CLXV. WALTFRED,
Graf von Verona, war für
die oberitalienische Geschichte des
ausgehenden 9. Jahrhunderts nicht unbedeutend.
Bekannt ist er vornehmlich dadurch, daß er beim zweiten Romzug
ARNULFS VON
KÄRNTEN, der diesem am 22. Februar 896 die Kaiserkrone
einbringen
sollte, die Partei des deutschen Königs ergriff. Ganz Ober-Italien
östlich der Adda wurde ihm damals von ARNULF
unterstellt,
während das
westliche Ober-Italien dem Pfalzgrafen
und Grafen von Mailand,
Maginfred, zur Verwaltung
übergeben wurde [1
HERIMANNI Aug. chron. ad 895, MG SS V Seite 110: (Arnolfus rex) Italiam
autumno petit, Peringariumque perterritum ad dedicionem venientem
regnum pervasum Italiae reddentem, suscepit et Waltfredo
Maginfredoque comitibus Italiam cis Padum distribuit. Vgl.
BM² nr. 1893a und E. DÜMMLER, Geschichte des
ostfränkischen Reiches III² Seite 416.];
König BERENGAR,
der 888
während der Kämpfe mit seinem Rivalen WIDO
von
ARNULF
lehensabhängig
geworden war [2Vgl.
O. EBDING, Der politische Zusammenhang Seite 65f.],
aber in der Folgezeit an eine Unterordnung unter ARNULF
nicht mehr gedacht hatte, verlor seine Führerstellung in
Ober-Italien.
Gegen BERENGAR,
der nach dem schnellen, durch eine schwere Erkrankung
ARNULFS
bedingten Abzug der Deutschen wieder seine Macht ausbreiten
wollte, verteidigte Waltfred
sodann Verona standhaft; aber schon nach
wenigen Tagen der Gegenwehr verstarb er, und der letzte Stützpunkt
der
Deutschen ging damit verloren [3
Ann. Fu1dens. Contin. Ratisp, ad 896, Seite 129: Post mortem
etenim Walifredi Foroiulii marchensis,
qui multum fideliter ad imperatorem
Veronam contendendo retinuit, ilico Perngarius regnum
Italicum invasil ... Die Verteidigung
Veronas gegen BERENGAR
und Waltfreds Tod müssen
in die Zeit vor den 30.
April 896 gesetzt werden, denn an diesem Tage urkundete BERENGAR als
König bereits wieder in Verona (SCHIAPARELLI, 1 dipl. di
Berengario I.
Seite 48, nr. 14). Da ARNULF am 27.
April 896 bei Lodi urkundete (BM² nr.
1918), dann in Mailand seinen Sohn zurückließ und den
Rückweg per
vallem Tridentinam nahm (Ann. Fu1dens. ad 896, Seite 129), kann
er
demnach auch nicht über Verona, sondern nur über Garda nach
Trient
gelangt sein. BERENGAR
hatte die Rückeroberung seines Einflußbereiches
also schon zu einer Zeit begonnen, als ARNULF noch
in Italien weilte. -
Waltfred scheint seinen Tod im
Kampfe gefunden zu haben. Sein
Nachfolger in Verona wurde Graf
Anselm II. - Waltfreds Vorgänger war
Graf Bernhard.].
Vor dem Erscheinen ARNULFS und
besonders wahrend der Rivalenkämpfe, die nach der Absetzung KARLS III. in
Italien ausgebrochen waren, war Waltfred
ein treuer Anhänger BERENGARS und
erbitterter Gegner WIDOS. Mit
3.000 Mann soll er in dieser kritischen Zeit BERENGARS
Streitmacht verstärkt haben [4
Gesta Berengarii lib. II., v. 75, Seite 101:
Nec mora, Walfredus ter mille resumit
amicos.
His manus in capulo,
primis ac feruor ab armis
Hostilem turbare globum; nec fortior alter
Hostica quem pubes bello uereatur euntem,
Ausona cui faueat. ------------------------------
Glosse zu Walfredus: hic precipuus erat amicorum Berengarii.
Vgl. auch v. 148 und 158 mit Glosse]. Als summus consiliarius
war er - wohl in Anbetracht dieser Verdienste - deshalb auch von König BERENGAR geehrt worden [5
SCHIAPARELLI, I dipl. di Berengario I. Seite 29, nr. 6 - von
889/September/10: Vualtfredum illustrem comitem summumque
consiliarium nostrum nostram
adiisse munificentiam ...], und auch die Verwaltung seiner Mark Friaul scheint
BERENGAR
- zum Königtum aufgestiegen - ihm damals zusätzlich zur Grafschaft Verona für seine
Leistungen übertragen zu haben. In einigen Urkunden König BERENGARS
wird er jedenfalls als marchio [6
SCHIAPARELLI, I dipl. di Berengario I. Seite 25, nr. 4 - von
888/Mai/18: Adelardus et Antonius venerabiles episcopi alque Vualfredus illuster
marchio nostri dileclissimi fideles; a.a.O. Seite 33, nr.
8 - von
890/Mai/12: interventu Adelardi venerabilis episcopi nec
non et
Vualtfredi illustris marchionis
dilectorum fideliorum nostrorum ...]
bezeichnet, und auch der Continuator Ratisbonensis der Fu1daer Anna1en [7 Vgl. Anm. 3.]
betitelt ihn als Foroiulii
marchensis.
Dieses enge Verhältnis zu BERENGAR, das
sich in dieser Förderung und in den Urkundeninterventionen
widerspiegelt, stammte schon aus den Jahren vor 888. Beide sind im
Gefolge KARLS III. im März
881 in Siena [8
MG DD Karl III. Seite 51, nr. 31 = MANARESI, I placiti Seite 332, nr.
