"Die sächsischen Grafen 919-1024"
10. Die Brunonen
Die BRUNONEN
- so benannt nach ihrem vermeintlichen Stammvater [Es bleibt offen, ob
Graf
Liudolf,
der 880 im Kampf gegen die Normannen fiel, oder der gleichfalls gefallene
Herzog
Brun als Begründer dieser Familie in Frage kommen. Von beiden
ist nicht überliefert, dass sie Kinder hinterließen, und beider
Namen waren charakteristisch für diesen Zweig. Daher läßt
sich nicht entscheiden, ob die BRUNONEN
Nachkommen der gräflichen oder der herzoglichen LIUDOLFINGER
waren, wenngleich diese Trennung, wie sie Sabine Krüger in ihrer Arbeit
vornahm, für das 9. Jahrhundert verfrüht erscheint.] - waren
ein Seitenzweig der LIUDOLFINGER, aus
denen das sächsische Königshaus hervorging.
Herzog Brun galt als ihr Stammvater. Widukind
berichtet, dass er den ducat um administrasset totius Saxoniae.
Auch die Gründung von Braunschweig (Bruneswic) soll auf ihn zurückgehen.
Die Chronica ducum de Brunswick führte aus: Liudolfus dux Saxonie...
genuittres filios Oddonem,
Bruno et Tanquardum. Hi duo, Bruno et Tanquardus,
civitatem Brunswick fundaverunt. Die Braunschweigische Reimchronik
bezeugte ebenfalls: diz is dher werdhe vurste.../nach dhem ghenant ist
Brunesich/von Saxen herzogen Ludolfs kint/von dhem men ghescreven
vint/daz Bruneswich vom im begunde. Die übereinstimmenden Nachrichten
der Braunschweigischen Chronik und des im 13. Jahrhundert entstandenen
Chronicon Halberstadense über die Gründung der Stadt Braunschweig
wurden lange Zeit in der Geschichtsforschung widerspruchslos hingenommen.
Erstmalig vertrat E. Schröder eine abweichende Ansicht über die
Bedeutung und Herkunft des Namens Brunswik. Er leitete ihn nicht vom lateinischen
vicus, sondern vom germanischen wiken = zurückweichen ab und
brachte ihn mit den zahlreichen Wik-Orten in England, Flandern, in den
Niederlanden und in Nordwestdeutschland in Zusammenhang. Die nun einsetzende
Wikforschung von Vogel, Planitz und Timmme kam zu dem Ergebnis, dass die
Wik-Orte nicht ständig bewohnt waren, sondern in regelmäßigen
Zeitabständen vorübergehend durchziehenden Fernhändlern
als Rast- und Warenumschlagplätze dienten. Damit wurde die Behauptung
der Quellen, der LIUDOLFINGER
Brun
sei
der Gründer von Braunschweig, fragwürdig. Einen neuen Ausgangspunkt
in der Namensgebung nahm W. Flechsig vor. Bisher hatte das Schwergewicht
der Forschung auf der Klärung des zweiten Namenbestandteils gelegen.
Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Personennamen selber zu. Auf Grund gewissenhafter
sprachgeschichtlicher und mundartlicher Untersuchungen gelangte er zu folgendem
Ergebnis: die meisten der zahlreichen norddeutschen Bruns-Orte seien bisher
fälschlich auf einen Gründer namens Brun (Bruno) zurückgeführt
worden, gehörten jedoch ihrer Bedeutung nach zu den süddeutschen
Brunst-Orten, wobei er Brunst in der Bedeutung von Waldrodung durch Feuer
verstanden haben wollte. Damit wurde zugleich eine Schicht früher
Rodungsnamen greifbar, die zwar nicht so zahlreich wie die jüngeren
Roth-Namen auftreten, aber doch einheitlich über das deutsche Altsiedelgebiet
verbreitet sind. Flechsigs topographische Studien brachten den Nachweis,
dass in frühgeschichtlicher Zeit im Gebiet um Braunschweig Wälder,
Sümpfe und Heide vorherrschten, wodurch sich auch von dieser Seite
die Voraussetzungen für seine Namensdeutung erfüllten. Die Gründungssage
mag sich am ehesten am Hofe des traditionsbewußten Heinrichs
des Löwen ausgebildet haben. Sie stand durchaus mit der von
der Antike herstammenden Vorstellung in Einklang, nach der jede Stadt ihren
persönlichen Gründer gehabt habe. Durch Bezugnahme auf den Sachsen-Herzog
Bruno sicherte man Braunschweig ein ehrwüdigeres Alter als den
übrigen Städten, die in der Mehrzahl erst unter der Regierung
HEINRICHS
I. erbaut worden waren. Zugleich ehrte man damit den großen
Nachfahren dieser Sippe. Der Einfluß der Kanzlei trug wesentlich
zur Festigung der Legende bei, indem sie beharrlich entgegen der mundartlichen
Bronswik-Aussprache in der Schreibung an der Form Brunswik festhielt. Man
wird wohl den hier vorgetragenen Ansichten Flechsigs beistimmen müssen.
