FRANKEN, ALEMANNIEN, BAYERN UND BURGUNDER
IN ITALIEN ZUR ZEIT KARLS DER GROSSE
UND LUDWIGS DES FROMMEN
KARL DER GROSSE
ging nach der Eroberung des Langobarden-Reiches nicht
sogleich an eine Neuordnung der Verwaltung und der inneren Organisation
des neugewonnenen Staates. Denn noch waren die Sachsenkriege nicht
beendet, die KARLS
volle Aufmerksamkeit erforderten. KARL beschränkte
sich darauf, Gegner zu bestrafen und ins Exil zu schicken, die
Huldigung der langobardischen Großen entgegenzunehmen und eine
fränkische Besatzung in Pavia zurückzulassen, die das Land
ruhig zu
halten hatte. Die Regelung der italienischen Verhältnisse erfolgte
nur
pro tempore [1 Ann. regni
Franc. und Ann. q. d.Einhardi ad 774, ed. Kurze Seite 38ff.].
Schon anderthalb Monate nach der Einnahme Pavias trat
KARL den Rückweg über die Alpen an. Mit dem
Fortbestand der staatlichen
Ordnungen im regnum Langobardiae
blieben auch die langobardischen duces
als deren Träger: in Friaul zum Beispiel Hrodgaud [2 Diesen
scheint KARL
sogar selbst erst eingesetzt zu haben. Vgl. Skizze Hrodgaud im Speziellen Teil.],
in Treviso Stabilinus, in
Vicenza Gaidus. In Florenz gab
es weiterhin den langobardischen dux
Gudibrand, in Chiusi Reginbald
und in Spoleto den Herzog Hildebrand,
der sich in den Wirren des Zusammenbruchs des langobardischen
Staatswesens 773 zum Herrn in Spoleto aufgeschwungen hatte [3 Zu den
genannten oberitalienischen Großen vgl. die prosopographischen
Skizzen im Speziellen Teil, zu Gudibrand
und Reginbald MG Epist.
III Seite 623, nr. 87 und Seite 582-584, nr. 57-58, dazu A. HOFMEISTER,
Markgrafen Seite 281 und R. DAVIDSOHN, Florenz I Seite 78. - Die
Nachricht der Ann. Petaviani (MG SS I Seite 16), wo zum Jahre
774 von niissis comitibus per omnem
Italiam die Rede ist, hat
somit nur
sehr bed:ne,tcn Wert.].
Erst als sich eine langobardische Opposition zusammenfand, die nach der
Wiedererlangung der staatlichen Selbständigkeit strebte und die
Adelgis,
den Sohn des in die Verbannung
geführten letzten
Langobarden-Königs Desiderius
aus seinem Zufluchtsort Byzanz einzuladen
und zum neuen König zu erheben gewillt war, griff KARL schärfer
ein. In Eilmärschen zog er
über die Alpen nach dem östlichen Ober-Italien, um das er
sich 773/74
gar nicht besonders gekümmert zu haben scheint [4 Ann.
Lauresh. ad 776, MG SS I Seite 30. - Bei der
Niederwerfung des Hrodgaud-Aufstandes Carolus illa
castella, quae
residua erant, recepit. - Dazu kommt die Datierung einer Urkunde
(DE RUBEIS, Diss. var. erudit. Seite 292): Regnante viro excellenti domno
nostro Carolo regi ex quo
Austriam preocupavit anno secundo de mense
Januario per indict. prima.
Die Indiction I weist auf 778, und mit der
Besetzung Austriens, des östlichen Ober-Italiens, ist demnach die
Niederwerfuug des Friauler Aufstandes 776 gemeint.]
und wo nun 775/76 der
Aufstand aufflackerte. Wer an der Verschwörung aktiv teilgenommen
hatte
und nicht wie der Führer des
Aufstandes, Hrodgaud,
im Kampfe gefallen war und wer nicht wegen der bewiesenen
Unzuverlässigkeit von selbst das Land verlassen hatte [5 Vgl. Skizze Aio im Spez. Teil. - Daß sich
ein Teil der
langobardischen Großen auch nach Benevent flüchtete, geht
aus zwei Diplomen
LUDWIGS DES
FROMMEN hervor. In ihnen heißt es (Reg. di Farfa II Seite
182, nr. 241 und S. 194, nr. 256 - von 816/Juni/21 und 818/Juni/5):
Godoaldus, qui... postposita fidelitate sua ad
Beneventanos, qui tunc
temporibus domno et genitori nostro Karolo imperatori
rebelles erant,
fugiendo se contulisset ac propter hoc res illius propriae fisco
sociari debusissent. Vgl. auch MG Capit. I Seite 200, nr. 95,
cap. 16
(ca. 790): De fugitivis partibus
Beneventi et Spoleti sive Romaniae vel
Pentapoli, qui confugium faciunt ..., und bes. A. HOFMEISTER,
Markgrafen Seite 349.], verlor seinen
Einfluß und seine Macht. KARL unterwarf
Treviso, Cividale und die anderen Städte, die sich erhoben hatten, et disposuit omnes per Francos [6 Ann. regne
Franc. ad 776, Seite 44.]. Stärkere
frankische Besatzungen wurden in die einzelnen Städte des
östlichen Ober-Italiens gelegt. Ebenso rasch, wie KARL gekommen
war, zog er dann auch wieder nach Franken und Sachsen zurück.
An die Stelle der unzuverlässigen langobardischen duces hatte Karl vor
seinem Abzug aber noch fränkische Grafen gesetzt [7 Ann. q. d.
Einhardi ad 776, Seite 45: in eis
(civitatibus) Francorum comitibus constitutis eadem, qua venerat,
velocitatc reversus est.]. In Marcarius von Friaul, Gebehard von Treviso und Cundhart von Vicenza scheint man sie
vor sich zu haben. Doch kann es damals im gesamten ehemals
langobardischen Italien nicht grundsätzlich zu einer Ausschaltung
der Langobarden aus der Führungsschicht gekommen sein. Neben dem comis Franciscos werden in den
Capitularien noch Langubardiscos
comites genannt [8
MG Cap. I Seite 191, nr. 91 cap. 7. - Zu 782-786.].
Auch behielt ja Herzog Hildebrand trotz
der beabsichtigten Teilnahme am Aufstand
Hrodgauds [9
MG Epist. III Seite 582, nr. 57.] seine Macht
über Spoleto; in Florenz waltete noch um 790 der langobardische dux Gudibrand. Im
östlichen Ober-Italien wurde schließlich der Langobarde Aio, der zu den Avaren
geflohen war, 796 aber in die Hände der Franken fiel, begnadigt
und bald darauf als comes
eingesetzt. Ja, dieser Langobarde muß in besonderem Maße KARLS Vertrauen
gewonnen haben, denn 812 wurde er sogar mit Bischof Haito von Basel und Graf Hugo von Tours zu Verhandlungen
nach Konstantinopel gesandt. Sein
Sohn Alboin wurde ebenfalls Graf.
Tiefgreifendere Maßnahmen, die die anderen Teile des ehemals
langobardischen Italien betrafen, erfolgten offenbar erst im
Zusammenhang mit den drei folgenden Italienaufenthalten KARLS DES GROSSEN.
So wie KARL beim
Italienzug 780/81 Eingriffe in die Verwaltungsordnung vorgenommen zu
haben scheint [10
L.M. HARTMANN, Geschichte Italiens II Seite 288 und A.
HOFMEISTER, Markgrafen Seite 218. Auch ist aus einem Brief Papst Hadrians
I. an KARL,
der der Zeit von 781-786 angehört (MG Epist. III Seite
609, nr. 78), zu entnehmen, daß damals bereits mindestens zehn als
comites bezeichnete Amtsträger
KARLS in Italien
tätig waren (vgl. G. TELLENBACH, Der großfränkische
Adel und die Regierung Italiens Seite
50). Das läßt auf Eingriffe in die Verwaltungsordnung im
Jahre 781
schließen. Daß diese
comites jedoch durchwegs Franken waren, wird man
daraus nicht entnehmen dürfen (vgl. Anm. 8).]
- damals wurde ja für KARLS Sohn Pippin eine
unterkönigliche Regierung eingerichtet -, so kam er auch 786 nicht
nur orationis causa nach dem
Süden, sondern ebenso causas
Italicas disponendi wegen [11
Ann. regne F r a n c. ad 786, Seite 72.].
Auch für KARLS
letzten Italienzug 800/01, bei dem er die Kaiserwürde
erlangte, steht fest: Italiam
propter utilitatem sanctaeDei ecclesiae ac provinciarum
disponendarum veni(t) [12
MG Capit. I Seite 204, nr. 98.].
Die administrative Neuordnung lief nicht nur darauf hinaus, die
langobardischen Dukate nach fränkischer Art in Comitate
umzuwandeln und die bisherigen duces
als comites
weiterzuverwenden. Es kam zu einer grundsätzlichen Wandlung. Diesc
ging freilich langsam vor sich, so daß die einzelnen Stufen
bisher kaum recht erkannt werden konnten. Die langobardischen
Großen, die sich der fräinkischen Staatsgewalt
gegenüber loyal verhielten, glichen zwar in ihrem Amt und wurden
nun nicht mehr als duces,
sondern als comites angesehen
[13 Die
Capitularia Italica erwähnen nur selten duces, immer werden
die comites stärker als
Amtsträger herausgestellt. Unter den
Langubardiscos comites (vgl. Anm. 8) sind deshalb auch die sonst
in
den Urkunden aus den ersten Jahren der fränkischen Herrschaft noch
immer als duces bezeichneten
langobardischen Amtsträger zu
verstehen. Daß sich die Bezeichnung comes gegenüber dem
dux-Titel nur langsam
durchsetzte und daß dadurch ein
promiscue-Gebrauch der beiden Bezeichnungen in den nichtamtlichen
Quellen noch lange üblich war, dazu vgl. A. HOFMEISTER,
Markgrafen Seite 225. Während zum Beispiel im Text einer Urkunde
ein
Heccideus noch als dux bezeichnet wird, unterzeichnet
er selbst als
Acrhideus comes (Reg. di Farfa II Seite 168, nr. 224 - von
814/Febr.).], doch erhielten sie keine
langobardischen Nachfolger mehr. In Spoleto folgte 788/89 auf Hildebrand der Franke Winegis, in Florenz. zwischen
790 und 800 auf Gudibrand der
im Bodenseegebiet beheimatete Graf
Scrot, in Lucca desgleichen vor 800 auf den dux
Allo, der langobardischer Abkunft gewesen sein dürfte,
obgleich er erst nach 774 in Lucca auftrat, der Franke Wicheram [14 Vgl. A.
HOFMEISTER, Markgrafen Seite 301ff., 297 und 284f.].
Im Gebiet der Lombardei und
Piemonts ist dieser langsame Ablösungsvorgang freilich nicht mehr
klar zu erkennen, da für die Zeit von 774 bis 800 wegen des
Mangels an Quellen überhaupt keine Träger staatlicher Gewalt
namentlich bekannt sind. Doch nach 800 findet man auch hier Große
nordalpiner Herkunft an den entscheidenden Stellen: in Genua den Grafen
Hadumar, der fränkischer Herkunft war, in Bergamo den Grafen
Auteranus, für den die nordalpine Herkunft gleichfalls
nachweisbar
ist, in Brescia die Franken Suppo I.
und Maisring, in Padua
vielleicht [14a
Vgl. unten Seite 296 f.] den im
alemannisch-oberrheinischen Raum bezeugten Grafen
Richwin und in Verona den wiederum aus Alemannien kommenden Grafen
Vulfuinus/Wolvene sowie
seine Nachfolger Hadumar (II.) und Hucpald, die
gleichfalls den Gebieten nördlich der Alpen entstammten.
Desgleichen kam die führende Stellung über Istrien in die
Hand von Zuwanderern. Der dortige dux Johannes war offenbar
nordalpiner
Herkunft; in den späteren Jahren KARLS DES GROSSEN stand
dieser
Landstrich unter Hunfrid, der
zugleich in Rätien gebot. Ein
gleichnamiger Sohn scheint ihn
in Istrien abgelöst zu haben. Auch
die Nachfolger des Marcarius
in Friaul - Erich, Cadolah und Balderich -
kamen aus den Gebieten nördlich der Alpen, die beiden ersteren
sogar wiederum aus dem alemannisch-oberrheinischen
Raum. Nur von ganz wenigen als Grafen in dieser Zeit genannten Personen
ist die Herkunft unbekannt [15
So von den Grafen Otto von Mantua,
Ratpert von Turin,
Waradus/Goradus von Verona und Anselmus I. Wenn die Nennung der beiden
Grafen Gerard von Reggio
und Ricpert von Modena in
zwei der
Fälschung verdächtigen Urkunden voll gewertet werden darf, so
müssen auch diese beiden Amtsträger zu den Personen
unbekannter Herkunft gestellt werden.].
Aber nicht nur dir Umformung der Verwaltungsordnung brachte Leute aus
den Gebieten nördlich der Alpen für lange Zeit oder für
dauernd nach Italien. KARL DER GROSSE und
danach LUDWIG
DER FROMME schickten
auch hohe Adlige in das regnum
Langobardiae, die hier nur für
kurze Zeit ein militärisches Kommando übernahmen. Bekannt
sind besonders der königliche
Kämmerer Maginfred, der bei
einem Heereszuge gegen Benevent im Jahre 800 verstarb [16 MG Epist.
IV Seite 351, nr. 211. Maginfred
gehörte zu den
einflußreichsten Persönlichkeiten um KARL DER GROSSE. Im Jahre
791 war er im Kampf gegen die Avaren eingesetzt und führte
zusammen mit dem Grafen Theoderich
(vgl. G. TELLENBACH,
Königtum und Stämme Seite 43) einen Teil des Heeres KARLS die
Donau abwärts; als camerarius
wird er dabei bezeichnet (Ann. q.d. Einhardi ad 791, Seite 89). 796
muß er in Sachsen tätig
gewesen sein; ALCUIN nannte ihn damals regalis palatii arcarius (MG Epist. IV Seite 159,
nr. 11 und Seite 242, nr. 149). Vgl. BM² nr. 370f.]
und der comes
stabuli Burchard, der 807 eine Sarazenenflotte bei
Corsica schlagen
konnte [17
Ann. regni Franc. ad 807, Seite 124, und BM² nr. 428a.
Bereits im Frühjahr 811 ist Burchard
wieder nördlich der
Alpen anzutreffen: er unterschreibt mit vielen anderen fränkischen
Großen das Testament KARLS DES GROSSEN (EINHARD,
Vita Caroli c.
33, Seite 41). Im Herbst des Jahres ist er auch am Abschluß des
Friedens
mit den Dänen an der Eider beteiligt (Ann. regni Franc.
ad 811, Seite 134). Daß er Franke war, daran besteht kein Zweifel
(vgl. G. TELLENBACH, Königtum und Stämme Seite 44).].
Aber auch der dux
Garamannus, der als missus KARL
an den
Papst Verwendung fand, jedoch auch in das Patrimonium Petri eindrang
und dort verschiedene Kirchengüter besetzen und abernten
ließ (787-791), scheint ein militärisches Aufgebot befehligt
zu
haben und nordalpiner Abkunft gewesen zu sein [18 MG Epist.
