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Reise nach Bagirmi

Die große Zeit der Entdeckungen
war noch nicht zu Ende, als das Innere Afrikas die
letzten weißen Flecken auf den Landkarten der
Kartographen zu tilgen begann. Männern von großem
Wagemut ist es zu verdanken, daß der Schwarze
Kontinent mit dem weiteren Vordringen des Weißen
Mannes als letzte Bastion gegen den aufkeimenden
Kolonialismus kapitulierte. Südlich des Tschadsees
waren mit dem Einzug des Islam mehrere Königreiche
entstanden, die, von Sendungsbewußtsein getragen,
ihre Macht auszuweiten suchten und einander, zum Teil
bereits mit Feuerwaffen, erbittert bekämpften. Das
Schicksal der Ungläubigen, selbst wenn sie sich
rechtzeitig vorher freiwillig unterworfen hatten, war
nicht selten immerwährende Sklaverei, es sei denn,
daß sie schon im Vorfeld wie wilde Tiere erlegt
worden waren. Der große deutsche Afrikaforscher
Gustav Nachtigal, der die deutsche Flagge über Togo
und Kamerun aufziehen ließ, schildert nachfolgend
eine Episode auf seiner Reise nach Bagirmi, die tiefe
Einsichten in die damals dort herrschenden Zustände
gewährt. Die aufgezeichneten Grausamkeiten sprechen
für sich, und wie durch ein Wunder gelang es
Nachtigal, dieser Hölle zu entfliehen, letztendlich,
um uns darüber zu berichten.
Die Baumfestungen von Kimre
»Der Aufenthalt in Bôtrô
blieb ohne wesentlichen Nutzen für Mbang Mohammedu.
Seine kriegerischen Unternehmungen waren von keinem
wesentlichen Erfolg begleitet, und die politischen
Unterhandlungen scheiterten beständig an dem
berechtigten Mißtrauen der Leute. Selbst in der
nächsten Nähe von Bôtrô hatten sich die Bewohner
von Kimre - ebenfalls Gâberi dem Stamme nach - auf
eine sichere Höhe ihrer Baumwollbäume
zurückgezogen und hörten auf keine schönen oder
drohenden Worte der Bagirmi. Abû Sekkîn, der sich
aus Erfahrung den luftigen Festungen gegenüber
ziemlich machtlos wußte, erbat kurz nach meiner
Ankunft in nächtlicher Zusammenkunft Rat und
Beistand von mir. Am 14. April wurde ein neuer
Versuch gemacht, dieselben gewaltsam zur Unterwerfung
zu bringen, und ich hatte als Augenzeuge Gelegenheit,
mich von der Unzulänglichkeit der Angriffsmittel
meiner Genossen zu überzeugen.
Eine Stunde nach Mitternacht ertönte eine lange
Posaune; alle Beutelustigen sammelten sich vor dem
Lager, wenn auch nicht gerade mit militärischer
Pünktlichkeit, und nach etwa
einer
Stunde konnten wir aufbrechen. Unser Marsch führte
uns, soweit die Dunkelheit erkennen ließ, anfangs
durch die Ackerfelder von Brôtô, dann über eine
baumlose Ebene, deren Graswuchs auch nur spärlich zu
sein schien, weiterhin durch Buschwald und endlich
durch die Getreidefelder von Kimre. Mit Sonnenaufgang
hatten wir den Wald, die natürliche Festung der
Verfolgten, vor uns. Die Gegend war durch einen
schwarzen, humusreichen Tonboden ausgezeichnet, von
Wassertümpeln durchsetzt und von Elefantenpfaden
durchschnitten. Auf den Getreidefeldern sproßte
unter den spärlichen Regenfällen dieser Jahreszeit
die junge Saat. Aus dem Walde stiegen hier und da
Rauchwolken auf als Warnungszeichen für ferner
Wohnende und als Beweis, daß unsere Annäherung
nicht verborgen geblieben war.
Bevor wir den Wald betraten, mußterte der Fatscha
sein Kriegsvolk, das sich hier allmählich sammelte.
