»Du
erinnerst mich an Liebe«, fällt mir ein, wenn ich an
Zypern denke. Nach der griechischen Mythologie galt die
Insel als die Geburtsstätte der Aphrodite, der Göttin
der Liebe, die dort dem Schaum des Meeres entstiegen
sein soll. Warum die Griechen ihren Geburtsort nun
ausgerechnet nach Zypern verlegt haben, wissen wir
nicht, wir dürfen lediglich vermuten, daß es gute Gründe
dafür gab. Ausgrabungen haben nämlich ans Licht
gebracht, daß bereits vor Ankunft der Griechen auf der
Insel der phönizische Astarte-Kult heimisch war, dem die
Sinnesfreude der Griechen noch eins draufsetzte und ein
eigenes Kolorit verlieh. Noch in der Antike sah die
Insel wesentlich anders aus als heute, sie war überzogen
mit dichten und schattigen Eichenwäldern. Zugleich war
sie die südlichste, am meisten von der Sonne verwöhnte
Insel des gesamten griechischen Siedlungsraumes, und
somit ist naheliegend, an jenem Orte auch der süßesten
aller Verlockungen nachzugehen, der Mensch gewordenen
Gottheit, der Liebesgöttin beizuwohnen, die nur zu
befriedigen war, wenn man das Blut der Jungfräulichkeit
von ihrem Altar tropfen sah. Sonne und Liebe gehören
zusammen wie das Paradies zur Schlange, wie der Apfel
zum Baum, der, wenn man ihn pflückt, in Ekstase
versetzt, und was ließe sich auf dieser Insel besser
pflücken als die süßesten Früchte, die reifsten Trauben,
der berauschendste Wein. Der Nähe zum Orient, zu den
Schätzen Ägyptens, verdankt Zypern seinen Ruf als
Mittelpunkt der Levante, es kann im wechselvollen Lauf
seiner Geschichte zurückblicken auf Zeiten märchenhaften
Reichtums, der, aus blühendem Handel geboren, allen
kriegerischen Ereignissen zum Trotz, ungebremst seinen
Aufschwung nahm und erst mit dem Bau des Suezkanals
abebbte, nachdem die Völker aber längst verschmolzen
waren.
Die erste glanzvolle Periode in Zyperns Geschichte fällt
in die sagenumwobene Zeit des klassischen Altertums, die
griechische Kolonisation, in deren Verlauf sich dreizehn
Stadtkönigreiche herausbildeten, die ihren Reichtum
vornehmlich der Existenz der Kupfervorkommen verdankten,
mit denen die Insel seit frühester Zeit reichlich
gesegnet war. Im Mittelalter geriet sie, seit jeher
Zielscheibe im Drehkreuz zwischen Orient und Okzident,
ins Visier der Kreuzzüge; das flammende Schwert der
Templer, das weiße Kreuz der Johanniter und die
blutdürstigen und beutegierigen Sprößlinge des
europäischen Hochadels brausten wie Stürme über sie
hinweg. Nachdem Richard Löwenherz sie erobert hatte,
feierte er, zwei Trümpfe in einer Hand, in der Zitadelle
von Limassol mit seiner Braut Berengaria von Navarra die
glanzvollste Hochzeit, die man bis dahin auf Zypern
gesehen hatte. Anschließend verkaufte er die Insel, um
seine Kriegskasse aufzubessern, an die Templer. Diese
veräußerten sie an die Lusignans, die Titularkönige von
Jerusalem, die hier sogleich ein zweites Königreich
gründeten, indem sie sich als Vasallen in die
Abhängigkeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation begaben. Da die Krönung nur mit Einverständnis
des Kaisers und Papstes geschehen konnte, betrachteten
die Staufer die Insel als ihr Eigentum, konnten sie
jedoch, als die Barone des Königreichs sich gegen die
Bevormundung durch Friedrich II. zur Wehr setzten, wegen
der Ferne zum Reich nicht unter ihre Botmäßigkeit
bringen. Nachdem das Haus Lusignan im Mannesstamm
erloschen war, machte die letzte Thronerbin, Caterina
Cornaro, die Insel der Seerepublik Venedig zum
Vermächtnis. Aus beiden Epochen seiner Geschichte
besitzt Zypern glanzvolle Zeugnisse, die eine Reise
dorthin äußerst ersprießlich erscheinen lassen.
Für das griechische Zeitalter ist die antike
Beschreibung des griechischen Geographen Strabon unsere
Maßgabe. Strabon durchmißt die Insel längs ihrer Küsten
im Uhrzeigersinn, als Buchtenfahrer quasi (das rührt
daher, daß die Griechen sich als Seefahrernation
verstanden und ihr Hauptinteresse den Küsten galt,
während sie dem Hinterland nur wenig Beachtung
schenkten), welches nun auch unser Vorhaben ist, ein
wenig behindert lediglich dadurch, daß die trennenden
Schranken zwischen griechisch- und türkischstämmigen
Zyprioten noch nicht gänzlich gefallen sind.
Als wir am Flughafen in Paphos unseren Mietwagen
entgegennehmen, stelle ich mit Entsetzen fest, daß das
Steuer auf der rechten Seite angebracht ist. Wie ein
Blitz durchzuckt es mich, schlagartig wird mir klar, daß
hier Linksverkehr herrscht. Jemand hatte uns gesagt, auf
Zypern herrsche Rechtsverkehr. Ich weiß nicht, wie oft
ich schon in solchen Ländern aus purer Gewohnheit rechts
gefahren bin, von Glück
aber
kann ich sagen, daß nie
etwas passiert ist. Das zweite, was mir aufstößt und
womit wir keineswegs gerechnet haben, ist, daß unser
Hotel nicht in Paphos, sondern 30 km entfernt in Polis
liegt. Als ich dann im Hotel auch noch feststellen muß,
daß meine Zahnbürste fehlt, ist eines klar: ein Unglück
kommt selten allein, denn es folgt schon das nächste.
Die Hotelbetten haben nämlich keine Zudecke, und es ist
nachts bitterkalt um diese Jahreszeit.
Der nächste Morgen bricht mit einem überwältigend klaren
Himmel an, doch es ist kühl, ein frischer Wind peitscht
die See. Nach einem English Breakfast, mit den
ungewohnten Würstchen zum Porridge, kann es losgehen.
Wir machen uns auf Richtung Paphos, wo wir uns zuerst
die unter dem klangvollen und vielversprechenden Namen
als Weltkulturerbe eingestuften Königsgräber ansehen. Zu
bedauern allerdings sind die Menschen,
die hier mit der Kamera zwischen den Felsen herumlaufen
und glauben, sie könnten das Leben in Bildern einfangen.
Jene, die dort Grabsteine auf ihren Film bannen, ahnen
freilich nicht, daß sie sich ihr eigenes Ende in
Erinnerung rufen. Was hier fälschlich als Königsgräber
ausgegeben wird ist nichts anderes als die Grablege
wohlhabender römischer Bürger, deren letzte Ruhestätte
in Perystilbauweise zugegebenermaßen auch auf heutige
Verhältnisse übertragen als durchaus nobel angesehen
werden kann. Natürlich hält es auch der Zypriote nicht
für nötig, sein Weltkulturerbe frei von Unrat zu halten,
denn dieser Anspruch ist schließlich im Eintrittsgeld
nicht enthalten.
Anschließend begeben wir uns nach Paphos. Um sich dort
alles genau anzuschauen, benötigt man wohl einen ganzen
Tag. Ehe man die archäologischen Stätten betritt, sollte
man einen Rundgang durch den Hafen vorausschicken, denn
dieser wird beherrscht von dem venezianischen
Seekastell, welches um eine fränkische Festung
herumgebaut wurde. Ursprünglich bestand die alte
Kreuzritterburg aus zwei Türmen, die durch eine
Schildmauer miteinander verbunden waren. Bei dem
schweren Erdbeben von 1223 wurde die Vorgängerburg
schwer beschädigt, der äußere der beiden Türme wurde
nicht mehr wiederaufgebaut, während der andere von den
Venezianern mit einer kanonenbewehrten äußeren Mauer
verstärkt wurde.