III Seite 622, nr. 86 und Seite 624, nr. 88. Es handelt sich
hierbei offenbar um einen Eingriff für die Verproviantierung von
Truppen. Wenn 788 an einem Kampf zwischen Bayern und Avaren missi
domni
regis Caroli Grahamannus
et Audaccrus cum aliquibus Francis teilnahmen,
so haben wir in Grahaman den
auch in Italien tätigen dux et
missus vor uns. Wieweit man Identifizierungen mit den in
St.-Gallener
Urkunden der Zeit von 791-820 genannten Grafen Caraman vornehmen darf
(WARTMANN, UB St. Gallen I,
nr. 143, 176,226,230,246,351,und II, Anhang 21), lasse ich offen.].
Desgleichen kamen
einige Franken und Alemannen als baiuli,
als Erzieher und Begleiter
karolingischer Prinzen
und Königs-Töchter,
nach dem Süden [19
Von Rotechild, dem baiolus Pippini regis
(MANARESI, I placiti Seite 77, nr.
25; Seite 441, nr. 119; Seite 576, nr. 7), der schroff gegen die
Langobarden vorging, ist die fränkische Abkunft zwar nicht
ausdrücklich belegt, doch
besteht daran kein Zweifel (vgl. S. ABEL-B. SIMSON, Karl der
Große Seite 388 Anm. 2). Zu Alpkar,
dem baiolus
Adelaide filie ipsius
Pippini regis (MANARESI, I placiti
Seite 147, nr. 45), vgl. die
Belege im Speziellen Teil.].
Auch die in Italien tätigen königlichen missi - Adlige aus Francien
und Alemannien - müssen betrachtet werden, will man den
fränkischen Einfluß auf die Geschicke Italiens ermessen.
Durch diese
scheint ja in der Zeit, als verschiedene Langobarden noch in
führenden Positionen verblieben waren, die Durchführung der
Anordnungen des fränkischen Königs erst gewährleistet
gewesen zu sein. Aber auch nach der Ablösung der langobardischen
Führungsschicht waren es Adlige aus den Ländern nördlich
der Alpen, die in den Missaten zur Reichsverwaltung his zum Jahre 830
nach Italien gelangten. Bei den insgesamt ca. 40 in dieser Zeit
feststellbaren Missaren [2 Die
beiden Boten Possessor episcopus und
Rabigaudus abbas, die
Ende 775 nach Spoleto und Benevent zogen und die Unterwerfung
des Herzogs Hildebrand von Spoleto unter
die fränkische Herrschaft erreichten (MG Epist. III Seite 580-582,
nr. 56-57),
kamen von jenseits der Alpen; dazu vgl. ges. S. ABEL-B. SIMSON, Karl
der Große I Seite 240 ff. Sie fanden auch öfter bei
wichtigen
Verhandlungen zwischen dem Papst und KARL
Verwendung; vgl. MG Epist. III, Register und S. ABEL-B. SIMMSON, Karl
der Große, Reg. -
Possessor war 781 dazu königlicher missus beim
Gerichtsverfahren
gegen Abt Potho von S. Vincenco am Volturno;
MG Epist. III Seite
596, nr. 67, dazu S. ABEL-B. SIMSON, Karl der Große. I Seite 465
ff. - Die beiden königlichen missi, die 781 mit der Übergabe
von Landstrichen der Sabina an den Papst betraut wurden, waren der Abt
Itherius von Tours und der
Kaplan und Abt von St. Denis, Maginarius;
MG Epist. III Seite 597ff., nr. 68-72 und S. ABEL-B. SIMSON, Karl der
Große I Seite 406ff. - Über die Abkunft der beiden
Königsboten Angilbert und Risinus,
die 737 eine Untersuchung
über die Dienste einiger Leute aus der villa Trita für das
Kloster S. Vinccnzo am Volturno durchführten (BM² nr. 291),
ist
nichts bekannt. Doch kann wohl in Angilbert
der berühmte Abt von
S. Riquier, der noch öfter in Italien rät., war (siehe
unten),
erkannt werden. - Die Legaten, die KARL
gleichfalls 787 nach Benevent
entsandte, um den dortigen Großen einen Treueid abzunehmen (vgl.
S. ABEL-B. SIMSON, Karl der Große I Seite 564f.), sind namentlich
nicht bekannt. Hingegen kennt man wieder die missi, die um die
Jahreswende von 787 auf 78S zu Verhandlungen nach Benevent gesandt
waren. Ihr Führer war der bereits genannte Abt Maginarius von
St. Denis (S. ABEL- B. SIMSON, Karl der Große I Seite
612ff.) 788 wurde
dann Winegis als Legat nach Italien geschickt;
nachdem er una cum
paucis Francis Herzog Hildebrand im Kampf gegen
die Griechen
unterstützt hatte, folgte er diesem ein Jahr darauf im Herzogtum
nach; Ann. regni Franc. et Ann. q. d. Einhardi ad 788, Seite 82f. 796
wurde Abt
Angilbcrt von St-Riquier als missus
zur Vereidigung der Römer bei
der Wahl Leos III. nach Rom
abgesandt; Ann. regni Franc. et
Ann. q. d. Einhardi ad 796, Seite 89f. - Im Mai 798 kamen die
missi
Haroinus, Hisembard und
Mancio abbas zu einer
Gerichtsverhandlung
gegen den Herzog Winegis nach Spoleto
(Reg. di Farfa II Seite 142,
nr. 187). Sie kamen gleichfalls von jenseits der Alpen. Mancio war
bereits 789 in Aquitanien als missus
tätig (MG Capit. I Seite
65); in Hisembard könnte
man vielleicht den gleichnamigen
Thurgau-Grafen erblicken (WARTMANN, UB St. Gallen I Seite 168,
nr. 178; Seite 180, nr. 190); Graf
Haruinus war bereits 78;"788 mehrmals
als missus KARLSs an den Papst über die
Alpen gezogen (MG Epist. III Seite 611-614, nr. 80-81 und Seite 619,
nr. 84; dazu S. ABEL-B. SIMSON Karl der Große Seite 611 und 636).
- 799 kamen zur
Untersuchung der Anklagen gegen Leo
III. und zur Aburteilung der
Aufrührer nach Rom: die Erzbischöfe
Hildebald von Köln
und Arn von Salzburg, die Bischöfe Cunipert, Bernard von Worms, Atto
von Freising, Jesse von Amiens
und Flaicus sowie die Grafen Helmgaud,
Rotgar und Germar (BM² nr. 350e und S.
ABEL- B. SIMSON,
Karl der Große II Seite 186f). - Die beiden missi Caroli regis
(also
vor 800;Dezember; V. KRAUSE, Missi Seite 260 zum
Jahre 799) Wibert und Ardionus und nicht weiter bekannt
(Mon. Novalic. vet. I Seite 75, nr. 28). Doch darf man viellicht in
letzterem - in Anbetracht
der schlechten Überlieferung - den schon genannten Grafen Haroinus
erkennen - Um das Jahr 800 (Vgl. S. ABEL-B. SIMSON Karl
der Große II Seite 137 Anm. 4) war in haben eine Gruppe von
Königsboten
täitig, der neben dem Patriarchen
Paulinus von Aquileia der Erzbischof
Arn von Salzburg, der Abt
Pardulf von St. Denis und der Pfalzgraf
Echerigus (vgl. H. MEYER, Pfalzgrafen Seite 459)
angehörten; MANARESI, I placiti Seite 77, nr. 25. - Der missus Karls Anghilbert,
der nach dem Mäz 801 in Arezzo tätig war, wird
gewöhnlich mit dem
gleichnamigen Abt von S. Riquier identifiziert;
MANARESI, I
placiti Seite 132, nr. 42 und V. KRAUSE, Missi Seite 285. - Vom Abt Halabold, der als missus
König Pippins
801 eine Revestitur an das
Kloster Farfa vornahm, ist dann wieder nichts weiter bekannt (CdL Seite
145, nr. 75). Einem italienischen Kloster kann er aber nicht zugeordnet
werden. - 801-802 führte dann der missus domni Caroli Widbodus eine Revestitur in Lucca
durch (MANARESI, I placiti Seite 41, nr.
15). Er mag wohl identisch sein mit dem gleichnamigen Grafen von
Perigucus, der 778 mit weiteren acht fränkischen Grafen
seinen
Wirkungsbereich in Aquitanicn zugeteilt erhielt (vgl. Vita H1udov. cap.
3, MG SSII Seite 608). - Im Jahre 804 (?) waren der
Presbyter izzo und die Grafen Cadolah und Aio als missi in Istrien tätig
(MANARESI, I placiti Seite 48, nr. 17). Über Izzo, der das Missat
geleitet zu haben scheint, ist nichts Näheres bekannt. Er kam wohl
von
jenseits der Alpen. Zu Cadolah
und Aio vgl. unten im
Speziellen Teil. -
Ardemannus und Gaidualdus, die als missi Kaiser KARLS
und König Pippins im
Februar 807 nach Ricti kamen und dort Gerichtstag hielten (MANARESI, I
placiti Seite 68, nur. 21), sind nicht weiter in Italien
hervorgetreten; von ihnen scheint jedoch nur der erste aus Francien
gekommen zu sein (vgl. auch unten zum Jahre 820). - Im Jahre 808 gingen
die Grafen Hunfried von Chur (vgl. Spezieller Teil)
und Helmgaud (vgl. G.
TELLENBACH, Königtum und Stämme Seite 43)
nach dem Süden, um als kaiserliche missi Streitigkeiten zwischen König
Pippin und dem Papst
beizulegen (BM² nr. 431b und 513k; S. ABEL-B. SIMSON, Karl der
Große II Seite 391ff.). - Zu Zeiten König Pippins
sorgte auch ein legatus Berengarius
für die Wiederbefestigung der
Stadt Verona (FAINELLI, Cod. dipl. Veron. Seite 205, nr. 147). In
ihm scheint man den 817 in den Grafschaften Toulouse und Brioude
eingesetzten und eine herzogliche Stellung in Septimanicn
ausübenden
gleichnamigen Botengar (P.
HIRSCH, Erhebung Berengars I. Seite 35)
vor sich zu haben. - Unter den missi, die post obitum piae memoriae
domni Pippini regi domnus imperator Carolus... ad
procurandam Italiam
dirigeret (CdL Seite 164, nr. 88), ist besonders der Abt Adalhard
von
Corbie zu nennen. Nachdem er 809 mit Bischof Bernher von Worms zur
Klärung kirchlicher Fragen von KARL nach Rom
gesandt worden war (Ann.
regni Franc. ad 809, Seite 129), soll er nun für Pippins
Nachfolger, den noch jugendlichen König
Bernhard, die
Regierung Italiens
wahrgenommen haben (Trans1atio S. Viti, cap. 3, Seite 79).
Einige Gerichtsurkunden der Jahre 812-814 zeigen ihn bei seiner
Tätigkeit; vgl. MANARESI, I placiti nr. 25,26,28 und 106,
dazu CdL Seite 164, nr. 88. - Als 815 in der Campagna ein Aufstand
gegen
Papst Leo ausgebrochen war,
wurde der jugendliche König Bernhard aus
Sachsen nach Italien zurückgesandt. Zur Klärung der
Angelegenheit
begleitete ihn als legatus
der Graf Gerold von der Ostmark
(Ann.
regni Franc. ad 815, Seite 142; dazu B. SIMSON, Ludwig der Fromme I
Seite 62). - Bei der
Bestätigung des Besitzes von Farfa berief sich LUDWIG DER FROMME
818 auf
die von zwei Königsboten angefertigte Grenzbeschreibung.
Während der
Name des ersteren nicht überliefert ist, darf der zweite missus,
der
Königsvasall Donatus,
vielleicht mit dem fidelis
LUDWIGS
Donatus
identifiziert werden, der 819 in Göllheim im
Wormsgau wiederum eine gerichtliche Untersuchung
durchführte (vgl. BM² nr. 664, 699 und 840a). Im übrigen
ist ein Donatus
comes in den Quellen der Zeit LUDWIGS DES FROMMEN öfter als Königsbote in den Gebieten
nördlich der Alpen
genannt (vgl. B. SIMSON, Ludwig der Fromme I Seite 246, Anm. 4). Auch
für die Restituierung des Klosters Gravago an das Bistum Piacenza,
die
LUDWIG DER
FROMME am 27. April 820 vornahm, erfolgte eine Untersuchung
durch zwei Königsboten. Diese missi waren der Bischof Adallaho von Straßburg
und ein Graf Hartmann, der im
Gau Charpaigne begütert war (BM² nr. 715; zu Graf Hartmann vgl. BM²
nr. 579 und 658 sowie auch den oben genannten missus Ardemannus
ad
807). - Zur gleichen Zeit müssen der Bischof Heito von Basel, der Abt
Ansegis von St. Wandrille und
der Graf Gerald (von Paris oder von der Bayrischen Ostmark; vgl. B.
SIMSON, Ludwig der
Fromme I Seite 183 Anm. 6, V. KRAUSE, Missi Seite 265, E. DÜMMLER,
GdO I² Seite 35 und oben zum Jahr 815) als missi in Spoleto
tätig gewesen
sein. LUDWIG
DER FROMME berief sich in einer Urkunde für das Kloster
Farfa
vom 28. April 820 auf ihr Urteil (BM² nr. 719). - Im August 821
hielten sich der Graf Aledram von
Troyes (?) und die beiden
vassi
Adalard und Leo als
missi in Spoleto auf (Reg. di Farfa II Seite
207f., nr. 268 und 269; Seite 218, nr. 252, Seite 233, nr. 298; dazu B.
SIMSON, Ludwig der Fromme I Seite 183 Anm. 7). MANARES scheint
Adalard noch für den
bereits genannten Abt von Corbie zu halten
(Identifizierung mit diesem im Register!), vgl. jedoch auch unten
Missat zu 823/Juni; zu Leo
siehe unten im Speziellen Teil. - Als LOTHAR I.
822/23 in Italien weilte, scheint er außer von Wala, Adalhards Bruder,
und Gerung, der später
Mönch im Kloster Prüm wurde (B. SIMSON,
Ludwig der Fromme 1² Seite 182), auch von einem Königsboten Leutherius
begleitet gewesen zu sein (Reg. di Farfa II Seite 233, nr. 298).
Allem Anschein nach muß auch dieser von jenseits der Alpen
gekommen sein (BM²
nr. 1077). - Im Juni 823 wurde der
Pfalzgraf Adalhard (vgl. H. MEYER, Pfalzgrafen Seite 460) als
missus nach Italien gesandt. Zusammen mit
dem Grafen Mauring von Brescia sollte er für
größere Gerechtigkeit
sorgen (Ann. regni Franc. ad 823, Seite 161; Vita Hludov. c. 36
und MANARESI, I placiti Seite 109, nr. 36). - Im Sommer 823 wurden
sodann der Graf Hunfrid von Chur und
der Abt Adalung von St. Vaast
nach
Rom abgesandt, um die Ermordung der beiden kaisertreuen Beamten Theodor
und Leo zu untersuchen
(BM² nr. 778a). - Wer der Rataldus presbiter et
missus domni imperatoris war, der sich im Juli 823 in der Gegend
von
Mailand aufhielt (CdL Seite 186, nr. 102), ist dann allerdings nicht
bekannt. - Im Dezember 824 saß in Reggio Wala aus Rom zurückkehrend in
servitio domni imperatoris zu Gericht (MANARESI, I placiti Seite
109, nr. 36). In den Jahren 822-824 muß er den größten
Emfluß auf die
Regierung Italiens ausgeübt haben (vgl. Vita Walaa I cap. 28,
Seite
545 und die nunmehr überholten Darlegungen B. SIMSONS, Ludwig der
Fromme I Seite 200). - Der Graf Boso,
der am Niederrhein zu Hause war (BENASSI, Cod. dipl. Parm. I Seite 99,
nr. 1), scheint 826 und 827 in
Italien auch nur als missus tätig gewesen zu sein (KANDLER,
Cod. dipl. Istr. ad 826 und MANARESI, I placiti Seite 113, nr.
