von Normen zu beobachten,
die in den Fürstenspiegeln von einem christlichen Herrscher erwartet
werden, nämlich der Schutz von Armen und Schwachen und die Aufrechterhaltung
von Frieden und Eintracht im Reich. KARL
beschränkte sich in diesen Jahren jedoch nicht auf allgemeine
Ermahnungen, sondern griff ganz konkrete Mißstände auf, die
beseitigt werden sollten. Für die armen Freien wurden der Zwang zum
Heerdienst und die Pflicht, auf allen Gerichtsversammlungen zu erscheinen,
gemildert; denn diese Pflicht ermöglichte es den Grafen als den Inhabern
der königlichen Gerichtsbarkeit und des militärischen Oberbefehls,
manche Freien in den unfreien Status herabzudrücken, indem sie planmäßig
in ungünstigen Zeiten zur Gerichtsverhandlung befohlen oder zum Kriegsdienst
eingezogen wurden.
In seinem letzten Kapitular, das wahrscheinlich am Ende
des Jahres 813 erlassen wurde, hat KARL
dem Zweifel Ausdruck verliehen, ob seine Gesetze überhaupt den Menschen
in seinem Reich bekannt geworden seien oder ob seine legislative Arbeit
vergeblich gewesen sei. Aber auch diese resignierte Äußerung
veranlaßte
KARL nicht dazu, seine
Anstrengungen aufzugeben, sondern nur dazu, eine bessere Verbreitung für
die Korrektheit seiner Gesetze zu fordern.
Eine gewisse Gewähr für die Korrektheit der
Verwaltung schien immerhin dadurch gegeben, dass
KARL die Grafen durch besondere Vertrauensleute kontrollieren
ließ, die immer zu zweit auftraten (ein Bischof und ein weltlicher
Machthaber), was ihre Durchsetzungskraft erhöhte und ihren Hang zur
Korruption bremsen konnte.
Um 800 ließ KARL das
Königsgut im gesamten Reich verzeichnen, das heißt er ließ
Inventare anlegen, in denen für jeden einzelnen Königshof der
Bestand an Gebäuden, an Vieh und an Gerätschaften bis hin zum
letzten hölzernen Rechen aufgenommen wurde. Das berühmte Capitulare
de Villis (Kapitular über die Königshöfe) enthält dann
Vorschriften über den Betrieb der königlichen Gutshöfe,
wobei sich KARL mit der Anpflanzung
von Obstbäumen und Weinreben, mit der sorgfältigen Nutzung des
Waldes, mit der Aufzucht von Pferden, Rindern und Geflügel und mit
den Lieferungen für den Unterhalt des Königs und seines Hofes
befaßte. Über den Verkauf der erwirtschafteten Überschüsse
sollte dem Herrscher genau Rechnung gelegt werden.
Auch über die Ehen und Konkubinate
KARLS DES GROSSEN wissen wir besser Bescheid als bei anderen
Herrschern des Mittelalters. Weil Einhard in seiner Biographie die Kaiserviten
Sueons nachahmen wollte, hat er auch das private Leben seines Helden ausführlich
geschildert. Schon in jungen Jahren (um 763) hatte sich KARL
mit
einem adeligen Mädchen namens Himiltrud verbunden; aus dieser
Beziehung ging ein Sohn hervor, der den Namen
Pippin erhielt und
der damit als vollberechtigter Erbe bezeichnet war, obwohl die Verbindung
mit Himiltrud kaum eine Vollehe gewesen
ist. Auch KARLS Großvater
Karl
Martell war ja aus einer nicht voll gültigen Ehe hervorgegangen.
