Jürgen Miethke
PHILIPP IV. DER SCHÖNE (der Beiname ist schon
zeitgenössisch)
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* 1268, + 29.11.1314
Fontainebleau
Begraben: in St-Denis
Vater:
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König Philipp III. "der Kühne" (1245/70-1285)
Mutter:
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Isabella von Aragon, Tochter König Jakobs I. von
Aragon ( + 1271)
Thronfolger seit dem Tod des älteren Bruders Ludwig
(1276)
König seit dem Tod des Vaters (am 5.10.1285 in Perpignan)
oo 16.8.1284
JOHANNA (JEANNE) von Champagne-Navarra,
Tochter des Grafen Heinrich III. "des Dicken" von Champagne und Brie
*1271, + 2.4.1305
Durch diese Eheschließung fällt das mit Champagne vereinigte Navarra an Frankreich.
Söhne:
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Ludwig X. "Hutin" [das heißt "der Zänker"]
* 4.10.1289, + 5.6.1316
Philipp V. "der Lange"
* ca. 1291, + 3.1.1322
Karl IV. "der Schöne"
getauft 18.6.1294, + 1.2.1328
Robert
* 1297, + 1308
Töchter:
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Marguerite
* 1288, + 1300
Blanche
* 1290, + 1314
Isabella
* ca. 1295, + 23.8.1358
oo Eduard II. König von England
Die lange Regierungszeit dieses letzten bedeutenden KAPETINGERS
auf dem Thron Frankreichs begann in einem militärischen Desaster und
endete bei leicht getrübtem Himmel. Die 30 Jahre, die dazwischen liegen,
waren - stärker als sonst - eine Zeit des Wandels und damit eine Epoche
dramatischer Konflikte: eine Epoche, in der Frankreich endgültig zu
einer europäischen Großmacht heranwuchs, ja in der überhaupt
erst definiert wurde, was es heiße, eine europäische Großmacht
zu sein; in der Frankreich seine innere Verfassung weiterentwickelte, die
Institutionen königlicher Herrschaft festigte und auf dem Wege zu
seiner Integration und Stabilisierung so große Fortschritte machte,
dass
selbst die heftigen Erschütterungen des sogenannte "Hundertjährigen
Krieges" im späteren 14. und 15. Jahrhundert das damals Erreichte
wohl noch gefährden, aber nicht mehr zunichte machen konnten.
Philipp der Schöne ist
nicht älter geworden als 46 Jahre, gleichwohl hat er fast 30 Jahre
lang als König regiert. Sein Vater Philipp
III. war, als er 1285 in Perignan starb, gerade 40 Jahre alt
geworden. Das Amt eines Königs von Frankreich gönnte seinen Trägern
damals kein langes Leben, wenn auch bisweilen eine lange Regierungszeit,
wie Philipps des Schönen Großvater
Ludwig
IX. "dem Heiligen", der 44 Jahre regierte, aber auch
nicht älter als 56 Jahre wurde. Auch die Prinzen der königlichen
Familie hatten teil an der hohen Kindersterblichkeit des Zeitalters: Ludwig,
der ältere Bruder, war 1276, als Philipp
gerade
acht Jahre alt war, noch minderjährig gestorben, erst dadurch war
Philipp zum offiziellen Thronfolger
aufgerückt, ohne dass er in seinem jugendlichen Alter am Hofe seines
Vaters zu politischen Geschäften bereits einen eigenen Zugang gesucht
oder gehabt hätte.
In diesen frühen Jahren widmete der Augustiner-Eremit
und Theologe Aegidius Romanus dem Kronprinzen seine (ca. 1277-1279 entstandene)
Schrift "De regimine principum", die er, wie es im Prooemium heißt,
auf Geheiß des Thronfolgers niedergeschrieben habe. Es wäre
ein Mißverständnis, wollte man daraus folgern (wie das immer
wieder geschieht), die Erziehung des Königskindes wäre nach der
Anleitung dieses berühmten Buches erfolgt: Weder der Inhalt der Schrift,
die nicht mehr und nicht weniger als eine politische Theorie der Königsherrschaft
entwirft, noch auch die allgemeinen Usancen literarischer Widmung jener
Zeit, die den Widmungsempfänger nur zu einer besonderen Förderung
von Schrift und Autor anhielten, sprechen für eine solch kurzschlüssige
Annahme. Aegidius behauptet ja auch nur, der - damals etwa 12-jährige
- Kronprinz habe von ihm die Abfassung verlangt, nicht aber, dass der Hof
von ihm ein Handbuch ad usum Delphini erbeten habe. Immerhin zeigt sich
hier schon relativ früh im Leben Philipps,
dass die Universität von Paris auf den königlichen Hof hinblickte.
Während seiner Regierungszeit sollte sich erweisen, dass die Universität
noch viel unmittelbarer in den Dienst politischer Absichten des Hofes genommen
werden konnte, was immer im einzelnen der Herrscher von universitären
Debatten und Problemen verstehen mochte.
Der väterliche Hof stand unter dem starken Einfluß
verschiedener Hofparteien, der jugendliche Thronfolger hatte noch kein
eigenes Zentrum gebildet, zumal die Stiefmutter, die zweite Gemahlin des
Königs, Maria
von Brabant, mehr und mehr vorherrschenden Einfluß
gewann. Noch der im Fiasko endende Kreuzzug gegen Aragon, den der König
auf Drängen der Kurie und des Hofes von Neapel unternahm, um die durch
den Aufstand der "Sizilianischen Vesper" dem unteritalienischen Königreich
der ANJOUS verlorengegangene Insel
Sizilien zurückzugewinnen, war gegen den erklärten Rat des Prinzen
erfolgt. Die militärische Katastrophe, die nach kräftezehrenden
Belagerungsbemühungen vor Gerona wegen der (zeitüblichen) Seuchen
im Heer und wegen ernster Nachschubschwierigkeiten alle stolzen Hoffnungen
der "Kreuzfahrer" zunichte gemacht hatte, hat ihn nicht nach Revanche streben
lassen: Den Kampf führte Philipp
als König nach dem Tod des Vaters, der auf dem Rückweg vom Feldzug
in Perpignan verstorben war, nicht weiter, beendete vielmehr den Krieg
nach langen Verhandlungen durch einen - nicht zufällig unter den Augen
des Papstes
Bonifaz VIII. abgeschlossenen - Vertrag (in Anagni 1295) und erreichte
damit einen dauerhaften Ausgleich mit den südlichen Nachbarn, der
sich später auch darin bewährte, dass ein lange strittiges Grenzgebiet,
das Tal von Aran, in einem friedlichen Verfahren den Aragonesen zufiel.
Vom Beginn seiner langen Regierungszeit an, die er etwa
17-jährig antrat, scheint Philipp,
den schon die Zeitgenossen "den Schönen" nannten, weil
sein Aussehen ganz dem adligen Ritterideal entsprach, entschlossen gewesen
zu sein, sich - anders als der Vater - nicht von seinem Entourge und dessen
wechselnden Konstellationen bestimmen zu lassen. Sein Selbstverständnis
als König aus dem Hause der KAPETINGER und
als Enkel Ludwigs IX. (der noch während
seiner Regierungszeit heiliggesprochen wurde) war früh und dauerhaft
entwickelt. Philipp der Schöne
regierte selbst, wobei freilich die Entscheidungen nicht in einsamer Isolierung,
sondern in seinem königlichen "Rat", also gewissermaßen in einem
geregelten Verfahren, fielen. Der König regierte im Rat, wie es die
mittelalterlichen Könige im allgemeinen taten. In Philipps
Zeit freilich zeigte sich dieser königliche Rat in starker und rascher
Wandlung begriffen zu festeren Formen und frühbürokratischer
Versteifung, zu Verschriftlichung und Institutionalisierung, um so ein
wirksames Herrschaftsinstrument zu werden - ein Wandel, den Philipp
selber durch seine Herrschaftspraxis stark gefördert hat.
Dass ein Herrscher sich mit den Großen seines Landes
aus Adel und Geistlichkeit beriet, war damals altes Herkommen, dass der
König zu seinem Rate wechselnd und nach eigener Wahl die Großen
seines Vertrauens aus dem Hochadel und weitere interessierte oder ihn interessierende
Personen heranziehen konnte, war ebenfalls keineswegs ungewöhnlich.
Stärker als zuvor hat aber Philipp
Spezialisten aus der Regierungspraxis, Rechtskundige, Gerichtserfahrene,
Finanzfachleute und überhaupt im königlichen Dienst Bewährte
in seinen Rat gezogen, hat sie dort gehört und dauerhaft an den Entscheidungen,
auch an der Entscheidungsfindung beteiligt, fast unangesehen ihrer ständischen
Herkunft, so dass sich darin auch ritterbürtige gelehrte Rechtskenner
wie Wilhelm von Nogaret, ja "bürgerliche" (wenn wir dieses mißverständliche
Wort für Männer aus der Oberschicht oberitalienischer Städte
verwenden dürfen) Spezialisten des Geldwesens finden, wie die beiden
Florentiner Bankiersbrüder Albizzo und Muscato Guidi dei Franzesi,
in Frankreich Biche und Mouche genannt, die bis zu ihrem Tode (1307) in
der königlichen Regierung eine wichtige Rolle zu spielen berufen waren.
Aus der Regierungszeit dieses Herrschers ist uns eine
Reihe solcher königlicher Helfer und Räte bekannt, und dank dem
schriftlichen Niederschlag ihrer Tätigkeit in dem Verwaltungsschriftgut
der Archive ist es der Forschung auch gelungen, einige von ihnen individuell
zu profilieren. Der König pflegte die Entscheidungen, die im Rat gefallen
waren, auch wenn sie von höchster Bedeutung waren, nicht selber bekannt
zu geben, sondern, umgeben von seinem Rat, durch einen der Ratsleute vortragen
und begründen zu lassen. Der bramarbasierende Bischof von Pamiers
Bernard Saisset hat einmal aus Enttäuschung über eine derartige
Audienz, wie später berichtet wurde, über Philipp
in Paris verlauten lassen: "non erat homo, nec bestia, sed imago" (der
König war nicht Fisch, nicht Fleisch, sondern eine bloße Statue),
der ganze Hof sei falsch, treulos und korrupt. Bezeichnend ist allein schon,
wie in diesem dictum die alte lehnsrechtliche Tugend der Treue betont gegen
die kalte Bürokratie abgehoben wird.
Die moderne Forschung hat eine heftige Diskussion darüber
geführt, wieweit Philipp der Schöne
persönlich
die Verantwortung für die politischen Entscheidungen seines Rates
und seines Hofes trug. Die Mehrheit der Kenner neigt seit langem der Meinung
zu, dass seine Helfer wirklich in seinem Auftrag und unter seiner Verantwortung
handelten und dass ihn jeweils die letzte Entscheidung zufiel, so sehr
Philipp
auch die Ausführung, vielleicht auch die strategische, erst recht
die taktische Planung seinen Spezialisten überlassen haben mag. Wo
wir den Gang der Geschäfte seines Spezialisten überlassen haben
mag. Wo wir den Gang der Geschäfte etwas deutlicher zu fassen bekommen,
stellt sich in der Regel heraus, dass in fast bürokratischer Weise
nach schriftlichen Vorlagen und in ausführlicher Erörterung Entscheidungen
getroffen wurden, wobei der König seine Rolle stets zu wahren wußte,
auch Wert darauf legte, nicht übergangen zu werden. Gleichwohl hat
er seine Führenden Bediensteten nicht als Sündenböcke gebraucht,
wenn etwas nicht wunschgenmäß verlief. Keinen einzigen seiner
führenden Berater hat er einem politischen Prozeß unterworfen.