37). Die curtis Biella, die LUDWIG ihm
schenkte, war wohl für seinen
Sohn bestimmt (vgl. BM² nr. 831). - Im März 827 saßen
in Ostiglia der
Pfalzgraf Adelgis und ein Graf Ragimund als missi zu Gericht
(MANARESI, I placiti Seite 566, nr. 2). Daß zumindest der erstere
von beiden
aus Lothringen kam, dazu vgl. Skizze Adelgis
I., Anm. 12, im Speziellen
Teil. - Auch die beiden missi Bischof
Joseph und Graf Leo, die im
Januar 829 in Rom Gericht hielten, gedachten über die Alpen an den
Hof
Kaiser LUDWIGS DES FROMMEN zurückzukehren
(MANARESI, I placiti Seite 118,
nr. 38). - Den Jahren zwischen 811 und 839 ist ein Missat zuzuordnen,
das Bischof Nordport von Reggio zusammen mit einem in Italien
auch nicht
näher nachzuweisenden Grafen
Folcroh in Chiusi (vgl. unten Anm. 29)
durchführte (WARTMANN, UB St. Gallen II,
Anhang 15). Der Helmericus episcopus atque missus,
der vor den
letztgenannten beiden missi in Chiusi (?) schon zu Gericht saß,
muß
auch ein „Vescovo Oltramontano" gewesen sein, wenn er mit dem bei
TIRABOSCHI, Nonantola II Seite 44, nr. 27 genannten Elmericus
episcopus et abbas identisch ist. - Wenn weiterhin der im
Bodenseegebiet reich begüterte Cozpert
816 die Möglichkeit erwägt, ad
palacium vel ad Italiam ziehen zu müssen, dann darf
vermutet werden,
daß er ein solcher für einen missarischen Einsatz oder
für ein anderes
hohes Verwaltungsamt ausersehener Mann war (WARTMANN, UB St.
Gallen I Seite 211, nr. 221).] - spezielle Boten
an den Apostolischen Stuhl in reinen Kirchenangelegenheiten sind
hierbei außer acht gelassen [21
Solche werden im Codex Caro1inus öfters erwähnt.]
- wurden in Italien ansässige oder dort nur eingesetzte
Große zumeist nicht, oder falls doch, dann nur unter Zugesellung
zumindest eines sonst ins alten Reichsland tätigen Großen
verwendet [22
Nur der Bischof Ratald von Verona,
der am 31. März 820 als
alleiniger missus domni imperatoris
in Pozzuolo am Mincio an einem
Gerichtstag teilnahm (MANARESI, I placiti Seite 95, nr. 31),
scheint ohne Beigesellung einer Persönlichkeit aus den alten
Reichslanden missatisch tätig gewesen zu sein (vgl. auch oben Anm.
20,
zu 823/Juli). Er, der aus Alemanicn stammte (vgl. FAINELLI,
Cod. dipl. Veron. Seite 103, nr. 89: Übergabe per gleba et ramum arboris
... iuxta morem et consraetudinem legis nostrae, dann Miracu1a
S. Marcic. 2, MG SS IV Seite 450 und Eintragung im Necrolog von St.
Gallen und Reichenau, MG Necr. I Seite 279 und 480), war aber LUDWIGS DES FROMMEN
besonderer Vertrauter (vgl. unten Seite 51 und 54).].
Unter diesen missi sieht man den Bischof
Possessor (von Embrun?),
den Abt Rabigaud (von Anisola, St. Calais in der
Diözese Le Maus?), den Abt
Itherius von Tours, den Kaplan
und Abt von St. Denis Maginarius, dessen Nachfolger Abt Fardulf, den
berühmten Abt Angilbert von St
Riquier, Abt Adalhard von
Corbie, den Erzbischof Arn von
Salzburg, die Bischöfe
Adallaho von Straßburg, Bernher
von Worms und Heito von Basel
sowie die Grafen Aledram von Troyes
(?), Boso vom Niederrhein, Hunfrid von Rätien, Helmgaud, Berengar von Toulouse, Hisembard, Gerold von der Ostmark usw. Diese
Leute aus den nordalpinen Ländern konnten in Italien eine exaktere
Kontrolltätigkeit ausüben als vielleicht ein zum Missas
erhobener Graf aus einem italienischen Comitat, der mit dem zu
kontrollierenden Grafen benachbart, bekannt oder gar befreundet war.
Zweifellos hätte es aber auch schon zur Aufrechterhaltung einer
echten Kontrolltätigkeit genügt, Leute aus Friaul als missi
nach Tuszicn, Leute von Spoleto nach der Lombardei und umgekehrt zu
senden, was das Kontrollverfahren gewiß vereinfacht hätte.
So scheint es, daß mit dieser besonderen Missatpolitik das
fränkisch-alemannische Element in der Führung Italiens eine
Stärkung erhalten sollte. Aber auch der Reichszusammenhalt wurde
auf diese Weise gefestigt.
Das Bestreben
KARLS DES GROSSEN, eine möglichst enge Verbindung Italiens
mit den Reichsteilen nördlich und nordwestlich der Alpen zu
erreichen, fand auch in der Heranziehung der fränkischen
Reichskirche sichtbaren Ausdruck. Fränkische Kirchen und
Klöster wurden mit Besitzungen in Italien ausgestattet. Das
Kloster St. Martin in Tours erhielt gleich nach dem Zusammenbruch der
Langobardenherrschaft von KARL DEM GROSSEN
die Insel Sirmione im Gardasee sowie das ganze Tal Camonica, das
Absteigequartier Wahram bei Pavia, die villa Solario und eine casella in Pavia samt Zubehör
zu Geschenk [23
MG DD Karol. I, Seite 115, nr. 81 - weiter BM² nr.
631; für die Ansprüche des Klosters St. Martin auf seine
Besitzungen in
Italien in späterer Zeit vgl. das auf den Namen König BERENGARS I.
gefälschte Diplom (SCHIAPARELLI, I dipl. di Bereng. I.
Seite
363, nr. +1.]. Dem Kloster St. Denis übergab
KARL das
Tal Veltlin, altes langobardisches Fiskalland [24 Die
Schenkungsurkunde ist nicht erhalten. Wir haben dafür
eine Reihe von Bestätigungsurkunden, aus denen das hervorgeht.
Vgl. BM² nr. 1109,1132,1037,1020.]. Die St.
Lambertkirche von Tongern-Lattich erhielt die villa Iberna in der Grafschaft Lodi
[25 Zu
erschließen aus der Urkunde
König Lothars II. von
Lothringen
vom 17. Mai 866, mit der dieser res Sancti Lantberti Tungrensis seu
Leticensis ab ipsa ecclesia a nobis commutatas in Iberna an Kaiser LUDWIG
II. mit der Auflage übergibt, sie an die Kaiserin Angilberga
weiterzutradieren (BENASSI, Cod. dipl. Parm. I, Seite 113, nr. 7).].
Auch der Abtei S. Maurice d'Augaune wurden Güter in Tuszicn in
jener Zeit übertragen [26
BENASSI, Parma I, Seite 159, nr. 24 (= MURATORI, Ant. It. III, Seite
155).]. Dem Kloster Fulda übergab LUDWIG DER FROMME einen
Olivenhain in Ober-Italien [27
Epistolarum Fuldensium fragmenta, MG Epist. V Seite 517.].
Schon vorher hatte es Güter in der Umgebung von Verona vom Grafen Hadumar erhalten [28 Vgl. die
Skizzen Hadumar II. und Bernard im Speziellen Teil.].
Ebenso gelangten die Klöster St. Gallen, Reichenau und St Emmeram
in Regensburg zu italienischen Besitzungen [29 Zum St.
Galler Besitz in fine Clusina
vgl. WARTMANN,
UB St. Gallen II, Anhang 15 (von 811-839). In fine Clusina betrifft
keineswegs, wie WARTMANN vermutet, das Gebiet der Veroneser
Klausen. Da in dieser Urkunde auch von der praedicta civitas (Clusina)
und vom gastaldius ipsius civitatis
die Rede ist, muß hier eine Stadt
gemeint sein. Was liegt näher, als an Chiusi in der Toskana zu
denken?
Sind doch Belege wie monasterium
Sancti Salvatoris quod est
constructum in monte Haimodo
in territorio Clusino (= Montamiata)
mehrfach vorhanden; vgl. MIÖG 5 (1884) Seite 380, nur. 1 und Seite
389, nr.
8. Zu St. Galler Besitz in Italien vgl. dann auch P. DARMSTÄDTER,
Reichsgut Seite 231f. - Das Kloster Reichenau
besaß zu Zeiten Kaiser ARNULFS die Ortschaften
Treniezzo und Gravedona;
vgl. P. DARMSTÄDTER, Reichsgut Seite 98ff. Damals versuchte
man, auch Limonta diesen Besitzungen um den Comer See zuzufügen;
vgl.
Skizze Maginfred im Speziellen
Teil. - Eine Schenkung Otberti
castaldi de
Langobardia ad sanctum Emmeramum
ist der Zeit von 863-885
zuzuordnen; WIDEMANN, Die Traditionen des Hochstifts Regensburg I
Seite 61, nr. 61.]. Auf diesen italienischen
Gütern leiteten Mönche aus den Besitzerklöstern die
Verwaltung [30
Vgl. zum Beispiel die für Fulda, St. Gallen und Reichenau
gegebenen Belege. Daß der Abt von St. Martin in Tours Beauftragte
in
Italien unterhielt, zeigen Briefe Alcuins; vgl. MG Epist. IV Seite 360,
nr. 216 und Seite 362, nr. 218. Auch Hildegard, KARLS DES GROSSEN
783 verstorbene Gemahlin,
hatte Güter in
Italien erhalten; vgl. MG Capit. I Seite 200, nr. 95, cap. 14.].
Um eine möglichst enge Verbindung der Reichsteile zu erreichen,
wurde verschiedenen geistlichen Würdenträgern die Bürde
der Verwaltung eines italienischen Bistums zusätzlich zur Leitung
eines fränkischen Klosters aufgetragen. Klar ist dies sichtbar
beim vir
venerabilis Sigoaldus Spoletinae urbis (= Spoleto) ecclesiae episcopus et abbas monasterii
quod dicitur Epternacum (= Echternach) situm pago Bedense [31 WAMPACH,
Echternach I, 1 Seite 155f. und I, 2 Seite 206, nr. 139; Seite 204, nr.
138; Reg. di Farfa II Seite 204, nr. 265.].
Der Reichenauer Abt Waldo war
lange Zeit zugleich auch Bischof von
Pavia und Basel [32 Translatio
sanguinis Domini, MG SS IV Seite 446; vgl. weiter E. MUNDING,
Abt-Bischof Waldo Seite 70ff.]. Auch der nach 844
als oberster Pfalznotar Kaiser LOTHARS I. feststellbare Hilduin war vorher zugleich Abt von Bobbio und vocatus archiepiscopus Colonice (=
Köln) ecclesie [33 Ann. Co1on.
br. ad 842 (MG SS I Seite 97): Hilduinus
accepit episcopatum Coloniae;
Bestätigungsurkunde LUDWIGS II.
für
Bobbio von 860/Oktober/7 (Cod. dipl. di Bobbio I, Seite 172,
nr. 60): Bestätigung der durch den
Abt Amalricus vorgelegten Urkunden
... Nam etiam auctoritatem, qua sub
predecessore suo Hildoino
venerabili Colonice ecclesie vocato episcopo idem monasterium
defensandum tuendumque domnus et genitor noster Hlotbarius receperit.
- Weiter BM² nr. 1132.]. Ebbo von Reims erhielt kurz vor 844
von LOTHAR zwei
Abteien als Entschädigung für seinen Bischofsstuhl: Stablo
und Bobbio. Beide verlor er allerdings bald wieder, weil er sich
weigerte, als Gesandter nach Konstantinopel zu gehen [34 BM²
nr. 1121a. - Zu nennen wäre hier wohl auch noch der
Elmericus
reverentissimus episcopus et abbas monasterii Toll(ensis), der
826 mit dem Abt Ansfrid von Nonantola Güter
tauschte (TIRABOSCHI, Nonantola II Seite 44, nr. 27). Elmerich, der Commendatar-Abt v. S.
Salvadore di Tolla (in der Diözese von Piacenza),
läßt sich unter den
italienischen Bischöfen dieser Zeit nicht feststellen. TIRABOSCHI
vermutet deshalb in ihm einen „Vescovo Oltramontano, a cui avea
l'Imperadore conceduto quel Monastero".].
Zur Festigung des fränkischen Einflusses gelangten aber auch sonst
Franken, Alemannen und Bayern auf italienische Bischofsstühle.
Schon in den ersten Jahren der fränkischen Herrschaft in Italien
ist der pontifex Francus neben
dem pontifex Langobardus
anzutreffen [35
MG Capit. I Seite 191, nr. 91, cap. 6 - von 782-786.].
Die wichtigsten Bistümer vor allem waren es, die diesen Leuten von
jenseits der Alpen anvertraut wurden. So wie auf KARLS
dringliche Bitte [36
Vgl. E. MUNDING, Königsbrief Karls des Großen über
Abt-Bischof Waldo Seite 3: placuit
nobis eum ad praedictam sedem promovere
... quia tam eundi quan; redeundi in bis partibus servitutis nostrae
baiolus atque praeeipuus operator existit.]
in Pavia Waldo und in Spoleto Siguald eingesetzt wurden, so kamen
auch nach Verona, Vicenza, Vercelli, Mailand usw. [37 Zu den in
Verona von ca. 790 bis 849 aufeinander folgenden
vier Bischöfen Egino, Ratald, Noting - vorher in Vercelli, nachher
in
Brescia - und Billong, die
alemannischer Abstammung waren, vgl. K. SCHMID, Kloster Hirsau und
seine Stifter, Reg. Die Bischöfe Andreas
und Franco von Vicenza waren Bayern; BITTERAUF, Traditionen
des Hochstifts Freising I Seite 341, nr. 400 und S. 420, nr. 492; dazu
R. BAUERREISS in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des
Benediktiner-Ordens, Band.
67 (1956) Seite 23. Zu Erzbischof
Petrus von Mailand vgl. G. P. BOGNETTI, Introduzione Seite
249ff. Franken waren die Bischöfe
Amalrich von
Como, Rorig von Padua, Wibod von Parma, Alemannen Landaloh von Treviso,
Liudward von Vercelli, Chadolt von Novara etc. Eine
Abhandlung, die die
Herkunft der italienischen Bischöfe in der Zeit der KAROLINGER
zum
Gegenstand hat, fehlt leider noch. Doch ist vieles schon ersichtlich
aus den Bischofslisten UGHELLIS, CAPPALLETTIS und SAVIOS. Sie zeigen
auch auf diesem Feld eine stärkere nordalpine
Einflußnahme.] getreue Bischöfe von
jenseits der Alpen. Die Eingriffe in die Besetzung kirchlicher Stellen
müssen sogar so stark gewesen sein, daß Papst Hadrian nicht ohne Grund
fürchtete, von einem Franken verdrängt oder abgelöst zu
werden [38
Vgl. dazu MG Epist. III Seite 629, nr. 92.].