Die Ehe mit der Tochter des
Langobarden-Königs Desiderius war ein politisch begründetes
Bündnis; sie war die einzige Ehe mit einer Ausländerin, die in
karolingischer
Zeit von einem Franken-König eingegangen wurde. Aus politischen Gründen
trennte sich KARL von ihr und heiratete
Hildegard,
ein noch junges Mädchen, das mütterlicherseits vom alemannischen
Herzogshaus abstammte. Diese Ehe war politisch die wichtigste für
KARL,
denn sie verschaffte ihm einen sicheren Stand im östlich des Rheins
gelegenen Gebiet. Aus dieser Ehe gingen bis zum frühen Tod Hildegards
(783) 9 Kinder hervor, 4 Söhne und 5 Töchter. Die ersten beiden
Söhne erhielten typische KAROLINGER-Namen,
nämlich Karl und
Karlmann;
die beiden 778 geborenen Zwillingsbrüder wurden LUDWIG
und Lothar genannt. Bei
KARLS zweitem Romaufenthalt (781) übernahm Papst Hadrian
I. die Patenschaft über die beiden älteren Söhne. Damit
war ein Namenswechsel des zweiten Sohnes verbunden, der jetzt nicht mehr
Karlmann,
sondern
Pippinheißen sollte.
Der ältere Pippin aus KARLS
Friedelehe hatte damit sein Recht auf Nachfolge im Frankenreich verloren;
er hat 791/92 versucht, Verbindung zur Adelsopposition gegen seinen Vater
aufzunehmen, um eine Teilhabe am Erbe zu erhalten; nach dem Scheitern dieses
Aufstands endigte Pippin "der Bucklige"
im Kloster Prüm. Mit der Benennung der Zwillinge nahm KARL
die Namen der bedeutendsten Könige aus dem Haus der MEROWINGER
auf, denn Chlodwig als Reichsgründer
und Chlothar II. als bedeutender
Herrscher am Beginn des 7. Jahrhunderts lebten sicher noch im Gedächtnis
der Franken fort. Aus diesen MEROWINGER-Namen
hat man geschlossen, die KAROLINGER
seien entweder Blutsverwandte der MEROWINGER
gewesen oder sie hätten versucht, sich an die alte Dynastie "anzusippen".
Beide Erklärungen gehen wohl fehl, denn KARL
hatte es nicht nötig, sich auf Königsheil der alten Dynastie
zu stützen; es war jedoch geschichtsbewußt genug, seine eigene
Familie an die großen Leistungen der MEROWINGER
zu
erinnern.
Bald nach den Tode Hildegards
heiratete KARL Fastrada, die Tochter
eines ostfränkischen Grafen; aus dieser Ehe gingen zwei Töchter
hervor. Einhard berichtet mit einiger Kritik davon, dass Fastrada
einen bedeutenden politischen Einfluß ausübte. Nach ihrem Tode
(794) ging KARL zunächst keine
neue Vollehe ein, sondern lebte mit der Alemannin Liutgard zusammen.
Erst während der Anwesenheit von Papst Leo III. im Frankenreich (799)
wird sie als Königin bezeichnet, das heißt
KARL dürfte in dieser Zeit seine Verbindung "legalisiert"
haben. Als Liutgard wenig später
(800) starb, lebte KARL nur noch mit
Konkubinen zusammen. KARL hielt es
wohl für politisch unklug, sich nach der Erlangung der Kaiserwürde
mit einer bestimmten Adelsfamilie zu verbinden und diese damit vor allen
übrigen Familien um Frankenreich auszuzeichnen. Außerdem waren
ja aus der Ehe mit Hildegard drei vollbürtige
Söhne vorhanden, die zur Aufrechterhaltung des Erbgangs zu genügen
schienen.
Dass solche Gedankengänge bei KARL
eine Rolle spielten, können wir aus seinem Verhalten bei der Verehelichung
seiner eigenen Kinder entnehmen. Der älteste, der wohl schon früh
als Thronerbe in Aussicht genommen war, blieb unverheiratet, während
seine beiden jüngeren Brüder Karlmann-Pippin
und LUDWIG (Lothar
war
schon als kleines Kind verstorben) recht früh mit adeligen Mädchen
verheiratet wurden, die aus den ihnen zugewiesenen Unterkönigreichen
stammten. Schon KARL hatte ja die Heiraten
mit Hildegard und Fastrada dazu
benutzt, sich mit dem Adel in wichtigen Regionen zu verbinden. Eine Ehe
des ältesten Sohnes und Thronerben sollte wohl deshalb möglichst
lange hinausgezögert werden, um die Anzahl seiner Nachkommen und damit
der möglichen Erben zu beschränken.