Von 880 an bis in die 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts
bleibt die Geschichte der BRUNONEN im Dunkel. Widukind berichtete
zum Jahre 936, dass ein Eccardus, filius Liudolfi im
Kampf gegen die Redarier sein Leben ließ. Es ist sehr zweifelhaft,
ob sie Mitglieder der brunonischen Familie
waren. Wir wissen sonst gar nichts über die beiden. Der Name Liudolf
allein, sowie die von Widukind erwähnte Gegnerschaft Hermann
Billungs gegen Eccardus reichen für einen Beweis nicht aus.
Erst um 942 trat wieder ein Graf
Liudolf auf. Er verwaltete eine Grafschaft im Derlingau, aus der
Besitz zu Ehmen (bei Fallersleben) der Kirche in Fallersleben vom König
vergabt wurde. Da sich der Derlingau aus späteren Urkunden als das
Kerngebiet der brunonischen Herrschaft
ergibt, sind wir berechtigt, ihn als Mitglied dieser Familie zu betrachten,
auf die auch sein Name hindeutete. Otto der Erlauchte, der jüngere
Bruder Herzog Bruns und sein Nachfolger, starb schon 912. 942, im
Ausstellungsjahr der Urkunde, weilte auch sein Sohn nicht mehr unter den
Lebenden; folglich kann der 942 amtierende Graf Liudolf generationsmäßig
nicht mehr ein Sohn der beiden 880 Gefallenen, sondern wohl nur ein Enkel
gewesen sein.
Damit war der 965 im Derlingau amtierende Graf
Brun
wiederum ein Sohn des erwähnten Grafen Liudolf.
Aus Bruns
Comitat fiel die cutis Hebesheim (Evessen) dem
Moritzkloster in Magdeburg zu. Der Schenkungsakt fand statt in presentia
Brunonis comitis et filique eius Liudolfi, Geronis
marchionis, Christiani comitis, Liutharii et Friderici comitim.
Die Reihenfolge der Aufgeführten fällt ins Auge. Graf Bruno
und sein Sohn rangierten vor Markgraf Gero, dessen faktische Machtstellung
die der BRUNONEN bei weitem überragte.
Man wird dieser Rangliste nicht gerecht, wenn man sie allein mit der Zuständigkeit
des Grafen Bruno erklärt. Sie war vielmehr Ausdruck des Geblütsrechtes,
das Mitgliedern der königlichen Familie - selbst wenn man sie nicht
allzu mächtig werden ließ - einen Vorrang vor den Großen
des Reiches gewährte. Allerdings bleibt die Tatsache auffällig,
dass kein einziges königliches Diplom die BRUNONEN
als Verwandte des Herrscherhauses bezeichnete. Auf der anderen Seite pflegten
die OTTONEN in zahlreichen Urkunden
auf ihre verwandtschaftlichen Bindungen - selbst 2. und 3. Grades - Bezug
zu nehmen, gleichgültig, ob es sich dabei um geistliche oder weltliche
Würdenträger handelte.
Brunos Sohn
Liudolf
war wohl mit dem Grafen Liudolf identisch, der 983 am Tanger
gegen die Wenden kämpfte. Wahrscheinlich starb er 993. In diesem Jahre
verzeichneten die Annalen von Fulda den Tod eines Duodo comes
(Koseform
für Liudolf).