Aber weder die Angehörigen der fränkischen
Reichsaristokratie, die hohe Verwaltungsämter und Lehen in Italien
erhielten oder als Missi an der Verwaltung Italiens teilhatten, noch
die hohen Geistlichen aus dem Franken-Reich, die italienische
Bistümer zu verwalten begannen, und auch nicht die Mönche [39 MG Capit. I
Seite 198, nr.94. Pippini Capit. Papiense von 787/Okt., cap. 2: Instituimus ... de illos monachos, qui de
Francia vel
aliunde venerunt et eorum monasteria dimiserunt, ut presentialiter
illis partibus revertantur ad monasteria et nemo ex vobis deteneat
ipsos.] und frommen Pilger aus den
Gebieten nördlich der Alpen bildeten nach 774 den Hauptteil der
Zuwanderer in den italienischen Raum. Viel zahlreicher kamen einfache
vassi, kleine Grundherren und Siedler ins Land. Diese in den Urkunden
immer wieder genannten habitatores in
vico et fundo Gussolengo, Carpiano, Landriano oder irgendeinem
anderen italienischen Dorf und die cives
de civitate Mediolana,
Veronensi., Astensi usw. ex
genere francorum oder alamannorum stellen den größten
Teil der einwandfrei nachweisbaren Zuwanderer dar [40 Auf Seite
310ff. wird eine Quellenzusammenstellung für diese
in Italien nachweisbaren nordalpinen Zuwanderer gegeben. Es sind nur
soldie Belege aufgenommen, in denen Leute als ex genere Francorum usw.
(vgl. oben Seite 15) bezeichnet werden. Schlüsse aus dem
Auftauchen von
fränkisch klingenden Personennamen sind niemals gezogen worden.
Die
Namen allein geben kein hinreidicndcs Kriterium ab, und oftmals kommt
ein und derselbe Name sowohl für Langobarden als auch für
Franken und
Alemannen und sogar für Romanen vor. Das gilt nicht nur für
die
biblischen Namen wie Samson, Johannes und Petrus; so heißt der
Vater
des Franken Sisenand (Casauria 871) Anastasius; eine Urkunde aus Asti
(832/Januar/31) zeigt uns einen Alemanen Stefan. Ein Franke Valentinus
kommt 873 in Furcone vor. In einer in Salerno ausgestellten Urkunde aus
dem April 868 werden die nach der lex
Romana lebenden, aber fränkische
Namen tragenden Teubaldus und Landericus genannt (MURATORI,
Script. II, 2 Seite 932). Der typische Langobarden-Name Grimoald kommt
in
der Familie des Grafen Ingelfred von
Verona ex
genere alemannorum vor.
Ja, der Name Salicus scheint nach 900 als Personen-Name im Gebiet von
Spoleto ein richtiger Modename geworden zu sein, wie sich aus dem Liber
1argitorius Pharphensis erkennen läßt. Franca
und Lanfranc heißen die Kinder des Grafen Giselbert ex genere
Langobardorum usw. Beispiele ließen sich hier noch
in großer Menge
bringen. - Zur Übernahme langobardischcr Namen durch Romanen und
umgekehrt vgl. schon W. GÖTZ, Italien im Mittelalter I Seite 29f.].
Auch diese Leute sind im königlichen Dienst in das regnum Langobardiae gekommen.
Ihnen fiel offenbar die Übernahme der Aufgaben des
fränkischen Eroberungsheeres zu, das ja nicht dauernd in Italien
belassen werden konnte. Allem nach bildeten sie die custodia Francorum, die KARL DER GROSSE
bereits 774 in Pavia zurückließ, nach 776 aber auch an
anderen wichtigen Punkten einsetzte [41
Francis ad custodiam wurden doch zum Beispiel nach der Niederwerfung
des Hrodgaud-Aufstandes die
Städte des Gebietes von Friaul überlassen; Continuatio
Paulitertia (MG SS rer. Langob. Seite 228).].
Denn merkwürdig oft werden diese in den Urkunden genannten Franken
und Alemannen nicht allein als Zeugen oder Teilhaber an
Rechtsgeschäften ausgewiesen, sondern auch als vassi domni imperatoris, als vassi domni regis oder auch als
Vasallen irgendeines Grafen bezeichnet [42
Genannt seien hier nur der 807 und 808 im Gebiet von Lucca
bezeugte Adelgrimo homo Francisco vasso domni regi (Mem. e doc. di
Lucca V, 2 Seite 205, nr. 344; Seite 206, nr. 347; Seite 212, nr. 355;
Seite
321, nr. 539), der vassus domni
imperatoris
Hernust, der zwischen 812 und
836 in der stark mit Franken
durchsetzten Gegend südlich Mailands hervortritt und durch die
Anwesenheit fränkischer Zeugen sowie durch die Traditionsformel iuxta
lege nostra per maniera et fronde seo festuco et cortello als
Franke
erwiesen wird (CdL Seite 162, nr. 87; Seite 183, nr. 100; Seite 186,
nr. 102;
Seite 226, nr. 127; Seite 235, nr. 133), ein Autmannus
alamanno, vasallo des
alemannischen Grafen Alpcar,
der 842 eine Urkunde des Bruders
Alpcars
mit unterzeichnete (CdL Seite 253, nr. 145), die vassi dominicis tam
teutisci quam langobardi, die 845 bei einem Gerichtstag in
Trient
auftraten (MANARESI, I placiti Seite 160, nr. 49), und die 848 in
Mailand genannten Teodericus sculdasius ex genere
francorum vassallo
Alberici comiti ... Teotecarius ex genere allamannorum
vasallo
suprascripto Alberici comiti ...
Autecarus ex genere
allamannorum
vassallo suprascripto Alberici comiti
(CdL Seite 281, nr. 165). Belege
dafür gibt es in großer Zahl.]. Von
anderen Ankömmlingen wird dazu in den Urkunden berichtet,
daß sie die Verpflichtung des ire
in hostem hatten [43
MANARESI, I placiti Seite 77, nr. 25 (= MURATORI, Ant. It. V Seite 953).]
und daß sie haribannum
leisten mußtcn [44
WARTMANN, UB St. Gallen II, Anhang 15 Seite 393, das Gebiet von Chiusi
(vgl. oben Anm. 29) betreffend.]. König Pippin, KARLS
DES GROSSEN Sohn, nannte diese Leute fideles nostros Francos ..., qui nobiscum sunt vel in ltalia
commorantur [45
MG Capit. I Seite 191, nr. 91 - von 782-786.].
Immer wieder werden dazu die in Italien zugewanderten Franken im Kampf
mit Awaren, Griechen usw. erwähnt [46
Zum Jahre 788 erwähnen die Ann. regni Franc. einen
Kampf inter Avaros... et Francis,
qui in Italia commanere videntur
(Seite 82). Im gleichen Jahr kam es auch zu einem Treffen inter Grecos et
Langobardos, bei dem der missus Wineghisus una cum paucis Francis dem
langobardischen Aufgebot des Herzogs Hildebrand von Spoleto beistand
(Ann. regni Franc. ad 788, Seite 82; vgl. dazu Ann. Sithiens. ad
788, MG SS XIII Seite 36, und Ann. Maximin. ad 788, MG SS XIII Seite
22).
Derartige Belege für Franken in Italien lassen sich in
größerer Zahl
beibringen.]. Man sieht also diese Zuwanderer aus
dem Franken-Reich immer wieder im Königsdienst. Sie führen
hier die gleichen Besatzungs- und Schutzaufgaben für den
König und für die mit hohen Verwaltungsaufgaben betrauten
fränkischen Adligen durch wie das von KARL 809 an
der dänischen Grenze eingesetzte
praesidium Francorum, für das er per Galliam atque Germaniam homines
congrega(vit), oder wie die vielen anderen fränkischen
Wachstationen in den eroberten Gebieten bzw. gefährdeten
Grenzstrichen [47 Ann.
regni Franc. ad 809, Seite 129. - Zur Einrichtung
fränkischer Wachstationen in unterworfenen Ländern sowie an
den Grenzen
und deren Besetzung mit Vasallen vgl. die Belege bei G. WAITZ,
Verfassungsgeschichte Band I V Seite 613 ff.].
Diese ad custodiam in Italien
eingesetzten fränkischen und alemannischen Vasallen und
kriegsdienstverpflichteten Siedler erhielten - wie auch die nach dem
Süden gekommenen Verwaltungsbeamten - zumeist eine Ausstattung mit
Königsgut für ihren Unterhalt [48 Von dem
oben Anm. 42 genannten Adelgrimo homo Francisco vasso
domni regi ist bekannt, daß er beneficium habet hic finibus Lucensis
und daß er Kirchengut voluit
contendere ad parte(m) palatii, set
minime potuit. - Graf Aganus
von Lucca nimmt aus den Händen des
Bischofs Ambrosius von Lucca
die Michaelskirche nur unter der Bedingung
an, daß er sie wieder verlassen dürfe, wenn ihm da regiam partem beneficium concessum
fuerit (Mem. e doc. di Lucca V, 2 Seite 375,
nr. 628). - Vgl. auch LOTHARS
Schenkung der curtis Locate an
Ava und den aus dem
ETICHONEN-Haus stammenden Grafen Hugo (CdL Seite 228, nr. 128)
sowie die
Bestimmung der Capitularien: Et si
forsitan Francus aut Langobardus
habens beneficium iustitias facere noluerit ... (MG Capit. I
Seite
192, nr. 91, cap. 7) und: De vassis
regalis, de iustitiis illorum, ut
ante comitem suum recipiant et reddant (Seite 190, nr. 90, cap.
13).]. Aber auch Kirchengut [49 Quia exercitus noster subitaneo motu et
itineris asperitate
fractus erat et alimoniarum sumptus ceteraque ei subsidia defecerant,
ecclesiarum predia feneravimus; ex quibus milicie nostre cetum ad
fidelitatis augumentum confortaremus. LOTHAR I.
überläßt in diesem
Falle zwei der Kirche von Reggio gehörige Höfe seinem Getreuen Richard
(ostiarius) in beneficium (TORELLI, Le Garte Regg.
Seite 29, nr.
10). Aufschlußreich ist auch die Klage des (langobardischen) Abtes Ildepert vom
St.-Bartholomäus-Kloster bei Pistoia, quod tempore domni Pipini
regis .
. . ab eodem Rotchildo
(vgl. oben Anm. 19) de ipsso
monasterio eiectus
fuisset et in exilio missus sine ulla culpa et absque iudicio et
ipsso monasterio tunc datum fuisset in beneficio Nebulungni Baiuario (MANARESI,
I placiti Seite 77, nr. 25). Auch der Graf
Liutfrid II.
hatte curte(m) ecclesie beatissimi
precursoris (Christi) Johannis
baptista sita Modoecia de dato domni regis in beneficio erhalten
(CdL
Seite 88, nr. 289). Von Seiten dieser Kirche klagte man noch 920, quod per
malos ministeriales, sicut
eorum priscis temporibus habuere
predecessores, non annue baberent sub integritate expensas
(SCHIAPARELLI, I dipl. di Berengario I. Seite 326, nr. 125). Auch aus
den
Schriften Rathers von Verona
ist zu ersehen, daß der Veroneser
Episkopat Teile von seinen Gütern als militaria beneficia zur
Verfügung
zu stellen hatte (F. WEIGELE, Ratherius im Kampf um das Kirchengut
Seite 26ff.). Fränkische und alemannische Vasallen des Bischofs
von
Verona, also Inhaber solcher militaria
beneficia, finden sich schon 846
und 856 bezeugt (FAINELLI, Cod. dipl. Veronese Seite 272, nr. 182,
und Seite 307, nr. 203).] und Besitzungen einiger
ins Franken-Reich weggeführter langobardischer Großer wurden
hierzu verwendet [50
Legitimam hereditatem, quam habuimus
in fisco revocatam,
gibt KARL DER
GROSSE 808 einem nach dem Franken-Reich verbannten und nun
entlassenen Langobarden zurück (MG DD Karo1. I Seite 278, nr.
208).
Vgl. weiter die Skizze Aio im
Speziellen Teil. Zu den Konfiskationen nach
dem Aufstand des Hrodgaud vgl.
MG DD Karol. I Seite 158, nr. 112,
und Seite 285, nr. 214. Die Ann. Maximin. ad 776 (MG S S XIII
Seite 21) fassen das in die unmißverständlichen Worte: Multi ex Langobardis
foras ducti multique per loco expulsi sunt.].
Das zeigen nicht nur die königlichen Schenkungsurkunden [51 Hinzuweisen
wäre außerdem auf ein Kapitulare LOTHARS I.
(MG
Capit. I Seite 325, nr. 162 c. 3). Dort findet sich eine Bemerkung
über die Kriegsdienstpflichtigkeit der bargildi (ein Wort, das in den
italienischen Quellen sonst nicht mehr vorkommt). Bedenkt man,
daß mit
diesem fränkischen Wort in Italien nur eine nordalpine Gruppe
bezeichnet worden sein kann, die dieses Wort noch verstand, und
beachtet man die von A. WAAS (Vogtei und Bede in der Deutschen
Kaiserzeit II Seite 67)
bewiesene Gleichsetzbarkeit der Bargilden mit den unter
Königsschutz
stehenden und auf abgabenpflichtigem Königsgut sitzenden
Pfleghafien,
so kann man auch in dieser Stelle einen Beweis für die Ausstattung
der
nordalpinen Zuwanderer mit Königsgut sehen.],
man kann es vor allem einer größeren Zahl von
Gerichtsurkunden entnehmen, die Aufschlüsse über
Beschlagnahmungen und Übergriffe von Seiten des Fiskus geben [52 Vgl. Anm.
48 und 49. Weitere Beschlagnahmungen und Übergriffe
durch den Fiskus ergeben sich aus MANARESI, I placiti Seite 5, nr.
3; Seite 28, nr. 10; Seite 48, nr. 17; Seite 57, nr. 18; Seite 60, nr.
19; Seite 74,
nr. 24; Seite 92, nr. 30; Seite 95, nr. 31 usw.].
Sind diese Leute aber im königlichen Dienst zunächst an einem
Ort gekommen und dort mit Länderein, mit Lehen (Benefizien) wie
mit echten Landschenkungen, ausgestattet worden, wobei sie oftmals in
der näheren Umgebung noch weiteren Grundbesitz aus eigenem Antrieb
hinzuerwarben [53
Vgl. zum Beispiel die Skizze Alpkar
im Speziellen Teil.], so kann man
schließlich, aus einer Zusammenstellung aller Orte, an denen
Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder angesiedelt wurden, erkennen,
welche Landstriche und Plätze die Herrscher damals durch eigene
Vasallen sichern wollten. Da aber im Laufe der Zeit immer häufiger
Wohnortwechsel - sei es durch Erwerb weiteren Grundbesitzes, sei es
infolge von Heiraten etc. - vorgekommen sein dürften und da in der
Zeit nach 888 im Zusammenhang mit den Prätendentenkämpfen um
die Krone Italiens auch ein stärkeres inneres Fluktuieren eintrat [54 Vgl. unten
Anm. 63.], so können hierbei nur die
frühen Bezeugungen Beachtung finden. Die auf Seite 40/41
eingefügte Karte, in der die Leute jeweils bei dem Auftrittsort
eingetragen sind, kann auf die Frage nach den bevorzugten bzw.
sicherungsbedürftigen Landstrichen und Orten am schnellsten eine
Antwort geben. Sie bedarf aber der Erläuterung, da die
Materialgrundlage, auf der sie fußt, nicht für alle Gegenden
gleich ist.
