Widukind von Corvey: Seite 65,69,109,115,119,123,127,137,139
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"Res gestae Saxonicae"

Die Sachsengeschichte I

23. Aber der König schickte seinen Bruder mit einem Heer nach Sachsen, um es zu verwüsten. Als er sich der Eresburg näherte, soll er hochmütig gesagt haben, daß ihm nichts größere Sorge mache, als daß die Sachsen sich nicht vor den Mauern zu zeigen wagten, damit er mit ihnen kämpfen könne. Noch hatte er diese Rede auf den Lippen, als sich die Sachsen ihm eine Meile vor der Burg entgegenstellten und die Franken nach Schlachtbeginn mit einem solchen Morden züchtigten, daß von den fahrenden Sängern gesagt wurde, wo gebe es eine solche Hölle, die diese Menge Getöteter aufnehmen könne. Eberhard aber, der Bruder des Königs, war von der Sorge, die Sachsen würden ausbleiben, befreit, denn er sah sie direkt vor sich, und schmachvoll von ihnen in die Flucht geschlagen, zog er weg.
25. Und da KONRAD fühlte, daß er krank war und sein anfängliches Glück dahinschwand, rief er seinen Bruder, der zu einem Besuch gekommen war, und sagt folgendes zu ihm: "Ich fühle, Bruder, daß ich dieses Leben nicht länger behalten kann, da Gott es so befiehlt und eine schwere Krankheit mich bedrückt. Darum überlege bei dir selbst, sorge, was dich hauptsächlich angeht, für das ganze Frankenreich und beachte meinen brüderlichen Rat. Wir können, Bruder, Truppen aufstellen und ins Feld führen, wir besitzen Burgen, Waffen, die königlichen Insignien und alles, was die königliche Würde fordert; aber wir haben kein Glück und keine Eignung. Das Glück, Bruder, ist mit der hervorragendsten Befähigung an Heinrich übergegangen, die Entscheidung über das Reich liegt bei den Sachsen. Deshalb nimm diese Abzeichen, die heilige Lanze [Die heilige Lanze wurde wohl nicht von KONRAD I. an HEINRICH I. übergeben, sondern von letzterem erst während seiner Königsherrschaft erworben. Die heilige Lanze war fortan eine der wichtigsten Insignien der deutschen Herrscher.], die goldenen Armspangen mit dem Mantel, das Schwert und die Krone der alten Könige, gehe zu Heinrich und mache Frieden mit ihm, damit du ihn immer zum Verbündeten hast. Denn warum ist es nötig, daß das Frankenvolk mit dir vor ihm zusammensinkt? Er wird wahrhaftig König sein und Kaiser über viele Völker." Nach diesen Worten erwiderte der Bruder weinend, er sei einverstanden. Darauf starb der König, ein tapferer und mächtiger Mann, im Krieg wie im Frieden hervorragend, freigebig, mild und mit allen Vorzügen ausgestattet; begraben wurde er unter dem Jammer und den Tränen aller Franken.
26. Wie der König befohlen hatte, ging Eberhard zu Heinrich, stellte sich ihm mit allen Schätzen zur Verfügung, schloß Frieden und gewann seine Freundschaft, die er treu und fest bis zu seinem Ende bewahrte. Dann versammelte er die Führer und Adligen des fränkischen Heeres an einem Ort namens Fritzlar und rief Heinrich vor dem ganzen Volk der Franken und Sachsen zum König aus.