Enguerran de Marigny, der verhaßte leitende Staatsmann seiner letzten
Jahre, wurde erst vom Sohn und Nachfolger nach
Philipps
Tod auf das Schafott geschickt.
Philipps hohe
Meinung von der Bedeutung seines königlichen Amtes scheint jedenfalls
für ihn nicht nur ein Spiel mit Worten gewesen zu sein; er achtete
geradezu peinlich darauf, hier keine Einbußen hinzunehmen. Er verschob
Entscheidungen, setzte auf den Zeitablauf, entzog sich der persönlichen
Anwesenheit lieber, als rasch und überstürzt zu handeln. Er und
sein Hof vermochten auch lang angelegte strategische Konzepte mit zäher
Hartnäckigkeit in die Tat umzusetzen und zu einem Ende zu führen,
auch wenn naturgemäß dieses Ende nicht immer den anfänglichen
Erwartungen und Zielen entsprechen konnte.
Dass in den Archivalien eine eigene Initiative des Königs
vor allem bei bestimmten frommen Schenkungen und ähnlichen Routineentscheidungen
sichtbar wird, dass seine allseits bekannte Jagdleidenschaft den Herrscher
auch in politisch bewegten, spannungsreichen Zeiten dem Hofe fernhalten
konnte, widerspricht diesem Urteil nur scheinbar: Die Tätigkeit des
Hofes ist gleichwohl der Verantwortlichkeit des Königs selber anzurechnen,
jede andere Einschätzung würde auch die Chancen zu langfristiger
Planung politischer Aktivitäten im späten Mittelalter bei weiten
überschätzen.
Die Regierungszeit Philipps
des Schönen fiel in eine Zeit des Übergangs und des
raschen Wandels, prägte sich aus in harten Konflikten und überraschenden,
ja bereits die Zeitgenossen bestürzenden Entscheidungen. Philipp
und sein Hof ließen es an Entschlossenheit bei der Wahrnehmung ihrer
Interessen, an Findigkeit in der Nutzung von Handlungsmöglichkeiten,
an Kaltblütigkeit im Beschreiten auch ungewöhnlicher Wege, an
Konsequenz in der Durchführung von Vorsätzen, die sich bis zur
brutalen Härte steigern mochte, niemals fehlen. Dabei kam es Philipps
Ratsmitgliedern zugute, dass sie sich in zweierlei Hinsicht von denen eines
herkömmlichen hochadligen Rates unterschieden: Durch ihre persönliche
Herkunft waren sie weder ständisch noch regional für ihre Tätigkeit
im königlichen Dienst prädestiniert, vielmehr hatten sie ihren
Aufstieg - neben der Gunst des Monarchen - ihrer Bewährung, ihren
erwiesenen Fähigkeiten zu verdanken. Sodann ist die besondere Nähe
zu den Universitätswissenschaften der Zeit, insbesondere zur Rechtswissenschaft
auffällig, und hier besonders die Schulung im Römischen Recht.
Das heißt nun nicht, dass alle oder auch nur die meisten Helfer des
Königs promovierte Legisten gewesen wären. Der einflußreichste
Mann am Hof der letzen Regierungsjahre, Enguerran de Marigny, hatte nicht
studiert und verstand offenbar auch nur in beschränktem Maße
die lateinische Gelehrtensprache. Aber die wissenschaftliche Weise des
Umgangs mit den Problemen, rationalistische Schärfe und methodisch
konsequentes Vorgehen waren auch damals nicht von einer Promotion abhängig.
Der königliche Justizdienst brachte viele unter
den führenden Beratern des Königs in den inneren Kreis der Macht.
Gelehrte Juristen machten sich damals nicht allein in Frankreich bemerkbar.
Hier waren es in besonders hohem Maße die Legisten aus dem erst im
Laufe des 13. Jahrhunderts Frankreich angeschlossenen Languedoc, Spezialisten
des Römischen Rechts, die an Rechtsuniversitäten dort eine unterschiedlich
weit führende Karriere hinter sich gebracht hatten, bevor sie im königlichen
Dienst, zunächst der Region, dann auf höherer Ebene, die Gelegenheit
erhielten, sich auszuzeichnen und aufzusteigen. Wilhelm von Nogaret, 1287
zum doctor legum in Montpellier promoviert, der auch an der dortigen Universität
unterrichtet hat, bevor er als Richter in königlichem Auftrag tätig
wurde, ist das bekannteste Beispiel für diese Gruppe, der sich freilich
auch Vertreter aus anderen Regionen anschlossen: Pierre Flote stammte aus
dem Dauphine, Marigny aus der Auvergne. Nach einer Auszählung des
amerikanischen Historikers Joseph Strayer stammten 84 Mitglieder der königlichen
Zentrale aus der traditionellen Krondomäne (63 davon aus der Ile-de-France
und aus Paris), 15 aus der Normandie, 9 aus dem Languedoc, 9 aus Burgund,
6 aus der Champagne, je 5 aus der Auvergne und dem Anjou-Poitou, 4 aus
der Bretagne und zusätzlich sind noch 8 Nichtfranzosen (darunter 5
Italiener) zu zählen, ein recht buntes Bild, wenn diese Ziffern auch
nicht spektakulär zu nennen sind. Sie zeigen, dass hier mehr als im
gleichzeitigen Deutschland und mehr, als es zuvor üblich war, die
regionale Herkunft an Karrierebedeutung eingebüßt hatte. Auch
mag man es als ein Zeichen für die wachsende Integration des Königreichs
nehmen.
Insgesamt gelang es, die Verwaltung stark zu intensivieren,
die königlichen Direktiven gegen lokale und regionale Widerstände
in zuvor unbekanntem Maße zuverlässig durchzusetzen, auch die
wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten des Landes in zuvor
nicht geahntem Umfang von der Zentrale gesetzten Zwecke zu mobilisieren.
Die Einkünfte des Königs, herkömmlich vor allem aus den
Revenüen der königlichen Grundherrschaften und aus Gerichtsgefällen
gezogen, waren nach damaliger Auffassung durch regelmäßige Beiträge
der Untertanen in Form von Steuern nicht eigentlich, vor allem nicht dauerhaft
zu ergänzen: Nur bei besonderen Notfällen, im Falle eines Krieges
vor allem und bei besonderen Anlässen (wie der Verheiratung einer
Tochter oder der Mündigkeitserklärung eines Sohnes), konnte der
König einen Beitrag der Untertanen erbitten, um dem Bedarf aufzuhelfen
und der Not zu steuern. Die ungemeine Intensivierung dieser Quelle von
Einkünften durch Philipp und seinen
Rat wäre eine eigene Darstellung wert; die Regierungszeit Philipps
des Schönen ist gerade für die Finanzgeschichte des
Königreichs von einschneidender Bedeutung gewesen. Dem König
kam es zugute, dass sein großes und reiches Land - mehr als bei Nachbarn
und Gegnern - ihm durchaus die Mittel zur Verfügung stellen konnte
und zur Verfügung stellte, da es von einer auf den König und
seinen Willen eingeschworenen Beamtenschaft - im Norden des Landes von
den Bailli, im Süden von den Seneschällen - dazu angehalten und
angetrieben wurde.
Die finanziellen Ressourcen wurden durch eine relativ
straffe zentrale Behörde zusammengefaßt, die Chambre des Comptes,
über die alle finanziellen Leistungen abgerechnet wurden. Zuerst waren
in dieser zentralen Finanzbehörde des Landes noch die Templer als
besonders geübte und erfahrene Bankiers beteiligt, später allein
noch Bedienstete. Auch hier begann der "Staat", sich von "fremder" Hilfe
zu emanzipieren.
Ein besondere Problem stellte das Münzrecht des
Königs, der in der ersten Zeit seiner Regierung dieses Recht - ähnlich
wie sein Vater - kräftig dazu nutzte, finanzielle Engpässe durch
Münzverschlechterungen auszugleichen. Die darauf folgende Preisinflation,
die für die Zeitgenossen erst sehr langsam wirklich durchschaubar
wurde - eine erste ernstzunehmende wirtschaftliche Theorie darüber
hat erst zwei Generationen später der französische Theologe und
königliche Rat Nicole Oresme (gestorben 1382) anbieten können
-, die aber sofort empfindlich zu spüren war und die besonders auch
den Adel des Landes hart traf, der im 13. Jahrhundert weithin Dienstpflichten
von Hörigen und sonstigen Anhängigen durch fixierte Geldbeträge
hatte ablösen lassen, wurde ein ständiger Streitpunkt bei den
Verhandlungen des Königs mit seinen Ständen, zu deren Sprechern
sich auch immer wieder die Vertreter der Kirche machen konnten. Zum guten
Geld, zur guten Zeit des Großvaters, Ludwigs
des Heiligen, zurückzukehren, wurde immer wieder gefordert,
vom König und seinem Hof auch immer wieder zugesagt, ohne dass sich
das wirklich hätte erreichen lassen. Immerhin ist am Ende der Regierungszeit,
das viel friedlicher war als der Anfang, eine gewisse Beruhigung nicht
zu verkennen.
Der Wille des Königs hatte also gute Chancen, bis
in die Provinzen hinein effizient durchgesetzt und durchgeführt werden
zu können. Die Ressourcen des Reiches ließen sich finanziell
und militärisch in hohem Maße mobilisieren, was in kritischen
Situationen besonders deutlich zu merken war. All das bedeutete zugleich
auch einen Modernisierungsschub, der sich für den rückblickenden
Historiker freilich deutlicher abzeichnet als für die Zeitgenossen,
die sich über Abweichungen von herkömmlichen Prozeduren wundern
mochten oder verschreckt reagierten, wenn sie sie denn bemerkten.
Waren also die Voraussetzungen für zentrale Entscheidungen
im Frankreich Philipps des Schönen
auch günstiger als in vielen anderen Ländern, so ist doch die
Frage nach der "Politik" dieses Herrschers äußerst schwierig
zu beantworten. Schwieriger noch als in späteren Zeiten ist für
das Mittelalter die Vorstellung einer planvollen äußeren und
inneren Politik zu verifizieren. Die Instrumente solcher Politik, die planvolle
Anwendung militärischen oder diplomatischen Druckes, die geschickte
Ausnutzung der Schwächen des Gegners, schließlich die kriegerische
Durchsetzung der eigenen Ziele waren damals kaum kohärent zu verfolgen.
Der Extremfall, der Krieg, kann das schlagend verdeutlichen: Dem König
stand kein stehendes Heer zu Gebot, vielmehr mußte er sich hauptsächlich
auf das Aufgebot seiner Vasallen stützen, wobei das Lehnrecht deren
Pflichten recht sorgfältig und mit kasuistischer Starre, regional
unterschiedlich, insgesamt aber wirksam eingegrenzt hatte, zumindest dort,
wo nicht unmittelbare Verteidigung der engeren Region, der patria anstand.
Solche Landesverteidigung bezog sich aber nur auf die heimatliche Nachbarschaft,
keineswegs bereits auf das gesamte Königreich. Die Ausweitung und
Ausfüllung dieses Begriffs, bis er das ganze Land umfaßte, sollte
eine noch lange Entwicklung nötig machen, deren erste Schritte schon
vor Philipp dem Schönen zu fassen
sind. Nur für eine streng begrenzte Zeit, etwa sechs Wochen lang,
mußte ein Lehnsmann seinem Herrn auf eigene Kosten in dessen Krieg
folgen, danach hatte er Anspruch auf Kostenerstattung, wenn es ihm nicht
überhaupt freistand, sich nach Hause zurückzuziehen.