Als Schwerpunkte der Ansiedlung von Franken und Alemannen zeigt diese
Karte die Gebiete um Mailand-Pavia, Verona, Como-Lecco, Parma, Piacenza
und Lucca. Wie man sieht, handelt es sich um die in politischer und
militärischer Hinsicht wichtigen Plätze [55 Daß
diese Punkte besonders hervortreten, ist, nicht allein
eine Folge der für diese Orte recht günstigen
Quellenüberlieferung. Man
vergleiche etwa den gleich großen Urkundenbestand Veronas mit dem
der
Kirchenstaatsgebiete (BERNHART, Codes traditionum ecel.
Ravennaus; FANTUZZI, Monumenti Ravennati; VESI, Storia di
Romagna, Bd. Documenti), die Urkunden von Lodi oder Cremona mit denen
von Asti etc. - Für die Gebiete mit schlechter Überlieferung
werden die
erzählenden Quellen berücksichtigt.].
Mailand-Pavia bildete das Herzstück des regnum Langobardiae [56 Die
Urkundenüberlieferung der Paveser Archive setzt infolge
der wechselvollen Geschichte dieser Stadt erst nach 1000 ein. (Man
beachte besonders die völlige Einäscherung Pavias durch die
Ungarn
924.) Daß in Pavia jedoch Franken zurückgelassen wurden,
überliefern
uns - wie schon gesagt - die Ann. regni Franc. zum Jahre 774.
Aber auch die Urkunden der Mailänder Archive zeigen uns schon
deutlich
genug die Durchdringung des Gebietes nördlich von Pavia mit
fremden
Zuwanderern an.]. Verona war das Einfallstor aus
Ost-Franken über den Brenner und über die Reschenstraße
nach dem östlichen Ober-Italien; es besaß dadurch und durch
die leichte Sperrmöglichkeit der Zugangsstraße bei den
Veroneser Klausen hohe militärische Bedeutung. An den
Südenden der großen oberitalienischen Seen lagen die
Ausgangspunkte für die Straßen nach Norden über die
Bündener Pässe [57
Für
diese Gebiete fehlt gleichfalls eine eigenständige
Überlieferung. Die wenigen Urkunden der Mailänder Archive
für diese
Landstriche zeigen aber schon die Bedeutung, die dieser Gegend
beigemessen wurde. Vgl. dazu auch die Schenkung des Veltlin an St.
Denis (vgl. oben Seite 31, Anm. 24).]. Mit Parma
galt es, den Zugang zu der Toskana über die äußerst
wichtige La-Cisa-Paßstraße, die Via Francigena, zu sichern,
- und damit zugleich die Verbindung nach Rom. Lucca war damals der
Mittelpunkt Tusziens. Es stellte bereits in der Langobardenzeit ein
bedeutsames Zentrum dar; und hier entfalteten dann auch die
späteren Markgrafen von Tuszien ihre Macht.
Daß die Straßen zu den wichtigen Westalpenpässen
Mont-Cenis
und Mont-Genevre in der gleichen Weise gesichrrt wurden,
läßt
sich aus der Kartenskizze nicht erkennen. Die Privaturkunden des
Klosters Novalese jedoch, die gleichfalls den
fränkischen Einfluß zeigen könnten, gingen bei den
Sarazeneneinfällen in Piemont und der dadurch ausgelösten
Flucht der Mönche nach Turin mit einer einzigen Ausnahme
verloren. Umso deutlicher spricht daher diese eine Ausnahme: zeigt
sie doch einen alemannischen Zuwanderer, der seine Besitzungen in
Cumiana am Ausgang des Tales von Susa an das Kloster Novalese
schenkte [58 Mon.
Nova1ic, vet. I Seite IX und Seite 62, nr. 16 - von
810/Apri1.]. Auch um den Zugang zu der weniger
begangenen, von Cuneo
das Tal der Stura aufwärts und ins Tal der Ubaye
hinüberführenden Paßstraße müssen Franken
angesiedelt worden sein; was tam
Langobardi quam Romani homines et Franci fecerunt dicto sancto loco,
wurde nämlich dem dort
gelegenen Kloster S. Dalmazzo di Pedona bestätigt [59 RIBERTI,
San Dalmazzo di Pedona, BS SS 110 Seite 473 - Diplom
LUDWIGS DES
FROMMEN vom 1. August 815.]. Am besten
verdeutlicht jedoch die Verpflanzung so vieler Franken und Alemannen in
die Umgebung von Asti, der Durchgangsstadt auf dem Wege vom Mont-Cenis
und Mont-Genevre nach der Hauptstadt Pavia, die Sicherung auch dieses
Raumes.
In dem für die damaligen Verhältnisse etwas abseits
gelegenen gebirgigen und für die militärischen und
politischen
Belange weniger wichtigen Ligurien scheinen die Zuwanderer kaum Boden
gefaßt zu haben, so daß die fränkischen Annalen nicht
umsonst über diese Gebiete mit der einen Ausnahme, dem Bericht vom
Tod des Grafen Hadumar von Genua
in einer Seeschlacht gegen die
Sarazenen, schweigen. Und auch die um 950
einsetzende Urkundenüberlieferung Genuas enthält nur wenige
Belege für Franken in diesen Landstrichen.
Dagegen dürfte, was wiederum aus der Karte allein nicht erkennbar
ist, in das Gebiet von Friaul eine erhebliche Anzahl von Leuten aus
dem Norden zugewandert sein. Obwohl für dieses Gebiet die
Urkundenschätze der frühen Zeit in gleichem Maße fehlen
wie für Ligurien, läßt sich dies behaupten, denn die
Annales regni Francorum sagen gerade im Zusammenhang
mit der Niederwerfung des Aufstandes Hrodgauds,
daß KARL
in
Friaul disposuit omnes per Francos.
Die erzählenden Quellen zeigen
dort dazu die verschiedenen Markgrafen
wie Erich, Cadaloh, Baldrich und
Eberhard, die aus dem Norden
kamen, cum quibusdam Francis [60
Ann. regni Franc. ad a. 776, Seite 44; Ann. Alam. tont.
Murbac. (MG
SS I Seite 48); vgl. wehrt die im Speziellen Teil gelieferten
Grafenskizzen.
Auch ist zu beachten, daß sich in der Bibliothek Eberhards von Friaul eine
lex salica, eine lex
Alamannorum und lex
Baiovariorum befand, die er wohl auch
gebraucht haben mag.]. Friaul
war auch Ausgangspunkt für viele fränkische Feldzüge
gegen Awaren, aufständische Kroaten und Bulgaren [61 Ann. regni
Franc. Seite 117,127,767. Vgl. auch P. S. LEICHT, Il feudo Seite76.].
Sogar die Markgrafschaft Spoleto erhielt eine stärkere
fränkische Besatzung [62
Vgl. die Karte und L. SCHÜTTE, Fränkische Siedlung in
den Abruzzen.].
Das Gebiet des werdenden Kirchenstaates, das unter päpstlicher
Oberhoheit stehende Land, scheint hingegen bei der Ansiedlung von
Vasallen peinlich genau beachtet und gemieden worden zu sein. Bis 888
lassen sich dort überhaupt keine Franken, Alemannen etc. - weder
Grafen noch Vasallen - nachweisen; und auch Verschiebungen, die in der
Zeit der sogenannten nationalitalienischen Könige einsetzten [63 Nach 888
lassen sich einige Franken im Exarchat nachweisen (vgl.
Spezieller Teil, Skizze Pfalzgraf
Hucpold, und BERNHART, Codex
traditionum eccl. Raven. Seite 66,65 und 75 = FANTUZZI, Mon. Rav.
I Seite 59, nr. 116, Seite 58, nr. 115 und Seite 72, nr. 152 - ad a.
904-905? -
Ermenaldus
genere francorum et Betta iugal). - Vgl. aber auch schon A.
HESSEL, Bologna Seite 17: „Mit dem Ende des 9. Jahrhunderts beginnt
für die Romagna eine Epoche des Übergangs". HESSEL stellt
fest,
daß die sogenannten nationalitalienischen Könige die
Unterschiede zwischen dem Exarchat und dem Regnum Italiae nicht mehr
beachten und daß auch die „Grafschaftsverfassung" in dieser Zeit
in die Romagna einzudringen beginnt. Vgl. dazu die ausführlicheren
Darlegungen bei A. GAUDENZI, Il monastero di Nonantola, in:
Bullettino 22 Seite 123ff. und bei G. BUZZI, Ravenna e Roma Seite
140ff.; ausführlich auch A. VICINELLI, Bologna, besonders in Atti
XI.], blieben
gering. In diesen Gegenden entfaltete sich eine ganz andere
Verwaltungsordnung, wie sich aus den Urkunden Ravennas, der Romagna und
der Sabina ergibt. Gab es im regnum Langobardiae den comes als
Mittelpunkt der Verwaltung, so fungierten im Patrimonium Petri oft in e
i n e r Stadt eine ganze Reihe von duces, magistri militum etc.; gab es
hier notarü, so dort dativi. Die von Karl dem Großen 774
bestätigte Schenkung Pippins von Kiersy scheint somit trotz aller
so oft betonten Oberhoheit Karls und seiner Nachfolger über diese
Gebiete in der ersten Zeit doch eine Realität gewesen zu sein. Die
praktische Oberhoheit Karls wird nicht zu bestreiten sein; daneben
bemühte sich aber der Papst, möglichst viel Regierungsgewalt
in den geschenkten Gebieten selbst auszuüben, sowie die
karolingisch-fränkische
Verwaltung, und mit ihr die Franken, von
seinen Landstrichen fernzuhalten. Verschiedene Quellenaussagen lassen
das klar erkennen [64
Am besten zeigt dies wohl ein Brief aus dem Codex Carolinus (MG Epist.
III Seite 635, nr. 94). In ihm werden - ausgehend von
der Begebenheit, daß einige
Raviniani et Pentapolenses in die
Botmäßigkeit KARLS DES GROSSEN
getreten waren - Abmachungen
über die Rechtslage der Leute aus den Kirchenstaatsgebieten und
über den gegenseitigen Verkehr der Bewohner des regnum
Langobardiae und des päpstlichen Patrimonium besprochen. Hadrian
I. bittet KARL DEN GROSSEN,
neque eis (sc. Ravinianis atque
Pentapolensibus) neque quolibet homini nullatenus in nostra adversitate
praeberemini consensum, sed statim, si tales repperissetis, et hominem
et causam ad nostrum iudicium mitteremini. Der Verkehr der Leute
des
Patrimonium und des regnum
Langobardiae untereinander solle nur mit
Erlaubnisschreiben möglich sein; - sicut vestris bominibus sine
vestra absolutione ad lirnina apostolorurn neque ad nos coniungunt, ita
et nostri homines, gui apud vos venire cupiunt, cum nostra absolutione
et epistola veniant. So kann das Fehlen von fränkischen und
alemannischen Zuwanderern im Gebiet des Patrimonium nicht mehr
verwundern. KARLS
Oberhoheit sollte nach dem Sinn des Papstes nur so
weit gehen, ut et nostra territoria
per vestram regalem tuitionem
intacta permaneat. Als deshalb der dux Garamannus
aus
dem Heere KARLS
eingedrungen war und Güter der Kirche von Ravenna
okkupiert hatte, da beklagte sich
Hadrian hauptsächlich nicht
deshalb, weil die beschlagnahmten Güter Kirchengut waren, sondern
weil diese predia et possessiones
... nostris territoriis sitae
existunt (MG Epist. III Seite 622, nr. 86). - Vgl. weiterhin die
in
Anm. 63 zitierte Literatur.].
Welche Bevölkerungsschicht Franciens und Alemanniens kam nun in
der Karolinger-Zeit
überhaupt zu Heereszügen,
Besatzungsdienst, ja Ansiedlung in Italien in Betracht? Den
Bemühungen, der Lösung dieser Frage näherzukommen,
stehen große Schwierigkeiten entgegen. Während bei einigen
Grafen wie Chadaloh von Friaul,
(Richwin von Padua), Wolvene von
Verona, Scrot von Florenz
und Alpcar die Verwandtschaft,
der
heimatliche Besitzstand und anderes mehr ermittelt werden können
und
während auch bei einigen wenigen Bischöfen nordalpiner
Abkunft, so etwa bei Bischof Noting
von Vercelli, Verona und
Brescia
oder bei Bischof Waldo von
Pavia [65
Vgl. K. SCHMID, Kloster Hirsau Seite 78ff., und E. MUNDING, Abt-Bischof
Waldo Seite 5ff. Zu Scrot von Florenz
vgl. A. HOFMEISTER, Markgrafen Seite 297 und K. SCHMID,
Königtum, Adel
und Klöster, besonders 296f.,304f. und 325ff.]
größere Aufschlüsse
über die Herkunftssippe zu gewinnen sind, läßt sich
für die Masse der kleinen Vasallen und Staatssiedler Genaueres
über den heimatlichen Besitzstand, die Verwandtschaft, die
früheren Freihefts- oder Abhängigkeitsverhältnisse usw.
nichts feststellen. Von den alemannischen Vasallen in Italien sind zum
Beispiel kaum die Namen im sonst so reichhaltigen St. Gallener
Urkundenmaterial nachzuweisen. Als Schenker an ein heimatliches Kloster
oder als Verkäufer seiner Erbbesitzungen ist keiner dieser Leute
mit Sicherheit wiederzufinden. Das könnte mit der allerdings
anfechtbaren These begründet werden, daß nur solche Freie
für den Dienst in den karolingischen Heeren in Frage kamen, die
schon auf Königsgut saßen und davon Zins an den König
zu entrichten hatten, dieses Königsland selbst aber nicht
veräußern konnten [66
Diese These wurde vorgetragen von H. DANNENBAUER, Die
Freien im karolingischen Heer. Er schreibt von diesen Freien Seite 63:
,,... sie sind wehr- und abgabenpflichtig, weil sie auf Königsland
sitzen." Auf Seite 54 heißt es: „Ihre Güter dürfen sie
zwar an ihre Angehörigen vererben oder mit Genossen vertauschen -
die freien Leute bilden geschlossene Gemeinden -, zur
Veräußerung an Ungenossen jedoch, an Kirchen oder sonstige
Leute, brauchen sie königliche Erlaubnis ..." - DANNENBAUER zieht
zum Beweis dafür, daß die aufgebotenen Leute auf
Königsland saßen, immer wieder die Verhältnisse im
karolingischen
Italien, an der spanischen Grenze und in Aquitanien, in
Friesland und an der dänischen Grenze heran. Für die
Grenzland- und Feindeslandansiedlung ist es aber sowieso klar,
daß der König konfisziertes Gut zur Verfügung stellen
mußte (und auch tat, vgl. oben Seite 34f.); wie hätten diese
Leute dort sonst ihre Aufgaben erfüllen können? Damit und mit
den Belegen aus Kempten, Murbach und Reichenau (Seite 54/55) wird zwar
erwiesen, daß liberi homines
pro eo, quod super terram fisci
manere noscuntur, ad partem publicam tributa ac servicia persolvebant,
ja auch heerpflichtig waren, - und daran ist noch nie gezweifelt worden
-; wenn aber die allgemeine Heerfahrtpflicht der Freien in der Folge
verworfen wird und dafür ausschließlich die Auffassung
vertreten wird: „die Königszinser sind es, die der fränkische
König zum Heer aufbieten kann und von denen die Capitularien
sprechen" (Seite 55), dann fehlen dafür die Beweise. Dafür
gibt es aber gegen DANNENBAUERS damit
zusammenhängende Auffassung: „Von Alloll ist
man nicht heerespflichtig, nur
landwehrpflichtig" (Seite 52) genügend Gegenbeweise. Wenn es
nämlich im Capitu1are de excrcitupro - movendo (Capit.