Die Sachsengeschichte II

2. Nachdem man dann das Lob Gottes gesungen und das Meßopfer feierlich begangen hatte, ging der König hinunter zur Pfalz, trat an die marmorne, mit königlicher Pracht geschmückte Tafel und nahm mit den Bischöfen und dem ganzen Adel Platz; die Herzöge aber taten Dienst. Der Herzog der Lothringer, Giselbert, zu dessen Machtbereich dieser Ort gehörte, organisierte alles; Eberhard kümmerte sich um den Tisch, der Franke Hermann um díe Mundschenken, Arnulf sorgte für die Ritterschaft sowie für die Wahl und die Errichtung des Lagers; Siegfried aber, der hervorragendste Sachse und der zweite nach dem König, Schwager des früheren Königs, nun ebenso mit dem König verschwägert, verwaltete zu dieser Zeit Sachsen.
6. Die Sachsen nämlich, stolz geworden durch die Herrschaft ihres Königs, hielten es für unwürdig, anderen Völkern zu dienen, und verschmähten es, die Lehen, die sie besaßen, durch die Gunst irgendeinen anderen als einzig die des Königs zu haben. Darüber wurde Eberhard auf Bruning zornig, sammelte eine Schar und steckte dessen Burg Helmern in Brand, nachdem er alle ihre Bewohner umgebracht hatte. Als der König von diesem Übergriff erfuhr, verurteilte er den Eberhard zur Abgabe von Pferden im Wert von hundert Pfund, und alle Anführer, die ihm bei der Untat geholfen hatten, zu der Schande, Hunde bis zu der königlichen Stadt zu tragen, die wir Magdeburg nennen.
10. Der Streit aber, der zwischen Eberhard und Bruning entstanden war, ging soweit, daß offener Totschlag verübt, das Land verwüstet wurde und das Sengen und Brennen kein Ende nahm.
11. Es verband sich aber auch Thankmar mit Eberhard, brachte eine starke Mannschaft zusammen und belagerte mit ihr den Stützpunkt Belecke, in dem sich der jüngere Heinrich befand; und nachdem er die Burg seinen Kampfgefährten zur Plünderung übergeben hatte, zog er ab und führte Heinrich wie einen gemeinen Knecht mit sich fort. Dort aber wurde Gebhard, der Sohn Udos, des Bruders von Herzog Hermann, getötet; wegen seines Todes haben sich nach Gottes Ratschluß die führenden Männer unter den Franken entzweit. Um große Beute bereichert, machten sich Thankmars Krieger schon zu allem bereit. Er nahm darauf die Burg, die Eresburg genannt wird, setzte sich mit einer starken Mannschaft in ihr fest und verübte von da aus viele Raubzüge. Eberhard aber behielt Heinrich bei sich. Um diese Zeit wurde auch Dedi vor den Toren der Burg Laer getötete, in der sich Krieger Eberhards aufhielten.
Als Eberhard aber von Thankmars Tod und dem Abfall seiner Vasallen hörte, verlor er den Mut, warf sich seinem Gefangenen zu Füßen, bat um Gnade und erhielt sie auf beschämende Art.
12. Heinrich war freilich um diese Zeit noch sehr jung und hitzig; und verlockt von übermäßiger Herrschsucht, verzieh er ihm sein Verbrechen unter der Bedingung, daß er sich mit ihm gegen den König, seinen Herrn und Bruder, verschwor und ihm, wenn möglich, die Reichskrone aufsetzte. Und so wurde von beiden Seiten das Bündnis geschlossen; darauf kehrte Heinrich frei zum König zurück und wurde von ihm mit aufrichtiger Treue und Liebe empfangen, als er mitbrachte.
13. Auf Zureden Friedrichs, des Nachfolgers von Erzbischof Hildebert, ging auch Eberhard zum König, bat demütig um Verzeihung, wobei er sich und seinen ganzen Besitz seinem Willen überantwortete. Damit freilich der ungeheure Frevel nicht ungestraft blieb, wurde er vom König in die Burg Hildesheim verbannt. Aber nicht viel später wurde er huldreich in Gnaden aufgenommen und in seine alte Stellung eingesetzt.
16. Zu jener Zeit, als noch zwischen Eberhard und dem König Krieg war, wurde Hadald, der Kämmerer des Königs zur Herstellung von Frieden und Eintracht zu Giselbert geschickt, da dieser noch nicht offen einer der beiden Seiten zuneigte.
24. Als nun Eberhard sah, wie lange sich der Krieg hinzog, ließ ihn das nicht länger ruhen. Er kümmerte sich nicht mehr um den König, brach seinen Eid, und wie er anfangs mit Giselbert gemeinsame Sache gemacht hatte, trachtete er nun danach, mit ihm zusammen den Krieg zu entfesseln. Und nicht zufrieden allein mit dem Westreich, stürzten sie sich mit einem Heer auf das ostrheinische Gebiet, um es zu verwüsten. Als man das im Lager des Königs hörte - zu jener Zeit kämpfte der König nämlich gegen Breisach und andere Burgen, die zu Eberhard gehörten -, da machten sich viele aus dem Lager davon, und alle Hoffnung auf eine weitere sächsische Herrschaft war dahin.
25. Der Erzbischof, der zur Herstellung von Eintracht und Frieden zu Eberhard geschickt wurde, gab, da er es unbedingt so wollte, bei dem gegenseitigen Vertrag seinen Eid als Pfand und soll deshalb gesagt haben, er können damit keinen Unfug treiben.
26. Als dann Hermann mit einem Aufgebot losgeschickt worden war, um den Übermut der Herzöge zu bändigen, fand er sie am Ufer des Rheins und stellte fest, daß der Großteil ihres Aufgebots fort war, weil sie mit der Beute schon über den Rhein gesetzt waren. Herzog Eberhard selbst wurde daher von den bewaffneten Kriegern umringt und brach, nachdem er viele Wunden empfangen und tapfer ausgeteilt hatte, schließlich von Geschossen durchbohrt zusammen.