92 (BM² nr. 1609a und 1612).] nachzuweisen;
und beide werden von KARL in einer
Urkunde für die Kirche von Parma als seine dilecti
fideles et consiliarii
bezeichnet [9
MG DD Karl III. S. 54, nr. 32 - von 881/März/13. Die
Echtheit dieser Urkunde wird neuerdings von MANARESI, I placiti Seite
437
bestritten. Er ordnet dieses Diplom dem großen Parmenser
Fälschungskomplex zu (vgl. C. MANARESI, Alle origini del potere
dei
vescovi Seite 240). Es ist aber nicht von der Hand zu
weisen, daß für die Fälschung dieses Diploms eine
Vorlage
vorhanden war; BERENGAR
und Waltfred sind ja durch MG
DD Karl III. Seite
51, nr. 31 als KARLS Begleiter in
dieser Zeit erwiesen.]. Wenn BERENGAR
dabei für
KARL III. eine Art Statthalterstellung in Italien ausübte [10 A.
HOFMEISTER, Markgrafen Seite 329f.], so sehen wir Waltfred in nicht minder
angesehener Stellung als inisignis dapifer und dilectissimus fideles
KARLS [11 MG DD Karl
III. Seite 24, nr. 16 - von 880/Januar/8:
Valtfredus
insignis dapifer et Pertoldus
illusiris comes palatii,
dilectissimi fideles.].
In Verona ist Waltfred als
Graf am 28. Dezember 880 und am 19. Dezember 884 nachgewiesen [12 MANARESI, I
placiti Seite 323, nr. 90 ( = FAINELLI, Cod.
dipl. Veronese Seite 405, nr. 273) - Placitum unter anderem vor: Audebari
uicecomes ciuitatis ueronensis in uice Uualfrit comes et missi ... ;
und FAINELLI, Cod. dipl. Veronese Seite 442, nr. 292 -
Rechtsgeschäft in Gegenwart von: Motulfus sculdasius et uasso domno Uualfredo comite, Teuterio ex genere francorum, Uuiserich, Lamperto idemque
ex genere alamannorum, habitatores in comitato ueronense ...
(und
weitere genannte Franken). In Verona wurde auch Waltfreds Andenken bewahrt. Noch im
April 913
sprach man in Verona von der casa qui
fuit b. m. Vualfredi comiti
(SCHIAPARELLI, I dipl. di Berengario I. Seite 302, nr. 117 = MANARESI,
I placiti Seite 466, nr. 125), und noch am 4. September 920
schenkte Kaiser BERENGAR dem Kaplan und
Subdiacon der Veroneser Kirche 3
Mansen aus Königsgut pertinentes
de comitatu Veronense et adiacentes in palude Zevedana,... sicut
tempore Vualfredi gloriosi
comitis ad eundem comilatum Veronensem respexerunt
(SCHIAPARELLI, a.a.O. Seite 328, nr. 126). Auch die Ode auf Bischof Adalhard von Verona
erwähnt die Dankbarkeit der Veroneser für Waltfred.
Fletque Waltfredum comitem Verona
Cum suburbanis uiculisque cunctis,
Quod lupis seuis pateant et ipsi
Ense repulso.
(ed, bei DÜMMLER, Gesta Berengarii Seite 135).].
Aber schon im März 877 unterzeichnete er in Brescia als comes zusammen
mit einigen anderen Grafen das Testament der Kaiserin-Witwe Angilberga [13 BENASSI,
Parma I Seite 146, nr. 22 (= CdL Seite 452, nr. 270): Signum + manus Volfrido
comitis teste.]. Wenn man das Signum Walfridi
comitis
auch unter der Urkunde über die im Februar 876 in Pavia
vorgenommene Wahl KARLS DES KAHLEN
zum König des italienischen Reiches findet [14 MG Capit.
II Seite 98, nr. 220.], dann bezeichnet das den
für uns erkennbaren Anfang seiner Laufbahn [15 P.
PASCHINI, Le vicende politiche, N. Arch. Veneto XXI Seite
63f., nimmt eine Scheidung in einen Markgrafen
Waltfred von Friaul und
einen Grafen Waltfred von Verona
vor. Dieses Unterfangen halte ich für
verfehlt.].
Leider fehlen Privatrechtsurkunden, die Auskunft
über Vater, Familie [16
Waltfred scheint mit einer
gewissen Gisela vermählt
gewesen zu sein.
König BERENGAR bestätigt
jedenfalls am 9. November 893 dem Veroneser S.
Zenokloster zwei manentes, qui
perlinuerunt de curte Albareto (an der
Etsch in der Grafschaft Verona), welche Gisla comitissa
dem Kloster
übertragen hatte und welche Gisla
selbst erst per preceptum
von
BERENGAR
erhalten hatte. Da diese zwei manentes
in der Grafschaft
Verona lagen und Gisla auch
nur die Gemahlin eines in den Jahren von
888 bis 894 in Verona amtierenden Grafen gewesen sein kann, so kommt
eigentlich nur Waltfredus
comes als Gemahl der Gisla
comitissa in Betracht (SCHIAPARELLI, I dipl. di
Berengario I. Seite 39,
nr. 11). Gisela,
die Gemahlin Eberhards von Friaul und
Mutter
BERENGARS, war nach
dem Tode Eberhards (866?) nach
Cysoing in
West-Franken übergesiedelt; sie ist bei der Identifizierung nicht
mehr zu berücksichtigen.] und
Stammeszugehörigkeit zu geben pflegen, für Waltfred vollständig. Es
läßt sich deshalb auch nichts Bestimmtes über sein
Herkommen äußern. Einen Hinweis vermögen aber
vielleicht die in der Urkunde vom 19. Dezember 884 genannten, in seinem
Wirkungsbereich stehenden Franken und Alemannen zu geben.