Liudolfs Sohn war wiederum ein Graf
Bruno. Das ergibt sich an Hand von Amtsgebiet und Namen, der sich
in typischer Folge jeweils vom Großvater auf den Enkel vererbte.
Thietmar überlieferte, dass Brun 990 an der Heerfahrt zur Unterstützung
Herzogs Miseco gegen Herzog Boleslav
von Böhmen teilnahm. Der alte Machtanspruch seiner Familie trat gerade
bei ihm deutlich zutage. Er versuchte 1002 nach dem Tode des letzten OTTONEN,
die deutsche Königskrone zu erlangen. Diesen Vorgang bezeugten zwei
Quellen: die Vita Meinwerci und die Vita Bernwardi. Thietmar von Merseburg
überging ihn, obwohl er ausführlich die Bemühungen Ekkehards
von Meißen schilderte. Die Vita Meinwerci schrieb quidam etiam
princeps Brun nomine regni fastigium optinere voluit, sed effectu
carens, multis votis eius non faventibus... Eine analoge Stelle brachte
die Vita Bernwardi. Beide betiteln ihn princeps, nicht etwa comes. Das
erklärt sich primär nicht durch seine Stellung zum Königshaus,
sondern durch sein Recht, an der Wahl teilzunehmen. Brunos Anspruch
war durchaus begründet. Durch den Tod eines seiner Vorfahren fiel
das Herzogtum Sachsen Otto dem Erlauchten zu. Während Ottos
Nachkommen zum Königtum und Kaisertum aufstiegen, wurden die BRUNONEN
immer mehr von ihnen in den Hintergrund gespielt. Selbst das Herzogtum
Sachsen blieb ihnen vorenthalten. OTTO
DER GROSSE übertrug es in bewußter Ausschaltung
der eigenen Familie Hermann Billung. Die Chronica ducum de Brunswick hob
ausdrücklich hervor: quia ducatus, quem predecessores sui tenuerant,
viris difficientibus, ab
OTTONE primo
Hermanno... est donatus. Genau so äußerte sich die
Braunschweigische Reimchronik: wante wir habens gelesen/daz dher erste
Keyser OTTO gaph/daz Herzochtoum undh
herscaph/Hermanne.../daz Brunes vorvaren helten scone/.
Vielleicht reiht sich in diesen Zusammenhang doch jener
Eccardus,
filius Liudolfi ein, dessen Feindschaft gegen Hermann Billung sich
aus persönlicher Zurücksetzung erklären würde [E. Hlawitschka
reiht diesen Eccardus in das Geschlecht der EKKEHARDINGER ein.]. Auch 1002
erreichten die BRUNONEN nicht ihr Ziel. Die Krone fiel Herzog
Heinrich von Bayern als dem nächsten Agnaten zu. Da
besonders Bernward von Hildesheim für seine Wahl eintrat, zog er den
Hass des
BRUNONEN auf sich, der ihn in der Folgezeit schädigte,
wo immer er konnte.
Bruno, den der sächsische Annalist (a.
1026) comes de Brunswic nannte, war mit
Gisla
vermählt. Der Annalist berichtete, dass sie aus dem Werlaer Grafenhaus
stammte. Er gab ihr Rudolf, Bernhard und Mathilde
zu Geschwistern. Auch der Braunschweiger Reimchronik nannte sie: eyn vrowe
Gisle
was se ghenant von Werle. Diesen
in späteren Zeiten komplizierten Quellen von zweifelhafter Zuverlässigkeit
steht das zeitgenössische Urteil Wipos gegenüber, der als ihre
Eltern Herzog
Hermann von Schwaben und
Gerberga,
die Tochter
König
Konrads von Burgund, bezeugte. Seiner Aussage gebührt
der Vorzug. Er war nämlich Kaplan KONRADS
II., der selber Gislas
3. Gatte wurde. Nach dem sächsischen Annalisten (a. 1026) war Gisla
dreimal
verheiratet: ihr 1. Gatte war Ernst,
der Sohn des BABERNBERGERS Liutpold, der Markgraf der Ostmark (Österreich)
war. Die Chronica ducum de Brunswick und die Braunschweiger Reimchronik
verwechselten Vater und Sohn. Wahrscheinlich kamen die BABENBERGER erst
durch diese Heirat in den Besitz des Herzogtums Schwaben. Bollnow machte
wahrscheinlich, dass
Gisla
die älteste
Tochter des Schwaben-Herzogs war. Herzog Ernst starb am 31. März 1015.
