Bork Ruth: Seite 165-169
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"Die Billunger. Mit Beiträgen zur Geschichte des deutsch-wendischen Grenzraumes im 10. und 11. Jahrhundert."

22. Graf Hermann (+ 1086)
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Neben Herzog Ordulf tritt sein Bruder Graf Hermann sowohl im allgemeinen wie besonders in den Kämpfen der Sachsen gegen HEINRICH IV. öfter entscheidend mit auf. Schon beim Tod Bernhards II. wird er von Adam von Bremen mit den Worten "post cuius obitum filii eius Ordolf et Hermannus hereditatem patris acceperunt." [1 Adam III, 43 (42) Seite 185.] sogleich in Beziehung gesetzt zu dem väterlichen Erbe und zwar in demselben Maße wie Ordulf. Auch Bruno läßt in seinem Buch vom Sachsenkrieg Hermann Klage erheben, daß der König ihm die von seinen Vätern ererbte Feste Lüneburg listig überfallen habe [2 Bruno, De bello Saxonico c. 26 Lohmann Seite 30.], nachdem er von der Besprechung HEINRICHS IV. und Sven Estridssons im Beisein des Bremer Erzbischofs in Bardowick berichtet hatte. HEINRICH habe dabei den Wunsch geäußert, die nahegelegene Feste Lüneburg als Hauptstützpunkt an sich zu bringen, während diese doch seit jeher den Vorfahren des Herzogs Magnus angehört habe und nach Erbrecht an diesen und an seinen Oheim Hermann gekommen sei [3 Bruno c. 21 Seite 26]. Jene Zusammenkunft wurde von den verschiedenen Forschern auf Grund der unterschiedlichen Quellenstellen - Bruno nennt, wie gesagt, Bardowik Adam Lüneburg [4 Adam III, 60 Seite 206.] - verschieden lokalisiert, obwohl Meyer von Knonau wohl mit Recht Adam als Hauptquelle vorzieht [5 Meyer von Knonau Jbb. H. IV. Band II Seite 72ff.].
Eine Synthese versuchte Köster [1 Köster, Sachsen unter Herzog Magnus Seite 17.], indem er annahm, daß sowohl in Lüneburg als in Bardowick eine Zusammenkunft gewesen sein müsse, und zwar die erstere im Jahre 1071, wie ja allgemein angenommen wird und wie es auch aus Adam ohne weiteren hervorgeht, die letztere aber erst im Jahre 1073, eine These, die im Einblick auf die politische Situation, wie Meyer von Knonau schon dartat [2 Meyer von Knonau, Jbb. H. IV. Band II Seite 74 Anmerkung 62.], unwahrscheinlich anmutet. Daß es sich bei der Unterredung gewiß auch um die sächsischen Angelegenheiten handelte, steht außer Zweifel. Und Adam berichtet auch ganz offen, daß zum Ruhme des Erzbischofs im Jahre seines Konsulats die Aussprache des Kaisers mit dem Dänen-König zur Schmach des Herzogs in Lüneburg stattgefunden habe, und daß dort unter dem Deckmantel eines Bündnisses Waffenhilfe gegen die Sachsen gelobt worden sei [3 Adam III, 60 Seite 206.]. Otto von Northeim und Magnus hätten sich nach einer niedergeschlagenen Verschwörung auf den Rat des Erzbischofs hin in die Gewalt des Königs begeben [4 Adam III, 60 Seite 206.]. Nun der Haupwiderstand anscheinend gebrochen war, fiel es HEINRICH IV. auch nicht schwer, die Feste Lüneburg in seine Hand zu bringen. Hermanns Wagemut und kriegerische Tüchtigkeit gelang es jedoch sie durch einen Handstreich wieder zurückzugewinnen, und die Besatzung - die sprichwörtlich gewordenen 70 Schwaben - längere Zeit gefangen zu halten, um mit ihrer Herausgabe endlich die Freilassung seines Neffen Magnus zu erzwingen [5 Bruno, c. 21 Lohmann Seite 26.]. Nach Lampert von Hersfeld wurde der Freilassungsbefehl am 15. August 1073 erteilt [6 Lampert Seite 161 (Holder-Egger)]. Im Jahre 1078 wurde allerdings Hermann selber nach der Schlacht bei Mellrichstadt der Gefangene HEINRICHS IV. [7 Annalista Saxo VI, 713 "Herimannus, nobilis quidam comes in praecedenti belle Saxonico captus ac Heinrico traditus."], der ihm aber dann im Jahre 1080, nachdem Hermann wahrscheinlich als Unterhändler bei den Friedensverhandlungen mit den Sachsen gedient hatte, die Freiheit wiedergab [8 Eine Vermutung von Meyer von Knonau, Jbb. H. IV. Band 3 Seite 190, die sich allerdings quellenmäßig nicht genau belegen läßt.].