Diese Voraussetzungen machten eine längere Kriegführung
auch dann zu einem extrem kostspieligen Unterfangen, wenn dramatische militärische
Niederlagen nicht zu verkraften waren. Jeder Versuch, militärische
Erfolge für eine längere Dauer zu sichern, etwa durch eine militärische
Besatzung oder gar durch ein Militärregime, bedeutete einen unverhältnismäßigen
Kostenaufwand, der leicht jede ursprüngliche Planung über den
Haufen werfen konnte. So finden wir in den vorsorglichen Verträgen
dieser Zeit immer wieder ganz andere Zeitvorstellungen ausgesprochen, als
sie sich dann später einhalten ließen. Zudem führte der
Krieg der Ritterheere in aller Regel zu einer Kampfführung der Konfliktvermeidung,
um die eigenen kostbaren und kostspieligen Truppen nach Möglichkeit
zu schonen, was wiederum die Finanzbedürfnisse der Zentrale in die
Höhe trieb.
Diese Rahmenbedingungen galten selbstverständlich
auf allen Seiten und für alle möglichen Konfliktbeteiligten gleichermaßen.
Sie benachteiligten Frankreich nicht einseitig. Die fortgeschrittenen Techniken
zentraler Lenkung und Durchsetzung des königlichen Willens im gesamten
Königreich boten hier vielmehr eine günstige Chance. Auch die
große Finanzkraft, die sich geballt für kriegerische Maßnahmen
einsetzen ließ, bot einen weiteren Vorteil. Es kennzeichnet den auf
Frankreich konzentrierten Blick des Königs, dass sich Philipp
der Schöne keineswegs in weit ausgreifende Abenteuer stürzte,
so wie sie noch Ludwig IX. mit seinem
Kreuzzugsunternehmen und seiner Expedition nach N-Afrika unternommen hatte
oder wie sie etwa Karl von Anjou oder
auch der jüngere Bruder des Königs, Karl
von Valois, immer wieder versuchten. Philipp
benutzte zwar mehrfach das Versprechen eines Kreuzzugs (so wie es in seiner
Zeit schon weithin üblich geworden war) dazu, sich die Steuerkraft
seiner Landeskirche durch päpstlich gewährte Kreuzzugszehnten
unmittelbar nutzbar zu machen. Jeder ernsthaften Planung eines wirklichen
Kreuzzuges aber traten dann immer wieder weit dringlichere Vorhaben in
den Weg. Die erheblichen Summen an kirchlichen Beisteuern zur Vorbereitung
der bewaffneten Wallfahrt ins Heilige Land hat Frankreich - wie andere
Länder damals auch - stets zu anderen, zu europäischen Zwecken
verwendet.
Hier können nur exemplarisch einige Fragen aufgegriffen
wurden, die sich in der Regierungszeit dieses Herrschers stellten und auf
eine Antwort warteten. All das, was den Alltag des Königs ausmachte,
die täglichen mehr oder minder rechtlich weitreichenden Entscheidungen
oder Rechtsverbriefungen, die finanziellen Verfügungen, Gnadenerweise,
Gunstbezeugungen, gerichtliche Entscheidungen, erst recht aber der Zeitvertreib
bei Hofe, Fest und Turnier sowie die Jagd, all das kann hier keine Darstellung
finden. Auch das immer schwierige, weil niemals zu einer wirklich konsistenten
"Außenpolitik" zusammenfaßbare Verhältnis zu den großen
und auf Dauer für Frankreichs Stellung in Europa entscheidenden Nachbarn
zu den iberischen Königreichen im Süden, zum deutschen Reich
im Osten, zum englischen Königreich im Norden, kann hier nicht zusammenhängend
dargestellt werden. Überall waren auch hier die Verhältnisse
in Bewegung, überall wurde die europäische Landkarte erst genauer
vermessen, wurden Interessensphären, Hoheitsansprüche, Herrschaftsrechte
erst deutlicher abgesteckt.
Das Frankreich Philipps des
Schönen hat sich an solchen Aktivitäten teilweise
mit einigen Einsatz und mit wachsendem Selbstbewußtsein beteiligt,
besonders wenn sie sich nicht in nebelhafter Fern, sondern in praktischer
Reichweite bewegten. Kreuzzugsunternehmen hatte die französische Krone
das ganze 13. Jahrhundert hindurch verfolgt. Noch der Kriegszug gegen Aragon,
den Philipps Vater nicht überlebte,
war als Kreuzzug ausgerufen worden. Der jüngere Bruder des Königs,
Karl
von Valois, faßte immer wieder großartige Pläne,
ohne jemals zum (wechselnden) Ziel zu gelangen. Auch seine Kandidatur für
die römische Königswürde und Kaiserkrone nach dem gewaltsamen
Tod des HABSBURGERS ALBRECHT
I. (1309) blieb erfolglos, da sich die deutschen Kurfürsten
auf den Luxemburger
Grafen Heinrich
(VII.) einigten, der zum französischen König in
lehnsrechtlicher Verbindung stand.
Wenn Frankreich sich also durchaus an der Suche nach
der künftigen Gestalt Europas beteiligte, so ließ sich der König
auf der näheren europäischen Bühne von den irrlichternden
Unternehmungen und hochfliegenden Aspirationen seines Bruders nicht zu
größeren Investitionen oder gar Interventionen hinreißen,
auch nicht zugunsten von dessen italienischen Unternehmungen im Interesse
des angevinischen Königreichs
von Unteritalien. Das einzige Mal, als wirklich ein kleineres französisches
Heer in Sizilien operieren sollte, hat die Niederlage von Kortrijk den
König gezwungen, den Bruder lange vor dem gesteckten Ziel zurückzubeordern.
Auch Frankreich war damals nicht in der Lage, zwei kostspielige Kriege
auf einmal durchzustehen. Und Flandern lag Paris und dem König näher
als Sizilien.
Mit Selbstbewußtsein und konsequenter Zähigkeit,
kaum aber mit jener bewußten und planmäßigen expansiven,
ja aggresiven Tendenz, die ihr die deutsche Geschichtsschreibung gerne
unterstellte, hat sich die französische Politik dieser Zeit dem Römischen
Reich gegenüber verhalten. 1299 wurde in Fortsetzung alter französisch-staufischer
Bindungen
im Vertrag von Vaucouleurs mit dem HABSBURGER
ALBRECHT I. besiegelt, dass die lange strittige Freigrafschaft
Burgund künftig dauerhaft dem französischen Königreich zugehören
sollte. 1300 wurde die lothringische Stadt Toul der Hoheit des französischen
Königs unterworfen, 1301 wurde der Graf von Bar gezwungen, all seine
links der Maas gelegenen Besitzungen vom französischen König
zu Lehen zu nehmen und damit die französische Oberhoheit zu festigen.
1307
konnte schließlich in einem energisch unter Einsatz militärischer
Mittel durchgeführtten Zugriff klargestellt werden, dass Lyon künftig
eindeutig der Hoheit des französischen Königs unterstand und
nicht dem Reich. Diese Daten sind nur scheinbar allein der Ausdruck einer
berechnenden Absicht, sie müssen ebensosehr als Ausdruck der
unklaren Verhältnisse in einer jahrhundertelang umkämpften Grenzzone
und als Ergebnis der Schwäche der deutschen Königsmacht jener
Zeit gelesen werden. Den Beziehungen Philipps
zu den wechselnden deutschen Herrschern hat das alles jedenfalls nicht
sichtbar geschadet: Eine wechselnde Haltung zu den (verschiedenen) Trägern
der Römischen Königskrone half bei dieser stückweisen Fixierung
des französischen Interesses durchaus mit. Das ganze 14. Jahrhundert
hindurch sollte die seit den späten Staufern schon traditionelle gewordene
Verbindung zu Frankreich den deutschen Herrschern einen festen Orientierungspunkt
ihrer nationalen Optionen liefern.
War also das Verhältnis zu Deutschland zwar nicht
von Gegensätzen frei, ohne doch zu brisanten Konflikten zu führen,
so war der englische Nachbar jenseits des Kanals für den französischen
König seit langer Zeit ein traditioneller Gegner. Der "Aquitanische
Krieg" (1294-1304) machte das erneut deutlich. Das Verhältnis Frankreichs
zu England war bereits das ganze 13. Jahrhundert hindurch dadurch belastet,
dass die PLANTAGENETS seit dem 12.
Jahrhundert große französische Gebiete in ihrem Besitz hatten.
Seit Philipp II. Augustus seine Lehnsoberhoheit
energisch durchgesetzt hatte, waren immer wieder offene Konflikte ausgetragen
worden. Im Frieden von Paris (1259) zwischen Ludwig
IX. von Frankreich und Edward I. von
England war aber schließlich verbindlich anerkannt worden,
dass der König von England für das Herzogtum Aquitanien Vasall
des Königs von Frankreich war. Nicht geklärt werden konnten damit
freilich einige damals ausdrücklich oder stillschweigend offengelassene
Probleme im beiderseitigen Verhältnis. Schon über die genauen
geographischen Grenzen des lehnsabhängigen Herzogtums haben sich die
beiden Parteien noch lange nicht einigen können, erst recht war offengeblieben,
welche Rechte das königliche Gericht und das Parlament in Paris gegenüber
den vom englischen König als Herzog eingesetzten Herrschaftsträgern
und ihren Maßnahmen behielten. Konnte hier die französische
Zentrale direkt durchgreifen und eingreifen, oder nur dann, wenn sie angerufen
wurde? Welche Rechte kamen dem Oberlehnsherrn gegenüber den Amtsträgern
seines Lehnsmannes zu, welche gegenüber dessen Untertanen? In einem
Zeitalter, in dem Herrschaftsbeziehungen intensiviert und verrechtlicht
wurden, hatten solche Fragen eine explosive Wirkung, konnten vor allem
nicht durch Präzedentien ruhiggestellt werden.
Es kann nicht überraschen, dass sich diese und ähnliche
Fragen noch lange nicht wirklich klären ließen. England und
Frankreich sollten noch den ganzen sogenannten "Hundertjährigen Krieg"
hindurch darum ringen müssen, bevor die moderne Vorstellung eines
geschlossenen Herrschaftsgebietes in einem nationalstaatlich verfaßten
Königreich auch in dieser komplexen Gemenglage von Herrschaftsrechten
sich dadurch realisieren ließ, dass die Engländer ihren Festlandsbesitz
endgültig verloren. Aber noch war es lange nicht soweit. Philipp
der Schöne, der bei seinem Regierungsantritt von Edward
I. erfolgreich die Lehsnhuldigung verlangt und erhalten hatte,
scheint damals viel eher zu einem kriegerischen Eingreifen bereit gewesen
zu sein als der englische König, der sich zunächst verhandlungsbereit
zeigt. Schließlich kam es 1294 doch zum Krieg. Ein französisches
Heer besetzte Aquitanien, aus England konnte, da ein Aufstand in Schottland
die Kräfte band, nur unzureichende militärische Unterstützung
kommen, so dass nach langwierigen Kämpfen die Guyenne mit Ausnahme
der Gebiete um Bayonne, Bourg und Blaye französisch besetzt wurde.