Wir zählten an Bagirmileuten und ihren Sklaven etwa
sechzig Reiter, von denen viele mit Wattepanzern
versehen waren, und ungefähr vierhundert
Fußkämpfer, deren Bewaffnung in Lanzen und
Handeisen, zum Teil auch in Schilden bestand. Eine
annähernd gleiche Zahl von Heiden, doch ohne alle
Reiterei, begleitete uns. Der Fatscha ließ halten,
ergriff einen etwa dreißig Zentimeter langen, mit
dunklem Tuch überzogenen Stab, gleichsam seinen
Marschallstab, empfing aus der Hand eines Sklaven ein
fächerähnliches, ebenfalls in einem Tuch
aufbewahrtes Feldzeichen und sprengte, nachdem er
dasselbe entfaltet hatte und begeistert schwenkte,
vor der Menge auf und ab. Nach dieser eine Ansprache
ersetzenden Handlung und nachdem die Feldzeichen
wieder in ihre Behälter getan und einem Sklaven zur
Aufbewahrung übergeben worden waren, setzten sich
unsere Haufen in Bewegung, und wir betraten den Wald.
An den Lichtungen befanden sich Ackerfelder, und
reizend lagen weithin zerstreut im Schatten der
prachtvollen Bäume die verlassenen Wohnstätten der
Leute. Wo sie noch nicht der Zerstörung
anheimgefallen waren - die Bewohner hatten bereits
vor Wochen ihre erhabenen Kriegswohnungen bezogen -,
entrollten sich die lieblichsten landschaftlichen
Bilder durch einfache Zierlichkeit der Stroh- und
Lehmbauten, die grasige Frische der nächsten
Umgebung, die Kraft und Fülle der Waldbäume und die
lauschige Heimlichkeit der Plätze, zu denen sich
hier und da die Strahlen der aufsteigenden
Morgensonne stahlen.
Bald kamen wir auch in Sicht der Verfolgten, die
scheinbar mit großer Gemütsruhe aus sicherer Höhe
dem Anrücken des grausamen Erbfeindes zuschauten.
Über alle Bäume empor ragte das Eriodendron, das
dort ausschließlich zum Aufenthalt in den Zeiten der
Gefahr gewählt zu werden scheint. Seine Höhe, der
kerzengerade Wuchs des hartholzigen Stammes, die
quirlförmige Anordnung der Äste in mehreren Stufen
und ihre fast horizontale Richtung lassen diesen Baum
besonders geeignet für solchen Zweck erscheinen. Die
unterste Stufe, noch allzusehr im Bereich der
Angreifer, wird meistens unbenutzt gelassen. In der
nächst höheren werden möglichst waagrechte,
benachbarte Äste durch darübergelegte Stangen zu
einer Plattform vereinigt, auf der ein solides,
dickes Strohgeflecht befestigt und darauf der
Hausstand errichtet wird. Dieser besteht gewöhnlich
in einer kleinen Hütte, die auch Getreidevorräte,
Wasserkrüge und Hausgerätschaften (z.B. die
Holzmörser zur Mehlbereitung) enthält, und selbst
Haustiere, Ziegen, Hunde und Hühner werden mit
hinaufgenommen. Oberhalb dieser Astteilung wird
häufig am Stamme selbst aus starkem Geflecht von
Zweigen und Stroh ein Korb nach Art eines Mastkorbes
angebracht, der eine oder zwei Personen fassen kann
und in dem der größte Teil des Wasservorrates
aufbewahrt wird. Der oder die Hauptkrieger des Baumes
befinden sich in diesem Behälter, dessen
Seitenwandung etwa einen Meter hoch ist, schleudern
von dort aus die harmlosen Wurfgeschosse aus Rohr und
halten Handeisen und Lanzen bereit für den Fall,
daß es den Angreifern gelingen sollte, die unterste
Stufe zu erklimmen. Je nach Umfang und Höhe der
Bäume wohnen eine oder mehrere Familien auf
denselben. Während der Nacht, in der kein Angriff zu
befürchten ist, steigen die Bewohner nach Bedürfnis
herab, um ihre Vorräte an Wasser und Getreide, das
in versteckten Gruben verborgen gehalten wird, zu
erneuern. Zum Hinauf- und Herabsteigen dienen
einfache Leitern aus dünnen Baumstämmchen,
Schlinggewächsen und Pflanzenfaserstricken.
Von einem ordnungsgemäßen Angriff, einem
gemeinsamen Handeln unsererseits war keine Rede.