Moderne Segelyachten trifft man im Hafenbecken eher
wenige an, dazu ist die Insel einfach noch nicht mit
ausreichender Infrastruktur versehen. Als ich mich bei
der Hafenpolizei über die Möglichkeit einer
touristischen Erschließung erkundige, entwickelt sich
daraus ein lang anhaltender Dialog. Dabei erfahre ich,
daß man mit einem Schiff keinen Hafen des Nordteils der
Insel anlaufen darf, wenn man wieder in den Südteil
einreisen will. Der Polizist erklärt mir ausführlich,
daß in den von den Türken besetzten Gebieten die
Menschenrechte nicht geachtet würden, und als ich dann
noch den Fehler begehe und die Türken als Invasoren
bezeichne, gibt er mir deutlich zu verstehen, daß solche
Äußerungen, in der Öffentlichkeit ausgesprochen, zu viel
Ungemach führen können, wenn sie an die falsche Stelle
gelangen. Er meint, ich müsse mit derart freier
Meinungsäußerung sehr behutsam umgehen, gerade hier im
Hafen, wo offenbar auch viele türkischstämmige Zyprioten
leben, die so etwas weniger gern hören. Kurzum, ich
hinterlasse meine Visitenkarte und verabschiede mich mit
einem Handschlag.
Am Hafen beginnt die Rundtour durch die archäologischen
Ausgrabungsstätten des einstigen Neo Paphos. Als
bedeutsam könnte man die zahlreichen Mosaiken
bezeichnen, die sich dort in ehemaligen römischen
Atriumhäusern finden. Am bekanntesten sind die im
sogenannten Haus des Orpheus und des Dionysos
gefundenen, die in bildlich in Stein eingelassener
Darstellung bekannte Episoden der griechischen
Mythologie veranschaulichen. In jedem Fall müssen die
Hausbesitzer, wenn es wirklich Römer waren, große
Griechenfreunde gewesen sein. Genau diese Mosaiken muß
der große deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche vor Augen gehabt haben, als er in seiner Geburt der
Tragödie schrieb:
»Mit
Blumen und Kränzen ist der Wagen des Dionysos
überschüttet: unter seinem Joche schreiten Panther und
Tiger.«
Aber auch außer Mosaiken gibt es in Paphos noch einiges
an Resten zu sehen, vor allem das restaurierte Odeion.
Ob die Restaurierung allerdings als gelungen bezeichnet
werden darf, werden Antikenkenner mit Recht bezweifeln.
Vor allem an antiken Säulenresten findet sich beinahe
gar nichts mehr, das Asklepieion ist ein Trümmerhaufen;
von der Agora kann man gerade noch erkennen, wo sie
einst gelegen hat. Die Reste der hellenistischen
Stadtmauer sind äußerst dürftig, vor allem, weil die
Stadt auf einem natürlichen Felssockel gestanden hat,
der ihr ohnehin eine gewisse Grundsicherheit bot.
Ein
schönes Zeugnis einstiger Festungsbaukunst bieten die
Reste der ehemaligen Kreuzfahrerburg Saranta Kolones,
die, aus antikem Mauerwerk auf einer byzantinischen
Vorgängerburg errichtet, nach dem großen Erdbeben von
1223 nicht mehr wiederaufgebaut worden war.
Außerhalb
des eingezäunten Areals finden wir noch Reste des
griechischen Theaters, allerdings ziemlich weit vom Meer
entfernt. Um mich zu vergewissern, daß das Theater
Meerblick bietet, steige ich die oberen Ränge hinauf,
und siehe da! es hat Meerblick, denn es hätte mich auch
gewundert, wenn man von dort nicht aufs Meer hinaus
gesehen hätte; denn so gut kenne ich die Griechen
mittlerweile, um sagen zu können, daß dies, wenn ihre
Ansiedlung schon am Meer gelegen war, unabdingbarer
Bestandteil einer jeden planmäßig angelegten Stadt war,
ein absolutes Muß also.
Ebenfalls durch ein Erdbeben
zerstört wurde die wahrscheinlich älteste auf Zypern
gebaute Basilika Chrysopolitissa, die entstand, als das
Christentum im römischen Reich als Staatsreligion
eingeführt wurde.
Doch auch von den Franken gibt es noch gewisse Relikte,
die nichts mit Festungsbaukunst zu tun haben, und das
sind zu unserer großen Überraschung Überreste eines
fränkischen Bades, wenngleich die Türken dieses schon
äußerlich erkennbar in ein türkisches Bad umgewandelt
haben. Man sagt zwar, und dies scheint sich als
Vorurteil über die Jahrhunderte hinweg hartnäckig
gehalten zu haben, die Menschen des Mittelalters seien
bis in die höchsten Kreise schmutzig und übelriechend
gewesen, aber wie man sieht, ist diese Sicht etwas
oberflächlich, denn ein Badehaus, das gewiß auch benutzt
worden ist, beweist das genaue Gegenteil.
Eine Akropolis
können wir in der ganzen Stadt nicht finden, doch glaube
ich sie dort vermuten zu dürfen, wo mein geübter Blickgerade
hinsieht, während ich mein Fahrzeug öffne, nämlich oberhalb des ersten öffentlichen Parkplatzes,
wenn man in die Stadt hineinfährt. Es lohnt sich
wahrscheinlich nicht, darüber nachzugrübeln, wenn man
noch etwas vorhat, wie das bei uns der Fall ist.
Wir wollen nämlich unbedingt noch nach Palaeopaphos
hinaus, Alt-Paphos also, das wohl schon bestand, lange
bevor die Neugründung der Stadt erfolgte.
Antike Autoren
haben uns ausführlich über den Aphroditekult, der damals
dort praktiziert wurde, unterrichtet, und demnach
scheint es so gewesen zu sein, daß die Bewahrung der
Jungfräulichkeit, die man in späterer Zeit so sehr
achtete, damals völlig anders beurteilt worden ist. Und
zwar mußte eine Frau, die heiraten wollte, zuerst mit
einem Fremden außerehelichen Umgang pflegen, ehe sie
sich ihrem Ehemann hingeben durfte. Von
Tempelprostitution zu reden, soweit wollen wir hier
nicht gehen, wenngleich die jungen Mädchen für ihren
Dienst Geld nehmen mußten, welches wiederum dem Tempel
zugute kam. Wir müssen uns stets vor Augen halten, daß
wir uns hier auf Zypern am Geburtsort der Liebesgöttin
befinden, und Liebe besitzt nun einmal auch eine
geschlechtliche Komponente. Diese sogenannten Aphrodisiaken waren nicht nur Feste der Sinneslust, sie
besaßen durchaus auch rituellen Charakter, der an die
megalithischen Fruchtbarkeitskulte anknüpfte,
wahrscheinlich sogar aus ihnen hervorgegangen ist. Der
oberste Tempelpriester führte den Akt sogar öffentlich
zur Schau, natürlich mit einer Tempeldienerin. Welch ein
Gegensatz zu den mönchisch und nonnenhaft keuschen
Vorstellungen des Mittelalters, das hinter jeder Wollust
sofort eine Versuchung des Teufels witterte.
Bemerkenswert ist ebenfalls, daß die Lusignans, die
früheren Könige Zyperns, hier in Palaeopaphos eine
Zuckerrohrfabrik betrieben. Um diese zu schützen,
errichteten sie das sogenannte Covocle-Kastell, auf den
Ruinen der alten Stadt. Sein mittelalterliches Aussehen hat das Château de Covocle aber fast ganz eingebüßt, da die Türken das
Kastell völlig umgebaut haben. Auch das Dorf Koúklia
soll aus den Steinen des Aphrodite-Heiligtums errichtet
worden sein.