Ein Waffenstillstand brachte (1297) praktisch ein Ende des Krieges, wenn
auch nicht ein Ende der Kosten. Erst auf der Höhe des neuen Konflikts
um Flandern wurde dann ein Friede geschlossen (1303), der England Aquitanien
zurückgab und ein schiedlichfriedliches Auskommen für die nächsten
zwei Jahrzehnte begründete. Der französische König setzte
die Anerkennung seiner rechtlichen und politischen Oberhoheit durch, ohne
freilich ein Ende aller Streitigkeiten zu erreichen. Bezeichnend immerhin
war es, dass ihm eine förmliche Anerkennung genug schien, dass er
Aquitanien seinem Vasallen nicht auf Dauer entzogen hat, ja nicht einmal,
so scheint es, entziehen wollte.
Schon als der französisch-englische Krieg um Aquitanien
im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte,
entwickelte sich ein weiterer Konflikt, der nicht allein ungleich kostspieliger
werden sollte, der vielmehr schließlich auch eine Konzentration aller
Mittel erzwang und damit den Krieg in Aquitanien beenden half, der Krieg
um Flandern. Die Grafschaft Flandern, ein Zentrum spätmittelalterlicher
Stadtwirtschaft und Tuchproduktion, teils von einer französischsprachigen,
teils von einer flämisch sprechenden Bevölkerung bewohnt war,
anders als das weit überwiegend agrarische Aquitanien, Teil einer
der wichtigsten Städtelandschaften Europas, teilte auch die sozialen
Spannungen, die die rasche Stadtentwicklung im 14. Jahrhundert nicht allein
am Niederrhein hervorrief. Da gab es Konflikte der einzelnen Städte
mit dem gräflichen Stadtherrn, dessen Versuche zur Durchsetzung seiner
landesherrlichen Autorität nicht nur in den die Städte beherrschenden
Oligarchen, sondern auch im französischen König als dem Lehsnherrn
des Grafen argwöhnisch eifersüchtige Gegner fanden. Ein stillschweigendes
Miteinander dieser beiden Kräfte verstrickte freilich den französischen
Hof fast wider willen auch tief in die sozialen Spannungen inzwischen der
kleinen Schicht reicher Fernhandelskaufleute, die in aller Regel die städtischen
Ämter und Positionen fest in ihrer Hand hielten, und den aufstrebenden
Schichten aus Zünften und Gewerbe, die ihren eigenen Anteil an den
Stadtregierungen einforderten.
Ein Königshof war nicht eigentlich ein natürlicher
Verbündeter solcher Bestrebungen, die Ausgangslage scheint klar: Der
Krieg begann, als der Graf sich nach mancherlei unterschiedlichen Bemühungen
schließlich stärker als je zuvor auf ein Bündnis mit dem
König von England einließ. England, Hauptlieferant der Wolle,
die in Flandern zu Tuch verarbeitet wurde, hatte durch ein Embargo während
des aquitanischen Krieges die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den flandrischen
Städten verschärft, die auch durch französische Steuerforderungen
zur Finanzierung des Krieges nicht gerade erleichtert wurden. 1294 hatte
der Graf den ersten Schritt in diese neue Orientierung getan, als er einen
Heiratsvertrag für eine seine Töchter mit einem englischen Prinzen
verabredete. Der französische Lehnsherr hatte diese Pläne aber
dadurch durchkreuzt, dass er seine lehnsherrlich notwendige Einwilligung
verweigerte und den Grafen vor sein königliches Gericht zitierte,
wo dieser künftiges Wohlverhalten versprechen mußte. 1297 jedoch
erneuerte der Graf seinen Versuch einer englischen Neuorientierung. Freilich
sicherte der damals geschlossene Vertrag mit dem englischen König
dem Flandrer keine ausreichende militärische Unterstützung. Als
Edward
I. im August 1297 in Flandern eintraf, war bereits fast das
gesamte Territorium von französischen Truppen besetzt, nur in den
Städten Gent, Ypern und Douai konnte sich der Graf behaupten.
In einem Waffenstillstand zwischen Frankreich und England
(vom 9. Oktober 1297) wurde dann der Graf von Flandern wohl einbezogen,
aber damit war seine schwierige Lage nicht leichter geworden. Die folgenden
Friedensverhandlunegn waren langwierig, vor allem höchst kompliziert,
da zwei völlig verschiedene Konflikte zu regulieren waren. Zum Hauptstreitpunkt
des französisch-englischen Krieges konnten sich beide Seiten nicht
so rasch einigen, obwohl sich auch Papst Bonifaz VIII. als Vermittler
einschalten wollte. Dieser freilich sollte und wollte dazu, merkwürdig
genug, ausdrücklich nur als Privatmann, nicht als Papst tätig
werden, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sich damit die schwierige Frage
umgehen ließ, wie es mit dem Gehorsamsanspruch des Stellvertreter
Christi gegenüber christlichen Herrschern bestellt war. Soviel jedenfalls
stellte sich heraus, dass die Sache des Grafen von Flandern für den
englischen König keineswegs unverbrüchlich mit seiner eigenen
verbunden war. Als der englisch-französische Waffenstillstand im Januar
1300 auslief, ohne dass ein Friede erreichbar gewesen wäre, flammte
dann der flandrische Krieg (nicht dagegen der aquitanische) erneut auf.
Eine französische Armee unter dem Kommando Karls
von Valois besetzte jetzt auch noch den letzten Teil des Landes.
Der Graf und sein Erbprinz wurden in (ritterliche) Haft, die Grafschaft
unter die Verwaltung königlich französischer Bediensteter genommen.
1301 bereiste König Philipp in
eigener Person und mit allem Pomp eines Herrscherbesuchs das Land und wurde
mit dem prunkvollen Zeremoniell empfangen, das das Spätmittelalter
als Erbe antiker Usancen für solche Gelegenheiten bereithielt.
Das Problem der militärischen Besetzung des Landes
war damit freilich keineswegs geringer geworden. Die hohen Kosten mußten
durch Steuern aufgebracht werden, deren unausgewogene Verteilung noch dadurch
verschärft wurde, dass zugleich Bußgelder zur Strafe früheren
Widerstandes und Exemtionen zur Belohnung für eine rechtzeitige "richtige"
Wahl der Loyalität auferlegt wurden. In der Folge wuchsen die Spannungen
zwischen den sozialen Gruppen, vor allem in den großen Städten,
zumal da die wohlhabenderen Bürger politisch ohnedies eher mit Frankreich
sympathisierten und nun der Belastung eher ausweichen konnten.
Die Unruhe wuchs. In Brügge, in Gent kam es zu Handgreiflichkeiten.
Einige Häuser von Angehörigen der Stadtoligarchie wurden geplündert
und zerstört. Der französische Statthalter besetzte daraufhin
beide Städte, gewährte freilich den Aufständischen zuvor
freien Abzug. So konnten sie schließlich beim liturgischen Morgenläuten
am 18. Mai 1302 in Brügge die französische Besatzung im Schlaf
noch in ihren Quartieren überwältigen und eine größere
Zahl von Soldaten (wahrscheinlich mehrere hundert) umbringen. Die französischen
Offiziere entkamen unverletzt. Bedeutete diese "Matutin" von Brügge
nun keineswegs eine schwere militärische Niederlage, so sollte der
Versuch, die Stadt zu strafen, doch in einer Katastrophe enden: Als die
Franzosen schließlich ein großes Ritterheer unter dem Befehl
des Grafen
Robert von Artois (eines Neffen Ludwigs
IX. und somit eines Onkels Philipps
des Schönen) versammelt hatten, waren die Aufständischen
militärisch gerüstet. Ein sumpfiges Gelände und eine den
Gegebenheiten nicht angepaßte Taktik ließen die Schlacht, die
am 11. Juli 1302 bei Kortrijk (Courtrai) geschlagen wurde, zum Desaster
für die Franzosen werden. Alle Anführer des französischen
Heeres, Graf Robert von Artois, der
Statthalter des Königs Jacques de Chatillon, der Connetable, zwei
Marschälle und die Blüte des französischen Adels fielen
im Kampf, auch der leitende Rat des Königs, Pierre Flote, der bisher
die Richtlinien in Paris mitbestimmt hatte, wurde erschlagen. In der "Schlacht
der Goldenen Sporen" hatten bewaffnete Bürger zu Fuß die ritterlichen
Panzerreiter spektakulär überwunden. Wenn auch noch jahrhundertelang
Reiterschlachten in der Form einer Summe ritterlicher Einzelkämpfe
stattfinden sollten, hatte sich hier doch der Übergang zur Effizienz
der Fußsoldaten des 15. und 16. Jahrhunderts unzweideutig angedeutet.
Mit der Katastrophe von Kortrijk war der Krieg, wie sich
zeigen sollte, keineswegs entschieden, er war aber in eine für den
französischen Hof äußerst kritische Phase getreten. Durch
Konzentration aller Kräfte und durch Mäßigung der Ziele
gelang es jedoch, einen erträglichen Abschluß zu finden: Mit
England wurde 1303 in Paris ein Friede erreicht, der zwar keinen der Konfliktstoffe
wirklich beseitigte, der aber für einige Jahre relative Ruhe erreichte.
Die Flandrer wurden am 18. August 1304 in einer Schlacht bei Mons-en-Pevele
(unter der persönlichen Teilnahme des Königs) geschlagen, wenn
auch keineswegs vernichtet. Ein Frieden mit ihnen kam dann nach langwierigen
Verhandlungen im Juni 1305 in Athis-sur-Orges zustande, der den Grafen
und sein Haus erneut in den Besitz seines Lehen setzte.
Hatte sich hier erwiesen, dass Philipp
und sein Hof vor einer kriegerischen Anstrengung nicht zurückscheuten
und sie auch durchzuhalten vermochten, so zeigte ein weiterer Konflikt,
dass die königlichen Räte durch eine entschlossene Wahrnehmung
auch ungewöhnlicher Handlungsmöglichkeiten zu einem zukunftsträchtigen
Erfolg zu kommen wußten. Jeder mittelalterliche Herrscher hatte es
allein schon in seinem eigenen Herrschaftsgebiet mit seiner Landeskirche
zu tun, mit den Amtsträgern der kirchlichen Institutionen, mit den
großen Vermögensmassen, die die Kirche, weltlichem Zugriff weitgehend
entzogen, im Laufe der Zeit zugefallen waren. Kirchliche Prälaten
(die sich weit überwiegend aus dem Adel des Landes rekrutierten) nahmen
selbstverständlich am politischen Leben, an Festen, Ratsversammlungen,
Verhandlungen des Reiches teil und wachten eifersüchtig über
ihre Stellung. Konflikte mit ihnen bildeten aber nicht den einzig möglichen
Ausdruck dieser Reibungsfläche zwischen königlichem Herrschaftsanspruch
und kirchlicher Selbstbehauptung. Seit die mittelalterliche Kirche im Papst
nicht mehr nur den vornehmsten und wichtigsten, sondern den höchsten
und prinzipiell alles entscheidenden Bischof der Gesamtkirche zu sehen
begann, der für Einheit und Integrität der Kirche Verantwortung
trug, konnte der Papst jede Frage, die die Kirche einer Region berührte,
an sich ziehen und somit königlichen Ansprüchen entgegentreten.