Sobald wir den bewohnten Bäumen gegenüberstanden,
begnügten sich die meisten damit, ihre Speere und
Lanzen drohend zu schwingen und sich vorsichtig durch
Schilde zu decken, in deren Ermangelung auch Stücke
aus Strohgeflecht aus den halbzerstörten Hütten
oder stärkere Matten benutzt wurden. Andere
zerstreuten sich im Walde, in der Hoffnung, eine
vergessene Ziege, einen Hund oder ein paar Hühner zu
finden, auf eine Getreidegrube zu stoßen oder gar
ein armes Menschenkind zu entdecken, das, von einem
Baume herabgestiegen und vom Überfall überrascht,
vielleicht den Zufluchtsort nicht hatte erreichen
können. Die Bagirmi wie ihre heidnischen
Bundesgenossen waren den Dingen gegenüber ratlos.
Hunderte von bewaffneten Männern umstanden die
einzelnen Zufluchtsstätten, mit Worten und Gebärden
drohend, doch ohne den Mut, einen Angriff zu wagen,
denn die ersten Ersteiger eines Baumes mußten,
solange bewaffnete Verteidiger vorhanden waren, als
verloren angesehen werden. Die Bäume zu fällen,
fehlten die Werkzeuge, und die gewöhnlichen Waffen
reichten nicht bis zur Höhe der Belagerten. Freilich
verfügten der König und der Fatscha über eine
Anzahl flintenbewaffneter Sklaven, doch ihrer keiner
war imstande, eine Flinte anzulegen, zu zielen und zu
treffen. Die Mordwaffe möglichst weit vom Körper
haltend, sobald sie zu feuern beabsichtigten, konnten
sie höchstens das Leben ihrer eigenen Genossen in
Gefahr bringen. Am ehesten schien es den Belagerern
noch gelingen zu können, die Strohbauten der
Flüchtlinge durch Feuer zu zerstören, die
Verteidiger dadurch höher in die Bäume
hinaufzutreiben und diese so allmählich zu erobern.
Wo hinlängliche Deckung es erlaubte, einigermaßen
gefahrlos die untere Stufe eines bewohnten Baumes zu
ersteigen, versuchte man auch, mittelst angezündeter
Strohbündel, die an langen Stangen befestigt waren,
Hütte und "Mastkorb" in Brand zu stecken,
doch selten gelang es, und wenn Stroh und Holz
wirklich einmal Feuer fingen, so löschten die
Belagerten es ohne Schwierigkeit mit ihrem
Wasservorrat.
Schon begann ich über das Schicksal unserer armen
Gegner beruhigt zu werden, als zu meinem Schmerze
durch meine eigenen Leute sich das Blatt wenden zu
wollen schien. Almâs und Hammu beteiligten sich am
Kampfe, der für sie freilich nur ein Jagdvergnügen
war, das weder die Gefahren und Anstrengungen anderer
Jagden mit sich brachte noch bei der Stetigkeit der
Ziele große Geschicklichkeit erforderte. Meine
Empörung über diese feige Unmenschlichkeit machte
keinerlei Eindruck auf die beiden Fanatiker; meine
Macht fand hier ihre Grenzen, denn es handelte sich
für jene um eine religiöse Berechtigung, über die
zu urteilen der Christ nicht zuständig war. Sie
hatten auch nicht das geringste Bedauern, diese
"verfluchten Heiden" wie Perlhühner zu
erlegen, hatten sie doch ihre Unterwerfung unter
einen mohammedanischen König und die Gesetze des
Islam verweigert. Wenn nicht glücklicherweise Almâs
ein nur mittelmäßiger und Hammu ein sehr
ungeschickter Schütze gewesen wäre, und wenn nicht
beide ihre Munition frühzeitig verbraucht hätten,
so würden viele der unglücklichen Kimreleute an
diesem Tag ihr allzu großes Vertrauen in die
Baumwollbäume mit dem Leben bezahlt haben.