Das Nachfolgekonzept KARLS DES
GROSSEN kennen wir aus dem Reichsteilungsgesetz (Divisio imperii)
von 806. Demnach sollte der jüngste noch lebende Sohn, LUDWIG,
Aquitanien, den größten Teil Burgund und die Provence erhalten;
der zweite, Pippin, sollte zu Italien
auch Bayern und das südlich Alemannien (bis zur Donau) bekommen; der
älteste endlich, Karl der Jüngere,
sollte mit Neustrien und Austrien das ganze altfränkische Kernland
und zudem noch Sachsen, Thüringen, Friesland sowie Teile Bayerns,
Alemanniens und Burgunds bekommen. Es waren auch bereits Grenzen festgelegt,
wenn nach dem Tod eines der drei Söhne die beiden anderen den verstorbenen
Bruder beerben sollten. In einem bezeichnenden Kapitel hatte KARL
seinen Söhnen für den Eintritt des Erbfalls auferlegt, dass keiner
von ihnen einen Angehörigen der kommenden Generation, Sohn oder Neffen,
ohne gerechtes Gericht töten, verstümmeln, blenden oder zwangsweise
ins Kloster einweisen lassen dürfe: Die Kenntnisse KARLS
von
der Geschichte der MEROWINGER und seine
eigenen Erfahrungen über die Erbgänge beim Tode seines Großvaters
und Vaters schlugen hier durch.
Auch für seine Töchter hatte KARL
ein
ganz bestimmtes Konzept, was ihre persönliche Lebensgestaltung anging.
Die älteste, Rotrud, war fünf Jahre lang (781-786) mit
dem byzantinischen Kaiser Konstantin VI. verlobt;
nicht also ein hochadeliger Bräutigam aus dem Frankenreich, sondern
nur der am höchsten stehende christliche Herrscher kam nach KARLS
Auffassung
als Ehepartner in Frage. Nach dem Scheitern dieser Verlobung behielt KARL
seine Töchter an seinem Hof und in seiner Munt. Sie lebten hier in
eheähnlichen Verhältnissen mit wichtigen Ratgebern des Kaisers
und hatten auch Kinder.
Diese unregelmäßigen "Zustände" am Kaiserhof
und auch das lebhafte Sexualleben des Kaisers haben sofort nach seinem
Tod heftige Kritik hervorgerufen. Nicht nur, dass sein Sohn und Nachfolger
LUDWIG
DER FROMME die Schwestern mit ihren Kindern aus Aachen vertrieb,
sondern die Jenseitsvision des Reichenauer Mönchs Wetti (aus dem Jahre
824) weiß zu berichten, dass der Kaiser trotz seiner großen
Verdienste um die Verteidigung Glaubens und die Leitung der Kirche wegen
seines Lebenswandels unter den Verdammten schmachte.
Die merowingischen
Könige hatten keine richtige Hauptstadt besessen; obwohl Paris eine
gewisse Sonderrolle unter ihren Aufenthaltsorten innehatte, hielten sich
die Könige an verschiedenen Pfalzen im Tal der Oise auf, von denen
vor allem Compiegne und Quierzy zu nennen sind. Herstal (bei Lüttich)
und Attigny (bei Reims) besaßen als Residenzen der austrasischen
Herrscher große Bedeutung. Noch Pippin hatte
sich meist an diesen merowingischen
Pfalzorten aufgehalten. Unter KARL
wird dann rasch deutlich, dass sich der Schwerpunkt seines Reiches nach
Osten verlagert hatte. Frankfurt, Ingelheim, Diedenhofen und Worms treten
zu den alten Aufenthaltsorten hinzu; hier hielt sich der König auf,
wenn er nicht auf einem Kriegszug war oder wenn er nicht in einem neu eroberten
Gebiet überwintern mußte.