Als Gislas zweiten
Gatten erwähnte der sächsische Annalist Graf Bruno von Braunschweig.
Sein Todesjahr ist nicht genau überliefert. Schon um 1017 ging Gisla
ihre 3. Ehe mit KONRAD, dem späteren
König, ein. Sowohl Thietmar als auch der sächsische Annalist
hielten diese Ehe für unerlaubt, weil Gisla
KONRADS Nichte war.
Es ist auffällig, dass Thietmar wohl ihre Ehen mit
Herzog Ernst und KONRAD erwähnte,
ihre Verbindung mit Bruno von Braunschweig
jedoch völlig überging.
Thietmar bezeichnete Gisla, als sie
ihre Ehe mit KONRAD schloß, als
vidua Ernesti ducis. Das ist nach den Ausführungen des Annalisten
nur bedingt richtig, da die Ehe mit Bruno
dazwischen lag, die frühestens
1016 zustande gekommen sein kann. Holtzmann hielt in seiner Thietmar-Ausgabe
an der Reihenfolge fest. Er datierte den Tod Brunos von Braunschweig,
der von einem persönlichen Feind Milo in seinem eigenen Wohnsitz erschlagen
wurde, in das Jahr 1016, so dass für diese Ehe praktisch nur ein Jahr
übrigbleibt, in das auch die Geburt ihres Sohnes Liudolf
fallen
muß. Unabhängig von der erwähnten Thietmar-Stelle erbrachte
Bollnow auf Grund chronologischer Überlegungen den Beweis, dass Gislas
Ehe mit Bruno von Braunschweig ihre erste war. Wenn man seine Beweisführung,
die viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, aufrechterhalten will, so
ergibt sich damit zwangsläufig, dass Brunos Todesdatum um einige
Jahre, wahrscheinlich auf 1012, vordatiert werden muß, als ihr zweiter
Gatte Ernst die Nachfolge im Herzogtum antrat. Das bedeutet nämlich,
dass sie zu dieser Zeit schon mit ihm verheiratet war. Herzog Ernst starb
- wie schon erwähnt - 1015. Da aus dieser Ehe zwei Kinder hervorgingen:
Ernst
II. und Hermann,
wird man wohl ungefähr auf dieses Datum kommen. Bollnow setzte Gislas
Geburtsjahr auf Grund genealogischer Erwägungen um das Jahr 985. Zu
einem etwas späteren Zeitpunkt gelangte Rieckenberg. Er ging von der
Aufschrift ihrer Grabplatte im Speyrer Dom aus, die das Jahr DCCCCXCVIII
trägt. Da die Eingravierung nur sehr flüchtig ausgeführt
sei, schlug er vor, die letzten Zahlenzeichen (VIIII) als Abkürzung
für die Indikation aufzufassen und kam auf diese Weise zu dem Ergebnis,
dass Gisla am 13. November 990 geboren
wurde. Trotzdem wird man ihre Heirat mit Bruno von Braunschweig
und die Geburt ihres ersten Sohnes Liudolf
in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends ansetzen dürfen. Ehen pflegten
im 10. Jahrhundert ohne Berücksichtigung des jugendlichen Alters der
Frauen geschlossen zu werden. So wurde zum Beispiel Hathui
in ihrem 13. Lebensjahr mit Geros Sohn Siegfried getraut, Godila gebar
mit 13 Jahren ihrem Gatten Lothar von Walbeck den ersten Sohn. Minderjährigkeit
war ebenfalls kein Hinderungsgrund für die formale Übernahme
eines Amtes, was die Weihe zahlreicher Äbtissinnen im kindlichen Alter
beweist. Das gleiche galt für die Ausübung gräflicher Amtsbefugnis,
was sich durch mehrere Beispiele belegen läßt. Der Herrschaftsanspruch
mächtiger Sippen war nicht zu umgehen. Eher nahm das Königtum
unmündige Nachfolger in Kauf, als dass es wagen konnte, durch Entzug
der Machtstellung nicht nur die Familie selber, sondern dazu noch ihren
Sippenanhang gegen sich aufzubringen.