Ich war Augenzeuge der ersten Opfer des Tages. Von
der Höhe seines Mastkorbes schleuderte der
hochgewachsene, junge Vorkämpfer eines von mehreren
Familien bewohnten Baumes seine harmlosen
Rohrgeschosse, sich durch den Schild oder die
Brustwehr des Korbes möglichst deckend. Zuweilen
richtete er sich zu seiner ganzen Höhe auf, ballte
zornig die Faust gegen seine Verfolger und rief ihnen
Worte des Hohns und der Verachtung entgegen, die von
ermutigenden Zurufen der Frauen aus der nächsten
Umgebung begleitet wurden. In einem solchen
Augenblick brach er, von einer Kugel Almâs
getroffen, lautlos zusammen. Bald darauf wurde ein
zweiter Verteidiger des Baumes, der sich weiter oben
auf einem Seitenast befand, zum Tode getroffen,
klammerte sich krampfhaft für einige Sekunden an die
Zweige und stürzte dann, eine tote Masse, von der
Höhe herab. Eine scheußliche Szene entspann sich:
die Unsrigen fielen über den Leichnam her, und im Nu
war er mit den Handeisen zerhackt und zerfetzt. Und
die Wütendsten hierbei waren nicht die Bagirmi,
sondern ihre heidnischen Bundesgenossen,
gewissermaßen die Stammesangehörigen des Opfers,
die sich bei einer anderen Gelegenheit desselben
Schicksals versehen mußten. Ein Dritter, der letzte
erwachsene Mann auf dem Baum, wurde durch einen
Schuß verwundet, stieg mit seinen Angehörigen unter
Aufwendung seiner letzten Kräfte zum Gipfel empor
und klammerte sich dort schweigend an, während sein
Blut in langen Linien die graue Rinde des Stammes
herabrieselte. Da endlich wagten die feigen Verfolger
den Baum zu erklimmen. Bald wurden die Ziegen, Hunde
und Hühner herabgereicht oder herabgeworfen, der
Tote und der Verwundete in die Tiefe geschleudert und
den untenstehenden Genossen zur Zerfleischung
überantwortet und die Frauen und Kinder nebst einem
Greise allmählich herabgezerrt. Kein Schrei, keine
Klage kam über die Lippen der Überlebenden. In
verzweiflungsvoller Ergebenheit ließen sie sich mit
Stricken binden, um mit dem Schmerz über den Tod der
Ihrigen und den Verlust ihrer Heimat den Weg in die
Sklaverei zu wandeln.
Ein einziger Baum wurde ohne Beihilfe der Feuerwaffen
allmählich erstiegen und so gewissermaßen erobert;
doch befand sich auf demselben nur ein rüstiger
Kämpfer, und dieser war wohl durch den Anblick des
Unglücks auf dem benachbarten Baum entmutigt.
Nachdem es gelungen war, seine Hütte in Brand zu
stecken, zog er sich in eine größere Höhe zurück
und wurde hier von einigen mit Lanzen angegriffen,
während andere sich der hier und dort in den
Verzweigungen versteckten Frauen und Kinder
bemächtigten. Sobald jener verwundet und
herabgeworfen war und durch den Sturz aus der Höhe
oder unter den Handeisen der Unsrigen sein Leben
ausgehaucht hatte, flohen zwei vierzehn- und
fünfzehnjährige Knaben in die äußersten Wipfel
und Zweige des Baumes und stürzten sich, als sie von
ihren Verfolgern fast erreicht waren, mit
verzweifeltem Heldenmut in die Tiefe. Kaum hatte ich
vor dem gräßlichen Anblick, der mir das Herz
zusammenschnürte, unwillkürlich für einen
Augenblick die Augen geschlossen, als ich beim
Wiederaufblick auch schon anstatt menschlicher
Leichname nur formlose Massen erblickte; in wenigen
Minuten hatten die Barbaren ihre Opfer der Köpfe
beraubt, ihnen die Eingeweide herausgerissen, sie
zerstückt und zerhackt.