I Seite 137, c. 1) wie in vielen anderen Capitularicn (vgl. etwa Capit.
I Seite 134, c. 1 und 2; Capit. I Seite 230, c. 44) heißt: Ut omnis
liber homo qui mansos 4 vestitos de proprio sive de alicuius beneficio
habet ipse se praeparct et per se in hostem pergat, dann ist
jeweils
proprium identisch mit alodium.
Die Capitularien kennen nämlich keine
Unterscheidung dergestalt, daß
proprium allgemeines Eigengut bedeutet
und auch ehemalige königliche Landschenkungen mit
Vorbehaltsrechten mit
umfaßt, alodium dagegen
reines Eigengut darstellt. Wenn es im Capitulare missorum generale,
cap. 6, von 802 heißt: Ut
beneficium domni imperatoris desertare nemo audeat, propriam suam
exinde construere, und wenn die
Capitularia missoruin specialia des
gleichen Jahres auch de illis
hominibus, qui nostra beneficia habent
destructa et alodes eorum restauratas, handeln und Anweisung
geben, ut
beneficia domni imperatoris et ecclesiarum considerentur, ne forte
aliquis alodem suum restaurans beneficia destruat, so
beschäftigen sie
sich mit ein und derselben Sache, gebrauchen aber dafür einmal das
Wort
proprium, das andere Mal alodium (Capit. I Seite
93,100,104). Auch
wenn es im Neumagener Capitulare von 806 (Capit. I Seite 132)
heißt,
daß wegen des in diesem Jahre an vielen Orten ausgebrochenen
Hungers
alle Bischöfe, Äbte, Optimaten und Grafen usw., qui beneficia regalia
tam de rebus ecclesiae quamque et de reliquis habere videntur,
unusquisque de suo beneficio suam familiam nutricare faciat, et de sua
proprietate propriam familiam nutriat, so ist auch an dieser
Stelle
proprium analog mit alodium gesetzt, wenn es dann
weiter heißt: et si
Deo donante super se et super familiam suam, aut in beneficio aut in
alode, annonam habuerit et venundare voluerit non carius vendat
... -
Und so könnten noch weitere Belege für den Simile-Gebrauch
von proprium
und alodium, damit
auch Belege für den Heeresdienst von Eigengut
gebracht werden.]. Da aber eher an der Meinung
festzuhalten
ist, daß jeder Freie [67
Unter den in Italien nachweisbaren Franken, Alemannen usw. befindet
sich kein einziger Massaricier, Aldione oder gar Servus.]
mit einem gewissen Mindestmaß von Grundbesitz
heeresdienstpflichtig war [68 Für
diese Feststellung von G. WAITZ,
Verfassungsgeschichte Band IV, cap. Heerwesen, spricht noch immer recht
viel. Vgl. etwa auch WARTMANN, UB St. Gallen II, Anhang 15:...
quod proprium non habuisset et ideo
haribannum dare non debuisset.], so bleibt
vorerst nur die Vermutung, daß die in ihren Heimatgebieten mit
echtem Eigengut oder auch schon mit Königsland reicher
begüterten Teilnehmer eine Rückkehr in die Stammlande
vorzogen, während auf Leute aus an Land ärmeren Familien eine
umfangreichere Landausstattung mit italienischem Fiskalgut anziehender
gewesen sein muß. Solche reicher begüterte Teilnehmer an
Italienzügen, die in die Heimat zurückkehrten, und auch
solche landärmere Kriegsdienstpflichtige, die in der
Fremde zu verbleiben gedachten, wenn sie dort reichlicher ausgestattet
würden, sind ja auch namentlich bekannt [69 Aus den
St.-Gallener Urkunden ergeben sich folgende
Beispiele: Notum sit, ... quod
nobilis homo nomine Buozzo,
Durgaugensis provincie oriundus, in Langobardiam pergens et
monasterium sancti Galli preteriens, eidem sancio loco ... duas hobas
proprie hereditatis cum sua Santa potestative tradidit. ...Ipse vero
post paucum tempus ad Alamanniam revertens obiit (WARTMANN, UB
St. Gallen II Seite 244, nr. 638 - von 884/Juni/22). Es ist hier wohl
kaum an einen Pilger zu denken, denn es heißt ausdrücklich
Langobardiam, nicht Romam (!) pergens; man wird an
einen Teilnehmer
eines Heereszuges KARLS III. zu
denken haben. - Dieser Gruppe von
Leuten dürfte auch der im Rheingau, Wormsgau und Lobdengau reich
begüterte Riphuuinus
zuzuzählen sein, der 792-793 im Begriffe stand, in
Longobardiam cum domno ... iam dicto rege
(Karolo)
zu gehen. Er ist im
Januar 804 und im August 806 wieder in Lorsch anzutreffen. Zu ihm und
seiner Verwandtschaft vgl. Codex Laureshamensis II
nr. 257 sowie nrr. 170,
215,216,228,230,231,234-236,240-247,249,252,253,255-257,259,260,610,878
(III, 3605). - Das
entgegengesetzte Beispiel zeigt die Schenkungsurkunde der beiden Brüder
Huport und Isanbert.
Diese schenkten ihren Besitz in Tuttlingen, den
sie von anderen Brüdern erhielten, an St. Gallen, behielten sich
aber
die Möglichkeit der Zurücknahme vor. Nur si in militia qualibet patria
militaverimus nobis Deus locum dederit, ut ipsis rebus (sc. das
geschenkte Gut) non indigiamus, tunc
ad ipsumn monasterium, sicut a
nobis definitum est, omni deinceps tempore firma stabilitate concessa
debeat permanere (WARTMANN, UB St. Gallen I Seite 138, nr. 146 -
von 797/Juli/30). Wenn die geschenkten Besitzungen nur an einem Ort
liegen und dazu noch aus der Überlassung von anderen Brüdern
stammen,
ja wenn die Brüder bekennen, daß sie diesen
ursprünglichen Besitz
anderer Brüder erst dann nicht mehr benötigen, wenn ihnen
andere Güter
im Ausland zugewiesen worden sind, dann kann es sich hier nur um
weniger begüterte Leute handeln. - Auch der Hazilo aus Hornau hatte,
cum in Langobardiam iturus erat, nur
noch hubam l cum mancipiis an
das
Kloster Bleidenstadt zu verschenken, an das er vor seinem Abgang nach
dem Süden schon areas II gab (Cod. dipl. Nassoicus I, 1 Seite
37, nr. 46). Auch er kann demnach nicht reich begütert gewesen
sein.].
Die Ansiedlung von weniger begüterten Kriegsdienstpflichtigen auf
Fiskalgut an militärisch und politisch wichtigen Punkten des regnum Langobardiae, die von den KAROLINGERN
durchgeführt wurde und eine ansehnliche Zahl von Leuten aus den
Ländern nördlich und nordwestlich der Alpen nach Italien
brachte, stellte für Italien kein Novum dar. Schon die
Langobarden-Könige hatten landlose Freie auf Grund und Boden des
Staates zum Zwecke des Grenzschutzes und zur Sicherung wichtiger
Straßenzüge fest angesiedelt [70 Dazu vgl.
F. SCHNEIDER, Die Entstehung von Burg und
Landgemeinde in Italien Seite 138f., der in der langobardischen
Arimannie
die Verwirklichung des byzantinischen Limitanensystems sieht, und Th.
MAYER, Königtum und Gemeinfreiheit Seite 345, welcher die
Arimannie in
Zusammenhang mit der bei allen germanischen Völkern vorkommenden
Siedlung auf Königsland sieht. MAYER schreibt:
„Sie (die Arimannen) waren Leute, die in großer Zahl und im
ganzen
Reich mit Vorliebe an strategisch wichtigen Punkten oder Bezirken auf
ungerodetem, im Eigentum des Königs stehenden Boden angesiedelt
worden
sind und die dem König zu Steuern und besonders zu Kriegsdienst
verpflichtet waren."]. Die Sicherheit des
langobardischen Staatswesens wurde lange Zeit durch diese derzeit
einsatzfähigen, auf Staatsland angesiedelten Krieger, die
sogenannten Arimannen, gewährleistet. Mit der langobardischen
Arimannie kann die fränkische Staatssiedlung in Italien in vieler
Hinsicht in Parallele gesetzt werden. Ein Vergleich der Topographie der
fränkischen Siedlung mit der der langobardischen Arimannie zeigt
deutliche Übereinstimmungen [71
Zur Topographie der Arimannie vgl. F. SCHNEIDER, Burg und Landgemeinde
Seite 138ff.; daraus auch die folgenden Zitate.].
Im Gebiet von Verona, wo Franken und Alemannen in großer Zahl
angesiedelt wurden, gab es in Bezug auf die langobardische Arimannie
schon eine „Organisation von ungeahnt großartigem Ausmaß".
Die Etschklausen, das Gebiet um Garda und Lause, die Hügelgebiete
südlich und südöstlich des Gardasees, die Valpolicella,
die Val Pantena, die Valle d'Illasi, der Reichsforst Manticus westlich
der Stadt waren stark mit Arimannen besetzt. In der Umgebung von
Brescia und Bergamo gab es „einfachere, der geringeren Bedeutung dieser
Alpentälcr entsprechende Anlagen"; die fränkische
Staatssiedlung ist aber auch hier zu finden. So wie auch in und uni
Mailand [72
Über Arimannen in und um Mailand vgl. auch G. P. BOGNETTI,
Arimannie nella citta di Milano Seite 173ff.] und
in den angrenzenden Kastellbezirkcn Seprio und Lecco Staatssiedler von
jenseits der Alpen nach 774 anzutreffen sind, so war vorher dieses
Gebiet schon mit Arimannen-Orten durchsetzt. Solche waren Locarno,
Lugano, Mendrisio südöstlich des Luganer Sees, Balerna
nordwestlich Como, Bellagio, Limonta, das Tal Veltlin usw. Hier war
eine „gewaltige Sperre der Bündnerpässe" angelegt. Arimamun
sind in Mosezzo nordwestlich von Novara nachgewiesen und weiterhin in
den Alpenrandgebieten zwischen Biella und dem Lago Maggiore und bei
Ivrea. In denselben Gebieten gab es dann auch fränkische
Staatssiedlung. Bei den Klausen nm Ausgang des Tales von Susa, wo die
fränkische Staatssiedlung mangels früherer Quellen nicht mehr
festgestellt werden konnte, ist auch aus dem gleichen Grunde „leider
eine dem Etschlimes analoge Organisation (der Arimannie) nicht mehr
nachweisbar". Nur bei Fruttuaria nordöstlich von Turin wie in
Chieri sind Arimanncn nachgewiesen. So gut wie Franken und Alemannen
dann in dem zum Bergland von Montferrat gehörigen Territorium von
Asti bezeugt sind, so gut sind dort auch wieder Arimannien
überliefert Im Gebiet von Pavia gab es nördlich der Stadt
mächtige Arimannen-Siedlungen (hauptsächlich aus
Hilfsvölkerschaften, die an dieser stürmischen Ecke ganz auf
das Wohlwollen der langobardischen Herrscher angewiesen waren, deshalb
aber auch in unbedingter Treue bleiben mußten). In
Übereinstimmung damit können die vielen Franken und Alemannen
in diesem Raum festgestellt werden. Im Genuesischen sind gleichfalls
Arimannien geschaffen worden. Arimannen-Güter können im
Gebiet von Parma und Piacenza nachgewiesen werden, desgleichen in der
Umgebung von Modeaa, wo ebenso in späterer Zeit nordalpine Siedler
zu finden sind. In der Umgebung von Padua findet sich Piove di Sacco
als Arimannenort. In Padua selbst sind später Franken anzutreffen [73 Ebenso
weist SCHNEIDER eine große Zahl von Arimannen
im Gebiet von Istrien und Friaul nach. Die Belege stammen jedoch aus
späten Quellen. Für die Frühzeit fehlen, was auch den
Nachweis der
fränkischen Staatssiedlung in diesem Gebiet erschwert, alle
urkundlichen Quellen.]. Das Gebiet des
späteren Kirchenstaates weist, im Gegensatz zur Nichtbesiedlung
mit Franken und Alemannen, mehrere Orte mit Arimannen-Niederlassungen
auf: so im Gebiet von Ferrara und Bologna, bei Comacchio, im
Territorium von Faenza, Ravenna und Rimini.
Alles in allem entspricht also - mit Ausnahme der Beachtung des
Kirchenstaates, die durch die Versprechungen Pippins und KARLS DES GROSSEN
verständlich wird - die Ansiedlung fränkischer, alemannischer
und bayrischer Vasallen in der topographischen Lagerung der
langobardischen Staatssiedlung mit Arimanncn. Die
kriegsdienstpflichtigen Siedler von jenseits der Alpen, diese
Angehörigen der custodia
Francorum, scheinen demnach genau in die Zentren der
langobardischen Staatssiedlung hineingesetzt worden zu sein.
Arimannen sind sie dabei wohl niemals geworden [74 Auch das
Luccheser Dokument vom November 815, in dem es heißt: ... in
iudicio ad singulas causas audiendum et deliverandum, ubi nobiscum
aderant aremannos huius Lucane civitatis, idest Ilmerando, Devuamo,
Petrus, Teudici clericus, Gherirnundo, Andrea seo Frotpaldo et Baso,
homines Franciscos, et alii plures... (MANARESI, I placiti
Seite 89, nr. 29 = Mem. e doc. di Lucca V, 2
Seite 239, nr. 397), kann nicht als Gegenbeweis dienen. In der
Namensaufzählung ist deutlich vor den letzten beiden Namen mit seo ein
Einschnitt gemacht, Die beiden Worte
homines Franciscos beziehen sich
somit nur auf Frotpald und Baso, und diese beiden Personen sind
nicht
mehr zu den aremannos zu
zählen.], wenn auch beide Gruppen die
gleichen Funktionen im Staat ausführten. Sie sind ja auch in
erster Linie nicht zur Verstärkung der Wehrkraft ins regnum Langnbardiae gekommen. Im
Gegenteil: die Überwachung der anfänglich wohl noch
oppositionell verharrenden [75
Noch im Jahre 787 mußte KARL DER GROSSE
eine große Zahl von
Langobarden in das Franken-Reich verbannen. Vgl. dazu BM² nr.
290a und S. ABEL-B. SIMSON, Karl der Große I² Seite 582f.,
der meines
Erachtens mit Recht bemerkt, daß diese Verbannung langobardischer
Großer nicht
zur Strafe für begangene Untreue erfolgte, sondern die Ruhe des
Landes
- auch im Hinblick auf die bevorstehende Aktion gegen Tassilo von Bayern
- verbürgen sollte.]
Kriegersiedlungen, von denen 776 im Gebiet von Friaul auch in der
Hauptsache die Auflehnung Herzog
Hrodgauds
gegen die neu begründete fränkische Herrschaft getragen
worden sein dürfte, sollte durch sie erreicht werden. Die
Nachrichten darüber, daß die Langobarden nach 774 jeweils cum paucis Francis in den Kampf
zogen [76
Vgl. oben Seite 34, Anm. 46. Eine electa
manus Francorum et
Langobardorurn vel ceterorum nationes steht auch 872 gegen die
Sarazenen im Kampf; Andreas Bergom. c.15 (MG SS rer. Langob. Seite 228).],
bestätigen das aufs beste. So wurde das Langobarden-Reich nicht
nur durch die Einsetzung von hohen fränkischen und alemannischen
Adligen in die Verwaltungspositionen und durch die Besetzung vieler
italienischer Bistümer und Abteien mit Personen aus dem
Franken-Reich fest in den fränkischen Staatsverband einbezogen.