Gerade im Hinblick auf das Verhalten Hermanns werden die in dem BILLUNGER-Geschlecht schon oft beobachteten Züge von Verwegenheit und Stolz deutlich, besonders, wenn es sich um Angelegenheiten der Familie oder des Besitzes handelte. Denn hinsichtlich des letzteren scheint er, wie aus der Geschichte seines Bündnisses mit dem Bremer Erzbischof hervorgeht, sehr empfindlich gewesen zu sein. Adalbert hatte ihm, in der Absicht, die ihm gefährlich erscheinenden Brüder zu trennen, wie Adam sehr offen mitteilte [1 Adam III, 44 (43) Seite 185f.], als Lehnsmann angenommen und sich seiner auf dem ungarischen Feldzug des Jahres 1063 bedient. Doch als der Erzbischof später den Wünschen Hermanns auf ein größeres Lehen nicht nachkam, wandte sich dieser mit einem Heer gegen Bremen und hielt sich durch Raub und Plünderung im ganzen Bereich des Bistums schadlos [2
Adam III, 44 (43) Seite 186.]. Der Erzbischof, der zu jener Zeit die erste Stelle am Hofe innehatte, erreichte daraufhin, daß Hermann mit dem Bann belegt und außer Landes verwiesen wurde. Nach Ablauf eines Jahres erlangte er die Gnade des Königs wieder und konnte zurückkehren, mußte aber der Kirche zur Genugtuung 50 Hufen Landes überlassen, die ihm und seinem Bruder Ordulf gehörten [3 Adam III, 45 (44) Seite 187 (mit dem weltlichen Bann).].
Mehrfach begegnet uns Hermann dann, wie schon erwähnt, in den Händeln des Sachsenkrieges. Während der Zeit der Gefangenhaltung seines Neffen Magnus hat er tatkräftig die Belange des billungischen Hauses vertreten [4 Meyer von Knonau meint sogar (Jbb. H. IV. Band 2, Seite 261 Anmerkung 122), daß Hermann anscheinend auch noch nach Magnus Rückkehr jene Stellung eingenommen habe, da Bruno von des letzteren Tätigkeit wenig vermelde.]. Immer wieder setzte er sich mit Bitten und Vorschlägen für die Freilassung des Haupterben und eigentlichen Nachfolgers und Verwalters des gemeinsamen Erbes ein [5 Bruno c. 22 Seite 27 "patruus suus inaestimabili praediorum sive pecuniarum pretio redimere non valuit (Magnus gemeint)".].
Nach dem schon genannten Treffen von Mellrichstadt, das im Jahre 1078 stattfand, ließ der König nach Aussage Brunos die Nachricht bekanntgeben, daß Otto von Nordheim und der BILLUNGER Hermann die einzigen Freien seien, die mit dem Leben davongekommen wären [1 Brunoi c. 103, Seite 92.]. Es muß sich in der Tat um eine gefährliche Lage gehandelt haben. Das geht auch aus dem Magdeburger Annalen hervor [2 Ann. Magd. SS. XVI, Seite 175.]. Der Schreiber der Stederberger Chronik, der sich an die in jenen Annalen gegebene Notiz: "Hermannus comes, eiusdem Magni patruus, et Adalbertus Wormaciensis comprehensi ac plurimi de militibus Saxonicis interempti sunt" hielt, glaubte, diese mißverstehend, den Tod des Grafen Hermann zu jenem Jahre (1078) mit den Worten "Albertus Wormaciensis Hermannus comes patruus Magni ducis occiduntur" vermelden zu können [3 Chron. Stederburgense SS. XVI, Seite 202 zu 1078.]. In Wirklichkeit erfolgte dieser aber erst erheblich später, nämlich im Jahre 1086, wie die Rosenfelder Annalen [4 Ann. Ros. SS. XVI, Seite 101.] und der Sächsische Annalist [5 Annalista Saxo SS.VI, Seite 724.] berichten, letzterer mit dem Zusatz "sine legitimus liberis". Ob Hermann überhaupt verheiratet war, wissen wir nicht; von einer Gemahlin ist in den Quellen nirgends die Rede. Über sein Alter läßt sich nichts Bestimmtes sagen, vermutlich wird er nach 1020 geboren sein. Wenn er seinen Bruder Ordulf um rund 15 Jahre überlebte, und sein Neffe Magnus zwei Jahrzehnte nach ihm im vorgerückten Alter aus dem Leben schied, wird er selber zumindest ein nicht geringes Alter, schätzungsweise 60 Jahre oder darüber erreicht haben.
Wedekind  kam auf Grund verschiedener Anzeichen zu der Vermutung, daß Hermann sich nach jenen erschütternden Ereignissen des Sachsenkrieges vom weltlichen Treiben zurückgezogen und als frommer Bruder im Michaeliskloster in Lüneburg seine letzten Jahre verbracht habe [1 Wedekind, Noten II, Seite 78ff.]. Zur Begründung führte er die Aussagen zweier Nekrologien an. Im Necr. S. Mich. Lun. heißt es nämlich unter dem 31. Mai: "Hermannus conversus frater noster" [2 Necr. S. Mich. Lun. Wedekind Noten I.]. Außerdem ist dabei zugleich von einer Schenkung die Rede [3 Necr. S. Mich. Lun. Wedekind, Noten III, Seite 40 "O. .. Hermann conversus fr. nr. V sol. et IIII denaries in domo Gemynge ad dextram manum in sartagine que dicitur Ghvapa.], so daß man auf einen nicht unbemittelten Bruder schließen muß. Zur Bestätigung der Vermutung dient vor allem der Vermerk im Möllenbecker Nekrologium, in dem sich am gleichen Tage, also am 31.Mai, der Todesvermerk eines Grafen Hermann befindet [4 J.F. Schannat, Vindem. lit. coll. f., 139.]. Allein der Bremer Kirche  wird er nicht im besten Angedenken geblieben sein. Von Hermann bringt Adam ebenso wie Ordulf an verschiedenen Stellen zum Ausdruck, daß sie eingedenk des alten Hasses, den ihre Väter insgeheinm gegen die Bremer Kirche hegten, nicht aufgehört hätten, diesen offen zu bekämpfen und auf jegliche Art und Weise zu schädigen [5 Adam III, 8 Seite 149.].