Endlich wurde der Baum entdeckt, der dem Häuptling
von Kimre als Zufluchtsort diente. In einem unteren
Stockwerk befand sich dicht gedrängt das Kleinvieh,
das neugierig und harmlos über den Rand der
Plattform herabschaute. Der Hauptverteidiger hielt
von seinem Korb aus mit großer Geschicklichkeit die
Brandgeschosse der Feinde ab und verhinderte mit
bewundernswürdiger Umsicht die Angreifer, die -
ermutigt durch die ungewohnten Erfolge des Tages -
die untere Stufe erstiegen hatten, am weiteren
Vordringen. Der Häuptling selbst saß mit zwei
Frauen und vier Kindern in der Teilungsstelle dreier
mächtiger Äste und schleuderte von dort seine
unzulänglichen Handpfeile. Der geringe Vorrat der
Bagirmi an Pulver und Blei wurde gegen diesen Baum
erschöpft, doch glücklicherweise ohne wesentlichen
Erfolg, so wenig gedeckt auch der Häuptling und die
Seinen waren. Als es gelungen war, den jüngeren
Krieger zu verwunden und zum Rückzug in die oberen
Stockwerke zu zwingen, suchten auch die Bagirmi
höher zu steigen, doch der Häuptling verlor keinen
Augenblick seine Kaltblütigkeit und suchte die
Stellung, so verzweifelt sie ihm auch erscheinen
mußte, zu halten. Ohne jede Deckung dem Gewehrfeuer
ausgesetzt, wurden die Frauen und Kinder nach oben
geschafft, während der tapfere Mann zu Lanze und
Wurfeisen griff und die Verfolger in Schranken hielt.
Sein und der Seinigen Schicksal wäre gleichwohl auf
die Dauer kaum zweifelhaft gewesen, wenn die Munition
der Unsrigen länger vorgehalten hätte. Doch mit den
Handwaffen allein den Baum zu erobern, hätte eine
Opferwilligkeit der vordersten Angreifer erfordert,
die durch die Aussicht auf die bescheidene Beute
einer Ziege, eines Hundes oder eines kleinen Kindes
nicht erzeugt werden kann. So waren, zu meiner
großen Genugtuung, der Häuptling und seine Familie
gerettet.
Da die Bagirmi mit ihren im Vergleich zu früheren
Versuchen bedeutenden Erfolgen sehr zufrieden waren,
so wurde gegen Mittag die Jagd aufgegeben. Die
meisten Baumfestungen waren unangegriffen gelassen
worden, und wir kehrten nach Brôtô zurück, das wir
gegen Abend erreichten. Ich selbst hatte durch mein
Betragen bei den Bagirmi nicht gerade gewonnen,
sondern im Gegenteil ihre an meine Beihilfe
geknüpften Hoffnungen arg enttäuscht. Meinen
Hinterladerkarabiner auf dem Rücken, weigerte ich
mich sowohl selbst zu schießen, als andere damit
schießen zu lassen; und in meiner tiefen Verstimmung
suchte ich meinen Ekel an der feigen Grausamkeit
meiner Begleiter nicht zu verbergen und führte in
meiner schutzlosen Lage bedenklich unkluge Reden.
Leider mußte ich später hören, daß meine
Friedfertigkeit bei den Verfolgten nicht die
gehörige Anerkennung gefunden hatte. Sie waren im
Gegenteil geneigt gewesen, in dem harmlosen Fernrohr,
das ich auf ihre Baumwohnungen richtete, eine nicht
unwesentliche Beihilfe ihrer Feinde zu sehen. - Der
Erfolg des Tages bestand übrigens nur in einem
halben Hundert Sklaven, nicht aber in der
Unterwerfung der Leute von Kimre, die ihren schönen
Wald verließen und sich in ein südwestliches
Nachbardorf namens Kariatu, das durch einen Erdwall
geschützt war, zurückgezogen.
Als ähnliche Unternehmungen in der Nachbarschaft,
von denen ich meine Leute zurückhalten konnte, keine
nennenswerten Erfolge gehabt hatten, schonten die
Bagirmi auch ihre nächsten Nachbarn nicht mehr, die
sich dem König unterworfen hatten. So beschlossen
sie eines Tages, das in ungefähr südöstlicher
Richtung etwa drei Stunden von unserm Lager entfernte
Dorf Bê-Délüm zu überfallen, und da mir Almâs
und Hammu versprochen hatten, sich nicht am Kampfe zu
beteiligen, so schloß ich mich dem Zuge an. Da die
Bedrohten leicht Kenntnis von unserm Vorhaben
erhalten haben konnten und der verhältnismäßig
sichern Zufluchtsstätten der Baumwollenbäume fast
ganz entbehrten, so sollte der Überfall mit
möglichster Schnelligkeit ausgeführt werden. Über
ein schwieriges, loch- und furchenreiches, mit
Buschwald bestandenes Gebiet erreichten wir, trabend
oder galoppierend, nach zwei Stunden unser Ziel und
sprengten mit verhängten Zügeln auf das Dorf zu,
fanden es aber, zu meiner Befriedigung, bereits
menschenleer. Da die Bewohner augenscheinlich erst im
letzten Augenblick entflohen waren - sie hatten von
den Haustieren nur die Pferde retten können -, so
begann nun ein entsetzliches Treibjagden der
Berittenen in der waldigen Umgebung, während die
Fußgänger sich die Plünderung des Dorfes angelegen
sein ließen. Bald waren zahlreiche kleine Kinder
hier und da aufgelesen, Frauen und größere Kinder,
die nicht schnell genug hatten laufen können,
ergriffen und aneinandergefesselt, und Männer, die
sich durch den Versuch, ihre Familien zu retten,
verspätet hatten, im Dickicht erschlagen, oft erst
nach verzweifelter Gegenwehr.