Aus diesen Gründen darf man wohl den noch unmündigen
Liudolf
im
Besitz gräflicher Amtsbefugnisse vermuten. Er kommt deshalb schon
um 1013 als Nachfolger seines verstorbenen Vaters in Betracht. Er war wohl
mit dem Liudolf comes identisch, der in diesem Jahre die
Bestätigungsurkunde über die Beilegung des Gandersheimer Streites
unterzeichnete. In ungefähr den gleichen Zeitraum fiel eine Urkunde
für das von Bernward von Hildesheim gestiftete Kloster S. Michael,
die seinen Besitz bestätigte. Die Urkunde trägt kein Datum, wurde
aber von den Herausgebern der Urkunden aus sachlichen Erwägungen in
das Jahr 1013 eingereiht. Sie gilt allgemein als Fälschung des 12.
Jahrhunderts mit alten Bestandteilen. Wahrscheinlich wurde sie von einem
Hildesheimer Mönch in der Absicht verfaßt, die Ausschaltung
des bischöflichen Einwirkens bei der Abtwahl zu erreichen, was HEINRICH
II. urkundlich zugesichert hatte. Ein echtes, inzwischen verlorengegangenes
Diplom und eine echte Urkunde von 1022, die dem Kloster seinen Besitz verbriefte,
sowie ein Güterverzeichnis des Klosters dienten dem Fälscher
als Vorlage. Die gleiche Bewandtnis hat es mit zwei gleicherweise verfälschten
Urkunden des Jahres 1022. Die Vielzahl der aufgeführten Ortschaften
stammten aus dem echten Diplom HEINRICHS II.
Die gefälschten Urkunden erwähnten übereinstimmend in pago
Derningon in prefectura Liudolfi comitis die Orte Bischofshausen (wüst
bei Meine), Wedesbüttel, Meine, Essenrode, Wasbüttel, Algesbüttel,
Vordorf und Flechtdorf, die alle im heutigen Kreis Gifhorn liegen. Im Gau
Flenithi und der prefectura
Liudolfi gehörten dem Kloster folgende
Pertinenzien: Holzhausen, Segeste, Petze, Sellenstedt, Grabfelde, Elze,
Broitzum, Alferde, Diedersen, Halbe, Esbeck, Reinlevessun (wüst bei
Sehlde), Hohnsen, Tüste, Harlissem (wüst bei Itzum) und Heersum.
Sie erstreckten sich über die heutigen Kreise Alfeld, Gronau, Springe
und Hameln. Diese Urkunden sind zwar Fälschungen, vermutlich gaben
sie aber ein ziemlich unverschobenes Bild der Besitzlage um 1013 wieder.
Eine zeitlich spätere Urkunde bestätigte zudem
Liudolfs
Tätigkeit
in diesem Raum. Ein weiterer Comitat Liudolfs
lag in pago Gudinge.
Aus ihm wurde 1013 die Besitzung Ledi (heute in Gronau aufgegangen) vergabt.
Sabine Krüger wies hier schon im 9. Jahrhundert
liudolfingische
Herrschaftsrechte
nach, so dass wir berechtigt sind, Graf Liudolf für einen BRUNONEN
zu
halten. Die einzige Urkunde aus der Zeit seiner Volljährigkeit datierte
aus dem Jahre 1028. Er bezeugte darin einen abgeschlossenen Vergleich als
Liudolfus
comes privignus imperatoris. Gerade durch diesen Zusatz sind keine
Zweifel möglich, dass es sich um einen BRUNONEN
handelte. Die gleiche Bezeichnung gibt ihm auch der sächsische
Annalist. Graf Liudolf starb am 23. April 1038. Der sächsische
Annalist schrieb:
Liudolfus comes Saxonicus filius Brunonis
de Brunswic et
Gisle imperatricis...
immatura morte... oblit. Weiter führte er aus, dass er mit einer
Gertrude comitissa vermählt war. Über Bollnows Feststellung,
dass es unmöglich ist, Gertruds
Abstammung nachzuweisen, läßt sich nicht hinauskommen. Böttger
und Rockrohr hielten sie für eine Tochter des Grafen
Arnulf von Holland. Die Annales Egmundani erwähnten von ihm
nur, dass er mehrere Töchter hinterließ. Sie soll ihrem Gatten
die sogenannte friesische Mark mit den Gauen Stavergo, Ostergo, Westergo
und Iselgo als Erbgut zugebracht haben. Hier amtieren eine weitere Generation
später die BRUNONEN. Es läßt sich allerdings nicht
nachweisen, aus welchen Gründen ihre Belehnung erfolgte.