Im 11., noch im 13. Jahrhundert hatte der Papst das zunehmend getan, freilich
zunächst und vor allem dem römischen Kaiser und deutschen Herrscher
gegenüber, wenngleich auch die Könige der übrigen Christenheit
durchaus im Blickfeld päpstlicher Entscheidungen geblieben waren.
Je stärker sich die Tendenz zur Zentralisierung kirchlicher Entscheidungen
beim Heiligen Stuhl und der Kurie durchsetzte, je schwächer die Stellung
des Kaisers wurde, desto wahrscheinlicher wurde auch ein Konflikt zwischen
Papst und König.
Ebendieses Problem stellte sich nun Philipp
dem Schönen mit aller Schärfe. Am Ende des Jahrhunders,
das seit 1250, seit dem Tod des STAUFERS
FRIEDRICH
II., keinen Kaiser mehr gesehen hatte und das durch die
Eckpontifikate Innozenz'
III. und Bonifaz' VIII. charakterisiert ist, durch die dem
Papsttum eine zuvor nicht gekannte Kompetenzfülle in der Gesamtkirche
zugewachsen war, hatte der französische Herrscher einen exemplarischen
Kampf zu führen. Er und seine Berater taten dies mit Entschiedenheit,
Einfallsreichtum und in beispielhaften Formen, unterstützt von den
Gelehrten der Pariser Universität, die in der Lage waren, dem faktischen
Tun auch eine theoretische befriedigende Erklärung zu geben, so dass
noch lange Zeit die Beziehungen zwischen Staat und Kirche hier Maßstab
und Orientierung finden konnte.
Lagen die Ursachen des Konflikts demnach in sehr langfristigen
Entwicklungen begründet, nehmen sich Anlaß und Verlauf zunächst
eher bescheiden aus. Papst war 1294 ein brillanter Jurist geworden, Bonifaz
VIII., der - auf den Schultern einer langen Tradition, die von den
gelehrten Theologen und Kirchenjuristen der Scholastik des 13. Jahrhunderts
gebildet worden war - alle dort theoretisch formulierten Vorrechte und
Kompetenzen seines Amtes wahrzunehmen und auszufüllen gedachte. Dieser
Papst, dem taktische Zurückhaltung zwar nicht absolut unmöglich
war, der aber seinen Gegnern viel lieber in der vollen Rüstung extrem
ausformulierter Ansprüche gegenübertrat, hatte dementsprechend
in seinem nur knapp 10 Jahre währenden Pontifikat (1294-1303) eine
ganze Reihe von erbitterten Kämpfen zu bestehen, die er zum Teil bereits
von seinen Vorgängern ererbt hatte (wie den Konflikt um Sizilien nach
der Sizilischen Vesper), teils aber selber erst heraufbeschwor (wie seinen
Kampf mit den COLONNA-Kardinälen).
Seine Auseinandersetzung mit Philipp dem Schönen
sollte mit seiner tiefsten Niederlage enden. Die Aufräumungsarbeiten
sollten die Kurie, den Königshof und die Kirche noch bis in die letzten
Lebensjahre Philipps des Schönen
hinein beschäftigen.
Der Zusammnstoß begann unscheinbar, er endete hochdramatisch.
Zunächst hatte der Papst - angesichts der intensiven Bemühungen
des französischen Hofes, für die Kosten des aquitanischen Krieges
auch die Landeskirche durch die Auflage bestimmter Beisteuern heranzuziehen
- im Januar 1296 durch eine Erklärung den Grundsatz ins Gedächtnis
gerufen, dass kirchliche Beisteuern, Subsidien und Geschenke an einen Herrscher
im Normalfall der päpstlichen Einwilligung bedürften, hatte aber
verschärfend hinzugefügt, wer immer von der Kirche Zahlungen
fordere oder entgegennehme, solle dem Kirchenbann verfallen. Die Anfangsworte
der Bulle stellen, ganz dem Stil Bonifaz' VIII. entsprechend, den
aktuellen Fall in einen weiten Horizont: "Dass Laien den Klerikern ganz
feindselig gegenüberstehen, das lehrt uns die Geschichte, und das
machen und auch die Erfahrungen der Gegenwart deutlich."
Wenn der Papst erwartet haben sollte, er könnte
allein durch die Drohung mit seiner geistllichen Zentralgewalt Gehorsam
erzwingen, so hatte er sich gründlich getäuscht. Der französische
Hof erließ am 17. August 1296 ein Verbot, Gold, Silber oder andere
Edelmetalle, gemünzt oder ungemünzt, Edelsteine, Wertgegenstände,
Waffen, Pferde und andere kriegswichtige Dinge ohne schriftliche Erlaubnis
des
Hofes aus Frankreich auszuführen, bei Strafe des völligen Vermögensverlustes.
Solch ein Embargo war für Kriegszeiten keine absolute Neuerung, hier
freilich traf es weniger den englischen Kriegsgegner als die Kirchenzentrale,
die zwar an Pferden, Waffen und Kriegsbedarf nicht unmittelbar interessiert
war, an der jedoch spätestens seit dem 12. Jahrhundert zahlreiche
Kleriker lebten, die ihren Lebensunterhalt durch eine oder mehrere Pfründen
bestritten, die sie weit entfernt von Rom (unter anderem auch in Frankreich)
innehatten. Was schon unter normalen Umständen schwierig genug war
und mancherlei Anstrengungen kostete, nämlich die Einkünfte aus
der Pfründe auch einzutreiben und die Beträge dann über
weiter Entfernungen sicher zu transferieren, hier wurde es mit einem Federstrich
unmöglich gemacht: Der französische Hof traf die Kurie an seiner
empfindlichsten Stelle. Wenn auch der Papst versuchte, den König durch
Drohgebärden einzuschüchtern, stand nach längerem Hin und
Her, da sich Bonifaz VIII. zugleich durch den Beginn seines offenen
Konflikts mit den COLONNA-Kardinälen zu einer mäßigeren
Gangart gezwungen sah, schließlich einer friedlichen Beilegung nichts
mehr im Wege. Am 31. Juli 1297 erließ der Papst eine feierliche apostolische
Konstitution ("Etsi de statu"), in der er die in "Clericis laicos" eingeschärften
Bestimmungen fühlbar dämpfte: Was dort verfügt worden sei,
gelte nicht für Geschenke, Kredite oder freiwillige Leistungen, vor
allem nicht in einem Notfall (sofern dieser ausdrücklich vom König
als solcher festgestellt sei); dann nämlich bleibe eine Entscheidung
den französischen Prälaten vorbehalten. Man kann nicht recht
erkennen, was bei diesen Einschränkungen die ursprüngliche Verfügung
in Frankreich noch sollte regeln können.
Der Streit jedenfalls schien beigelegt. Noch am 9. August
desselben Jahres wurde der Heiligsprechungsprozeß für König
Ludwig IX., den Großvater Philipps
des Schönen, in Rom abgeschlossen, ohne Zweifel als ein
Zeichen guten Willens gedacht und absichtsvoll in zeitlicher Nähe
der Streitbeendigung placiert. Als der Papst für das Jahr 1300 ein
großes Jubeljahr nach alttestamentarischem Vorbild, aber ohne Vorläufer
im Mittelalter, verkündete (und damit eine bis heute nicht abgerissene
Tradition begründete), nahmen französische wie deutsche, englische
wie spanische Pilger in hellen Scharen die Gelegenheit einer Reise in die
Heilige Stadt wahr. Eintracht und Frieden schienen eingekehrt.
Die Frage, ob beide Seiten auf der Basis bloßen
guten Willens auf die Dauer miteinander auskommen konnten, wurde aber alsbald
wieder kritisch: Die Schwierigkeit bestand ja darin, dass der umfassende
Anspruch des Papstes auf absoluten Gehorsam in der ganzen Christenheit
keineswegs aufgegeben war und dass auf der anderen Seite der Integrations-
und Intensivierungsprozeß staatlichen Zugriffs auf die Untertanen
im Königreich nicht an den Grenzen der kirchlichen Immunitäten
haltmachen wollte, vielleicht auch nicht konnte. Künftige Konflikte
waren fast unvermeidlich. Es scheint kein Zufall, dass der neue Streit
sich an einem seit alters sensiblen Problem entzündete: der gerichtlichen
Privilegierung des Klerus.
Der Anlaß als solcher erscheint unerheblich. Der
Papst hatte aus der Diözese Toulouse ein neues Bistum um Pamiers errichtet
und den früheren Abt eines Kanonikerstifts in Pamiers, Bernard de
Saisset, zum neuen Bischof ernannt. Bernard hatte alle alten Probleme geerbt,
die durch die zwischen ihm und dem Grafen von Foix geteilte jährlich
wechselnde Herrschaftsausübung (pareage) in Pamiers entstanden, und
zugleich durch seine scheinbar größere Bewegungsfreiheit als
Bischof im Grenzland zwischen Frankreich und Aragon neue dazu gewonnen.
Er konnte, besonders wenn der Wein ihm nach dem Mahle die Zunge löste,
offenbar sehr impulsiv sprechen. Spekulationen über eine von Frankreich
unabhängige politische Stellung des Languedoc mögen eine vage
Rolle gespielt haben. Nichts aber spricht dafür, dass von ihm eine
erstliche Gefahr für Integrität und Bestand des Königreichs
ausgegangen wäre. Die königlichen Amtleute aber sahen das anders.
Kaum erfuhren sie von den Redereien des Bischofs, nahmen sie ihn fest (1301),
verhörten alle seine Bediensteten und Bekannten mit peinlicher Sorgfalt
(teilweise unter der Androhung der Folter) und klagten ihn wegen Majestätsverbrechens
an; am 24. Oktober 1301 wurde vor dem königlichen Rat in Senlis verhört.
Damit stand das kirchliche privilegium fori, der Anspruch eines Klerikers
auf Gehör vor einem geistlichen Gericht, in Frage. Wenn der Rat des
Königs auch beschloß, der Form Genüge zu tun, indem man
das Haus in Senlis, wo Saisset gefangen war, der Hoheit von Gilles Aycelin
unterstellte, einem Angehörigen des königlichen Rates und (als
Erzbischof von Narbonne) kirchlichen Oberen des Bischofs von Pamiers, warf
allein das Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt schwerwiegende Fragen kirchlicher
Exemtion aus der königlichen Gerichtsbarkeit auf.
Bonifaz VIII. war nicht der Mann, das alles stillschweigend
auf sich beruhen zu lassen. Der Fall Saisset zwar wurde im weiteren Verlauf
geräuschlos geregelt, weil niemand an ihm Interesse hatte. Im Februar
1302 wurde der Bischof nach Rom überstellt, um dort den sich entfaltenden
Streit zwischen Papst und König zu überdauern. 1307 konnte er
sogar wieder in seine Diözese zurückkehren, wo er 1312 starb.
Zwischen Kurie und königlichem Hof freilich sollte der Kampf sich
noch zuspitzen und für Bonifaz VIII. ein böses Ende nehmen.
Der Papst, dessen Waffe ausschließlich das Wort
war, wie ihm Piere Flote bei Verhandlungen des Jahres 1300 entgegengehalten
hatte, und der darüber hinaus verbale, von Rhetorik hallende Erklärungen
liebte, zögerte nicht, in einer ausführlichen Bulle den König
zur Besinnung zu mahnen, ihm die Wohltaten der Römischen Kirche für
Frankreich, sein Königshaus und für Philipp
persönlich in glühenden Farben zu schildern, dessen jetzige Missetaten
zu beklagen und mit aller Verve die päpstliche Amtskompetenz zu unterstreichen.