Obgleich die Beute sich immerhin auf wenigstens
hundert Frauen und größere Kinder belief, so waren
doch viele der Unsrigen leer ausgegangen, und es
wurde infolgedessen beschlossen, auf dem Heimweg ein
etwas westlicher gelegenes Gâberidorf heimzusuchen.
Die Einwohner waren glücklicherweise schon
frühzeitig entflohen, hatten aber ansehnliche
Getreidevorräte offen zurückgelassen, so daß wir,
mit Durra beladen, unser Lager erreichten.
Hier hatten indessen die zurückgebliebenen Sklaven
des Königs, mißvergnügt darüber, daß sie an
diesem Tage beutelos bleiben sollten, sich durch
einen schändlichen Akt des Verrats an den Gâberi
von Môdê schadlos zu halten gesucht. Entrüstet
über diese Treulosigkeit, suchte ich erst dem
Fatscha Vorstellungen zu machen und begab mich dann,
da ich von diesem als Antwort erhielt: "Ist denn
Amân (d.h. Treu und Glauben) nötig gegen die
Heiden?" zum König, von dem ich wenigstens die
Rückgabe der den Leuten von Môdê geraubten
Menschen erwirkte. Leider vereitelten die zügellosen
Sklaven Abû Sekkîns meinen Erfolg noch an demselben
Abend wieder, indem sie aufs neue Streit mit den
Môdênachbarn suchten und ihr Dorf gründlich
plünderten. Die brennenden Hütten und das
herüberdringende Kriegsgeschrei erzeugten große
Unruhe in unserem Lager. Bald verbreitete sich das
Gerücht, die Leute von Bê-Délüm seien in der
Nähe, um uns zu überfallen, bald sagte man, daß
die vereinigten Gâberi von Môdê und Brôtô
rachedurstig heranzögen.
Die Bagirmi würden sich schwerlich eine so
verräterische Handlungsweise gegen ihre nächsten
Nachbarn erlaubt haben, wenn nicht die schnelle
Abnahme des Getreidevorrats und die infolge der
zunehmenden Niederschläge bevorstehende Unwegsamkeit
der Gegend unsere Übersiedlung in einen andern
Bezirk erwünscht gemacht hätten. Da, wo wir uns
befanden, war unsere Lage nicht mehr lange haltbar.
Je mehr die nahe Umgebung ausgesogen war und je mehr
der Haß unserer Nachbarn schwoll, desto weiter
mußten die Beutezüge ausgedehnt werden, desto
spärlicher war ihr Ergebnis und desto mehr gewannen
sie den Charakter kriegerischer Unternehmungen. Wenn
morgens vor Tagesanbruch die Nahrungsbedürftigen
zusammengerufen wurden, hielt es schon schwer, die
Leute zum Mitgehen zu bewegen. Da es jedesmal zu Mord
und Totschlag kam, so wollte der einzelne sich nur
anschließen, wenn sich alle beteiligten, und wenn
alle gingen, so blieb das Lager schutzlos dem Feinde
ausgesetzt. Sehnsüchtig und den Gürtel enger und
enger schnürend, warteten wir auf die Rückkehr der
Unsrigen, die sich oft bis zum Abend hinausschob, und
selten wurde ihre Anstrengung und unser Hoffen durch
Getreide belohnt. Heute gab es ein Säckchen mit
Bohnen, morgen ein Körbchen mit Erdnüssen oder eine
geringe Menge Sesam, und oft mußten wir uns hungrig
zur Nachtruhe niederlegen. Als endlich noch einer
meiner beiden Lastochsen erkrankte und geschlachtet
werden mußte, begann ich, inmitten unserer sonstigen
Schwierigkeiten, der Zukunft mit Sorge
entgegenzusehen; denn die bei der ausschließlichen
Ernährung mit frischem Gras, das unter den häufiger
werdenden Sommerregen überall aufsproß, abmagernden
Pferde stellten keine großen Dienste als Reit- und
Lasttiere in Aussicht.