Unweit vom einstigen
Heiligtum soll auch der Geburtsort Aphrodites liegen,
der Schaumgeborenen, die hier bei Pétra tou Romioú der
Sage nach dem Meer entstiegen sein soll. Es handelt sich
bei dieser Stätte um zwei vor der Küste liegende Felsen,
und jedem romantisch veranlagten Liebespaar kann nur
geraten werden, an diesem hehren Ort den
Sonnenuntergang auf sich wirken zu lassen. An dem
Originalschauplatz unser Zentralgestirn über dem Meer
versinken zu sehen, gehört sicherlich zu den erhabensten
Erlebnissen einer Zypernreise, denn wenn nach einem
wolkenlosen Tag die Nacht hereinbricht und die
Sternenhimmel zu leuchten beginnen, beantwortet sich die
Frage nach dem Sinn des Lebens fast von selbst.
Als Schatten diese kahle Welt um uns mit gespenstischen
Umrissen zieren, erreichen wir Episkopí, das antike
Kurion. Es ist eine jener Stätten, die nicht nur
touristisch total überlaufen sind, sondern wo sich auch
die Dummheit breitgemacht hat. Das Ganze muß auf
britischem Einfluß basieren, denn ein Grieche käme von
sich aus gar nicht auf die Idee, den Originalzustand
eines antiken Bauwerks wiederherstellen zu wollen. In
völliger Geschmacklosigkeit handelnd, wurden auch noch
die Attribute der Moderne hinzugefügt, Geländer und
Lichtstrahler, um die Antike gänzlich ihres Flairs zu
berauben. Viel eher ist doch die menschliche Fantasie
selbst in der Lage, Stein um Stein neu aufzusetzen und
so das Bild eines geschlossenen Ganzen zu formen, als
menschlicher Übereifer je dazu in der Lage ist.
Rücksichtslose Gewinnsucht hat hier ihr Schandmal
hinterlassen, und es ist auch nicht viel geholfen, wäre
man an diesem Ort ganz alleine. Als ob es nicht genügend
Beispiele für besser erhaltene griechisch-römische
Theater gäbe! Warum also mußte noch ausdrücklich dafür
gesorgt werden, dem Besucher falsche Eindrücke zu
erwecken? Die Steine haben Jahrtausende überdauert, wie
also kann jemand ernsthaft meinen, sie überdachen zu
müssen, um sie für die wenigen, der Menschheit noch
verbleibenden Jahrhunderte zu konservieren?
Es ist schwer, angesichts der überall störenden
Umzäunungen und Abdeckungen noch ein geeignetes
Fotomotiv in Kurion zu finden. Oberhalb der
byzantinischen Basilika hat man einen traumhaften Blick
auf die sich kilometerweit hinziehenden, naturbelassenen
Strände, die im Osten flach auslaufen, nach Westen hin
allmählich in eine Steilküste übergehen.
Eine besondere
Rolle scheint in Kurion die Wasserversorgung gespielt zu
haben, denn überall findet man Kanalisationen und
Zisternen. Von besonderem Reiz sind außerdem das Haus
des Achilleus mit einem Mosaik, welches zeigt, wie dieser
sich als Faun verkleidet gerade dem Odysseus naht, um
ihn zur Teilnahme am Trojanischen Krieg zu bewegen.
Weitere berühmte Mosaiken sind im Haus des Gladiators zu
finden, dessen Besitzer wohl eine Gladiatorenschule
betrieben haben muß.
Die Agora, der griechische
Marktplatz, und ein Nymphäum, das Brunnenhaus, können
unter den Ruinen gut ausgemacht werden. An der Straße
nach Paphos liegt auch das Stadion, in welchem die beim
Volk äußerst beliebten Wagenrennen stattfanden.
Schließlich kommen wir, einige Kilometer außerhalb der
eigentlichen Anlage, zum Heiligtum des Apollon Hylates,
dem Gott der Tiere, die es einst in dieser Gegend so
zahlreich gegeben hat. Strabon, der das Heiligtum
erwähnt, nennt auch den Felsen, von welchem man jene
hinabstürzte, die den Tempel Apollons berührt hatten.
Die eigentlichen Tempelschänder sind heutzutage
allerdings die Engländer, denn das Heiligtum ist von
einem Wald von Radarmasten umgeben.
Ein längeres Zuwarten auf besseres Wetter wollen wir nun
nicht länger hinnehmen, also fahren wir auf die
Halbinsel Akrotíri hinaus, zur Johanniterfestung Kolóssi,
von der nichts bis auf den Donjon überlebt hat. Die
Johanniter, nach den Templern der wohl älteste
Ritterorden des Heiligen Landes, haben hier, was die
Architektur angeht, Großartiges geleistet; fugenreines,
poliertes Mauerwerk haben sie in eine für die damalige
Zeit erstaunliche Höhe gebaut. Die Südseite ermöglichte
den Zugang über eine hölzerne Zugbrücke, im Innern
finden wir hohe Spitzbogengewölbe, die auch im Sommer
für angenehme Kühle sorgten. Aber auch an kalten Tagen
waren die Räume beheizbar. An der Ostseite fällt das
Wappen der Lusignans auf, zusammen mit den Wappen der
Königreiche von Jerusalem und Zypern sowie den Wappen
der Großmeister Jean de Lastic, Louis de Magnac und
Jacques de Milli, unter denen Kolóssi eine Komturei für
die Zuckerherstellung war. Im Duty-free-shop werden wir
später eine Flasche
»St.
John Commandería«
kaufen. Ansonsten ist die Gegend hier wenig erbaulich,
allerorts liegt Müll herum, man fühlt sich fast an
Libyen erinnert, das auf der gegenüberliegenden Seite
des Meeres liegt. Die Menschen hier scheinen sich in
diesem Schmutz wohlzufühlen.
Noch
während der anschließenden Weiterfahrt nach Limassol ziehen dunkle Gewitterwolken auf. Nichtsdestotrotz gelingt
es uns aber, am alten Hafen angekommen, das von Richard
Löwenherz errichtete Kastell zu besichtigen, allerdings
nur von außen, denn am Sonntag ist es für Besucher
geschlossen. Hier hielt Richard mit seiner Braut Berengaria Hochzeit, die mit größtem Prunk begangen
wurde. Die Festung wurde später den Templern bzw.
Johannitern übergeben, ehe sie, wie es scheint, von den
Genuesen oder Venezianern umgebaut wurde, damit man sie
mit Kanonen bestücken konnte.
Außer diesem Kastell gibt es in Limassol kein einziges
weiteres historisches Zeugnis mehr. Je weiter man nun
stadtauswärts fährt, in Richtung Larnaka, desto mondäner
wird der Ort. Hier beginnt die Touristenmeile, wo sich
Restaurant an Restaurant, Bar an Bar reiht. Am Ende der
Meile, beim heutigen Hotel Sankt Raphael, das früher das
Sheraton war, liegt die Marina, wo auch viele Deutsche
ihre Boote liegen haben. Ich erkundige mich nach einem
Vercharterer, von denen es hier nur einen gibt, und auch
der hat nur zwei Schiffe, allerdings keine schlechten.
Noch ist Zypern für den Jachttourismus nicht
erschlossen, doch das könnte sich bald ändern, wenn die
Türkei der Europäischen Union beitritt und das Militär
die Insel räumt.
Die Gewitterwolken meinen es nun ernst, so daß für eine
Besichtigung des nahegelegenen Amathus keine Zeit mehr
bleibt. Als wir uns bereits auf der Autobahn befinden,
setzt ein Platzregen ein, der es in sich hat. Auf der
Gegenfahrbahn haben sich bereits mehrere Unfälle
ereignet. Die Nacht bricht an, die Windschutzscheibe
beschlägt, aber man kann bei diesem verdammten Fahrzeug
wegen der Diebstahlsicherung die Fenster nicht
herunterlassen. Zudem ist die Fahrerseite nicht
wasserdicht. Da heißt es ruhig Blut bewahren. Da die
Regenmenge immens ist, können wir auch niemanden fragen,
der uns Auskunft geben könnte, wo wir hin müssen. Eine
wahrhaft prekäre Situation. Nach unendlichem Herumsuchen
finden wir schließlich unser Hotel, spürbar erleichtert.