Aus dieser Ehe gingen die Söhne Bruno
und
Ekbert
hervor,
wie der sächsische Annalist und die Chronica ducum de Brunswick bezeugten,
und eine Tochter namens Ida.
Der Annalist Albert von Stade bezeichnete sie filia fratris
imperatoris
HEINRICI III.
Bollnow wies nach, dass darunter Liudolf von Braunschweig
zu
verstehen ist.
Der gesamte Herrschaftsbereich der BRUNONEN,
den sie mehrere Generationen hindurch innehatten, schält sich deutlich
aus einer Urkunde HEINRICHS III. heraus.
Sie dient außerdem als Beweis, dass Liudolf
trotz seiner Unmündigkeit
den Comitat seines Vaters unangefochten übernahm und rechtfertigt
zugleich die verfälschten Urkunden sowohl zeitlich als auch besitzmäßig.
HEINRICH
III. schenkte nämlich dem Bistum Hildesheim den comitatum,
quem Brun eiusque filius scillicet noster frater Liutolfus
nec non et eius filius Eckbrecht comites ex imperiali auctoritate in beneficium
habuerant in pags Northduringen, Darlingen, Valen, Salthga, Grethe, Mulbeze
mit den Parochien Schöningen, Wettlenstedt, Schöppenstedt,
Luckenheim, Etlovesheim, Stöckheim, Tensdorf, Ringelmo, Bedenborstel,
Hankenbuttel und Huinhausen. HEINRICH
IV. bestätigte 1057 diese Belehnungsurkunde. Die BRUNONEN
wurden
damit in der Folgezeit Lehnsträger des Bischofs von Hildesheim, den
sie erbittert bekämpft hatten.
Berücksichtigen wir noch die Grafschaft im Gudingau
und im Flenithi, die sich an Hand früherer Urkunden im Besitz der
BRUNONEN nachweisen ließen, so ergibt sich ein räumlich
ziemlich zusammenhängender Machtkomplex im südlichen Teil Ostfalens.
Er erstreckte sich vom Nordthüringgau bis zum Gudingau und vom Salzgau
bis zum Gau Mulbeze. Es kann jedoch von keiner ausschließlich brunonischen
Herrschaft in diesem Gebiet die Rede sein. Grafschaften in der Hand anderer
Familien befanden sich dazwischen. So lag selbst in ihrem Kerngebiet im
Derlingau der Amtsbereich der BILLUNGER,
wie die Urkunde von 1013 beweist. Mitglieder der RICDAG-Sippe amtierten
im südlichen Teil des langgestreckten Gaues, so dass nur der mittlere
und nördliche Abschnitt für dieBRUNONEN
ausgespart blieb. Der Nordthüringgau war der Herrschaftsbezirk mehrerer
mächtiger Sippen. Nur der unmittelbar an den Derlingau angrenzende
Streifen unterstand den BRUNONEN. Nicht
besser war es um den Gau Astfala bestellt. Auch hier kann man keine brunonische
Alleinherrschaft voraussetzen. In den Gauen Grethe und Mulbeze ließen
sich zwar keine anderen Grafenfamilien nachweisen, was aber ihr Vorhandensein
nicht ausschließt. Die Herrschaftsstellung der
BRUNONEN
wurde nicht erst von ihnen selber vom Stammsitz Braunschweig aus in strahlenförmiger
Ausdehnung planmäßig ausgebaut, mit dem Ziel, eine geschlossene
Machtbildung zu erreichen, sondern war im wesentlichen alt-liudolfingisches
Erbe, das sich schon im 9. Jahrhundert in diesem Raum abzeichnete.