Die vorrückende Jahreszeit drohte nicht minder
unsere Lage unerquicklich zu machen. Der Lehmboden
Somrais mußte bald unwegsam werden, und wenn wir
auch bis zur Höhe der Regenzeit in Bornû noch fast
zwei Monate hatten, so stand doch zu fürchten, daß
der Weg dorthin demnächst große Schwierigkeiten mit
sich bringen würde. Eine sofortige Abreise erschien
aber als nicht ratsam, denn bedenkliche Gerüchte,
nach denen 'Abd er Rahmâns Scharen sich nördlich
von uns am Baili gezeigt hatten und eine kleine
Karawane von Bagirmileuten, dreißig Köpfe stark, in
Somrai niedergemacht worden war, sprachen für die
Unsicherheit des Weges und die Unzuverlässigkeit der
Somrai. Außerdem hatte Abû Sekkîn zwar gleich
anfangs alle verkäuflichen Pferde unserer Karawane
erworben, doch noch keines bezahlt.
So wurde meine Stimmung allmählich bitter und
düster, und meine Unterhaltungen mit Abû Sekkîn,
wenn ich einmal bis zu ihm gelangte, waren nicht
immer sehr freundschaftlich. Nachdem die
obenerwähnte verräterische Handlungsweise seiner
eigenen Leute gegen unsere allernächsten Nachbarn
diese zu unseren erklärten Feinden gemacht und
unsere Lage wesentlich verschlimmert hatte, fragte er
mich eines Tages um meine Ansicht über die beste Art
und Weise, aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen.
Ohne Schonung antwortete ich ihm darauf, daß der
allmächtige Gott Fürsten und Menschen ohne
"Amân" nicht segne, und daß wir Christen
uns nur in ehrbare Angelegenheiten mischten. Er
müsse selbst sehen, wie er zurecht komme, mich werde
Gott schon zur rechten Stunde aus so treuloser
Gesellschaft erretten. Derartige Bemerkungen, die ihm
sehr ungewohnt klingen mußten, nahm er übrigens
ebensowenig übel, als sie ernstlich Eindruck auf ihn
machten.
Die Bewohner der Dörfer Môdê und Brôtô hatten
sich mit denen von Bê-Délüm in die benachbarte
Ortschaft Tschîre, die von einem schützenden Wall
umgeben war, zurückgezogen und beunruhigten von dort
aus die Umgebung unseres Lagers. Ein Versuch, sie
dort zu überfallen, schien unsererseits wenig ernst
gemeint zu sein. Ich nahm teil an dem Zuge, um mich
von dem Vorhandensein der Dattelpalme in Tschîre zu
überzeugen; doch kaum waren wir nach etwa
dreistündigem Marsch in die Nähe der Ortschaft
gekommen und hatten fünf beim Kräutersammeln
überraschte Frauen gefangengenommen, als wir beim
Anblick von fünfzig bis achtzig heidnischen Reitern
eilig den Rückzug antraten. Desto häufiger bekamen
wir unliebsame Besuche von dort. Beständig
umstrichen uns feindliche Reiter mit ihren schnellen,
kleinen Rossen, stahlen jedes Stück Vieh, das nicht
unter unseren Augen weidete, und erschlugen die
Sklaven, die sich zu weit vom Lager entfernt hatten
und nicht gerade zu ihrem Stamme gehörten. Es wurde
von Tag zu Tag gefährlicher für die Frauen und
Mädchen, selbst im nächsten Umkreis des Lagers, die
Kräuter und Baumblätter zu sammeln, deren Abkochen
den kümmerlichen Brei aus Erdnuß- oder Bohnenmehl
einigermaßen schmackhaft machen mußte; ihrer manche
kamen nicht wieder und wurden tags darauf erschlagen
gefunden.«
Quelle: Gustav Nachtigal, Reise nach
Bagirmi |