Alle Prälaten Frankreichs wurden für den nächsten Winter
nach Rom zu einer synodalen Versammlung der französischen Kirche eingeladen,
um mit dem Papst weiter Maßnahmen zu beraten ("Ausculta fili", am
5. Dezember 1301).
Dieses päpstliche Schreiben wurde dem französischen
Hof nicht etwa durch eine ordentliche Legation, durch einen Kardinal oder
hohen Prälaten der Kurie übermittelt, sondern durch einen päpstlichen
notarius, einen Kanzleischreiber. Der französische Hof nahm diesen
unüberlegten Nadelstich zum Anlaß, das päpstliche Schreiben
seinerseits nicht in einer förmlichen königlichen Audienz entgegenzunehmen,
sondern gleichsam am Hintereingang abliedern zu lassen. Dem päpstlichen
Beauftragten wurde bedeutet, er solle sich sogleich nach Rom zurückverfügen.
Darüber hinaus setzte der Rat auch ein Verfahren
in Gang, das eine "Öffentliche Meinung" in Frankreich gegen den Papst
mobilisieren sollte. Die königlichen Räte fertigten eine Kurzfassung
der Bulle an, in der der ursprüngliche Text zu knappen Formeln geronnen
war: "Wir wollen, dass Du wissest", so lautete diese Depeschenfassung,
"dass Du in geistlichen und weltlichen Dingen uns untertan bist. Die Zuteilung
kirchlicher Pfründen steht Dir keineswegs zu. Sofern Du gerade provisorisch
über einige vakant stehende Pfründen die Verfügung hast,
hast Du deren Einkünfte dem künftigen Amtsinhaber aufzubewahren.
Wenn Du aber eine Pfründe zugeteilt haben solltest, erklären
wir diese Übertragung für nichtig und widerrufen sie als widerrechtlich
vollzogen. Wer anderes für richtig hält, den erklären wir
für einen Ketzer."
Gewiß war hier alles, was der Papst angedeutet
hatte, vereinseitigt und auf eine juristisch präzise Formulierung
gebracht. Man wird den Verfassern zugute halten, dass sich der päpstliche
Brief derart lesen ließ, vielleicht sogar gelesen werden sollte,
wenngleich jetzt auch alles bewußt Zweideutige in klare Ansprüche
übersetzt war. Insofern war es wohl eine Verschärfung, nicht
eigentlich aber ein Verfälschung von Bonifaz' VIII. Epistel.
Diese provozierenden Sätze, und sie allein, nicht die Deklaration
der Originalfassung, machte der französische Hof alsbald bekannt.
Damit bediente er sich eines Instruments, das einerseits die an der
Universität üblichen Formen der Argumentation und des Meinungskampfes
geschickt nutzte, Positionen mit begrifflicher Schärfe zusammenzufassen,
um sie dann Stück für Stück zerpflücken zu können.
Andererseits benutzte man als Adressaten der Kurzfassung nun keineswegs
etwa nur die Universität mit ihren theologischen und juristischen
Experten. Vielmehr berief man eine Versammlung ein, in der die kirchlichen
Prälaten, die Doktoren der Universität, der Adel des Landes,
Vertreter der weltlichen und geistlichen Kollegien, der Bürgerschaft
der Stadt zusammen mit dem König und seinem Rat am 10. April 1302
in Notre Dame zusammentrafen.
Man hat die Zahl der Teilnehmer an dieser Veranstaltung
auf etwa 1.000 Personen geschätzt. Ohne Zweifel sollten diese Männer
als Repräsentanten des "Volkes" verstanden werden. So sehr daher diese
Versammlung auch zur Vorgeschichte des repräsentativen Verfassungsmodells
in Frankreich gehört, so fehlte ihr doch jede juristisch fixierbare
geregelte Vertretungsvollmacht, Bindekraft und vielleicht daher auch entsprechende
Folgewirkung. Die Anwesenden vertraten und waren das französische
Volk, ohne dass im einzelnen geklärt war oder zu klären wäre,
mit welchen Entscheidungen sie die von ihnen Vertretenen hätten verbindlich
verpflichten können. So war diese Versammlung kein Parlament, keine
Ständeversammlung, sie erweist sich als Instrument der königlichen
Regierung, die auf der Klaviatur mittelalterlicher korporativer Vorstellungen
durch die Postulierung von Repräsentativität vorzüglich
zu spielen vermochte.
Pierre Flote, Großsiegelbewahrer und damaliger
Leiter der königlichen Politik, hielt in Anwesenheit des Königs
eine Ansprache, in der er eine lange Klageliste über die jüngsten
Übergriffe der Kurie vortrug und damit sehr verschiedenartigen Interessen
der Anwesenden unmittelbar Rechnung tragen konnte. Die Einberufung einer
französischen Nationalsynode nach Rom durch den Papst erschien dann
am Ende als Konsequenz eines Angriffs auf die Rechte und Freiheiten des
Königs von Frankreich. Reform des Königreichs und der "ecclesia
Gallicana" sei genuine Aufgabe des Königs selbst, die päpstlich
geleitete Synode erscheint als Störfaktor. Rat und Hilfe erwarte der
König von seinen versammelten Leuten.
Die Vertreter des Adels und der Bürgerschaft zogen
sich daraufhin zu getrennten Beratungen zurück. Bei ihrer Rückkehr
ins Plenum hatten sie jeweils Erkärungen (in der Form von Schreiben
an das Kardinalskollegium) formuliert, wohl nicht ohne tatkräftige
Hilfe des königlichen Rates, in denen die Laien ihre volle Unterstützung
der königlichen Rechtswahrung bekundeten. Größere Schwierigkeiten
machte der Klerus, der zunächst auf Zeitgewinn hoffte und eine Vertagung
der Frage verlangte. Aber der König verweigerte jeden Aufschub. So
erklärten die versammelten Prälaten dem König ihre bleibende
Treue, baten gleichwohl um die Erlaubnis, zur päpstlich berufenen
Synode nach Rom reisen zu dürfen, was ihnen aber erneut verweigert
wurde. Erst daraufhin wurde auch vom Klerus ein Brief, diesmal an den Papst,
verfaßt, der über die Versammlung genau Bericht erstattete und
den Papst im letzten Satz darüber informierte, dass man eine Revision
der Synodalberufung für opportun hielte.
Eine französische Gesandtschaft an die Kurie hatte
diese verschiedenen Schreiben zu überbringen und zu erläutern.
Ende Juni 1301 traf man Papst und Kardinäle in Anagni. Die Sitzung
des Konsistoriums, auf der die französsichen Wünsche verhandelt
wurden, ist in einer protokollähnlichen Niederschrift festgehalten.
Der Papst fuhr schweres Geschütz auf. Der Dekan des Kollegiums, der
Franziskanerkardinal Matthaeus von Aquasparta, hielt zunächst eine
knappe Ansprache, in der er in schneidender Schärfe die kurialen Maximalvorstellungen
über die päpstliche Gewaltenfülle darlegte, wobei er freilich
auch einige verbindliche Töne einfließen ließ. Auch der
Papst selbst ergriff das Wort, um kurz und präzise die eigenen Forderungen
zu formulieren: Frankreich dürfe von der Kirche, die ihm eine Fülle
von Wohltaten erwiesen habe, keinesfalls abgetrennt werden, der König
solle die diabolischen Einflüsterungen seiner Ratgeber, insbesondere
des Piere Flote, nicht befolgen. Alle Prälaten, die nicht in Rom zur
Synode erscheinen, bedrohte er mit der Absetzung.
Wohl zur gleichen Zeit wurde an der Kurie eine kleine
Schrift eines Juristen vorgelegt und offenbar auch den französischen
Gesandten bekannt, in der in einfacher Gedankenführung Autoritäten
aus der Bibel und dem Kirchenstaat zusammengestellt waren, die die kurialen
Auffassungen zu stützen schienen. Der Verfasser, Heinrich von Cremona,
war im April 1302 vom Papst zum Bischof von Reggio (Emilia) erhoben worden.
Dieser kurialen Publistik freilich wurde auf der französsichen Seite
eine ganze Reihe von Texten gegenübergestellt, die aus der Mitte der
Universität von Paris den kurialen Argumenten eine schulgerechte (wie
die sogenannte "Quaestio in utramque partem" oder die Quaestio mit den
Anfangsworten "Rex pacificus Salomon"), teils als bestimmten Autoren expressis
verbis zugeschriebene Traktate, die die Positionen des Hofes auf der Höhe
der damaligen scholastischen Wissenschaft gegenüber den papalistischen
Vorstellungen der Kurialen verteidigten. Fast wichtiger noch als der Fortgang
der politischen Auseinandersetzung ist für die Zukunft diese Schlacht
der "publizistischen" Argumente geworden. Haben sich an der Kurie neben
Heinrich von Cremona vor allem die Augustinereremiten und Theologen Aegidius
Romanus und Jakob von Viterbo um eine geschlossene Darlegung kurialistischer
Konzeptionen von der päpstlichen Gewaltenfülle verdient gemacht,
so hat von den Parisern, insbesondere der Dominikanertheologe Johannes
Quidort (1302/03) unter ingeniöser Benutzung der - freilich selber
unentschiedenen - Formulierungen des Thomas von Aquin eine klare, später
oft benutzte Gegenposition abgesteckt, in der die universitären Diskussionen
dieser Jahrzehnte für die Zukunft fruchtbar gemacht worden sind.
Der politische Streit wurde durch diese publizistische
Debatte freilich nicht aufgehalten, auch keinesfalls entschieden. Im Winter
1302 kam es vielmehr zu der - aus Frankreich nur schlecht beschickten -
Synode in Rom, auf der der Papst seine Absicht, die französische Kirche
auf seine Linie zu verpflichten, nur höchst unvollkommen verwirklichen
konnte. Immerhin gab ihm die Versammlung willkommenen Anlaß, eine
päpstliche Erklärung zu publizieren, die seither als der äußerste
Ausdruck papaler Ansprüche gelten darf, die Bulle Unma sanctam. Hier
wurde die päpstliche Gehorsamsforderung ekklesiologisch begründet
und verbindlich gemacht. Im Schlußsatz erscheint die Unterwerfung
unter den Papst als heilsnotwendig für jedes menschliche Wesen, also
nicht nur für Christen. Nie hat ein Papst seine Postuale höher
gestimmt vorgetragen, nie hat einer den Titel eines Vikars Christi wörtlicher
ausgelegt.
Die praktischen Folgen dieses sorgfältig redigierten
Dokuments, an dessen Sätzen anscheinend viele Köpfe und Federn
mitgewirkt haben - besonders deutlich schimmern Formulierungen des Aegidius
Romanus durch -, setzte dem Kampf freilich keinen triumphalen Schlußpunkt:
Der französische Hof, durch den katastrophalen Stand des damaligen
Flandernkrieges in äußerster Bedrängnis, zeigte sich keineswegs
bereit, klein beizugeben. Wenn der Ppast gehofft haben mochte, mit dem
Tod des Pierre Flote in der Schlacht bei Kortrijk seinen härtesten
Gegner ausgeschaltet zu sehen, so sah er sich getäuscht. Wilhelm von
Nogaret nahm zwar noch nicht sofort das königliche Siegel in seine
Verwahrung, bestimmte aber in dieser Frage Strategie und Takzik der königlichen
Politik, und er war nicht nachgiebiger als sein Vorgänger.
Zunächst blieb man miteinander im Gespräch.