Der Hotelier ist ersichtlich um uns bemüht, aber leider
auch etwas aufdringlich.
Schon mehrfach fiel mir auf,
daß die Männer hier keine zypriotischen Frauen haben,
wahrscheinlich sind sie ihnen geschlossen davongelaufen.
Daher halten viele Männer sich, so auch dieser, Frauen
aus Thailand oder Indien, die sie wie Sklavinnen
behandeln.
Ein vernünftiges Essen haben wir seit unserer
Ankunft auf Zypern auch noch nirgends bekommen, nur der
Hunger zwingt zur Nahrungsaufnahme, aber mit Genuß kann
man hier nirgendwo essen.
Als wir am nächsten Morgen
nach dem Frühstückraum suchen, finden wir alles noch
verschlossen. »Sir«,
erklingt von oben eine Stimme,
»what
do you like to breakfast?
Fried eggs?
Do you like coffee or tea?«
Als wir uns für Kaffee entscheiden, wird schnell alles
zubereitet, und schon ist die Küche wieder geschlossen.
Die Hausangestellte entfernt sich daraufhin zum
Bettenmachen. Es scheint so, als hätte sie das Buffet
bereits wieder abgeräumt. Als die nächsten Gäste
erscheinen, ergeht es ihnen wie uns. Sie suchen herum,
doch finden auch sie den Frühstücksraum nicht, während
wir noch beim Essen sitzen. Als ich ihnen
darauf erkläre, daß dies kein
»normales«
Hotel sei, wo man sich auch nachts, wenn man spät
heimkommt, erst den Schleichweg ins Zimmer suchen muß
und sich dabei fast das Genick bricht, sind sie etwas
konsterniert und suchen daraufhin das ganze Hotel nach
irgendeinem Lebenszeichen ab. Wenn ich mich entsinne,
wie es uns gestern im strömenden Regen ergangen ist:
kein Hinweisschild, keine Leuchtreklame, nichts, was auf
ein Hotel hindeutet, dann kann man mit Fug und Recht
behaupten: Was das Gastgewebe angeht, so kann Zypern mit
internationalen Standards einfach noch nicht mithalten.
Am nächsten Morgen reißt der Himmel wie abgesprochen
auf, und wir können uns an die Besichtigung Larnakas
machen, welches an der Stelle des alten Kition liegt.
Allen Unkenrufen zum Trotz, wage ich mich ins
Stadtzentrum hinein. Am Ende dieser Irrfahrt stehen wir
plötzlich vor dem alten Seekastell, das die Türken auf
den Ruinen eines venezianischen Vorgängerbaus
errichteten. Die Venezianer sind ihrerseits aber auch
nicht die ursprünglichen Erbauer, sondern diesen
wiederum gingen die Lusignans voraus. Jakob I. soll es
gewesen sein, der Anfang des 16. Jahrhunderts den
Grundstein legte. Daran kann es auch gar keinen Zweifel
geben, da die fränkische Bauweise anhand der Art, wie
das Mauerwerk gestaltet wurde, unverkennbar ist.
Larnaka
hat ähnlich wie Limassol kaum etwas zu bieten. Die
byzantinische Lazaruskirche aus dem 10. Jahrhundert ist
da eine Ausnahme. Interessant ist ihr Glockenturm aus
zweimal zwölf Säulen, die sich auf zwei Stockwerke
verteilen.
Man kann nun die Leoforos Athinon hinunter marschieren,
bis man auf die staatlich betriebene Marina stößt, die
allerdings mit Liegeplätzen voll ausgelastet ist. Dort
treffen wir einen ehemaligen englischen Kapitän, der uns
auf einen Kaffee einlädt. Er scheint irgendwelche
Verbindungen in den Libanon zu haben und schildert uns
in den buntesten Farben den aufkeimenden Jachttourismus,
der sich seiner Meinung nach in der Neuanlage von vier
hypermodernen Marinas äußert. Auf dieses Angebot kann
ich mich allerdings nicht einlassen, wenngleich der
östliche Mittelmeerraum für Jachttouristen absolutes
Neuland wäre. Ich verabschiede mich, und wir machen uns
an die Besichtigung des alten Kition.
Im Akropolisbereich hinter dem archäologischen Museum
finden gerade Ausgrabungen statt, und man erklärt uns
höflich, daß wir hierzu keinen Zutritt erhalten. Nun ist
dies ja durchaus nicht selbstverständlich, denn anderswo
lassen Archäologen sich schließlich auch auf die Finger
schauen. Im Grunde steht die ganze Stadt Larnaka auf
antiken Ruinen. Mehrere Tempelanlagen wurden bislang
freigelegt. Es handelt sich um phönizische
Vorläufertempel, wo der Göttin Astarte, dem Pendant der
griechischen Aphrodite, gehuldigt wurde. Man sieht also
deutlich, daß die sonnenverwöhnte Insel schon seit jeher
das Liebesverlangen stärkte, und dies nicht erst eine
Erfindung der Griechen ist. Zum andern war der
Kupferbergbau schon immer eine gute Einnahmequelle, die
damals einherging mit
»göttlichen«
Abgaben. Viel mehr als Fundamente sind von den Tempeln
und der umgebenden Stadtmauer allerdings nicht
verblieben, nichts, womit sich eine ungefähre
Vorstellung gewinnen ließe, wie der ursprüngliche Tempel
einmal ausgesehen hat. Schlußendlich aber scheint
festzustehen, daß der syrisch-phönizische Raum auch die
später griechisch gewordenen Gebiete erfaßt und mit
seiner Leichtlebigkeit, die uns heute so sehr fehlt,
angesteckt hat.
Nach diesem Exodus in die Vergangenheit kommen wir nicht
umhin, den Heißhunger an der Touristenmeile zu stillen,
keine besonders gute Idee, wie sich später herausstellt,
denn die Preise dort sind alles andere als
konsumfördernd.
Zum Abschluß unseres Larnaka-Aufenthalts
begeben wir uns noch ans Kap Kíti hinaus, das, wie sich
bereits erahnen läßt, ebenfalls mit dem antiken Kition
zu tun hat. Allerdings finden wir dort außer schönen
Stränden nur einen einsamen venezianischen Wachturm, der
wie ehedem nach Piraten Ausschau hält, von denen die
Insel früher so oft heimgesucht wurde. Denn was die
zahlreichen Erdbeben nicht umzustoßen vermochten, das
haben die Piraten ausgetilgt, die sich wie Heuschrecken
auf die begehrte Insel geworfen haben.
Im Ort Kíti
findet sich noch ein Zeugnis fränkischer Herrschaft, die
Kirche Panangía Angeloktistos, deren Anbau mit
Kreuzrippengewölbe der Familie Gibelet zugeschrieben
wird. Eine Grabplatte und ein Wappen deuten dies an.
Damit verlassen wir endgültig die Region um Larnaka, für
eine Besichtigung des drittwichtigsten Heiligtums des
Islams, die Chala Sultan Tekke, verbleibt keine Zeit
mehr, denn in Larnaka wollen wir nachts nicht
herumsuchen; zu versteckt liegt unser Hotel in den engen
Gassen, als daß wir uns zutrauten, es schnell zu finden.
Selbst am Tage dauert die Suche danach schon relativ
lange, und die verbleibende Zeit können wir nutzen, uns
für den nächsten Tag einen Mietwagen auf der türkischen
Seite der Insel zu organisieren. Das Visum wird
kostenfrei ausgestellt, und es erfolgt kein Eintrag in
den Paß. Mit diesem, haben wir uns sagen lassen, könnten
wir in den Südteil der Insel nicht wieder einreisen,
weil der türkische Teil von der Republik Zypern immer
noch nicht anerkannt wird.