Während KARL nur
je zwei Winter in Attigny und Diedenhofen verbrachte, je drei in Quierzy
und Worms und vier in Herstal, wurde Aachen seit dem Ende des 8. Jahrhunderts
der alleinige Winterpalast KARLS DES GROSSEN;
hier hat er 18 Winter verbracht. Die Vorbilder für die Wahl einer
dauernden Residenz waren wohl das Langobardenreich, das in Pavia eine richtige
Hauptstadt besessen hatte, und das Kaiserreich in Konstantinopel. Außerdem
spielte auch Ravenna als Residenz des großen Barbarenkönigs
Theoderich
eine Rolle. Von dort ließ
KARL
801 eine Statue dieses Goten-Königs nach Aachen transportieren, und
dessen Kirche San Vitale war mit ihrem Oktogon ein wesentliches Vorbild
für die Architektur der Pfalzkapelle in Aachen. Für diesen Ort
sprach vor allem, dass KARL
hier in
den nahegelegenen großen Waldungen seiner geliebten Jagd nachgehen
und in den warmen Quellen schwimmen konnte.
Das Ansehen des Kaisers war bereits bei seinen Zeitgenossen
groß; Dichter und Hofhistoriographen nannten ihn "Leuchtturm Europas",
"Vater Europas". Und auch der Beiname Magnus, "der Große", wird ihm
seit den achtziger Jahren des 8. Jahrhunderts immer wieder gegeben. Die
Päpste Hadrian I. und Leo III. hatten KARL
als "großen König" angesprochen. Diese Bezeichnung findet sich
auch in privaten Urkunden und nach 800 auch in offiziellen Aktenstücken.
In seinem Epitaph wird er "großer und rechtgläubiger Kaiser"
(magnus et orthodoxus imperator) genannt, und sein Sohn und Nachfolger
LUDWIG
hat für seinen Vater den Beinamen "der Große" gebraucht.
Sein Enkel, der Historiker Nithard, sagte schließlich: "KARL
wurde verdientermaßen von allen Völkern großer Kaiser
genannt." Damit sind wir bei der Nachwirkung KARLS
DES GROSSEN, von der zahlreiche Legenden zeugen. Das große
Interesse der Nachlebenden an diesem Herrscher zeigt sich darin, dass die
erste Biographie, Einhards Vita Karoli Magni, noch heute in über 80
mittelalterlichen Handschriften erhalten ist. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts
widmete der St. Gallener Mönch Notker KARL
III. eine Vita KARLS DES GROSSEN,
in der bereits viele Ereignisse sagenhaft ausgeschmückt und märchenhaft
beleuchtet sind. Dieses Werk bezeugt, dass sich die Phantasie des Volkes
mit dem Leben und den Taten des großen Kaisers beschäftigte.
Notker hat KARLS Leistung aber auch
in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung gewürdigt, indem er das Reich
der Franken als Fortsetzung des untergegangenen Römerreichs ansah.
KARLS
Wirkung auf seine Nachfolger zeigt am schönsten die Wallfahrt Kaiser
OTTOS III. nach Aachen, der sich in die Gruft seines Vorgängers
begab, dem auf dem Thron sitzenden Toten die Fingernägel schnitt und
ihm die abgebrochene Nasenspitze durch Gold ergänzen ließ; einen
Zahn nahm er als Reliquie mit. Mit dem hohen Ansehen
KARLS DES GROSSEN hängt es auch zusammen, dass die Quote
der auf seinen Namen gefälschten Privilegien höher ist als bei
allen übrigen Kaisern: von den 262 erhaltenen Urkunden KARLS
sind
98, das heißt zwei Fünftel, gefälscht. Jedes Kloster, das
etwas auf sich hielt, wollte mit einem Privileg des so hochverehrten Kaisers
prunken.