Der Papst schickte eine Legation, diesmal unter der Leitung des Kardinals
Johannes Monachus, eines gelehrten Kanonisten, aber anscheinend weniger
geschickten Diplomaten, vor allem aber, was Bonifaz wohl entgangen war,
keineswegs eines überzeugten Anhängers des Papstes. Der französische
König ging auf die Forderung der Kurie nur sehr allgemein und allenfalls
teilweise ein, versprach eine "Reform" der französischen Kirche, die
eine bessere Abgrenzung der weltlichen und geistlichen Kompotenz bringen
solle, zeigte sich aber keineswegs zur Unterwerfung bereit. Vielmehr erhoben
Nogaret im königlichen Rat und Wilhelm von Plaisians in einer weiteren
Versammlung von Repräsentanten des Adels und der Geistlichkeit, diesmal
im Louvre abgehalten, schwere persönliche Anklagen gegen Bonifaz,
über die eine allgemeine Synode, ein Generalkonzil entscheiden sollte.
Damit kehrte man den Spieß um. Unter Nutzung der Vorstellungen der
Kanonisten über eine mögliche Papstabsetzung (wie sie dem Hof
auch durch die COLONNA-Kardinäle nahegebracht worden sein mögen,
zu denen man in Paris freilich offiziell immer eine gewisse Distanz zu
halten wußte) spielte man diese Karte der Absetzungsdrohung aus,
die man auch praktisch in die Tat umzusetzen versuchte. Eine eigene Gesandtschaft
unter der Leitung Nogarets wurde nach Italien abgeordnet, anscheinend um
die Möglichkeiten einer Konzilsberufung in Verhandlungen mit
den Kardinälen und italienischen Potentaten zu ventilieren. So zog
sich das diplomatische Spiel mehrere Monate hin, verzögert durch taktische
Finessen, erneuerte Verhandlungsaufträge und die Schwieirgkeiten einer
relativ langsamen Kommunikation über so weite Entfernungen.
Beiden Seiten war die unmittelbare Konfrontation nicht
genug, beide suchten sie, für die Zukunft ihre Position zu stärken.
Der königliche Hof holte sich in planvollem Vorgehen die Unterstützung
zahlreicher Gruppen uns Versammlungen aus dem ganzen Lande ein, die alle
ein Konzil zur Absetzung des Papstes forderten und diese Forderung bei
der königlichen Kanzlei schriftlich einreichten. Noch heute werden
diese Schriftsätze im Staatsarchiv aufbewahrt. Der Papst seinerseits
suchte anscheinend ebenfalls Verbündete. Er beendete im Mai 1303 sein
langes Zögern und intensive Verhandlungen mit der ausdrücklichen
Anerkennung des HABSBURGERS ALBRECHT I. als
"Römischen König" durch die Bestätigung ("Approbation")
seiner Wahl. In einem öffentlichen Konsistorium erklärte Bonifaz,
dem römischen Reich sei auch Frankreich von Rechts wegen unterworfen
(womit er freilich nur eine der gegensätzlichen Auffassungen zeitgenössischer
Juristen aufgriff). Man darf solche Aktionen, von denen nicht einmal deutlich
ist, ob sie dem französischen Hof überhaupt bekannt wurden, gewiß
nicht überbewerten. Mit solchen Deklarationen wurde nichts entschieden,
und selbst der Treueid, den die Gesandten des Habsburgers dem Papste damals
leisteten, der den Amtseiden päpstlicher Amtsleute im Patronium Petri
nachempfunden war und nicht die herkömmlichen Formulierungen aus Gratians
Dekret gebrauchte, entschied nicht über die Unklarheiten im Verhältnis
zwischen Papst und Kaiser, geschweige denn über das Verhältnis
von Staat und Kirche.
Der Konflikt mit Frankreich dauerte an. Der Papst wollte,
wie es seine Art war, mit einer apostolischen Konstitution die Entscheidung
erzwingen. Am 8. September 1303 sollte das Pergament, wie Bonifaz selbst
das Publikationsverfahren festgelegt hatte, durch Anschlag an die Türen
der Kathedrale in Anagni rechtsgültig werden, wo der Papst seine Sommerresidenz
bezogen hatte. Der König sollte gebannt, seine Untertanen ihrer eidlichen
Treuepflichten entbunden werden, das heißt faktisch wollte der Papst
den König absetzen. Nogaret hatte als Abgesandter des französischen
Hofes in Italien inzwischen mit geringem Widerstand versucht, den Konzilsplan
auf den Weg zu bringen. Aber beiden Seiten wurde die Probe darauf erspart,
wie die Zeitgenossen des beginnenden 14. Jahrhunderts auf eine jeweilige
Absetzung reagieren würden. Der quälenden Wartezeit und der unsicheren
Lage überdrüssig, wohl auch in Kenntnis des für den 8. September
geplanten päpstlichen Schrittes, entschloß sich Nogaret zu einem
Handstreich. Wenn es gelang, dem Papst die Ladung vor das künftige
Konzil vor der Publikation der Bulle zuzustellen, war die Bannsentenz ungültig,
zumindest zweifelhaft.
So erklärt sich ein Teil der dramatischen Ereignisse,
die jetzt folgten, aus dem Termindruck, in dem sich der französische
Gesandte sah. Kompliziert wurde die Lage freilich dadurch, dass gleichzeitig
mit ihm und seiner bewaffneten Begleitung auch eine Truppe (von vielleicht
300 Mann) vor Anagni anlangte, die unter dem Befehl Sciarra Colonnas stand,
eines Verwandten der beiden Kardinäle, die Bonifaz seit 1297 mit Feuer
und Schwert verfolgt, ihrer Ämter enthoben, ihrer Benefizien und Besitztümer
entsetzt hatte. In heute unentwirrbarer Beziehung zueinander, unkoordiniert
oder nach vorheriger Absprache, wirkten diese beiden in ihren Interessen
und Absichten grundverschiedenen Kräfte neben- oder miteinander. In
der Nacht vom 6. zum 7. Septemnber 1303 wurden sie von einem bestochenen
Bürger heimlich in die Stadt eingelassen. Sofort wurden der päpstliche
Palast und das Haus der CAETANI
nahe am Dom belagert. Am Abend des 7. September endlich werden
die Tore erbrochen, der Palast verwüstet und geplündert, Bonifaz
(der in der Verwirrung schweigend seine Würde bewahrt) von Nogaret
mit der Ladung vor ein Konzil, von Sciarra Colonna mit der Forderung nach
seinem Rücktritt konfrontiert. Den ganzen 8. September hindurch sind
sich die Angreifer nicht schlüssig, was mit dem in Gefangenschaft
gehaltenen Papst geschehen solle: Einige wollen ihn nach Frankreich führen,
andere ihn auf der Stelle richten und abstrafen. Endlich entschließen
sich die Bürger Anagnis am folgenden Tage zum Eingreifen. Nach einigen
Stunden Kampfes sind die Eindringlinge auf der Flucht, der Spuk war vorbei,
das "Attentat" gescheitert.
Gleichwohl markiert dieses kurze gewaltsame Zwischenspiel
eine wichtige Epoche, nicht nur deswegen, weil der Papst, nach seiner Befreiung
in mühsamen Etappen nach Rom zurückgekehrt, dort als gebrochener
Mann bereits am 1. Oktober 1303 verstorben ist, ehe er auch nur hätte
andeuten können, wie er den Kampf weiterzuführen gedachte. Die
noch ein Halbjahr zuvor in Unam sanctam extrem übersteigerten Ansprüche
auf Weltgeltung seines Amtes, ja auf Weltregierung, waren vor einem Haufen
marodierender Soldateska zerstoben. Noch jahrzehntelang sollten die Folgen
die Kurie und den französischen Hof beschäftigen. Die Übersiedlung
der Kurie nach Avignon, in den Strahlkreis des französischen Königreiches
(wo sich Papst Clemens V. 1309 zum ersten Male auf größere
Dauer niederließ) war zwar nicht eine unmittelbare Folge des Attentats
von Anagni, hängt aber doch mit den Erfahrungen zusammen, die Bonifaz
dort machen mußte. Auf der anderen Seite gewann das französische
Königtum aus der erfolgreichen Selbstbehauptung neue Kraft und deutliches
Gewicht. Die Weltambitionen der Kurialisten waren zunichte. Sie wurden
an der Kurie verbal zwar noch lange Zeit unvermindert festgehalten, einer
Verwirklichung jedoch blieben sie ferner als je zuvor, während die
Nationalstaaten bis zur Frühmoderne allmählich zu Selbstbewußtsein
kamen und als politisch bestimmende Faktoren das Feld der europäischen
Bühne beherrschen begannen.
All diese Entwicklungen vollzogen sich langsam und sehr
allmählich. Die Auseinandersetzung zwischen Bonifaz und Philipp
dem Schönen macht all das sinnfällig, ohne dass die
Zeitgenossen bereits imstande gewesen wären, das Geschehen voll zu
erfassen. Unmittelbar stellte sich für beide Seiten zunächst
das Problem, wie die Geschehnisse in Anagni selbst und wie der Konflikt,
der sie heraufgeführt hatte, bereinigt werden konnten. Die Bestrafung
der Täter lag im Interesse der Kurie, der französische Hof dagegen
hielt demonstrativ an dem Plan fest, den verstorbenen Papst auf einem Konzil
verurteilen zu lassen; dieses Druckmittel gegenüber der Kurie gab
der Hof nicht so rasch aus der Hand. Die einzelnen Phasen und Schritte
der Ausgleichsbemühungen und der Verhandlungen sind hier nicht zu
verfolgen. Sie dauerten noch bis zum Konzil von Vienne (1311-1312). Dabei
fiel dem französischen Hof mehr als ein Jahrzehnt nach dem Handstreich
von Anagni eine neue Waffe in die Hand, mit der er Kurie und Papst empfindlich
beunruhigen konnte: die Templerfrage, richtiger die Vernichtungsaktion
gegen die Templer.
Der Templerorden, der älteste der Ritterorden des
12. Jahrhunderts, der im Zuge der frühen Kreuzzugsbewegung entstanden
war und im bewaffneten Heidenkampf, im Schutz der Pilger und in der Verteidigung
der Kreuzzugsbewegung entstanden war und im bewaffneten Heidenkampf, im
Schutz der Pilger und in der Verteidigung der Kreuzfahrer-Staaten seine
wichtigsten Aufgaben gesehen hatte, war wie die anderen Ritterorden seit
dem Verlust Palästinas in eine tiefe Krise geraten. Reich dotiert
und auch in den europäischen Heimatländern mit Grundherrschaften
und anderen Vermögenswerten überreich ausgestattet, hatte der
Orden bereits im 13. Jahrhundert seine guten Dienst bei dem Transfer von
Geld und Geldeswert zuerst von Europa ins Heilige Land, schließlich
auch innerhalb Europas anbieten und entwickeln können, so dass er
eines der wenigen, zu dieser frühen Zeit relativ gut funktionierenden
internationalen Instrumente für einen Zahlungsmittelverkehr anzubieten
hatte. Insbesondere die kapetingischen Könige Frankreichs hatten sich
der Templer gern und immer wieder bei ihrer Finanzverwaltung bedient, sie
als Sachkenner und Spezialisten bei Abrechnung und Transfer großer
Summen ausgiebig und regelmäßig herangezogen.