Der nächste Morgen lacht uns mit strahlend schönem
Wetter an, geradezu ideal für unser Vorhaben. Gleich in
der Frühe gehen wir beim Leda-Hotel über die Grenze, um
als erstes unseren Mietwagen entgegenzunehmen. Doch,
siehe da! der Autoverleiher ist noch nicht da.
Kurzentschlossen suche ich nach einer anderen
Verleih-Firma, als er uns, wenige Meter von seiner
Niederlassung entfernt, wie zufällig über den Weg läuft.
Nun kommt der Deal doch noch zustande, denn es würde mehr
Zeit kosten, einen anderen Anbieter auszusuchen, als ihn
zu nehmen. Man sollte erwähnen, daß es im
türkischen Teil offenbar der Brauch ist, das Fahrzeug
mit leerem Tank zu übergeben, dafür muß auch keine
Kaution hinterlegt werden, ein Vertrauensbeweis, den ich
außerordentlich schätze. Endlich ist es soweit, das
Fahrzeug ist aufgetankt, und die Reise kann losgehen.
Sich aus der Stadt hinauszumanövrieren stellt überhaupt
kein Problem dar, und bald schon gehört die Straße uns.
Es sollte lobend erwähnt werden, daß die
Hauptverkehrsstraßen in Nordzypern besser ausgebaut sind
als bei uns. Auch die Armut, die laut öffentlicher
Meinung dort angeblich vielfach noch herrschen soll, ist
pure Einbildung, ja ich möchte soweit gehen zu
behaupten: was die Türken in den wenigen Jahren seit
der Spaltung dort aufgebaut haben, ist beachtlich. Es
scheint sogar so zu sein, daß der türkische Nordteil den
Süden bald überflügelt, wenn der Bauboom, der allerorts
zu beobachten ist, weiterhin anhält.
Nach monotoner Fahrt auf schnurgerader, durch eine
unendlich weite Ebene führender Straße, von der aus
lediglich in der Ferne das Pentadaktylos-Gebirge einige
Abwechslung bietet, erreichen wir Famagusta. Bei der
Cambulat-Bastion parken wir unser Fahrzeug und machen
uns auf zum Erkundungsgang durch die Stadt. Famagusta
ist bis heute von einer intakten venezianischen
Stadtmauer umgeben. Die ersten schönen Ansichten der
Innenstadt hat man von der Hafenmauer aus.
Die
altehrwürdige Nikolauskathedrale wurde von den Türken in
eine Moschee umgewandelt, ihre
»unreinen«
Hände haben der Architektur aber im großen ganzen keinen
nennenswerten Schaden zugefügt. Nur das unverzichtbare
Minarett durfte natürlich nicht fehlen. Die griechische
Sankt-Georgskirche allerdings wurde beim türkischen
Angriff auf Famagusta 1570 größtenteils zerstört.
Am Hafen geht es recht hektisch zu. Darunter leidet am
meisten der Othelloturm, die ehemalige Zitadelle, die
auf einer Vorgängerburg der Lusignans errichtet worden
ist, deren Spuren unübersehbar sind. Über dem
Eingangstor prangt das Wappen des Erbauers Nicolo
Foscarini.
Da Shakespeares Othello in einem Seehafen auf Zypern
spielt, gilt diese Zitadelle als Schauplatz des Dramas,
und dies, obwohl Shakespeare selbst nie in Zypern
gewesen ist und sein Drama lediglich nach venezianischen
Vorlagen schuf.
Während wir auf der Mauer entlangwandern, jubeln uns
einige Jugendliche vom fahrenden Auto aus zu. Ich
interpretiere das so, daß man es wohl gerne sehen würde,
wenn wieder mehr Touristen sich der Stadt annähmen, denn
bis auf wenige Individualreisende ist der Urlauberstrom
nahezu abgeebbt. Die Stadt liegt trotz ihrer herrlichen
Strände wie in einem Dornröschenschlaf.
Die gesamte Altstadt Famagustas wird von
zahlreichen Kirchen und Kirchenruinen überragt, wie man
es in dieser Konzentration selten findet. Bei der
Ravelin-Bastion verlassen wir die umlaufenden Ränge,
weil uns ein vergattertes Schloß am Weitergehen hindert. Ungeduldig schaue ich
auf die Uhr, denn der Sonnenhöchststand ist bereits um
11 Uhr erreicht. In Zypern wird die Uhr nämlich
gegenüber der unseren um eine Stunde vorgestellt, und
das, obwohl die geographische Länge der Insel noch
weiter im Osten liegt, als es der Zeitzone entspricht.
Ohne daß wir uns ein Mittagessen gönnen, hetzen wir
weiter nach Salamis, das direkt am Meer liegt, etwa 8 km
nördlich der Stadt.
Salamis steht an Bedeutung hinter Kurion und Paphos kaum
zurück, vor allem ist man hier respektvoller mit der
Vergangenheit umgegangen und hat das Theater nicht zu
einem modernen Lichtspielhaus zweckentfremdet. An
baulichen Resten findet man eigentlich alles, was man
von einer griechisch-römischen Stadt erwartet: Thermen,
Agora, Gymnasion und Tempel verschiedener Gottheiten,
darunter auch zwei spätantike Basiliken. Auch Reste der
antiken Stadtmauer wurden ausgegraben.
Salamis war eines
der antiken Stadtkönigreiche. Auch Strabon erwähnt
seiner, wenn er sagt, daß aus ihr der
Geschichtsschreiber Ariston stammt. Es soll von Teukros,
dem Sohn des Telamon, erbaut worden sein, der nördlich
davon, am Hochufer der Achaier, das erstemal an Land
gegangen ist. Für eine Besichtigung der Königsgräber und
der Ausgrabungsstätte von Alasia bleibt uns keine Zeit
mehr, denn als letztes Tagesziel haben wir die Burg
Kantara ins Auge gefaßt.
Leider oder auch glücklicherweise, wie man im nachhinein
sagen kann, wähle ich für die Anfahrt den umständlichen
Weg von Bogazi über Komi und die Nordküste bei Davlos.
Was die Nebenstraßen betrifft, so muß ich mein Urteil
über Zyperns Straßen wohl korrigieren, denn diese Straße
hat es in sich: schmal, mit Schlaglöchern übersät,
haufenweise mit Geröll und Schlamm bedeckt wie nach der
Sintflut, mit Querrinnen durchsetzt wie nach einem
Erdbeben, windet sie sich in endlosen, unübersichtlichen
Kurven, abends meist im blendenden Gegenlicht, in
unzähligen Kehren in immer größere Höhen hinauf. Man
verfällt in einen Rauschzustand, wenn man auf ihr fährt,
weder zügig vorankommt noch umdrehen kann, ohne
Möglichkeit auszuweichen, immer mit dem schlimmsten
rechnend: daß Gegenverkehr aufkommt. Blickt man auf die
phantastische Szenerie über und unter uns, das in allen
Blautönen schimmernde Meer und die bizarren Felsgipfel
des Pentadaktylos, so kann man leicht in einen
Trancezustand geraten, und man möchte sich immer
weiterdrehen wie ein tanzender Derwisch und in immer
größere Höhen aufschwingen, ein Zustand, der nur durch den
freien Fall in den Abgrund noch eine Steigerung erfährt.
Ich weiß nicht, wo uns dieser Weg hinführen wird, glaube
plötzlich gar nichts mehr, nur der Glaube an mich selbst läßt
mich das Leiden meiner Stoßdämpfer vergessen. Und immer
wieder aufs neue lege ich mir die Frage vor:
»Wie
lange noch?«
Doch bevor es uns das Herz ganz abschnürt, ein Luftholen
kaum noch möglich ist, siehe da! löst sich plötzlich die
Beklemmung. Der Weg wird eben, endlich! Wenige Häuser
tauchen auf wie aus dem Nichts, und eine
Straßengabelung zeigt an, daß hier der alternative Weg
heraufführt, der das Herz weitaus weniger aus dem
Rhythmus gebracht hätte.