Auch die unbedeutender scheinenden Vasallen, denen hier mit den Grafen
die cura regni zufiel und
denen der König finium tutamen
villarumque regiarum ruralem
provisionem anvertraute [77 Die
Vita H1udov. cap. 3 (MG SS II Seite 608)
beschreibt die Maßnahmen KARLS in
Aquitanien, die - wie oben gezeigt
auch in Italien Anwendung fanden, mit folgenden Worten: Ordinavit
autem per totam Aquitaniam comites, abbates necnon allos plurimos,
quos vassos vulgo vocant, ex gente Francorum, quorum prudentiae et
fortitudini nulli calliditate nulli vi obviare fuerit tutum, eisque
commisit curam regni prout utile iudicavat, finium tutamen
villarumque regiarum ruralem provisionem.],
hatten eine ganz bestimmte Funktion in diesem Vorgang. Dadurch,
daß diese Leute mit der Heimat lange Zeit engen Kontakt bewahrten
[78 Vgl.
oben Seite 31f.,39 und besonders unten Seite 60ff.],
und dadurch, daß sie in ihrem Bewußtsein Franken und
Alemannen blieben und sich auch noch hundert und mehr Jahre später
als ex genere Francorum
bekannten [79
Erst seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts überwiegt
die Formel vivens lege salica.
In der Zeit vorher bekannten die
Zuwanderer zumeist, ex genere
francorum usw. zu sein. Das spricht
dafür, daß bei diesen Leuten das Wissen um die
fränkische Abkunft noch
lebendig war.], wurde eine feste Klammer für
den Zusammenhalt der Reichsteile geschaffen. Die Staatssiedlung
gehört mit zu den wichtigsten Maßnahmen der karolingischen
Reichseinheitspolitik.
Von nicht geringer Bedeutung für die Erkenntnis der Stärke
dieser Klammer zwischen den einzelnen Reichsteilen ist die Frage nach
der Zahl der einwandfrei nachweisbaren Zuwanderer in den italienischen
Raum. Die im Anhang (Seite 310 ff.) gelieferten Quellenhinweise geben
gute Anhaltspunkte. Allein für die KAROLINGER-Zeit
sind etwa 360 Franken, 160 Alemannen, 15 Bayern und 2 Burgunder als
Vasallen und einfache Siedler namentlich nachweisbar. Werden die
Urkunden bis zum Jahre 1000 beachtet, so sind noch einmal 1160
Zuwanderer oder Nachkommen von Zuwanderern mit Namen zu nennen.
Daß die tatsächliche Zahl der zur Zeit KARLS DES GROSSEN
und seiner Nachfolger nach Italien gelangten Franken, Alemannen, Bayern
und Burgunder sowie ihrer noch als Franken anzusprechenden Nachkommen
weit größer war als die hier feststellbare Gesamtsumme von
rund 540 bzw. 1700 Personen, bedarf keiner Erörterung und steht
außer jedem Zweifel. Es ist aber auch aus diesen Zahlen schon
ersichtlich, wie fest die Klammer geschmiedet werden sollte.
Die einzelnen Zahlen vermögen noch einen Aufschluß
darüber zu geben, wie weit die verschiedenen Völker des
Franken-Reiches an den karolingischen
Italienunternehmungen beteiligt waren. Im Verhältnis der
nachgewiesenen fränkischen Staatssiedler zu den alemannischen oder
bayrischen bzw. burgundischen Zuwanderern spiegelt sich die politische
Stellung der Völker im Franken-Reich wider [79a Dabei
beachte ich die Zahlenverhältnisse aus dem 9. Jh. Vgl. auch Seite
16, Anm. 15.].
Eindeutig waren die Franken der Stamm, der von den KAROLINGERN
am meisten herangezogen wurde. Etwa zwei Drittel aller in Italien
nachweisbaren Einwanderer waren Franken. Sie stellten nicht nur den
größten Anteil an den nach Italien geschickten Vasallen und
Staatssiedlern; auch bei den nach dem Süden gelangten hohen
Adligen waren sie - wie die Prosopographie der Amtsträger (Seite
98 ff.) zeigt - am stärksten vertreten. Sie waren recht eigentlich
das führende Volk im Staatsverband. Nicht nur dem fränkischen
König, auch dem fränkischen Volke ganz allgemein schuldeten
deshalb die unterworfenen Völkerschaften die Treue [80 Herzog Tassilo
von Bayern war zum Beispiel eidlich gebunden, ut in omnibus oboediens et fidelis fuisset domno rege Carolo et filiis eius
vel Francis (Ann. regni Franc. ad 787, Seite 78).].
Ein Verletzer der Treupflicht war für den König ein infidelis noster et Francorum [81 MG Capit.
I Seite 156, nr. 67 - von 802.].
Angehörige des sächsischen Stammes fanden in der karolingischen
Italienpolitik keine Verwendung. Dies verwundert nicht, denn die
Sachsenkriege dauerten ja noch zu einer Zeit an, als das
Langobarden-Reich längst unterworfen war und seine
Sicherungsmannschaften wohl bereits erhalten hatte.
Merklich gering sind die Burgunder in Italien vertreten. Sie hatten
jedoch auch in ihrer Heimat in jener Zeit schon fast aufgehört,
sich als selbständigen Stamm zu betrachten. Erzbischof Agobard von Lyon wollte
dieses Volksrecht, cuius legis
homines sunt perpauci, deshalb auch von LUDWIG DEM FROMMEN
aufgehoben wissen. Für einen Rechtsvorgang nach burgundischem
Recht könnten in der Heimat sogar oft die nötigen
burgundischen Zeugen nicht beigebracht werden. Agobard bat LUDWIG - wenn
auch offensichtlich vergebens -, ut
cos transferret ad legem Francorum
[82
AGOBARDUS, Adversus Gundobadi legem (MG Epist. V Seite 158ff.), bes.
cap. 6 und 7. Vgl. dazu auch E. ZÖLLNER,
Die politische Stellung der Völker im Frankenreich Seite 121f.].
Immerhin könnten somit unter den bezeugten Franken einige Leute
mit burgundischer Herkunft gewesen sein.
Auch das schwache Auftreten von Bayern in Italien ist beachtlich, - und
besonders ihr fast gänzliches Fehlen in Ober-Italien, das doch in
seinen östlichen Teilen an das bayrische Stammesgebiet grenzt. Zur
Erklärung wird gewiß die Tatsache der sehr späten
Eingliederung Bayerns in das Reich KARLS DES GOSSEN
(788) mit heranzuziehen sein. Der bayrische Stamm mußte doch
selbst erst für das fränkische Reich gewonnen werden. Von
einer Hinderung an der Ausbreitung der Bayern in Italien ist aber aus
den erzählenden Quellen nichts bekannt. Es befand sich dagegen
eine Sammlung des bayrischen Rechtes neben der lex Salica, Ripuarica, der lex Alamannorum und der lex Langobardorum in der
berühmten Bibliothek des Markgrafen
Eberhard von Friaul [83
COUSSEMAKER, Cartulaire de 1'abbayc de Cysoing Seite 3, nr. 1.],
was den Schluß zulassen dürfte, daß es hie und da in
Ober-Italien doch Bayern gab, für die die lex Baiuwariorum benötigt
wurde. Nach Tuszien gelangte ja auch um 811 der Graf Bonifacius natio(ne) Baivarorum [84 Vgl. A.
HOFMEISTER, Markgrafen Seite 285ff.]. Bei der
Beurteilung des so schwachen Auftretens von Bayern in Ober-Italien ist
aber auch jene großartige kolonisatorische Tätigkeit dieses
Stammes nach dem Osten und Südosten hin zu beachten, die damals
einsetzte. Ganz ähnlich der Ansiedlung getreuer Franken und
Alemannen in Italien wurden um 800 im Verfolg militärischer und
politischer Ziele Siedlungen, ja befestigte Anlagen in
Nieder-Österreich, im Gebiet längs des Wiener Waldes und im
fruchtbaren Ackerland Westungarns angelegt [85 Vgl. dazu
E. KLEBEL, Siedlungsgeschichte des Deutschen Südostens Seite 56ff.
In diesem Zusammenhang müßte auch die Edlingerforschung in
Kärnten mit
berücksichtigt werden. Ist doch der Ausbau der Edlingersiedlungen
über
Kärnten und die Gebiete des karolingischen
Südostens erst vor kurzem in
engen Zusammenhang mit der Ausbreitung des karolingischen
Wehrsystems
gebracht worden, was auch bereits anerkennenden Zuspruch fand (M.
WUTTE, Zur Geschichte der Edlinger Seite 13ff. - Dazu: F. POPELKA,
Die Judenburger Ritterstadt und das karolingische Wehrsystem; Th. MAYER
in Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 13 Jg.
[1954] Seite 361). -
Die Edlinger werden dabei in derselben Funktion angetroffen, die auch
die Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Italien ausüben.
Da sie
genauso an wichtigen Straßenknotenpunkten,
Paßübergängen usw. sitzen,
eine besondere Kriegsdienstpflicht haben, auf Königsland siedeln
und
Abgaben leisten müssen, scheint hier das gleiche System wie in
Italien
und wohl auch in anderen Grenzgebieten vorzuliegen. WUTTE meint
auch, wenn man Edlingerorte gerade neben Kroatensiedlungen antreffe, so
sei das eben auf die Bestrebungen der inneren Durchdringung und
Sicherung gegen die soeben noch aufständischen Kroaten
zurückzuführen.
- Für uns ist hier von Belang, daß WUTTE durch Beachtung der
Rechtssitten Bayern unter diesen Edlingern nachweisen kann.].
Unentschieden jedoch bleibt, ob ein Hinlenken der Kräfte des
bayrischen Stammes auf dieses Aufgabenfeld die Abgabe von Kräften
in den italienischen Raum nicht mehr möglich werden ließ,
oder eher, ob gerade ein Heraushalten der nach 788 beim
fränkischen König noch nicht sogleich in vollem Vertrauen
siebenden Bayern aus dem italienischen Aufgabenbereich diese
wirkungsvolle Durchdringung der Ostgebiete ermöglichte [86 Vgl. G.
TELLENBACH, Der großfränkische Adel und die Regierung
Italiens Seite 67f.].
Beachtlich stark hingegen waren die Alemannen an der karolingischen
Staatssiedlung in Italien beteiligt. Die Tatsache, daß sie etwa
ein Drittel aller nachweisbaren Zuwanderer stellten, läßt
erkennen, welche Bedeutung sie im fränkischen Reichsgefüge
gehabt haben müssen und welches Vertrauen die KAROLINGER in
sie setzten. Sie stellten nicht nur Vasallen, sondern ebenso wie die
Franken auch eine große Zahl von Markgrafen, Grafen und
Bischöfen, wie zum Beispiel den Markgrafen
Erich von Friaul, den Grafen
Chadaloh aus dem alemannischen
Haus der BERTHOLDE, den
Grafen Wolvene von Verona, auch
die Bischöfe von Verona Egino,
Ratold, Noting und Billung, den Pfalzgrafen Odelricus, den im Bodenseegebiet
beheimateten Grafen Scrot von Florenz
usw. Der auch aus der Dichtung Notkers
von St. Gallen schon ermittelte [87 E.
ZÖLLNER, Die politische Stellung Seite 152.]
„reichsfränkische Patriotismus" der Alemannen wird hier deutlich
sichtbar [88
Bei dem Wissen um dieses starke Hervortreten der Alemannen
wird es auch verständlich, weshalb KARL III. nach
der Zerrüttung und
der nach 843 erfolgten äußeren Spaltung des fränkischen
Stammes seine
Hauptkräfte, wie die Fuldaer Anna1en (ad 887, Seite 115)
bezeugen, aus dem alemannischen Raum bezog. Der Grund dürfte nicht
allein darin zu suchen sein, daß KARL lII.
zuerst den alemannischen
Teil des Ost-Reiches zu verwalten hatte und erst nach und nach seine
Brüder und weiteren Verwandten beerbte. - Zur Stellung der
Alemannen in
der Politik der KAROLINGER
vgl. auch G. TELLENBACH, Königtum
und Stämme Seite 68f.]. Kann aber das
Zeugnis der Dichtung als vereinzeltes, pancgyrisches und eine
allgemeine Aussage nicht enthaltendes Votum abgetan werden, so stellt
die Aussage der italienischen Urkunden eine unverfälschte und
nicht zu übersehende Quelle dar; diese gibt die deutlichste
Auskunft über die politische Stellung der Alemannen im
fränkischen Staatsverband.
Für die Grundstruktur der langobardisch-romanischen
Bevölkerung Ober- und Mittel-Italiens blieb die Verpflanzung so
vieler fränkischer, alemannischer, wie auch bayrischer und
burgundischer Vasallen und kriegsdienstpflichtiger Siedler nach dem
Süden freilich ohne größere Bedeutung. Um das relativ
dicht besiedelte Italien mit einer fränkischen Bevölkerung -
wie ehedem die Niederlande, Belgien und Nord-Frankreich - zu
erfüllen, wäre eine Landnahme auf viel breiterer Grundlage
notwendig gewesen. Das besagt aber nicht, daß die
fränkischen Eingriffe an den verschiedensten Lebensbereichen
gleichsam spurlos vorübergingen. Die Ausschaltung der
langobardischen Führungsschicht und deren Ersetzung durch
fränkische Adlige und ebenso die Sicherung der politisch und
militärisch wichtigen Zentren Italiens durch Vasallen aus den
Ländern nördlich der Alpen hatten - wie noch ausführlich
zu zeigen sein wird - die weitreichendsten politischen Konsequenzen.
Folgen der fränkischen Zuwanderung gab es auch auf dem Gebiet des
Rechtes und der Wirtschaft. Das von der älteren Forschung schon
beachtete Eindringen des Lehenswesens mit der Commendation, die
Ausbreitung der Vasallität, die Übernahme der Präkarie
a1s Form der Nutzung von Kirchengut usw., all das ist eigentlich erst
auf der Grundlage der fränkischen Staatssiedlung in Italien recht
verstindlich. Durch die Zuwanderer erhielten diese Formen Eingang und
schnelle Verbreitung. Aber nicht nur ihre Rechtseinrichtungen, auch die
Verehrung ihres besonderen Patrons, des heiligen Bischofs Martin von Tours, brachten die
fränkischen Adligen und Vasallen mit nach dem Süden. An
vielen Orten Italiens wurden damals Martins- oder Remigiuskirchen
errichtet. Franken sind nach lange ihre Eigenkirchen- bzw.
Eigenklosterherren geblieben [89
R. DAVIDSOHN, Forschungen I Seite 29f. Diese und die
folgenden kurz angedeuteten Fragen bedürfen noch der weiteren
Klärung.