Mit dem Fall Akkons, des letzten christlichen Brückenkopfes
im Heiligen Land (1291), hatten die Ritterorden ihren Gründungszweck
verloren. Schon die Zeitgenossen erörterten ihre künftige Bestimmung
heftig und kontrovers. Der Gedanke, die drei großen Ritterorden der
Templer, Johanniter und des Deutschen Ordens zu einem neuen schlagkräftigen
Instrument der Rückeroberung des Heiligen Landes zu verschmelzen,
wurde mehrfach erwogen, sogar vom Großmeister der Templer in einer
Denkschrift für den Papst eigens zurückgewiesen. Solche Ideen
ließen sich naturgemäß nicht verwirklichen, zeigten aber
das Krisenbewußtsein und den technizistischen Rationalismus des Zeitalters
deutlich an. Der Deutsche Orden fand im Preußenlande ein neues Zentrum
und eine neue Aufgabe, die Johanniter suchten beides auf Rhodos. Die Templer
wurden vom französischen König brutal vernichtet. Finanziell
sollte diese Aktion freilich dem französischen Hof längst nicht
jene Vorteile bringen, die man sich dort erhofft hatte.
In die Einzelheiten des blutigen Geschehens können
wir uns wiederum hier nicht vertiefen. Wie so oft begann alles scheinbar
harmlos damit, dass ein Bürger Beziers namens Esquiou de Floryan beim
König von Aragon auftauchte und sich anheischig machte, aus eigenem
Wissen schwer belastendes Material gegen die Templer mitteilen zu können.
Während aber der Hof von Aragon ihm diplomatisch verklausuliert die
kalte Schulter zeigte, fand der Denunziant, als er 1306 in Paris dasselbe
Anerbieten machte, offene Ohren. Der Orden wurde der Ketzerei, der Abgötterei,
sexueller Ausschweifungen und zynischer Praktiken im gegenseitigen Umgang
bezichtigt, insbesondere die rauhbeinigen Initiationsriten des Männerbundes
und der interne Umgang der Brüder miteinander wurden der sodomistischen
Ausschweifung verdächtigt. Der französische Hof entschloß
sich zum Handeln.
Nach insgeheim eingeholten Auskünften, die naturgemäß
vor allem die mißgünstigen Gerüchte aus der Umwelt der
beneideten Templerkonvente fixierten, wandte man sich an die Kurie um die
Erlaubnis einer offiziellen Untersuchung dieser schwerwiegenden Vorwürfe.
Ein päpstliches Einverständnis war nach der Anschauung der Zeit
nötig, weil der Orden als exemte geistliche Gemeinschaft rechtlich
das Privileg der Kleriker genoß und unmittelbar dem Papst verantwortlich
war. So war die Einwilligung, die Clemens V. leicht zögernd
im August 1307 schließlich doch erteilte, das Signal für weitere
Aktivitäten. Nogaret selbst übernahm die technische Leitung der
Maßnahmen und nutzte sie nach längeren internen Vorberatungen
schließlich zu energischen Zugriff. Am 14. September wurden die Mandate
unterzeichnet, am Morgen des 13. Oktober wurden in ganz Frankreich alle
Templer auf Geheiß des Königs verhaftet, das große Ordensvermögen
wurde in königliche Verwaltung genommen, auch die zeitüblich
in Mauerhöhlen und Schatzkisten versteckten Wertsachen wurden aufgespürt
und konfisziert.
Die verhafteten Ritter wurden einer peinlichen Befragung
unterworfen. Der Großmeister des Ordens, in völliger Verkennung
der Lage und ihrer Gefahren, scheint die Hoffnung gehegt zu haben, durch
Zeitgewinn dem Papst ein rettendes Eingreifen zu ermöglichen, jedenfalls
hat er durch ein eigenes Rundschreiben seinen Brüdern angeraten, zunächst
ruhig alles zu gestehen (vielleicht um dann später vor kirchlichen
Gerichten die eigentliche Verteidigung zu führen). Aber all diese
Hoffnungen erfüllten sich nicht. Die Geständigen - und das waren
dank der verfehlten taktischen Marschroute der Ordensleitung fast alle
Brüder einschließlich des Großmeisters selbst - wurden
in Haft gehalten und, sofern sie dort ihre "Geständnisse" widerriefen,
als rückfällige Ketzer mit aller Härte behandelt, die das
Inquisitionsverfahren gegen Ketzerei im Laufe der letzten beiden Menschenalter
ausgebildet hatte, das heißt sie wurden erbarmungslos auf den Scheiterhaufen
geschickt. Auch der Großmeister selbst, der die verfehlte Taktik
wenn nicht ersonnen, so doch wirksam propagiert hatte, wurde, nachdem er
auch unter der Folter nicht von seinem Widerruf der zuerst leichthin gegebenen
Eingeständnisse abgerückt war, noch am 19. Mai 1314, Jahre nach
der Aufhebung des Ordens, in Paris zusammen mit einem gleichgesinnten Bruder
verbrannt.
Das Ziel, das Ordensvermögen zu gewinnen, erreichte
der königliche Hof freilich in sehr beschränktem Umfange. Zwar
wurde die Ordensliquidation dem französischen Wunsch entsprechend
von Clemens V. auf dem Konzil von Vienne verkündet, allein schon um
der stetigen Drohung mit einem Verfahren gegen den verstorbenen Bonifaz'
VIII. wegen Ketzerei zu entgehen. Das Ordensvermögen jedoch wurde
den Johannitern übertragen, abzüglich der - gewiß recht
großzügig berechneten - Verwaltungskosten, die dem französischen
König zu erstatten waren.
Die brutale Vernichtung des Templerordens hat sich jedenfalls
materiell für die Krone nicht in dem vielleicht erhofften Umfang ausgezahlt.
Die Aktion bleibt ein häßliches Beispiel für den kühl
und schnöde kalkulierten Einsatz staatlicher Zwangsgewalt zur Vernichtung
einer ganzen Gruppe von Menschen. Der werdende Staat zeigte also schon
in der Phase der Formierung sein Vernichtungspotential und seine ethisch
bedingungslose technizistische Rationalität, wenn es auch damals natürlich
nicht an der Verkundung hehrer Grundsätze und einer fast peinlichen
Beachtung eines rechtsförmlichen Verfahrens gemangelt hat. Es bleibt
durchaus vorstellbar, dass Philipp der Schöne
selbst von den vielfachen Vorwürfen gegen die Templer persönlich
überzeugt war. Das entschuldigt aber nicht die grausame Härte
und den kalten Vernichtungswillen, mit dem der Templerorden auf sein Geheiß
ausgelöscht wurde.
Mit dem erfolgreichen Streich gegen die Templer kamen
der König und sein Hof unzweifelhaft nicht in allen ihren Absichten
wirklich zum Erfolg. Ebensowenig gelang ihnen eine weitere "zukunftsweisende"
Unternehmung, die in dem letzten Jahrzehnt von Philipps
Regierungszeit
und parallel zu dem Templerverfahren eine andere, eine größere
Minderheit traf, der Schlag gegen die Juden und Lombarden: Auch hier sind
fiskalische Motive nicht von der Hand zu weisen, auch hier erscheint die
Aktion wie ein Vorgriff auf spätere gleichartige Vertreibungen, die
ebenfalls eine ganze Bevölkerungsgruppe aus dem Lande wies, ohne doch
die angeblichen oder wirklichen Ziele in nennenswertem Maße erreichen
zu können. 1306 wurden alle Juden des Königreiches verwiesen.
Sie hatten schon lange dem König immer wieder durch Zahlung ansehnlicher
Summen gedient. Ganz zu Beginn seiner Regierung hatten sie als Begrüßungsgeschenk
nicht weniger als 25.000 Ib. aufgebracht. Auch danach waren sie immer wieder
hart besteuert worden. Da auch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
unter dem allgemeinen Konjukturrückgang litt, waren ihre Zahlungen
freilich nicht eben leicht und immer stockender geflossen. Jetzt verfügte
der Hof ihre Ausweisung und die Konfiskation ihrer Vermögen, eine
ins Absurde gesteigerte Konsequenz ihrer institutionellen Abhängigkeit
vom königlichen Schutz- und späteren Eigenherrn. Nach Schätzungen
wurden damals 100.000 Juden aus Frankreich ausgewiesen, die in die Nachbarländer
ringsum, bis nach Ungarn hin, auswanderten. Der Gewinn aus der Konfiskation
ihrer Häuser, Liegenschaften, Vermögenswerte war zwar immens,
allein in der Senechaussee von Toulouse flossen aus der Versteigerung jüdischer
Vermögen im Verlaufe mehrerer Jahre insgesamt mehr als 75.000 Ib.
in die königlichen Kassen. Der amerikanische Historiker W. C. Jordan
hat deren Gesamteinnahmen aus dieser Aktion auf über 3.000.000 Ib.
geschätzt.
Trotzdem ließen sich die königlichen Finanzen
damit keineswegs sanieren, sowenig, dass nach demselben Schema 1309-1311
eine gleichartige Aktion gegen die lombardischen Geldhändler und Kaufleute
gestartet wurde, diesmal auf des Basis des Fremdenrechts und zur Strafe
für den - kirchlich verbotenen - "Wucher", das heißt den Geldverleih
gegen Zinsen, ohne den die spätmittelalterliche Wirtschaft nicht mehr
auskommen konnte. Auch in diesem Falle blieb der Erfolg der Aktion weitgehend
aus, die Maßnahmen sind von den Söhnen und Nachfolgern Philipps
teils schleunigst rückgängig gemacht worden (selbstverständlich
ohne dass man zu einer Entschädigung bereit gewesen wäre), teils
wurden sie mehrfach wiederholt.
So bleibt die Regierungszeit Philipps
des Schönen eine Epoche nicht der Lösungen, sondern
der sichtbar werdenden Probleme, eine Zeit des Übergangs und der raschen
Wandlungen. Unter diesem Herrscher vollzog Frankreich seinen Eintritt ins
Spätmittelalter. Zügen einer erstaunlichen "Modernität",
die oft wie ein Vorgriff auf neuzeitliche Entwicklungen erscheinen wollen,
stehen retardierende Momente gegenüber, und in einigen seiner Entscheidungen,
die Philipp im Kreise seines Rates
traf, zeigt sich auch bereits die dauernde Gefahr durch eine rationale
Intensivierung staatlicher Zwangsmaßnahmen, die sich an ihren Opfern
bedenkenlos schadlos hält. Die Entwicklung der nationalen Monarchie
hat unter diesem König ohne Frage einen frühen Höhepunkt
erreicht. An Integrationsleistung, an Intensivierung staatlicher Herrschaft,
an Durchsetzung königlicher (und das hieß fortan mehr und mahr
auch staatlicher) Hoheit hat er relativ früh einen hohen Grad erreicht
und gehalten. In den Konflikten mit der Weltkirche, in denen er unbeugsam
auf seinen fest eingewurzelten Überzeugungen beharrte, unterstützt
durch die Gelehrten der Pariser Universität, die dafür zukunftsträchtige
begründete Theorien entwickelten, hat er seinen Standpunkt weithin
sichtbar zu wahren gewußt. Mit alledem erwies er die Möglichkeiten
seines Zeitalters, die er wie kaum ein Herrscher neben ihm in Europa in
ihren Chancen und Gefahren auszuschöpfen wußte und sichtbar
machen konnte. So hat er, fast am Ende des kapetingischen Königshauses
stehend, gleichsam die Summe aus der hochmittelaterlichen Geschichte Frankreichs
gezogen und dessen Weg in die Zukunft bahnen helfen.