Bald ist ein kleiner Parkplatz
erreicht, direkt unterhalb der Ruine, die von hier aus
betrachtet das Furchteinflößende nahezu verloren,
den Charakter ihrer Unbezwingbarkeit weitgehend eingebüßt hat
–
wenn
man erst einmal bis zu dieser Stelle vorgedrungen ist.
Und dennoch, hieran hat Friedrich II. von Hohenstaufen,
unser großer deutscher Kaiser, sich die Zähne ausgebissen, er
konnte die Burg, die er nur mit Mühe erobert hat, auf
Dauer nicht halten, mußte sich schließlich ganz aus
Zypern zurückziehen. Wiewohl Zypern zuletzt ein
deutsches Lehen war, an die Lusignans um den Preis der
Königswürde vergeben, die ihre Krone aus der Hand des
deutschen Kaisers empfingen, vergaß man nach dem Tod
ihres letzten im Mannesstamme der geschworenen
Lehenstreue, womit die Insel am Ende nicht an das Reich
zurückfiel, sondern der Seerepublik Venedig zum
Vermächtnis gemacht wurde. Worüber sich nun die Geister
scheiden, die Mauern, wie sie sich uns heute darstellen,
sind ersichtlich nicht fränkischen Ursprungs, sondern
grobes, verputztes byzantinisches Feldsteinmauerwerk.
Nur wenige, ebenmäßig behauene Quadersteine sind noch
auszumachen; zudem scheint die Burg eher noch türkische
Züge aufzuweisen als fränkische.
Kantara ist ein Ort, der dem Fotographen wenige Motive
bietet; gewiß, der Blick auf die Halbinsel Karpasia mag
berauschend sein, doch die spärlichen Überreste allein
geben fast nichts her. Am ehesten scheint noch die
Westseite etwas Trutziges aufzuweisen, nur leider führt
nicht einmal ein Pfad dorthin. Spontan entschließe ich
mich, mir meinen Weg durch die Natur selbst zu bahnen.
Da ich festes Schuhwerk anhabe und zudem eine
strapazierfähige Hose trage, vermögen selbst
Stechginster und andere Dornen mich nicht daran zu
hindern, in den westlichen, gegenüberliegenden Felsen
einzusteigen, soweit es mir eben gelingt, diesen
hinaufzuklettern. Als ich nach menschlichem Ermessen
ohne Seil und Haken nicht weiterkomme, beschließe ich,
von dieser Warte aus ein Bild zu machen, und wahrlich,
es dürfte nur wenige Verrückte geben, die ein Bild aus
dieser Position geschossen haben. Nun habe ich Grund, mit
mir zufrieden zu sein, wenngleich ich aus offenen
Wunden blute. Die Rückfahrt bergab auf der anderen, der
Südseite, erweist sich geradezu als harmlos, verglichen
mit dem, was uns die Auffahrt an Unwägbarkeiten
eingebracht hat. Großartig ist die Talfahrt allemal,
weil man dabei eine unbeschreibliche Fernsicht genießt.
Es ist, als stiegen die Götter vom Olymp herab, denn der kyprische Olympos ist von hier bekanntlich nicht weit.
Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir an diesem
Abend Lefkosía, und als wir die UN-Pufferzone
durchmessen haben, ist ein erlebnisreicher Tag zu Ende
gegangen.
Unser zweiter Tag im Nordteil der Insel beginnt mit
einer Fahrt auf der bestens ausgebauten Autobahn
Richtung Girne, dem zyprischen Keryneia. Schon bald
folgen wir der Beschilderung nach St. Hilarion, obwohl
diese einst wichtigste Festung der Insel noch meilenweit
entfernt ist. Inmitten des Pentadaktylos-Gebirges zweigt
dann die steile Stichstraße ab. Nachdem wir eine
ansehnliche Höhe genommen haben, taucht bald ein
einsamer Vorturm auf, flankiert von zwei markanten
Felsgipfeln. Doch zu unserer Überraschung müssen wir
feststellen, daß wir uns durch militärisches Sperrgebiet
bewegen. Ein Soldat verwarnt uns, daß es bis zum Kastell
verboten sei, sowohl anzuhalten als auch Photos zu
machen. Dabei wären dies genau diejenigen Bilder
geworden, die mit am schönsten anzuschauen gewesen
wären. Ungeachtet des Verbots fotografiere ich aus dem
Fahrzeug, denn was sich da vor unseren Augen auftut, ist
so gewaltig an Majestät, daß meine schwachen Kräfte der
Verführung erliegen. Wie ein Märchenschloß ragt über uns
die Königsburg der Lusignans auf,
»Dieu
d'Amour«,
zu deutsch »Der
Herr der Liebe«.
Von den Franken so benannt, lautet ihr anderer Name nach
einem Heiligen, der einst hier gelebt haben soll. Zu
ihren Füßen liegt die ehemalige Turnierwiese, die heute
von der türkischen Armee für ganz andere Zwecke genutzt
wird.
Von St. Hilarion bietet sich ein fantastischer Blick auf
die zerklüftete Nordküste Zyperns, man kann sie beinahe
auf voller Länge überschauen, in so atemberaubend
schwindligen Höhen ist die Burg gelegen. Angeblich hat
sie als Vorlage für Walt Disneys Königsschloß gedient.
Dazu ist der Himmel heute von einer einzigartigen
Zartheit, wie wir sie seit Anbeginn der Reise nicht
erlebt haben. Tief unter uns liegt Keryneia, eine
Gründung der Achaier, die weißgetünchten Häuser wirken
wie Stecknadeln auf einem Samtkissen. Auf der
gegenüberliegenden Meeresseite zeichnet sich unscharf
die türkische Küste ab, wie wir sie bereits auf dem
Hinflug erlebt haben. Dieu d'Amour besteht aus einer
Vor-, Unter- und einer Oberburg, die im Mittelalter
uneinnehmbar waren. Die Anfänge der Wehranlage reichen
bis auf byzantinische Zeit zurück. Fränkische
Stilelemente findet man vornehmlich im Bereich des
Eingangstores sowie der Königsgemächer. Die heutigen
Ruinen stammen angeblich von einem Erweiterungsbau aus
dem Jahre 1391.
Bemerkenswert ist die Geschichte des Prinzen Johann von
Antiochien. Dieser ließ angeblich von dem nach ihm
benannten Turm seine bulgarische Leibwache herabstürzen,
aus Angst, ermordet zu werden.
In dem zugehörigen Museum werden auf
recht unbeholfene und kitschige Art bildliche
Darstellungen und Waffen aus der Ritterzeit zum Kauf
angeboten.
Noch während unserer Besichtigung geht ein
Böllerschießen los, als ob wir uns im Krieg befänden.
Grüner Rauch steigt auf, das Gebiet wird vorübergehend
abgeriegelt. Von oben verfolgen wir das kindische
Treiben, aus dem leider – das weiß man bei den Türken
nie – sehr schnell Ernst werden kann. Denn der Nordteil
der Insel wird gegen den griechischen Teil hermetisch
abgeschirmt, und dort sind es mehr die Briten, welche
die Türken vom weiteren Vorstoß abhalten, als die
Griechen selbst. Letztere haben sich nie richtig zur
Wehr gesetzt, waren immer schon als Überläufer
verschrien, galten seit dem Mittelalter als
verweichlicht und feige. Wozu es Blauhelmen bedarf, um
ihnen ihren Besitz zu sichern, ist eigentlich nicht so
recht nachvollziehbar.