Hier soll nur auf die Intensität des Einflusses aufmerksam gemacht
werden.]. Fränkische Einflüsse an
historischen Denkmälern Italiens sind auch durch die
Kunstgeschichte nachgewiesen worden [90
Wolfinus,
der 824 die Altarverkleidung von S. Ambrogio in
Mailand schuf, war ein Meister aus Tours; vgl. dazu den Artikel „La
patria di Vuolvinio" eines anonymen Verfassers im „Osservatore Romano"
vom 21. Februar 1943, besonders aber W. OTTO, Die karolingische
Bilderwelt
Seite 58ff., und E. V. ELBERN, Der karolingische Goldaltar von
Mailand (1952). Zum Wiederaufbau verfallener Kirchen ließ der
Patriarch
Fortunatus von Grado magistros
de Francia venire; vgl. CESSI,
Documenti I Seite 75, nr. 45.]. Daneben
dürften die nordalpinen Zuwanderer, vornehmlich die
schreibkundigen Mönche und Bischöfe, den schnelleren Eingang
der
karolingischen Minuskel bewirkt haben. Die Sorge um das
Schulwesen Italiens ging damit Hand in Hand. Italien wurde mit in die
Bestrebungen der Bildungsreform KARLS DES GROSSEN
einbezogen. Hier galt es
besonders die wie nirgendwo nördlich der Alpen in Verrohung
geratene lateinische Schriftsprache zu bessern usw. [91 Man
beachte zum Beispiel das Capitulare LOTHARS vom
Mai 825 über die
Einrichtung von Schulen in Italien (MG Capit. I Seite 326, nr. 163,
cap. 6).]. Die Absicht der
KAROLINGER,
mit den nach Italien verpflanzten Franken und Alemannen
auch den Reichszusammenhalt zu festigen, findet sich auch bei den
Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Liturgie im gesamten Reich
wieder. Nachdem KARL
DER GROSSE von Papst Hadrian
eine Kopie des
Gregorianischen Sakramentars erhalten hatte und dieses von Alcuin
bearbeitet und mit einem Anhang ausgestattet worden war, sollte es im
ganzen Reich alleinige Gültigkeit haben. In Ober-Italien hatte es
das Ambrosianische Missale zurückzudrängen. Im Kloster S.
Ambrogio in Mailand sowie in S. Pietro al Monte in Civate angesiedelte
fränkische Mönche waren vor allem mit dieser
Vereinheitlichung auf dem Gebiet des kirchlichen Lebens beauftragt [92 Vgl. P.
BORELLA, Influssi carolingi e monastici sul Messale
Ambrosiano, besonders Seite 98 und Seite 107f.].
Wie sehr die KAROLINGER
die kirchlichen Belange Italiens mit denen der
Teile ihres Reiches nördlich der Alpen verbunden wissen wollten,
zeigt die Berufung der Bischöfe des regnum Langobardiae zu Synoden
des Franken-Reiches [93 So
zum Beispiel zur Synode von Frankfurt 794; vgl. S. ABEL-B. SIMON, Karl
der Große II² Seite 64f.].
Meßbücher, Sakramentare, Evangelienhandschriften usw.
wanderten in der Folge aus Italien in die Gebiete nördlich und
nordwestlich der Alpen. Aber auch der umgekehrte Weg kam vor [94 Hier ist
besonders auf die von A. DOLD in der Reihe „Texte und
Arbeiten, heraus
gegeben durch die Erzabtei Beuron", veröffentlichten Studien
hinzuweisen. Vgl. auch K. SCHMID, Königtum, Adel und
Klöster zwischen Bodensee und Schwarzwald Seite 253, Anm. 9, und
W. LEVISON, Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit Seite
556,
desgleichen unten Seite 65, Anm. 46a.]. Die
enge Verbindung, in der auch die Klöster diesseits und jenseits
der Alpen stehen sollten, zeigen
die in der Zeit Karls
d. Gr. oder Ludwigs d. Fr. zustande
gekommenen
Gebetsverbrüderungen [95
Reichenau stand zum Beispiel mit den Klöstern Novalese, Nonantola,
Ceneda, S. Julia in Brescia, S. Faustina in Brescia, S. Leo in Brescia,
S. Bibiana in Rom usw. in Gebetsverbrüderung. St. Gallen hatte
diese Verbindung zum Kloster Bobbio. Pfäfers war mit Como, Civate
und Brescia verbrüdert (MG Libri confrat. I).].
So hatten die nach Italien gelangten nordalpinen Zuwanderer eine
große Zahl von Aufgaben zu erfüllen. Sie sind diesen
nachgekommen im kulturellen und besonders im
militärisch-politischen Bereich. Eigenständigkeiten,
Abweichungen
vom königlichen Auftrag sind so gut wie nicht zu bemerken. Noch
fehlte diesen Leuten hierzu ja die feste Verwurzelung in den
neugewonnenen Gebieten, noch waren sie selbst auf den königlichen
Schutz angewiesen, noch funktionierte die Einrichtung der
Missate [96
Ein gutes Beispiel dafür, wie wenig ein Graf damals ohne die
Stütze des Königs vermochte, wie sehr er nur
ausführendes Organ des königlichen Willens war und an
eigenständige politische Maßnahmen gar nicht denken konnte,
bietet die Geschichte des von KARL DEM GROSSEN in
Istrien eingesetzten dux
Johannes. Dieser mußte beim Erscheinen der kaiserlichen
misse ca.
804 alle seine eigenmächtigen Maßnahmen rückgängig
machen; vgl. Skizze Johannes im
Speziellen Teil.]. Für den Dienst am Reich
gaben die Zuwanderer -
Adlige wie kleine Vasallen - vielmehr ihre ganze Kraft hin. Mehrere der
in Italien eingesetzten Grafen und Markgrafen sind im Kampf gegen
Ungarn und Sarazenen gefallen.
Dieser Aussage scheinen die italienischen Ereignisse des Jahres 817 zu
widersprechen. König Bernhard, der Sohn des 810 verstorbenen
Königs Pippin und Neffe des seit 814 selbständig
regierenden
Kaisers LUDWIG DER FROMME, soll
sich damals, soviel die offiziösen
Berichte EINHARDS, NITHARDS und der beiden höfischen
Biographen Kaiser LUDWIGS überliefern [97 Ann. regne
Franc. (Einh.) ad 817 und 821, Seite 147 und 156; NITHARD, Histor.
lebte IV, leb. 1 c.2, Seite 2; Vita Hludov, c.29, MG SS II Seite 623;
Thegan c.22, MG SS II Seite 596; vgl. weiter BM² nr.
682.], gegen seinen kaiserlichen
Onkel aufgelehnt und um eine unabhängige Stellung in Italien
bemüht haben. Die Schuld an dem sogenannten Aufstand König
Bernhards wird den
schlechten Ratgebern des jungen Königs
zugeschoben, vornehmlich dem Grafen
von Camerino und vertrauten Freund
des Königs, Eggideus, dem
königlichen Kämmerer Regenhard
und dem früheren Pfalzgrafen
Reginhar, der zugleich als Sohn
des
Grafen Meginhar (von Sens)
und Enkel des Franken Hardrad
bezeugt wird,
welcher sich 785 schon einmal gegen KARL DEN GROSSEN aufgelehnt
hatte. Weiterhin sollen sich die Bischöfe
Anselm von Mailand,
Wolfold von Cremona und Theodulf von Orleans, der berühmte
Dichter, angeschlossen haben. Die Volksmeinung dagegen, die bereits bei
ANDREAS VON BERGAMO und dann bei REGINO VON PRÜM durchdring [98 Andreas
Bergom. c.6 (SS rer. Langob. Seite 225); REGINO,
Chron. ad 818; Pauli Continuatio Romana (MG SS rer. Langob. Seite 203);
Visio cuius dam pauperculae mulieris, ed. WATTENBACH in Deutsche
Geschichtsquellen I (6. Auflage) Seite 277f. Vgl. auch Epistolarium
Puldensium fragmenta (MG Epist. V, Seite 517),
wonach sich die Fuldaer Mönche bei LUDWIG DEM FROMMEN
für Bernhard
einsetzten.], sah in der ganzen Angelegenheit ein
Ergebnis eines Intrigenspiels der Kaiserin
Irmengard, LUDWIGS
erster Gemahlin.
Bernhard
und seinen Großen wird in der Legende Sympathie
entgegengebracht. - Bei einer genauen Feststellung des Tatbestandes
wird die Volksmeinung, die natürlich gern einem Unterlegenen
Sympathie zollt und in dem nach seiner freiwilligen Übergabe
wehrlosen
und grausam geblendeten König Bernhard und in seinen
ebenso hart
gerichteten Leuten ein besonderes Objekt der Legendenbildung finden
konnte, doch nicht ohne weiteres abgetan werden dürfen. Einen Kern
von Wahrheit muß sie zumindest enthalten haben, denn schon wenige
Jahre nach der Vollstreckung des grausigen Urteils bekannte LUDWIG DER FROMME
öffentlich Reue für sein Urteil, tat Buße
dafür und gestand, daß er das seinem Vater gegebene Wort,
gerecht gegen seine Verwandten zu sein, gebrochen habe [99 Vita
Hludov. c.35, MG SS II Seite 626. - Ann. regni Franc. (Einh.) ad
822, Seite 158.]. So wird
man, wenn man dazu noch Bernhards
loyale Haltung beim Übergang der
Herrschaft von KARL
DEM GROSSEN auf LUDWIG 814
betrachtet, nicht
so leicht von einer Sonderbestrebung König
Bernhards und seiner
aus dem Franken-Reich gekommenen Großen sprechen dürfen.
Viel
eher scheint Bernhard
seine Absetzung gefürchtet zu haben, da er
in der zu Anfang 817 erlassenen Ordinatio imperii mit keinem Wort
erwähnt wurde [100
MG Capit. I Seite 270f.], die Unterordnung
Italiens unter die Macht des
zur gleichen Zeit zum Kaisertum miterhobenen LOTHARS aber
festgesetzt
wurde. Eine volle Bestätigung dieser Ansicht liefert das Chronicon
Moissiacensel [101
Chronic. Moissiac ad 817, MG SS I Seite 312.],
das nach der Schilderung der
Ordinatio imperii und der Erhebung LOTHARS I.
zum Mit-Kaiser
fortfährt: Audiens autem Bernardus
rex Italiae, quod factum erat,
cogitavit consilium pessimum, voluitque in imperatorem et in filios
eius insurgere. So nimmt dieser Aufstand des Königs Bernhard eben
doch mehr den Charakter einer „inneren Auseinandersetzung", nicht einer
bewußten Separationsbestrebung an [102 So auch E.
ZÖLLNER, Die politische Stellung Seite 234, und
E. SESTAN, Stato e nazione Seite 346-349. Die Ansicht von P. S. LEICHT,
Dal regnum Langobardiae al regnum Italiae Seite 14, der den Anteil
der Langobarden hier stark überschätzt und eine
langobardische Separationsbestrebung vermutet, ist meines Erachtens
unhaltbar. Er
schreibt: „I grandi longobardi, sia ecclesiastici ehe laici, ritenevano
ehe il giovane re potesse richte al loro regno quell' autonomia non di
solo nome, ma andre di fatto, ehe esse ardentemcnte desideravano." Die
Gedanken LEICHTS wiederholt F. CROSARA, Rex Langobardorum
- Rex Italiae Seite 172f.]. Die nach Italien
gekommenen
fränkischen Großen dachten auch 817 keinesfalls an eine
Zerreißung der Reichseinheit. Bei dieser Sachlage kann es auch
nicht verwundern, daß die Führungsschicht Italiens in diesem
Moment selbst gespalten war. Zwei andere Angehörige dieser Gruppe,
der damalige Bischof von Verona Ratold,
ein Alemanne, und der Graf Suppo von
Brescia, ein Franke, standen auf Seiten des Kaisers. Erste
Anzeichen dafür, daß die nach Italien
gekommenen fränkischen Großen zunehmend selbständiger
und in ihrer
Amtsführung auch eigennütziger wurden, gehören erst der
Zeit nach der Blendung und dem Tode König
Bernhards († 817) an. Von 817 bis 822 fehlte
nämlich in Italien die starke und unmittelbar eingreifende Gewalt
eines Königs oder Kaisers, die vorher durch KARL DEN GROSSEN,
König Pippin und König Bernhard immer gegeben
war. Weder LUDWIG
DER FROMME selbst noch sein 817 zum Mit-Kaiscr bestimmter Sohn LOTHAR
kamen in dieser Spanne einmal nach Italien. In diesen fünf Jahren
konnten die Grafen und Markgrafen freier schalten und walten als zuvor.
Zwar wurden öfters Missi nach Italien gesandt, doch scheint deren
Wirksamkeit in der nicht mehr so straffen Regierung LUDWIGS DES FROMMEN
nachgelassen zu haben. Als LOTHAR I. 822
endlich in Italien erschien, muß sein Kommen in jeder Hinsicht
notwendig gewesen sein. Wala,
ein Vetter KARLS DES GROSSEN, und
der magister
ostiarioracm Gerung [103 Ann.
regni Franc. ad 822 Seite 159 und Vita Hludov. c.35/36, MG
SS II Seite 626f. - Zu Gerung,
der später Mönch im Kloster
Prüm wurde,
vgl. die Quellen bei B. SIMSON, Ludwig der Fromme I Seite 182 und 200;
zu Wala vgl. die Vita Walae in
MG SS II.], beide LOTHAR als
Berater beigegeben, hatten alle Hände voll zu tun, um eine bessere
Ordnung und größere Rechtssicherheit im italienischen Reiche
wiederherzustellen. Ein Begleiter Walas,
der später eine Lebensbeschreibung seines Herrn lieferte, klagte
darüber heftig; er prangerte besonders die magnates an: „Es ist
eine allzu trostlose Zeit, in der niemand gehorchen will, wenn jemand
einmal etwas Gutes tun möchte oder gerecht urteilt; aber jeder
strebt danach, sein Wollen, nicht Gottes Gebot zu verwirklichen. Alle
lieben die Geschenke und folgen Geldzuwendungen, gleich ist allen
dieses Bestreben und ebenso die Hartherzigkeit" [104 Vita Walae
c. 26, MG SS II Seite 544. Vgl. dazu auch R. DAVIDSOHN, Florenz I Seite
81f.]. - Sein Recht zu finden, scheint in dieser
Zeit schon nicht mehr ganz so einfach gewesen zu sein. Rechtsweigerung
und Bestechlichkeit bei den Großen begannen ihren Einzug zu
halten. Ausführlich wird in der Vita Wa1ae die Geschichte einer
Witwe geschildert, die bis zum Kaiser gehen mußte, um ihr Recht
zu erhalten. - Hart wurde aber durchgegriffen. Ein Capitulare ermahnte
die Grafen, auf Verschwörungen zu achten und gegebenenfalls die
Beteiligten nach Corsica zu verbannen; es bestimmte, daß niemand,
auch nicht unter dem Vorwand der Immunität, sich den
öffentlichen Dienstleistungen entziehen dürfe, setzte aber
auch fest, daß die Leistungen nach Recht und Gesetz, nicht nach
eigener Willkür, eingefordert werden sollten [105 MG Capit.I
Seite 316ff. - BM² nr.1016f .]. Man war
bestrebt, die Mißstände schleunigst zu beseitigen.
So scheint in Ober-Italien doch rasch wieder die alte Ordnung
eingekehrt zu sein, - ähnlich wie auch in Rom und im
Kirchenstaatsgebiet, wo 824 die von Papst
Paschalis betriebene Politik der Unabhängigkeit vom
fränkischen Einfluß ein jähes Ende fand, der Mord an
den beiden kaisertreuen Beamten des päpstlichen Hofes - Theodor und Leo - gesühnt wurde und mit
einem Abkommen, der sogenannten Constitutio Romana, der kaiserliche
Einfluß auf Papstwahl, stadtrömische Gerichtsbarkeit und
Verwaltung gesichert werden konnte [106
L. M. HARTMANN, Geschichte Italiens im MA III Seite 114f.].