HEVELLER
Lexikon des Mittelalters:
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Heveller
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Slavische Völkerschaft an der mittleren Havel (Elb- und
Ostseeslaven).
Die Eigenbezeichnung war *Stodor'ane, der nhd. Name 'Heveller'
geht auf eine as. Namensform zurück, seit ca. 845 (Hehfeldi,
Geographus Bavarus) bis in das
12. Jh. häufig in Varianten belegt:
»Sclavos, qui dicuntur Hevelli« (Widukind I, 35 zu
928/929), »Stoderaniam, que Hevellun dicitur« (Thietmar IV,
29 zu 997) und der »pagus« bzw. »provincia
Heveldun« (zum Beispiel MGH D O.I. 105, 948), ein as. Dativ
Plural, der
in die germ. Personengruppennamen einzuordnen und älter als das 6.
Jh. ist. Die häufigen »-ld«-Schreibungen dürften
Ergebnis einer frühen volksetymologischen Angleichung an die
verbreiteten Gaunamen auf »-feld« gewesen sein. Sowohl der
ursprgl. Stammesname *Ha2belli, abgeleitet vom germ. Namen *Ha2bula
(Havel), wie auch dieser selbst blieben also nach der slavischen
Einwanderung im 6. Jh. dem westgermanischen Sprachgebiet bekannt, was
nur
bedeuten kann, daß germanische Restbevölkerung am Entstehen
des
slavischen Stammes beteiligt war. Den Namen
Stodorjane trug entweder ein
einwandernder slavischer Verband oder er ist von der slavischen
Bezeichnung
für das Stammesgebiet, Stodor, abgeleitet worden. Die zentrale
Lage erklärt, daß hier Angehörige sämtlicher
archäologisch-kultureller Gruppen der seit ca. 550 einwandernden
Slaven aufeinandertrafen. Ausläufer der Siedlergruppen mit Keramik
vom Prager und Rüssener Typ trafen im 6./7. Jh. auf die von Osten
vorstoßenden Leute vom Sukow-Szeligi-Typ; zu ihnen kamen im 7.
Jh. die Einwanderer der Feldberger bzw. Tornower Gruppe. Ihre
Auseinandersetzungen spiegeln sich im Bau von Burgen verschiedener
Typen. Das Siedlungsgebiet der
Heveller erstreckte sich an den Fluß-
und Seeufern des Havelbogens zwischen Spandau bis hinter Rathenow.
Hauptburg
und Sitz des Herrschers war die
Brandenburg. Es bleibt zweifelhaft, ob
der zu 789 genannte Wilzen-Fürst
Dragowit hier
residierte. Die weitere
Entwicklung setzt ein die Stammesorganisation hinter sich lassendes
Staatswesen voraus: offensichtlich regierte eine Dynastie:
eine Fürstin
Drahomir heiratet um
906/907 den Böhmen-Fürsten
Vratislav I. und wird
die Mutter des hl. Wenzel;
ein
christlicher Fürst Tugumir verschafft um
940
den Deutschen die Herrschaft über die Brandenburg.
König HEINRICH I.
hatte sie 928/929 schon einmal erobert, wobei (Widukind II, 21) sich
alle Stämme bis zur Oder unterwarfen, ein Gebiet, das
offensichtlich
mit dem 948 gegründeten Bistum Brandenburg identisch war. Diese
Ausdehnung und die
dynastische Verbindung der Drahomir
bezeugen das Bestehen eines Heveller-Reiches.
Es ist möglich, daß die Dynastie von den OTTONEN
in ihrer
Würde belassen wurde. Wahrscheinlich herrschte sie über das
Kernland auch nach dem Aufstand der mit den Hevellern verbundenen
Lutizen 983
(Dietrich, Markgraf der sächsischen Nordmark); er
beseitigte
deutsch-christliche Herrschaft und Einfluß gründlich,
darunter auch
die Burgwarde, die auf den slavischen Burgbezirken (civitates)
beruhten. Um
845 gab es acht, deren archäologische Bestimmung möglich
erscheint,
darunter die stadtähnlichen Anlagen Brandenburg und Spandau; ihre
Stellung im Verfassungssystem ist nicht klar. Die Wirtschaft mit
schwachem Getreidebau und ausgeprägter Jagd war weniger entwickelt
als in anderen Gebieten der Elb- und Ostseeslaven, doch fällt im
11. Jh. eine große Menge kleiner Silberschätze auf, deren
Besitzer mit einer berittenen Oberschicht in Verbindung gebracht
werden, die vielleicht frei war, Boden besaß und offenbar am
Fernhandel teilnahm, in unbefestigten Siedlungen und in Burgen lebte
und als Kastellane über die Burgen der westlichen und
östlichen Havelgrenze
gebot (Rathenow, Potsdam, Spandau). Das mittlere Havelgebiet um die
Brandenburg kannte in spätslavischer Zeit außer ihr keine
Burg;
vermutlich unterstand das Land dem Fürsten selbst, was dadurch
bestätigt wird, daß der letzte
Herrscher, Pribislav -
Heinrich, die Zauche, das unmittelbar südlich der Havel
gelegene Land, dem
Sohn Albrechts des Bären zum
Patengeschenk machte. Er war wie sein
offenbar von heidnischen Untertanen ermordeter Vorgänger, der comes
Meinfried, Christ. Ihm war er kraft des Erbrechts nachgefolgt,
führte den Königstitel und prägte Münzen. Seine
rechtliche
Stellung zum Reich ist unklar; jedenfalls konnte er den Markgrafen der
Nordmark, Albrecht, zum
Erben einsetzen: der Staat der Heveller, der 1150
sein Ende fand, ist die slavische Wurzel der nun entstehenden Mark
Brandenburg. Mit ihm hatte ebenso der Kult des Triglav auf dem
Harlungerberg über Brandenburg sein Ende gefunden wie der
Dualismus zwischen christlichen Herrschern und heidnischen Untertanen.
E. Bohm