Ganz anders die Türken! Sie haben
im Jahr 1570 Famagusta erobert und sich große Teile der
Insel unterworfen. Die türkische Präsenz ist Realität,
doch auch den Türken muß man vorhalten, daß sie ähnlich
den israelischen Siedlern im Gazastreifen vollendete
Tatsachen schaffen wollten. Zu Tausenden wurden Leute
aus Anatolien angeworben, die sich hier auf griechischem
Boden, von dem sie die Griechen vertrieben haben,
niederließen, und die dann argumentieren, man würde sie
enteignen wollen. Dabei ist die türkische Vorgehensweise
so offensichtlich wie nur irgendwas. Sie machen sich
überall breit, verschlingen alles, was ihnen in die
Hände fällt, vermehren sich wie besagte Tierart, so als
wollten sie sich, wenn sie es schon nicht militärisch
schaffen, auf friedliche Weise Europa unterjochen. Nun
braucht sich am Ende keiner wundern, wenn er in
überwiegend von Türken besiedelten Gebieten irgendwann
aus Europa hinausgeworfen wird. Doch die nach wie vor
existierende Türkengefahr wird von unseren Politikern
nicht wahrgenommen, man muß erst nach Zypern kommen, um
sie zu begreifen.
In vielen Kehren steigen wir nun vom Schloß herab und
fahren die azurblaue Küste entlang, lassen das von
Strabon erwähnte Lapithos, von dem es keine Ausgrabungen
zu besichtigen gibt, unbeachtet und steuern die Bucht
von Mórfou an, die an das Ende des Daktylos-Gebirges
anschließt. Im ersten Teil der Fahrt ist von der Küste
recht wenig zu sehen, da sie von den Türken durch eine
nicht enden wollende Straßensiedlung verbaut worden ist.
Leider ist die Unsitte, ohne vorherige Stadtplanung
einfach wild darauf loszubauen, auch hier in Nordzypern
weit verbreitet, immer wieder sehen wir leerstehende
Siedlungen, die in blinder Bauwut hochgezogen wurden,
ohne dafür eine Rechtfertigung zu haben.
Schließlich erreichen wir an einer wunderbar blauen
Bucht die Ruinen der antiken Stadt Soloi, von der
angeblich noch im 18. Jahrhundert ansehnliche Bauten
erhalten waren. Heute findet man nur mehr das
rekonstruierte Theater, mit atemberaubender Aussicht
aufs tiefblaue Meer, und die Reste einer
frühchristlichen Basilika mit Tierdarstellungen in
Mosaikform, darunter den berühmten Schwan. Vieles ist
noch gar nicht ausgegraben, wie etwa der Aphroditetempel
hinter dem Theater. Dort, wo man eigentlich die
Akropolis von Soloi vermutet hätte, liegen die Reste des
Palastes von Vouni, den der Stadtkönig von Marion erbaut
haben soll, um die Bürger von Soloi besser überwachen zu
können. Schließlich scheint er aber doch zerstört worden
zu sein, denn in unmittelbarer Nachbarschaft findet sich
bereits wieder ein griechisches Heiligtum. Die Aussicht
von diesem höchsten Aussichtspunkt über der Stadt ist
schlichtweg ergreifend: hinter uns die wildzerklüftete
Küste, vor uns die geräumige Bucht, die auch ein
Ankerliegen ohne weiteres erlaubt. Mithin bewahrheitet
sich aufs neue: die alten Griechen waren große Ästheten,
Schönheit hat bei ihnen stets eine herausragende Rolle
gespielt.
Die Sonne besitzt zwar immer noch eine
außerordentliche Kraft, doch sind die Temperaturen in
diesen luftigen Höhen ziemlich frisch, und es läßt sich
nicht leugnen, daß der Winter bald heranrückt.
An diesem unserem westlichsten Punkt der geplanten Reise
in den Nordteil der Insel machen wir kehrt, um
wenigstens noch etwas von der Atmosphäre im Hafen von
Girne in uns aufzusaugen. Man hüte sich aber, mit dem
eigenen Wagen bis zum Hafen vordringen zu wollen, denn
man fährt in den alten Gassen höchstens Schrittempo. Zu
Fuß ist der alte Hafen ebenso schnell erreicht. Da kann
es schon vorkommen, daß man zusammenzuckt, wenn man
unvermutet um die Ecke biegt und diesen wahrhaft
idyllischen Anblick vor Augen hat.
Gegenüber erstrahlen
in einem satten Ockergelb die Mauern der venezianischen
Festung, das runde Hafenbecken ist bis zum Erbrechen
vollgepfropft mit Fischkuttern und Ausflugsbooten. Welch
ein Farbenzauber, was für ein Flair! Es würde sich
geradezu verbieten, wollten wir hier, ohne ausgiebig zu
verweilen, gleich wieder das Weite suchen. Also nehmen
wir in einem der fast leeren Hafenrestaurants Platz und
sorgen erst einmal für das leibliche Wohl.
Über den
mediterran wirkenden Häusern erhebt sich majestätisch
das Daktylos-Gebirge, und das Auge des Kameramanns hat
es schwer, die optimale Motivauswahl zu treffen. Man
unterliegt der Versuchung, alles zugleich auf einem Bild
ablichten zu wollen, und dennoch liegt in der
Beschränkung die Kunst. Licht und Schatten reichen sich
gerade die Hand, denn die Sonne steht schon tief im
Westen. Wie gut, denke ich mir, daß es noch Geheimnisse
gibt, die keiner kennt, denn würde ein jeder wissen,
welche Perlen, welche Schätze hier anzuschauen sind,
bald hätte der Tourismus dafür gesorgt, auch noch das
letzte stille Glück zu rauben. So aber fallen nur einige
verkorkste Briten zur Last, denn wer weiß, wie lange man
sich des ungetrübten Anblicks noch wird erfreuen dürfen,
wenn erst die Projekte, die im Tourismusministerium
geplant sind, Realität geworden sind. Diesen Ort, sag'
ich, den man am liebsten gar nicht mehr verlassen
möchte, müssen wir jetzt fliehen, aber wir wissen, daß
wir hierher eines Tages zurückkehren werden, denn die
eigentliche Stadt haben wir noch gar nicht richtig
erforscht.
Da und dort stoßen wir noch auf gewaltige
Mauerreste, wie etwa den Turm des Attila, der in keinem
Reiseführer erwähnt wird. Lassen wir uns das bewußt entgehen!
begeben wir uns dorthin, wo unsere letzte Stätte an
diesem herrlichen Tage sein wird, nach Belapaix, dem »schönen
Frieden«.
Die Prämonstratenserabtei über Keryneia, gegenüber von
St. Hilarion, wenngleich deutlich tiefer, wurde von den
Frankenkönigen erbaut, die sich hiermit einen Platz im
Himmel erworben haben. Selbst der fromme Muslim fällt
auf die Knie, wenn er so etwas sieht. Es ist ein Ort
unvergleichlicher Erhabenheit. Vielleicht liegt es aber
auch nur an der Wassermusik von Händel, die von
irgendwoher erklingt, uns in Erstaunen, in Verzückung
versetzt. Hier steht ein Stück Abendland unter Palmen,
ein Abglanz vergangener Pracht und Herrlichkeit, wie
sie zur Zeit der Lusignan-Könige geherrscht haben mag.
Nur eins ist uns an diesem erlebnisreichen Tag nicht
mehr vergönnt, nämlich nach Buffavento hinaufzusteigen,
der dritten der drei großen Festungen im Burgengürtel an
der Nordküste Zyperns. Vielleicht sollte man bei jeder
Reise etwas zurücklassen, was man wie einen Schatz
vergraben hält, um irgendwann zurückkehren zu müssen,
ihn zu heben.
Bei schon einsetzender Dämmerung verlassen wir die
Palmenhaine und steigen erneut auf den Pentadaktylos,
eine Lichterkette voraus, die uns den Weg nach Nikosia
weist. Dort werden wir schon sehnlichst erwartet, von
unserem Vermieter. Wie mag er gelitten haben, als er uns
sein Fahrzeug so ohne alle Sicherheit anvertraute! Doch
sein Vertrauen wurde nicht enttäuscht, wir haben ihm das
Fahrzeug in einem Zustand überliefert, wie wir es
entgegengenommen haben, trotz aller Fahrten über
liegengebliebenes Gestein, durch Furchen und über
Bodenwellen. Darauf können wir stolz sein. Am Hotel Exzelsior
steigen wir nun in unseren anderen Leihwagen um, der uns
hierhergebracht hat, und wir sehen den Unterschied
zwischen Nord- und Südzypern, der sich auch
hierin zeigt, denn die Qualität des Mietautos im Norden
übertrifft diejenige im Süden bei weitem.
Nach nächtlicher Fahrt
kommen wir schließlich in Larnaka an, wo die Autobahn
nach Agía Nápa zu unserer Überraschung gerade gesperrt
wird. Wir müssen uns erneut in das unbezeichnete
Straßengewirr der Hafenstadt wagen, wo wir uns gründlich
verfranzen. Als ich mich bei den Leuten nach dem Weg
erkundige und wieder keiner Englisch versteht, taucht
plötzlich ein Engel vor uns auf, schön wie Aphrodite.
Er spricht zu uns:
»Come
with me«,
und nachdem er uns eine ganze Weile vorausgegangen ist,
befinden wir uns plötzlich wieder auf dem richtigen Weg.
Der Engel aber, er ist für immer verschwunden, doch wir
gelangen heil und gesund nach Agía Nápa.
Dies ist einer
der Orte, wo Hotelburg sich an Hotelburg reiht und wo
Konsum mehr zählt als innere Werte. Es gibt hier in der
Umgebung überhaupt nichts, was einer Attraktion
gleichkäme, ausgenommen freilich die feinsandigen
Strände. Nachdem nun selbst Hotels der oberen Kategorie
erhebliche Mängel aufweisen, fliehen wir diesen Ort der
geistigen Mittelklasse und machen uns auf nach Dáli, dem
antiken Idalion. Gesichert ist die Lage dieses Ortes
nicht, aber es deutet einiges auf ihn hin.
Als wir dort ankommen, ist gerade ein Fernsehteam
zugange, die jüngsten Funde zu dokumentieren. Den
Museumsdirektor, zumindest gibt er sich als dieser aus,
befrage ich, ob es sich bei diesem Ort wirklich um das
von Strabon erwähnte Idalion handelt, womit ich nur
Achselzucken ernte. Was an Mauerwerk bisher von den
Archäologen zutage gefördert wurde, scheint
nichtgriechischen Ursprungs zu sein, soweit ich es
beurteilen kann. Vielmehr könnte es sich bei dem, was
wir hier vor Augen haben, um eines jener eingangs
erwähnten Stadtkönigtümer handeln. Die Griechen waren
ein Seefahrervolk, und absolut untypisch wäre eine
Stadtgründung im Landesinnern, wenngleich es auch dafür
Beispiele gibt, etwa Termessos. Offiziell ist diese
Ausgrabungsstätte noch gar nicht für die Öffentlichkeit
freigegeben, zumindest ist hier niemand, der
Eintrittsgeld kassiert.
Nachdem wir außer einer
Olivenpresse beinahe nichts Weltbewegendes entdecken
können, fahren wir wieder, und zwar landeinwärts, über
Stock und Stein, Richtung Tamassos, welches als
Kupferlagerstätte unter dem Namen Temese schon in Homers
Ilias erwähnt wird. Die Ruinen in Tamassos sind
allerdings ebenso spärlich wie die in Idalion. Überhaupt
scheint es dort nur unterirdische Stätten zu geben, wenn
man die wenigen oberirdischen als das Aphroditeheiligtum
interpretieren möchte. Doch dies scheint auf den ersten
Blick schwierig. Vielmehr dürften die Höhlengräber
phönizischen Ursprungs sein, und der Kult, dem sie ihre
Entstehung verdanken, wird jener der Astarte gewesen
sein, der phönizischen Fruchtbarkeitsgöttin. Man muß
dazu aber wissen, daß Astarte eins zu eins der
griechischen Aphrodite entspricht. Was speziell nun uns aus der Masse heraushebt ist, daß wir von uns sagen
können, an diesem altehrwürdigen Ort gewesen zu sein,
was wirklich nur wenige von sich behaupten können.
Um unser nächstes Ziel zu erreichen, müssen wir übers
Gebirge. Lichte Kiefernwälder begleiten uns bis Gourri,
am Gebirgskamm passieren wir das Machaíras-Kloster, bis
wir über Farmakas, ein idyllisches Bergdorf im
Pitsylia-Gebirge, und Odou die älteste neolithische
Stadt der Welt erreichen, Choirokoitía. Diese an einem
Steilhang über dem Maron-Tal gelegene Siedlung aus
Rundtumuli ist im gesamten Mittelmeerraum einmalig und
wurde daher von der UNESCO in das Weltkulturerbe der
Menschheit aufgenommen. Selbst eine Stadtmauer hat es zu
dieser frühen Zeit schon gegeben, die natürlich aus
Natursteinen zusammengefügt war. Wir haben aber kaum
eine Vorstellung davon, wie die Menschen, die noch keine
Keramik kannten, damals gelebt haben. Gerade das
Rätselhafte an diesem Ort macht ihn so beeindruckend,
denn je weiter der Mensch in seiner Vergangenheit
zurückgeht, desto mehr Fragen tun sich auf.
Da wir sie nicht beantworten können, ziehen wir weiter
und wenden uns greifbareren Epochen zu, und in einer
davon liegt Amathus. Ob es nun wirklich jene Stadt ist,
die von Richard Löwenherz zerstört worden ist und die
damals noch gar nicht ausgegraben war, wage ich
allerdings zu bezweifeln. Vielmehr wird über der antiken
Ausgrabung, beim heutigen Limassol, auf den Ruinen der
alten Stadt ein neuer Ort gleichen Namens entstanden
sein. In Limassol befindet sich auch die Zitadelle, die
Richard von England erbauen ließ und wo er seine
prunkvolle Hochzeit mit Berengaria abgehalten hat. Von
Amathus sind nur noch bescheidene Reste vorhanden, man
kann aber bei aufmerksamer Beobachtung noch weitere
Mauerfragmente auf dem darüber liegenden Hügel
ausmachen. So dürfte auch hier ein Aphroditeheiligtum
erst noch auszugraben sein, und das Theater scheint
ebenfalls noch nicht freigelegt. Vielleicht ist ja
wieder einmal das Geld für die Fortsetzung der Grabungen
ausgegangen. Wie dem auch sei, an der freigelegten Agora
kann man erkennen, welch ausgeklügeltes
Wasserversorgungssystem zur damaligen Blütezeit der
Stadt bereits existiert hat.
Mit den letzten Sonnenstrahlen versuchen wir Paphos zu
erreichen, wo wir vor acht Tagen unseren Ausgang nahmen.
Der Zufall will es, daß just in dem Moment, wo wir den
Aphroditefelsen ein zweites Mal passieren, der
Sonnenuntergang einsetzt. Dem einbrechenden Abendrot
folgt bald ein unvergessener Blick ins kalte Universum.
Schlagartig wird uns damit klar, daß unsere Reise hier
zu Ende ist. Wenngleich Zypern eine Liebesinsel ist –
findet man auf ihr doch kaum ein Fleckchen, wo einem die
Sonne nicht begegnet –, empfohlen werden kann sie nur
Individualreisenden, und nur in seiner Fantasie kann man
sich noch ausmalen, wie schön sie einmal war, lange bevor
ihre Wälder gerodet wurden. Folgende Weisheit aber werden wir
mit nach Hause nehmen:
»Der
Aphroditekult, er mag versunken sein, die Liebe
aber bleibt.«